Mit Genossenschaften - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 3-2022 - Genossenschaftsverband
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
GEN AL DAS MAGAZI N FÜR DAS GE K NOSSENSCHA FTLICHE NE o TZWERK | 1-2 022 Umfrage unter Leser*innen nnekt ivität + Genossensc haften Umfrage unter Leser*innen: Wie gefällt Ihnen GENiAL? Liebe Leser*innen, wir möchten GENiAL nach Ihren Wünschen für Sie weiterentwickeln. Deshalb wol- len wir von Ihnen unter anderem wissen: Wie gefällt Ihnen GENiAL? Was schätzen Sie besonders am Magazin? In welchem Format möchten Sie GENiAL künftig lesen? Als gedruckte Ausgabe oder eher als E-Paper oder beides? Wir freuen uns sehr, wenn Sie bei unserer großen Umfrage unter Leser*innen mitmachen und unsere Fragen beantworten. Dafür brauchen Sie keine zehn Minuten. Sie müssen nur die Kamera Ihres Smartphones auf den QR-Code richten und schon öffnet sich unser Fragebogen. Die Befragung ist selbstverständlich anonym. Unter allen Teilnehmer*innen verlosen wir zwei Flutwein-Pakete von der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr eG. Die Teilnahme am Gewinnspiel ist freiwillig.
EDITORIAL Liebe Leser*innen, digital oder real? Diese Frage stellt sich gerade jetzt und für die künf- tigen (Post-)Pandemiezeiten. Tatsächlich hat das Virus der Digitalisie- rung in vielen Bereichen einen gewaltigen Schub verliehen. Denken wir nur daran, was digital plötzlich alles möglich ist: von der Videokon- ferenz mit Kolleg*innen und Kund*innen über den digitalen Campus bis hin zum digitalen Feierabendbier mit Freund*innen. In einer aktu- ellen, repräsentativen Befragung von Bitkom aber zeigt sich, dass die Mehrheit der befragten Arbeitnehmer*innen eine hybride Zukunft – also eine Kombination aus Präsenz und mobilem Arbeiten – wünscht. Und viele freuen sich nach der langen Zeit mit wenig Kontakten wie- der auf ganz reale Veranstaltungen. Auch im Genossenschaftsver- band war die Freude groß, als wir am 31. Mai endlich wieder in Prä- senz zum genossenschaftlichen Familientreffen, dem Verbandstag in der Alten Oper in Frankfurt, einladen konnten (Seiten 8–10). Im Fokus der Veranstaltung stand auch eine neue Trendstudie des Zukunftsinstituts in Zusammenarbeit mit dem Genossenschaftsver- band, die unter dem Titel „Aufbruch in die WIR-Ökonomie“ die Rol- le der Genossenschaften in Zeiten der Transformation durch Mega- trends beleuchtet. Einen dieser Megatrends, das Thema „Gesund- heit“, analysieren wir anhand genossenschaftlicher Beispiele in dieser Ausgabe (ab Seite 20). Digital oder real? Die Frage stellt sich auch bereits seit Länge- rem mit Blick auf Lesevorlieben. Lesen Sie Ihre Tageszeitung am liebsten digital am Computer oder gedruckt am Frühstückstisch? Diese – und andere – Fragen stellen wir uns auch für GENiAL. Des- halb haben wir eine Umfrage gestartet, um Ihren Vorlieben, lie- be Leser*innen, noch besser gerecht zu werden. Zur Umfrage ge- Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V., sewcream/adobe.com langen Sie ganz schnell und digital über den QR-Code auf der lin- ken Seite. Und Mitmachen lohnt sich: Unter allen Teilnehmer*innen verlosen wir zwei Flutweinpakete von der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr eG. Viel Freude beim Mitmachen und Lesen Ihre Lisa König-Topf P.S. Über Lob, Anregung und Kritik freuen wir uns jederzeit unter Lisa König-Topf genial@genossenschaftsverband.de Abteilungsleiterin Presse- und Fotos:Genossenschaftsverband Öffentlichkeitsarbeit, Bereich Kommunikation & Change, Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V. Foto: 3-2022 | GENIAL | 3
18 32 34 20 Im Fokus: gesund mit Genossenschaften In Kürze Aus dem Verband Im Fokus Deutsche zahlen weniger mit Bargeld 6 Impulse und Lösungen für morgen: Gesund mit Genossenschaften 20 Verbandstag 2022 8 Spenden für Fluthilfeopfer: Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Schülergenossenschaften – Aufgabe 22 Frauenbildungs- und Tagungshaus wie geht es weiter? 12 Zülpich wiedereröffnet 6 Quo vadis? Genossenschaften im Genossenschaften müssen sich Gesundheitssektor: Noch kein Alltag in der gegen Cyberangriffe schützen: Interview mit Gründungsberater Dr. von Ehrenwall’schen Klinik 7 Interview mit Verbands-IT-Experte Dr. Thorsten Möller 23 Andreas Schmidt 14 Umsorgt bis zum Schluss: Spendenaufruf: Hospiznetz Marburg geG 24 #standwithukraine 16 Mehr als die rechte Hand: Mediation löst viele Konflikte Hamburger AssistenzGenossenschaft eG 26 in Unternehmen: Interview mit Verbands-Mediatorin Leistungen der Familiengenossenschaft Stefanie Wagner 17 werden stark nachgefragt: Interview mit den Vorständen GenoHotels sind nun ein Trio 18 Jürgen Scholz und Henrik Gens 28 Salz auf der Haut: die Salzgrotte der co op Minden-Stadthagen eG 29 Smarte Lösungen gemeinsam voranbringen: digital health transformation eG 30 4 | GENIAL | 3-2022
INHALT Genossenschaften in Regionen Rheinhessen Aus den Regionen „Nachhaltigkeit sichert unsere Überlebensfähigkeit“: Interview mit Dr. Salome Zimmermann, Edekabank 32 Was ist schön? Die Bundessieger*innen des Wettbewerbs „jugend creativ“ 34 easyGeno: Erstregistrierung ist gestartet 36 38 Preisverleihung BlaueBoje am 11. September 37 GENiAL reist nach Rheinhessen, kocht Rieslingsuppe, besucht Aus der Reihe das Gutenberg-Museum und World Wide Geno Web: lernt die zwölf Kartoffelsorten AWADO Gruppe auf LinkedIn 45 der Bio-Familie-Rheinhessen eG kennen. Cordula Senne und die Lupinen 46 Impressum 44 Fotos: AkademieHotel Karlsruhe, Fynn, Edekabank, Bio-Familie-Rheinhessen eG; Sven, parallel_dream und sewcream/adobe.com 3-2022 | GENIAL | 5
Bargeld verliert an Bedeutung Anteil der Befragten, die in den letzten 12 Monaten unterwegs folgende Zahlungsmittel genutzt haben* Deutsche zahlen weniger mit Bargeld 100 2020 2021 2022 Deutschland gilt als Bargeldland. Doch in den letzten zwei Jah- 72% ren ist der Anteil der Bar-Zahler*innen von 84 auf 72 Prozent 80 gesunken. Das zeigt eine Auswertung von Statista Global Con- sumer Surveys. Ein klarer Aufwärtstrend zeichnet sich jedoch 60 bei den sogenannten Mobile Payments ab: So hat sich das „Smartmonnaie“, das Bezahlen mit dem Smartphone, nicht nur 40 beim Online-, sondern auch beim stationären Shopping etab- 13% liert. Wie eine Studie des ECC Köln, das sich auf digitalen Wis- 20 senstransfer für den Handel konzentriert, feststellt, zahlt be- reits heute ein Fünftel aller Kunden regelmäßig mit dem Smart- 0 phone an der Ladenkasse. 59 Prozent der Konsument*innen Bargeld Debitkarte Kreditkarte Mobile Prepaid- Andere wollen es künftig tun. Insbesondere bei den Zahlungen für Mo- Payment karte/ Gutschein bilitätsangebote, zum Beispiel für Sharing-Fahrzeuge (37 Pro- * Einzelhandel, Restaurant und andere Points of Sale zent), oder für den Ticketkauf im öffentlichen Nahverkehr (34 Basis: 2.100–4.500 Befragte (18–64 Jahre) in Deutschland; Mehrfachantworten möglich Prozent) hat das Smartphone teilweise schon das Portemon- Quelle: Statista Global Consumer Survey naie ersetzt. „Es war großes Glück, dass keine Menschen zu Schaden kamen“ Der normalerweise idyllisch fließende Rotbach sorgte im Juli vergangenen Jahres für eine Flutwelle und zerstörte auch das Frauenbildungs- und Tagungshaus Zülpich. B esonders stark betroffen vom Hochwasser des Rotbachs war das Frauenbildungs- und Tagungshaus Zülpich e. V. im Kreis Eus- kirchen, eine vor mehr als 40 Jahren eröffnete Einrichtung für Er- gebäude waren komplett zerstört, die Wände stark in Mitleidenschaft gezogen. Besonders das denkmalgeschützte Fachwerkhaus wurde massiv beschädigt. Mehrere Wochen liefen bis zu 18 Bautrockner Tag wachsenen- und Weiterbildung, die sich ausschließlich der feminis- und Nacht, bevor mit der eigentlichen Sanierung gestartet werden tischen Bildung und Themen rund um Geschlechtergerechtigkeit und konnte. Bis Anfang des Jahres 2022 war der Betrieb daher komplett Teilhabe widmet. Das Kollektiv lila_bunt hat den traditionsreichen Ort eingestellt und das Haus geschlossen. „Viele, viele hilfsbereite und 2019 übernommen und bietet seitdem Bildungsurlaube, Seminare solidarische Unterstützer*innen und Fachkräfte waren in dieser Zeit und Raum für Austausch, Lernen und Begegnung. Das junge Team vor Ort, um uns bei den Arbeiten zu helfen. Ohne diese Unterstüt- von lila_bunt war bereits von der Corona-Pandemie stark betroffen zung hätten wir es niemals geschafft, lila_bunt wiederaufzubauen“, be- und wurde durch die Folgen der Flut vor weitere große Herausforde- richtet Senf. „Dasselbe gilt für die finanzielle Unterstützung, die wir rungen gestellt. erhalten haben“, ergänzt sie. Der Genossenschaftsverband unterstütz- In der Flutnacht war eine Gruppe Jugendlicher für eine Freizeit zu te die Bildungseinrichtung mit 10.000 Euro, die Spendengelder wur- Gast im Bildungshaus. 15 Jugendliche, ihre pädagogische Betreuung den für Baumaterial und Handwerkerkosten eingesetzt. sowie vier Personen von lila_bunt. Sie mussten die gesamte Nacht Seit Beginn des Jahres 2022 ist das Haus nun wieder geöffnet. über im oberen Stockwerk ausharren, bis die Feuerwehr sie am Mor- Ein Gebäude ist komplett fertig saniert, ein zweites ist noch nicht re- gen nach der Flutwelle bergen konnte. „Das Wasser stieg immer noviert, aber schon wieder nutzbar. Das denkmalgeschützte Fach- weiter und es war zu befürchten, dass es auch noch das obere Stock- werkhaus muss noch umfassend renoviert werden. „Wir hoffen und werk erreichen würde“, erinnert sich Charlotte Senf, die zum lila-bun- rechnen damit, dass wir bis Mitte des Jahres alle Schäden beseitigt ten Kollektiv gehört. „Es war großes Glück, dass keine Menschen zu haben werden“, so Senf. Dann möchte sie sich endlich wieder auf fe- Schaden kamen.“ ministische und queer-feministische Bildung, Beziehungen, Solidari- Die Schäden an den drei alten Gebäuden der Einrichtung waren tät, Vernetzung und Empowerment fokussieren, für die das Kollektiv enorm. Alle Holzböden in den Erdgeschossen der beiden Seminar- steht. Fotos: Meltem Acartürk, lila_bunt, Dr. von Ehrenwall’sche Klinik 6 | GENIAL | 3-2022
IN KÜRZE In Ahrweiler fehlt weiterhin viel Infrastruktur Der Sachschaden der Dr. von Ehrenwall’schen Klinik ist enorm und liegt bei circa 25 Millionen Euro. Rund 90 Mitarbeiter*innen der Klinik waren von der Flut auch zu Hause betroffen. D en 145. Geburtstag hatten sich die Verantwortlichen der Dr. von Ehrenwall’schen Klinik in Ahrweiler sicher anders vorgestellt. Knapp ein Jahr nach der verheeren- #solidahrität den Flutkatastrophe, nach der alle Bereiche der Klinik geschlossen werden mussten, sind auch weiterhin Teile davon auf andere Standorte im Umkreis verteilt. Nur nach und nach können Patient*innen wieder ambulant und stationär behandelt werden, kehrt der Alltag damit auch endlich für die Angestellten zurück. Auch die Spende des Genossenschaftsverbands in Höhe von 30.000 Euro hilft dabei. Vor der Flut gab es in dem Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychothera- pie, Neurologie und Psychosomatik Platz für 150 stationäre und 30 tagesklinische Patient*innen sowie 30 Rehaplätze. Nach der Flutnacht musste unter anderem auch ein kleines Hotel angemietet werden, um einen stationären Bereich für etwa 20 Per- sonen anzubieten. Die Versorgung der Patient*innen sicherzustellen war aufwendig, aber nötig, betont Heike Heideck, Vorsitzende des Fördervereins der Klinik: „Durch die Flut ist ein Teil der Bevölkerung hier im Ahrtal traumatisiert. Wenn jemand vor- her schon psychisch belastet war, ist diese Belastung durch die Katastrophe natürlich nicht kleiner geworden. Die Flutnacht bereitet den Menschen starke Sorgen, viele ha- ben Angst, bei Regen ihre Häuser zu verlassen.“ In der Klinik selbst kamen keine Menschen zu Schaden, alle Patient*innen konn- ten mit privaten Pkws evakuiert und zu Sammelpunkten gebracht werden. „Die Nacht war einfach gruselig. Es hat geregnet, geregnet und geregnet. Das Wasser stieg, stieg, stieg. Das Telefonnetz war irgendwann zusammengebrochen und der Kontakt untereinander war nur mit Walkie-Talkies möglich“, erinnert sich Heideck. „Die Zerstö- rungskraft des Wassers war entsetzlich. Bei Tageslicht sah es aus wie nach oder im Krieg, Mauern waren weg, Holz, Müll, Tanks und anderes schwamm überall“, ergänzt sie. „Schlamm, Diesel, Benzin und den ganzen Unrat nicht nur zu sehen, sondern vor allem auch zu riechen, ist furchtbar.“ Überwältigend war für sie die Hilfsbereitschaft der Menschen, die sogar aus den Niederlanden kamen: „Sie kamen einfach vorbei, fragten, was zu machen ist, und haben angepackt. Manche hatten sogar Urlaub ge- nommen, um zu helfen. Wenn wir diese Hilfe nicht gehabt hätten, wären wir bei Wei- tem nicht so weit.“ Doch bis alle Schäden behoben sind und die Infrastruktur, zum Beispiel Straßen und Wärmeleitungen, wiederhergestellt ist, wird noch viel Zeit ver- gehen. Heideck: „Die Weinberge auf der einen Seite sind grün, aber schaut man her- unter zur Ahrseite bleibt es gruselig.“ 3-2022 | GENIAL | 7
AUS DEM VERBAND Genossenschaftliche Talkrunde zum Thema „Impulse für die Zukunft“: Mit dabei (v.l.n.r.) Vorstandsvorsitzender Ingmar Rega, Dr. Katja Leppin, Vorständin der Agrargenossenschaft Görike-Schönhagen, Sophia Gröting, Nachhaltigkeitsverant- wortliche der VR-Bank Westmünsterland, Johannes Damerau und Johanna Bitz von der Schülergenossenschaft Walforma eSG mit Moderatorin Corinna Egerer. E ine starke Verbandsfamilie – Impulse und Lösungen für morgen“: Unter diesem Motto standen in der Alten Oper in Frank- furt der Rückblick auf ein insgesamt er- folgreiches Wirtschaftsjahr 2021 sowie Impulse und Lösungen des Verbandes für seine rund 2.600 Mitgliedsunternehmen an. Weiteres wichtiges Thema war außerdem eine aktuelle Studie des Zukunftsinstituts „Aufbruch in die WIR-Ökonomie“, die zeigt, wie Genossenschaften Antworten auf die Mega- trends unserer Zeit für den ländlichen Raum geben. „Ein immer noch stark von den Auswirkungen der Corona-Krise geprägtes Jahr 2021 konnten wir als Ver- bandsfamilie wirtschaftlich sehr zufriedenstellend ab- schließen. Wir sind finanziell sowie betriebswirtschaftlich stabil aufgestellt“, erklärte Vorstandsvorsitzender Ingmar Rega in seinem Vorstandsbericht. „Die Kreditgenossenschaften haben sich in den letz- ten zehn Jahren sehr positiv entwickelt und damit die besondere Resilienz der genossenschaftlichen Unter- nehmensform auch als Banken unterstrichen. Sie haben sich 2021 abermals als die Stabilitätsanker in ihren Regio- nen erwiesen. Gleiches gilt für die Spezialbanken und für ihre jeweilige Klientel“, betonte der stellvertretende Vor- standsvorsitzende Siegfried Mehring. Im direkten Austausch und aus ers- Vorstandsmitglied Marco Schulz gab einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der Fachvereinigun- ter Hand: Alles, was sich unter dem gen der Agrargenossenschaften sowie der Landwirt- schaftlichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaf- Dach des Verbandes tut, konnten die ten. Sein Fazit: „Die genossenschaftlichen Unterneh- men im systemrelevanten Sektor Landwirtschaft haben Mitglieder Ende Mai auf dem Ver- 2021 eindrucksvoll ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.“ bandstag erfahren. Gleichzeitig betonte er, dass die Landwirtschaft als Grundlage unserer Versorgungsicherheit auch ein wichti- ger Teil einer aktiven Friedenpolitik ist. Schulz: „Eine Pro- duktionssteigerung auf unseren Gunststandorten kann mithelfen, eine Hungerkrise in der Welt zu vermeiden. Foto: Torsten Silz 3-2022 | GENIAL | 9
AUS DEM VERBAND Trendforscherin Anja Kirig vom Zukunftsinstitut hielt einen Vortrag über „Die Rolle von Genossen- schaften im Rahmen der Trans- formation zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft“. Sophia Gröting ist Nachhaltigkeitsbeauftragte der VR Bank Westmünsterland, die bis 2025 klimaneutral sein will. Johannes Damerau ist im Vorstand der Walforma eSG, die an der Freien Waldorfschule Mainz einen Freitagsmarkt mit Bio-Backwaren, -Obst, und -Milchprodukten gegründet hat. Die AWADO Gruppe lud im Foyer an Ständen zum Gespräch ein. Hier Vorstand Marco Schulz mit Theresa Zicker (links) und Kati Büttner-Janner von der AWADO Agrar- und Energieberatung. 10 | GENIAL | 3-2022
Eine starke Verbandsfamilie präsentierte sich zum genossenschaftlichen Familientreffen in der Alten Oper (v.l.n.r.): Die Vorstände Marco Schulz, Ingmar Rega (Vorsitzender), Siegfried Mehring (stellvertretender Vorsitzender) und Peter Götz berichteten über die Entwicklungen in den Fachvereinigungen. Dr. Peter Hanker (Mitte) leitete als Verbandsratsvorsitzender den Verbandstag. Dies gilt besonders für die Agrargenossenschaften als hocheffiziente „Genossenschaften kommen schnell vom Wollen ins Machen,“ Großbetriebe“. Die zukünftige Ausrichtung der heimischen Landwirt- betonte Ingmar Rega. So zieht die Studie das Fazit: In Kooperati- schaft müsse an die veränderten geopolitischen Rahmenbedingun- on von Kommunen, Unternehmen und Bürger*innen können Men- gen angepasst werden. schen ihre Region gestalten und gemeinsam Angebote schaffen, die „Nachhaltigkeit ist und wird ein zentraler Teil unserer Geschäfts- die Lebensqualität erhöhen. Keine andere Organisationsform ist laut modelle“, betonte Vorstandsmitglied Peter Götz in seiner Bericht- Studie dafür so prädestiniert wie die Genossenschaft. erstattung über die gewerblichen Genossenschaften. „Genossen- Die Corona-Pandemie hat bestehende Entwicklungen nochmals schaftlich organisierte Unternehmen sind wie dafür geschaffen, hier verstärkt. Homeoffice ermöglicht beispielsweise weiteren Bevölke- eine Vorreiterrolle einzunehmen“. Der Verband werde seine Mitglieder rungsgruppen ein Leben abseits der Städte. „Während Co-Working „bei dieser nachhaltigen Transformation nach Kräften unterstützen“. auf dem Land vor wenigen Jahren nicht vorstellbar war, ist es nun Vielfältige, ganzheitliche und wertvolle Impulse und Lösungen für hipp und innovativ“, so Rega und verwies auf eine erfolgreiche Genos- die Mitglieder schaffen – darauf zielt die vom Vorstandsvorsitzenden senschaft in Schleswig-Holstein. Ingmar Rega erläuterte Strategie der Verbandsfamilie ab. Hierfür in- Genossenschaften kommen dann ins Spiel, wenn es um die vestiert der Genossenschaftsverband unter anderem in die Erwei- Stärkung der Region, basisdemokratische Themen und um Men- terung seines Dienstleistungsangebotes, die Digitalisierung in den schen geht, die partizipieren und mitarbeiten wollen, analysierte Dr. Kernbereichen Prüfung, Beratung und Bildung, aber auch in moderne Daniel Dettling. „Hier sehen wir optimale Bedingungen für die neue Arbeitswelten für seine Beschäftigten. WIR-Ökonomie.“ „Das Zukunftsinstitut sieht Genossenschaften als zentrale Treiber Studie: Aufbruch in die WIR-Ökonomie einer nachhaltigen, solidarischen und regionalen Wirtschaft. Die dar- Die auf dem Verbandstag präsentierte Trendstudie des Zukunftsinsti- in liegenden Chancen gilt es, noch bekannter zu machen“, bilanzierte tuts „Aufbruch in die WIR-Ökonomie“ – in Zusammenarbeit mit dem Ingmar Rega. „Die Studie bringt auf den Punkt, was Genossenschaft Genossenschaftsverband erstellt und erstmals im Rahmen des Ver- ausmacht: Private Unternehmen definieren ihren Erfolg über den Ge- bandstages von Anja Kirig vom Zukunftsinstitut vorgestellt – zeigt, winn, gemeinwohlorientierte Unternehmen über ihren Sinn. Für Ge- warum die Antworten auf die Megatrends unserer Zeit für den länd- nossenschaften gehört beides zusammen: Purpose and Profit.“ lichen Raum in Genossenschaften liegen. Im Rahmen der Studie hat Hans-Peter Leimbach das Zukunftsinstitut Genossenschaften interviewt, die als Pioniere den Wandel früher spüren als andere, ihn aktiv gestalten und bereits neue Geschäftsfelder entwickeln. „Megatrends sind die Blockbuster des Wandels, sie haben epo- chalen Charakter und formen nicht nur einzelne Branchen oder Sek- toren um, sondern ganze Gesellschaften“, sagte Studienautor Dr. Da- Fotos: Torsten Silz niel Dettling. Für den ländlichen Raum seien Neo-Ökologie, Mobilität, Konnektivität und New Work, Silver Society und Gesundheit, Globa- lisierung und Urbanisierung sowie Individualisierung die Haupttreiber für die kommenden Jahrzehnte. VERBANDSTAG 2022 3-2022 | GENIAL | 11
Schülergenossenschaften Ab 2023 bedroht ein neues Umsatzsteuerrecht die Existenz vieler Schülerfirmen, darunter auch die Schülergenossenschaften. Der Verband hat hierfür Lösungen entwickelt und sie der Politik vorge- legt – bisher ohne Erfolg. Was genau hat der Verband unternom- men, wie geht es weiter? Darüber sprach GENiAL mit Stephanie Düker, Projektleiterin Schülergenossenschaften, sowie Felix Reich, Referent für politische Interessenvertretung. Frau Düker, in der letzten GENiAL ha- ben wir ausführlich darüber berichtet, dass Schülerfirmen in öffentlich-recht- licher oder kirchlicher Trägerschaft ab 2023 nun umsatzsteuerpflichtig werden sollen, obwohl es Schulpro- jekte sind. Fotos: AWADO Kommunikationsberatung, Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V., Rzoog/adobe.com STEPHANIE DÜKER: Schülerfirmen sind Bildungsprojekte, bei denen Kinder und Jugendliche im geschützten schulischen Rahmen wirtschaftliche Zusammenhänge realitätsnah kennenlernen, sich auspro- bieren können und so auch erste beruf- liche Orientierung erfahren. Sie werden dabei von ihren Pädogog*innen angelei- tet. Dass diese Projekte zukünftig de facto ab dem ersten Euro umsatzsteuerpflichtig werden sollen und damit schlechterge- stellt werden als Kleinunternehmer, geht völlig an der Idee dieser Bildungsprojek- te vorbei. Um das ganz deutlich zu ma- Stephanie Düker ist die chen: Es geht nicht um eine etwaige Um- Projektleiterin des Verbandsprojektes satzsteuerzahllast, die wir für die Schüler- Schülergenossenschaften. genossenschaften vermeiden möchten, sondern um die mit der Gesetzesände- rung verbundenen bürokratischen Hür- den und den dadurch entstehenden Auf- wand für alle Beteiligten vor Ort. Es be- trifft sowohl die Schüler*innen als auch die betreuenden Lehrer-Coaches sowie die Kämmerer*innen, die die Umsätze der Schülergenossenschaften in ihre Buch- haltung einfließen lassen müssen (siehe auch GENiAL 2-2022, Seite 12 f.). 12 | GENIAL | 3-2022
AUS DEM VERBAND – wie geht es weiter? Was hat der Verband bisher unternom- men? Auch wenn wir von einigen Akteur*in- DÜKER: Natürlich haben wir die Betrof- nen, besonders von der Bildungs- und fenen, unsere Schülergenossenschaften, Kultusseite der Bundesländer, Signa- aber auch ihre Partnergenossenschaften le der Unterstützung für unser Anliegen ausführlich über die bevorstehende Um- wie auch unsere Lösungsvorschläge satzsteuer-Problematik informiert und sie bekommen, hatten wir bisher beim motiviert, vor Ort ihre Politiker*innen und BMF noch keinen Erfolg. Ganz im Journalist*innen sowie die breite Öffent- Gegenteil: Beim BMF herrscht bis- lichkeit für das Thema zu sensibilisieren. lang noch die Rechtsauffassung, Hierfür stellen wir entsprechende Unter- dass Schülerfirmen im Kern eher lagen auf www.schuelergeno.de/umsatz- Wirtschafts- als Bildungsprojekte steuer zur Verfügung. Ziel muss es sein, sind. Außerdem kann das Bun- eine Ausnahme für Schülergenossen- desministerium durch die neue schaften beziehungsweise alle Schüler- Umsatzsteuer keine zu hohe bü- firmen vom Umsatzsteuerrecht ab 2023 rokratische Belastung sowie exis- zu erhalten oder aber zumindest andere tenzielle Gefahr für Schülerfirmen rechtssichere und zudem praktisch um- erkennen. Das BMF schlägt Alter- setzbare Lösungen zu erwirken. nativlösungen vor, die aber nicht praktikabel sind. Solange diese Ein- Und wie steht die Politik zu dem stellung beim BMF vorherrscht, wird Thema? es unserer Einschätzung nach auch kei- FELIX REICH: Der Verband macht be- ne Ausnahmen bei der Umsatzsteuer für reits seit mehr als zwei Jahren die Poli- Schülergenossenschaften geben. tik auf das Problem aufmerksam. Denn Felix Reich ist Referent für Poltische nur die Politik kann für die Schülerge- Und wie geht es nun weiter? Interessenvertretung im Verband. nossenschaften die Ausnahmeregelung REICH: Wir geben auf keinen Fall auf und von der Umsatzsteuer schaffen. Deshalb haben schon die nächsten Schritte ge- führen wir kontinuierlich Gespräche mit plant. Es ist wichtig, dass wir auch wei- Politiker*innen auf Landes- und Bundes- terhin im Austausch mit den politischen ebene, zum Beispiel mit dem Bundesfi- Entscheidungsträger*innen bleiben und nanzministerium (BMF), der Kultusminis- gemeinsam an Lösungen arbeiten. Wenn terkonferenz und den Ministerien einiger unsere Vorschläge ein Denkanstoß an den Bundesländer. Dabei unterstützen uns richtigen Stellen sind, haben wir schon auch unsere Nachbarverbände sowie die viel erreicht. Letztlich führen viele Wege Deutsche Kinder- und Jugendstiftung. nach Rom! Unser unerschütterliches Ziel bleibt es, eine gute Regelung zu fin- den, die rechtssicher und praktikabel ist. Schließlich sind Schülerfirmen Bildungs- projekte und keine Wirtschaftsunterneh- men. Sabine Bömmer rettet die www.schuelergeno.de Schülergenos #GENOFORSCHOOL 3-2022 | GENIAL | 13
Genossenschaften müssen sich gegen Cyberangriffe schützen Mit zunehmender Digitalisierung, aber auch mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine steigen die Zahlen von Hackerangriffen vor allem auch auf Unternehmensnetze. GENiAL sprach darüber mit Andreas Schmidt, Leiter IT-Prüfung und IT-Beratung bei der AWADO GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft. Herr Schmidt, Sie sind Experte für Cyber- Angriff aus dem Osten sicherheit. Wie ernst ist die Bedrohung Ursprung von Cyberangriffen auf Unternehmen durch Cyberangriffe? in Deutschland in den letzten 12 Monaten (Anteile in %) ANDREAS SCHMIDT: Im Bereich der Cy- berkriminalität dominieren aktuell zwei Deutschland 43 große Bereiche. Das sind zum einen De- Osteuropa (ohne Russland) 37 likte, die sich primär gegen öffentliche oder private Netzstrukturen, zum Beispiel China 30 das Internet und informationstechnische Russland 23 Systeme richten. Zum anderen verzeich- nen wir Delikte bei der Nutzung von Infor- USA 16 mationstechnik, wie die missbräuchliche EU-Länder (ohne Deutschland) 3 Nutzung von IT-Systemen oder Benutzer- Unbekannt 31 berechtigungen. Laut Einschätzung des Präsidenten des Bundesamtes für Infor- Keine Angabe 6 mationssicherheit (BSI) Arne Schönbohm herrscht in Teilbereichen schon „Alarm- Basis 535 von Diebstahl, Industriespionage stufe Rot“. Gründe seien die Professiona- oder Sabotage betroffene Unternehmen; lisierung der Cyberkriminellen, die zuneh- Mehrfachnennungen möglich; Jan. bis Mrz. mende digitale Vernetzung und die Ver- 2021; Quelle: Bitkom Research breitung gravierender Schwachstellen in IT-Produkten. Wer sind die Hacker und wer ist Ziel der Angriffe? Man könnte zusammenfassen: jede*r und alles. Weder Unternehmen noch Be- hörden noch Einzelpersonen sind vor Cyberattacken sicher. Die Angriffsziele hängen stark von der Motivation der Akteur*innen ab. Neben unabhängigen Cy- berkriminellen gibt es auch Akteur*ìnnen, die staatlich ge- steuert sind oder durch staatli- che Strukturen gefördert oder zumindest unbehelligt gedul- det werden. Attacken gegen Industrieanlagen, wie zum Beispiel vor einigen Jah- ren durch den Stux- net-Wurm gegen Siemens-Anlagen, sind ebenso ver- 14 | GENIAL | 3-2022
AUS DEM VERBAND breitet wie Attacken gegen zentrale Cloud- dienstleister. Der Cyberangriff auf die At- ruvia AG im Jahr 2021 führte beispiels- weise zu einer flächendeckenden Störung des Onlinebankings bei den angeschlos- senen Instituten. Die Covid-19-Pandemie und die da- Sind sich die Genossenschaften dieser durch vermehrte Arbeit aus dem Home- Gefahr bewusst? Was müssen sie tun? office mit externen Unternehmenszugän- Das Thema erhält bei unseren Genossen- gen, der Angriffskrieg Russlands gegen schaften immer mehr Aufmerksamkeit, die Ukraine mit wechselseitigen Cyberat- das zeigen auch die steigenden Security- tacken: All dies sind Beispiele, wie schnell Budgets. Cyberkriminelle in der Lage sind, neue Im regulierten Finanzsektor werden Situationen für ihre kriminellen Machen- darüber hinaus die Anforderungen an Cy- schaften zu nutzen. bersecurity durch die Bankenaufsicht un- mittelbar in die Institute transportiert und Also ist Cyberkriminalität ein neues und dort umgesetzt. lohnendes Geschäftsmodell? Aber auch in nicht-regulierten Bran- Stimmt. Cyberkriminalität hat sich zu ei- chen steigt auf der Führungsebene das nem innovativen und profitablen Ge- AWADO GmbH Bewusstsein für technische und organi- schäftsmodell entwickelt. Cybercrime-as- Wirtschaftsprüfungsgesellschaft satorische Sicherheitsmaßnahmen. Die- a-Service ist ohne größeren Aufwand im Steuerberatungsgesellschaft se dürfen nicht an den eigenen Unterneh- Darknet buchbar und hat meist das Ziel, Andreas Schmidt, Leiter IT-Prüfung mensgrenzen, zum Beispiel der IT-Abtei- hohe Summen Lösegeld zu erpressen. und IT-Beratung lung, haltmachen. Alle Mitarbeiter*innen Über bestehende, weltweite Vernetzun- Tel.: 0511 9574-5456 müssen für dieses Thema sensibilisiert E-Mail: andreas.schmidt@ gen ergeben sich hier Domino-Effekte, die werden. Außerdem ist eine angemessene awado-gruppe.de eine Vielzahl von Unternehmen, Behör- organisatorische und personelle Basis nö- www.awado.de den oder auch Privatpersonen schädigen. tig, um ein akzeptables Sicherheitsniveau Aber auch andere Ursachen sind durch- zu erreichen. aus denkbar. So sollen in den Jahren 2019 und 2020 Jugendliche die Computernet- Wie unterstützt die AWADO Genossen- ze von Banken und Telekommunikations- schaften dabei, Daten und Unterneh- anbietern in Schleswig-Holstein, Nieder- mensnetze zu sichern? sachsen, Berlin und anderen Bundeslän- Die AWADO hat als Teil der genossen- dern aus Langeweile attackiert haben. schaftlichen Verbandsfamilie hohe perso- Selbst im privatem Umfeld sind die Wie betroffen sind unsere Genossen- nelle und fachliche Kompetenzen bei The- Risiken aus der zunehmenden Vernetzung schaften? men der Cybersicherheit. Wir unterstützen von Endgeräten untereinander nicht zu Genossenschaften sind wie alle Marktteil- unsere Kunden hier mit reinen IT-Prüfun- unterschätzen. nehmer wachsenden Cyberrisiken aus- gen, aber auch mit präventiven oder be- Die Schnittstelle zwischen Mensch gesetzt. Mir ist keine Genossenschaft be- gleitenden Maßnahmen zur Erhöhung der und Maschine bleibt generell Einfallstor kannt, die ohne Internetzugänge oder IT- IT-Sicherheit. Als zentrale Leistungen bie- Nummer 1 für Cyberangriffe: Mehr als 85 Systeme in der Lage wäre, ihr Geschäfts- ten wir auch die skalierbare Übernahme Prozent aller Attacken starten beim Fak- modell zu betreiben. Die zunehmende von Tätigkeiten im Rahmen der Internen Fotos: AWADO GmbH WPG StGB, Siarhei/adobe.com tor Mensch, wie das Human Risk Review Zentralisierung von Geschäftsprozessen (IT-)Revision in mittelständischen Unter- 2022 von SoSafe bestätigt. Hieran wird unter Nutzung von Cloudanbietern oder nehmen oder auch in Kreditinstituten an. sich kurzfristig auch nichts ändern, auch auch der individuelle Einsatz von hetero- Darüber hinaus unterstützen und beraten wenn zunehmend professionalisierte An- genen IT-Systemen stellen unsere Genos- wir Genossenschaften und andere Unter- griffe durch Künstliche Intelligenz zu einer senschaften vor neue Herausforderungen. nehmen dabei, Sicherheitslösungen im neuen Qualität der Bedrohungen führen. Auch wenn ich nicht von gezielten Cyber- Sinne eines Informationssicherheitsma- attacken auf unsere Genossenschaften nagements und deren Implementierung ausgehe, können sie schnell davon be- auszuwählen – ausgerichtet an anerkann- troffen sein. Denn Angriffe, zum Beispiel ten Standards wie der ISO 27001 oder für Erpressungen oder Computersabota- dem BSI-Grundschutz. Zukünftig werden gen, finden oft flächendeckend statt. Die wir auch eine entsprechende Zertifizie- Täter*innen schauen dann, was sich Loh- rung nach diesen Standards anbieten. nendes ergibt. Sabine Bömmer 3-2022 | GENIAL | 15
#standwithukraine Die genossenschaftliche Verbandsfamilie ruft zu Spenden auf. Der Genossenschaftsverband geht mit einer Spende von 100.000 Euro an ukrainische Kriegsopfer voran. Und hier geht es zum Weitere Informationen Spendenkonto: www.genossenschaftsverband.de/ www.drk.de/ukraine/ solidaritaet-mit-der-ukraine/ genossenschaftsverband-awado/ D er Krieg in der Ukraine hat viele Menschen in eine unvorstellbare Notlage ver- setzt. Die genossenschaftliche Verbandsfamilie verurteilt den Angriffskrieg Russ- lands in der Ukraine auf das Schärfste. Gemeinsam mit ihren Mitgliedern will sie den Ukrainer*innen unmittelbar helfen. Deshalb ruft sie, koordiniert vom Bundes- verband der Volksbanken und Raiffeisenbanken, zu einer gemeinsamen Spendenaktion mit dem Deutschen Roten Kreuz e.V. auf. Wie der Verband betont, sind die genossenschaftlichen Werte, wie zum Beispiel die Hilfe zur Selbsthilfe und das gemeinschaftliche Handeln, entscheidende Handlungsmaxime. Als Zeichen dieser genossenschaftlichen Solidarität hat sich der Verband entschieden, mit gutem Beispiel vo- ranzugehen und vorab einen Betrag von 100.000 Euro zu spenden, um das Leid der Menschen in der Ukraine zu lindern. 16 | GENIAL | 3-2022
AUS DEM VERBAND Mediation löst viele Konflikte in Unternehmen Ungelöste Konflikte in Unternehmen können die Zusammen- Und was ist Ihre Rolle? Mediation ist ein Prozess, ein Verfahren, arbeit und das Geschäftsergebnis stark belasten. GENiAL das einer klaren Struktur folgt. Diese Struk- sprach darüber mit Verbands-Mediatorin Stefanie Wagner aus tur muss eingehalten werden, um ein zufrie- dem Verbandsbereich Beratung Betreuung Genossenschaften. denstellendes Ergebnis für alle Parteien zu ermöglichen. Wir führen die Konfliktparteien durch diesen Prozess. Dabei sind wir neutra- le Mittler*innen, also völlig unparteiisch. Wir Frau Wagner, in welchen Fällen geben keine Lösung vor, sondern helfen den werden Sie und Ihre Kolleg*innen Parteien, ihre eigene Lösung zu erarbeiten. als Mediator*innen in Unternehmen Letztendlich sind sie es, die das Ganze um- aktiv? setzen müssen. Das grenzt Mediation auch STEFANIE WAGNER: Hier ist die Palette von anderen Verfahren, wie Schiedsspruch sehr breit. Grundsätzlich kann man sagen: oder gerichtlichen Verfahren, ab. in allen Fällen, in denen Konflikte in einem Unternehmen entstehen. Das können bei- Wann ist eine Mediation erfolgreich? spielsweise Probleme zwischen Gremien, Das hängt von mehreren Punkten ab. So soll- zwischen Unternehmen, Kunden und Dienst- te der Mediator oder die Mediatorin gut aus- leister, Probleme unter Führungskräften oder gebildet sein. Eine Mediation ist nicht mal Mitarbeiter*innen sein. Bevor Situationen nebenbei gemacht und erfordert gute Fach- Fotos: Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V.; Andrii Yalanskyi/adobe.com weiter eskalieren, die Zusammenarbeit er- kenntnisse in den technischen und methodi- schwert wird oder der Unternehmenserfolg schen Fragen. Bei Organisations- oder Wirt- gefährdet ist, stehen meine Kolleg*innen schaftsmediation handelt es sich zudem oft und ich als ausgebildete Mediator*innen be- um komplexe Zusammenhänge, manchmal reit. In vielen Fällen können dadurch aufwen- auch um Mehrparteien-Mediationen, Firmen- dige und kostspielige juristische Auseinan- Stefanie Wagner hat Betriebswirtschaftslehre und Abteilungskulturen kommen dazu. Nicht dersetzungen oder auch Kündigungen und und Wirtschaftspsychologie studiert und einen selten spielen Besonderheiten eines ganz der Abbruch von Geschäftsbeziehungen ver- Master in Mediation. Außerdem ist sie zertifi- spezifischen Wirtschaftssektors eine Rolle. mieden werden. zierte Mediatorin. Es ist hilfreich, wenn der Mediator oder die Mediatorin sich in diese Besonderheiten hin- Und wer kann eine Mediation in eindenken kann. Anspruch nehmen? Stefanie Wagner, Darüber hinaus sind auch die Konfliktpar- Jedes Unternehmen, das Bedarf hat. Neben Master of Mediation (MM) teien selbst gefragt. Die Eigenverantwortung Genossenschaften können dies auch ihre Beratung und Betreuung steht hier im Vordergrund. Sie sollten sich mittelständischen Kunden oder Geschäfts- Genossenschaften auch auf die Mediation einlassen wollen. Nicht partner sein. Je nach Wunsch der Auftragge- Tel.: 0211 16091-4679 immer können bei einer Mediation alle Prob- ber führen wir die Mediation auch inhouse Mobil: 01712936741 leme aus der Welt geschafft werden. Aber sie oder im Verband durch, obwohl ein neutraler E-Mail: stefanie.wagner@ kann helfen, trotz Differenzen einen gemein- Ort zu bevorzugen ist. Wichtig ist aber in ers- genossenschaftsverband.de samen Weg der Zusammenarbeit zu finden. ter Linie, dass die Parteien sich wohlfühlen. Sabine Bömmer 3-2022 | GENIAL | 17
G 3 Die GenoHotels sind nun ein Trio Die GenoHotels Baunatal, Forsbach und Karlsruhe präsentieren sich seit dem 1. April mit einem gemeinsamen Markenauftritt. anz nach dem Motto „Aller guten Dinge sind drei“ erweitert das ehemalige AkademieHo- tel Karlsruhe des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes e.V. das Trio und heißt nun GenoHotel Karlsruhe. Damit kommt ein wei- terer strategischer Standort in das Markenportfolio der GenoHotels. Dies erleichtert die Planung von Tagungen und Seminaren sowie die Unterbringung von Gästen und Kund*innen im gesamten Bundesgebiet. Markus Maier, Geschäftsführer des GenoHotels Bau- natal, und Dirk-James Annas, Geschäftsführer des Geno- Hotel Forsbach, freuen sich gemeinsam über den neuen Standort in Karlsruhe: „Das Karlsruher Haus erweitert un- sere noch junge Kooperation um ein Campus-Hotel im Raum Baden-Württemberg und bringt vor allem ein gro- ßes Know-how im Bereich der hybriden Veranstaltungs- technik mit.“ Ursula Haas, Leiterin des Hotelbetriebs in Karlsruhe, betont den besonderen genossenschaftlichen Charakter: „Als Hotels mit genossenschaftlicher Histo- rie haben wir die genossenschaftlichen Werte Gemein- schaft, Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen neu interpre- tiert und in unsere Hotelkonzepte integriert. Sie schaffen in unseren professionellen Dienstleistungen den Rah- men für Wertschätzung und Herzlichkeit.“ Alle Hotels bleiben innerhalb der Kooperation recht- lich selbstständig. Die Zusammenarbeit soll Synergie- effekte für die Häuser bringen und Stärken noch besser nach außen darstellen. Für die Zukunft ist eine gemein- same Strategie unter anderem für die Bereiche Digital Fotos: GenoHotels Forsbach und Baunatal, ehemaliges AkademieHotel Karlsruhe Guest Journey, Nachhaltigkeit, Marketing sowie Mitar- beiterentwicklung geplant. Als Mitglied der „TOP 250 Germany – Die besten Tagungshotels in Deutschland“ gehören die 3-Sterne-Superior-Hotels mit einer gemein- samen Kapazität von mehr als 490 komfortablen Hotel- zimmern und gut 80 kreativen Tagungsräumen zu den besten Tagungshotels in Deutschland. www.genohotels.com FORSBACH 18 | GENIAL | 3-2022
AUS DEM VERBAND KARLSRUHE BAUNATAL 3-2022 | GENIAL | 19
Auf 440,6 Milliarden Euro (plus 6,5 Prozent) sind die Krankenkosten Auf 1.000 Patient*innen im Pandemiejahr 2020 angewachsen. kommen in Deutschland 4,5 Ärzt*innen. gesund mit Genossenschaften Vor 150 Jahren lag die Lebenserwartung eines Menschen in Deutschland noch bei 40 Jahren, heute ist sie etwa doppelt so hoch. Gesundheit kommt deshalb eine entscheidende Bedeutung zu. Um sich dieser demografischen Entwicklung anzupassen, muss sich in Deutschland einiges ändern. Viele Genossenschaften haben sich hier schon auf den Weg ge- macht. Doch lesen Sie selbst ... 18 Übersterblichkeit durch Corona: 2020 starben 5 Prozent mehr Menschen als im Jahr zuvor. Um Prozent ist die Zahl der Beschäftigten im Pflegedienst von Kliniken in den letzten zehn Jahren angestiegen. 1.903 Die häufigsten Todesursachen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Krankheiten der Atmungssysteme. Krankenhäuser versorgten 2020 16,8 Millionen Patient*innen. 20 | GENIAL | 3-2022
Quelle: Statistisches Bundeamt; Foto: sewcream/adobe.com 3-2022 | GENIAL | 21 GESUND MIT GENOSSENSCHAFTEN
Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe W eltweit werden die Menschen älter und bleiben dabei länger gesund. Die Megatrends Gesundheit und Silver Society (silber- ne Gesellschaft) beschreiben die vielfältigen Auswirkungen die- ses demografischen Wandels und seine enormen Herausforde- Gesundheit ist einer der rungen für unsere Gesellschaft. großen Megatrends unserer Durch den Kampf gegen die Pandemie sowie die Auswirkung von Covid-19 auf Körper und Psyche ist zusätzlich ein neuer Fokus auf Gesundheit als gesamt- Zeit und stellt unsere Gesell- gesellschaftliche Aufgabe entstanden. Das bestätigt auch die aktuele Studie „Auf- schaften vor große Probleme. bruch in die WIR-Ökonomie“, die der Verband beim Zukunftsinstitut in Auftrag ge- Genossenschaften haben hier geben hat. Die Gestaltung der Umwelt im Sinne der Gesundheit aller wird zur zentralen Zukunftsaufgabe. Gesundheit erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, innovative Lösungen gefun- denn einzelne Krankheitssymptome lassen sich nicht vom restlichen Körper tren- den. nen. Dieser kann nicht losgelöst vom psychischen Empfinden des Individuums, seinen Verhaltensmustern, seinem Lebensstil, seinen Gewohnheiten, seiner so- zialen Eingebundenheit, seiner Arbeitsumgebung und seiner Umwelt betrachtet werden. Angesichts der demografischen Entwicklung zur Silver Society braucht es neue soziale und ökonomische Rahmenbedingungen, digitale Plattformen und In- frastrukturen sowie ein neues Verständnis vom Alter(n). Insbesondere für den ländlichen Raum sind die Folgen des demografischen Wandels spürbarer als in den Städten. In ländlichen Regionen leben mehr Men- schen über 65 Jahre (23,5 Prozent) als in Städten (20,7 Prozent) oder in Regionen mit Verstädterungsansätzen (22,2 Prozent). Angefangen von der sozialen und me- dizinischen Infrastruktur bis hin zum bedarfsgerechten Wohnen stellen sich eine Reihe von Aufgaben, für die Genossenschaften innovative Antworten entwickeln (können). Quelle: Studie „Aufbruch in die WIR-Ökonomie“, Herausgeber Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V., Zukunftsinstitut 22 | GENIAL | 3-2022
GESUND MIT GENOSSENSCHAFTEN Quo vadis? Genossenschaften im Gesundheitssektor Genossenschaften bieten Lösungen für viele Bran- chen, so auch für den Gesundheitssektor. GENiAL sprach darüber mit Gründungsberater Dr. Thorsten Möller vom Genossenschaftsverband. Trotz der Pandemie haben sich im wicklung und Erprobung innovativer patien- dungsangeboten oder die Sicherstellung der letzten Jahr 53 Genossenschaf- tenorientierter Lösungen. Außerdem beglei- Qualität der Patientenversorgung: Stets kön- ten neu gegründet, darunter auch ten wir einige Kommunen bei der Gründung nen durch den Zusammenschluss der Mitglie- Gesundheitsgenossenschaften. Auf eines gemeinsamen Medizinischen Versor- der Leistungen erbracht werden, die einzelne welche Bereiche konzentrierten sich gungszentrums (MVZ) in der Rechtsform Mitglieder für sich alleine nicht leisten oder fi- diese Gesundheitsgenossenschaf- der Genossenschaft. Gerade für kleinere nanzieren könnten. ten? Gemeinden ist die Sicherstellung der me- DR. THORSTEN MÖLLER: Etwa 140 un- dizinischen Versorgung ein zunehmendes Wie unterstützt der Verband bei die- serer Mitgliedsgenossenschaften arbeiten Problem, wenn selbstständig tätige sen Gründungsvorhaben? im Bereich des Gesundheitswesens. Jedes Ärzt*innen vor Ort in den Ruhestand gehen Wir agieren gleichermaßen als Prüfer und Jahr kommt hier ungefähr eine Handvoll und die nachfolgende Medizinergeneration als Coach und führen unsere Gründer*innen Foto: Genossenschaftsverband - Verband der Regionen e.V.; Andrey Popov und elenabsl/adobe4.com Neugründungen hinzu. Im letzten Jahr haben eher ein Angestelltenverhältnis anstrebt. Ein durch den gesamten Gründungsprozess. In- wir die Gründung eines deutschlandweiten genossenschaftliches MVZ kann hierfür ein haltlich bedeutet das, dass wir in allen ge- Verbundes inhabergeführter Facharztpraxen geeigneter Lösungsansatz sein. nossenschaftsrechtlichen Fragen rund um begleitet, die als Genossenschaft eine ver- die Satzung sowie bei sämtlichen wirtschaft- besserte berufliche Vernetzung und Interes- Warum sind Genossen- lichen Fragen rund um den Geschäftsplan senvertretung erreichen wollen. Zudem ist schaften ein gutes beraten und betreuen. Zudem geben ein Praxisnetz aus Haus- und Fachärzt*innen Modell für Grün- wir Feedback zum geplanten Ge- als Genossenschaft gegründet worden, das dungsvorhaben schäftsmodell. durch eine verbesserte Kommunikation und im Bereich Sabine Bömmer Koordination aller Beteiligten die Qualität Gesundheit? der Patientenversorgung in einer bestimm- Letztlich ist es ten Region sicherstellen soll. Eine weitere vor allem die neu gegründete Genossenschaft unterstützt Grundidee ko- Menschen bei psychischen Erkrankungen, operativen Han- Ansprechpartner: um nur einige Beispiele zu nennen. dels von Fried- Dr. Thorsten Möller rich Wilhelm Raiff- Beratung und Betreuung Ge- Wie sieht es mit Gründungen oder eisen, die auch im nossenschaften Gründungsvorhaben für dieses Jahr Gesundheitssektor Tel.: 0211 16091-4677 aus? greift: gemeinsam mehr Mobil: 01725146136 Wir betreuen derzeit einige innovative Grün- zu erreichen. Sei es durch E-Mail: thorsten.moeller@ dungsvorhaben im Gesundheitssektor, etwa die Bildung beruflicher Netzwerke, den ge- genossenschaftsverband.de im Bereich der datenbasierten Gesundheits- meinsamen Einkauf, die politische Interes- förderung oder der wissenschaftlichen Ent- sensvertretung, die Schaffung von Weiterbil- 3-2022 | GENIAL | 23
Umsorgt bis A m Ende des Lebens nicht allei- ne und vor allem daheim in der zum Schluss vertrauten Umgebung zu sein: Dieser Wunsch eint viele Men- schen. Die Hospiznetz Marburg geG ermög- licht Schwerstkranken und Sterbenden mit besonderem Versorgungsbedarf ein men- schenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer häuslichen Umgebung. Das multiprofessio- nelle Team versorgt mittlerweile jährlich mehr Unheilbar Kranke und Sterbende dabei zu unterstützen, ihre als 600 Patient*innen zu Hause, aber auch letzte Lebensphase zu Hause und dabei möglichst schmerzfrei im Pflegeheim sowie im stationären Hospiz sowie selbstbestimmt zu verbringen: Das ist Ziel und Her- – und zwar im Rahmen der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Da- zensanliegen der gemeinnützigen Genossenschaft Hospiznetz mit Schwerstkranke und Sterbende trotz ei- Marburg geG. nes komplexen Behandlungsbedarfs in ihrer gewohnten Umgebung verbleiben können, hat der Gesetzgeber 2007 mit der SAPV die gesetzliche Grundlage für den Anspruch auf palliative, also Schmerz und Leiden lindern- de medizinische und pflegerische Leistungen geschaffen. 24 | GENIAL | 3-2022
GESUND MIT GENOSSENSCHAFTEN www.hospiznetz.de Starkes Netzwerk Versorgung immer gefragter Diese besondere wie wichtige Unterstüt- Die Koordination der dem Hospiznetz ange- zung begann schon vor der Gründung der hörenden Ärzt*innen und Pflegefachkräfte, Genossenschaft im Juni 2010. „Durch die die regelmäßige Supervisionen und Fortbil- Arbeit im stationären Hospiz erkannten wir dungen in Anspruch nehmen können, ob- den Bedarf, hospizliche Leistungen auch in liegt dem Büro der Genossenschaft, dem den ambulanten Bereich auszudehnen“, so neben vier Mitarbeiterinnen auch eine Buch- Dr. Gangolf Seitz. Also taten sich 2009 das halterin und Prokuristin angehört. „Diese Ar- stationäre St. Elisabeth-Hospiz, der Malte- beit ist immens wichtig, denn die Zahl der ser Hilfsdienst und die Johanniter zusam- Patientinnen hat sich stetig erhöht“, so Dr. men, um zunächst als GbR konzertiert die Gangolf Seitz. Gab es 2013 insgesamt 456 integrierte Versorgung der schwerstkranken Patient*innen, die vom Hospiznetz Marburg Patient*innen zu Hause zu übernehmen. Als betreut und versorgt wurden, ist deren Zahl dann der Bundestag im Sozialgesetzbuch ei- 2021 auf 607 angestiegen. nen zusätzlichen Paragrafen einführte, der Um die SAPV-Leistungen des Hospiz- Schwerstkranken den Anspruch auf SAPV zu- netzes in Anspruch nehmen zu können, sicherte, setzten ihn die Bundesländer unter- bedarf es immer einer Verordnung eines schiedlich um. In Hessen bildete sich schnell Haus-, Fach- oder Krankenhaus-Arztes oder eine Arbeitsgemeinschaft der verschiedenen einer -Ärztin. „Zu 80 Prozent behandeln wir Interessenten, die die Umsetzung und vor al- Krebskranke im weit fortgeschrittenen Sta- lem die finanzielle Ausstattung mit den Kran- dium, aber auch Lungen-, Herz- oder Nie- kenkassen verhandelte. „Das war für unser renkranke, die nur noch wenige Wochen bis Bundesland sehr hilfreich, denn wir haben Monate zu leben haben“, erläutert der Me- mittlerweile eine flächendeckende SAPV-Ver- diziner. Sie alle werden täglich kontaktiert, sorgung“, erzählt Dr. Gangolf Seitz. ein- bis zweimal in der Woche von den spe- Durch die Gesetzesänderung stellte sich ziell geschulten Fachkräften der Pflegediens- darauf die Frage: Wie wird das Team zusam- te besucht sowie je nach Bedarf von einem mengestellt und wie organisiert man sich Palliativ-Arzt oder einer -Ärztin. Dazu kommt am besten? Denn in Marburg – und dies die Notfallbereitschaft. „Manchmal reicht in „Wir ersetzen nicht die Arbeit des Haus- war eine Besonderheit – kamen die Akteure der Nacht oder am Wochenende eine tele- arztes oder die Tätigkeiten der Pflegediens- (Ärzt*innen und Pflegekräfte) vor allem aus fonische Beratung, ansonsten wird ein Arzt te, mit denen wir natürlich in engem Kontakt dem ambulanten Bereich. Drei der späteren oder eine Ärztin und/oder eine Pflegekraft stehen. Unsere Leistungen kommen qua- Genossen betrieben bereits einen ehren- losgeschickt, sodass jede*r die Sicherheit si on top“, berichtet Dr. Gangolf Seitz, Vor- amtlich besetzten ambulanten Hospizdienst. hat, dass ihm/ihr immer geholfen wird“, so stand der gemeinnützigen Genossenschaft Nach Prüfung der möglichen Formen der Zu- Dr. Gangolf Seitz. Hospiznetz Marburg geG. Deren Palliativ- sammenarbeit entschloss man sich zur Grün- Neben der umfassenden Versorgung Mediziner*innen sowie die Pflegefachkräfte dung einer gemeinnützigen Genossenschaft. der meist zeitgleich zirka 80 unheilbar Kran- mit der Zusatzweiterbildung Palliative-Care Ihr gehören heute zehn Akteure an – ken berät das Hospiznetz Marburg auch bei begleiten und entlasten im ländlich gepräg- neben einer Gruppe von spezialisierten der Erstellung einer Patientenverfügung oder ten Landkreis Marburg-Biedenkopf mit zirka Ärzt*innen auch das stationäre Hospiz in Vorsorgevollmacht und bietet zudem auch 250.000 Einwohner*innen unheilbar Kranke, Marburg sowie acht Pflegedienste aus dem Letzte-Hilfe-Kurse an. Hier erhalten vornehm- Sterbende sowie auch deren Angehörige in gesamten Landkreis. „Diese Art der genos- lich Angehörige wertvolle Ratschläge, wie sie der Zeit des Abschiednehmens. Und sie sor- senschaftlichen Zusammenarbeit läuft seit- sich im Umgang mit Sterbenden verhalten gen dafür, dass diese nicht alleine sein müs- her stabil und hat sich bewährt“, berichtet können oder erfahren, wo deren Bedürfnisse sen mit ihren Schmerzen, mit Ängsten und der 71-Jährige, der vor sieben Jahren nach liegen. „Unsere Zielgruppe sind jedoch alle Foto: Pixel-Shot/adobe.com Nöten. Dazu gehört auch eine Notfallbereit- 35 Jahren als Allgemeinmediziner aus sei- Menschen, denn wir verstehen diese Kurse schaft rund um die Uhr. „Wir sind beratende ner eigenen Praxis ausgestiegen ist und sich als Anregung, sich mit diesem wichtigen The- Stütze, die regional mit weiteren Einrichtun- schon lange als Palliativmediziner sowie seit ma zu beschäftigen“, rät Dr. Gangolf Seitz. gen und Hilfsorganisationen gut vernetzt ist“, 2013 als Vorstand der Hospiznetz Marburg Anja Scheve so der Vorstand. geG engagiert. 3-2022 | GENIAL | 25
Mehr als die rechte Hand E Selbstbestimmt leben zu können ist für viele Men- inen Beruf auszuüben, in Geschäf- schen mit Behinderung keine Selbstverständlichkeit. ten einzukaufen oder auf Reisen zu gehen: „Ohne Assistenz wäre Einige von ihnen jedoch wollten es zu einer machen mir all das nicht möglich“, sagt Ro- und gründeten 1994 die Hamburger AssistenzGenos- man Barth. Aufgrund einer Muskeldystro- senschaft, mit der sie ihre Hilfen seither gemeinsam phie sitzt er im Rollstuhl und ist auf Hilfe an- gewiesen. Diese leisten seine persönlichen organisieren. Assistenzgeber*innen, die bei der gemein- nützigen Hamburger AssistenzGenossen- schaft (HAG eG) angestellt sind. Das Beson- dere dabei: Der 36-Jährige ist seit fünf Jah- ren nicht nur Kunde der HAG eG, sondern seit 2020 zugleich auch deren geschäfts- führender Vorstand. Dieses Konstrukt klingt zunächst ungewöhnlich, war aber schon zu Gründungszeiten üblich. Schließlich ha- ben sich seinerzeit Menschen mit Behinde- rung die Möglichkeit geschaffen, ihre Versor- gung selber zu sichern – um somit ihr Leben selbstbestimmt führen, eigenständig gestal- ten und am gesellschaftlichen Leben teilha- ben zu können. Vorausgegangen war dem ein langer Weg. Entstanden ist die Idee der persönlichen Assistenz aus der sogenannten Krüppelbe- wegung sowie der Independent-Living-Be- wegung. Beide setzten sich seit den 1970er Jahren aktiv dafür ein, die soziale Benachtei- ligung von Menschen mit einer körperlichen Behinderung aufzuheben und für sie Chan- cengleichheit und vor allem Selbstbestim- mung in allen relevanten Lebensbereichen zu erreichen. „Es galt, das Pflegeparadigma umzukehren und nicht mehr durch die Pfle- ge diktiert zu bekommen, wie etwas wann zu sein hat, sondern selber darüber entschei- den zu können, wer, wann, wo und wie die verschiedensten Hilfeleistungen durchführt“, Fotos: Hamburger AssistenzGenossenschaft eG beschreibt es Roman Barth. Lebten damals noch die meisten Betroffenen in Heimen, er- öffnete die Schaffung von persönlichen As- sistenzen vielen von ihnen ganz neue Mög- lichkeiten und Lebensperspektiven. Ein Team um Gerlef Gleiss, der auch die Beratungsstelle von Autonom Leben e.V. ge- gründet hat, und Jörg Hampel verhandelte und schloss letztendlich 1994 mit der Ham- burger Sozialbehörde die Leistungsbeschrei- bung der persönlichen Assistenz ab. Damit 26 | GENIAL | 3-2022
Sie können auch lesen