Bewegte Schule als Chance einer Förderung der Lern- und Leistungsfähigkeit
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Theorie Sigrid Dordel - Dieter Breithecker Bewegte Schule als Chance einer Förderung der Lern- und Leistungsfähigkeit Einleitung verlangt wird, da häufig körperliche Schulleben fest verankert sein Inaktivität – Stillsitzen – als Vor- muss. Die Idee einer bewegten Anlass für die Entwicklung des aussetzung für konzentriertes Ler- Schule von Illi (1995) hat inzwi- Konzepts einer bewegten Schule ist nen angesehen und gefordert wird. schen breite Akzeptanz gefunden Mitte der 80er Jahre die Wahr- und wird an vielen Schulen – auch nehmung einer „erschreckende(n) Schon im Grundschulalter äußert unter anderen Bezeichnungen – Zunahme der Rückenbeschwerden sich Schulstress durch vielfältige verwirklicht. bei Kindern und Jugendlichen in körperliche Beschwerden (vgl. den Schulen“ (Illi 1995, 404). Da- Brinkhoff 1996). In einer bundes- mit wird erneut - wie schon als Im- weit angelegten repräsentativen Bausteine der bewegten Schule puls für die Entwicklung der medi- Studie finden Bös, Opper, Woll (2002) bei 40 bis 70 % aller befrag- Bei der Realisierung des Konzepts zinischen Gymnastik (Mitte des 18. ten Grundschüler (n = 1.442) psy- einer bewegten Schule werden Jahrhunderts) und für die Einfüh- chosomatisch bedingte Befindlich- durchaus unterschiedliche Akzente rung des orthopädischen Schultur- keitsstörungen (Kopf-, Rücken-, gesetzt. Als wichtigste Bestandteile nens (Anfang des 20. Jahrhunderts) Bauch-/Magenschmerzen, Konzen- kristallisieren sich jedoch neben als Vorläufer des heutigen Sport- trationsschwierigkeiten, Schlafstö- dem Schulsport mit dem Sportun- förderunterrichts (vgl. Dordel 2003) rungen). Mit Ausnahme der Schlaf- terricht und den vielfältigen Facet- – die Aufmerksamkeit auf die hohe störungen nimmt die Häufigkeit ten des außerunterrichtlichen Sports Beanspruchung von Kindern durch dieser Beschwerden mit steigendem vor allem die folgenden Bausteine lang andauerndes Sitzen in und an Alter – von den Erst- bis zu den heraus (Balz 1999; Breithecker 1998; nicht körpergerecht gestaltetem und Viertklässlern – zu. Klupsch-Sahlmann 1999; Kottmann, nicht der Körpergröße und den In welchem Maße die Schule (Mit-) Küpper, Pack 1997; Laging 2000; Körperproportionen angepasstem Verantwortung für das Auftreten Lütgeharm 1999; Regensburger Pro- Mobiliar gelenkt. psychosomatischer Auffälligkeiten jektgruppe 1999; u. a.): Auswirkungen dieser Überlastung und Fehlbelastung des Haltungs- des einzelnen Kindes trägt, ist nicht • Bewegtes Sitzen mit und Bewegungsapparates von Schul- zu klären. Wenn sie aber Kindern unter Berücksichtigung ihrer je- − der Vermittlung von Kennt- kindern auch auf Gesundheit und nissen über grundlegende bio- Wohlbefinden in höherem Lebens- weils individuellen Lebensbedin- gungen einen „Lebens-, Lern- und logische Zusammenhänge so- alter sind nicht eindeutig zu bele- wie über Anforderungen an ei- gen, gelten aber als sehr wahr- Erfahrungsraum“ bieten will, in dem Kinder sich wohl fühlen und „in ei- ne ergonomische Arbeitsplatz- scheinlich (vgl. Bös 1999). Spezifi- gestaltung, auch die Möglich- sche Maßnahmen der Verhaltens- ner freien und befreienden Atmo- sphäre lernen können“ (MSWWF keit der Nutzung von Hilfsmit- und der Verhältnisprävention in der teln (Keilkissen, Pultaufsatz, Schule werden daher mit großer NRW 1999, X), schließt dieses die Sorge um eine ungestörte psycho- u. a.), Dringlichkeit von allen Seiten ge- fordert. physische Befindlichkeit der Kin- − Bewusstmachung und Förde- der ein. rung eines ‚bewegten‘, aktiv- Hinzu kommen Hinweise auf eine dynamischen Sitzens im Un- erhebliche psycho-physische Belas- Umfangreiche und vielfältige Wahr- terricht, auch mit der Erlaub- tung, der Kinder in der Schule aus- nehmungs- und Bewegungserfah- nis einer alternativen Nutzung gesetzt sind, wenn ihnen zusätzlich rungen stellen einen unverzichtba- des herkömmlichen Mobiliars zu den ergonomisch ungünstig ge- ren Bestandteil der Entwicklung und Wechsels der Sitzgele- stalteten Arbeitsplätzen ein wenig von Kindern dar. Deshalb steht genheiten usw.; kindgemäßes Arbeitsverhalten ab- außer Frage, dass Bewegung im − dabei wird auch auf eine den Haltung und Bewegung 23 (2003) 2 5
Theorie aktuellen Erfordernissen ent- Funktionsräumen (Spielzone, Ru- • Im Bereich motorischer Leis- sprechende (Um-) Gestaltung hezone, etc.) und mit – verschie- tungsfähigkeit kommt es vor al- der Anordnung von Tischen dene Altersstufen und Interessen lem zu Steigerungen der Bewe- und Stühlen geachtet. – ansprechenden Geräten und gungskoordination; teilweise wer- • Bewegtes Lernen ist ein aktiv Materialien. Bewegungsaktivitä- den auch Verbesserungen der handelndes Lernen, ein Lernen ten müssen erlaubt, eindeutig Haltungsleistungsfähigkeit und mit allen Sinnen, geregelt, gegebenenfalls betreut ein Anstieg der Muskelkraft ge- werden. funden. − bei dem zum Beispiel Zahlen, Buchstaben, Begriffe von ein- • Im kognitiven Bereich lassen Für alle Bausteine der bewegten sich Verbesserungen im Hin- zelnen Kindern oder in Klein- Schule gilt die Forderung nach ei- gruppen dargestellt oder mit blick auf die konzentrative Leis- nem fächerübergreifenden Einsatz tungsfähigkeit nachweisen. verschiedenen Materialien her- bzw. einer fächerübergreifenden gestellt und erprobt werden, • Hinzu kommt ein deutlicher Zu- Bearbeitung. Alle Bausteine müs- − Aufgaben nur in Kombination gewinn an sozialer Kompetenz sen auch von den Lehrern ernst ge- mit Bewegungsaktivitäten ent- (Kontaktfähigkeit, gegenseitige nommen und von ihnen selbst ver- gegengenommen, gelöst und / Akzeptanz und Integration, Ab- wirklicht werden; nach Möglichkeit oder kontrolliert werden kön- nahme von Aggressionen). sollten auch die Eltern und Ge- nen (Laufdiktat, Rechengym- schwister der Schüler mit dem • Die Selbstständigkeit der Kinder nastik, u. a.). Konzept vertraut gemacht und ein- nimmt zu. − Im Rahmen von Projektunter- bezogen werden. • Eine Unterstützung der Entwick- richt werden komplexe Frage- lung eines positiven Selbstkon- stellungen praktisch handelnd zepts deutet sich an. erarbeitet. • Die aktuelle Befindlichkeit wird • Bewegungspausen im Unter- Effekte einer bewegten Schule positiv beeinflusst. richt werden zeitlich flexibel • Positive Tendenzen ergeben sich Als Begründung für die bewegte schließlich auch allgemein bei und situativ angemessen zur Ak- Schule steht zunächst das Anliegen der Einschätzung von Schulzu- tivierung, Beruhigung oder Ent- der Gesundheitsförderung mit prä- friedenheit und Lernfreude der spannung eingesetzt; mit der Ziel- ventiven und kompensatorischen Kinder. setzung einer Rhythmisierung Aspekten, mit Maßnahmen der des Unterrichts kommen neben Verhältnis- und der Verhaltensprä- Bewegungsaktivitäten Stille-Ü- bungen und Aufgaben zur Förde- vention im Vordergrund. Darüber Steigerung der Lern- und Leis- hinaus ist die bewegte Schule aber tungsfähigkeit in einer bewegten rung der Entspannung zum Ein- auch unter einer allgemein entwick- Schule satz. Die Kinder sollten für die lungsfördernden sowie einer sozio- Notwendigkeit von Bewegungs- ökologischen Perspektive zu be- Zusammenhänge zwischen Motorik pausen sensibilisiert, mit mögli- trachten. Im Mittelpunkt des Inte- und Kognition bzw. Schulerfolg/aka- chen Inhalten vertraut gemacht resses und der Erwartungen von El- demischem Lernen werden seit lan- und zu deren selbstständiger tern und Lehrern steht jedoch viel- gem diskutiert und finden auch in Gestaltung befähigt werden. fach die Förderung der Lern- und jüngerer Zeit wieder verstärkt Leistungsfähigkeit und des Schuler- Aufmerksamkeit (vgl. Daley, Ryan Organisatorisch sind geeignete folgs der Kinder (vgl. Dordel 2000; Etnier u. a. 1997; Sallis u. a. Materialien bereitzuhalten; au- 2003). 1999; Shephard 1997). Im Vorder- ßerdem muss entschieden wer- grund der Diskussionen stehen so- den, welche Räume genutzt wer- Eine umfassende Überprüfung der wohl entwicklungspsychologische den können, ohne andere Klas- Auswirkungen einer bewegten als auch biologische bzw. neuro- sen zu stören. Schule im Verlauf der Grundschul- physiologische Aspekte. zeit legen Müller und Petzold • Die bewegte Pause bezieht sich (2002) vor. Diese wie auch die Ar- auf die Bewegungsaktivität auf beiten von Breithecker (1988), Entwicklungspsychologische Aspekte dem Schulhof. Voraussetzung Dordel (2000), Gröbert, Kleine und hierfür ist eine anregende, auch Podlich (2002) sowie Kahl (1993) Kinder - zumindest jüngere Kinder variable Gestaltung des Schul- weisen auf vielfältige positive Ef- – sammeln handelnd Erfahrungen geländes mit unterschiedlichen fekte hin: und erwerben Kenntnisse durch ak- 6 Haltung und Bewegung 23 (2003) 2
Theorie tives Be-greifen und Er-fassen; er- keit einer Rückenschule (‚Sitzschu- Hoffnung auf Erfolg die Leistungs- folgreiches Lernen bedeutet Lernen le‘) in der Schule (Regelschule, motivation der Kinder (Karch, mit allen Sinnen, Lernen mit Kopf, 1./2. sowie 5./6. Schuljahr) zeigen Schellenschmidt, Feike 1989). Herz und Hand. Auf der Grundlage sich überwiegend hoch signifikante des Postulats einer 'sensomotori- Verbesserungen konzentrativer Leis- schen Intelligenz' von Piaget stellt tungsfähigkeit (vgl. Klavis 1997; sich die Frage, inwiefern durch ge- May 1999; Rausch 1995; Schulz Biologische Aspekte zielte motorische Förderung, aber 1995; Stapf 1996). Ebenso finden auch allgemein durch mehr Bewe- Kahl (1993) und Müller (2000) eine Neurophysiologische Begründun- gung im Lebensraum Schule kogni- deutlich gesteigerte Konzentrati- gen für die Zusammenhänge zwi- tive Funktionen zu fördern sind onsleistung infolge einer konse- schen Motorik und Kognition bzw. bzw. der Schulerfolg unterstützt quenten Umsetzung des Konzepts den Einfluss von Bewegung und und gesteigert werden kann. der bewegten Schule in der Regel- Sport auf kognitive Funktionen, die schule. erst aufgrund moderner bildgeben- Ein Zusammenhang zwischen Mo- Etnier u. a. (1997) bestätigen nach der Verfahren gegeben werden torik und Intelligenz gilt zwar bei der Sichtung von fast 200 Studien können, beziehen sich überwiegend einem niedrigen Entwicklungsni- zur Wirkung von körperlicher Leis- auf den erwachsenen Organismus veau – bei sehr jungen Kindern und tungsfähigkeit und Training auf (vgl. Hollmann, Löllgen 2002; Roth bei geistig Behinderten – als sicher, kognitive Funktionen, dass die Er- 1999a, b; Seitz 2001). Bei entspre- vom Schulalter an aber als unwahr- gebnisse uneinheitlich sind. Eine chenden Untersuchungen mit Kin- scheinlich (Eggert 1994; vgl. Fol- Meta-Analyse relevanter Arbeiten dern steht in der Regel das Interesse kins, Sime 1981). Graf u. a. (2003) (134) dokumentiert jedoch einen an den Auffälligkeiten von Kindern können jedoch auch bei Erstkläss- nur geringen positiven Einfluss von mit Aufmerksamkeitsstörungen im lern (n = 668) einen signifikanten Bewegungstraining auf die Kogni- Mittelpunkt (vgl. v. Lüpke 2001; Zusammenhang zwischen der Ge- tion (vgl. Sallis u. a. 1999; Shep- Trott 2000). samtkörperkoordination und kon- hard 1997). Generell ist aber davon auszuge- zentrativer Leistungsfähigkeit nach- hen, dass Bewegung als Katalysator weisen. Auch wenn Einflüsse auf kognitive der gesamten Entwicklung eines Funktionen nicht sicher nachzuwei- Kindes wirkt; dieses gilt um so Kontrovers erfolgt auch die Dis- sen sind, stellt sich häufig im Zu- mehr, je jünger ein Kind ist. Der kussion der Wirksamkeit motori- sammenhang mit einer gezielten natürliche Bewegungsdrang, der scher Förderung: So halten Kromb- motorischen Förderung eine Steige- auf das biologisch bedingte Über- holz (1985; 1988; 1989) und Eg- rung des Schulerfolgs ein. Dieses wiegen zentralnervöser Erregungs- gert, Lütje (1991) nach der Sich- lässt sich prozesse im Kindesalter zurückzu- tung zahlreicher Untersuchungen führen ist, trägt auch zur Differen- zur Effizienz perzeptiv-motorischer • auf eine größere Schulzufrie- zierung und Synaptogenese als we- und psychomotorischer Förderpro- denheit, sentlichen Prozessen der Entwick- gramme sowie eigener empirischer • eine erhöhte Leistungsbereit- lung des Zentralnervensystems bzw. Arbeiten einen direkten Transfer schaft der Kinder im Zusam- zur Sicherung von Entwicklungs- von motorischem Lernen auf kog- menhang mit fortschritten bei (Dordel 2003; nitives Lernen im Schulalter für − einem gestärkten Selbstver- Schädle-Schaardt 2000); in Tier- unwahrscheinlich. Demgegenüber trauen und versuchen werden entsprechende weisen zum Beispiel Schuck und Veränderungen in für Gedächtnis − größerer Frustrationstoleranz und Lernen verantwortlichen Hirn- Adden (1972) bei 7-Jährigen (lern- wie auch mit strukturen infolge von Bewegungs- behinderte Sonderschüler), Euni- cke-Morell (1989) bei 10-/11-Jäh- − einer besseren Integration in training bzw. motorischem Lernen rigen (lernbehinderte Sonderschü- die Gleichaltrigengruppe auf- nachgewiesen (vgl. Black u. a. ler), Beudels (1996) bei Schulkin- grund zunehmender Sicher- 1990; Praag u. a. 1999). dergartenkindern und Fritz (1997) heit im Sozialverhalten zu- bei entwicklungsverzögerten Erst- rückführen (vgl. Eggert, Schuck, Bewegungsaktivität fördert allge- klässlern (hoch-)signifikante Effek- Wieland 1975). mein die globale, aber auch die re- te gezielter motorischer Interventi- Auch die Eltern und Lehrer unter- gionale Durchblutung im Gehirn on auf kognitive Funktionen nach. stützen möglicherweise mit einer und regt den Stoffwechsel an; sie positiven Einstellung zu der moto- nimmt außerdem Einfluss auf die In eigenen Studien zur Wirksam- rischen Förderung im Sinne einer Aktivität der Neurotransmitter. Durch Haltung und Bewegung 23 (2003) 2 7
Theorie ativen Bedingungen gelenkt wer- den: Die so gebundene Aufmerk- samkeit kann nicht auf den aktuel- len Lerngegenstand gerichtet wer- den. Auf einen spezifischen Aspekt der Bewegungsförderung weist Denni- son (1994) hin: ‚Brain Gym‘ soll zu einer stärkeren Verknüpfung der rechten und der linken Hirnhälfte beitragen, um so vorhandene Lern- blockaden zu lösen und den Lerner- folg zu optimieren (Buchner 1998; Kroneberg, Förder 1999; Meyen- burg 1996). Abb. 1: Kreislauf zwischen Verhalten/Bewegung, Wahrnehmung, Bewertung, Gedächtnis und Aufmerksamkeit (n. Roth 1999a). Eigene Untersuchung Bewegung werden hormonelle und Aufmerksamkeit ist nach Roth immunologische Prozesse beein- (1999b, 1959) „an eine hinreichend Methodik flusst, die zum Abbau von Stress hohe lokale neuronale Aktivität im und zu einer Steigerung des psychi- Gehirn gebunden, die durch drei Um einen Beitrag zur Klärung der schen und mentalen Wohlbefindens Faktoren bedingt ist: sensorische Frage nach dem Einfluss des Kon- führen können (vgl. Hollmann, Aktivierung ..., hinreichende Akti- zepts der bewegten Schule auf die Löllgen 2002; Fischer, Dickreiter, vierung durch die retikuläre Forma- Lern- und Leistungsfähigkeit von Mosmann 1998). tion, ... und eine genügend hohe lo- Kindern zu leisten, wurde der Auf- Bewegung stimuliert auch neurona- kale Stoffwechselaktivität aufgrund merksamkeits-Belastungs-Test le Zentren, die nicht direkt an der ausreichender Versorgung mit Sau- (Test d2) von Brickenkamp (2002) Steuerung und Regelung der Moto- erstoff und Glukose, die wiederum – ein einfacher Durchstreichtest – rik beteiligt sind (vgl. Birbaumer, von einem hinreichenden lokalen durchgeführt. Der Test d2 ist ein Schmidt 1999; Schädle-Schardt Blutkreislauf ermöglicht wird“. häufig eingesetztes, testtheoretisch 2000; Seitz 2001), und trägt damit Insbesondere durch propriozeptive gut abgesichertes psychodiagnosti- grundsätzlich zur Entwicklung des Reize – Veränderungen der Mus- sches Verfahren, das als nicht ü- Nervensystems bei. So weist Seitz kelspannung und der Stellung der bungsabhängig gilt. (2001, 348) darauf hin, dass „das Gelenke – kann über das aufstei- Kleinhirn des Menschen eine Rolle gende reticulär aktivierende System Der Test d2 gehört zu den allge- beim Lernen sowohl motorischer (ARAS) ein angemessenes Aktivie- meinen Leistungstests; er „verlangt Fertigkeiten als auch kognitiver rungsniveau herbeigeführt (vgl. Bir- ... eine auf externe visuelle Reize Leistungen spielt“. Roth (1999a, baumer, Schmidt 1999; Schoberth bezogene Konzentrationsleistung. 241) postuliert einen „Kreislauf zwi- 1989) und dadurch Aufmerksam- Ihr Zustandekommen lässt sich auf schen Verhalten, Wahrnehmung, keit und Lernen gefördert werden. die individuelle Koordination von Bewertung, Gedächtnis, Aufmerk- Inaktivität wie zum Beispiel länge- Antriebs- und Kontrollfunktionen samkeit und Wahrnehmung“ und res Stillsitzen hat dagegen eine zurückführen“ (Brickenkamp 2002, entsprechenden zentralnervösen Pro- Herabsetzung des allgemeinen Ak- 6). Die Antriebsfunktion ist über zessen (s. Abb. 1); Wahrnehmung tivierungsniveaus zur Folge, führt die Quantität des in der vorgegebe- und Verhalten, das hier mit motori- zu Müdigkeit und reduzierter Auf- nen Zeit bearbeiteten Materials, al- schem Handeln gleichgesetzt wird, merksamkeits- und Lernleistung. so das Arbeitstempo zu erfassen; stehen damit in enger Wechselwir- Hinzu kommt das Bemühen um die Kontrollfunktion ergibt sich aus kung zu den - unbewussten - Vor- möglichst ruhiges Sitzen, wenn die- der Qualität der Arbeit, der Genau- gängen der Bewertung, dem Ge- ses im Unterricht verlangt wird; bei igkeit, mit der gearbeitet wird bzw. dächtnis und der Aufmerksamkeit, zunehmendem Bewegungsdrang der Anzahl der Fehler. Außerdem die als wesentliche Bestandteile muss dann immer mehr Aufmerk- gibt das Arbeitsverhalten im zeitli- kognitiver Prozesse gelten. samkeit auf das Sitzen und die situ- chen Verlauf (z. B. Konstanz, In- 8 Haltung und Bewegung 23 (2003) 2
Theorie stabilität, u. a.) Auf- GZ F GZ-F KL schluss über die Kon- trollfunktion. 1. Stunde In die Auswertung der Î Klasse A 353,61 ± 30,07 12,81 ± 16,48 340,76 ± 33,20 135,47 ± 20,13 vorliegenden Studie Î Klasse B 397,05 ± 65,21 11,83 ± 8,73 385,22 ± 67,18 155,72 ± 30,80 werden folgende Mess- Î Klasse C 415,17 ± 47,50 17,47 ± 17,44 397,70 ± 48,32 156,76 ± 24,61 werte aufgenommen: 3. Stunde • die Gesamtzahl al- Î Klasse A 353,33 ±49,86 23,90 ± 30,91 328,90 ± 30,95 125,90 ± 17,30 ler bearbeiteten Î Klasse B 419,55 ± 64,94 10,27 ± 14,17 409,27 ± 70,37 166,55 ± 36,59 Zeichen (GZ) als Î Klasse C 558,76 ± 35,28 16,64 ± 11,02 543,29 ± 34,05 225,78 ± 17,78 Kriterium des Be- 5. Stunde arbeitungstempos; Î Klasse A 259,47 ± 84,78 25,95 ± 40,33 233,52 ± 61,67 82,95 ± 31,44 • der Fehlerrohwert Î Klasse B 435,27 ± 78,99 11,83 ± 14,42 423,50 ± 82,07 173,83 ± 42,87 (F), die Summe al- Î Klasse C 575,05 ± 36,89 15,41 ± 12,09 559,52 ± 35,98 237,82 ± 18,69 ler Fehler (sowohl Auslassungs- als Tab. 1: Ergebnisse des Aufmerksamkeits-Belastungs-Tests (Test d2) der drei Schulklassen im auch Verwechs- Verlauf eines Schulvormittags: Rohwerte (Mittelwerte ± SD) der Gesamtzahl bearbeite- lungsfehler) als ter Zeichen (GZ), der Fehlerzahl (F), der Gesamtleistung (GZ-F) und des Konzentrati- Kriterium für die onsleistungswertes (KL). Genauigkeit der Arbeit; • die um die Fehlerzahl reduzierte Schule/Klasse üblichen Anteil an Ergebnisse Gesamtzahl aller bearbeiteten Bewegung: Zeichen (GZ-F) als Gesamtleis- • Klasse A (n = 21) erhält ‚norma- Die Ergebnisse des Aufmerksam- tung; hierbei wird der quantita- len‘ Unterricht, in dem der Be- keits-Belastungs-Test (Test d2) fasst tive Anteil stärker gewichtet als wegung kein besonderer Stel- Tabelle 1 zusammen. In Tabelle 2 der qualitative Aspekt der Leis- lenwert zugemessen wird. erfolgt eine Einstufung der Gesamt- tung; leistung (GZ-F) und des Kon- Klasse B und C besuchen eine zentrationsleistungswertes (KL) in • der Konzentrationsleistungswert Schule, die das Konzept einer be- Prozentränge (PR) und Standard- (KL), der aus der um die Zahl wegten Schule vertritt: werte (SW) anhand der Normenta- der Verwechslungsfehler redu- bellen (Eichstichprobe 2000, vgl. • In Klasse B (n = 18) liegt der zierten Anzahl der richtig durch- Brickenkamp 2002). Schwerpunkt auf einer Unter- gestrichenen relevanten Zeichen stützung vielfältiger und inten- besteht; hier spielt der qualitati- In der ersten Schulstunde unter- siver Nutzung von Bewegungs- ve Leistungsaspekt eine größere scheidet sich Klasse A (keine be- aktivitäten auf dem Pausenhof. Rolle als bei der Gesamtleistung. wegte Schule) von den Klassen B • In Klasse C (n = 17) erfahren zu- und C durch einen etwas schlechte- Die Rohwerte werden anhand der sätzlich zu den Pausenhofaktivi- ren Ausgangswert im Arbeitstempo Normentabellen (Deutsche Eich- täten (aktive Pause) Bewe- (GZ). In Klasse C findet sich im stichprobe) in Prozentränge (PR) gungspausen im Klassenunter- Mittel die größte Anzahl der bear- und Standardwerte (SW; M = 100, SD richt bzw. generell bewegtes Ler- beiteten Zeichen, aber auch die = 10) umgeformt. Normen liegen für nen besondere Betonung. Die höchste Fehlerzahl. Werden die Kinder ab 9 Jahren vor (Normie- Unterstützung von Bewegungs- Gesamtleistung (GZ-F) und der rung jeweils für zwei Lebensjahre, aktivität kennzeichnet das ge- Konzentrationsleistungswert (KL) keine Differenzierung nach Ge- samte Schulleben dieser Klasse. berechnet, nähern sich beide Grup- schlecht). Lernen findet als bewegtes Ler- pen (B, C) in ihren Testwerten nen in Klassenräumen statt, die weitgehend an. Der Test d2 wurde im Juni 2002 in mit ergonomischem Mobiliar Alle drei Klassen zeigen in der ers- drei dritten Klassen verschiedener ausgestattet sind. Die Kinder ten Schulstunde überdurchschnittli- Grundschulen durchgeführt, jeweils sind seit dem ersten Schuljahr che Aufmerksamkeitsleistungen in der ersten, der dritten und der an dynamisches Sitzen bzw. fle- (Tab. 2). fünften Schulstunde. xibles Nutzen unterschiedlicher Die drei Schulklassen unterschei- Arbeitshaltungen und verschie- In der dritten Schulstunde bleibt den sich im Hinblick auf den in der dener Arbeitsplätze gewöhnt. das Arbeitstempo der Klasse A Haltung und Bewegung 23 (2003) 2 9
Theorie gleich, aber die Fehlerzahl steigt, GZ-F KL sodass sich die Aufmerksamkeits- RW PR SW RW PR SW leistung in ihrer Qualität als leicht 1. Stunde reduziert darstellt, aber insgesamt Î Klasse A (n=19) 343,15 92 114 138,42 90 113 immer noch im oberen Bereich Î Klasse B (n=18) 385,22 99 122 155,72 98 121 durchschnittlicher Leistungsfähig- Î Klasse C (n=17) 397,70 99 125 156,76 99 122 keit liegt (GZ-F: PR 84, SW 110; 3. Stunde KL: PR 82, SW 109). Î Klasse A (n=19) 327,73 84 110 128,05 82 109 In Klasse B lassen sich dagegen ei- Î Klasse B (n=18) 409,27 >99 127 166,55 >99 126 ne leichte Steigerung des Arbeits- Î Klasse C (n=17) 543,29 >99 >130 225,78 >99 >130 tempos sowie ein geringer Rück- 5. Stunde gang der Fehlerzahl feststellen, Î Klasse A (n=19) 227,73 13 89 84,21 13 89 während Klasse C einen deutlichen Î Klasse B (n=18) 423,50 >99 130 173,83 >99 130 Anstieg des Arbeitstempos bei ei- Î Klasse C (n=17) 559,52 >99 >130 237,82 >99 >130 nem geringen Rückgang der Feh- lerzahl zeigt. In beiden Klassen Tab. 2: Einstufung der Gesamtleistung (GZ-F) und des Konzentrationsleistungs- wird die Aufmerksamkeitsleistung wertes (KL) in Prozentränge (PR) und Standardwerte (SW; M=100, als weit überdurchschnittlich einge- SD=10) anhand der Eichstichprobe 2000 (vgl. Brickenkamp 2002). stuft (Tab. 2). In Klasse A werden hier nur die Ergebnisse von 19 Probanden gewertet; zwei über 11-Jährige bleiben unberücksichtigt. In der fünften Schulstunde ergibt sich ein erheblicher Abfall der denselben Wert wie in der ersten merksamkeitsleistung der drei Klas- Leistung von Klasse A mit einer Stunde. In Klasse C kommt es zu sen im Verlauf des Schulvormit- deutlichen Verringerung des Ar- einer weiteren leichten Abnahme tags, die bezüglich der Gesamtleis- beitstempos und einer leichten Zu- der Fehlerzahl, so dass sich hier im tung (Abb. 2a) und des Konzentra- nahme der Fehlerzahl. Die Auf- Verlauf des Schulvormittags eine tionsleistungswertes (Abb. 2b) einen merksamkeitsleistung wird nun als Steigerung sowohl der Quantität als nahezu identischen Verlauf haben. unterdurchschnittlich bewertet (GZ-F auch der Qualität der Arbeit zeigt. Die Abbildungen bringen die Leis- und KL: PR 13, SW 89). Beide Klassen sind in ihrer Auf- tungsunterschiede zwischen den Klasse B und C können demgegen- merksamkeitsleistung als weit über- Klassen B und C deutlicher zum über erneut ihr Arbeitstempo stei- durchschnittlich zu bewerten. Ausdruck, als dieses durch die Pro- gern. Die Fehlerzahl erhöht sich in Abbildung 2a und 2b veranschauli- zentrangplätze bzw. die Standard- Klasse B geringfügig; sie erreicht chen die Veränderungen der Auf- werte gelingt (Tab. 2). Abbildung 3 1. Stunde 3. Stunde 5. Stunde GZ-F KL GZ-F KL GZ-F KL Klasse A - B p < 0,05 p < 0,05 p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 Klasse A - C p < 0,01 --- p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 Klasse B - C --- --- p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 Tab. 3a: Vergleich der Aufmerksamkeitsleistung (Gesamtleistung GZ-F und Konzentrationsleistungswert KL) in den einzelnen Klassen während der unterschiedlichen Zeitpunkte. Klasse A Klasse B Klasse C GZ-F KL GZ-F KL GZ-F KL 1. - 3 Stunde --- --- --- p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 3. - 5. Stunde p < 0,01 p < 0,01 --- --- --- p < 0,05 1. - 5. Stunde p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 p < 0,01 Tab. 3b: Vergleich der Aufmerksamkeitsleistung (Gesamtleistung GZ-F und Konzentrationsleistungswert KL) während der unterschiedlichen Zeitpunkte in den einzelnen Klassen. 10 Haltung und Bewegung 23 (2003) 2
Theorie Konzentrationleistungswert (KL). GZ-F (RW) gge Bei der Prüfung der Gesamtzahl al- 600 ler bearbeiteten Zeichen (GZ) fin- den sich dieselben Ergebnisse wie 500 bei der Gesamtleistung (GZ-F; vgl. Tab. 3a, b); bezüglich der Summe 400 aller Fehler zeigt lediglich Gruppe A signifikante Unterschiede (p < 300 0,01) zwischen den Zeitpunkten 2 und 3 sowie 1 und 3, also zwischen der dritten und der fünften sowie 200 der ersten und der fünften Unter- Klasse A richtsstunde. 100 Klasse B Klasse C 0 1. Stunde 3. Stunde 5. Stunde Diskussion Aufmerksamkeit und Konzentration Abb. 2a: Gesamtleistung (GZ-F) im Aufmerksamkeits-Belastunggstest (Test d2) - sind wie die Wahrnehmung, das Veränderungen im Verlauf eines Schulvormittags. Gedächtnis, die Sprache sowie die Fähigkeit zur Planung, Entschei- dung und Problemlösung wichtige Teilaspekte der Kognition. Die Be- KL (RW) 250 griffe Aufmerksamkeit und Kon- zentration werden vielfach syno- 200 nym gebraucht. Werden sie unter- schieden, ist Aufmerksamkeit als Zuwendung, als gerichtete, selekti- 150 ve Wahrnehmung zu verstehen: In- formationen müssen „aufgesucht, entdeckt, verglichen, bewertet und 100 voneinander unterschieden werden“ (Gabler 2000, 179). Konzentration Klasse A dagegen gilt als gesteigerte, inten- 50 Klasse B sivierte Form der Aufmerksamkeit, Klasse C die mit Denkprozessen einhergeht: 0 Sie erfordert – stärker als die Auf- 1. Stunde 3. Stunde 5. Stunde merksamkeit – eine gezielte Hin- wendung zu bestimmten Reizen; diese müssen in kognitive Struktu- Abb. 2b: Konzentrationsleistungswert (KL) im Aufmerksamkeits-Belastungstest ren integriert und verarbeitet wer- (Test d2) – Veränderungen im Verlauf eines Schulvormittags. den. Konzentriertes Arbeiten wird als anstrengend erlebt. (s. S. 12) zeigt die Bewertung der Die statistische Analyse (zweifak- Bereitschaft und Fähigkeit, die Aufmerksamkeitsleistung anhand torielle Varianzanalyse) zeigt hoch Aufmerksamkeit auf den Lernge- der aktuellen Normierung (Bri- signifikante Unterschiede (p < 0,001) genstand zu lenken, werden als we- ckenkamp 2002), die für die quanti- zwischen den drei Gruppen und den sentliche Grundlage für den Lerner- tative und die qualitative Leistung drei Untersuchungszeitpunkten. folg angenommen; diese sollten gleichermaßen gilt. Um die Unter- Eine differenzierte Betrachtung der während eines Schultages mög- schiede zwischen Klasse B und C Unterschiede zwischen den drei lichst erhalten bleiben bzw. durch zu dokumentieren, wird hier eine Gruppen bzw. den drei Zeitpunkten Rhythmisierung des Schullebens Klasse außerordentlich hoher Leis- zeigen Tabelle 3a und 3b für die immer wieder hergestellt werden tung hinzugefügt. Gesamtleistung (GZ-F) und für den können. Die vorliegende Studie Haltung und Bewegung 23 (2003) 2 11
Theorie versucht, mit der Überprüfung der Aufmerksamkeit im Verlauf eines 6 Schulvormittages bei drei unter- schiedlichen Klassen einen Beitrag 5 zu der Frage nach der Bedeutung der Bewegung für den Erhalt der 4 Aufmerksamkeit und damit für die Klasse A Lernfähigkeit der Kinder zu leisten. 3 Klasse B Klasse C Die Ergebnisse dürfen nicht über- 2 bewertet werden, da die Stichprobe relativ klein ist, die Erhebung je- 1 weils nur an einem Tag erfolgt und andere Variablen nicht einbezogen 0 werden. Dennoch lässt sich in Über- 1. Stunde 2. Stunde 3. Stunde einstimmung mit Kahl (1993) und Müller (2000; vgl. Müller, Petzold Abb. 3: Wertung der Aufmerksamkeitsleistung anhand der Normierung des Tests 2002) eine Wirkung der Bewe- d2 Brickenkamp 2002): 2 = unterdurchschnittlich, 3 = durchschnittlich, gungsaktivität im Schulleben auf 4 = überdurchschnittlich, 5 = weit überdurchschnittlich, 6 = weit über- die Aufmerksamkeitsleistung von durchschnittlich, außerhalb des durch die Normierung erfassten Bereiches. Kindern nachweisen und ein ein- deutiges Plädoyer für eine konse- quente Durchführung des Konzepts • In Klasse C, in der das Konzept dagegen, dass die Kinder in einer der bewegten Schule ableiten (vgl. der bewegten Schule mit allen bewegten Schule gegenüber einer Abb. 2a, b): Facetten, besonders auch im Kontrollgruppe schneller arbeiten, Sinne der Ausstattung mit ergo- „ohne dass die Sorgfalt darunter nomischen Arbeitsplätzen und leidet“, die Genauigkeit, mit der • Die Klasse, deren Schulleben der Betonung entsprechenden gearbeitet wird, also keine signifi- kaum Bewegung zulässt bzw. Arbeitsverhaltens umgesetzt wird, kante Steigerung erfährt (vgl. Mül- Bewegungaktivitäten nicht un- lassen sich nahezu zu allen Mess- ler, Petzold 2002). terstützt (A), zeigt schon in der zeitpunkten signifikante Stei- dritten Schulstunde eine leichte gerungen der Aufmerksamkeits- Mit Ausnahme des ersten Mess- Reduzierung der Aufmerksam- leistung dokumentieren. Ledig- zeitpunktes unterscheiden sich alle keit im Vergleich zur ersten lich im Vergleich der dritten und Gruppen signifikant voneinander. Stunde; in der fünften Stunde fünften Unterrichtsstunde ergibt Die höchsten Leistungswerte ver- nimmt die Leistung im Ver- sich nur eine schwach signi- zeichnet durchgehend die Klasse C. gleich zu den beiden anderen fikante Verbesserung des Kon- Schon zum ersten Zeitpunkt, in der Testzeitpunkten signifikant ab. zentrationsleistungswertes (KL). ersten Unterrichtsstunde, ergibt Dieses gilt gleichermaßen für sich allerdings eine etwas geringere die eher quantitativ bestimmte Eine differenzierte Betrachtung der Leistung (p < 0,05) der Klasse A im Gesamtleistung (GZ-F) als auch Gesamtleistung (GZ-F), bei der Vergleich zu den Klassen B und C. für den Konzentrationsleistungs- stärker der Antrieb bzw. die quanti- Da alle Klassen zu diesem Zeit- wert (KL), bei dem stärker die tative Komponente der Aufmerk- punkt eine als überdurchschnittlich Sorgfalt, mit der gearbeitet wird, samkeitsleistung zum Ausdruck einzustufende Leistung (vgl. Tab. zum Ausdruck kommt. kommt, gegenüber dem Konzentra- 2) zeigen, soll dieser Unterschied • Die Klasse, bei der im Sinne ei- tionsleistungswert (KL), bei dem hier aber vernachlässigt werden. ner bewegten Schule schwer- eher die Kontrollfunktion, die Ge- punktmäßig Pausenhofaktivitä- nauigkeit der Arbeit eine Rolle Die Unterrichtspausen, die in der ten unterstützt werden (B), kann spielt, ergibt keine eindeutigen Regel zwischen der zweiten und ihren hohen Grad an Aufmerk- Tendenzen. Es ist davon auszuge- dritten sowie der vierten und fünf- samkeitsleistung im Verlauf des hen, dass beides - Arbeitsumfang ten Stunde als Schulhofpausen den Schulvormittags nicht nur hal- und Sorgfalt - gleichermaßen von Schultag strukturieren und als Er- ten, sondern im Vergleich der der in einer bewegten Schule ge- holungspausen dienen sollen, rei- ersten mit der fünften Stunde steigerten Aufmerksamkeit profi- chen offensichtlich allein für den signifikant steigern. tiert. Müller (2000, 201) berichtet Erhalt der Lern- und Leistungsbe- 12 Haltung und Bewegung 23 (2003) 2
Theorie reitschaft nicht aus (Klasse A). Erst Studien jeweils nur über einen Zeit- Lernen, auf die Lern- und Leis- wenn den Kindern erlaubt wird raum von 10 bis 12 Wochen erstre- tungsfähigkeit von Kindern sind bzw. sie motiviert werden, die Pau- cken. Zudem erfahren die Kinder unbestritten. Entwicklungspsycho- sen bewegungsaktiv zu nutzen, und der Klasse C der aktuellen Untersu- logische und biologisch - neuro- wenn ihnen dazu Möglichkeiten er- chung seit ihrem ersten Schultag physiologische Prozesse werden öffnet werden zum Beispiel durch „sinnes- und handlungsaktives Ler- gleichermaßen zur Erklärung dieser eine (gemeinsame) Gestaltung des nen ... (und) das Zusammenspiel Zusammenhänge herangezogen. So Schulhofes, u. U. Eröffnung weite- von innerer und äußerer Bewe- schlägt schon Jetter (1975, 58) als rer Bewegungsräume, durch das gung“ in einer Schule, die „durch Erklärung der „intelligenzfördern- Angebot zur Nutzung von Geräten eine kind- und lerngerechte Rhyth- de(n) Wirkung von Bewegungs- und Materialien, u. U. auch durch misierung des Unterrichts vor- programmen im Schulalter“ neuro- spezifische Anregungen, kann die mittags, durch bewegtes Lernen, ... physiologische Aspekte („Rhythmi- Aufmerksamkeitsleistung im Ver- bewegte Pausen, ... bewegtes Den- sierung und Koordinierung des neu- lauf des Schulvormittages nicht nur ken (und) durch Öffnung der Schu- ralen Geschehens“), persönlich- erhalten, sondern sogar noch ge- le“ die Chancen einer Förderung keitspsychologische Aspekte (Stär- steigert werden (Klasse B und C). der ganzheitlichen Entwicklung kung des Selbstwertgefühls, Redu- wahrnimmt (Städtler 1998, 14). zierung von Angst) und sozialpsy- chologische Aspekte („gruppenthe- Die überraschend hohe Steigerung Offensichtlich kann aber auch schon rapeutische Wirksamkeit; Förde- der Aufmerksamkeitsleistung der eine gezielte Unterstützung der Be- rung der Entsprechung von Rollen- Klasse C ist jedoch auf zusätzliche wegungsaktivität in der Schule - die erwartungen“) vor. Bewegungspausen im Unterricht, aktive Nutzung vorhandener Pausen- das Konzept des bewegten Lernens zeiten - die Aufmerksamkeitsleistung In einer Schule, in der der natürli- im Zusammenhang mit der ergo- von Kindern im Verlauf des Schul- che, für die körperlich-motorische nomischen Arbeitsplatzgestaltung vormittags nicht nur erhalten, son- Entwicklung und die Entfaltung der zurückzuführen (vgl. Breithecker dern sogar steigern und somit die Persönlichkeit notwendige Bewe- 2000, 2002). Vergleichbar sind die- Grundlage für die notwendige Leis- gungsdrang von Kindern nicht nur se Ergebnisse mit den überwiegend tungsbereitschaft und Lernfähigkeit nicht unterdrückt, sondern in der hoch signifikanten Verbesserungen der Kinder in der Schule schaffen. Bewegungsaktivität unterstützt und der Aufmerksamkeitsleistung im Bei einer konsequenten Umsetzung gefördert wird, ist auch eine positi- Zusammenhang mit dem Konzept der Idee einer bewegten Schule ve Entwicklung der Lernfähigkeit einer ‚Sitzschule‘ in der Schule; lässt sich allerdings ein überra- und Leistungsbereitschaft von Kin- dieses Konzept entspricht mit Aus- schend hoher weiterer Anstieg er- dern zu erwarten. Die vorliegende nahme der Unterstützung der Akti- reichen. Inwieweit die verbesserte Studie bestätigt diese Erwartung. vität während der Schulhofpausen Aufmerksamkeit ihren Nieder- Bei der Untersuchung der Auf- dem der bewegten Schule weitge- schlag auch in höheren Schulleis- merksamkeitsleistung von Kindern hend, wird aber hier in Kursform tungen findet, bleibt zu prüfen. im Verlauf des Schulvormittags (1., über einen Zeitraum von 10 bis 12 Nach Müller (2000) ist die zusätzli- 3., 5. Unterrichtsstunde) ergeben Wochen durchgeführt (Klavis 1997; che Bewegungszeit auf jeden Fall sich hoch signifikante Unterschiede May 1999; Rausch 1995; Schulz keine verlorene Zeit für das schuli- zwischen den Schulklassen, deren 1995; Stapf 1996; vgl. Dordel sche Lernen; in ihrer Untersuchung Schulalltag unterschiedlich bewe- 2003). Ein Vorteil der Kinder, die zeigen die Kinder mit und ohne gungsaktiv verläuft. Fehlt Bewe- ergonomisch günstige Möbel nut- sieben bis acht Minuten zusätzli- gung im Schulleben, sinkt die in zen gegenüber denjenigen, die her- cher Bewegungszeit pro Unter- der ersten Stunde überdurchschnitt- kömmliche Schulmöbel gebrau- richtsstunde etwa gleiche Ergebnis- liche Aufmerksamkeitsleistung zur chen, lässt sich dabei allerdings se in Schulleistungstests wie die fünften Stunde hin so weit ab, dass nicht sicher nachweisen (Klavis Kinder einer Kontrollgruppe. konzentriertes Lernen kaum mehr 1997; May 1999; Schulz 1995). möglich erscheint. Werden ledig- Hier spielt wahrscheinlich der un- lich die Bewegungsaktivitäten in terschiedliche Zeitraum eine bedeu- Zusammenfassung und Aus- den Schulpausen unterstützt, wird tende Rolle: Die Kinder der Klasse blick schon nicht nur ein Erhalt, sondern C in der aktuellen Studie nutzen ih- sogar eine Steigerung der Aufmerk- re ergonomisch gestalteten Arbeits- Zusammenhänge zwischen Motorik samkeit während des Vormittags plätze schon drei Schuljahre lang, und Kognition, Einflüsse von Wahr- erreicht. Eine unvergleichlich während sich die ‚Sitzschul‘- nehmung und Bewegung auf das größere Verbesserung der Auf- Haltung und Bewegung 23 (2003) 2 13
Theorie merksamkeit zeigt sich aber bei den New York (19994). jekt mit lese-recht-schreibschwachen Kindern, die in einer bewegten Black, J. E., Isaacs, K. R., Anderson, B. Grundschülern. Weinheim-Basel 1975, J., Alcantara, A. A., Greenough, W. S. 49-71. Schule lernen können. T.: Learning causes synaptogenesis, Eggert, D.: Theorie und Praxis der psy- Dabei ist besonders die Bedeutung wheras motor activity causes angio- chomotorischen Förderung. Dortmund der kindgerechten, ergonomisch aus- genesis, in cerebellar cortex of adult 1994. gestatteten Arbeitsplätze und die rats. Neurobiology, 87 (1990) 14, S. Eggert, D., Lütje, B.: Psychomotorik in Vermittlung der entsprechenden Ar- 5568-5572. der (Sonder)Schule? Empirische Stu- beitshaltungen hervorzuheben. Es Bös, K., Opper, E., Woll, A.: Fitness in dien zu den Grenzen eines Förderkon- ist anzunehmen, dass Kinder die in der Grundschule. Förderung von kör- zepts. 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