BLEIBT ALLES ANDERS? WZB - Infas
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WZB ERGEBNISSE AUS BEOBACHTUNGEN PER REPRÄSENTATIVER BEFRAGUNG UND ERGÄNZENDEM MOBILITÄTSTRACKING BIS ENDE JULI AUSGABE 16.08.2021 05 BLEIBT ALLES ANDERS? ALLTAGSMOBILITÄT IM ZWEITEN CORONA-JAHR In Kooperation mit Bundesweites Projekt gefördert durch
Projekt: 7331 – MOBICOR Berlin, Bonn, August 2021 Text: Franziska Zehl, Andreas Knie (WZB), Marc Schelewsky (infas) Layout und Grafik: Mischa Frank Folgende Zitierweisen werden empfohlen: Langform: Knie, Andreas; Zehl, Franziska; Schelewsky, Marc: Mobilitätsreport 05, Ergebnisse aus Beobachtungen per repräsentativer Befragung und ergänzendem Mobilitätstracking bis Ende Juli, Ausgabe 16.08.2021, Bonn, Berlin, mit Förderung des BMBF. Kurzform: WZB, infas, MOTIONTAG (2021): Mobilitätsreport 05, Bonn, Berlin, mit Förderung des BMBF.
3 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Die Ergebnisse der dritten Welle im MOBICOR-Projekt liegen vor. Im Volu- men übersteigt der Verkehr im Mai 2021 den vom ersten Corona-Mai 2020, bleibt aber insgesamt noch unter dem Vor-Corona-Niveau. Vor allem junge Menschen sind wieder mobiler. Homeoffice spielt nach wie vor eine große Rolle, allerdings sind die sozialen Unterschiede weiterhin relevant. Das Auto bleibt dominant. Der dortige Mitfahreranteil sinkt. Immer mehr Menschen sind monomodal unterwegs. Der Fußverkehr ist erneut überdurchschnittlich, die Bedeutung des Radverkehrs stagniert auf Bundesebene, steigt aber in den Städten. Der öffentliche Verkehr verliert weiter an Relevanz. Erstmals sinkt auch die Zahl der Zeitkartenbesitzenden. Der Anteil an täglich Nutzenden fällt weiter zurück, wobei die Gründe dafür nicht nur in der Pandemie liegen. Soweit die zentralen Ergebnisse. Spannend wird es bei deren Diskussion und Bewertung. Dazu mehr am Ende in einem Dialog unseres Teams. Viel Spaß bei der Lektüre.
4 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 DAS MOBICOR-PROJEKT – MOBILITÄT IN ZEITEN VON CORONA ERFASSEN UND VERSTEHEN Grundlage der MOBICOR-Studie sind repräsentati- ve Befragungsdaten, die im Design der Studie Mo- bilität in Deutschland (MiD) nun zu drei Zeitpunk- ten mit jeweils 1.500 Befragten erhoben wurden – im Mai/Juni 2020, im Oktober 2020 sowie im Mai/Juni 2021. Die beiden Frühsommerzeitpunkte bezeichnen wir im folgenden Text vereinfachend als „Mai-Erhebung“. Die bundesweit per Telefon gewonnen Daten von über 16-jährigen Personen liefern Informationen zur Alltags- und Stichtags- mobilität. Letztere sind repräsentativ und erlauben Hochrechnungen von Verkehrsleistung und -auf- kommen auf die Grundgesamtheit in Deutschland. Diese Ergebnisse werden mit dem Verkehr im co- ronafreien Referenzjahr 2017 (MiD) verglichen. Ergänzt werden die quantitativen Daten um Infor- mationen aus zwei qualitativen Erhebungen, die Einblick in die Hintergründe der coronabedingten Mobilitätsveränderungen geben. Die erste dieser Ergänzungen fand zwischen Juli und Oktober 2020 statt, die zweite im Juni/Juli 2021. Repräsentative Befragungsdaten Track & Trace (MOTIONTAG) (infas) Dritter Baustein des vom BMBF geförderten MO- BICOR-Projekts sind Tracking-Daten, die mit Hilfe der mobico-App (www.infas.de/mobico) konti- Qualitative Interviews nuierlich seit Beginn des Jahres 2020 gesammelt (NutsOne) werden. Anders als die Analyse kommerzieller Mobilfunkdaten, die aggregierte Informationen zu Bewegungen zwischen Funkzellen liefern, erlaubt das MOTIONTAG-Tracking individuelle Bewegun- gen und Verkehrsmittelnutzungen der Smartpho- ne-Benutzenden nachzuvollziehen. Insgesamt verfolgt die MOBICOR-Studie so mit ihrem Mixed- Method-Design einen umfangreichen und innova- MOBICOR - tiven Ansatz in der Ermittlung und dem Verständ- Mobilität in Zeiten von Corona nis der Mobilität in Zeiten von Corona.
5 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 DAS MOBILITÄTSNIVEAU IM ZWEITEN legten Strecke wider (siehe Tabelle zu Mobilitäts- CORONA-MAI kennziffern). Die jüngste Altersgruppe verbrachte durchschnittlich die meiste Zeit außer Haus (88 Nach einem deutlich abgesunkenen Mobilitäts- Minuten) und legte dabei im Schnitt die längste niveau im ersten Corona-Mai 2020, sind im Mai Tagesstrecke zurück (51 Kilometer). 2021 wieder mehr Befragte an „ihrem“ Berichtstag unterwegs. Im Durchschnitt ergibt sich ein Außer- Werden diese Mobilitätskennziffern mit den Wer- Haus-Anteil von 82 Prozent, welcher aber nach wie ten aus dem coronafreien Mai 2017 verglichen, vor das Mobilitätsniveau von 86 Prozent im Vor- zeigt sich aber: Mit Ausnahme der Jüngsten sind Corona-Mai 2017 unterschreitet (siehe Abbildung die Menschen auch im Mai 2021 längst nicht so „Außer-Haus-Anteile“). Dabei ist das reduzierte mobil wie vor Corona. Zwar nähern sich die durch- Mobilitätsniveau vor allem auf das ausbleibende schnittliche Unterwegszeit, Wegezahl und Tages- Unterwegssein der über 65-Jährigen zurückzufüh- strecke im Mai 2021 insgesamt wieder stärker den ren. Für die Corona-Risikogruppe kann seit Beginn Werten vor Corona an, was sich – im Vergleich zum der Pandemie ein stetig sinkender Außer-Haus- ersten Corona-Mai – in geringeren Mobilitätsrück- Anteil am Berichtstag beobachtet werden. Bei den gängen im Mai 2021 gegenüber dem Normal-Mai unter 65-Jährigen liegt die Unterwegs-Quote im 2017 äußert. Allerdings ist im Mai 2021 ausschließ- Mai 2021 hingegen wieder über der vom Mai und lich die jüngste Altersgruppe annähernd so viele Oktober 2020. Die unter 30-Jährigen sind im Mai Minuten und sogar mehr Tageskilometer als vor 2021 sogar häufiger als vor der Corona-Pandemie der Corona-Pandemie außer Haus unterwegs. Das am Berichtstag unterwegs. verstärkte Unterwegssein hat mutmaßlich damit zu tun, dass der Präsenzunterricht in Schule und Das vergleichsweise hohe Mobilitätsniveau der Hochschule wieder zugenommen hat. Bei den über 16- bis 29-Jährigen spiegelt sich auch in deren 30-Jährigen liegen die durchschnittliche Unter- Unterwegszeit und der am Berichtstag zurückge- wegszeit und Wegestrecke nach wie vor unter Außer-Haus-Anteile nach Altersgruppen Angaben in Prozent 100 80 87 90 86 86 86 85 85 86 85 79 79 82 78 82 74 72 77 75 73 70 60 40 20 0 gesamt 16-29 Jahre 30-49 Jahre 50-64 Jahre 65+ Jahre Mai 2017 Mai 2020 Oktober 2020 Mai 2021 Datengrundlage: Mobilität am Berichtstag im MiD-Referenzmonat Mai 2017 sowie am Berichtstag der ersten, zweiten und dritten MOBICOR-Welle; Personen ab 16 Jahren
6 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 44 % der Befragten steigen im Mai 2021 vom ÖV aufs Auto um. dem Niveau vom Mai 2017. Bei den über 65-Jähri- Regeln, die er oder sie für sinnvoll erachtet. Dass gen haben sich die Mobilitätskennziffern gegen- junge Leute im Mai 2021 wieder verstärkt ihrem über dem Frühjahr 2020 sogar weiter verringert Mobilitätsbedürfnis nachgeben, steht also nicht und liegen damit noch deutlicher unter den unbedingt im Widerspruch zur Einhaltung der Co- Referenzwerten der Studie „Mobilität in Deutsch- rona-Regeln. Jüngere und im Allgemeinen weniger land“ (MiD) von 2017. Ein Zurück zur Normalität ist gefährdete Menschen scheinen aber tendenziell also nicht für alle Altersgruppen und nicht im sel- flexibler mit den geltenden Corona-Schutzmaß- ben Maße zu erkennen. Gerade ältere Menschen nahmen umzugehen. reduzieren im Laufe der Pandemie weiter ihre Mobilität, während die Jüngeren eher in Richtung vor-Corona-Normalität streben. Mobilitätskennziffern am Berichtstag im Mai 2021 Dass die jüngste Altersgruppe im zweiten Corona- nach Altersgruppen Angaben in Mittelwerten pro Person und Tag Frühling wieder vergleichsweise aktiv ist, geht al- lerdings nicht automatisch mit einer Missachtung der Corona-Regeln einher. Stattdessen zeigt sich 16-29 30-49 50-64 65 und Jahre Jahre Jahre älter die überwiegende Mehrheit von 73 Prozent der 16- bis 29-Jährigen überzeugt, dass die Corona-Regeln Tagesstrecke in km 51 32 44 19 zur Eindämmung des Virus notwendig sind und halten sich nach eigenen Angaben auch daran. Bei den über 30-Jährigen sind es sogar 87 Prozent, die Unterwegszeit in min 88 83 87 60 sich aus Überzeugung an die Corona-Bestimmun- gen halten. Zudem hält sich jede und jeder Vierte Ø Anzahl Wege 2,6 3,0 3,1 2,1 der 16- bis 29-Jährigen ausschließlich an diejenigen
7 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Mobilitätsrückgänge in Prozent im ersten und zweiten Corona-Mai gegenüber MiD-Mai 2017 Basis der ermittelten Rückgänge in Prozent: Tageswerte pro Person nach Altersgruppen Mai 2020 gegenüber MiD-Mai 2017 Mai 2021 gegenüber MiD-Mai 2017 10 9 5 0 -4 -5 -10 86 86 -10 -10 -11 -12 -13 -26 -14 -15 -15 -15 -16 -19 -19 -20 -20 -22 -21 -23 -24 -24 -25 -27 -27 -30 -30 -35 -36 16-29 Jahre 30-49 Jahre 50-64 Jahre 65+ Jahre 16-29 Jahre 30-49 Jahre 50-64 Jahre 65+ Jahre -40 Unterwegszeit pro Tag Tageskilometer Wege pro Tag Datengrundlage: Mobilität am Berichtstag MOBICOR 2020/21 und aus dem MiD-Referenzmonat Mai 2017, Personen ab 16 Jahren
8 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 EINORDNUNG DER ERHEBUNGSERGEBNISSE ANHAND DER TRACKING-DATEN Neben den Befragungen wird auch die Mobilität bremse traten seit Ende des Jahres 2020 umfas- im MOBICOR-Projekt über die Smartphone-App sende Maßnahmen in Kraft, die zur Eindämmung „mobico“ erfasst. Sie liefert kontinuierlich indi- des Infektionsgeschehens beitragen sollten. viduelle Mobilitätsdaten zu einzelnen Verkehrs- Zwischen Dezember 2020 und April 2021 zeigten mittelnutzungen (Etappen) mit Informationen sich regional stark unterschiedliche Ausprägun- zu deren Dauer, Verlauf, Geschwindigkeit und gen der Maßnahmen, die zudem häufig ange- Tageszeit. Dabei werden zehn Verkehrsmittel passt wurden. Das Mobilitätniveau sank dadurch unterschieden. Zudem sind Informationen zu bereits deutlich unter den Referenzwert aus der Aufenthalten im Datensatz enthalten. Moti- Studie „Mobilität in Deutschland“ von 2017 – in ontag stellt diese Daten für rund 2.000 Nutzer den Abbildungen als MiD-Baseline dargestellt. bereit. Sie liefern die Grundlage für die Beob- Mit dem Eintreten der Bundesnotbremse zeigten achtung der Mobilitätsdynamik während des sich deshalb nur geringe weitere Veränderungen Pandemiegeschehens. Die beiden Abbildungen in der Unterwegszeit und den Tageskilometern. basieren auf diesen Tracking-Daten und zeigen die durchschnittlichen Unterwegszeiten und Ta- Bereits Mitte November 2020 lässt sich ein er- geskilometer. Erkennen lassen sich die Verände- heblicher Einbruch beider Kennwerte feststellen, rungen in diesen Mobilitätskennziffern während der aber im Vergleich zum Rückgang im Frühjahr der Pandemie. 2020 weniger deutlich ausfällt. Zum Jahreswech- sel ist ein erneuter Rückgang zu verzeichnen, der Die Erhebung der dritten Welle fand etwa drei bis etwa Mitte Februar andauert. Anschließend Wochen nach Inkrafttreten der sogenannten lässt sich eine leichte Erholung feststellen, dabei Bundesnotbremse statt und endete etwa zeit- verbleiben aber die durchschnittlichen Unter- gleich mit dem Auslaufen dieses Maßnahmen- wegszeiten und die absolvierten Kilometer pro bündels. Letzteres umfasste Schließungen von Tag immer noch unterhalb der MiD-Baseline. Geschäften, Freizeiteinrichtungen wie Museen, Zoos, Schwimmbädern, Kinos und Theater, Bemerkenswert sind zudem die Spitzen insbe- Beherbergungsverbote, ein Empfangsverbot von sondere bei den durchschnittlichen Unterwegs- Gästen in Restaurants und Kantinen, Einschrän- zeiten, die ab Mitte Februar besonders deutlich kungen bei der Ausübung von Sport sowie um- an den Wochenenden zu erkennen sind. Wäh- fassende Einschnitte für Bildungseinrichtungen. rend einerseits eine Vielzahl an Aktivitäten ver- Zudem gab es eine Aufforderung zur Homeof- mehrt im wohnungsnahen Umfeld stattfindet, fice-Nutzung, wo immer dies möglich ist. Auf- werden andererseits punktuell zeitintensivere grund der fehlenden Angebote an Freizeit- und Wege absolviert. So werden beispielsweise Spa- Konsummöglichkeiten sowie der umfassenden ziergänge oder Radtouren unternommen, ver- Verlagerung von Schule und Arbeit in die ei- mutlich um der Begrenzung auf das wohnungs- genen vier Wände ist ein deutlicher Rückgang nahe Umfeld oder auch der eigenen Wohnung zu in der täglichen Unterwegszeit und auch den entfliehen. Eine genauere Analyse der Tracking- zurückgelegten Kilometern pro Tag zu erkennen. Daten wird in einem der folgenden Berichte des Bereits vor dem Inkrafttreten der Bundesnot- MOIBICOR-Projekts erfolgen.
9 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Unterwegszeit und Verkehrsmittelwahl Januar 2020 bis Anfang Juli 2021 Angaben in Stunden pro Person und Tag 16.12. verschärfter Lockdown 23.4. „Bundesnotbremse“ 04.05. deutliche Reduzierung Shutdown 02.11. Lockdown Light 11.04. Ostersamstag 16.03. Beginn Shutdown 2,5 Fahrrad zu Fuß 2,0 ÖV Auto 1,5 MiD-Baseline 1,0 0,5 0,0 01.08.2020 01.09.2020 01.02.2020 01.03.2020 01.05.2020 01.01.2021 01.02.2021 01.03.2021 01.04.2021 01.05.2021 01.06.2021 01.07.2021 01.01.2020 01.04.2020 01.06.2020 01.07.2020 01.10.2020 01.11.2020 01.12.2020 Tageskilometer pro Person Januar 2020 bis Anfang Juli 2021 Angaben in Mittelwerten (Kilometer pro Person) 04.05. deutliche 16.12. verschärfter Lockdown 23.4. „Bundesnotbremse“ Reduzierung Shutdown 02.11. Lockdown Light 11.04. Ostersamstag 90 Fahrrad 16.03. Beginn Shutdown 80 zu Fuß 70 ÖV Auto 60 MiD-Baseline 50 40 30 20 10 0 01.01.2020 01.02.2020 01.03.2020 01.04.2020 01.05.2020 01.06.2020 01.07.2020 01.08.2020 01.09.2020 01.10.2020 01.11.2020 01.12.2020 01.01.2021 01.02.2021 01.03.2021 01.04.2021 01.05.2021 01.06.2021 01.07.2021 Datenbasis: rund 2.000 Personen bundesweit im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
10 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 SOZIALE UNTERSCHIEDE IN DER MOBILITÄT ren virtuellen Mobilitätsquote bei Menschen aus BLEIBEN BESTEHEN weniger gut situierten Haushalten wider. Während im Mai 2021 86 Prozent der Menschen mit hohem Neben dem Alter ist auch der ökonomische Haus- ökonomischem Haushaltsstatus am Berichtstag haltsstatus der Befragten für das Verkehrsver- online aktiv waren, trifft dies nur auf 64 Prozent halten entscheidend. So waren am Berichtstag der Menschen mit mittlerem und 62 Prozent der 78 Prozent der Personen mit niedrigem, 81 Prozent Menschen mit niedrigem ökonomischem Haus- derjenigen mit mittlerem und 88 Prozent der Per- haltsstatus zu. Die ohnehin schon beachtliche sonen mit hohem ökonomischem Haushaltssta- virtuelle Mobilitätsquote der ökonomisch gut ge- tus außer Haus unterwegs. Darüber hinaus sind stellten ist seit Oktober 2020 also nochmals ge- die durchschnittliche Unterwegszeit, Tagesstrecke stiegen (Oktober 2020: 80 Prozent). Bei Menschen und Wegezahl von Menschen mit hohem ökono- mit einem ökonomisch schwächeren Hintergrund mischem Status im Mai 2021 am höchsten und ist sie hingegen vergleichsweise konstant geblie- liegen nahezu wieder auf Normal-Niveau. Die mo- ben. In der Summe bedeuten diese Ergebnisse: bilsten sind und bleiben vor und während Coro- setzt man Online- und Außer-Haus-Mobilität mit na also die Personen mit hohem ökonomischem gesellschaftlicher Teilhabe gleich, sind es in einer Haushaltsstatus. Sie tätigten am Berichtstag im belastenden Zeit wie der während der Corona- Mai 2021 bereits im Schnitt wieder 3.4 Wege, für Pandemie gerade Personen aus finanziell sehr gut die sie durchschnittlich 98 Minuten aufwendeten ausgestatteten Haushalten, die auf Grund ihrer und 51 Kilometer zurücklegten. Menschen mit vergleichsweise privilegierten Ausgangslage be- niedrigem oder mittlerem ökonomischem Haus- sonders am gesellschaftlichen Leben teilhaben haltsstatus sind im Vergleich zum ersten Corona- können und dies auch tun. Mai tendenziell zwar auch wieder mehr und länger unterwegs, erreichen aber nicht die Referenzwerte WANN, WIE VIEL UND WARUM: aus dem Mai 2017 oder gar das Niveau der Perso- DAS VERKEHRSVOLUMEN IM MAI 2021 nen mit hohem ökonomischem Haushaltsstatus. Auch im zweiten Corona-Frühjahr bleibt es also da- Basierend auf der durchschnittlichen Wegezahl bei: der „Mobilitätsfußabdruck“ – eine Kategorie, im Mai 2021 von 2,7 Wegen pro Tag und pro Per- die es noch weiter zu bestimmen gilt – steigt mit son, ergibt sich ein tägliches Verkehrsaufkommen, dem ökonomischen Haushaltsstatus. das in der Summe nach wie vor niedriger ist als im Vergleichszeitraum vor der Corona-Pandemie. Im Interessant ist, dass nicht nur die räumliche Mo- zeitlichen Verlauf ist das hochgerechnete Verkehrs- bilität sehr stark vom Einkommen abhängt. Im aufkommen leicht gestiegen: Wurden im Mai 2020 Mai 2021 werden erneut soziale Unterschiede in noch 170 Millionen, im Oktober 2020 182 Millionen der virtuellen Mobilität, also im Unterwegssein Wege pro Tag zurückgelegt, waren es im Mai 2021 im virtuellen Raum sichtbar. Dabei ist bereits die in der Summe bereits 193 Millionen Wege täglich. Ausstattung mit digitalen Endgeräten, die den Zugang zu virtueller Mobilität erst ermöglichen, Allerdings ist durch den Anstieg von 30 (Mai 2020) sehr ungleich verteilt: Menschen mit hohem öko- auf 39 Millionen Wege zwischen 5 Uhr und 10 Uhr nomischem Haushaltsstatus verfügen insgesamt morgens die morgendliche Rushhour im Mai 2021 deutlich häufiger über Smartphones, Tablets und wieder stärker ausgeprägt als im ersten Corona- andere Devices als Menschen aus Haushalten mit Mai. Darüber hinaus werden im Frühjahr 2021 weniger finanziellen Mitteln. Dieses Ungleichge- auch wieder mehr Wege in den späteren Abend- wicht spiegelt sich in einer entsprechend niedrige- stunden zurückgelegt. Letzteres Ergebnis könnte
11 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Mobilitätskennziffern am Berichtstag im Mai 2021 nach ökonomischem Status Außer-Haus-Anteil in Prozent Tagesstrecke pro Person in km gesamt niedrig mittel hoch gesamt niedrig mittel hoch Mai 2017 85 82 89 Mai 2017 42 32 40 52 Mai 2020 79 73 78 86 Mai 2020 34 27 29 46 Mai 2021 82 78 81 88 Mai 2021 36 32 27 51 Ø Wegezahl pro Person und Tag Unterwegszeit pro Person und Tag in Minuten gesamt niedrig mittel hoch gesamt niedrig mittel hoch Mai 2017 3,2 3,0 3,1 3,5 Mai 2017 91 80 87 100 Mai 2020 2,4 2,1 2,2 2,8 Mai 2020 75 64 75 86 Mai 2021 2,7 2,5 2,4 3,4 Mai 2021 80 65 79 98 Was ist der ökonomische Status des Haushaltes? Der ökonomische Haushaltsstatus wird nach dem Prinzip des Äquivalenzeinkommens bestimmt, das in der Sozialforschung für Analysen der Einkommensverteilung verwen- det wird. Anhand des Haushaltsnettoeinkommens und der Haushaltsgröße werden Haushalte in fünf Katego- rien eingeteilt. In diesem Bericht verwenden wir eine Zusammenfassung dieser Kategorien und unterscheiden zwischen Menschen aus Haushalten mit niedrigem, mittlerem und hohem ökonomischem Status. Verfügbare Geräte mit Internetzugang nach ökonomischem Status des Haushalts Angaben in Prozent 100 90 92 94 80 86 84 70 68 60 62 58 60 50 49 49 40 44 44 30 20 10 7 3 2 0 Smartphone/ Desktop-PC Laptop Tablet keines davon Handy Ökonomischer Status: niedrig mittel hoch Datengrundlage: Mobilität am Berichtstag im MOBICOR-Oktober, Personen ab 16 Jahren
12 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 nicht zuletzt den gelockerten Restriktionen für Abbildung zum Verkehrsaufkommen nach Wege- die Gastronomie zugeschrieben werden und mehr zweck). Zudem liegt die Zahl der Freizeitwege mit Kneipen- oder Restaurantbesuche widerspiegeln. 51 Millionen Wegen pro Tag immer noch unter den 61 Millionen täglichen Freizeitwegen vor Corona. Tatsächlich zeigt sich aber im Vergleich zum ersten Im Gegensatz dazu fällt das Plus im Verkehrsauf- Corona-Mai ein kaum merklicher Anstieg in der für kommen für Begleitwege stärker aus, was im Ein- Freizeitzwecke unternommenen Wegezahl (siehe klang mit den wieder relativ konstanten Schul- und Verkehrsaufkommen pro Tag absolut im Tagesverlauf Hochrechnung in Millionen Wegen 60 50 47 40 42 43 41 39 41 39 39 39 36 35 37 30 27 20 22 21 20 17 19 18 18 17 10 12 13 12 6 3 4 3 0 05:00 - 07:59 08:00 - 09:59 10:00 - 12:59 13:00 - 15:59 16:00 - 18:59 19:00 - 21:59 22:00 - 04:59 Mai 2017 Mai 2020 Oktober 2020 Mai 2021 Verkehrsaufkommen pro Tag absolut nach Hauptwegezweck Hochrechnung in Millionen Wegen 60 61 50 51 50 45 40 41 39 39 37 41 37 36 35 35 30 32 33 27 27 20 21 19 16 10 13 6 2 3 2 8 10 6 0 Arbeit dienstlich Ausbildung Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung Mai 2017 Mai 2020 Oktober 2020 Mai 2021 Datengrundlage: am Berichtstag zurückgelegte Wege von Personen ab 16 Jahren
13 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Kitaöffnungen im Mai 2021 steht. Auch der Anstieg te. Werden die Zahlen für das Referenzjahr 2017 dienstlicher Wege zeigt, dass die Entspannung der betrachtet, wurden laut BMVi (2019) 40 Prozent Corona-Lage tendenziell mit der Wideraufnahme der über 200 Millionen Flugreisen zu beruflichen alter Routinen verbunden ist. Pandemiebedingt oder dienstlichen Zwecken angetreten. Dass zu- mussten Dienstreisen im Mai und Oktober 2020 letzt während der Corona-Pandemie wieder mehr zeitweise vollkommen ausbleiben, während im Dienstreisen angetreten, aber auch private Kon- Mai 2021 wieder ein Anstieg von täglich 13 auf takte in Präsenz getroffen und Ziele im Ausland 21 Millionen dienstliche Wege beobachtet werden besucht wurden, könnte auch Auswirkungen auf kann. Die Zahl der Wege zum Ausbildungsplatz das Flugverhalten haben. bleibt weiterhin sehr klein. Insgesamt gaben 40 Prozent der Befragten an, be- EXKURS: CORONA UND DAS FLUGZEUG reits vor der Corona-Krise möglichst auf Flüge ver- zichtet zu haben und das auch nach der Pandemie Das Vorhaben MOBICOR konzentriert sich in der beibehalten zu wollen. Allerdings zeigen sich Men- Erhebung auf den Alltagsverkehr. Der jeweili- schen mit hohem Einkommen aber als vergleichs- ge Stichtag gilt als Maßstab und wird auf seine weise unflexibel wenn es um den Verzicht auf Repräsentativität für alltägliche Bewegungen Flugreisen geht. Menschen mit hohem Einkom- geprüft. Ergänzend wurden im Mai 2021 auch men werden sich daher auch in Zukunft seltener Fragen zum Reiseverhalten der Probandinnen und vom Flugzeug lösen. Rund 50 Prozent der befrag- Probanden gestellt. ten Vielverdienerinnen und Vielverdiener geben an, nicht gut auf Langstreckenflüge verzichten zu Vor dem Hintergrund des gestiegenen Verkehrs- können. Ein Drittel der hohen Einkommensschicht aufkommens für Dienst- und Freizeitzwecke in den kann oder will zudem nicht auf Kurzstreckenflü- vergangenen Jahren stellt sich die Frage, welche ge verzichten. Dagegen berichten 72 Prozent der Rolle dem Flugzeug in Zukunft zukommen könn- Menschen mit mittlerem und 74 Prozent der Men-
14 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 schen mit niedrigem Einkommen bereits vor Coro- Split wie Fußwege, konnte aber nach dem Tiefst- na möglichst auf Flugreisen verzichtet zu haben. wert im Oktober 2020 wieder zulegen. Der Unter- Auf Basis der vorliegenden Zahlen ist zu erwarten, schied zum Herbst 2020 zeigt dennoch, wie wet- dass Menschen mit hohem Einkommen in der terabhängig die Radnutzung nach wie vor ist. kommenden Zeit wieder verstärkt auf Flugreisen setzen werden, wenn sich die politischen Rahmen- Klarer Spitzenreiter bleibt im Mai 2021 das Auto. bedingungen nicht ändern. Der MIV-Fahrer-Anteil im Modal-Split knackt in diesem Monat die 50-Prozent Marke, so dass DAS AUTO DOMINIERT WEITERHIN mehr als die Hälfte aller täglichen Wege als MIV- Fahrerin oder MIV-Fahrer zurückgelegt werden Neben dem wieder leicht gestiegenen Verkehrs- (MIV – Motorisierter Individualverkehr Auto, Mo- aufkommen hat sich die Verkehrsmittelwahl bei torrad, Lkw). Das sind nochmals etwas mehr als vor den alltäglichen Wegen seit Beginn der Pandemie der Corona-Pandemie und im ersten Corona-Mai, nur wenig geändert. Genau wie im ersten Corona- aber wiederum deutlich weniger als im Oktober Mai 2020 ist der Anteil des Fußverkehrs am Modal 2020. Das Auto ist daher auch kein „Gewinner“ Split im Mai 2021 hoch: fast jeder vierte Weg wird im Verkehrsmittelmix, sondern hat lediglich seine gelaufen. Damit sind die Füße auch im zweiten bereits vorhandene Dominanz gefestigt. Während Corona-Jahr eine gern gewählte Fortbewegungs- der Sommermonate relativiert sich der Anteil noch, art um von A nach B zu kommen. 68 Prozent der weil mutmaßlich mehr zu Fuß gegangen oder das Fußverkehrsleistung ist dabei Freizeitzwecken Fahrrad genutzt wird. Lediglich sieben Prozent der zuzurechnen, jeder fünfte gelaufene Weg dient täglichen Wege werden im Mai 2021 als MIV-Mit- Erledigungen oder Einkäufen. Das Fahrrad hat hin- fahrende zurückgelegt – und das obwohl die Kon- gegen nur einen halb so großen Anteil am Modal taktbeschränkungen, die auch für Autofahrerinnen Anteil der über 16-Jährigen, die „gut auf Kurz-/Langstreckenflüge verzichten können“ nach ökonomischem Status der Befragten 63 gesamt 73 68 niedrig 70 71 mittel 77 48 hoch 68 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Langstreckenflüge Kurzstreckenflüge Datengrundlage: MOBICOR-Befragungsergebnisse im Mai 2021, Personen ab 16 Jahren
15 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 und Autofahrer galten, zu diesem Zeitpunkt außer Corona-Pandemie. Wie stark der ÖV auch ein Jahr Kraft waren und die Infektionslage die Mitnahme nach Beginn der Pandemie in der Krise steckt, zeigt haushaltsfremder Personen im Auto erlaubte. sich auch in den Hochrechnungen. Das Verkehrs- volumen von 14 Millionen täglichen ÖV-Wegen Der leichte Anstieg im Allein-Fahreranteil wäh- stagniert seit Oktober 2020 und liegt sehr deutlich rend Corona ist hauptsächlich auf Menschen aus unter den im Mai 2017 gemessenen Volumen von Haushalten mit hohem ökonomischem Status zu- 23 Millionen ÖV-Wegen. rückzuführen. Während sich er bei Wegen, die von Menschen mit niedrigem und mittlerem ökonomi- Wie schwierig die Lage des ÖV ist, zeigt sich aber schem Haushaltsstatus zurückgelegt wurden, seit vor allem in der Gegenüberstellung mit dem MIV. Mai 2020 kaum verändert hat, steigt der Anteil an Wird das erbrachte Verkehrsvolumen von Auto allein im Auto zurückgelegten MIV-Wegen unter und ÖV verglichen, ergibt sich für den Mai 2017 Vielverdienenden um 17 Prozentpunkte. Die, die es ein Verhältniswert von 6. Das heißt, vor Corona sich leisten können, nutzen das Auto im Mai 2021 wurden sechsmal so viele Personenwege mit dem also deutlich häufiger alleine und nehmen seltener Auto wie mit Bus oder Bahn zurückgelegt. Im Mai andere Menschen im Auto mit. 2021 liegt dieser Faktor bei 8. Zwar ist dieses Er- gebnis besser als die Bilanz aus dem Mai 2020, in Gleichzeitig stabilisiert sich im Mai 2021 der Anteil welchem sogar 9,5-mal so viele Personenwege mit des öffentlichen Verkehrs (ÖV) am Modal-Split auf dem Auto wie mit dem ÖV zurückgelegt wurden. sehr niedrigem Niveau. So werden auch im Mai Die Verschiebung in der Dualität zwischen MIV 2021 nur sieben Prozent aller Wege mit öffentli- und ÖV zugunsten des Autos ist auch im Mai 2021 chen Verkehrsmitteln zurückgelegt – weniger als überdeutlich und muss mit Blick auf die zu errei- im Oktober 2020 und weit weniger also vor der chenden Klimaziele alarmieren. Modal Split vor und während der Pandemie Angaben in Prozent Mai 2021 24 11 7 51 7 Oktober 2020 22 9 6 55 8 Mai 2020 27 11 8 48 6 Mai 2017 19 12 10 49 10 zu Fuß Fahrrad MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer ÖV Datengrundlage: Verkehrsmittelnutzung für am Berichtstag zurückgelegte Wege von Personen ab 16 Jahren
16 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 kehrsleistung sogar in einem noch dramatischeren Anteil der Wege, die am Berichtstag alleine im Auto zurück- Licht. So wurden im Mai 2021 9 Mal so viele Perso- gelegt wurden, nach ökonomischem Status Angaben in Prozent nenkilometer mit dem MIV wie mit schadstoffär- meren öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. gesamt niedrig mittel hoch Zum Vergleich: vor Corona lag das Verhältnis der Verkehrsleistung von MIV zu ÖV noch bei 3:1. Mai 2020 57 51 60 60 Mai 2021 59 52 61 77 WER FÄHRT EIGENTLICH AUTO UND WARUM? Wirft man einen genaueren Blick auf die Personen, die im Mai 2021 als MIV-Fahrer oder MIV-Fahrerin Und auch die Ergebnisse zur Verkehrsleistung be- unterwegs sind, machen unter anderem Erwerbs- stätigen die kritische Situation für den ÖV. So kom- tätigkeit, Alter der Befragten und Kinder im Haus- men im Mai 2021 sogar Fuß und Fahrrad zusam- halt einen Unterschied. Allein die Hälfte (54 Pro- mengenommen auf eine höhere Verkehrsleistung zent) der im Mai 2021 erbrachten Verkehrsleistung als der ÖV. Tatsächlich erscheint das Größenverhält- wird zu beruflichen oder dienstlichen Zwecken nis zwischen MIV und ÖV im Hinblick auf die Ver- zurückgelegt. Freizeitwege machen hingegen nur Verkehrsleistung pro Tag absolut nach Verkehrsmitteln Hochrechnung in Millionen Personenkilometern 2000 1800 1.797 1.740 1600 1.661 1.620 1400 1200 1000 800 600 635 489 400 367 385 343 274 200 237 182 115 101 115 121 105 129 80 75 0 zu Fuß Fahrrad MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer ÖV Mai 2017 Mai 2020 Oktober 2020 Mai 2021 Datengrundlage: am Berichtstag zurückgelegte Wege von Personen ab 16 Jahren
17 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 59 % der Auto-Wege werden im Mai 2021 ohne Mitfahrende zurückgelegt. 20 Prozent der hochgerechneten MIV-Fahrer-Ver- sozioökonomischen Differenzen beim Autobesitz kehrsleistung aus, Erledigungen, Einkäufe oder Be- wider. Rund 14 Prozent der Befragten haben über- gleitungen rund ein Viertel (24 Prozent). Abgesehen haupt kein Auto, wobei der Anteil an Pkw-losen un- davon ist der MIV-Fahrer-Anteil am Modal Split bei ter den Geringverdienenden am höchsten (26 Pro- Menschen mit Kindern im Haushalt vergleichsweise zent) ist und in der hohen Einkommensschicht hoch (60 Prozent) und steigt mit dem Alter. Von den wiederum am niedrigsten ist (fünf Prozent). 54 Pro- unter 30-jährigen werden nur 42 Prozent der Wege zent der Vielverdienenden haben sogar zwei oder im Mai 2021 als MIV-Fahrer oder MIV-Fahrerin zu- mehr Autos, was hingegen nur auf 30 Prozent der rückgelegt. Bei den über 30- bis 54-jährigen beträgt Befragten aus der niedrigen Einkommensschicht der Anteil bereits 54 Prozent am Modal Split. zutrifft. Allerdings scheint die Corona-Pandemie bei den Geringverdienenden den Wunsch nach ei- Eine zentrale Rolle spielt das Einkommen. So sind nem (weiteren) Auto verstärkt zu haben. So gaben nur 19 Prozent der hochgerechneten Verkehrsleis- sechs Prozent der Befragten mit niedrigem Ein- tung als MIV-Fahrer auf Menschen mit niedrigem kommen an, Corona-bedingt mit dem Gedanken Einkommen, 34 Prozent auf die mittlere Einkom- zu spielen ein, (weiteres) Auto anzuschaffen. Unter mensschicht, aber fast die Hälfte (47 Prozent) auf Befragten des mittleren Einkommenssegments die hohe Einkommensschicht zurückzuführen. Ge- waren es drei Prozent, bei Vielverdienenden nur messen an der absoluten Zahl dieser Menschen in zwei Prozent. Auch wenn Befragte aus der niedri- diesen Einkommensgruppen zeigt sich also eine gen Einkommensschicht tendenziell häufiger über- sehr asymmetrische Nutzung des Autos. Tatsäch- legten, sich ein (weiteres) Auto anzuschaffen, setz- lich spiegeln sich diese Unterschiede auch in den te nur ein Prozent der befragten Vielverdienenden
18 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 diese Überlegung in die Tat um. Insgesamt sind es PKW-BESTAND UND FLOTTENALTER im Mai 2021 also gerade finanziell besser gestellte ZU ZEITEN VON CORONA Menschen, die verstärkt auf das Auto setzen (kön- nen) und es sich hinterm Steuer bequem machen. Trotz der finanziellen Probleme, die die Corona- Pandemie für viele Menschen in Deutschland mit DER ÖPNV IN EINER STRUKTURELLEN KRISE sich brachte und immer noch bringt, reißt die Neigung der Deutschen zum Auto auch im zwei- Dass der ÖV immer weiter an Bedeutung verliert, ten Corona-Jahr nicht ab. Zum einen behalten die zeigt sich auch in der schwindenden Zahl der täg- Deutschen ihre Autos in den pandemiegeprägten lich Nutzenden. Lag der Anteil der täglich Bus- und Jahren 2020 und 2021 noch länger als vor Aus- Bahn-Nutzenden im Jahr 2020 noch im zweistel- bruch der globalen Krise. Das zeigt sich am gestie- ligen Bereich, waren es im Mai 2021 nur noch genen Flottenalter der in Deutschland zugelasse- acht Prozent. Gleichzeitig erreicht der Anteil derje- nen Pkw, das laut Kraftfahrbundesamtes (KBA) am nigen, die den ÖV überhaupt nicht nutzen, im Mai Stichtag des 1. Januar 2019 noch bei 9,5 Jahren lag. 2021 einen Höchststand von mehr als 50 Prozent. Im Januar 2020 betrug das durchschnittliche Alter Dazu passt die Entwicklung bei den ÖV-Zeitkar- der zugelassenen Pkw bereits 9,6 Jahre, im Januar ten Besitzenden: vor Corona hatte noch mehr als 2021 sogar 9,8 Jahre. Zum anderen ist – trotz oder jede/r fünfte Befragte ein Abo für den ÖV, im Mai gerade wegen des Corona-Virus – die Entwick- 2021 waren es nur noch 16 Prozent. Dieser Rück- lung eines konstant steigenden Pkw-Bestandes in gang geht durch alle ökonomischen Schichten. Bei Deutschland ungebrochen. Aktuellen Daten des Menschen mit hohem ökonomischem Status fällt KBA zu Folge, lag die Zahl zugelassener Pkw am er aber am deutlichsten aus. Hier ist der Anteil an Stichtag des 1. Januars 2021 bei 48,2 Millionen. Damit stieg sie im Vergleich zum vorherigen Jahr um 0.5 Millionen an (Januar 2020: 47,7 Millionen). Auch im zweiten Pandemiejahr schreibt sich so- mit eine Entwicklung im Pkw-Bestand fort, die seit Alltägliche ÖPNV-Nutzung im Zeitverlauf Angaben in Prozent Jahren beobachtet werden kann. Schaut man auf die vergangenen zehn Jahre zurück (Pkw-Bestand 100 2011: 42,3 Millionen), stieg die Zahl der zugelasse- 90 nen Pkw schließlich konstant um durchschnittlich 80 0,6 Millionen pro Jahr an. Mit den rund 500.000 48 52 53 70 neuzugelassenen Pkw zum 1. Januar 2021 ist der 60 Anstieg im Pkw-Bestand zwar insgesamt gerin- 50 ger als in den Jahren vor der Pandemie. Dennoch 40 ist kein Innehalten, eher ein Weiter-so in der Ent- 30 28 30 29 wicklung des Pkw-Bestandes in Deutschland zu 20 erkennen. Vor dem Hintergrund der bis dato rund 11 10 10 10 55 Millionen Führerscheinbesitzenden in Deutsch- 11 10 8 0 land (MiD), dürfte der ungebrochene Anstieg im Mai 2020 Okt 2020 Mai 2021 Pkw-Bestand also früher oder später in einer Voll- versorgung der Deutschen mit Autos münden, bei (fast) täglich wöchentlich der jeder Führerscheinbesitzende hinter einem seltener (fast) nie Steuer Platz findet. Datengrundlage: Nutzungshäufigkeit des ÖPNV im Alltag von Personen ab 16 Jahren
19 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 ÖV-Abo-Besitzenden von 21 Prozent vor Corona ÖV das Auto nutzten, wuchs dieser Anteil im Mai auf 14 Prozent im Mai 2021 gesunken. Menschen 2021 auf 43 Prozent. Unter Befragten mit mitt- mit niedrigem ökonomischem Status haben sich lerem ökonomischem Status wechselte sogar die seltener von ihrem ÖV-Abo getrennt, obgleich Hälfte von Bus und Bahn auf den MIV um. Die An- auch hier ein Rückgang um fünf Prozentpunkte nahme, dass die niedrigere Umsteigerquote in der auf nurmehr 23 Prozent ÖV-Abonnentinnen und hohen ökonomischen Schicht auf einen höheren -Abonnenten zu verzeichnen ist. ÖV-Anteil unter diesen Befragten schließen las- sen könnte, ist allerdings falsch. Wie ein Blick auf Darüber hinaus ist die Frage, welches Verkehrsmit- den Modal Split der drei ökonomischen Schichten tel von der Krise des öffentlichen Verkehrs profi- zeigt, sinkt der ÖV-Anteil nach wie vor mit zuneh- tiert, noch eindeutiger als im Herbst des vergan- mendem ökonomischem Status. Der geringere genen Jahres zu beantworten: so steigen im Mai Anteil an im Mai 2021 vom ÖV aufs Auto umge- 2021 noch einmal mehr Menschen von Bus und stiegenen Vielverdienenden spiegelt lediglich die Bahn auf das Auto um, als es im Oktober und Mai Tatsache wieder, dass in dieser ökonomischen 2020 der Fall war. Im Mai 2021 sind es 44 Prozent Schicht im ersten und zweiten Corona-Mai kaum der Befragten, die das Auto dem ÖV vorziehen – im noch ÖV-Wege (zwei Prozent) absolviert wurden, Mai 2020 waren es noch 34 Prozent. Anders als im die hätten ersetzt werden können (siehe Abbil- ersten Corona-Mai steigen im Frühjahr 2021 auch dung Modal Split im Zeitverlauf nach ökonomi- Menschen mit niedrigem ökonomischem Status schem Haushaltsstatus). vermehrt vom ÖV aufs Auto um. Waren es im Mai 2020 noch 29 Prozent der Befragten mit niedrigem In der Summe zeigt sich aus Sicht des ÖVs also ökonomischem Haushaltsstatus, die anstelle des Ernüchterung. Abgesehen von den Personen die Alternative Verkehrsmittelnutzung zum öffentlichen Verkehr im Mai 2020 und Mai 2021 Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich Mai 2020 Mai 2021 18 18 gesamt 34 44 22 17 niedrig 29 43 17 20 mittel 36 50 15 15 hoch 36 39 0 10 20 30 40 50 0 10 20 30 40 50 Umstieg auf das Fahrrad Umstieg auf das Auto Datengrundlage: Befragungsergebnisse aus dem Mai 2020 und Mai 2021, Personen ab 16 Jahren
20 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 44 % der Befragten nutzen im Frühsommer 2021 Auto anstatt ÖV.
21 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 den ÖV meiden, nutzt nur jede/r fünfte Befragte Gründe des ÖV-Vermeidens im Mai 2021 den ÖV weiter wie bisher – und das nicht selten Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich aus Gründen der Alternativlosigkeit (41 Prozent). Hinzu kommt, dass die Corona-Pandemie nicht der 60 einzige Grund für die geringe Nutzung des ÖV ist. 50 Auch wenn rund die Hälfte der Befragten im Mai 51 2021 ihre Meidung des ÖV mit dem Corona-Virus 40 42 begründet, sind strukturelle Probleme genauso 30 bedeutsam. Vor allem mangelnde Verbindungen 27 20 stellen ein Problem für die Befragten dar und sind für 42 Prozent der Grund, Bus und Bahn zu meiden. 10 14 Zur Wahrheit gehört eben auch, dass die fehlende 0 Flexibilität und mangelnde Produktqualität starke Motive sind, den ÖV zu meiden. Corona/Angst vor Ansteckung Maskenpflicht schlechte Verbindungen schlechte Taktungen Datengrundlage: Mehrfachnennungen möglich, Personen ab 16 Jahren Modal Split am Berichtstag nach ökonomischem Haushaltsstatus Angaben in Prozent Mai 2017 Mai 2020 Mai 2021 100 2 2 13 9 8 10 7 8 8 90 80 70 40 45 58 44 61 45 48 54 53 60 50 9 7 10 40 9 11 11 12 7 5 4 30 10 11 14 12 9 12 11 20 12 30 28 25 27 10 22 20 16 22 22 0 niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch zu Fuß Fahrrad MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer ÖV Datengrundlage: Verkehrsmittelnutzung am Berichtstag MOBICOR 2020/21 und aus dem MiD-Referenzmonat Mai 2017, Personen ab 16 Jahren
22 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 DAS FAHRRAD PUNKTET IN DEN STÄDTEN mie häufiger zu nutzen. Aufgrund des konstanten Anteils von 15 Prozent am Modal Split kann aber Die beobachteten Entwicklungen in der Verkehrs- dennoch nicht von einem bundesweiten Fahrrad- mittelwahl gehen auch mit einer Verschiebung Boom die Rede sein. Die absolut mit dem Fahrrad in den Präferenzen einher. Eine Präferenz wird zurückgelegte Verkehrsleistung liegt mit hochge- dann konstatiert, wenn ein Verkehrsmittel aus- rechnet täglich 129 Millionen geradelten Perso- schließlich und mindestens wöchentlich genutzt nenkilometern über der im Mai 2017 und Mai 2020 wird. Nach dieser Definition ist der Anteil der gemessenen. Darüber hinaus ist im Laufe der Pan- Pkw-Orientierten im Vergleich zur Zeit vor der demie vor allem in Regiopolen, also Städtetypen Corona-Pandemie gestiegen. Der Anteil der ÖP- wie Erfurt, Magdeburg oder Kassel, die Bedeutung NV-Orientierten ist unter den früheren Wert von des Fahrrads gestiegen. Anders als in Metropolen elf Prozent gesunken. kann hier ein starker Anstieg bei den geradelten Wegen von 13 Prozent im Mai 2020 auf 19 Prozent Mit 15 Prozent ist der Anteil der Fahrrad-Orien- im Mai 2021 beobachtet werden. tierten auf Bundesebene über die Zeit hinweg konstant geblieben. Allerdings scheinen viele Men- MONOMODAL STATT MULTIMODAL schen im Laufe der Pandemie das Fahrrad für sich entdeckt zu haben. Das zeigt sich unter anderem Bei der weiteren Betrachtung von Veränderungen daran, dass sich elf Prozent der Befragten corona- in den Mobilitätssegmenten fällt der Blick auch auf bedingt ein erstes, weiteres oder besseres Fahr- diejenigen, die nicht ein einziges Verkehrsmittel rad zugelegt haben. Zudem geben 18 Prozent der wie z.B. das Fahrrad präferieren, sondern mehrere Befragten an, das Fahrrad seit Beginn der Pande- Verkehrsmittel kombinieren. Diese multimodalen Modal Split im Mai 2020 nach Regionstypen Modal Split im Mai 2021 nach Regionstypen Angaben in Prozent Angaben in Prozent 100 4 6 3 3 3 8 12 6 90 80 70 42 48 57 46 57 43 61 58 60 50 8 5 5 6 40 11 13 6 10 30 8 19 6 13 7 12 10 20 12 31 29 30 10 22 22 23 20 14 0 Metropole Regiopole stadtregions- periphere Metropole Regiopole stadtregions- periphere nahe ländliche ländliche nahe ländliche ländliche Region Region Region Region zu Fuß Fahrrad MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer ÖV Datengrundlage: Verkehrsmittelnutzung für am Berichtstag zurückgelegte Wege von Personen ab 16 Jahren
23 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Profile gelten als Ausweis einer gelebten Alternati- Mobilitätssegmente im Mai 2017, 2020 und 2021 ve zur alleinigen Nutzung des Automobils. Im Ver- Angaben in Prozent gleich zum Mai 2020 ist der Anteil an Mischnut- zerinnen und Mischnutzern gesunken – von acht 100 7 8 8 auf fünf Prozent. Damit ist das kleine Segment 90 7 8 5 von Personen, die verschiedenste Verkehrsmittel 80 täglich oder wöchentlich nutzen, im Verlauf der 70 Pandemie weiter zurückgegangen. Der Anteil an 60 55 57 55 regelmäßigen Vielfachnutzenden, also Menschen 50 die sowohl Auto, Fahrrad als auch ÖPNV mindes- 40 tens wöchentlich nutzen, hat sich seit Mai 2020 30 11 8 10 nicht verändert. Nach wie vor fallen acht Prozent 20 der Befragten in diese Gruppe. Auf dem Land liegt 10 15 15 15 anders als im ersten Corona-Mai, der Anteil der 0 5 6 5 regelmäßigen Vielfachnutzenden im Mai 2021 MiD MOBICOR MOBICOR im zweistelligen Bereich (elf Prozent). In der Stadt Mai 2017 Mai 2020 Mai 2021 nutzen hingegen weniger Menschen als im Mai 2020 das Fahrrad, Auto und den ÖPNV mindes- wenig Mobile Fahrrad-Orientierte tens wöchentlich. Hier ist der Anteil regelmäßiger ÖPNV-Orientierte Pkw-Orientierte Vielfachnutzerinnen und -nutzern von neun auf Mischnutzer regelmäßige Vielfachnutzer sieben Prozent gesunken. Gerade in Städten, in de- nen die öffentlichen Mobilitätsangebote deutlich Datengrundlage: Übliche Verkehrsmittelnutzung von Personen ab 16 Jahren Mai 2020: Mobilitätssegmente in Stadt und Land Mai 2021: Mobilitätssegmente in Stadt und Land Angaben in Prozent Angaben in Prozent 100 9 6 7 11 90 8 5 8 5 80 70 60 50 53 63 62 50 40 30 11 14 20 4 2 14 16 13 10 15 8 4 4 7 0 städtische ländliche städtische ländliche Räume Räume Räume Räume wenig Mobile Fahrrad-Orientierte ÖPNV-Orientierte Pkw-Orientierte Mischnutzer regelmäßige Vielfachnutzer Datengrundlage: Verkehrsmittelnutzung für am Berichtstag zurückgelegte Wege von Personen ab 16 Jahren
24 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Zusammengefasster Regionalstatistischer Raumtyp (RegioStar 7) für die Mobilitäts- und Verkehrsforschung DK Kiel Rostock Hamburg Schwerin Szczecin Bremen PL NL Berlin Hannover Enschede Potsdam Magdeburg Arnhem Bielefeld Nijmegen Cottbus Essen Dortmund Halle/S. Venlo Düsseldorf Kassel Leipzig Erfurt Köln Dresden Chemnitz Bonn BE Frankfurt/M. CZ Wiesbaden LU Mainz Luxembourg Mannheim Nürnberg Saarbrücken FR Stuttgart Strasbourg Ulm München AT Mulhouse Freiburg i.Br. Salzburg Basel CH 100 km Stadtregionen Ländliche Regionen Stadtregionengrenze Metropole Zentrale Städte Grenznahe Großstadt mit stadtregionaler Verflechtung Regiopolen, Großstädte Mittelstädte, städtischer Raum zu Deutschland Mittelstädte, städtischer Raum Kleinstädtischer, dörflicher Raum Kleinstädtischer, dörflicher Raum © BBSR Bonn 2018 Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR; Geometrische Grundlage: Einheitsgemeinden und Gemeindeverbände (generalisiert), 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG; Bearbeitung: BBSR, A. Milbert; Grundkonzeption: BMVI
25 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 vielfältiger und die Fahrradwege tendenziell besser ten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von erschlossen sind als auf dem Land, legen sich die über 2.200 € im Homeoffice arbeitet, ist unter Ge- Menschen während der Pandemie häufiger auf ein ringverdienenden nur jede/r Fünfte überwiegend einziges Verkehrsmittel fest. Die Pandemie führt am heimischen Schreibtisch beschäftigt. Nach wie jedenfalls zu einer stärken monomodalen als zu ei- vor gilt also: von zuhause aus arbeiten zu können ner multimodalen Verkehrsmittelnutzung. ist ein vermeintliches Privileg, das vermehrt den Besserverdienenden zuteil kommt. HOMEOFFICE BLEIBT GEFRAGT Dass die Homeoffice-Nutzung sozial ungleich ver- Seit Beginn der Pandemie ist das Thema Home- teilt ist, lässt sich zum Teil über die Tätigkeitsbe- office omnipräsent und verliert auch im zweiten reiche der Befragten erklären. Insgesamt gab von Corona-Jahr nicht an Bedeutung. Insgesamt arbei- jenen Befragten, die im Mai 2021 nicht im Home- ten im Mai 2021 25 Prozent der über 16-jährigen office arbeiten eine deutliche Mehrheit von 92 Erwerbstätigen ganz oder überwiegend vom hei- Prozent an, dass dies aus Gründen der Arbeitsor- mischen Schreibtisch aus. Im Oktober 2020 waren ganisation nicht möglich war. Wenig überraschend es 19 Prozent, im ersten Corona-Mai 32 Prozent. ist der Homeoffice-Anteil deshalb in IT-prägten Die Befragten, die im Oktober 2020 regelmäßig im Berufen oder im Marketing vergleichsweise hoch Homeoffice arbeiteten, taten dies im Schnitt an – diese Tätigkeiten sind deutlich orts- und zeitfle- 3.3 Tagen pro Woche. Im Mai 2021 liegt der durch- xibler und lassen sich weitaus leichter von zuhau- schnittliche Homeoffice-Umfang bereits bei 3.7 se aus erledigen als logistische oder gastronomi- Tagen pro Woche. Genau wie im Jahr 2020, steigt sche Berufe. Bei Letzteren ist Heimarbeit, wenn der Homeoffice-Anteil auch im Frühjahr 2021 mit überhaupt, nur bedingt möglich, was die geringe dem Einkommen. Während ein Drittel der Befrag- Homeoffice-Quote von 9 bzw. 13 Prozent in die- 57 % der Befragten wünschen sich, unabhängig von Corona im Homeoffice arbeiten zu können.
26 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 sen Tätigkeitsbereichen erklärt (siehe Abbildung denziell an mehr beruflichen Online-Meetings teil, als Homeoffice-Nutzung nach Tätigkeitsbereichen). es Geringverdienerinnen und -verdiener tun. In stark ortsgebundenen Tätigkeiten wie der Pro- duktion, Pflege oder Gastronomie sind wiederum Von der pandemiebedingten Debatte um die Verla- verstärkt Menschen mit mittlerem oder niedrigem gerung der Erwerbsarbeit in die eigenen vier Wän- Einkommen beschäftigt. Im Vergleich zum Oktober de sind Vielverdienende also besonders betroffen. 2020 ist zwar auch hier ein Anstieg im Homeoffice- Bisher in der Diskussion untergegangen ist aber die Anteil zu erkennen, dieser kann aber nicht mit der Frage, ob und wie viel die Menschen grundsätzlich Homeoffice-Quote in Tätigkeitsbereichen, die Bes- im Homeoffice arbeiten möchten. 57 Prozent der serverdienende besetzen, mithalten. Befragten gaben an, unabhängig von Corona min- destens einen Tag im Homeoffice arbeiten zu wol- Den leichter digitalisierbaren Tätigkeitsbereichen len. Unter Vielverdienenden hatten 60 Prozent den entsprechend, zeigen sich Vielverdienerinnen und Wunsch nach mindestens einem Tag Homeoffice Vielverdiener aktiver, wenn es um berufliche Online- pro Woche. Meetings am Berichtstag geht. Insgesamt hat so- wohl im Oktober 2020 als auch im Mai 2021 jede/r Verglichen mit der tatsächlichen Homeoffice-Quo- zehnte Befragte am Berichtstag an mindestens te im Mai 2021 zeigt sich, dass die Diskrepanz zwi- einem beruflichen Online-Meeting teilgenommen. schen Wunsch und Wirklichkeit unter Vielverdie- Tatsächlich lag die durchschnittliche Anzahl an be- nenden in der Tat am geringsten ist. 43 Prozent in ruflichen Online-Meetings am Berichtstag im Mai dieser Gruppe arbeitete im Mai 2021 regelmäßig im 2021 sogar bei 2.7, für die insgesamt rund 2 Stunden Homeoffice, während dies auf nur 24 Prozent der und 40 Minuten aufgewendet wurden. Befragte mit Geringverdienenden zutrifft, von denen sich 60 Pro- hohem Einkommen nehmen im Mai 2021 aber ten- zent ebenfalls diese Option wünschen. Oktober 2020: Homeoffice-Nutzung nach Tätigkeitsbereichen Angaben in Prozent 40 37 30 33 32 25 25 20 22 10 13 9 6 5 0 Computer und Forschen und Ein- und Produktion, Pflege, Kommunikation Lehren Verkauf, Wartung Gastronomie, Marketing, PR und Logistik Sicherheit Okt 2020 Mai 2021 Datengrundlage: im Oktober 2020 und Mai 2021 befragten Erwerbstätigen, Mehrfachnennungen möglich, Personen ab 16 Jahren
27 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 Auch wenn der Homeoffice-Wunsch bei Vielver- die Menschen im Homeoffice zu Zeiten von Coro- dienenden am höchsten ist, bedeutet dies nicht, na gemacht haben. Auch wenn sich 72 Prozent der dass diese ihre Arbeit vollständig ins Homeoffice Befragten, die im Mai 2021 regelmäßig von zuhau- verlagern wollen. Vielmehr ist die Diskrepanz zwi- se arbeiten, insgesamt zufrieden mit ihrer räum- schen gewünschtem und tatsächlichem Homeof- lichen Arbeitssituation zeigen, dürfte vielen klar fice-Umfang in der hohen Einkommensschicht so- geworden sein, dass das Privileg Homeoffice nicht gar am größten. Vielverdienende, die im Mai 2021 immer ein solches ist. Mehrere Tage pro Woche regelmäßig am heimischen Schreibtisch arbei- oder gar vollständig in den eigenen vier Wänden ten, tun dies im Schnitt an 3,7 Tagen pro Woche. zu arbeiten, bedeutet schließlich nicht unbedingt Gleichzeitig ist der gewünschte Homeoffice-Um- eine bessere Arbeitsatmosphäre oder eine leichte- fang in dieser Einkommensschicht am geringsten re Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Einsamkeit, und liegt bei nur 2,6 Tagen wöchentlich. Zwischen Mehrfachbelastungen, fehlender Austausch mit Homeoffice-Wunsch und -Wirklichkeit der Besser- Kolleginnen und Kollegen – das alles sind Nachtei- verdienenden liegt also ein ganzer Tag. Diejenigen, le, die das Homeoffice ganz unabhängig von der die im Zuge der Pandemie-bedingten Debatte räumlichen Arbeitssituation mit sich bringen kann. ums Homeoffice oftmals als die Gewinnerinnen Dass viele Befragte tendenziell weniger häufig im und Gewinner betitelt werden, sind aufgrund ihrer Homeoffice arbeiten wollen, als sie es im zweiten Tätigkeitsbereiche zwar durchaus häufiger in der Corona-Mai tun, könnte also durchaus auf eine Re- Lage von zuhause zu arbeiten. Allerdings wünschen lativierung der Bedeutung von Homeoffice im Ver- sie es sich in einen geringerem Umfang als im Mai lauf der Pandemie hindeuten. Homeoffice ist eine 2021 tatsächlich praktiziert. Dieser Befund könnte neue und interessante, aber nicht eine alle Proble- nicht zuletzt Ausdruck der Erfahrungen sein, die me lösende Form der Erwerbsarbeit. HOMEOFFICE NACH CORONA Anteil Personen „ganz oder überwiegend im Homeoffice“ Dass aber mehr als die Hälfte der rund 1.500 Be- nach ökonomischem Haushaltsstatus Angaben in Prozent fragten unabhängig von der Corona-Pandemie mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice 32 arbeiten will, zeigt, dass Homeoffice auch nach Co- gesamt 19 rona insgesamt und in Maßen zum Arbeitsalltag 25 der meisten Befragten gehören soll. Für viele dürf- 14 te dies mit Blick auf die räumliche Arbeitssituation niedrig 13 zuhause auch möglich sein, verfügen doch 61 Pro- 20 zent der im Mai 2021 regelmäßig von zuhause Ar- 33 beitenden über ein eigenes Arbeitszimmer. Die- mittel 17 jenigen mit Homeoffice-Wunsch, die das Privileg 22 eines eigenen Arbeitszimmers (noch) nicht haben, 40 würden zum Großteil einen festen Arbeitsplatz in hoch 25 der Wohnung einrichten, um das Arbeiten von zu- 33 hause zu ermöglichen oder zu verbessern (66 Pro- 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 zent). Die Option einen vom Arbeitgeber bezahl- ten Co-Working-Space anzumieten, stößt ebenfalls Mai 2020 Oktober 2020 Mai 2021 auf Sympathien (23 Prozent). Manche der Befrag- ten mit Homeoffice-Wunsch würden sogar einen Datengrundlage: zum jeweiligen Zeitpunkt befragte Erwerbstätige ab 16 Jahren Umzug innerhalb des bisherigen Wohnumfelds
28 MOBILITÄTSREPORT 05 AUSGABE 16.08.2021 (17 Prozent) oder in eine neue Stadt nicht ausschlie- sonders berücksichtigt werden. Zum einen scheint ßen (sieben Prozent) – nur um im Homeoffice arbei- ein Mittelmaß aus Homeoffice und Präsenzarbeit ten zu können. Nur zehn Prozent der Befragten, die die Wünsche vieler Arbeitnehmerinnen und Ar- im Mai 2021 regelmäßig von zuhause aus arbeiten, beitnehmer zu reflektieren. Zum anderen legen die gaben an, nach Corona nicht mehr im Homeoffice Daten nahe, dass bereits regelmäßiger Heimarbeit tätig sein zu können. Der Rest wird in Zukunft im ein enormes CO2-Einsparungspotential innewohnt. selben oder reduzierten Umfang von zuhause ar- Auch wenn homeofficebedingte Rebound-Effekte, beiten können. Auch wenn dieser Befund auf Grund die durch Umzug, längere Arbeits- oder Freizeit- der kleinen Fallzahlen nicht verallgemeinert werden wege entstehen könnten, miteinkalkuliert werden kann, ist anzunehmen, dass Homeoffice auch nach müssen, sollte das Homeoffice-Potential mit Blick der Pandemie fester Bestandteil des Arbeitslebens auf die zu erreichenden Klimaziele unbedingt ge- vieler Erwerbstätiger bleiben dürfte. nutzt werden. Von dieser Entwicklung könnten nicht nur Arbeit- UND ALLES IN ALLEM? nehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich ins Home- office wünschen, sondern auch Klima und Umwelt Insgesamt zeigen die Zahlen, dass sich die extremen profitieren. Schließlich steigt im Mai 2021 mit dem Ausschläge unmittelbar nach dem ersten Lockdown Homeoffice-Umfang auch der Anteil an Wegen, die langsam relativieren und so etwas wie ein normaler mit aktiven also klimaneutralen Verkehrsmitteln Alltag auch im Verkehrsverhalten wieder deutlicher zurückgelegt werden. Gleichzeitig legen Menschen erkennbar wird. Ob es aber zu einer Rückkehr zur Si- im Homeoffice deutlich weniger Wege mit dem tuation vor der Corona-Pandemie kommt oder sich Auto zurück, als Präsenzarbeitende. Vor diesem auch dauerhaft Verhaltensänderungen stabilisie- Hintergrund sollten mit Blick auf das Homeoffice ren, darüber kann zum augenblicklichen Zeitraum zwei Ergebnisse aus der dritten MOBICOR-Welle be- nur spekuliert werden. Anteil der Personen mit Wunsch nach Homeoffice (= unab- Anteil der Personen die im Mai 2021 regelmäßig im hängig von Corona mindestens einen Tag im Homeoffice Homeoffice arbeiten nach ökonomischem Status arbeiten zu wollen) nach ökonomischem Status Angaben in Prozent Angaben in Prozent 57 31 gesamt gesamt 43 69 60 24 niedrig niedrig 40 76 52 23 mittel mittel 48 77 60 43 hoch 40 hoch 57 0 25 50 75 100 0 25 50 75 100 Wunsch kein Wunsch Homeoffice kein Homeoffice Datengrundlage: Befragungsergebnisse aus dem Mai 2021, Personen ab 16 Jahren Datengrundlage: Befragungsergebnisse aus dem Mai 2021, Erwerbstätige ab 16 Jahren
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