Bericht - Hamburgische Bürgerschaft
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BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/15885 21. Wahlperiode 21.01.19 Bericht des Europaausschusses über das Thema „Brexit – Auswirken für Europa und Hamburg“ (Selbstbefassung gemäß § 53 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft) Vorsitz: Dr. Alexander Wolf Schriftführung: Danial Ilkhanipour I. Vorbemerkung Der Europaausschuss beschloss in seiner Sitzung am 22. Oktober 2018 einstimmig, das Thema „Brexit – Auswirken für Europa und Hamburg“ im Rahmen einer Selbstbe- fassung gemäß § 53 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürger- schaft (GO) zu beraten und hierzu eine Anhörung gemäß § 58 Absatz 2 GO und eine Senatsbefragung durchzuführen. Die Anhörung sowie die abschließende Beratung erfolgten in der Sitzung des Europaausschusses am 30. November 2018. Dabei wur- den folgende Personen angehört: Herr Moritz Jahnke (Auswärtiges Amt), Herr Andre- as Meyer-Schwickerath (British Chamber of Commerce in Germany e.V.), Herr Arne Olbrisch (Handelskammer Hamburg) und Herr Dierk Schulz (Verein Hamburger Spe- diteure e.V.). II. Beratungsinhalt Der Vorsitzende regte an, den Auskunftspersonen Raum für ein Eingangsstatement zu geben und anschließend in eine Fragerunde einzusteigen. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes, Herr Moritz Jahnke, eröffnete, es gebe nun eine Einigung über den Text eines Austrittsabkommens sowie über eine begleitende politische Erklärung zum künftigen Verhältnis zwischen Europa und dem Vereinigten Königreich sowie eine Reihe von Protokollerklärungen. Aus Sicht der Bundesregie- rung sei dies Grund zur Erleichterung, aber nicht zur Freude, da sie den Brexit weiter- hin bedauere. Dennoch respektiere die Bundesregierung das Votum der britischen Wählerinnen und Wähler. Er unterstrich, die Verhandlungen würden der Schadensbe- grenzung dienen und im Resultat weder einen Erfolg für die EU noch für Großbritan- nien darstellen. Mit dem Austrittsvertrag sei aber zumindest ein geordneter Austritt gewährleistet und ein Austritt ohne Abkommen – nach dem es im September noch ausgesehen habe – glücklicherweise abgewendet. Damals hatte Großbritannien ent- gegen der Vorstellungen der EU die Auffassung vertreten, weiterhin am Binnenmarkt teilnehmen zu können, gleichzeitig aber nicht alle Freiheiten und Regeln befolgen zu müssen. Währenddessen habe sich die EU vorgestellt, das Zollgebiet Nordirlands vom restlichen Großbritannien trennen und als EU behandeln zu können. Die EU habe damals nicht verstanden, wie wichtig für Großbritannien die Frage eines einheit- lichen Zollgebietes sei. Beide Erwartungen seien in der Folge korrigiert worden, wodurch nun das betreffende Austrittsabkommen zustande gekommen sei. Zum wei-
Drucksache 21/15885 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode teren Verfahren erklärte der Vertreter des Auswärtigen Amtes, das Abkommen müsse europaseitig noch vom Europäischen Parlament ratifiziert werden. Das Parlament habe am gestrigen Tage bereits zu der Thematik getagt und eine Ratifizierung sei aufgrund der breiten Zustimmung für diese Einigung im Plenum sehr wahrscheinlich. Die Ratifizierung werde vermutlich in der Plenumssitzung im Februar 2019 vorge- nommen werden. In derselben Sitzung werde das Europäische Parlament dann noch eine begleitende Resolution zum künftigen Verhältnis zu Großbritannien verabschie- den. Auf britischer Seite sei die Ratifizierung ungewisser und laufe über zwei Verfah- ren. Zunächst gebe es den sogenannten meaningful vote am 11. Dezember 2018, welcher als die entscheidende Befassung des Unterhauses bezeichnet werden könne. Wenn dieser negativ ausgehe, könne er wiederholt werden, was wiederum davon abhänge, wie stark die Ablehnung ausfalle. Das Ratifizierungsverfahren sei ein davon getrenntes Verfahren, was in dem Moment eingeleitet werde, wenn die britische Regierung den unterzeichneten Vertrag dem Parlament zuleite. Dieses könne dann 21 Tage lang seine Zustimmung erteilen. Der Vertreter der Handelskammer Hamburg, Herr Arne Olbrisch, führte aus, die Han- delskammer vertrete die Interessen der Hamburger Unternehmen. Darum sei das primäre Ziel der Handelskammer, die Unternehmen über die Entwicklungen bezüglich des Brexits auf dem Laufenden zu halten. Dazu halte die Handelskammer ein sehr umfangreiches Internetangebot vor, in welchem der aktuelle Verhandlungsstand wie- dergegeben werde. Zudem habe die Handelskammer im März eine Umfrage unter Hamburger Unternehmen durchgeführt, wie sich diese auf den Brexit vorbereiten wür- den. Dabei sei festgestellt worden, dass circa 50 Prozent der Antwortenden sich bereits intensiv auf den Brexit vorbereitet hatten. Je größer die Unternehmen seien, desto intensiver sei die Vorbereitung gewesen, wenngleich die Vorbereitung schwer- falle ob der mangelnden Informationen, worauf sich die Unternehmen zukünftig ein- stellen müssten. Ein weiterer Schwerpunkt der Handelskammer Hamburg sei die Durchführung von Veranstaltungen zum Thema Brexit. Hier habe beispielsweise am 9. November 2018 gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium eine Veranstaltung mit 270 Teilnehmerinnen und Teilnehmern – inklusive Zollbeamtinnen und -beamten – stattgefunden, in welcher es um die Frage gegangen sei, worauf sich Unternehmen im Falle des harten Brexits vorzubereiten hätten. In den Feedbackbögen sei deutlich geworden, dass fast 70 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Unterneh- men mit mehr als 100 Beschäftigten gekommen seien. Auch hier bestätigte sich somit das Bild: Je größer das Unternehmen, desto intensiver die Vorbereitung. Die Anfragen an die Handelskammer Hamburg würden sich davon abgesehen noch in Grenzen halten, würden aber steigend prognostiziert. Die Handelskammer behandle haupt- sächlich Probleme im Detail, wie zolltechnische Fragen für einzelne Unternehmen. Dabei stehe sie in engem Kontakt mit ihrer Spitzenorganisation, die wiederum in stän- digem Austausch mit dem Bundesfinanzministerium stehe. Der Vertreter der British Chamber of Commerce in Germany (BCCG), Herr Meyer- Schwickerath, begann seine Ausführungen mit einem Blick auf die Wirtschaftsbezie- hungen zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik. Dabei betonte er, dass der Brexit eine Katastrophe für Deutschland und die deutsche Wirtschaft darstelle. Groß- britannien sei die zweitgrößte Volkswirtschaft mit einem Bruttonationaleinkommen von 2,5 Billionen Euro und sei für die Bundesrepublik das viertwichtigste Exportland nach den USA, den Niederlanden und Frankreich. Der bilaterale Handel habe im vergange- nen Jahr 180 Milliarden Euro betragen, wovon der Warenverkehr 130 Milliarden Euro und die Dienstleistungen 50 Milliarden Euro ausgemacht hätten. Im Warenverkehr habe Deutschland einen Überschuss in Höhe von 45 Milliarden Euro verzeichnet. Es werde davon ausgegangen, dass bereits in diesem Jahr ein 10- bis 20-prozentiger Einbruch des Warenverkehrs eintreten werde. Davon sei besonders die Automobil- branche betroffen. Zur Verbindung zwischen Hamburg und dem Vereinigten König- reich informierte der Vertreter der BCCG, die Exporte aus Hamburg hätten im vergan- genen Jahr 3,1 Milliarden Euro betragen. Dies stelle ein Minus von 18 Prozent im Vergleich zum Jahr 2016 dar. 52 Prozent der gesamten Exporte gingen aus Hamburg in die EU, wovon wiederum sechs Prozent nach Großbritannien gehen würden. In Hamburg hätten 1 000 Unternehmen direkte Verbindungen nach Großbritannien und 70 Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich seien in Hamburg ansässig. 2017 hätten 373 Britinnen und Briten die deutsche Staatsbürgerschaft in Hamburg erwor- 2
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15885 ben, im Gegensatz zu 100 im Jahr 2016. Begünstig werde dies durch das Recht mit Großbritannien eine doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten. In Österreich gebe es dieses Recht beispielsweise nicht, dafür aber in Spanien, Frankreich und den Nieder- landen. Anschließend führte der Vertreter der BCCG aus, wesentliche Gründe für das Brexit- Votum seien die Migration aus der EU, geringes Wachstum, politischer Eigenverant- wortungswille der EU-Länder, Stärkung der Subsidiarität zugunsten der Kompetenzen der Länder, die zunehmende Entfremdung der EU-politischen Eliten von ihren Wähle- rinnen und Wählern sowie die Terrorgefahr gewesen. Zum Zeitplan unterstrich er, dass man es zunächst nur mit dem Austrittsabkommen zu tun habe. Diese müsse erst das britische Parlament passieren, dann ratifiziert werden und dann abschließend von der EU beschlossen werden. Erst dann ende am 29. März 2019 die zweijährige Phase der Scheidungsverhandlungen mit der EU. Genau zu diesem Zeitpunkt werde die BCCG eine Veranstaltung im Allianz Forum in Berlin mit 500 Gästen ausrichten. Hier werde Politik und Wirtschaft zusammenkommen und die Konsequenzen des Brexits diskutieren. Wichtig sei, dass das Votum, welches am 11. Dezember 2018 im briti- schen Parlament stattfinden solle, keine bindende Wirkung für die britische Premier- ministerin Theresa May habe. Sie habe nämlich die Möglichkeit, die Abstimmung wie- derholen zu lassen. Spätestens im Januar 2019 müsse das Verfahren aber ins Ober- haus und dort ratifiziert oder anders politisch entschieden werden. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Herr Sánchez-Bordona habe angeregt fest- zustellen, ob Artikel 50 EUV (Vertrag über die Europäische Union) es zulasse, die Mitteilung der Absicht, aus der Union auszutreten, einseitig zurückzunehmen. Dieses Verfahren sei noch nicht entschieden. Mit einer Entscheidung werde in der kommen- den Woche gerechnet. Wenn Großbritannien die Entscheidung einseitig zurückziehen könnte, habe die Labour Party angedroht, einen Misstrauensantrag gegen Theresa May durchzusetzen und somit Neuwahlen zu erzwingen. Es könnte dann sein, dass die Labour Party ankündigen werde, eine Zollunion (customs union) oder den Verbleib Großbritanniens in der EU („Bremain“) zu verhandeln. Das würde somit einen Rücktritt vom Rücktritt bedeuten und nochmalige Verhandlungen nach Artikel 50 EUV nach sich ziehen, die möglicherweise in einem Verbleib Großbritanniens enden würden. Der Vertreter der BCCG unterstrich, dass ein Verbleib für alle Seiten besser sei. Die britische Zentralbank habe jüngst mitgeteilt, dass das Bruttonationaleinkommen zwi- schen 40 und 150 Milliarden Pfund pro Jahr geringer auffallen werde. Insgesamt bedeute dies einen Einbruch um drei bis acht Prozent und pro Kopf eine Belastung zwischen 1 000 und 4 000 Pfund. Der Vertreter des Vereins Hamburger Spediteure e.V., Herr Dierk Schulz, führte aus, die Unsicherheit und Unklarheit über das künftige Brexit-Abkommen sei für die Bran- che sehr schwierig. Einige Speditionsunternehmen hätten sich bereits neue Trailer angeschafft, weil befürchtet werde, dass die Zollabfertigung entsprechend lange dau- ern und der Transportweg dadurch um zwei bis fünf Tage verlängert werde, wodurch der Laderaum in dieser Zeit fehle. Auch aus ihrer Sicht sei es wünschenswert, den Brexit wieder zurückzunehmen. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter bestätigten, dass Großbritannien als sechst- wichtigster Handelspartner Hamburgs eine große Rolle spiele. Der Senat gehe davon aus, dass der Brexit kommen werde und ein Rücktritt vom Rücktritt eher unwahr- scheinlich sei. Im Zuge des Brexits verfolge der Senat drei Themenkomplexe: Der erste sei die Normgesetzgebung. Im Senat sei eine Drucksache vorbereitet worden, die analog zum Überleitungsgesetz der Bundesregierung den Fall vorbereite, dass das Austrittsabkommen gelinge und das Vereinigte Königreich wie ein EU-Mitglied für einen Zeitraum bis Ende 2020 oder 2022 behandelt werde. In einer zweiten Drucksa- che, die derzeit vorbereitet werde, würden die Notfallmaßnahmen in Abstimmung mit der Bundesregierung und anderen Bundesländern näher definiert. So versuche sich Hamburg legislativ darauf vorzubereiten, dass Großbritannien zum Drittstaat werde und beispielsweise beamtete Lehrerinnen und Lehrer, die nur über eine britische Staatsbürgerschaft verfügen, im Status zurückfallen würden. Auch gehe es darum, zu entscheiden, ob hier lebenden Britinnen und Briten ein Einbürgerungsangebot gemacht werde. 3
Drucksache 21/15885 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Zweitens informiere der Hamburger Senat in der Koordinierungsstelle Brexit, die im Sommer eingerichtet worden sei, gemeinsam mit allen Fachbehörden der Hamburger Verwaltung ihre Partnerinnen und Partner. Dazu zählten beispielsweise die Veterinär- und Gesundheitsämter, die Handelskammer, der Zoll als auch die Personalämter. Drittens behandle der Senat auch die möglicherweise positiven Effekte des Brexits auf Hamburg. Firmen aus dem asiatischen und nordamerikanischen Raum, die bislang ihren europäischen Standort in London haben würden, hätten ihr Interesse bekundet, in Hamburg einen neuen oder zusätzlichen Standort zu finden. Hamburg Invest habe aus diesem Grunde seit 2016 mehrere Veranstaltungen im Vereinigten Königreich durchgeführt. Bisher sei es gelungen, einige Unternehmensansiedelungen nach Ham- burg zu holen. Die SPD-Abgeordneten stellten fest, es sei beruhigend zu erfahren, dass sich der Senat auf die unterschiedlichen Austrittsszenarien vorbereite. Sie erkundigten sich, ob es möglich sei, konkrete hamburgspezifische Themen auf EU-Ebene zu platzieren oder ob dies nur über die Bundesebene laufen könne. Den Vertreter des Auswärtigen Amtes baten sie um eine Einschätzung, welche Gefahr der US-amerikanische Präsi- dent Trump für die Austrittverhandlungen bedeute oder ob dessen Einmischung zu vernachlässigen sei. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter betonten, keine eigene Außenpolitik zu verfol- gen und somit alles in Abstimmung mit der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt zu tun. Der Brexit treffe aber selbstverständlich in erster Linie die Kommunen, ihre Bürgerinnen und Bürger sowie dort ansässige Unternehmen. Hamburg habe die Möglichkeit über die Europa-Ministerkonferenz Anliegen und Positionen einzubringen. Darüber hinaus gebe es in der Europäischen Union den Ausschuss der Regionen, in welchem Hamburg vertreten sei. Dieser tage in der nächsten Woche in Brüssel und werde sich auch mit dem Brexit auseinandersetzen. Hamburg werde in einem Rede- beitrag die eigene Situation darstellen und dafür plädieren, politische Setzungen – beispielsweise zum Umgang mit britischen Unternehmen oder der Einbürgerung von britischen Staatsbürgerinnen und -bürgern – im Einklang mit der kommunalen Ebene zu finden. Darüber hinaus seien die Bundesländer natürlich auch über den Bundesrat an jeglicher Gesetzgebung beteiligt. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes betonte, der Brexit werde zwischen der EU und Großbritannien verhandelt und nicht mit den USA. Die negativen Signale aus den Vereinigten Staaten seien für die britische Premierministerin allerdings wenig erfreu- lich, da sie auf die Wahrheit aufmerksam gemacht hätten, dass die Möglichkeit, Han- delsabkommen mit Großbritannien zu schließen, stark begrenzt sei, solange es in der Zollunion verbleibe. Der CDU-Abgeordnete schloss sich den Ausführungen des Vertreters der BCCG an und betonte die gravierenden negativen Auswirkungen des Brexits auf alle Beteiligten. Er berichtete, fast alle wesentlichen Komponenten eines in Großbritannien gefertigten Fahrzeuges würden aus Kontinentaleuropa stammen – hergestellt von Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Auf eine Schriftliche Kleine Anfrage habe der Senat jüngst mitgeteilt, der Handelsverkehr zwischen Ham- burg und Großbritannien habe im vergangenen Jahr 242 000 Container umfasst. Er ergänzte, Großbritannien werde im praktizierten Handel den Status des Transportsys- tems T1 haben, dies bedeute „Außenstaat“, wodurch Großbritannien ungefähr gleich- zusetzen sei mit El Salvador. Wenn in Hamburg pro Tag tausend Container dieser Kategorie aus Großbritannien abzufertigen seien, käme es zu administrativen Proble- men, die zu erheblichen Verzögerungen führen könnten. Von den Senatsvertreterin- nen und -vertretern bat er abschließend um eine Einschätzung, ob auf einen harten Brexit tatsächlich in der Kürze der Zeit reagiert werden könne und Komplikationen im Hamburger Hafen ausgeschlossen werden könnten. Der Vertreter des Vereins Hamburger Spediteure e.V. stimmte zu, die Speditionen würden zukünftig wieder mit der Zollabfertigung befasst werden, wofür derzeit noch das spezialisierte Personal fehle. Es sei zudem mit langen Wartezeiten an den Zoll- ämtern zu rechnen. Es gebe zwar Zollvereinfachungen – wie den „zugelassenen Emp- fänger“ oder den „zugelassenen Versender“ –, durch welche der Verein die Fahrzeuge selbst in Empfang nehmen dürfte und auch berechtigt sei, Zollplomben zu entfernen, 4
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15885 aber auch dafür werde neues Personal benötigt. Der gesamte Transportweg werde zudem teurer werden. Der Vertreter der Handelskammer Hamburg berichtete aus der Sicht des Zolls, die Bundeszollverwaltung schätze, der Personalbedarf steige im Zuge des Brexits deutschlandweit um 900 Zöllnerinnen und Zöllner, besonders an den internationalen Wareneingangsstellen Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Frankfurt, Köln, Bonn und Leipzig. Bezüglich des Abfertigungszuwachses werde in Hamburg mit einer Steige- rung der Einfuhranmeldung um drei Prozent gerechnet. Dies liege unterhalb der monatlichen Schwankungen in der Zollabfertigung. Zudem würden die meisten Zoll- anmeldungen elektronisch laufen und die Beschauquote von Containern liege deutlich unter 10 Prozent. Der Zoll gehe deshalb davon aus, diesen Zuwachs schultern zu können. Das einzige Problem sah der Vertreter der Handelskammer somit darin, dass zuletzt Planstellen des Hauptzollamtes im Hamburger Hafen nicht besetzt gewesen seien und Probleme bestanden hätten, diese nach zu besetzen. Es sei deshalb zu hoffen, dass der Zoll genügend qualifiziertes Personal rekrutieren könne, um das erhöhte Aufkommen abzuarbeiten. Ein anderes Bild biete sich bei dem Lkw-Verkehr, bei welchem sich die Wartezeiten erheblich verlängern würden. Zollrechtlich könne jedoch Entwarnung gegeben werden. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter stimmten dem zu. Es sei in Hamburg nicht mit einem erheblich höheren Bedarf an Personal zu rechnen, da die erste Anlandung in der EU nicht in Hamburg stattfinde. Dies geschehe eher in Calais, Antwerpen oder Rotterdam, die sich in deutlich größerem Umfang auf die Zollanlandung und Prüfung der Waren aus Großbritannien vorbereiten würden. Der Personalaufwuchs werde sich in Hamburg somit in engen Grenzen halten. Der Vertreter der BCCG relativierte die Befürchtungen der kurzen Vorbereitungszeit auf den Brexit, es gebe eine Übergangszeit bis Ende 2020, die jedoch mittels einer Verlängerungsoption bis Ende 2022 fortgeführt werden könne. Eine weitere Verlänge- rungsoption sei darüber hinaus möglich, da sowohl die EU als auch Großbritannien einem No-Deal-Brexit ebenfalls zustimmen müssten. In diesem Falle müssten alle EU- Mitglieder zustimmen, wobei davon auszugehen sei, dass zahlreiche Staaten dies verhindern oder blockieren würden. Er gehe nicht davon aus, dass bis Ende 2020 alle politischen und wirtschaftlichen Verträge abgeschlossen seien. Der Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE bekannte, seine Fraktion mache sich eben- falls große Sorgen um den Brexit. Die Entscheidung sei eine Folge von Krisener- scheinungen in der EU und asymmetrischer Entscheidungsbefugnisse innerhalb der Union. Die EU müsse sich angesichts des Brexits, der Griechenlandkrise und des Streits um den italienischen Haushalt Gedanken machen, wie sie aus dem Kreislauf der Krisen ausbrechen könne. Er berichtete von einer gemeinsamen Veranstaltung mit einem Vertreter der Labour Party, welcher dargestellt habe, dass viele Engländer, Schotten und Iren geschockt seien, was der Brexit bedeute und sich eine große Grup- pe von sogenannten Remainers gebildet habe. Er bat die Auskunftspersonen zu schildern, wie breit diese Bewegung in der britischen Gesellschaft sei und wie sich die regionalen Parlamente verhalten würden. Anschließend lenkte er den Blick auf die Vorstöße der Bundesregierung kurz nach dem Bekanntwerden des Brexits, die mit Großbritannien nicht möglich gewesen wären, wie das Vorantreiben der Europäischen Verteidigungsunion. Er erkundigte sich, ob vor diesem Hintergrund überhaupt ein Weg gesehen werde, den Brexit von Deutschland aus noch abzuwenden und ob Schritte in diese Richtung unternommen würden. Abschließend fragte er nach der Einschätzung der Bundesregierung zum möglichen einseitigen Rücktritt nach Artikel 50 EUV. Prob- lematisch werde dabei wohl teilweise gesehen, dass andere Staaten zukünftig Aus- trittsszenarien als Druckpotenzial nutzen könnten, wenn ein einseitiger Rücktritt vom Austritt möglich sei. Der Vertreter der BCCG erläuterte, Schottland habe ein großes Problem mit Frank- reich, da sie maßgeblich vom Fischfang leben würden und die britischen Gewässer sehr stark von deutschen und französischen Fischern beeinflusst würden. Die Fische- reirechte seien bislang bilateral, in den Absichtserklärungen sei jedoch festgelegt, dass Großbritannien seine Hoheitsgewässer zurückhaben wolle. In den Küstenregio- nen werde der Brexit somit begrüßt, während die Landbevölkerung – welche wesent- 5
Drucksache 21/15885 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode lich von EU-Subventionen profitiert habe – mehrheitlich gegen den Brexit sei. Großbri- tannien sei zwar der zweitgrößte Nettozahler in das EU-Budget, sei aber trotzdem einer der großen Profiteure der Infrastrukturmaßnahmen und des multilateralen Warenverkehrs. Berechnungen hätten ergeben, Großbritannien hätte sich in den letz- ten zehn Jahren um 10 bis 15 Prozent geringer entwickelt, wenn es die EU nicht gegeben hätte. In Nordirland gebe es eine Mehrheit für den Verbleib in der EU, der sich aber die Democratic Unionist Party (DUP) entgegenstelle. Wales sei mehrheitlich für den Brexit gewesen, inzwischen habe sich hier allerdings die Meinung umgekehrt. Gleiches gelte für den Südwesten Großbritanniens. Er subsumierte, die Mehrheit der britischen Bevölkerung sei inzwischen für den Verbleib in der EU oder eine weitge- hende Freihandelszone. Den Wählerinnen und Wählern sei vorgegaukelt worden, es gebe eine Brexit-Dividende über 350 Millionen Euro, die wöchentlich an den staatli- chen Gesundheitsdienst NHS gegeben werden könnte. Die Entscheidung für den Brexit sei aufgrund derartiger falscher Informationen gefallen. Der Vertreter der BCCG fuhr fort, die Einigungsvorschläge der EU vom Februar 2016 seien sehr weitgehend gewesen und hätten echte Reformvorschläge aller 27 Mitglie- der enthalten. Diese Chance zu ergreifen und die Vorschläge auch umzusetzen sei damals vertan worden, woraufhin die Brexit-Befürworter die Debatte über die illegale Migration über Calais und die Unwahrheiten über den NHS weiter befeuert hätten. Er betonte, dass die Migrationsfrage und die Schuldzuweisung an die EU einer Grundla- ge entbehren würden, da Großbritannien nie im Schengenraum gewesen sei und somit die Migration selbstständig habe steuern können. 2008 habe die britische Regierung die Grenzen nach Osten geöffnet und 1,5 Millionen Europäerinnen und Europäer ins Land gelassen. Inzwischen sei eine Vielzahl dieser Migrantinnen und Migranten arbeitslos oder arbeite im Schwarzarbeitssektor. Mittlerweile gingen die Schätzungen von insgesamt 4 Millionen Europäerinnen und Europäern im Vereinigten Königreich aus. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes schickte vorweg, Großbritannien sei unions- rechtlich nicht dazu verpflichtet gewesen, derart viele Kontinentaleuropäerinnen und -europäer ins Land zu lassen und ihnen hohe Sozialabgaben zu zahlen. Eingehend auf die Fragen des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE stellte er fest, dass sich die Brexit-Debatte in Europa oft noch um die Frage der Rationalität eines Austrittes drehe. Derweil würde sich die Debatte in Großbritannien nicht an den wirtschaftlichen Aus- wirkungen orientieren. Im Unterhaus gebe es aber nicht ausreichend Remainers, die dafür stimmen würden, in Europa zu verbleiben, wohl aber entschiedene Gegner eines Verbleibs. Theresa May prophezeie deshalb nicht mehr einen Hard Brexit – also einem Brexit ohne Abkommen –, sondern drohe mittlerweile, es werde einen NoBrexit geben – das heißt keinen Brexit –, sollten ihre Verhandlungsergebnisse abgelehnt werden. Teil der Debatte sei auch, dass sich das Vereinigte Königreich von der Fremdbestimmung lossagen wolle. Deutschland könne deshalb nur hoffen, dass die britische Bevölkerung erneut über den Brexit abstimmen dürfe. Von einer Einmi- schung von außen riet der Vertreter des Auswärtigen Amtes in diesem Zusammen- hang deutlich ab. Ratschläge aus Deutschland wären eher kontraproduktiv. Die Bun- desrepublik und der Europäische Rat würden jedoch die Option offenhalten, sollte sich Großbritannien doch noch gegen den Brexit entscheiden. Zum Artikel 50-Verfahren war der Vertreter des Auswärtigen Amtes der Meinung, juristisch gebe es keine Mög- lichkeit den Austritt zurückziehen. Er begründete dies damit, dass der Vertrag zwar eine Konsequenz an die Notifizierung knüpfe – nämlich das Inkrafttreten des Austritts nach Ablauf von zwei Jahren –, aber keine Regelungen bezüglich eines Rücktritts enthalte. Sollte diese Möglichkeit bestehen, könne Großbritannien in jedem Stadium des Verfahrens den Austritt zurücknehmen und ihn gleich im Anschluss wieder stellen und so die Zwei-Jahres-Frist umgehen. Politisch sei die Option anders zu bewerten, da kein Mitgliedsstaat Großbritannien ablehnen würde, sollte es sich für die Rück- nahme des Austrittes entscheiden. Es ginge der EU nicht darum, Großbritannien zu bestrafen oder zu triumphieren. Der AfD-Abgeordnete bekannte, mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf den Brexit zu blicken. Auf der einen Seite seien die wirtschaftlichen Folgen enorm und der nüchterne politische Angang Großbritanniens werde zukünftig auf der europäi- schen Ebene fehlen. Auf der anderen Seite sei es erfrischend zu sehen, dass die Bri- 6
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15885 ten die wirtschaftlichen Aspekte beiseitegeschoben und die nationale Souveränität für wichtiger erachtet hätten. Das Brexit-Votum könne im besten Falle dazu führen, dass die EU an die Reformüberlegungen von 2016 anknüpfe und einige Punkte auf den Prüfstand stelle. Er fragte, wie die alternativen Modelle „EFTA“, „EWR“ oder „Schweiz“ im Auswärtigen Amt und in Großbritannien bewertet würden. Außerdem erkundigte er sich bezogen auf den Wegfall des zweitgrößten Beitragszahlers, ob die Ausgaben in Zukunft eingespart und dadurch der EU-Haushalt insgesamt gekürzt werde oder die Beiträge der anderen Mitgliedsstaaten angehoben würden. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter schilderten, der Brexit habe innerhalb der EU zu einem Zusammenschluss der übrigen Mitgliedsstaaten geführt. Dies zeige sich unter anderem an dem bedingungslosen Rückhalt für den Beauftragte der EU- Kommission für die Austrittsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich, Michel Barnier, und an dem einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs zum Austrittsabkommen. Die EU werde aktuell mehr denn je benötigt. Zur Gestaltung der zukünftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich betonten sie, diese hänge nicht unwesentlich von Großbritannien selbst ab. Großbritannien habe jedoch sämtliche Stufen der Barnier-Treppe – welche die unterschiedlichen Freihandelsabkommen der EU mit zunehmender Bindungskraft skizziere – ausgeschlagen. Es sei bislang somit nicht gelungen, sich auf eine naheliegende weil bereits bestehende Lösung zu ver- ständigen. Der Vertreter der Handelskammer Hamburg ergänzte, das Problem mit den Modellen „Norwegen“ oder „Schweiz“ sei, dass in beiden auf unterschiedliche Art die Arbeit- nehmerfreizügigkeit gewährleistet sei. Die Länder würden am europäischen Binnen- markt teilnehmen, was wiederum eine rote Linie Großbritanniens gewesen sei. In der Barnier-Treppe seien somit im Grunde nur die Modelle „Kanada“ oder „Südkorea“ denkbar. Der Vorteil liege in den Verhandlungen mit Großbritannien zumindest darin, dass dieselben Normensysteme vorhanden seien. Das Ziel sei, unter Beachtung der roten Linien so viel Kooperation wie möglich zu erlangen, ohne anderen Staaten einen Anreiz zu bieten, es Großbritannien gleich zu tun. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes warf ein, die Stoßrichtung eines Abkommens mit Großbritannien unterscheide sich elementar von sonstigen Handelsabkommen, bei denen es um ein Mehr an Zusammenarbeit gehe. Hier wolle Großbritannien weni- ger, weshalb es durchaus schwierig werden könnte, eine Einigung zu erzielen. Er betonte, der Brexit werde leicht für politische Positionen und Deutungen genutzt. Die Personenfreizügigkeit in der EU sei eine ihrer größten Errungenschaften. Dies werde auch von allen verbliebenen EU-Staaten so vertreten. Die nationale Souveränität als Grund, sich von der EU zu verabschieden, sei höchst fraglich. Die Bundesrepublik sei davon überzeugt, die nationale Souveränität und das Mitspracherecht auf internatio- naler Ebene überhaupt erst durch die EU und die damit verbundene Bündelung von Interessen zu verwirklichen. Großbritannien werde zukünftig zwar alleine in Verhand- lungen eintreten können, habe dann aber auch weniger Gewicht. Zu den thematisier- ten alternativen Modellen, ergänzte der Vertreter des Auswärtigen Amtes, das Modell „EWR“ scheide für Großbritannien nicht nur aufgrund der Personenfreizügigkeit aus, sondern auch wegen des Einzahlens in den Haushalt und des vollständigen Über- nehmens der Beschlüsse und Regeln aus Brüssel. Der Vertreter der BCCG wandte ein, die Freizügigkeit gelte nach den EU-Verträgen nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die britische Regierung bestehe auf genau dieser Interpretation. Die Personenfreizügigkeit sei erst später entstanden, wodurch es auch möglich geworden sei, zur Arbeitssuche zu reisen. Auf welches Modell sich die EU und Großbritannien einigen würden, stehe bislang allerdings im Hintergrund, da zunächst der Austritt verhandelt werden müsse. Er hielt es für denk- bar, dass sich Großbritannien auf eine Continental Partnership einlassen werde, sozusagen ein „EWR+“, das heißt europäischer Wirtschaftsraum mit vertiefter Frei- handelszone in der eine geregelte Freizügigkeit herrsche. Er wies aber darauf hin, dass alle 27 Staaten den künftigen Verträgen mit Großbritannien zustimmen müssten. Dies könne sich jedoch als schwierig herausstellen und Zugeständnisse an Osteuropa erfordern. Anschließend machte der Vertreter der BCCG darauf aufmerksam, dass Großbritannien eine große Rolle in der Sicherheitspartnerschaft und im militärischen Austausch spiele. Wenn das Vereinigte Königreich nun wegfalle, müsse vermutlich 7
Drucksache 21/15885 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode eine Neuregelung der Beiträge an die NATO vorgenommen werden. Er äußerte die Befürchtung, auf Deutschland kämen neben den Kosten des Austritts und der Über- nahme größerer Teile des Budgets weitere Kosten zu, die mit dem Militärhaushalt zu tun hätten. Auch in der inneren Sicherheit käme den Briten eine entscheidende Bedeutung zu – beispielsweise beim Datenaustausch. All dieses werde unterbrochen, sollte es zu einem harten Brexit kommen. Auf Nachfrage des AfD-Abgeordneten gab der Vertreter des Auswärtigen Amtes an, es sei schwer, zu prognostizieren, ob der EU-Haushalt durch den Wegfall eines bedeutenden Nettozahlers reduziert werde oder ob die Kosten von den anderen Mit- gliedsstaaten übernommen werden würden, da die Verhandlungen über den mehrjäh- rigen Finanzrahmen noch nicht begonnen hätten. Die FDP-Abgeordnete bat den Vertreter der Handelskammer um Stellungnahme, ob es unterschiedliche Anforderungen an die Unternehmen gebe, je nachdem mit wel- chem Land des Vereinigten Königreiches Handel betrieben werde. Von den Senats- vertreterinnen und -vertretern wollte sie wissen, wie viele britische Firmen sich bis dato über eine Übersiedelung nach Hamburg erkundigt beziehungsweise sich bereits entschieden hätten. Den Vertreter des Auswärtigen Amtes bat sie um Darstellung der bundespolitischen Erwartungen an Hamburg mit seinem Hafen als Umschlagsplatz für Waren und erkundigte sich, ob es konkrete Pläne gebe, wie die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geregelt werden solle. Der Vertreter der Handelskammer Hamburg schilderte, vom Brexit seien auch kleinere Unternehmen betroffen, die bislang nur im Binnenmarkt Handel betrieben und somit keine Berührungspunkte mit dem Zoll gehabt hätten. Auf diese kämen besondere Herausforderungen zu. Größere Hamburger Unternehmen hätten in der Regel Zoller- fahrungen, für die Großbritannien in Zukunft nur ein weiteres Drittland darstelle. Betroffen seien aber beispielsweise Unternehmen in der Automobilindustrie, die sich nun mit den genauen Regelungen vertraut machen müssten, um nicht mehrfach bei Grenzüberschreitungen Zoll, Einfuhr- und Umsatzsteuer entrichten zu müssen. Davon abgesehen machte er darauf aufmerksam, dass Großbritannien mit dem Brexit auch aus den Freihandelsabkommen der EU ausscheide. Am bereits angesprochenen Bei- spiel der in Großbritannien gefertigten Autos mit einem Großteil verbauter europäi- scher Materialen, erklärte er, diese besäßen dann je nach Anteil nicht britischer Waren keine Zollpräferenz mehr. Es müsse deshalb auch mit den außereuropäischen Handelspartnern geklärt werden, ob Materialen, die aus Großbritannien bezogen wür- den weiterhin als EU-Waren gelten könnten. Dies hänge von der Verarbeitungstiefe ab. Besonders Unternehmen mit internationalen Lieferketten, die Materialen aus Großbritannien beziehen würden oder auf mehrfache Grenzüberschreitungen ange- wiesen seien, müssten die Organisation ihrer Lieferketten überarbeiten. Er äußerte Zuversicht, die betreffenden Unternehmen würden Zollexpertinnen und -experten beschäftigen und die Angebote der Handelskammer nutzen. Dennoch bleibe die Fra- ge, ob es zu Verzögerungen kommen werde und ob sich die Transportkosten erhöhen würden. Der CDU-Abgeordnete hakte ein, durch den Flugzeughersteller Airbus gebe es enge Verbindungen zu Großbritannien. Hinsichtlich der zu erwartenden Probleme bezüglich der Lieferketten wollte er wissen, welchen Sinn es gebe, ein solches Projekt mit Großbritannien weiter zu verfolgen. Der Vertreter der Handelskammer Hamburg ging davon aus, dass große Unterneh- men wie Airbus Expertinnen und Experten in ihren Zollabteilungen beschäftigen und sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen würden. Je nach Ergebnis der Brexit-Verhandlungen seien durchaus Standortverschiebungen oder die Suche nach neuen Zulieferern möglich. Komme es zu einem geordneten Brexit, würden die Firmen selbstverständlich auch konsultiert und nach ihren Wünschen bezüglich des Status Großbritanniens gefragt. Bei der Vielzahl an Unternehmen gebe es aber auch eine Vielzahl an technischen Fragen, die jeweils unterschiedlicher Szenarien bedürften und somit keinen pauschalen Lösungsweg. Der Vertreter der BCCG stimmte zu, die Fragen der Standorte, der Fertigungstiefe und der Gleichstellung beziehungsweise der Äquivalenzregelung würden perspekti- visch eine große Rolle spielen. Große Unternehmen würden sich mit diesen Proble- 8
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15885 men bereits seit längerem beschäftigen. Er berichtete, die japanische Automobilin- dustrie fertige für den europäischen Markt fast ausschließlich im Norden Großbritanni- ens. Da ungeklärt sei, wie Zulassungen zukünftig erteilt würden, überlegten diese Unternehmen derzeit ihre Fertigung nach Deutschland zu verlagern. In der Finanz- branche seien bereits 5 000 Arbeitsplätze in Frankfurt angesiedelt worden, weitere 5 000 würden folgen. Hamburg sei davon teilweise auch betroffen, da einige Fonds- gesellschaften in die Hansestadt ziehen würden. Während München attraktiv für Ver- sicherungsgesellschaften sei, würden Start-ups Frankfurt und Berlin bevorzugen. Er stellte fest, es werde damit gerechnet, dass wesentliche Zulieferer und wesentliche Standorte verlagert würden. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes schilderte, die Erwartungen der Bundesregie- rung an Hamburg beinhalteten in erster Linie die Vorbereitungen des Bundeslandes auf alle Szenarien, sowohl auf Verwaltungsebene als auch die Wirtschaft betreffend. Dies werde offensichtlich in Hamburg auch bereits umgesetzt. Bezüglich der grenz- überschreitenden Arbeitnehmerfreizügigkeit wünsche sich die EU eine möglichst hohe Freizügigkeit und müsse nun die Einstellung Großbritanniens hierzu abwarten. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter informierten zu der Frage nach Unterneh- mensansiedelungen in Hamburg, Hamburg Invest sei seit dem Brexit-Referendum in Großbritannien unterwegs und gehe verstärkt auf Städte vergleichbarer Größe zu, wie Bristol und Manchester, die auch Industriestandorte seien. Es sei gelungen, eine Handvoll britischer Unternehmen nach Hamburg überzusiedeln. Man sei aber in Gesprächen mit weitaus mehr Unternehmen, die sich als fruchtbar erweisen könnten je näher der Brexit rücke. Darüber hinaus sei man auch im Kontakt mit ausländischen Unternehmen, die ihre Niederlassungen bislang in Großbritannien hätten, um auszulo- ten ob Hamburg als Standort für Kontinentaleuropa interessant sein könne. Die FDP-Abgeordnete fragte nach, wie im Falle neuer Unternehmensansiedelungen der Engpass mit freien Gewerbeflächen gelöst werde. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter äußerten, bis jetzt habe es keine Probleme bezüglich freier Gewerbeflächen gegeben. Der Abgeordnete der GRÜNEN unterstrich, der näher rückende Brexit werfe immer neue Fragen auf, die erst auf lange Sicht hin bearbeitet werden könnten. Er ging fest von einem Brexit aus und sah auch in dem Rücktritt von Ministerinnen und Ministern keine Hoffnung auf eine Rücknahme des Votums. Er bat um Auskunft, wie viele briti- sche Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und in Deutschland leben würden. Außer- dem fragte er in die Runde, welche Chancen in dem Brexit liegen würden. Auch inte- ressierte ihn, welche Bundesländer besonders vom Brexit betroffen seien und wo Hamburg in diesem Ranking einzuordnen sei. Der Vertreter des Vereins Hamburger Spediteure e.V. sah die Chance für sein Gewerbe darin, dass bei einem harten Brexit Zollabfertigungen notwendig werden würden, die wiederum Gewinne für die Speditionsunternehmen nach sich zögen. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes tat sich schwer, Chancen im Brexit zu sehen. Er lobte die Vorgehensweise von Hamburg Invest, bei Gesprächen in Großbritannien nicht den Brexit als Chance zu feiern, sondern die Vorzüge Hamburgs anzupreisen. Zum Ranking der Bundesländer bemerkte er, Hamburg sei im Vergleich zu anderen Bundesländern am besten aufgestellt und vorbereitet. Der Vertreter der BCCG berichtete, Tausende Britinnen und Briten würden aktuell ihren Antrag auf Einbürgerung in Deutschland stellen, Tausende weitere in Frankreich und Spanien. In der Bundesrepublik lebten permanent ungefähr 150 000 britische Staatsangehörige. Im Brexit sah er die Chance, dass zum ersten Mal seit Jahrzehnten darüber nachgedacht werde, welche Vorzüge und welche Nachteile die Union biete und intensiv über Verbesserungen nachgedacht werde. Es gebe einen dringenden Reformbedarf, beispielsweise bei der demokratischen Legitimation von Kommissions- entscheidungen. So sei es oftmals möglich, die Nationalstaaten selbst entscheiden zu lassen oder ihnen die Umsetzung zumindest freizustellen. Auch die Transparenz müsse erhöht werden. 9
Drucksache 21/15885 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Die Senatsvertreterinnen und -vertreter legten dar, in Hamburg würden derzeit 4 000 britische Staatsbürgerinnen und -bürger leben. Die SPD-Abgeordneten betonten mit Hinblick auf die Einschätzung des AfD-Abge- ordneten, Politikerinnen und Politiker müssten sich länderübergreifend auf ihre Ver- antwortung zurückbesinnen, Fehlinformationen nicht als politisches Stilmittel zu nut- zen. Der Brexit mache die enormen Folgen deutlich. An die Handelskammer gerichtet fragten sie, wie kleinere Unternehmen bestmöglich vorbereitet und gegebenenfalls proaktiv kontaktiert werden könnten. Darüber hinaus erkundigten sie sich, inwieweit derzeit in Schottland über ein Unabhängigkeitsreferendum nachgedacht werde und mit welchen Folgen in diesem Fall zu rechnen sei. Der Vertreter der Handelskammer Hamburg konkretisierte, die Unternehmen müssten sich vordringlich Wissen zur Zollanmeldung aneignen. Die Handelskammer stelle dafür Angebote im Internet zur Verfügung, halte über Ansprechpersonen und den aktuellen Verhandlungsstand auf dem Laufenden, berichte über Großveranstaltungen und organisiere Einsteiger-Seminare. Weitere Seminare würden von der Außenhan- delsakademie der Spediteure und der Hamburger Zollakademie angeboten werden. Die kleinen Unternehmen betreffend stelle sich die Frage, ob diese bislang nicht vor- bereitet seien oder die Umstellung tatsächlich nicht so gravierend sei. Die Handels- kammer erhalte bislang kaum Fragen von kleineren Unternehmen. Der Vertreter der BCCG berichtete, vermehrt Anfragen von klein- und mittelständi- schen Unternehmen aus Großbritannien zu erhalten, obwohl 80 Prozent der Kam- mermitglieder in Deutschland ansässig seien. Dies liege daran, dass die Anfragen von der britischen Regierung nur noch teilweise beantwortet würden und kein vergleichba- res Handelskammersystem in Großbritannien bestehe. Mitglieder der BCCG könnten eine Stunde Beratung in Rechts- oder Ansiedlungsfragen kostenlos in Anspruch neh- men. Zur Frage nach Schottland führte er aus, die SNP (Scottish National Party) habe gedroht, dem Abkommen nicht zuzustimmen, weil es einen Verbleib in der Union nicht zulasse. Gleichzeitig habe die Vorsitzende der SNP angekündigt im Falle eines Brexits ein zweites Unabhängigkeitsreferendum anzustrengen und dann wieder in die EU einzutreten. Die EU können sich dem politisch schwerlich verschließen, wirtschaft- lich wäre es allerdings wenig attraktiv für die Union. Schottland sei ein Defizitland, das von Großbritannien sehr stark unterstützt werde. Westminister könne das Referendum zudem unterbinden und müsse dem Ergebnis nicht folgen. Dann bestehe allerdings die Gefahr, dass es zu ähnlichen Entwicklungen wie im Nordirlandkonflikt kommen könnte. Der Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE meinte, es müsse auch die historische Genese der EU berücksichtigt werden. Über die Weiterentwicklung bestünden unter- schiedliche Ansichten, während die Krisen der EU ebenfalls vielfältig seien: das Demokratiedefizit bei den Entscheidungen der EU-Kommission, Kompetenzein- schränkungen des EU-Parlaments, unausgewogene Trilog-Verfahren, Befindlichkeiten der einzelnen Nationalstaaten. Er wünschte sich für die Zukunft mehr Sensibilität für historische Zusammenhänge. Die erstarkende UKIP (UK Independence Party) habe in den vergangenen Jahren zusammen mit der Murdoch-Presse eine destruktive Dyna- mik entwickelt und die britische Gesellschaft mit Fehlinformationen zutiefst gespalten. Auch in anderen Ländern seien diese Spaltungen zu beobachten. Deutschland und der EU käme deshalb die Verantwortung zu, sensibel mit diesen langfristigen Entwick- lungen umzugehen. Der Vertreter der BCCG hob hervor, die Briten seien nie 100-prozentig in der EU gewesen. Sie hätten den Euro wie auch das Schengen-Abkommen abgelehnt, eine eigene Immigrationspolitik verfolgt und die EU nie als Friedensprojekt bezeichnet. Großbritannien habe zudem nie eine politische Union angestrebt und zunehmende Kompetenzen Europas deshalb abgewiesen. Auch wenn Großbritannien im Grunde keine Mitgliedschaft in einer Zollunion mit der EU anstrebe, werde es nach dem Brexit höchstwahrscheinlich in diese Art der wirtschaftlichen Union laufen – auch um Arbeitsplätze zu sichern. Die EU könne dann zukünftig für Großbritannien wieder ein Wirtschaftsprojekt sein. Dies könne in der Folge gegebenenfalls auch für Länder zum Vorbild genommen werden, die sich nicht so stark an die EU binden wollen, wie einige EU-Beitrittskandidaten in Südosteuropa. 10
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/15885 Der Vertreter des Auswärtigen Amtes war ebenfalls der Ansicht, der Brexit habe zu einer Reflexion geführt, was mit der EU bereits erreicht worden sei und in welche Richtung sich die Union weiterentwickeln wolle. Der Austritt Großbritanniens solle jedoch nicht dazu führen, abrupte Reformen – wie beispielsweise die Einschränkung der Personenfreizügigkeit – durchzuführen, nur um einzelne Länder zufriedenzustel- len. Das Vereinigte Königreich habe immer mehr auf den wirtschaftlichen Aspekt der Union geschaut und sei Antreiber des Binnenmarktes und ausschlaggebend für die Weiterentwicklung der Arbeitsnehmerfreizügigkeit gewesen. Auf den jetzigen Sinnes- wandel der Briten sofort zu reagieren, hielt er für keine gute Strategie. Die EU sei mehr als ein Zweckzusammenschluss, der nur solange fortgeführt werde, wie er einen wirtschaftlichen Vorteil einbringe. Sie sei nur deshalb so stark, weil alle Mitglieder wüssten, dass Krisen gemeinsam bestritten würden. Der Vertreter der BCCG legte dar, Großbritannien gehe es nicht um die Beschränkung der Freizügigkeit sondern ausschließlich um die Begrenzung der Migration in die Sozialsysteme. Dies hänge auch mit dem britischen Gesundheitssystem zusammen, in welchem es möglich sei, den NHS zu beanspruchen ohne Kostennachweise irgendwo einzureichen. Jeder habe das Recht bei Krankheit behandelt zu werden. Der Vorsitzende bedankte sich im Namen des gesamten Ausschusses für die vielfälti- ge und erkenntnisreiche Darstellung der Thematik. III. Ausschussempfehlung Der Europaausschuss bittet die Bürgerschaft um Kenntnisnahme seiner Beratun- gen. Danial Ilk han ip our , Berichterstattung 11
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