Berliner Ärzt:innen - Wir müssen reden - aber wie? Neue Ansätze für mehr Gesundheitskompetenz
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Berliner MITGLIEDERZEITSCHRIFT ÄRZTEKAMMER BERLIN AUSGABE 11 / 2022 Ärzt:innen Wir müssen reden – aber wie? Neue Ansätze für mehr Gesundheitskompetenz
BERLINER ÄRZT:INNEN EDITORIAL AUSGABE 11 / 2022 Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Eltern waren keine Mediziner. Wir waren drei Kinder zu Hause, und ich wurde kein einziges Mal in eine Rettungsstelle gebracht. Wenn es blutete, wurde erst mal Dr. med. Susanne drauf gedrückt. Platzwunden wurden vom Kinderarzt oder mit Klammerpflaster von der Heydt selbst versorgt. Wenn wir Bauchschmerzen hatten, gab es Salzstangen und Cola ist Fachärztin für Kinderchirurgie oder geriebenen Apfel. Meine Mutter besaß ein bebildertes Ratgeber-Buch über und Mitglied des Vorstandes der Ärztekammer Berlin. Kinderkrankheiten und noch eins des Züricher Kinderarztes Remo Largo. Das wa- Foto: André Wagenzik ren ihre Quellen. Wir sind so alle ganz gut groß geworden. War meine Mutter des- halb gesundheitskompetenter als die Mütter heute? Sicher nicht. Nun wird aber wissenschaftlich festgestellt, dass die Gesundheitskompetenz immer schlechter wird. Und das ist kein Wunder: Je mehr Informationen zur Verfügung stehen, desto größer werden die allgemeine Verwirrung und Verunsicherung. Wir leiden an einer dauerhaften Überdosis an Informationen, die keiner bewältigen kann. Denn Gesundheitskompetenz definiert sich ganz grob als Finden, Verstehen, Bewerten und Anwenden von Informationen. Hinzu kommt, dass mit dem Über- angebot auch die Erwartung steigt, doch endlich informierter zu sein. Und sogar noch mehr: die Erwartung, endlich gesündere Lebensentscheidungen zu treffen und bitte immer das Richtige zu tun – schließlich sind doch alle Antworten auf jede Frage im Internet versteckt! Eben nicht, denn die Ergebnisse über Suchmaschinen sind keine Treffer nach Qualität und Seriosität, sondern nach Durchschlagskraft. Kein empfehlenswerter Algo- rithmus für verlässliche Gesundheitsinformationen. Warum scheitern sogar die, die sich vorgenommen haben, seriös und nach evidenzbasierten Kriterien vor- zufiltern? Weil auch sie die Menge an Informationen nicht mehr in den Griff be- kommen. Uns Ärzt:innen wird oft vorgeworfen, wir würden unsere Patient:innen nicht ausrei- chend informieren, zu viele Fachwörter benutzen – ja, es wird uns teilweise ge- radezu eine Inkompetenz in Kommunikation bescheinigt. Doch das stimmt so pauschal nicht. Wir können und wollen für unsere Patient:innen da sein, sie ge- duldig und auf der richtigen Ebene informieren. Nur die Umstände, die kommer- ziellen Zwänge, der Ärzt:innenmangel und viele andere Systemfehler erschweren uns dies in grotesker Weise. Neue Ideen und Konzepte wie Praxis-Cafés sind nicht generell abzulehnen, aber sie lösen unsere Kernprobleme nicht. Ärzt:innen muss endlich an allen versorgenden Orten – in der Klinik und im ambu- lanten Bereich – die Zeit für individuelle, an die Bedürfnisse der Patient:innen an- gepasste Gespräche zugestanden werden. Wir beklagen das schon so lange. Wir dürfen aber nicht aufgeben. Denn das vertrauliche ärztliche Gespräch muss wieder in den Mittelpunkt gerückt und auch im Bezahlsystem berücksichtigt werden. Zudem muss jede gute Entwicklung in der Digitalisierung dafür gedacht sein, dass wir mehr Zeit für persönliche Zuwendung gewinnen. Ihre 3
Inhalt EDITORIAL AUS DER KAMMER Begrüßung von Susanne von der Heydt 3 Ausbildung: Azubi-Suche jetzt starten! 27 Ärztliche Fortbildungen 30 KURZ NOTIERT Veranstaltungskalender der Ärztekammer Berlin Aktuelles / Nachrichten 6 POLITIK & PRAXIS AUS DER KAMMER CIRS Berlin: Der aktuelle Fall 34 Nutzungsdauer der HME-Filter Erscheinungsweise der Mitgliederzeitschrift 20 wird angepasst Das Problem ist systematisch: 35 Bericht von der Delegiertenversammlung dramatische Engpässe am 21. September 2022 in der Kinderversorgung Von Ole Eggert Von Mehrak Yoosefi „Manchmal braucht man eine 22 Kriegerinnenmentalität“ KULTUR & GESCHICHTE Von Anne Volkmann Er lebte viele Rollen und wurde doch vergessen 36 Weiterbildung 24 Von Florian G. Mildenberger Veranstaltungen der Weiterbildung Freitagabend. 38 Reserven liegen bei etwa 30 Prozent 25 Tischgespräche von Eva Mirasol Bericht von der Vertreterversammlung der Berliner Ärzteversorgung am 15. September 2022 Von Anne Volkmann Impressum 39 Medizinische Fachangestellte 26 Informationen zur Ausbildung und Weiterqualifizierung Die fotografische Begleitung des Titelthemas Für unser Schwerpunktthema hat OSTKREUZ-Fotograf Heinrich Völkel das Geko Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln besucht und den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden dokumentiert. Titelbild „Café Praxis“ des Stadtteil-Gesundheits-Zentrums Neukölln: Gesundheits- und Krankenpflegerin Eva Weirich im Gespräch. 4
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 IM FOKUS Wir müssen reden – aber wie? 10 Eine gute Verständigung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen stärkt den Präventionsgedanken und kann den Behandlungsverlauf positiv beeinflussen. Ebenso wichtig für mehr Gesund- heitskompetenz ist, dass die Gesundheitsberufe im Team zusammenarbeiten. Über niedrig- schwellige Anlaufstellen im Kiez, Gesundheit als Schulfach und die positiven Auswirkungen von „Share to Care“. Von Adelheid Müller-Lissner 5
KURZ NOTIERT In eigener Sache Krankenhausmanagement studieren Berliner Ärzt:innen: Berufsbegleitender Master-Studiengang digitaler und klimafreundlicher an der Hochschule Neubrandenburg Ab 2023 wird „Berliner Ärzt:innen“ nur noch alle zwei Die Hochschule Neubrandenburg bietet ab Frühjahr 2023 be- Monate erscheinen. Damit wollen wir die Klimabilanz reits zum sechsten Mal den weiterbildenden berufsbegleiten- verbessern und reagieren auf steigende Kosten für Pro- den Master-Studiengang „Management im Gesundheitswesen“ duktion und Versand. mit Schwerpunkt „Krankenhausmanagement“ an. Der Stu- diengang fokussiert auf die Bedarfe von Mitarbeitenden aus Die erste Printausgabe im neuen Rhythmus erscheint zum dem Krankenhaussektor und wurde ursprünglich in enger 1. Februar 2023. Parallel dazu arbeiten wir bereits an digi- Kooperation mit Prof. Dr. Dr. med. Holzgreve und Dr. med. talen Angeboten. Wir halten Sie auf dem Laufenden. ∕ Eva Müller-Dannecker (Vivantes) entwickelt. Das zweijährige akkreditierte Master-Studium „Krankenhaus- management“ schließt mit dem berufsqualifizierenden Ab- Social Media schluss „Master of Business Administration“ (MBA) ab. Zum Master-Studium kann zugelassen werden, wer einen aka- Instagram und Twitter demischen Abschluss (Staatsexamen, Diplom, Master oder Bachelor) mit 240 ECTS und eine mindestens einjährige ein- Kennen Sie schon die Social-Media-Kanäle der schlägige Berufserfahrung nachweisen kann. Ärztekammer Berlin? ∕ Die Zielgruppe sind Ärztinnen und Ärzte, aber auch Pflege- → www.instagram.com/aekberlin kräfte (inklusive Funktionsdienst und Medizinisch-Technische → www.twitter.com/aekberlin Dienste), Verwaltungskräfte und andere akademische Be- schäftigte im Gesundheitsbereich. Alle Lehrveranstaltungen finden blockweise an zehn Präsenz- tagen (Freitag und Samstag) pro Semester, vorrangig im Ins- titut für Fort- und Weiterbildung im Vivantes Wenckebach- Klinikum, statt. Die Studiengebühr beträgt insgesamt rund 12.000 Euro und ist semesterweise zahlbar. „Ich wünschte, ich hätte das Studium schon viel eher in meiner beruflichen Laufbahn absolviert. Das Studium ver- Foto: Emile Ducke, OSTKREUZ / Ärztekammer Berlin mittelt alle relevanten Grundlagen des Gesundheitssys- tems und ermöglicht es, durch die inhaltlich offene Ge- staltung in Form von Referaten und Forschungsarbeit Anzeige über den eigenen Tellerrand zu schauen und zu verstehen, wie vielschichtig Management letztlich ist.“ Dr. med. Martin Abendroth Facharzt für Innere Medizin, Referent Krankenhausgesellschaft Online-Infoveranstaltung Interessierte können sich am Donnerstag, den 17. Novem- ber 2022, von 17:30 bis 18:30 Uhr über die Inhalte und Be- werbungs- sowie Zulassungsmodalitäten informieren. Den Zoom-Link zur Online-Veranstaltung erhalten Sie nach der Anmeldung bei der Studiengangskoordinatorin Andrea Fiedler per E-Mail E fiedler@hs-nb.de oder telefonisch unter T 0395 56 93 - 20 06. ∕ 6
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 Auszeichnung Online-Befragung Bundesverdienstkreuz für Long-COVID-Forscherin Prävention in der hausärztlichen Für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre Forschun- Versorgung gen zum Chronischen Fa- Im Rahmen einer bundesweiten Studie tigue Syndrom sowie zu möchte die Charité – Universitätsmedi- Long- und Post-COVID- zin Berlin untersuchen, wie die Ein- Erkrankungen wurde Prof. stellungen von Hausärzt:innen zum Dr. med. Carmen Scheiben- Thema „Prävention und Gesund- bogen Ende September mit heitsförderung“ sind und wo sie Hür- dem Bundesverdienstkreuz den für die Umsetzung von Präven- ausgezeichnet. Die Internis- tionsangeboten in ihrem Praxisalltag tin und Hämatoonkologin sehen. Die Studie wird von Bundes- sowie weitere elf Frauen ministerium für Gesundheit (BMG) Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen im Schloss Bellevue und neun Männer „tragen gefördert und von der Kassenärztli- Foto: Bundesregierung / Jesco Denzel in herausragender Weise chen Bundesvereinigung (KBV) als Ko- dazu bei, Lösungen für die operationspartnerin unterstützt. Die globalen Herausforderungen unserer Zeit wie dem Angriffskrieg gegen die Uk- Befragung nimmt etwa zehn Minuten raine, die Corona-Pandemie, Armutsbekämpfung, Migration und den Klimawan- in Anspruch und ist anonym. In- del zu finden sowie den Zusammenhalt in unserem Land zu stärken“, heißt es teressierte können unter folgendem auf der Website des Bundespräsidenten. Link an der Studie teilnehmen: → https://redcap.charite.de/survey/ Als Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Charité – Universitätsmedizin surveys/?s=79X9NJTRF49AM8LE Berlin erforscht und behandelt Scheibenbogen seit über 15 Jahren das Chroni- sche Fatigue Syndrom. Als nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie viele Men- Bei Fragen zur Studie können Sie sich schen zunehmend von Long-COVID betroffen waren, sorgte sie dafür, dass dieses an Dr. rer. medic. Julie O‘Sullivan unter Krankheitsbild bereits im Sommer 2020 in der Fachwelt und der Öffentlichkeit be- E julie.osullivan@charite.de wenden. ∕ kannt wurde. ∕ Anzeige 7
KURZ NOTIERT Musikalische Lesung Allein unter Männern: Der außergewöhnliche Lebensweg der Ärztin Maria Daelen Der Lebensweg der Ärztin und Gesundheitspolitikerin Maria Daelen war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich – das zeigte die Lesung der Historikerin Dr. Maren Richter in beeindru- ckender Weise. Im Rahmen der Ausstellung „Weibliche Ärzte“ las Richter aus ihrer Daelen-Biografie „Aber ich habe mich nicht entmutigen lassen“ und bisher unbekannte Fotogra- fien gaben einen visuellen Einblick in Daelens faszinieren- des Leben. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung am 4. Oktober 2022 durch den Cellisten Clemens Weigel vom Münchner Staatsorchester am Gärtnerplatz. Gebannt, teils andächtig, folgte das Publikum dem Vortrag. Foto: André Wagenzik Im stimmungsvoll gedämmten Licht zeichnete Richter das Bild einer selbstbewussten Frau, die widrigen Umständen mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit begegnete.Daelen nah, wurde leitende Beamtin im Bundesinnenministerium studierte in den 1920er-Jahren Medizin, arbeitete als Chirur- und machte schließlich Karriere bei der Weltgesundheits- gin, stand dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus organisation. Nicht nur ihre Facharztausbildung in der Chirurgie, die damals Anzeige noch eine explizit männliche Profession war, machte Daelen außergewöhnlich. Auch ihr Privatleben, das sich vor allem durch das Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung auszeichnete, entsprach nicht der Norm dieser Zeit. Ihre Ent- scheidung für die Medizin war unter anderem darin begrün- det, dass sie finanziell unabhängig sein wollte. Zudem hatte sie große Lust zur „Betitulierung ‚Frl. Dr. med.‘“. In der rund zweistündigen Lesung erfuhren die Zuhörer:in- nen, welchen beruflichen Widerständen Frauen damals aus- gesetzt waren. So sah beispielsweise die sogenannte Zöli- bats- oder Verheiratungsklausel für weibliche Beamte bis Mitte der 1950er-Jahre vor, dass eine Frau nach der Heirat aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden musste. Daelen tat dies nicht und heiratete erst später. Bis weit in die 1960er- Jahre hinein war sie im Bundesministerium eine von nur neun Frauen in Leitungsposition. Auf den meisten der gezeigten Gruppenfotos, die Daelen in Studium und Beruf zeigen, ist sie allein unter Männern. „Die Anerkennung meiner Arbeit kommt langsam, weil ich eben eine Frau bin“, schrieb Maria im Oktober 1959 an ihre Mutter. Auch heute noch können uns ihr Lebensweg und ihre Haltung als geschlechtsübergreifendes Vorbild dienen. Aber ich habe mich nicht entmutigen lassen Maren Richter, Wallstein Verlag 1. Auflage 2019 ISBN 978-3-8353-3477-9 22 € ∕ 8
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 Veröffentlichung Ein Buch voller Geschichten Herzstation Lenja hat den schönsten Beruf der Welt. Meint sie und gibt Lach doch, wenn du noch kannst … alles. Lenja ist Krankenschwester auf einer kardiologischen Caterina Westphal Intensivstation. Täglich ist sie gefordert, muss Patient:innen Verlag Neues Leben versorgen, die alle ihre Eigenheiten haben, muss Entschei- 1. Auflage 2022 dungen treffen. Aber Arbeitslast, Sparmaßnahmen und eine ISBN 978-3-355-01915-6 Reihe unfassbarer Ereignisse auf der Station greifen Lenas 20 € Körper und ihre Seele an und belasten auch die Beziehungen zu Familie und Freund:innen. Lesung Wer die Autorin gern live erleben und erste Geschichten aus In ihrem ersten Buch „Herzstation“ erzählt die Brandenbur- ihrem Buch „Herzstation“ hören möchte, hat dazu am Don- gerin Caterina Westphal authentisch, aber auch mit viel Humor nerstag, dem 10. November 2022, Gelege nheit. Die Deutsche vom Alltag auf einer kardiochirurgischen Intensivstation. Es Herzstiftung (→ www.herzstiftung.de) lädt während der „Herz- ist ein Buch voller Geschichten: ergreifende und schockieren- wochen 2022“ zu einer Lesung in das Klinikum Ernst von Berg- de, heitere und skurrile. Vor allem aber ist es die Geschichte mann ein. Die Lesung beginnt um 19:20 Uhr und findet im Kon- der Krankenschwester Lenja, die mit belastenden Erfahrun- ferenzraum F113 des Klinikums in der Charlottenstraße 72 gen auf der Station klarkommen und sich in ihrem Lebens- in 14467 Potsdam statt. Weitere Informationen finden Inter- anspruch behaupten muss. essierte unter → www.eulenspiegel.com → Termine. ∕ Anzeige 9
IM FOKUS Das „Café Praxis“ im Geko Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln ist ein Ort für Begegnung und Information. Hier kann man, während man auf den Arzttermin wartet, Kaffee trinken, Beratungsgespräche führen, Kinder können spielen. Auch Veranstaltungen zum Thema Gesundheit gehören zum Programm. 10
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 Wir müssen reden – aber wie? Neue Ansätze für mehr Gesundheitskompetenz Kein Zweifel: Eine gute Verständigung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen kann den Behandlungsverlauf positiv beein- flussen. Wenn Patient:innen eine geplante Behandlung verstehen und die Entschei- dung für eine Therapie mittragen, haben sie bessere Chancen zu genesen oder ge- sund zu bleiben. Ebenso wichtig für mehr Gesundheitskompetenz ist, dass die Gesund- heitsberufe im Team zusammenarbeiten. Über niedrigschwellige Anlaufstellen im Kiez, Gesundheit als Schulfach und die positiven Auswirkungen von „Share to Care“. Text: Dr. Adelheid Müller-Lissner Fotos: Heinrich Völkel, OSTKREUZ / Ärztekammer Berlin 11
IM FOKUS Dem kleinen Jungen schmeckt seine Saftschorle, der Vater sie doch darauf hin, „dass die neue Versorgungsform für Ver- genießt recht entspannt seinen Cappuccino mit Hafermilch. sicherte und Leistungserbringer einen Mehrwert im Vergleich Doch das Café auf dem Areal der ehemaligen Kindl-Brauerei zur Regelversorgung aufweist“. Konkret verzeichnet man ist kein weiterer Neuköllner Hipster-Treffpunkt. Es ist das Herz- inzwischen mehr Praxisbesuche und weniger Krankenhaus- stück des Gesundheitskollektivs (Geko) Berlin im weitgehend einweisungen. Die Evaluation umfasst allerdings nur 18 Mo- von sozialem Wohnungsbau geprägten Rollbergviertel. Hier nate, langfristige Ergebnisse stehen noch aus. Zudem zeig- können Wartezeiten für die Hausarzt- und eine Kinderarzt- te sich, dass hauptsächlich ältere Frauen im Rentenalter das praxis überbrückt werden, hier dürfen Kinder spielen und Angebot nutzen, aber nur wenige Vollzeitarbeitende oder Erwachsene lesen – auch ohne etwas zu konsumieren. Den Arbeitslose. Dennoch hat das Vorbild schon Nachahmer:innen Gruppenraum nebenan können Selbsthilfegruppen nutzen. gefunden: zum Beispiel einen Gesundheitskiosk in Aachen und ein Projekt mit dem vielversprechenden Namen „Die „Unsere Kernidee ist es, verschiedene Zugangswege zu einem Kümmerei“ in Köln. biopsychosozialen Modell von Gesundheit anzubieten“, sagt die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und studierte Gesundheitswissenschaftlerin Eva Weirich. Dass medizini- sche Versorgung, gesundheitliche, psychologische und so- ziale Beratung sowie Angebote zur Familien- und Pflegebera- Krankenkassen wollen Gesundheitskiosk nicht tung in dieser Form unter einem Dach angeboten und in re- weiter finanzieren gelmäßigen Fallbesprechungen verbunden werden, vernetzt mit Kiez-Angeboten wie dem Pflegestützpunkt, der Senioren- Ende September 2022 erklärten die Ersatzkassen Barmer, beratung und Einrichtungen zum Mädchen- und Familien- DAK und Techniker Krankenkasse, die Kostenübernahme wohnen, bezeichnet sie als einmalig in Berlin. Sogar Haus- für den Betrieb des Gesundheitskiosks in Hamburg-Bill- besuche machen die Angehörigen der verschiedenen Pro- stedt nicht über das Jahresende hinaus zu verlängern. Aus fessionen teilweise gemeinsam. „Wir möchten Menschen mit ihrer Sicht doppelten sich die Leistungen des Gesundheits- niedriger Gesundheitskompetenz erreichen“, sagt Weirich. kiosks mit bereits vorhandenen Angeboten des sozialen Finanziert wird das bisher durch Landesmittel im Rahmen des Hilfesystems; der Betrieb stehe in keinem Verhältnis zu „Aktionsprogramms Gesundheit (APG)“ sowie durch Förder- den hohen Kosten. Auch wenn die AOK und eine Betriebs- gelder. krankenkasse ihr Engagement fortsetzen wollen, droht dem Hamburger Gesundheitskiosk damit nun nach eige- Beratung im Kiez-Kiosk nen Angaben das Aus. Das passt zu den erklärten Zielen der Bundesregierung. „In besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen er- richten wir niedrigschwellige Beratungsangebote (zum Bei- spiel Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention“, wird im Koalitionsvertrag des regierenden Bündnisses aus Schulfach „Gesundheit und Nachhaltigkeit“ SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP versprochen. Hamburg- Nach dem Willen der Delegierten des 126. Deutschen Ärzte- Billstedt gilt als ein solches Viertel. Jeder Fünfte lebt dort tages 2022 sollen bereits Kinder frühzeitig Gesundheitskom- von Hartz IV. Billstedter:innen sterben im Schnitt zehn Jahre petenz erwerben: In Bremen wurden die Länder aufgerufen, früher als die Menschen aus Hamburgs Villenvierteln, ist in ein eigenständiges Schulfach „Gesundheit und Nachhaltig- „Die Zeit“ vom 18. August 20221 zu lesen. Im dortigen „Gesund- keit“ einzuführen. Denn eine frühe und gezielte Bildung werde heitskiosk“, untergebracht in einem ehemaligen Ladenlokal, dazu beitragen, Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung können sich Bedürftige ohne große Hürden von studierten zu fördern und die Gesundheit der und des Einzelnen, aber Pflegekräften beraten lassen, auch auf ärztliche Verordnung auch der gesamten Bevölkerung nachhaltig zu sichern – ins- per Überweisungsschein („Social Prescribing“). Anders als im besondere mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen Neuköllner Gesundheitskollektiv arbeiten dort keine Ärzt:in- wie Klimakrise und demografischer Wandel, heißt es in der nen, der Kiosk ist jedoch eng mit niedergelassenen Ärzt:innen Begründung. vernetzt. Er gilt als „Prototyp für eine integrierte gesundheit- liche Vollversorgung in deprivierten großstädtischen Regio- nen“ und wurde aus Mitteln des Innovationsfonds vom Ge- meinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert. 1 Hanna Grabbe: Gesundheitskioske – Hilfe an der Ecke, Die Zeit, 18. August 2022 2 Hamburg Billstedt/Horn als Prototyp für eine Integrierte gesund- Die Evaluation des „Hamburg Center for Health Economics heitliche Vollversorgung in deprivierten großstädtischen Regionen, (HCHE)“2 der Universität Hamburg klingt ermutigend, deutet → www.hche.uni-hamburg.de/forschung/transfer/invest.html 12
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 Oben Eva Weirich, Gesundheits- und Krankenpflegerin, bereitet ein Beratungsgespräch nach. Unten links: Das Geko Berlin bietet Beratung und Unterstützung in allen Lebenslagen an, vertraulich und in verschiedenen Sprachen. Unten rechts: Der interdisziplinäre Austausch von Gesundheits- und Pflegefach- kräften, Sozialarbeiter:innen und Psychotherapeut:innen ist ein wesentlicher Aspekt der Arbeit. 13
IM FOKUS Kompetent entscheiden „Die Verantwortung für gute Gesundheitsentscheidungen nur beim Individuum zu sehen, greift zu kurz“ Drei Fragen an Corinna Schaefer, Vorsitzende des Deutschen Netzwerkes Gesundheitskompetenz e. V. (DNGK) und Stellvertretende Institutsleitung des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Das ÄZQ ist ein gemeinsames Institut der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Dort leitet sie die Abteilungen 1 „Evidenzbasierte Medizin und Leitlinien“ und 2 „Patienteninformation“. auch noch zueinander in Konkurrenz Forum zur Diskussion wichtiger Themen. treten. Und wir stellen Methoden und Instru- mente bereit, die bei der Orientierung Es gibt doch aber schon die „Allianz für im System helfen sollen: Zum Beispiel Gesundheitskompetenz“, das Institut haben wir einen Katalog von Kriterien für Qualität und Wirtschaftlichkeit im für verlässliche Gesundheitsinformatio- CS Corinna Schaefer Gesundheitswesen (IQWiG) mit seinen nen erarbeitet. Außerdem haben wir ge- Foto: ÄZQ Gesundheitsinformationen und einige prüft, welche Anbieter:innen diese Kri- andere Initiativen. terien erfüllen. Wer wissen will, wer da- AML Frau Schaefer, von Gesundheits- Im Unterschied zur „Allianz für Gesund- zugehört, findet diese auf unserer Web- kompetenz ist in letzter Zeit sehr heitskompetenz“, die der damalige site unter „Verlässliches Gesundheits- viel die Rede. Zusammen mit anderen Bundesgesundheitsminister Hermann wissen“3. Eigene Gesundheitsinformati- haben Sie einen Verein gegründet, der Gröhe (CDU) im Jahr 2017 ins Leben rief, onen erstellen wir nicht, weil es schon den Begriff im Namen führt. Worin um alle in diesem Bereich Tätigen zur genügend gute Anbieter:innen gibt. sehen Sie in diesem weiten Feld den Förderung der Gesundheitskompetenz besonderen Auftrag des DNGK? zu bewegen, sind wir ein Verein. Wir Die Verantwortung für gute Entschei- CS Gesundheitskompetenz ist ein müssen Leute gewinnen, die die Idee dungen nur auf der Ebene der oder des Ziel, dem man sich auf zwei We- verfolgen, Mitglieder oder Kooperati- Einzelnen zu sehen, greift aber zu kurz. gen nähern kann: Einmal geht es dar- onspartner:innen zu werden. In gewisser Auch die Strukturen können es erschwe- um, evidenzbasierte Patienteninforma- Weise sind wir vergleichbar mit Fach- ren, sich zurechtzufinden. Gesundheits- tionen zu erstellen, zum anderen aber gesellschaften. Gesundheitskompetenz kompetenz hat deshalb auch eine sys- auch darum, diese Informationen in der ist ja ein Thema, das sich durch viele kli- temische Komponente, die organisati- geeigneten Form zu übermitteln. Die nische Situationen zieht, und sie wird onale Kompetenz. Die Frage ist, wo auch Akteure, die die Informationen erstellen, immer stärker auch in Leitlinien abge- Krankenkassen, Gesundheitseinrichtun- sind oft weniger gut bei der Vermittlung: bildet. gen, Arbeitgebende und andere Verant- Bei der anderen Seite ist nicht durch- wortung dafür übernehmen können, weg klar, ob die Informationen auch Welche Hilfen bietet das Netzwerk dass Einzelne gute Entscheidungen sachlich richtig sind. Im Netzwerk ver- konkret, welche bleiben anderen treffen. ∕ suchen wir, die Akteure miteinander in Akteuren vorbehalten? 3 Deutsches Netzwerk für Gesundheits- Kontakt zu bringen. Wir haben ja alle nur Wir bieten Austausch und über unsere kompetenz, → https://dngk.de/ begrenzte Ressourcen und sollten nicht gut besuchten Online-Seminare ein verlaessliches-gesundheitswissen #WegezurGesundheitskompetenz „Es geht darum, evidenzbasierte Patienten- informationen zu erstellen und diese in der geeigneten Form zu übermitteln.“ Corinna Schaefer Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz e. V. 14
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 Schon heute passiert in Sachen gesundheitliche Bildung eini- und bei nur sieben Prozent eine „sehr gute Gesundheitskom- ges, und zwar nicht zuletzt auf Initiative und in Eigenregie petenz“ festgestellt. Sorgen macht den Forschenden vor allem von Ärzt:innen: So kann die Ärztliche Gesellschaft zur Gesund- die sozial ungleiche Verteilung des Wissens und die Tatsache, heitsförderung e. V. (ÄGGF)4, die unter anderem vom Bundes- dass ältere, multimorbide Bürger:innen in Gesundheitsfragen ministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wird, stolz ver- besonders schlecht Bescheid wissen. Bedenklich erscheint melden, dass sie im Jahr 2019 rund 78.000 Kinder und Jugend- ihnen insbesondere, dass die Befragten sich in der Beurteilung liche in deren Klassenzimmern erreicht hat. Der in Hamburg von Informationen schwertaten, etwa bei der Frage, wann ansässige Verein versendet nicht nur Infomaterial, sondern es sinnvoll ist, eine Zweitmeinung einzuholen. bietet auf Wunsch auch Informationsstunden vor allem zu Fragen der Pubertätsentwicklung und rund um das Thema In Maßen erleichternd dürfte für Ärzt:innen aber das Ergebnis Sexualität, für die Ärzt:innen in die Schulen kommen (siehe sein, dass Bürger:innen die Kommunikation mit ihnen als Interview auf Seite 17). wichtig und informativ bewerten. Andererseits gaben mehr als 40 Prozent der Studienteilnehmenden an, sie hätten be- Ein eher spielerisches und bewegungsorientiertes Programm reits mindestens einmal Schwierigkeiten gehabt, den Erklä- für Grundschulen bietet wiederum die „Klasse 2000 – Stark rungen ihrer Hausärzt:innen zu folgen. „Fachärzte werden und Gesund in der Grundschule“5, gefördert unter anderem noch häufiger nicht verstanden.“ Im „Nationalen Aktions- von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung plan Gesundheitskompetenz“7, der 2018 aus der Sorge über (BZgA), den Lions Deutschland und als Patin auf Landesebene die Ergebnisse der ersten Erhebung auf den Weg gebracht von der Ärztekammer Berlin. In der Hauptstadt werden zu- wurde, steht dazu der denkwürdige Satz: „Dass Haus- und dem die noch Kleineren und ihre Erzieher:innen schon seit Fachärzte die wichtigste Informationsquelle sind, bedeutet einigen Jahren vom Landesprogramm „Kitas bewegen – für nicht, dass sie auch immer verstanden werden.“ die gute gesunde Kita“ bedacht, an dem die Ärztekammer Berlin bereits von Beginn an als Kooperationspartnerin be- Reden ist Silber, Zuhören ist Gold teiligt ist. Gesundheitliche Bildung wird schon für die Jüngsten Dabei steht und fällt alles mit der Verständigung: von der ganz spielerisch mit viel Bewegung und dem gemeinsamen Impfberatung über die augenärztliche Untersuchung und Schnippeln von Obst und Gemüse initiiert, zudem liegt das die Diabetesbehandlung bis hin zur Übermittlung von „Bad Augenmerk des salutogenetischen Ansatzes auf der Gesund- News“ wie einer Krebsdiagnose. Schon Medizinstudierende heit und dem Wohlbefinden der Erzieher:innen. intensiv und ausführlich auf Gespräche mit Patient:innen vor- zubereiten, das ist das erklärte Ziel des „Nationalen longi- Schlüsselbegriff Health Literacy tudinalen Mustercurriculums Kommunikation in der Medi- „Moderne Gesellschaften sind Informations- und Wissens- zin“, das Vertreter:innen aller 37 deutschen Medizinischen gesellschaften, in denen eine kaum noch überschaubare Men- Fakultäten im Jahr 2015 verabschiedeten. 300 Unterrichts- ge an Fakten und Wissen zur Verfügung steht.“ Mit diesem einheiten sind dafür vorgesehen, verteilt über das gesamte gewichtigen Satz beginnt das Papier, in dem Forschende des Studium. Interdisziplinären Zentrums für Gesundheitskompetenzfor- schung (IZGK) der Universität Bielefeld und der Hertie School Die beste Informationsquelle für die Frage, wie es dem Men- in Berlin um die Professor:innen Dr. Doris Schaeffer und schen geht, der ins Sprechzimmer gekommen ist, sind selbst- Dr. Klaus Hurrelmann die Vorstellung der Ergebnisse zur „Ge- verständlich sein Bericht in eigenen Worten und seine Ant- sundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und worten auf offene Fragen der Ärztin oder des Arztes. Im Geko während der COVID-19-Pandemie“6 einleiten. „Gesundheits- Berlin ebnen die Hausärzt:innen den Weg dahin bereits mit kompetenz“, im englischen Sprachraum „Health Literacy“ dem fünfseitigen Anamnesebogen. Dieser enthält auch Fra- genannt, definiert das Bielefelder Forschungsteam als Fähig- gen zur Lebenssituation, zu Stress und Ängsten und nach der keit, „gesundheitsbezogene Informationen zu finden, zu ver- Zufriedenheit mit sozialen Beziehungen, der Freizeitgestal- stehen, kritisch zu beurteilen, auf die eigene Lebenssituation tung und den wirtschaftlichen Verhältnissen. „Die Leute zu beziehen und für die Erhaltung und Förderung der Gesund- heit nutzen zu können“. Die COVID-19-Pandemie habe in die- ser Hinsicht zwar leichte Verbesserungen gebracht, vor allem bei Jüngeren, die nun digitale Angebote verstärkt nutzten. 4 Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung, → www.äggf.de Gegenüber der ersten Befragung sieben Jahre zuvor kons- 5 Klasse 2000, → www.klasse2000.de tatieren die Gesundheitsforscher:innen im Zeitraum kurz 6 Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des HLS-GER 2, vor der Pandemie aber eine Verschlechterung der Gesund- → https://pub.uni-bielefeld.de/record/2950305 heitskompetenz. Demnach wurde schon bei dieser ersten 7 Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz, Erhebung bei 54 Prozent der Befragten eine „eingeschränkte“ → www.nap-gesundheitskompetenz.de/aktionsplan 15
IM FOKUS Das übersehene Problem: Analphabet:innen in der Arztpraxis Schon beim ersten Besuch zeigen sich mitunter die Schwie- Scham abgelegt, nach dem Verständnis zu fragen. Je scham- rigkeiten: Einen Anamnesebogen auszufüllen, ist für Men- loser ich das frage, desto weniger Scham haben auch die schen, die mehr schlecht als recht oder gar nicht lesen und Patient:innen.“ Als Ärztin oder Arzt sei man es ja gewohnt, schreiben können, eine schier unlösbare Aufgabe. Über Fragen zu stellen, die außerhalb des Sprechzimmers eher sechs Millionen Erwachsene in Deutschland, davon rund nicht gestellt werden, sei es nun nach Ausscheidungsfunk- 300.000 in Berlin, leben mit diesem Problem und versuchen, tionen, Sexualität oder Körpergewicht. es beim Arztbesuch zu verstecken. Der erste Kontakt mit einer Patientin oder einem Patienten „In unserer alltäglichen Praxis nehmen wir die Fähigkeit ist in seinem Sprechzimmer ohnehin vom Zuhören be- zu lesen und zu schreiben als selbstverständlich hin“, sagt stimmt. „Die Patient:innen bekommen eine Chance, ihre Allgemeinmediziner Dr. med. Sven Schellberg von der Novo- Geschichte zu erzählen. Ich möchte die Schwelle hier mög- praxis in der Mohrenstraße in Berlin-Mitte. „Bei Sprach- lichst niedrig halten. Generell finde ich es wichtig, viele schwierigkeiten denken wir reflexartig zunächst an Leute Dinge bildlich zu zeigen.“ Es gehe doch darum, etwas zu mit Migrationshintergrund.“ „begreifen“. Stutzig wurde der Allgemeinmediziner erst, als immer wie- An den Materialien, die er im Rahmen der Kampagne be- der Patient:innen mit einer Broschüre unter dem Arm ins kommen hat, gefällt ihm vor allem, dass sie klare Hinweise Sprechzimmer kamen, die sie aus dem Wartezimmer mit- darauf enthalten, wie auch Erwachsene lesen lernen kön- gebracht hatten. Das Infomaterial ist Teil einer Kampagne nen. Die Online-Angebote dazu schaut er sich, wenn mög- des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) lich, zusammen mit den Patient:innen an, „schließlich gibt anlässlich der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und es auch hier die Hürde der Leseschwierigkeiten“. Ärzt:innen Grundbildung 2016–2026 (AlphaDekade). „Lesen und Schrei- sollten keine Scheu haben, diese anzusprechen und ge- ben – Mein Schlüssel zur Welt“8 stellt Materialien für die meinsam mit ihren Patient:innen nach Lösungen zu suchen. Praxis zur Verfügung, darunter auch Tipps für Ärzt:innen „Es ist ja der Vorteil der weltoffenen Stadt Berlin, dass wir zum Umgang mit dem heiklen Thema. mit dem Thema ‚Verständnisprobleme‘ schon vertraut sind“, so Schellberg abschließend. Schriftsprachenkompetenz und Gesundheitskompetenz sind eng miteinander verbunden. Doch diese Hürde haben viele Ärzt:innen nicht im Blick, wenn sie sich über unvoll- ständig ausgefüllte Corona-Fragebögen oder fehlerhafte Medikamenteneinnahme ärgern. Schellberg spricht das 8 Lesen und Schreiben – Mein Schlüssel zur Welt, Thema inzwischen bewusst von sich aus an. „Ich habe die → www.mein-schlüssel-zur-welt.de/de füllen das aus und fühlen sich wahrgenommen“, beobachtet aufweist?“ Das Geko sieht sie auf dem Weg dahin. „Wir neh- Allgemeinmedizinerin Kirsten Schubert. Und der Bogen bie- men Belastungsfaktoren bei unseren Patient:innen nicht nur tet hervorragende Aufhänger für ein umfassendes Erstge- wahr, wir können sie im Team auch angehen, ob es nun um spräch. Dabei gewinnt sie ein Bild davon, wie sich die vor Schimmel in der Wohnung oder um Beziehungs- oder Er- ihr sitzende Person Informationen zu Gesundheitsthemen ziehungsprobleme geht.“ verschafft und wie (un-)sicher sie sich im Versorgungssystem bewegt. Gesundheitswissenschaftlerin Weirich betont zudem, wie wichtig ein Koffer mit geeigneten Werkzeugen für die gelin- Den Begriff „Gesundheitskompetenz“ mag die Ärztin dafür gende Kommunikation mit Patient:innen ist: Offene Fragen eigentlich nicht so gern. Jedenfalls, wenn er nur auf die Person stellen, durch Rückfragen sicherstellen, dass man selbst und bezogen wird und den Verdacht auf Defizite beinhaltet. „Das das Gegenüber alles richtig verstanden hat. Wenn Ärzt:in- läuft leicht auf ein ‚Blaming the Victim‘ hinaus. Ich finde den nen Informationen übermitteln, können ihnen Werkzeuge englischen Begriff „Health Literacy“ schöner. Wenn schon, wie die Teach-Back-Methode helfen, Missverständnisse dann müssen wir uns fragen: Wie werden wir eine Einrichtung, zumindest zu verringern. So werden Patient:innen bei An- die selbst eine hohe organisationale Gesundheitskompetenz wendung der Methode gebeten, das Gesagte mit eigenen 16
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 Gesundheitskompetenz in der Schule „Es gibt Stunden, nach denen man fast aus dem Klassenraum schwebt“ Ein Gespräch mit der Berliner Gynäkologin Dr. med. Runa Speer, die nach Klinik und Forschungstätigkeit zuneh- mend Interesse an Prävention entwickelt hat und seit diesem Jahr im Vorstand der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung (ÄGGF) aktiv ist. aufgeschrieben haben. Wir nutzen ihre Thema Impfungen, etwa gegen die hu- Fragen, um unser Wissen in die Klasse manen Papillomviren (HPV) oder die zu bringen. Oft geht es auch darum, die Bedeutung weiterer Vorsorgeuntersu- „Frage hinter der Frage“ zu erkennen, chungen. und selbstverständlich gilt die Schwei- gepflicht. Die Heranwachsenden sind er- Würden Sie sich als Ärztin am Unter- RS Dr. med. Runa Speer leichtert, wenn wir verstehen, was sie richt in diesem neuen Schulfach be- Foto: Ilka Drnovsek gar nicht so genau in Worte fassen kön- teiligen? nen. Wir sind ein bisschen die „Ärzt:in- Wir können das mit der momentanen AML Frau Dr. Speer, was tut die Ärzt- nen zum Anfassen“ und möchten die Struktur unseres gemeinnützigen Ver- liche Gesellschaft zur Gesund- Schwelle zum Arztbesuch senken. Kin- eins nicht flächendeckend anbieten, heitsförderung derzeit in den Schulen? der und Jugendliche haben einen Rie- wären aber bereit, es mitzugestalten. RS Jeden Morgen packen in ganz senbedarf – die 90 Minuten reichen Dass der ärztliche Beruf Glaubwürdig- Deutschland 100 Ärztinnen und meist nicht und oft ergeben sich danach keit vermittelt, trägt ja auch zum Erfolg Ärzte ihre Taschen mit Materialien für Vieraugengespräche. Ich muss sagen: unseres Konzeptes bei. Wir denken also einen anschaulichen Unterricht und fah- Das ist eine der befriedigendsten Auf- schon, dass wir Ärztinnen und Ärzte die ren in die Schulen. Wir führen dort meh- gaben meiner ärztlichen Tätigkeit. Es Geeigneten sind. Auch kompetente Lehr- rere Tausend sogenannte ärztliche In- gibt Stunden, nach denen man fast aus kräfte sollten mitwirken, und wichtig formationsstunden im Jahr durch und dem Klassenraum schwebt. ist auf jeden Fall, dass entsprechende hatten in den vergangenen zehn Jahren Curricula entwickelt werden. fast eine Million Teilnehmende. Auch Was würde aus Ihrer Sicht das neue während der Pandemie haben wir das Schulfach „Gesundheit und Nachhal- Wäre es gut, wenn sich noch mehr fortgesetzt. Unser Themenschwerpunkt tigkeit“ bringen, für das auf dem Ärzte- Ärzt:innen über den Verein in Schulen ist die sexuelle und reproduktive Ge- tag in Bremen im Mai gestimmt wurde, engagieren würden, und an wen kön- sundheit; dort liegt unsere Erfahrung und wer sollte es unterrichten? nen sich interessierte Kolleg:innen bei den Vermittlungsstrategien. Unser Wir fänden es super, wenn das Fach wenden? erklärtes Ziel: Kinder und Jugendliche käme. Gesundheits- und Umweltthe- Gut, dass Sie fragen! In Berlin sind wir sollen ihren eigenen Körper mit seinen men sind ein großer Bestandteil der im Moment 14 Ärzt:innen, wir können Funktionen und Fähigkeiten kennen, Bildung und sollten hier besser veran- weitere Unterstützung durch approbier- schätzen und schützen lernen. kert sein. Die Weichen werden früh ge- te Kolleg:innen gut gebrauchen. Bewer- stellt: Je früher man beginnt, Wissen ben kann man sich per E-Mail an unsere Wie gestalten sich diese Schulstunden zu vermitteln, desto eher entstehen Geschäftsstelle ( E aeggf@aeggf.de), konkret? Selbstwirksamkeit und das Gefühl der dann kann man zunächst einmal hos- Wir vereinbaren zunächst Termine für Handlungskompetenz. Leider ist Ge- pitieren. Vieles von dem, was wir tun, Doppelstunden mit den Lehrkräften, die sundheit immer noch stark vom sozi- ist ehrenamtlich, aber es gibt eine Auf- dann aber beim Gespräch mit den He- alen Gefüge abhängig. Durch ein Fach wandsentschädigung für die Veranstal- ranwachsenden nicht dabei sind. Unse- „Gesundheit“ könnte für mehr Chancen- tungen. Die Nachfrage vonseiten der re Zielgruppen sind Schüler:innen ab gleichheit gesorgt werden. Denn so ha- Schulen ist riesig und wir könnten noch der 4. Klasse aufwärts. Wir teilen die ben wir die Möglichkeit, alle Schüler:in- viel mehr Schüler:innen erreichen, aller- Klasse jeweils in eine Mädchen- und nen unabhängig von ihrer sozialen oder dings sind unsere finanziellen Mittel da- eine Jungengruppe, nicht-binäre Kinder kulturellen Herkunft zu erreichen. An- für begrenzt. ∕ gehen in die Gruppe, der sie sich zu- gebote wie die Jugendgesundheitsun- gehörig fühlen. Im Dialog beantworten tersuchung 1 (J1) für 12- bis 14-Jährige wir die Fragen der Kinder und Jugend- werden derzeit leider viel zu wenig wahr- lichen, die sie zum Teil schon vorher genommen. Ganz wichtig ist auch das 17
IM FOKUS Die Stadtteilpraxis Neukölln deckt die hausärztlich-internistische Versorgung im Geko Berlin ab. Neben Kirsten Schubert, Fachärztin für Allgemeinmedizin, besteht das Team aus einer Fachärztin für Innere Medizin, einer Praxismanagerin und einer Medizinischen Fachangestellten. Worten zu wiederholen. Wichtig sei es auch, schnell zu er- Modellprojekt zum „Share to Care“-Programm9. Dieses be- fassen, welcher Kommunikationstyp der Mensch ist, mit dem steht aus Entscheidungshilfen zu 80 Fragestellungen sowie man es gerade zu tun hat, betont Weirich. Wie aufnahme- einem Gesprächstraining für Mediziner:innen, das in 19 Einzel- bereit er ist, von welcher Kultur und Sozialisation er geprägt kliniken des Campus Kiel angeboten wurde. Ebenso wurden ist. Oft sei eine Sprachmittlung nötig. „Hier ist der Dienst Pflegekräfte eingebunden und Patient:innen gezielt aktiviert. Triaphon für uns Gold wert“, berichtet sie weiter. Die medi- Die Evaluation, deren Ergebnisse Ende Juni dieses Jahres zinische Dolmetscher-Hotline, für die sich jede und jeder un- vorgestellt wurden, sind ermutigend: Die Ärzt:innen kom- kompliziert registrieren kann, bietet schnelle Hilfe in zahl- munizierten nach dem Training besser, die Patient:innen be- reichen Sprachen. Wertschätzung könne so oft auch trotz teiligten sich stärker und sachkundiger an den Entscheidungs- Sprachbarriere vermittelt werden, betont Weirich. prozessen. Für wirkliches „Shared Decision Making“ reicht diese basale Genau das ist das Ziel, das auch Allgemeinärztin Kirsten Form der Kommunikation häufig nicht aus. Neben der sprach- Schubert formuliert: „Wir begleiten unsere Patient:innen lichen Verständigung brauche es dafür aufseiten der Pro- dabei, sprachfähig zu werden.“ Diese optimale Begleitung fessionellen im Gesundheitswesen ein Bewusstsein für das müsse man als Angehörige eines Gesundheitsberufes immer Machtgefälle und für den Einfluss, den sie auf Entscheidun- wieder trainieren, ergänzt Gesundheitswissenschaftlerin Eva gen notgedrungen nehmen, erklärt die Gesundheitswissen- Weirich. Gesundheitskompetenz scheint für alle Beteiligten schaftlerin. „Wir brauchen zudem ein Wissen darüber, wie auch eine Frage der Übung zu sein. ∕ Menschen Entscheidungen treffen und welche Verantwor- tung wir dafür tragen.“ Wie lassen sich im Krankenhaus die beidseitigen Kompeten- zen dafür steigern? Am Universitätsklinikum Schleswig-Hol- stein (UKSH) lief vier Jahre lang, gefördert vom G-BA, ein 9 Share to Care-Programm, Dr. Adelheid Müller-Lissner → www.uksh.de/sdm/Was+ist+SHARE+TO+CARE_-p-90.html Freie Wissenschaftsjournalistin → https://share-to-care.de Foto: privat 18
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 #OrganisationaleGesundheitskompetenz „Wir nehmen Belastungsfaktoren bei unseren Patient:innen nicht nur wahr, wir können sie im Team auch angehen, ob es nun um Schimmel in der Wohnung oder um Bezie- hungs- oder Erziehungsprobleme geht.“ Kirsten Schubert Fachärztin für Allgemeinmedizin, Stadtteilpraxis Neukölln 19
AUS DER KAMMER Erscheinungsweise der Mitgliederzeit- schrift wird angepasst Bericht von der Delegiertenversammlung am 21. September 2022 Nach der Sommerpause kamen die Delegierten erstmals zusammen, um über die zukünftige Ausgestaltung der Weiterbildung, die Prüfungsordnung der Medizinischen Fachangestellten und den Tätigkeitsbericht 2021 zu entscheiden. Ausgiebig diskutiert wurde zudem über die künftige Erscheinungsweise der Mitgliederzeitschrift. „Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundein- verschickt worden seien. Ein weiterer Workshop des Bünd- stellung der Ärzte“, so wird der jüdische Psychiater Leo Alex- nisses sei für Ende September in der Kammer geplant. Im ander in der Ausstellung „Charité im Nationalsozialismus Zuge dessen sollen die Erfahrungen des Sommers ausge- und die Gefährdungen der modernen Medizin“ zitiert. Damit wertet und neue gemeinsame Ziele bestimmt werden. beschrieb Alexander die fatale Ausweitung ethischer Grenzen in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Ausstellung war nur Mitteilungen des Vorstandes eine Station der hochinteressanten zweistündigen Führung Anschließend informierte der Präsident die Versammlung zum Thema „75 Jahre Nürnberger Kodex“, die Prof. Dr. med. über die aktuelle politische Diskussion zur Ex-Post-Triage auf Matthias David (Marburger Bund) mit Mitgliedern der Dele- Ebene der Bundesärztekammer. Mit großer Sorge betrachte giertenversammlung im Vorfeld der Sitzung gemacht hatte. die Ärzt:innenschaft die generelle Ablehnung der Ex-Post- Besonders beeindruckend unter den vielen Stationen waren Triage durch das Bundeskabinett. Es sei abzuwarten, wie der der wie in einem Dornröschenschlaf liegende, pittoreske Hör- Gesetzgeber sich hierzu weiter positioniert, allerdings werde saal der Alten Frauenklinik in der Charité und historische Film- die Ärzt:innenschaft mit Achtsamkeit darauf bestehen, dass aufnahmen, die den aus heutiger Perspektive nicht unum- ethische Grundsätze des ärztlichen Handelns nicht verletzt strittenen Arzt Professor Ferdinand Sauerbruch zeigten. werden. Des Weiteren berichtete der Präsident, dass der Vorstand in der kommenden Sitzung der Delegiertenver- Zur Eröffnung der anschließenden Delegiertenversammlung sammlung im November Vorschläge zur Diskussion stellen in der Friedrichstraße 16 dankte PD Dr. med. Peter Bobbert wird, wie die Organisation der Weiterbildung umfassend neu (Marburger Bund), Präsident der Ärztekammer Berlin, David strukturiert werden kann. Es sei geplant, dies zum Auftakt ausdrücklich für die ausgezeichnete Führung mit vielen in- zu nehmen, in den kommenden Wochen einen Dialog mit teressanten Informationen und spannenden Anekdoten. Er allen Beteiligten zu führen, um bereits im nächsten Jahr die äußerte die Hoffnung, dass dies nicht dessen letzte Führung Delegiertenversammlung entsprechende Reformen be- für die Mitglieder der Delegiertenversammlung gewesen sei. schließen zu lassen. Aufgrund der veränderten Lage trafen sich die Delegierten Sodann informierte Bobbert die Anwesenden, dass es laut zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie wieder im Kon- Beschluss des Vorstandes ab der Prüfungskampagne Sommer ferenzsaal der Ärztekammer Berlin. Nach Feststellung der 2023 für die Medizinischen Fachangestellten mit bestandener Beschlussfähigkeit eröffnete der Präsident die Tagesordnung Abschlussprüfung eine sogenannte Freisprechungsfeier geben mit dem Punkt „Anfragen an den Vorstand“. Dr. med. Claudio werde. Damit solle feierlich ausgedrückt werden, dass die Freimark (Marburger Bund) nahm dies zum Anlass, um den Lehrjahre vorbei sind und die Medizinischen Fachangestellten Präsidenten auf das „Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin“ an- nun frei sind, ihren beruflichen Weg selbstständig zu gehen. zusprechen. Er berichtete, dass er über die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV Berlin) in diesem Sommer seines Er- Für die derzeit drei Auszubildenden der Ärztekammer Berlin achtens zu oft Hitzewarnungen erhalten habe. sei zudem die Ausbildungsvergütung erhöht und eine kleine Prämie für gute Abschlussnoten beschlossen worden. Der Präsident als Mitglied des Kernteams des Aktionsbünd- nisses antwortete, ihm sei bekannt, dass es hinsichtlich Der nächste Tagesordnungspunkt zur Prüfungsordnung für der Alarmkette noch Optimierungspotenzial gebe und in die Durchführung von Abschlussprüfungen, Umschulungs- den vergangenen Monaten insgesamt zu viele Warnungen prüfungen und Zwischenprüfungen im Ausbildungsberuf der 20
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 11 / 2022 Medizinischen Fachangestellten der Ärztekammer Berlin Kostenentwicklungen und Störungen der Lieferketten (Pa- wurde ohne Diskussion einstimmig beschlossen. Ebenso pier, Porto etc.), 3. Die Klimabilanz der Printausgabe. einstimmig wurde anschließend der Tätigkeitsbericht 2021 angenommen. Er erscheint abermals ausschließlich digital So würde die Produktion von 408.000 Heften im Jahr 2022 und kann über → tb2021.aekb.de abgerufen werden. rund 70 Tonnen Papier und 78 Tonnen Holz verbrauchen. Da- mit werde ein CO2 -Ausstoß von insgesamt 156 Tonnen ver- Die anschließenden Wahlen von Mitgliedern für die Weiter- ursacht. Zudem würden grafische Papiere stetig knapper. bildungsausschüsse der Ärztekammer Berlin kommentierte Die Gründe hierfür seien der Rohstoffmangel, die Umstellung der Präsident mit den Worten: „Es ist unser Ziel, Nachwuchs auf die Produktion von Verpackungen, Werksschließungen in die Gremien einzubinden. Dabei haben wir den paritäti- und Verkäufe sowie Energie- bzw. Preiszuschläge. Diese Unter- schen Grundsatz stets im Hinterkopf.“ versorgung führe wiederum zu stark steigenden Preisen. Zum Leseverhalten gebe es nur wenig gesicherte Informationen, Fast-Track-Verfahren für die Weiterbildung führte Löchel weiter aus. Mit einer Reduktion auf sechs jähr- Es folgte ein Sachstandsbericht zum Konzept für ein Fast- liche Printausgaben könnten sowohl das Kostenrisiko verrin- Track-Verfahren. Dahinter verbergen sich Vorschläge für eine gert als auch die Klimabilanz verbessert werden. Eine ver- schnelle und transparente Bearbeitung von Anträgen auf einfachte Möglichkeit für die Kammermitglieder, die Print- Anerkennung zur Zulassung für Facharzt- und Zusatzweiter- fassung abzubestellen, unterstütze dies ebenfalls, wenn- bildungsprüfungen. Das Ergebnis der anschließenden Diskus- gleich nicht im vergleichbaren Umfang. Zusätzlich solle die sion war, dass die Änderungen satzungskonform hinterlegt Printausgabe weiterhin durch Anzeigenschaltung mitfinan- werden sollen. Für die Umsetzung des Fast-Track-Verfahrens ziert werden. ist zunächst eine Anpassung im Berliner Heilberufekammer- gesetz erforderlich. Die Abteilung Berufsrecht ist dazu bereits Nach ausgiebiger, auch kontroverser Diskussion sprachen mit der Senatsverwaltung in konkreten Gesprächen. sich die Delegierten einstimmig dafür aus, die Printausgabe ab dem Jahr 2023 von zwölf auf sechs Ausgaben zu reduzie- Im Hinblick auf den anschließend thematisierten Sachstands- ren, um gleichzeitig das digitale Angebot der Kammer attrak- bericht zur „Organisation und Durchführung von Weiterbil- tiver zu gestalten und zu erweitern. Hierbei solle auch ein aktu- dungsprüfungen an Samstagen und Online-Prüfungen“ äu- eller E-Mail-Verteiler mit möglichst vielen Kammermitglie- ßerte sich Julian Veelken (FrAktion Gesundheit) enttäuscht, dern aufgebaut werden. Das Abonnement der Printausgabe dass Online-Prüfungen nicht prioritär behandelt würden. solle weiterhin aktiv beendet werden können. Dies müsse Dem entgegnete David, dass er sich keine virtuelle Prüfun- aber noch transparenter und offener kommuniziert werden. gen wünsche, sondern dass man Prüfungen praktischer ge- staltet, um etwa den Umgang mit Patient:innen zu simulieren. Auf Anregung von Dr. med. Christiane Wessel (Virchowbund) Michael Hahn, Geschäftsführer der Ärztekammer Berlin, er- gingen die Delegierten beim letzten Tagesordnungspunkt gänzte, man werde das Thema Online-Prüfungen weiterver- „Meinungsbildung zum geänderten Sitzungsbeginn der Dele- folgen, aber mit Blick auf die vorhandenen Ressourcen mo- giertenversammlung“ ohne Diskussion in die Abstimmung mentan nicht mit erster Priorität bearbeiten, da man die Prü- über. Ergebnis: Die Delegierten werden sich auch zukünftig fungen derzeit ausreichend abfedern könne. Dennoch habe bereits um 19 Uhr statt um 20 Uhr treffen – nach aktueller man das Thema im Blick. Der Präsident schloss die Diskus- Planung wieder in der Friedrichstraße. sion mit der Anmerkung, dass seines Erachtens Prüfungen in der Regel in Präsenz stattfinden sollten und man nur in Die nächste Delegiertenversammlung findet am 16. Novem- Ausnahmefällen wie der Pandemie auf Online-Prüfungen ber 2022 statt. ∕ ausweichen könne. Reduzierte Erscheinungsweise der Mitgliederzeitschrift Auf einen Vortrag von Niels Löchel, Abteilungsleiter Digitali- sierung / Kommunikation, zur Ausgabenstärke der Mitglie- derzeitschrift ab dem Jahr 2023 folgte eine angeregte Dis- kussion. Die Delegierten sollten darüber entscheiden, ob die Mitgliederzeitschrift „Berliner Ärzt:innen“ ab dem Jahr 2023 mit sechs statt zwölf Printausgaben pro Jahr veröf- Ole Eggert fentlicht und ein ergänzendes digitales Angebot aufgebaut Pressesprecher und Stabsstellenleiter werden soll. Gründe für die Neuausrichtung seien: 1. Die Stabsstelle Presse / Gesundheitspolitik Reichweite der Printausgabe und das Leseverhalten, 2. Die Foto: André Wagenzik 21
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