Biotech am Tipping Point - In welche Richtung entwickelt sich der Sektor nach der Pandemie? - EY
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Biotech am Tipping Point In welche Richtung entwickelt sich der Sektor nach der Pandemie? Deutscher Biotechnologie-Report 2021
Impressum Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Buches oder von Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung der Ernst & Young GmbH Wirtschafts- prüfungsgesellschaft in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm, Datenträger oder einem anderen Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Die Wiedergabe von Gebrauchs- und Handelsnamen sowie Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berech- tigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Waren- zeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Die Zahlenangaben und Informationen basieren auf Daten, die im Rahmen einer Primärdatenerhebung und einer Sekundärdatenrecherche von relevanten Unternehmen ermittelt wurden. Die in diesem Report wiedergegebenen qualitativen und quantitativen Einschätzungen wurden mit hoher Sorgfalt ermittelt, jedoch übernimmt der Herausgeber keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben. Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Mergenthalerallee 3–5, 65760 Eschborn/Frankfurt a. M. Dr. Alexander Nuyken Partner Telefon +49 6196 996 25441 alexander.nuyken@de.ey.com April 2021 Layout und Produktion: CPoffice Bietigheim-Bissingen, Sabine Reissner 2 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Vorwort
Biotech am Tipping Point Vorwort Pandemie — neues Momentum für Biotech? 4 1 Perspektive Ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Krise — Biotech mit großer Dynamik und Rekordmeldungen 8 Werden regulatorische Hürden den Schwung bremsen? 11 Richtungsbestimmend bleiben Kapitalzugang und Anreize für Investitionen 14 Neue Herausforderungen nehmen Einfluss 18 Dynamik und Rekorde erfassen noch nicht alle 22 2 Kennzahlen Sensationelle Branchenkennzahlen 36 Die Rolle der BioRegionen in der COVID-19-Pandemie 39 BioNTech — ein „Role Model“ für unsere Industrie?! 42 3 Finanzierung Zahlen und Fakten Deutschland 46 Zahlen und Fakten Europa 57 Zahlen und Fakten USA 62 4 Transaktionen Allianzen Deutschland 68 Allianzen Europa und USA 71 M&A Europa und USA 74 Methodik und Definitionen 76 Weitere Informationen finden Sie unter Danke 77 www.ey.com/de_de/life-sciences Download PDF-Version Deutscher Biotechnologie- Report 2020
Vorwort Pandemie — neues Momentum für Biotech? Was für ein Jahr! An gleicher Stelle des letztjährigen Reports und auch in einigen Ausgaben davor wurden immer wieder Themen aufgegriffen und mögliche Ansätze beschrieben, die dem weltweit anerkannten Innovations- motor „Biotech“ auch in Deutschland zu mehr „Power“ verhelfen sollten. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Notwendigkeit, die allgemeine Akzeptanz und Visibilität von Biotech in der Gesell- schaft zu verbessern, hingewiesen. Vor allem sollte die hierzulande stark ausgeprägte Risikoscheu einem neuen „Mindset“ weichen, das sowohl hinsichtlich junger Unternehmer als auch mit Blick auf den Finanzierungsbedarf die Bereitschaft steigern sollte, das diesem Sektor inhärente Risikoprofil anzunehmen. Bis zum Ausbruch der Pandemie gab es leider nur wenige Fortschritte in dieser Richtung. Die Corona-Pandemie hat dies auf einen Schlag verändert. So katastrophal die Auswirkungen überall auf der Welt auch sind, so sehr die Menschen verzweifelt auf wirksame Lösungen hoffen, allen — und eben nicht nur der Fachwelt — wird nun deutlich vor Augen geführt, dass die erhofften Lösungen im Wesentlichen aus der Biotechnologie kommen werden, in Form von Impfstoffen, wirksamen Therapien oder Diagnostika für eine akkurate, zuverlässige Massentestung zur Nachverfolgung der Virusverbreitung. Dass darüber hinaus die ersten Impfstoffe originär auch noch aus Deutschland kommen und auch die zugrunde liegenden Technologien in Deutschland ihren Ursprung haben, verstärkt hierzulande schlagartig das Interesse an der Biotechnologie und generiert ein Momentum. Dies gilt es zu nutzen, um jetzt vor allem nachhaltig wirksame Maßnahmen anzugehen und auch umzusetzen. Aber genau hier liegt auch ein Dilemma: Krisenzeiten bedingen Ad-hoc-Entscheidungen und schnelle Lösungen für akute Probleme. Die Politik agiert „auf Sicht“ und reagiert auf die vordringlichsten Probleme — und das recht einseitig mit Fokus auf Impfstoffen. Längerfristig wirksame Konsequenzen zum Ausbau des Biotech-Standorts Deutschland scheinen dagegen erst einmal auf die Zeit nach der Pandemie vertagt zu werden. Momentum verpufft? Von daher wäre es vor allem auch wichtig , die gesteigerte Visibilität für Biotechnologie in der Gesell schaft aktiver zu nutzen, um jetzt das Arsenal der Möglichkeiten aufzuzeigen, die Biotechnologie nicht nur als Lösungsanbieter für die Pandemie oder generell in der Medizin bietet, sondern für viele weitere Bereiche mit ebenso prekären Problemstellungen: Umweltverschmutzung und biotechnischer Abbau von Plastik und anderen Problemstoffen, Klimakatastrophe und biotechnische Umwandlung des Klimakillers CO2 in Biomasse, Energienotstand mit fossilen Brennstoffen, Wasserstoffgewinnung mit biotechnisch modifizierten Mikroalgen etc. Das Aufzeigen dieser Möglichkeiten, die keine futuristischen Visionen beschreiben, sondern bereits in fortgeschrittener Entwicklung sind, würde die Akzeptanz in der breiteren Bevölkerung erhöhen und damit auch den Gesetzgeber ermutigen, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass unser Standort für die Biotechnologie gestärkt wird. 4 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Vorwort
Dr. Alexander Nuyken Dr. Siegfried Bialojan Mit diesem Thema befasst sich der aktuelle Report im Detail: „Biotech am Tipping Point“ — anschau- lich visualisiert durch den sich voller Schwung drehenden Kreisel, der am Ende in irgendeine Richtung kippen wird. Schafft es die Biotechnologie, das aktuelle Momentum zu nutzen, um die zuvor beschriebenen Herausforderungen eines innovativen Industriesektors (Ideentranslation, Unternehmergeist, Risiko kapitalzugang) besser zu meistern? Welche konkreten Lehren lassen sich aus der Not der Pandemie tatsächlich ziehen? Welche konkreten Konsequenzen ergeben sich daraus für Prozesse, Zeitschienen, Kosten und nicht zuletzt auf der regulatorischen inklusive der politischen Seite? Auf den ersten Blick zeigt sich schon eine kurzfristige Wirkung: Die Kreativität der Unternehmen gerade für neue Lösungen zur Pandemiebekämpfung ist enorm, die Finanzierungszahlen explodieren und selbst die Politik schaltet sich aktiv in Unternehmensentwicklungen ein. Es bleibt zu hoffen, dass dies kein kurzfristiger Aktionismus ist, sondern nachhaltig dem Biotechnologiestandort Deutsch- land den Rücken stärkt. Zuletzt noch eine persönliche Note: An einem „Tipping Point“ stehen wir auch bei EY in der langen Historie des Biotech-Reports. Über die letzten fast 20 Jahre durfte ich, Siegfried Bialojan, „den Kreisel für diese Publikation drehen“ und jedes Mal gespannt auf die neuen Zahlen und Trends schauen, um daraus die „Kipprichtung der Branche“ abzuleiten. Die Verantwortung für diese Publikation ist mit dieser Ausgabe auf meinen Nachfolger übergegangen. Alexander Nuyken zeichnet erstmals für den aktuellen Report verantwortlich und wird sich mit seinem Team zukünftig dieser Aufgabe widmen. Die Tatsache, dass wir dieses Vorwort gemeinsam verfasst haben, zeigt, dass wir einen nahtlosen Übergang und einen „Generationswechsel“ erfolgreich hinbekommen haben. Der Biotech-Report wird sich behutsam weiterentwickeln und weiterhin fundierte Zahlen, aber auch eine kritische Aus einandersetzung mit den Trends und Entwicklungen der Biotech-Branche in Deutschland liefern. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und freuen uns auf den weiteren Dialog! Dr. Siegfried Bialojan Dr. Alexander Nuyken EY Life Sciences Center Mannheim Partner — Head of Life Sciences Strategy & Transactions in EMEIA Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Vorwort | 5
� Corona als Trendbeschleuniger? Die Biotech-Branche verzeichnet im Krisenjahr 2020 einen enormen Schub, getrieben von zwei deutschen Leuchtturm-Unternehmen der Branche — BioNTech und CureVac. Der Schub spiegelt sich in Rekordsummen bei Finanzierungsrunden, Börsengängen und der Entwicklung am Kapitalmarkt wider. Ob hiervon langfristig die ge- samte Biotech-Branche profitiert, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Regulatorische Hürden bremsen weiterhin die Entwicklung — und wurden teils sogar verschärft Trotz der in der Krise gewonnenen Erkenntnis, dass Biotech Teil der Lösung von Schicksalsfragen der Menschheit sein kann, haben sich die Rahmenbedin gungen für Investitionen in diesem Bereich nicht verbessert. Im Gegenteil: Aus Angst vor dem Ausverkauf von deutschem Know-how und zur medizi- nischen Versorgung der Bevölkerung wesentlichen Arzneimitteln hat der Gesetzgeber die Außenwirtschafts verordnung verschärft und damit ein weiteres Hemmnis für Investitionen aus dem Ausland geschaffen. Beim Fokus auf Impfstoffen bleiben therapeutische Ansätze auf der Strecke In einem Round-Table-Gespräch mit den Initiatoren der BEAT-COV-Initia- tive diskutieren wir, inwieweit sich zu einseitig auf Impfstoffe als Lösung der Corona-Krise konzentriert wird und wichtige therapeutische Ansätze zu kurz kommen. Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 7
Ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Krise — Biotech mit großer Dynamik und Rekordmeldungen Das letzte Jahr hat viele Gewissheiten über den Haufen Bekämpfung von Krankheiten gilt, sondern auch für wei- geworfen. Dass ein Corona-Virus in der Lage sein könnte, tere Schicksalsfragen für die Menschheit und unseren Pla- für ein Jahr und möglicherweise noch länger die Welt in neten wie den Klimaschutz, die Energiegewinnung und die Atem zu halten, aber auch die Geschwindigkeit, mit der Ernährung der Weltbevölkerung. Impfstoffe entwickelt und zugelassen werden konnten, all das wäre noch zu Beginn letzten Jahres von vielen kaum Doch reicht das neu gewonnene Bewusstsein für die für möglich gehalten worden. Gleichzeitig hat die Krise Biotech-Branche aus, um für alle übrigen Biotech-Unter- neue Gewissheiten gefördert. Biotech „made in Germany“ nehmen — egal in welchem Stadium der Entwicklung oder ist insbesondere durch den Impfstoff von BioNTech wie in welchem Segment — eine positive Veränderung der Rah- auch durch den Impfstoffkandidaten von CureVac ins Ram- menbedingungen und damit auch eine Beschleunigung penlicht gerückt. Das Akronym mRNA ist nicht mehr nur ihrer Entwicklungsmöglichkeiten zu bewirken? unter Fachleuten bekannt. Auch wenn die beiden genann- ten Unternehmen einzelne Leuchttürme sein mögen, so Die Themen, die wir in unseren Reports der letzten Jahre strahlt deren Erfolg auf die Branche insgesamt ab. Es ist behandelt haben, wie Kapitalzugang, steuerliche Anreize deutlich geworden, dass die Biotechnologie Antworten auf und zuletzt eine verbesserte Translation, bleiben wichtige große Fragen der Menschheit geben kann. Noch nicht so Bausteine für eine solide Weiterentwicklung der Branche verbreitet ist die Überzeugung, dass dies nicht nur für die und aller im Biotech-Umfeld aktiven Unternehmen, auch wenn sich der Wind der Wahrnehmung der Branche insge- samt gedreht haben mag. Ein besseres Image der Branche in den Augen der Öffentlichkeit allein reicht jedenfalls nicht aus. Wichtigere Faktoren, um wirklich etwas zu bewirken, sind mit Sicherheit der Risikoappetit von Investoren und die Bereitschaft der öffentlichen Hand, der Branche ausrei- chend Bedeutung beizumessen, um die Rahmenbedingun- gen für Investitionen zu verbessern. Gerade der letztge- nannte Baustein, die Gestaltung der Rahmenbedingungen, könnte durch eine erhöhte Wahrnehmung in der Öffent- lichkeit positiv beeinflusst werden, weil die Branche auf der politischen Agenda hoffentlich auch langfristig einen höheren Stellenwert erhält. Und genau deswegen wäre es wichtig, das aktuelle Momentum aktiv zu nutzen. Viel Bewegung im Kapitalmarkt Auf der Kapitalseite war 2020 durchaus ein positives Momentum zu spüren. Fundraising-Runden großer Venture- Capital-Fonds wie von TVM über 478 Mio. US$, von For- bion über 460 Mio. € und von LSP über 600 Mio. US$ mit bemerkenswerten Größen und mit mehrfacher Überzeich- nung belegen ein gesteigertes Interesse an Biotech seitens institutioneller Anleger. Sie lassen einen positiven Effekt auf künftige Kapitalrunden erwarten, da dieses Kapital auch eingesetzt werden soll und wird. Hier hat sich allerdings eher ein schon vorhandener Trend — untermauert durch das starke Interesse von US-Investoren an Biotech — ver- 8 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive
stärkt, denn schon deutlich vor Ausbruch der Corona-Krise auf über 20 Mrd. US$ fast versechsfacht. Die Börsengänge hatte Wellington Partners 2019 einen neuen Fonds mit unterstreichen aber auch, dass der US-Markt weiterhin der 210 Mio. € aufgelegt, der ebenfalls mehrfach überzeichnet Markt ist, der die positiven Trends (unabhängig von Corona) und ursprünglich nur mit einer Zielgröße von 120 Mio. € treibt und von dem sich die Unternehmen den besten Kapi- geplant war. talzugang erhoffen — alle drei genannten Unternehmen sind an der Nasdaq gelistet. Die beiden Börsengänge von CureVac und Immatics im Jahr 2020 belegen das Interesse des Kapitalmarktes an Die neu gewonnene Zuversicht der Investoren der Branche. Beide Aktien haben sich seit ihrem jeweiligen auch abseits der Pandemie zeigt sich auch in der Börsengang im August bis zum Jahreswechsel sehr positiv Marktkapitalisierung der Unternehmen entwickelt. Die Firma CureVac, die bereits beim Börsen- Der Vergleich aller deutschen gelisteten Unternehmen in gang mit rund 9,8 Mrd. US$ sehr hoch bewertet war, hat den Jahren 2019 und 2020 jeweils zum 30. Dezember zeigt immerhin um weitere 46 % zugelegt, während Immatics einen deutlichen Anstieg der Marktkapitalisierung um rund seine Marktkapitalisierung im gleichen Zeitraum — und dies 111 %. BioNTech macht mit einem Zuwachs um 134 % gegen nicht aufgrund von neuen COVID-19-Therapien — um mehr über dem Vorjahr allein 33 % der gesamten Marktkapitali- als 200 % steigern konnte. Das Unternehmen BioNTech, das sierung der deutschen Biotech-Unternehmen aus, CureVac, bereits 2019 an die Börse gegangen war, hat sich seit dem der Börsenneuzugang im August, rund 24 %. Mit diesem Börsengang im Oktober 2019 bis zum Jahresende 2020 in Anteil von zusammen 57 % am gesamten Börsenwert der seiner Marktkapitalisierung sogar von rund 3,5 Mrd. US$ Unternehmen von rund 50 Mrd. € dominieren zwei von Marktkapitalisierung* börsengelisteter deutscher Biotech-Unternehmen 2019 und 2020 49,5 Mrd. € 50 +111% 1,9 | Sonstige** 0,5 | Affimed 0,5 | Formycon Veränderung gegenüber 2019 45 3,1 | MorphoSys Sonstige** +19 % 40 5,0 | Evotec Affimed +153 % Formycon +66 % 35 9,8 | QIAGEN MorphoSys –24 % 30 Evotec +43 % QIAGEN +44 % 25 23,5 BioNTech +134 % 1,6 | Sonstige** 0,2 | Affimed CureVac n. r. 20 0,3 | Formycon 16,4 | BioNTech 4,0 | MorphoSys Immatics n. r. 15 3,5 | Evotec ** Sonstige: Curetis, MOLOGEN, Epigenomics, 10 6,8 | QIAGEN NOXXON Pharma, co.don, 4SC, Medigene, 4basebio, InflaRx, Pieris Pharmaceuticals, 5 11,7 | CureVac Biofrontera, PAION, B.R.A.I.N., Vivoryon 7,0 | BioNTech Therapeutics, CENTOGENE, Heidelberg Pharma und Immunic 0,6 | Immatics 2019 2020 *Börsenwert und Umrechnungskurs jeweils zum 30.12. des Jahres | Quellen: EY, Capital IQ Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 9
25 Unternehmen den Zuwachs der Marktkapitalisierung Aber auch an der M&A-Front gab es mit dem Kauf von in Deutschland. Jedoch bei einem Vergleich aller Firmen MYR durch Gilead für 1,45 Mrd. € noch zum Jahresende ohne die Abgänge (Curetis und MOLOGEN) und ohne die eine bedeutende Transaktion. Diese war für Gilead in Neuzugänge durch IPOs (Immatics, CureVac) stellt man erster Linie ein Produkt-Deal mit dem Ziel, einen Wirkstoff immer noch einen Zuwachs um rund 59 % fest. Blendet gegen Hepatitis D ins Portfolio zu nehmen. man zudem auch den Impfstoffentwickler BioNTech aus der Betrachtung aus, so ergibt sich immerhin noch ein Die Vielfalt der therapeutischen Schwerpunkte von Imma- Anstieg um 26 %. Insgesamt kann anhand der stark gestie- tics bis MYR Pharmaceuticals unterstreichen, dass es genen Marktkapitalisierung festgestellt werden, dass über trotz aktueller Dominanz des Themas COVID-19 bedeutende den COVID-19-Pandemie-bedingten Hype hinaus auch die andere Themen gibt, wenn es um Innovation und damit restliche Biotech-Branche am Kapitalmarkt wesentlich an verbundene Wertschöpfung geht. Vertrauen und Zuversicht hinzugewonnen hat. 10 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive
Werden regulatorische Hürden den Schwung bremsen? Auch ohne den Einfluss der COVID-19-Pandemie kann der „Emergency Use Authorization“ oder „Compassionate deutsche Biotech-Sektor auf ein erfolgreiches Jahr 2020 Use“, wie im Zusammenhang mit COVID-19 des Öfteren mit gutem Risikoappetit der Investoren zurückblicken. Die angewendet, werden dagegen weiterhin die Ausnahme deutsche Biotechnologiebranche ist leistungsfähig und bleiben und sind kein Mittel für eine generelle Beschleuni- verdient auch nach der Pandemie weiterhin erheblich mehr gung der Zulassung. Aufmerksamkeit und Unterstützung. Das ist in Anbetracht der ungelösten Fragen um Krebs, Alzheimer, Stoffwechsel- Wesentliche Hürden bleiben bestehen oder erkrankungen und viele andere große Plagen der Mensch- sind sogar noch hinzugekommen heit auch richtig so. Das beschriebene positive Momentum steht aber in kras- sem Widerspruch zu den regulatorischen Hürden für Nachhaltige Veränderung der Rahmenbedingungen? Unternehmensfinanzierungen, die nach wie vor bestehen Trotz der positiven Beispiele auch außerhalb von COVID-19 oder durch Neuregelungen im letzten Jahr sogar noch bleibt die Frage offen, wie nachhaltig das im Zuge der verschärft wurden. Die Novelle der Außenwirtschaftsver- Pandemie noch zusätzlich gesteigerte Interesse an der ordnung beispielsweise, deren Regelungsziel zwar ver- Branche ist und zu Verbesserungen der Rahmenbedin ständlich sein mag, die aber mit dem Erfordernis einer gungen führt. Der Entwicklungszyklus von neuen Plattform- Unbedenklichkeitsbescheinigung für nicht in der EU ansäs- technologien und Wirkstoffen, das Risikoprofil bei der sige Investoren ab 10 % Beteiligungsanteil auch bei einer Entwicklung und die Return-Erwartungen als wesentliche normalen Finanzierungsrunde eine erhebliche Hürde bedeu- Bausteine für den Blick der Investoren haben sich nicht tet, stellt sich vermehrt als Investitionshemmnis für drin- messbar verändert. gend benötigtes Kapital für die gesamte Biotech-Branche dar. Mit diesem Mittel soll ein Ausverkauf deutschen Know- Es besteht jedoch Grund zur Hoffnung, dass Zulassungs- hows ins Ausland vermieden werden, jedoch hemmt es die behörden mit vereinfachten Ansätzen — wie beispielsweise jungen Unternehmen stark in ihrer Entwicklung. Denn vie- dem Rolling Review — auch für andere Wirkstoffe als Impf- le europäische Venture-Capital-Fonds sind steueroptimiert stoffe eine Beschleunigung von Zulassungsverfahren erzie- an Standorten außerhalb der EU angesiedelt. Gerade in len können, ohne die Zulassungsanforderungen herabzu- einer Branche wie der Biotechnologie, die in besonderem senken, und dass durch verbesserte Translation kostspielige Maße auf Kapital aus dem Ausland angewiesen ist, ist das Irrwege vermieden werden können. Hinzu kommen neue ein wesentlicher Hemmschuh für anstehende Kapitalrunden. Technologien wie AI-gestützte Tools zur F&E-Unterstützung, 2020 ist auf den ersten Blick der Anteil des ausländischen die beispielsweise von Unternehmen wie IQVIA und Veeva Kapitals gesunken. Dies ist aber vor dem Hintergrund der Systems entwickelt wurden und bereits erfolgreich 300-Millionen-Euro-Investition des Bundes über die KfW in im Markt eingeführt sind. Insgesamt haben wir mehr als das Unternehmen CureVac, das laut Presseveröffentlichung 250 Unternehmen weltweit identifiziert, die AI-basierte ein COVID-19-Impfstoffentwickler-Übernahmekandidat der Tools zur Optimierung des F&E-Prozesses anbieten. Die Trump-Administration in den USA gewesen sein soll, zu sehen meisten dieser Unternehmen sind in den USA angesiedelt, und wird daher aller Voraussicht nach ein einmaliger Vor- ihre Produkte sind aber auch für deutsche Biotech-Unter- gang in Anbetracht der Corona-Krise bleiben. nehmen zugänglich. Lead Discovery und die Identifizie- rung und Validierung von Targets sind die häufigsten An- Auf die Hintergründe und Besonderheiten des Außenwirt- wendungen für diese AI-gestützten Tools. Mithilfe dieser schaftsgesetzes mit seiner jüngsten Novelle der Außen- Lösungen lassen sich sehr schnell und ohne einen langwie- wirtschaftsverordnung und deren Relevanz für Biotech- rigen und teuren „Trial and Error“-Ansatz die vielverspre- Unternehmen geht Hubertus Kleene, Experte von EY Law, chendsten Targets identifizieren. im nachfolgenden Artikel ein. Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 11
Wird die Außenwirtschafts verordnung zum Hemmnis für Finanzierungsrunden für die Biotech-Industrie? von Hubertus Kleene Vor allem junge, innovative Unterneh- der auf dem AWG basierenden Außen- Meldung kann aber sinnvoll sein. Denn men haben regelmäßig einen hohen wirtschaftsverordnung (AWV). Es sie löst eine zweimonatige Frist aus, in Kapitalbedarf. Oft wird dieser über die existieren zwei Prüfverfahren. Im Regel- der das BMWi dann entscheiden muss, Beteiligung finanzstarker Partner etwa fall findet das sogenannte sektorüber- ob es ein Prüfverfahren einleitet oder in Form von Finanzierungsrunden greifende Investitionsprüfverfahren den Erwerb akzeptiert. Erhält das befriedigt, wobei häufig ausländische nach § 55 AWV Anwendung. Es gilt Ministerium hingegen keine Kenntnis Geldgeber bedeutsam sind. Mit der prinzipiell für Unternehmen aller Bran- vom Abschluss des schuldrechtlichen Aufnahme von Herstellern von Arznei- chen und damit auch für Unternehmen Vertrags, kann es den Erwerb auch mitteln und Medizinprodukten in die in den Bereichen Gesundheit und noch fünf Jahre nach Vertragsschluss Liste der systemrelevanten Unterneh- Medizin. Das zweite Verfahren ist das prüfen und im schlechtesten Fall men fallen nun auch Biotech-Unter- sektorspezifische Investitionsprüf untersagen. nehmen unter die verschärften Regeln verfahren nach § 60. Es besteht ins der Investitionskontrolle. besondere für Unternehmen, die im Für Unternehmen mit bestimmten militärischen Umfeld und der Ver- sicherheitsrelevanten Aktivitäten be- Bereits vor der COVID-19-Pandemie schlüsselungstechnologie aktiv sind, stehen nach § 55 Abs. 1 Satz 2 AWV war weltweit ein Trend zu mehr natio- soll aber hier nicht weiter betrachtet noch strengere Vorgaben. Eine Be- nalem Protektionismus zu beobachten. werden. teiligung an diesen Unternehmen Neben dem Schutz vor ausländischem fällt schon ab Erreichen von 10 % der Wettbewerb beispielsweise durch Grundsätzlich fällt jeder Erwerb eines Stimmrechte in den Anwendungs- Schutzzölle spielt zunehmend auch der inländischen Unternehmens durch bereich der sektorübergreifenden Schutz systemrelevanter Unternehmen einen Investor aus dem Nicht-EU-Aus- Investitionsprüfung und muss unver- vor Übernahmen durch ausländische land unter die sektorübergreifende züglich nach Abschluss der entspre- Investoren eine Rolle. Dies wurde Investitionskontrolle. Gleiches gilt für chenden schuldrechtlichen Erwerbs- im Frühjahr letzten Jahres besonders den Erwerb von Unternehmensgegen- verträge dem BMWi gemeldet werden. deutlich, als Gerüchte, die US-Regie- ständen und bei Unternehmensbetei- Das Ministerium hat dann zwei rung unter Donald Trump wolle sich das ligungen, wenn der Erwerber damit im Monate Zeit, um ein Prüfverfahren zu Unternehmen CureVac sichern, kur- Ergebnis Stimmrechte von mindestens eröffnen. Zusätzlich besteht für diese sierten. Kurz darauf beteiligte sich der 25 % hält. Das Bundesministerium Unternehmenserwerbe ein Vollzugs- Bund an CureVac, um eine Abwan für Wirtschaft und Energie (BMWi) verbot bis zur Freigabe durch das derung ins Ausland zu verhindern. Ver- kann in diesen Fällen ein Verfahren BMWi. Verstöße können mit Freiheits- schärft wurde in diesem Kontext auch eröffnen und vereinfacht gesagt prüfen, strafe von bis zu fünf Jahren und die Investitionskontrolle, d. h. die ob ein Erwerb „voraussichtlich zu mit Geldstrafe geahndet werden. Ent- nationale Prüfung und Regulierung von einer Beeinträchtigung der öffentlichen sprechende Rechtsgeschäfte sind Unternehmenserwerben durch aus Ordnung oder Sicherheit in Deutsch- schwebend unwirksam. ländische Investoren. Die Pandemie hat land oder in einem anderen EU-Mitglied- diese Entwicklung verstärkt und be- staat führt“. Werden Sicherheit oder Unter dem Eindruck der COVID-19- schleunigt. Dies hat in Deutschland zu Ordnung in relevanter Weise tangiert, Pandemie erweiterte der Bund Mitte einer Intensivierung der Investitions- kann das BMWi den Erwerb unter 2020 den Kreis der von dieser stren- kontrolle im Gesundheits- und Medizin- sagen. Die entsprechenden Rechts- geren Regelung erfassten Branchen auf bereich geführt. geschäfte werden dann unwirksam, bestimmte im Gesundheits- und Medi- bereits vollzogene Zusammenschlüsse zinsektor tätige Unternehmen. Es sollten Ihre rechtliche Grundlage findet die müssen rückabgewickelt werden. Impfstoff- und Antiinfektiva-Hersteller, Investitionskontrolle im deutschen Meldepflichtig sind diese Unterneh- Hersteller von medizinischer Schutz- Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und in menserwerbe per se nicht. Eine ausrüstung und solche von Medizin 12 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive
“Die Intensivierung der Investitionskontrolle im deutschen Gesundheits- und Medizinbereich kann Biotech-Unternehmen sowohl bei Verkaufs absicht als auch beim Einwerben von Beteiligungs- kapital treffen. Eine frühzeitige Beachtung des Themas ist dringend zu empfehlen. Hubertus Kleene, Rechtsanwalt, Associate Partner, Head of Competition & Antitrust Law, Ernst & Young Law GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft gütern zur Behandlung hochanstecken- Im Ergebnis dürfte daher nicht nur der der Rechtsgeschäfte und scharfe der Krankheiten vor einem unkon- Verkauf von inländischen Unternehmen Sanktionen bei Verstoß. Daher ist es trollierten Erwerb durch ausländische mit Aktivitäten im Biotech-Bereich, unabdingbar, sich im Rahmen eines Investoren geschützt werden. Unklare sondern auch das Fundraising mit Inves- Unternehmenskaufs oder einer Finan- Formulierungen könnten die Regelun- titionen ab 10 % Anteil bei solchen zierungsrunde mit ausländischer gen aber weiter reichen lassen als vor- Unternehmen vielfach in den Bereich Beteiligung frühzeitig mit dem Thema dergründig gewollt. der strengeren Investitionsprüfung Investitionskontrolle zu beschäftigen. fallen. Das bedeutet lange Verfahrens- Nur wenn die Risiken rechtzeitig dauern, ggf. ein Vollzugsverbot ge- und zutreffend erkannt sind, können So sind nach § 55 Abs. 1 Satz 2 paart mit rechtlicher Unwirksamkeit sie angemessen berücksichtigt werden. Nr. 9 AWV nun inländische Unter- nehmen erfasst, die „für die Gewährleistung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung wesentliche Arznei- mittel im Sinne des § 2 Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes, ein- schließlich deren Ausgangs- und Wirkstoffe, entwickeln, herstellen oder in Verkehr bringen oder Inhaber einer entsprechenden arzneimittelrechtlichen Zulassung sind.“ Unklar ist etwa, wann Arzneimittel, Ausgangs- oder Wirkstoffe „wesentlich“ für die Gewährleistung der gesundheit- lichen Versorgung der Bevölkerung sind und was unter „entwickeln“ zu verstehen ist. Es könnten darunter auch sehr frühe, rein konzeptionelle Tätigkeiten und Überlegungen zu Aus- gangs- oder Wirkstoffen zu verstehen sein, noch weit vor Studien oder Versuchen. Dabei spielt es für die Anwendbarkeit der Regelungen keine Rolle, ob die fraglichen Tätigkeiten einem wirtschaftlich eher untergeord- neten Geschäftsbereich oder dem Kerngeschäft eines Unternehmens zuzuordnen sind. Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 13
Richtungsbestimmend bleiben Kapitalzugang und Anreize für Investitionen Die zusätzlichen Hürden für ausländisches Kapital werden effektiven staatlichen Förderprogrammen. Viele Unterneh- auch nicht durch neue Kapitalquellen im Inland aufgefan- men stoßen in dieser Phase auf eine Finanzierungslücke, gen. Es gibt zwar verschiedene Förderprogramme, diese obwohl hier gerade die eigentliche Wertentwicklung der greifen aber insbesondere im Bereich der Grundlagenfor- Unternehmen erfolgt, weil hier der Nachweis der Wirksam- schung bzw. der akademischen Forschung als Fördermittel keit des späteren Produkts erbracht werden soll. Die reich für Universitäten, Institute von Forschungsorganisationen lichen Fördergelder im Bereich der Akademie und Früh wie Max-Planck-Gesellschaft oder Helmholtz-Gemeinschaft phasenunterstützung ohne gleichzeitige Unterstützung der und einige andere Forschungseinrichtungen. Daher kann kommerziellen Entwicklung auch insbesondere durch man sagen, an Förderung von akademischer Forschung (z. B. steuerliche Anreize und Programme sind langfristig volks- über Sonderforschungsbereiche und DFG-Programme) wirtschaftlich wirkungslos. fehlt es in Deutschland nicht. Staatliche Fördermöglichkeiten für diese spätere Entwick- Im Frühstadium der Translation greifen ebenfalls einige lungsphase gibt es hierzulande im Gegensatz zum Ausland Programme, die insbesondere von Institutionen betrieben nur in sehr geringem Umfang und dann mit sehr bürokra werden, die sich auf die Translationsförderung speziali- tischen Hürden. Es sind insbesondere zwei Programme der siert haben, wie die Programme der im letzten Report vor- DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft), in denen klini- gestellten Einrichtungen BioMed X in Heidelberg, LDC sche Studien und klinische Forschungsgruppen gefördert in Dortmund und TRON in Mainz. Entwächst das Projekt werden können. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) dem frühen Stadium und muss es die hohen Kosten von und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) haben ein klinischer Entwicklung schultern, mangelt es dagegen an Gesundheitsforschungsprogramm aufgelegt mit einem 14 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive
“ 2020 wurde durch die hohe Kollaborationsaktivität zwischen Biotech und Pharma geprägt. Gerade bei der F&E der COVID-19-Impfstoffe haben die Beteiligten gelernt, die Entwicklung drastisch zu beschleunigen. Sie werden mit ihren Erkenntnissen einen starken Vorteil darin haben, eine Rückkehr der Entwicklungszyklen von 8–9 Jahren zu verhindern. Tobias Handschuh, Partner, EY-Parthenon GmbH EY-Parthenon ist eine globale Strategieberatung. Unser spezialisiertes Life-Sciences-Sektor-Team arbeitet eng mit den CEOs der Biotech-, der Pharma- und der Medizintechnikindustrie zusammen. Mit nahtloser Einbindung des EY-Netzwerks wandeln wir strategische Chancen in nachhaltigen Erfolg um. sehr breiten Förderansatz zur Erforschung von Krank- Bayer und Merck bis hin zu mittelständischen Unterneh- heitsursachen bis hin zur Gesundheitsvorsorge. Ziel ist es men in unterschiedlichen Modellen Corporate Venture auch, strukturelle Änderungen in der Forschungsland- Funds, die ähnlich wie VC-Investoren investieren. schaft und eine bessere Zusammenarbeit zwischen Wirt- schaft und Forschung zu bewirken. Ebenfalls vom BMBF Ein interessantes Modell ist auch das der Evotec SE. Der werden klinische Studien mit hoher Relevanz für die CFO des Unternehmens, Enno Spillner, stellt Chancen Patientenversorgung zum Wirksamkeitsnachweis von Thera- dieses Modells, auch vor dem Hintergrund der COVID-19- piekonzepten gefördert. Daneben gibt es noch den G-BA Pandemie, in seinem Beitrag auf den folgenden Seiten Innovationsfonds, der nicht direkt klinische, jedoch versor- dar. Unter ihrem Segment EVT Innovate gründet Evotec gungsrelevante Forschung fördert. Gerade solche Ansätze sogenannte BRIDGEs (Biomedical Research, Innovation & hätten im Gesundheitssektor positive Auswirkungen auf Development Generation Efficiency), Partnerschaften mit die enormen Folgekosten beispielsweise von Stoffwechsel- akademischen Institutionen, deren Ziel es ist, wissen- erkrankungen und würden die Gesundheitsausgaben schaftliche Forschungsprojekte in die pharmazeutische der Kassen lindern und schließlich die öffentliche Hand Wirkstoffentwicklung zu überführen. entlasten. Ein fortlaufendes Problem für Finanzierung in der Bio- Die Förderrichtlinien sind jedoch in erster Linie auf aka tech-Industrie stellen die neuen International Private demische Forschungsinstitutionen ausgerichtet, Biotech- Equity and Venture Capital Valuation (IPEV) Guidelines Unternehmen profitieren hiervon weniger. Biotech-Start- (www.privateequityvaluation.com/Valuation-Guidelines) ups sind also in der Translationsphase, in der Präklinik und dar. Ihnen ist für die Bewertung von Beteiligungen an Start- in der Klinik auf Investoren angewiesen. ups mit hochinnovativen Entwicklungsprojekten kaum zu folgen. Denn wie soll man für Projekte, die bei sehr Nur wenige Family Offices wie Athos von den Strüngmann- hohem Potenzial auch ein hohes Risiko aufweisen und Brüdern oder dievini von Dietmar Hopp haben neben der dabei eine absolute Alleinstellung besitzen, in Abwesenheit nötigen Expertise auch die tiefen Taschen und den langen einer Drittfinanzierungsrunde eine Marktbewertung ermit- Atem, um diese Phase zu finanzieren; gerade diese bei- teln? Da dies nicht leistbar ist, wird zwischen Finanzie- den haben bereits mit sehr großen Engagements von über rungsrunden nie höher bewertet, sondern eher abgewertet. 2 Mrd. € in den Sektor investiert und tätigen daher der- zeit keine Neuinvestitionen. Fachkenntnis ist für Investitio- Ein altes Thema, das insbesondere die Gewinnung der nen in die Biotech-Branche essenziell, Kapital allein genügt richtigen Talente für das Unternehmen hemmt, ist die Mit- nicht. Als Investor muss man auch in seinem Team die arbeiterbeteiligung. Diese ist im deutschen AG-Recht so nötige fachliche Expertise aufbauen, um das Risiko teurer unflexibel geregelt, dass man kaum ein attraktives Aktien- Fehlinvestitionen zu reduzieren. Das schränkt den Kreis optionsprogramm implementieren kann. Die Spielräume möglicher Investoren weiter erheblich ein. bzgl. Strike Price etc. sind äußerst gering. Zudem dürfen Aufsichtsratsmitglieder oder Beiräte nicht in das Options- Neben den wenigen Family Offices, die sich im Biotech- programm aufgenommen werden. Das ist aber bei Start- Umfeld tummeln, sind die wichtigste Kapitalquelle die ups zwingend erforderlich. Die Regelung mag für Großkon- Venture-Capital-Fonds, die teils regional, teils international zerne brauchbar sein — für Biotech-Startups ist sie es nicht. investieren. Darüber hinaus gibt es immer mehr Corporate Funding in Verbund mit Pharma-Unternehmen, sei es in In Anbetracht dieser fortbestehenden und teils neu geschaf- separaten Fonds oder direkt aus der Bilanz heraus, mit fenen Hürden relativiert sich die Aufbruchstimmung, die mehr oder weniger strategischer Agenda als Grundlage für nach den Erfolgen von BioNTech und CureVac und vielen Investitionsentscheidungen. So haben fast alle namhaften anderen Unternehmen herrschen könnte. Pharma-Unternehmen von Boehringer Ingelheim über Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 15
Besser als Normalität — warum wir die Chancen einer Disruption nicht ungenutzt verstreichen lassen dürfen von Enno Spillner Im Jahr 2011 ging ein Gespenst um: Dabei sollte der Fokus auf dem Bedrohung nur möglich, weil wir auf die vierte industrielle Revolution, Gesundheitssektor liegen, denn nur einen Baukasten zurückgreifen konnten, bekannt als „Industrie 4.0“. Sie sollte die Pharma- und Biotech-Industrie den wir uns in den Jahrzehnten zuvor der Quantensprung von der elektro- kann eine Pandemie an ihrer Wurzel in vielen kleinen Schritten erarbeitet nisch unterstützten zur digitalen, intel- packen. Die Entwicklung der Infek haben. In der Pandemie haben wir von ligenten Produktion sein. Doch ein tionszahlen zeigt, dass eine Pandemie dieser soliden Basis profitiert, doch Jahrzehnt später ist nicht viel von ver- zwar einigermaßen mit Lockdowns es war auch Glück dabei. Neben der netzten, von künstlicher Intelligenz kontrolliert werden kann — um sie zu akuten Krisenintervention benötigen gesteuerten Produktionsanlagen zu überwinden, braucht es jedoch effek- wir u. a. eine strukturelle Innovations- sehen. Zwar ist es einigen Technolo- tive und effiziente Innovationen. Der förderung, die nachhaltig über die gieführern gelungen, ihre Produktion weltweite Ausnahmezustand zeigt, aktuelle Krise hinausreicht. Denn um punktuell mit maschinellem Lernen zu wie dies möglich ist: durch Koopera- Anreize für eine Forschung zu ermög- unterstützen, doch vielerorts reichen tion, Kommunikation, Digitalisierung lichen, die die Weltgesundheit voran- die Bemühungen der digitalen Trans- und Parallelisierung. bringt, sind u. a. Kapital und damit ein- formation nicht über den Showroom hergehend Kapitalkosten entscheidend. hinaus. Mit einer globalen Pandemie konfron- tiert wussten alle Beteiligten, was zu Neben bloßen Investitionen in absolut Ein Grund dafür ist die lange Phase der tun war: Biotech-Unternehmen liefer- kritische Infrastruktur, Technologien wirtschaftlichen Expansion von 2011 ten sofort zahlreiche Ansatzpunkte, und Innovationen muss sich auch der bis 2020. Im Aufschwung eine solche Pharma-Unternehmen teilten bereit- Modus der Zusammenarbeit verän- Transformation zusätzlich zum Wachs- willig Daten und bisweilen sogar Ent- dern: Kooperation statt Konkurrenz. tumsmanagement proaktiv anzugehen wicklungskandidaten, der Staat enga- Dazu müssen auch privatwirtschaft ist eine echte Herausforderung: gierte sich (zumindest partiell) als liche Akteure transparenter miteinan- „Never touch a running system“, heißt zusätzlicher Risikokapitalgeber und die der umgehen, Daten teilen und Pro- es dann, oder: „Never change a winning Zulassungsbehörde priorisierte und zesse parallelisieren, anstatt sie im team.“ Aber in einer Phase der wirt- parallelisierte alle nötigen Verfahren. stillen Kämmerlein seriell durchzufüh- schaftlichen Kontraktion wird es nicht Ein Jahr nach Beginn der Pandemie ren. Diese offenen Kooperationen in leichter, dann sind Einsparungen an hat es den Anschein, als hätte der ganzen Netzwerken aus Pharma, Bio- der Tagesordnung — doch eine Techno- Gesundheitssektor mit dem Ansatz tech und „Academia“ funktioniert logietransformation braucht Investi einer „Shared Economy“ eine seiner unter Pandemiebedingungen hervor- tionen. Wie die Widerstände einer sol- bislang größten Bewährungsproben ragend, wie wir selbst als aktiver Teil- chen Transformation überwinden, erfolgreich bestanden. Dennoch droht nehmer in zwei spezifischen Netz ohne mit dem Brecheisen zu kommen? die disruptive Chance dieser Pandemie werken erleben. Stellt sich die Frage: Die aktuelle Pandemie ist eine seltene zu verpuffen, wenn die entscheiden- Was bleibt, wenn der externe Druck Chance für disruptive Innovations- den Erfolgsfaktoren nicht dauerhaft wieder schwindet? sprünge, denn auch wenn kritische etabliert werden. Die „neue Normali- Faktoren wie z. B. Mobilität seit über tät“ muss sich von der „alten Normali- Vor allem muss die Translation zwi- einem Jahr deutlich eingeschränkt tät“ unterscheiden — sie muss besser schen der akademischen Grundlagen- sind, so befinden wir uns nicht in einer und effizienter sein. forschung und der medizinischen Wirk- Finanzkrise. Nur wenn wir den gege stoffentwicklung viel enger, effizienter benen Gestaltungsspielraum erkennen Corona-Viren mit ihrem relativ ein und ohne Berührungsängste verzahnt und nutzen, können wir heute die fachen Aufbau bieten zahlreiche werden. Partnerschaftliche Gründun- Weichen für die Innovationen der Zukunft therapeutische Angriffspunkte. Trotz- gen können einen entscheidenden Bei- stellen. dem war die Lösung dieser viralen trag dazu leisten, aus vielversprechen- 16 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive
“Die Kapitalkosten für Innovationen sind eine wichtige Stellschraube. Partnerschaftliche Gründungen können daher ein effizientes Vehikel für die Translation akademischer Forschung in medizinische Innovationen sein. Enno Spillner Chief Financial Officer, Evotec SE den Projekten der akademischen Sinne eines Sharing-Modells zurück- gung an solchen Ausgründungen Forschung gezielt und effizient medi greifen, ohne diese Teile lange und könnte letztendlich frisches Kapital für zinischen Fortschritt für Patienten kostenintensiv selbst aufbauen zu neue Grundlagenforschung in den zu generieren. Unser Modell der „Co- müssen. So kann über die reine Beteili- akademischen Bereich zurückfließen. Ownership“ synchronisiert die Interes- gungsebene hinaus immer noch eine Die Folge wäre ein deutlich belebtes sen, beschleunigt den Start und operative Ebene in Form von Joint Innovationsökosystem, das sich selbst reduziert vor allem die Kapitalkosten Ventures, Fee-for-Service Business oder trägt und exponentiell beschleunigt — gegenüber einer unabhängigen Start anderen Kooperationsformen etabliert andere Länder machen es vor. up-Finanzierung deutlich. Insbeson- werden, die eine effiziente und schnelle dere Letzteres verbessert von Anfang Entwicklung der Technologien oder Die rasante Innovation bei der Ent- an den Hebel, mit dem alle Beteiligten Produkte unterstützt. wicklung von Corona-Impfstoffen hat langfristig vom Erfolg der eigenen, gezeigt, dass wir als Gesellschaft den aber vor allem der gemeinsamen, kom- Aus buchhalterischer Sicht ist das medizinischen Fortschritt maßgeblich plementären Leistung profitieren. Kostencontrolling einer externen Be- mitbestimmen und die Innovations Zudem dient die Auslagerung bestimm- teiligung deutlich einfacher und kann geschwindigkeit sowohl kontrollieren ter, projektspezifischer Assets gleich- verhindern, dass die Investitionen als auch auf bestimmte Bereiche zeitig als Brandmauer für die Teile des versickern. Das Risiko kann über das fokussieren können. Daraus leitet sich geistigen Eigentums, die langfristig Investitionsvolumen vorab genau ein hohes Maß an Verantwortung ab. im Unternehmen verbleiben und daher bestimmt und gesteuert werden. Im Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, eines besonderen Schutzes bedürfen. weiteren positiven Entwicklungsver- was möglich wird, wenn Akteure auf lauf wird es immer leichter — und güns- der ganzen Welt kooperieren. An diesem Evotec verfolgt eine dreiteilige Equity- tiger —, bei Bedarf zusätzliche externe gigantischen Erfolg werden sich die Strategie: Spin-offs und Joint Ventures Finanzmittel einzuwerben, ohne das Medizin der Zukunft und alle involvier- als Turbo für Innovationen der eigenen finanzielle Risiko für die Teilhaber zu ten Akteure messen lassen müssen. Plattform, BRIDGE-Partnerschaften erhöhen. Über eine staatliche Beteili- zur effizienten Translation akademischer Projekte und selektive Beteiligungen an Unternehmen mit interessanten Technologien, die komplementär zur Evotec-Plattform sind und auf dieser schnellstmöglich weiterentwickelt wer- den können. Bei allen drei Modalitäten legt Evotec gemeinsam mit externen Finanzierungspartnern von Anfang an einen Hebel an die zugrunde liegen- den Assets und profitiert so langfristig doppelt vom Erfolg: einerseits als (nicht kontrollierender) Teilhaber, anderer- seits als kooperierender Partner, denn das voll integrierte Evotec-Servicean- gebot ist perfekt auf die Bedürfnisse virtueller Biotech-Kunden abgestimmt und Startups können auf etablierte und hochqualitative Plattformen im Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 17
Neue Herausforderungen nehmen Einfluss Weiteres Learning: In der Krise haben Technologie Therapiegebiete wie die Onkologie in erreichbare Nähe plattformen gegenüber reinen Produktentwicklern die gerückt sind und durch die Zahlungsströme aus dem Nase vorn Vakzingeschäft diese Technologieplattform über die nöti- Eine weitere Erkenntnis aus der Krise ist, dass Technologie gen finanziellen Mittel verfügen wird, um diese innovative plattformen gegenüber Produktentwicklern eine wichtige Technologie in anderen Therapiebereichen konsequent strategische Stärke aufweisen — nämlich auf unvorherge- weiterzuentwickeln. Hier ist ein sehr bedeutender Einfluss sehene Ereignisse wie die Corona-Krise schnell reagieren auf den gesamten „Biologics“-Markt, wie mRNA für Anti- zu können. Reine Produktgesellschaften haben zwar einen körper und therapeutische Proteine als Medikamente, zu klareren Fokus, aber eben als entscheidende Schwäche, erwarten. Dies bedeutet erhebliche Konsequenzen für dass ihr Wohl und Wehe an dem eingeschlagenen Weg für den gesamten Biotech- und Pharma-Markt und seine Liefer- das in der Entwicklung befindliche Produkt hängt. ketten, was bereits bei der derzeitigen Impfstoffproduktion und -verteilung zu beobachten ist. Der Aufbau leistungs Die COVID-19-mRNA-Vakzine geben Hoffnung, dass durch fähiger Impfstoffproduktionsstätten und sich daran anschlie- ihren Proof of Concept mit einer Produktmarktreife ßender neuer Lieferketten bedeutet für die mRNA-Techno- und einer evaluierten Plattformtechnologie auch andere logie in anderen Indikationsbereichen eine grundlegende Investitionsbasis, auf die diese neue Technologie erfolg- reich aufbauen kann. Die Marktpräsenz von Biotech-Unter- nehmen im Pharma-Markt, die bisher von Big-Biotech- Firmen wie Genentech und Amgen angeführt wurde, wird stark ansteigen. Neben den klassischen Herausforderungen von Biotech- Unternehmen, die sich mit der Entwicklung medizinischer Wirkstoffe befassen, kommen neue Herausforderungen hinzu, für die es entscheidend sein wird, ordentlich gerüs- tet zu sein. Die zunehmende Digitalisierung bringt ganz neue Herausforderungen mit sich So kommt das Thema Cybersecurity zunehmend auf die Agenda. Die jüngsten Hackerangriffe auf Zulassungs behörden und Biotech-Unternehmen durch Kriminelle und ausländische Geheimdienste haben gezeigt, dass Cyber security und Schutz der Daten integraler Bestandteil der Corporate Governance sein müssen. Der Diebstahl von IP oder sensiblen Daten wie auch die immense Gefahr von Sabotage stellen ein sehr hohes und reales Risiko dar. Bio- tech-Unternehmen werden hierauf ein besonderes Augen- merk richten müssen, was auch mit wesentlichen Mehrkos- ten verbunden sein wird. Die Relevanz von Cybersecurity erläutern Anita Kyung-Hee Kim-Reinartz und Lorenz Kuhlee, beide Experten aus dem Bereich „Forensic & Integrity Services“ von EY, im nachfolgenden Interview. 18 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive
Cyberangriffe in der Biotech-Branche Ein Interview mit Anita Kyung-Hee Kim-Reinartz und Lorenz Kuhlee, Partner bei EY, gibt Aufschluss über die Risiken für Biotech-Unternehmen EY: Haben sich durch COVID-19 neue Cyberrisiken ergeben? Anita Kim-Reinartz: Viele Firmen, aber auch Staaten müssen ihre digitalen Strategien anpassen. Cyberkriminelle sehen hier Chancen, davon zu profitieren. Es bilden sich zudem neue Formen von Cyberaktivis- mus heraus, die eine weitere digitale Bedrohung darstellen können. Die Risikolage hat sich daher erheblich verändert. Lorenz Kuhlee: Die Wahrscheinlichkeit, dass duale Erpressungsangriffe mithilfe soge- nannter Ransomware erfolgreich sind, ist immens gestiegen. Beispielsweise werden schädliche E-Mails mit einer COVID-19-Thematik häufiger geöffnet und bieten somit ein Einfallstor für einen Angriff. Hierbei wird erst Löse- geld für die Entschlüsselung der eigenen Daten gefordert. Danach wird nochmals Lösegeld erpresst, damit gestohlene Firmendaten nicht veröf- Bedrohungen ausgesetzt und wie Anita Kim-Reinartz: fentlicht werden. unterscheiden sie sich von denen Durch den großen politischen und anderer Branchen? gesellschaftlichen Druck der Pandemie Viele bekannte Angriffsmethoden sind Biotech-Unternehmen in jüngster erscheinen seit COVID-19 in neuem Lorenz Kuhlee: Zeit noch sehr viel stärker ins Licht Gewand. Dadurch ist die Angriffs Praktisch jedes Unternehmen ist dem der Öffentlichkeit gerückt. Die medi- fläche nicht nur hier spürbar größer Risiko eines Cyberangriffs ausgesetzt. zinische Forschung ist auf weltweite geworden. Auch durch die vermehrte Insbesondere jene mit besonders Kooperation angewiesen. Dennoch ist Arbeit von zu Hause aus sind neue wertvollen Marken sehen sich zusätz es wenig überraschend, dass die Bio- Angriffsvektoren entstanden. lichen und erheblich kritischeren tech-Branche und im Speziellen solche Risiken gegenüber. Besonders im Bio- Unternehmen, die an COVID-19-Impf- EY: tech-Bereich ist das geistige Eigentum stoffen oder -Medikamenten arbeiten, In den Medien wurde jüngst über eine oft der entscheidende Faktor für den derzeit vermehrt Cyberangriffen aus- ganze Reihe verschiedener Angriffe Erfolg am Markt. Dementsprechend gesetzt sind. Es können sogar zusätz- auf Biotech-Unternehmen berichtet. ist es essenziell, dieses vor Angriffen liche Risiken durch Kooperationen ent- Ist der Biotech-Sektor besonderen zu schützen. stehen. Akademische Kooperationen, Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 19
die an Forschungsinstituten, Universi- Lorenz Kuhlee: zunehmend auch Wettbewerbsfaktor. täts- oder privaten Rechnern durchge- Vermehrt wurden auch Cyberangriffe Ebenso Teil einer effektiven Cyber- führt werden, können die IT-Sicherheit durch Aktivisten wahrgenommen, strategie ist das Bestimmen von Busi- stark beeinträchtigen. Die Branche die ihre Standpunkte auf verschiedene ness-Continuity-Maßnahmen, die im ist traditionell ein interessantes Ziel Art und Weise durchsetzen möchten, Falle von Krisensituationen Schäden für Industrie- und Wirtschaftsspionage. zum Beispiel zum Thema Wirksamkeit minimieren. Durch solche Angriffe oder Sabotage der Impfungen und zur gesellschaft der Daten und Systeme kann die For- lichen und ethischen Rolle von Pharma- Cybersicherheit bezieht sich jedoch schung, Entwicklung und Auslieferung und sicherlich auch Biotech-Unter- nicht nur auf einen bestimmten Zu- von Medikamenten wie zum Beispiel nehmen im Allgemeinen. Auch diese gangspunkt im eigenen Unternehmen. von COVID-19-Impfstoffen stark beein- Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Die IT-Sicherheit entlang der gesam- trächtigt werden. Derzeit wird eine ten Beschaffungs- und Lieferketten Menge an Ressourcen von vielen ver- EY: und insbesondere über Schnittstellen schiedenen Gruppierungen eingesetzt hinweg wird immer wichtiger. Die zu- Welche Rolle spielt die Cybersicherheit — auch von staatlich geförderten Cyber- nehmende Integration anderer Unter- in der digitalen Transformation und akteuren, die eine ungleich höhere nehmen und die Nutzung von Managed welche Gefahren entstehen durch deren Bedrohung erzeugen. Der kleinste Vor- Services können viele neue Fragen zur mangelhafte Umsetzung? teil in einem Tauziehen um wichtige Unternehmenssicherheit aufwerfen. Ressourcen kann für ganze Wirtschafts- Der hier entstehende Datenaustausch Lorenz Kuhlee: zweige oder Staaten entscheidend bietet potenziell viele weitere Einfalls- sein, denn jedes Unternehmen ist Für eine erfolgreiche digitale Trans tore für Angriffe. Denn auch die tech- direkt oder indirekt in die derzeitige formation ist eine professionelle nische Integration von Drittanbietern Krise involviert. Cybersicherheit Voraussetzung und und neuen Programmen und Systemen “ Die Biotech-Branche ist traditionell ein interessantes Ziel für Industrie- und Wirtschaftsspionage. Anita K. Kim-Reinartz 20 | Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive
“ Im Zuge der COVID-19-Pandemie ist die Wahrscheinlichkeit für er- folgreiche Cyberangriffe gestiegen. Lorenz Kuhlee Lorenz Kuhlee leitet als Associate Partner bei EY in Eschborn in der Service Line „Forensics & Integrity Services“ den Be- reich „Digital Forensics & Incident Response“ für Deutschland. Mit seinem Team führt er Kunden aller Branchen/Sektoren durch eine Cyberkrise und hilft da- bei, bedrohliche Cyberangriffe abzuwehren, Schäden erfolgt standardmäßig nicht zwangs- einzudämmen und nach unmittelbarer Krisenreaktion weise nach dem „Security by Design“- die Cybersicherheit und Krisenvorsorge zu stärken. Prinzip. Das schwächste Sicherheits- konzept eines Teilnehmers bestimmt das Niveau des gesamten Prozesses. Die Cybersicherheit im Rahmen der Wertschöpfungskette ist eine eigene und äußerst komplexe Herausforde- rung. Um Risiken beherrschbar zu ma- chen, ist ein Management der Daten selbst, aber auch der kompletten Infra- struktur entscheidend. Eine unzurei- chende Sicherheit in digitalen Fragen Anita K. Kim-Reinartz kann mit einem Banktresor ohne Tür leitet als Partner bei EY in Düsseldorf in der Service verglichen werden. Line „Forensics & Integrity Services“ den Sektor „Healthscience and Wellness“ für GSA. Mit ihrem Team Mängel können vielfältige Gefahren unterstützt sie Life-Sciences- und Healthcare-Kunden mit sich bringen. Simplere Angriffe in der Sachverhaltsaufklärung von Handlungen mit auf das Unternehmen, zum Beispiel potenziell wirtschaftskriminellem Bezug und berät sie Betrug, können monetäre Verluste auch im Aufbau und in der Gestaltung ihres Compliance- nach sich ziehen. Erfolgreiche Cyber- Management-Systems zur Prävention. attacken können aber auch einen im- mensen Reputationsverlust bedeuten oder die Marktführerschaft kosten. Für Unternehmen ist es essenziell, geistiges Eigentum vor Angriffen wie Diebstahl oder irreversibler Zugriffs- Lorenz Kuhlee: verweigerung zu schützen. Grundsätzlich nehmen Cyberattacken insbesondere in Bezug auf neue An- in Häufigkeit und Komplexität zu. Da- wendungsgebiete und Methoden, ist Ebenso schlimm wie realistisch sind her gilt es umso mehr, technisch und ein ungemein wichtiger Wirtschafts- jedoch auch Angriffe auf die vernetz- personell aufzurüsten. Es ist davon faktor für Deutschland. Umso kriti- ten Maschinen eines Unternehmens. auszugehen, dass die Cybersecurity scher wird es für Biotech-Unter Werden diese manipuliert, können eine sehr große Rolle bei Biotech- nehmen, sich in Bezug auf die Cyber- sogar Menschenleben, zum Beispiel Unternehmen, aber auch in allen an- sicherheit sorgfältig aufzustellen. durch Mängel in der Medikamenten- deren Branchen spielen wird. herstellung, gefährdet werden. Bei der Herstellung ihrer hochsensib- Anita Kim-Reinartz: len Produkte muss sichergestellt wer- EY: Die deutsche Biotech-Branche ist welt- den, dass jeder Schritt erfolgreich ist. Welche Bedeutung wird Cybersecurity weit gut vertreten und hat ein starkes Ein einziger Fehler in der Herstellung zukünftig in den Biotech-Unternehmen Portfolio. Die schnelle, hochwertige könnte fatale Folgen haben. in Deutschland haben? Forschung und Entwicklung, Deutscher Biotechnologie-Report 2021 Perspektive | 21
Sie können auch lesen