Bobath, Vojta, Osteopathie & Co - Was für wen und warum? - Thomas Becher Kinderneurologe, Dipl. Heilpädagoge, Gestalt-Therapeut ...
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Bobath, Vojta, Osteopathie & Co - Was für wen und warum? Thomas Becher Kinderneurologe, Dipl. Heilpädagoge, Gestalt-Therapeut Kinderneurologisches Zentrum Gerresheim Sana Kliniken Düsseldorf
Für wen? Was? Warum? • Für wen? ➡ Kinder und Jugendliche mit Bewegungs-Störungen im engeren (neurologischen) und weiteren Sinn (Entwicklungsstörungen, UEMF) • Was? ➡ Methoden der motorischen Förderung in Physio- (und Ergo-) Therapie à AfdP: Anregungen für die Praxis! • Warum? ➡ Evidenz Klinische Erfahrung Therapie-Theorie
Iona Novak und das Ampelsystem Novak, I. et al. A systema1c review of interven1ons for children with cerebral palsy: state of the evidence. Developmental Medicine & Child Neurology 55, 885–910 (2013). Novak, I. et al. State of the Evidence Traffic Lights 2019: Systema1c Review of Interven1ons for Preven1ng and Trea1ng Children with Cerebral Palsy. Curr Neurol Neurosci 20, 3 (2020).
Umsetzung in klinische Praxis • BiNen Sie zunächst das Kind und die Familie, IntervenQons-Ziele zu definieren. • Suchen Sie die entsprechenden IntervenQonsmöglichkeiten mit den zugehörigen Evidenzstufen (…) • Erarbeiten Sie gemeinsam einen Plan, der den Fähigkeiten des Kindes entspricht und die IntegraQon opQmiert. Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Frühe Therapie Sitzen, Stehen und Gehen HandfunkBon Handling und Elternanleitung Heilpädagogische Frühförderung
Ak:vität fördern! • Frühe IntervenQonen zum motorischen Lernen von Kindern führen offenbar zu einer Verbesserung der Bewegung und der KogniQon • Zahlreiche kleine Pilotstudien zu neuen, auf motorischem Lerntraining basierenden IntervenQonen für Kleinkinder mit posiQven Ergebnissen. • baby-CIMT • baby-bimanual • GAME (goals-ac7vity-motor enrichment) • small steps Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Eher nicht wirksam • Motorisches Lernen ist nach der vorliegenden systemaQschen Überprüfung der entscheidende Schlüssel für eine posiQve Wirkung. • Passive Ansätze wie die Neurodevelopmental Therapy (NDT, Bobath) bringen keine besseren Bewegungsfähigkeiten als unbehandelte Kontrollen. • Auch die kondukQve Erziehung (Petö) und die Vojta-Therapie für Kleinkinder mit Zerebralparese scheinen unwirksam zu sein, um die BewegungsferQgkeiten zu verbessern. • Keiner dieser Ansätze basiert auf der Theorie des motorischen Lernens Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Frühförderung wirkt (?!) • Heilpädagogische Frühförderung • Fast keine Daten • „Entwicklungsförderung ist Förderung von Entwicklungsbedingungen.“ (OJo Speck) • Meine Empfehlung: KriQsche Wertung der Inhalte • Erleben die Eltern die Frühförderung als hilfreich? Was „lernen“ sie dort? • Findet die Frühförderung nur mit dem Kind staN? • Was bedeutet „Die spielen nur mit meinem Kind“?
Motorik
Motorik
Was wirkt auf die Motorik … • AussagekräMige Daten aus klinischen Studien belegen die Wirksamkeit von Trainingsbasierten Interven.onen • Bimanual training (Bimanuelles Training) • constraint induced movement therapy (CIMT) • goal-directed training inkl. home programs • Task specific training (Aufgabenspezifisches Training) • Gezielte Ergotherapie nach Botulinumtoxin • mobility training (Mobilitäts-Training) • treadmill training (Lau[and Training) mit und ohne Entlastung • Hippotherapie • ac1on observa1on training (ACT) • Environmental enrichment („Umweltanreicherung“) • Context-focused therapy (Kontextbasierte Therapie) • Anpassung der Umgebung und der Aufgabe, um die Ausführung der Aufgabe zu ermöglichen Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Ac:on Observa:on Training • AcQon ObservaQon Training Eine Filmaufzeichnung zeigt eine zielgerichtete und alltagsrelevante Bewegungsausführung, der Klient beobachtet die Aufzeichnung mehrmals und versucht die Bewegungen anschließend auf die gleiche Art und Weise auszuführen. Döbeli, A.: Ac-on Observa-on Training und Motor Imagery Therapie in der Pädiatrie. hBps://digitalcollec-on.zhaw.ch/bitstream/11475/1148/1/Döbeli_Anna_Stöckli_Sarina_ER13_BA.pdf • Unsere Erfahrungen: Wir setzen Video sehr oc zur gemeinsamen Bewegungs-Analyse ein – oder um gefundene Lösungen für das Kind zu dokumenQeren.
Eher nicht auf die Motorik wirksame Therapien • NDT (Bobath) in klassischer passiver Form • KonducQve Erziehung (Petö) • Massage • Vojta • Yoga • Craniosacrale Osteopathie • Hyperbarer Sauerstoff • Spezielle Anzüge (garment/suit therapy) Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Oder doch …? • Die Befürworter der kondukQven Erziehung nach Petö würden behaupten, dass der Ansatz ganzheitlich ist, dass es nicht sinnvoll ist, die Indikatoren isoliert zu analysieren • Petö kann Vorteile für die sozialen Fähigkeiten und die Lebensqualität haben • Die manuellen Therapien, einschließlich Massage und kranio-sakraler Osteopathie und Reflexologie schienen die Verstopfung zu verringern. • Massage schien auch zur Schmerzlinderung beizutragen, während Yoga dies nicht tat. • Allerdings schien Yoga die Aufmerksamkeit, die Muskelflexibilität und das Gleichgewicht zu verbessern Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Eine Einschränkung? • Die Heterogenität ist der Grund dafür, dass viele der eingeschlossenen Studien breite Konfidenzintervalle aufweisen • Die Studien mit den stärksten Behandlungseffekten konzentrierten sich häufig auf homogene Untergruppen der Zerebralparese (z. B. Halbseitenlähmung). Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Wirkmechanismen Warum wirken die ak7vitäts- und ziel-orien7erten Therapie-Ansätze?
Alle wirksamen Interven0onen haben gemeinsame Merkmale • Einübung von Aufgaben und AkQvitäten aus dem realen Leben unter Verwendung selbst erzeugter akQver Bewegungen mit hoher Intensität • Die Übung ist direkt auf das Erreichen eines vom Kind (oder ggf. einer Elternvertretung) gesetzten Ziels ausgerichtet • Der Wirkungsmechanismus ist die erfahrungsabhängige PlasQzität. • MoQvaQon und Aufmerksamkeit sind wichQge Modulatoren der NeuroplasQzität • Erfolgreiches aufgabenspezifisches Üben ist für Kinder lohnend und macht ihnen Spaß, so dass sie spontan regelmäßig handeln. Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Was wirkt nicht? • boNom-up-gerichtete • generische • und/oder passive motorische IntervenQonen • sind weniger wirksam und manchmal eindeuQg ineffekQv bei der Verbesserung von FunkQon und Bewegung bei Kindern mit Zerebralparese. Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Warum wirken diese Therapien nicht? • „Betrachtet man die Ergebnisse durch die Linse der NeuroplasQzität, sind diese Resultate logisch.“ • „Ein passives Erleben einer Bewegung, das durch einen “hands-on“- Ansatz einer Pflegekrac oder eines Therapeuten vermiNelt wird, beinhaltet keine vom Kind iniQierte Problemlösung oder eine AkQvierung seiner motorischen Fähigkeiten.“ Novak, I. et al. Curr Neurol Neurosci 20 (2020)
Was ist eigentlich Bobath-Therapie? Besonderheiten im deutschsprachigen Raum?
Bobath (NDT) in Deutschland • Alltagsorien,erung bedeutet, gezielte therapeu7sche Unterstützung in und für Alltagshandlungen • Die Eigenak,vität des Pa7enten steht im MiJelpunkt des therapeu7schen Prozesses • Die Individualität eines jeden Pa7enten drückt sich auch in dessen Lernverhalten aus. Es werden daher individuelle Lern- und Trainingsstrategien mit dem Pa7enten entwickelt. • Die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse des Pa7enten und seiner Bezugspersonen werden berücksich7gt. h8ps://www.bobath-vereinigung.de/das-bobath-konzept
Übergeordnete Ziele der Bobath-Therapie • Größtmögliche Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit des PaQenten im Alltag • Vermeidung von Sekundärveränderungen, wie z.B. Gelenkversteifungen • Daran orienQert werden individuelle, realisQsche Ziele formuliert und Vereinbarungen getroffen. • In der Therapie werden für jeden PaQenten spezifisch angepasste Bedingungen zum Ausprobieren und Entwickeln eigener Strategien angeboten. h8ps://www.bobath-vereinigung.de/das-bobath-konzept
Essence of the Bobath concept in the treatment of children with cerebral palsy. A qualita)ve study of the experience of Spanish therapists. • Unstrukturierte Interviews mit 10 spanischen Physiotherapeuten mit Bobath-Ausbildung • konQnuierlicher Prozess der Beurteilung und Behandlung • die Anwendung von Prinzipien des motorischen Lernens • Bedeutung der Übertragung der Behandlung in die FunkQon. Farjoun, N et al. Physiother Theor Pr 2020, doi:10.1080/09593985.2020.1725943.
UEMF Aktualisierte S3-Leitlinie 2020 hJps://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/022-017k_S3_Umschriebene- Entwicklungsstoerungen-motorischer-Funk7onen-UEMF_2020-08_01.pdf
Empfehlungen der Leitlinie • Für die Behandlungsplanung ist eine individuelle Zielsetzung grundlegend. • Die Ziele sollen in Bezug zu den beiden Ebenen, AkQvitäten und Teilhabe, gesetzt werden. • Bei der Zielsetzung soll die Sichtweise des Kindes und der Familie sowie anderer relevanter Bezugspersonen einbezogen werden.
Ak:vitäts- oder teilhabeorien:erte Ansätze • Fokus auf den AkQvitäten des täglichen Lebens (einschließlich Körperpflege, Spiel, Freizeit/Sport, künstlerische und akademische, vorberufliche und berufliche TäBgkeiten) • Formal untersuchte akQvitäts- oder teilhabeorienQerte Ansätze • Aufgabenspezifisches Training • Neuromotor Task Training (NTT) • Cogni7ve Orienta7on to daily Occupa7onal Performance Approach (CO-OP Approach)
Unklare Wirksamkeit • Einsatz nur wissenschaclich kontrolliert (Unklare wissenscha/liche Evidenz) • Sensory Integra7on Therapy (SIT) • Kinesthe7c Sensi7vity Training (KST) • Laufende wissenschacliche EvaluaQon • „Self reflec7on“ • „Motor imagery“ • Verfahren im Bereich virtuelle Realität • Ak7ve Videospiele • „Ac7on and Observa7on“
Konzept Handlungsbedingungen Iden7fika7on der Ebene Auswahl der Interven7on
Unter welchen Bedingungen kann eine gewünschte Tä0gkeit gelingen? • Ich spiele ‚Happy Birthday‘ zum Geburtstag meiner MuNer auf dem Klavier • Welche Handlungsbedingungen müssen erfüllt sein? • Klavier vorhanden und ges7mmt, passender Stuhl • Noten vorhanden und Kenntnis sie zu lesen • Eigene Mo7va7on und Überzeugung • Zeit zum (geheimen) Üben • Ausreichende Hand- und Finger-Beweglichkeit • Ausreichende Sitzfähigkeit und posturale Stabilität • …
Handlungsbedingungen
Handlungsbedingungen • Posturale Stabilität • Klavier spielen • Ich spiele ‚Happy • Hand- und Finger- • Musik machen Birthday‘ zum Beweglichkeit • (Motorisches) Lernen Geburtstag meiner MuFer auf dem Klavier • Klavier vorhanden und ges1mmt • Eigene Mo9va9on • passender Stuhl • Noten vorhanden • Überzeugung • Zeit zum Üben (Selbstkonzept)
Entwicklungsförderung ist Förderung von Entwicklungsbedingungen (O9o Speck) Elterliches Veränderungs-Management: Selbständigkeit fördern
Selbständiges Handeln entsteht, wenn ich selbständig handeln darf! • Was reduziert eigenständiges kindliches Handeln? • behütendes Verhalten • schützende Interven7onen • häufige Anregungen (“Nimm beide Hände!) • elterliche Hilfe • häufige Fragen („Möchtest Du …?“ – vor allem bei elterlicherseits erwünschtem Verhalten)
Warum werden therapeu+sche Empfehlungen o: nicht umgesetzt? • Die Aufforderung, etwas anders zu machen, akQviert oc auch den inneren Anteil, der die bisherige Strategie „richQg“ findet – das führt zu intrapersonellen Konflikten, die letztlich HandlungssQllstand verursachen.
Wie kann ich Eltern unterstützen, andere Strategien zu erproben … … – und nicht gleich zu werten? • SELBST-BEOBACHTUNG als therapeuQsches Prinzip
Selbstbeobachtung • Wertungsfreie, humorvolle Selbstbeobachtung von einer elterlichen Verhaltensweise • Impuls zu helfen (geknüpc an körperliche AkQon i. S. einer raschen Hinwendung) • Häufigkeit gestellter Fragen • Häufigkeit von „Tipps“
Selbstbeobachtung • Kein Anspruch! • Keine Wertung außer „Ah – da ist es wieder!“ • Bei Beobachtung des Verhaltens kurze Zeitlupe und Prüfung, ob ich jetzt so handeln möchte („Ich entscheide mich“) • Wenn nur 5% bemerkt und akQv entschieden werden, reicht das für Änderungsprozesse.
Woran erkenne ich denn jetzt eine gut laufende Therapie?
Qualitäts-Kriterien für „good clinical therapy“ • Orien&erung am motorischen Lernen • Beziehung des Kindes zu Therapeut:in („Gehst Du da gerne hin?“) • Gemeinsam vereinbarte, alltagsrelevante Therapieziele • Ziel-Überprüfung • Angemessene Eltern- und Umfeldberatung • Klarheit hinsichtlich der Interven&ons-Ebene • Gute Voraussetzungen für (motorisches) Lernen wie bei „gesunden Kindern“ • Förderung von intrinsischer Mo&va&on und Selbstkonzept • Rote Ampel für alle passiven Therapie-Formen ohne explizites Einverständnis (Ausnahme Säuglinge) in Anlehnung an Novak
Wenn … • Kind und Eltern wissen, worum es in der Therapie geht • Alltags-/Teilhabe-relevante Ziele vereinbart sind • die Wirkprinzipien klar sind • die Eltern einbezogen sind • die Gestaltung des Umfelds eine Rolle spielt • das Kind an der Therapie wächst … dann läuc schon sehr viel sehr gut!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Danke an • das Team der Ambulanz für Bewegungsstörungen: – Anke Hägele, BSc, Ergotherapeu9n – Cosima Landsberg, Physiotherapeu9n B. Sc. – Caroline Her9ng, Motopädin – Uta Groth, Physiotherapeu9n – Anton Hatzenbühler, Diplom Heilpädagoge – Dr. med. Katrin Schöls • Dr. AnneCe Horn, Uniklinik Düsseldorf • Dr. Björn Vehse, DRK Kinderklinik Siegen • Eltern und Kinder für Videos und gemeinsames Lernen
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