BODEN-POLITIK GRÜNE WERKSTATTSCHRIFTEN - Grüne Bildungswerkstatt ...

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GRÜNE WERKSTATTSCHRIFTEN
Nummer 16 2019 | Eine Reihe der Grünen Bildungswerkstatt

BODEN-
POLITIK
Für leistbares städtisches Wohnen

Sammlung bodenpolitischer Argumente
und Instrumente mit Schwerpunkt Wien

Gabu Heindl Architektin und Stadtplanerin (GABU Heindl Architektur), Wien
Elisabeth Kittl Grüne Bildungswerkstatt Wien
­

2                                                                                      Grüne Bildungswerkstatt | Werkstattschriften

EINFÜHRENDE WORTE

Die Lebensqualität einer Stadt, ihre baulichen Formen      alle“ steht und fällt mit der Wahlfreiheit für alle, also
und die Leistbarkeit von städtischem Wohnen sind           damit, dass es leistbares Wohnen auch in zentralen
untrennbar verbunden mit gemeinwohlorientierter            Lagen gibt.
Bodenpolitik. Vor allem in wachsenden Städten wie
                                                           Bodenpolitik ist Umverteilungspolitik. Der vorlie­
Wien ist es unumgänglich, die wertvolle Ressource
                                                           genden Sammlung bodenpolitischer Argumente und
urbanen Bodens, die nicht reproduzierbar ist, dauerhaft
                                                           Instrumente liegen zwei Prämissen zugrunde, die quer
für demokratische Stadtentwicklung zu sichern. Es
                                                           stehen zu einer ungehinderten Kommodifizierung
geht darum, Boden als Gemeingut zu definieren und
                                                           von Wohnraum und städtischen Bodenflächen:
gerade nicht als Ware oder Renditeobjekt.
                                                           leistbares Wohnen als öffentliches Interesse und
Im österreichischen Kontext braucht es Bodenschutz-        Sozialpflichtigkeit von Eigentum, hier spezifisch des
Maß­ nahmen, um die kontinuierlich wachsende Zer­­         Grundeigentums. 1234
sie­delung und unkoordinierte Verbauung der Kultur­
landschaft zu stoppen. Dieses Papier setzt den
Schwer­ punkt allerdings auf den städtischen Raum,            Wohnen ist ein Menschenrecht
speziell Wien, und den Zusammenhang von steigenden
Grundstückspreisen und steigenden Wohnungskosten,             Die Allgemeine Erklärung der Men­­        staaten     unternehmen       geeignete
die einander gegenseitig bedingen.                            schen­rechte     (UN-Menschen­rechts­     Schritte, um die Verwirk­lichung dieses
                                                              charta, 19481) regelt in seinem Artikel   Rechts zu gewährleisten, [...]
Im Weiteren wird deshalb auf Instrumente der                  25 Absatz 1 das Recht auf Wohnen:
Bodenpolitik mit der Perspektive auf Beendigung                                                         2013 beschließt das Europäische
der aktuellen Spekulation mit städtischen Grund­              Jeder hat das Recht auf einen             Parlament    einen      Bericht  über
stücken fokussiert. Dieser Fokus hat mit zur Folge,           Lebensstandard, der seine und             den sozialen Wohnbau in Europa.
                                                              seiner Familie Gesundheit und Wohl        Die EU spricht sich darin dafür
dass viele stadtpolitische Themen, die für eine ge­
                                                              gewährleistet, einschließlich Nahrung,    aus, dass “die Mitgliedstaaten als
rechtigkeitsorientierte lebenswerte Stadt ebenso              Kleidung, Wohnung, ärztliche Versor­      Ergänzung zu dem Angebot des
wichtig sind, hier nur implizit vorkommen. Das betrifft       gung und notwendige soziale Leis­         privaten Immobilienmarkts auch ein
auch wichtige bundespolitische woh­    nungsrelevante         tungen, […]                               Parallelangebot an sozialem Wohnraum
Themen wie Mietrecht, aber auch Lohn- und                                                               aufbauen und organisieren“.3
                                                              Von Österreich wurde der Artikel 11
Arbeitsmarktpolitik.
                                                              Absatz 1 des Internationaler Pakt über    Die Bereitstellung eines ausreichenden
Wenn wir von der Leistbarkeit von städtischem                 wirtschaftliche, soziale und kulturelle   Angebotes leistbarer Wohnungen
                                                              Rechte (ICESCR) 1978 ratifiziert,         wird in Österreich als Aufgabe der
Wohnen bzw. Wohnbau sprechen und nicht etwa
                                                              d.h. Österreich hat sich zu dessen        Da­seinsvorsorge angesehen. Arti­
von Urbanität allgemein, dann deshalb, weil wir vom           Umsetzung verpflichtet2:                  kel 11 Absatz 1 Ziffer 3 des Bun­
Recht auf Wohnen als einem artikulierten und in                                                         des-Verfassungsgesetzes4         re­gelt
Österreich ratifizierten Menschenrecht ausgehen: Mit          Die Vertragsstaaten anerkennen das        die Kom­petenz­verteilung zwi­­schen
Wohnen in der Stadt ist in diesem Papier zugleich             Recht eines jeden auf einen ange­         Bund     und     Land:    Bundes­sache
                                                              mes­senen Lebensstandard für sich         ist die Gesetzgebung, Landes­­
immer mehr als Wohnen gemeint, beziehungsweise
                                                              und seine Familie einschließlich          sache die Vollziehung in fol­   gen­den
verstehen wir die Urbanität vom Wohnen aus – somit            ausreichender Ernährung, Be­   klei­      Angelegenheiten:       Volks­wohnungs­­
auch das Wohnumfeld mit hochwertigem Freiraum                 dung und Unter­    bringung sowie         wesen mit Ausnahme der För­
und guter Infrastruktur. Es geht um gleichberechtigte         auf eine stetige Verbesserung der         derung des Wohnbaus und der
Möglichkeiten und Zugänge in Sachen Arbeit, Freizeit,         Lebensbedingungen. Die Vertrags­          Wohnhaussanierung.
Verkehr, Kultur und vieles andere. Und „Leistbarkeit für
­

    Bodenpolitik                                                                                                                                  3

             1.           WARUM BODENPOLITIK?

             Für eine aktive Bodenpolitik gibt es viele Gründe: von der unfairen, weil leistungslosen Um­ver­tei­lung von Gewinnen
             aus Wertsteigerungen nach oben, Ökonomie und Ökologie von Grund und Boden, gesellschaftlichen Ein- und
             Ausschlüssen, die mit den Grundlagen des Woh­nens einhergehen, bis zum Schutz des öffentlichen Raums als
             Grundlage der Demokratie.

             •     Weil es sozial unverträglich ist, wenn die be­                        sollen aber nicht in infrastrukturschwache Gebiete
                   grenzte Ressource Boden unregulierter Teil                            verdrängt werden. Wohnen im zentralen urbanen
                   des freien Marktes ist. Mit Eigentum an Grund                         Raum soll jedoch für alle eine Wahlmöglichkeit
                   und Boden ist auch eine soziale Verpflichtung                         sein.
                   verbunden. 5
                                                                                     •   Weil soziale Durchmischung in der Stadt und
             •     Weil die durch Bodengeschäfte verstärkte                              gemischte Wohn- und Arbeitsformen die Stadt
                   Umverteilung von unten nach oben und von                              beleben und damit Sicherheit schaffen.
                   öffentlich zu privat gestoppt werden soll.6
                                                                                     •   Weil die Errichtung von gefördertem Wohnbau
             •     Weil Gewinne aus Grundeigentum Einkommen                              durch die steigenden Bodenpreise nicht
                   ohne Leistung sind. Durch allgemeine Preis­stei­                      unmöglich gemacht werden soll.
                   gerungen, Umwidmungen oder Infra­struktur­ver­
                                                                                         Weil leistbares Wohnen ein ausreichendes
                   besserung auf Kosten der Kommune steigt der
                                                                                         Angebot an Mietwohnungen voraussetzt,
                   Wert des Grundes – Steuerzahler*innen generieren
                                                                                         aber Bodenpreis-Spekulation den Anteil von
                   also Gewinne für Einzelne.
                                                                                         Mietwohnungen am Wohnen insgesamt zu­gunsten
             •     Weil Wohnen ein Menschenrecht ist und daher                           von Eigentum reduzieren, da durch hohe Boden­
                   im öffentlichen Interesse liegt – also weder                          preise frei finanzierte Eigentumswohnungen zu
                   Wohnraum noch Grund und Boden dem freien                              spekulativen Preisen errichtet werden.
                   Markt überlassen werden sollen.
                                                                                     •   Weil Bodenpolitik eine wichtige Basis für nach­
             •     Weil Bodenpolitik entscheidend die Faktoren                           haltige sozio-ökologische Stadtplanung bildet, so
                   für Leistbarkeit, Lage und Qualität von Wohnen                        etwa zur Aktivierung von ungenutztem Bauland
                   beeinflusst.                                                          (= Baulandmobilisierung) in den Lagen, wo
                                                                                         städtische Infrastruktur vorhanden ist.
             •     Weil Wohnen und die Wohnlage mit Einschluss
                   und Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben                   •   Weil – nicht zuletzt im Sinn eines guten Wohn­
                   zu tun hat.                                                           umfelds – Bodenpolitik auch öffentlichen Raum
                                                                                         betrifft. Dieser ist insofern eine Grundlage für
             •     Weil Wohnen in guter Lage aufgrund von
                                                                                         Demokratie, als dass in ihm alle sozialen Gruppen
                   Mietsteigerungen und Privatisierungen für immer
                                                                                         sichtbar sein sollen. Er soll daher in öffentlichem
                   mehr Menschen nicht mehr leistbar ist und es zu
                                                                                         oder kollektivem Eigentum stehen.
                   Verdrängung, Ghettoisierung und Gentrifizierung
                   kommt. Menschen mit geringerem Einkommen

                   Anders als im österreichischen Bun­         Absatz 3 rahmt diese soziale Ver­pflich­   ung des Bodens wird von Staats we­
                   des­­verfassungsgesetz ist im Grund­­­­     tung mit dem öffentlichen Inter­  esse:    gen überwacht. Mißbräuche sind abzu­
                   gesetz für die Bundesrepublik               Eine Enteignung ist nur zum Wohle der      stellen.
                   Deutsch­­land die Sozialpflicht des Ei­     Allgemeinheit zulässig.5
                   gen­­­tums im Artikel 14 Absatz 2 ein­ge­                                              Absatz 2: Steigerungen des Boden­
                   schrie­ben: Eigentum verpflichtet. Sein     Die Österreichische Verfassung kennt       wer­tes, die ohne besonderen Arbeits-
                   Ge­brauch soll zugleich dem Wohle der       keinen    Regelungstatbestand       zur    oder Kapitalaufwand des Eigentümers
                   Allgemeinheit dienen.                       Verteilung von Boden wie es z.B. die       entstehen, sind für die Allgemeinheit
                                                               Bayrische Verfassung in Artikel 161        nutzbar zu machen
                                                               Absatz 1 tut6: Die Verteilung und Nutz­
4                                                                                       Grüne Bildungswerkstatt | Werkstattschriften

2. KONTEXT

2.1     Mietpreise und deren Entwicklung                                           Mietzinsbeschränkung nach § 16 (2) MRG 198112

                                                             Für Mietverhältnisse im Vollanwen­           ungen, welche in Gebäuden liegen,
                                                             dungs­ bereich des Mietrechtsgesetzes        welche vor 1945 errichtet wurden und
2.1.1   Überblick: Wohnen in Österreich
                                                             – ins­besondere für Altbauwohnungen          weniger als 130 m² haben, unterliegen
                                                             – gilt das Richtwertsystem:                  der Mietzinsregelung des MRG. Dieser
Jeder zehnte österreichische Haushalt gibt mehr als                                                       Mietzins wird Richtwertmietzins ge­
vierzig Prozent, also bald die Hälfte seines Haushalts­      Für jedes Bundesland wird ein genorm­        nannt. Miete für Wohnungen, die nicht
einkommens, für Wohnen aus. Im urbanen Raum, also            ter Richt­wert pro m² festgelegt, der sich   diesen Voraussetzungen entsprechen,
                                                             aus dem Richtwertgesetz (RichtwG)            dürfen marktüblich bzw. ganz frei ver­
in Städten über 100.000 Einwohner*innen betrifft das
                                                             ergibt und regelmäßig aktualisiert wird.     einbart werden. Sie sind an keinerlei
doppelt so viele Haushalte wie in kleineren Gemeinden        Wohnungen in Gebäuden, welche vor            Mietzins­beschränkungen gebunden.
mit maximal 10.000 Einwohner*innen. Haushalte mit            1953 errichtet bzw. Eigen­    tums­wohn­
mittlerem Einkommen geben ein Fünf­tel für Wohnen
aus, einkommensstarke Haushalte hinge­     gen nur ein
Zehntel.7                                                                            2.1.2 Zur Tendenz der Mietpreisentwicklung

In Österreich waren im Jahr 2013 16.000 Menschen
                                                                                     Im Zeitraum 2000 bis 2012 stiegen die Mieten in
wohnungslos.8 In Wien sind in etwa 15 % des Wohnungs­
                                                                                     Öster­reich durchschnittlich um 45 %. Die Ausga­
bestandes Wohnungen ohne Haupt­wohn­sitz.9
                                                                                     ben für Miete stiegen damit weitaus stärker als das
Eigentümer*innen von                                                                 Haus­halts­einkommen (29 %), der Verbraucher­   preis­
Mietwohnungen in Österreich sind:10                                                  index (28 %) und der Baupreisindex (35 %).13 2009
                                                                                     betrugen in Österreich die durch­schnittlichen monat­
                                                                                     lichen Mietkosten 5,90 €/m² (inkl. Betriebskosten und
                                                          40%
                                                          Private/Gewerbliche
                                                                                     Umsatzsteuer), 2016 waren sie schon auf 7,40 €/m²
                                                                                     geklettert.14
                                                          40 %                       In Wien waren es 2009 noch 4,06 €/m² im Vergleich zu
                                                          Gemeinnützige
                                                                                     5,42 €/m² im Jahr 2016.15 Das entspricht einer mit­tleren
                                                                                     Preis­steigerung von jeweils 25 % in sieben Jahren.
                                                          20 %
                                                          Gemeinden                  Bei den Preissteigerungen bei Hauptmieten lassen
                                                                                     sich bei genauer Betrachtung große Unterschiede
Unterschiedliche Eigentümer*innen verlangen unter­                                   nach Ei­­gen­­tümer­schaft ablesen: Gemeindewohnungen
schied­ liche Mietpreise (in Euro pro m² pro Monat                                   +18 %, geförderte Wohnungen +21 %, private Wohn­un­­
inklu­sive Betriebskosten und Umsatzsteuer):11                                       gen +37 %. Zu diesen +37 % zählen auch die Miet­woh­
                                                                                     nun­gen, die in den Mietrechtsgesetz-Vollan­wen­­­­dungs­

 (bei Neuver-                                                                        bereich fallen. Die Preis­steigerung bei Neu­ver­­mietungen
                             2016     mietung 2014)                                  fällt noch extremer aus. Bei der Wiedervermietung von
 Private/Gewerbliche    9,50 €/m2         8,60 €/m2                                  gebrauch­ten Ei­gen­tumswohnungen zeichnen sich die
 Gemeinützige            7,20 €/m2        6,60 €/m2                                  höchs­ten Preis­­steigerungen ab.

 Gemeinde                7,20 €/m2        6,30 €/m2                                  Die hohe Nachfrage aufgrund des Bevöl­ker­ungs­wachs­
                                                                                     tums, das zu geringe Angebot an Wohnraum, der man­
 Smartwohnung            7,50 €/m2
                                                                                     geln­de Neubau im sozialen Wohnbau sowie fehlen­de
                                                                                     Miet­preisregelungen machen die Immobilie im privaten
Finanzierungsbeiträge werden in dieser Zusammen­                                     und gewerblichen Bereich zur profitablen An­     lage:
stellung außen vor gelassen. Diese betragen etwa bei                                 Boden­­­
                                                                                            kosten und Mietpreissteigerungen gehen also
Smartwohnungen 60 €/m² Wohnnutzfläche.12                                             Hand in Hand und verstärken einander gegenseitig.
Bodenpolitik                                                                                                                                          5

2.1.3 Entwicklung von Mietwohnungen im Vergleich           GBVs sind als Kapitalgesellschaft (GmbH, AG) oder                   Mieten,
      zu Eigentumswohnungen                                Genossenschaft organisiert. 2014 gab es 189 GBVs in                 nicht Profite,
                                                           Österreich, welche sich wie folgt aufteilen:                        am regulierten
                                                                                                                               Wohnungsmarkt
Im frei finanzierten Neubau wird zu einem großen
                                                           •    91 Kapitalgesellschaften, davon 12 im Eigentum
Teil auf Wohnungseigentum gesetzt. Insbesondere
                                                                von Gebietskörperschaften und 10 im Eigentum
die Wohnung als Anlage (Vorsorgewohnung oder
                                                                von Kirchen, Gewerkschaften bzw. Kammern
Anlegerwohnung) führt dabei zu Preis­  stei­
                                           ger­
                                              ungen.
Aber auch immer mehr Zins­häuser mit Mietwohnungen         •    98 GBV-Genossenschaften mit 380.000
werden in für Privat­  eigen­
                            tümer*innen profitables             Mitgliedern
Wohnungs­eigentum um­ge­wan­delt.
                                                           Die Wohnungen aller GBVs werden umgangssprachlich
Gerade dieser Altmietwohnungsbestand spielt auf­           fälschlicherweise als Genossenschaftswohnungen und
grund des dafür gesetzlich geregelten Miet­      zinses    die Trägerin als Genossenschaft bezeichnet, auch wenn
ei­ne wichtige Rolle für leistbares Wohnen. Häuser er­     es sich tatsächlich um eine Kapitalgesellschaft han­
wirt­schaften nach Amortisation der Investitions­kosten    delt, die gemeinnützig handelt. Ihr Fokus liegt zwar
ei­nen Ertrag. Unreguliert bedeutet dies arbeits­ loses    auf Gemeinnützigkeit, aber nicht auf Genossens­chaft­
Einkommen für die Eigentümer*innen von Wohn­raum.          lichkeit.

Unter regulierten Bedingungen – wie etwa durch             Der Wohnungsbestand der GBVs betrug im Jahr 2014
das Mietrechtsgesetz oder durch das Wohnungs­              882.100, das sind 40% der Wohnungen in Österreich.
ge­mein­nützig­ keitsgesetz – reduziert sich die Mie­ te
                                                           Davon sind:19
nach der Amortisation. Nach Rückzahlung aller Kre­
dite durch die gemeinnützige Bauvereinigung sieht          In Wien halten die GBVs im Jahr 2016 rund 180.000
etwa das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz da­         für   Hauptmietwohnungen.20
die „Kostenmiete“ vor. Sie darf nicht höher, aber auch
nicht niedriger sein als zur Deckung aller Kosten inklu­                                           %          Anzahl
sive gesetzlich beschränkter Ertragskomponenten
                                                               GBV Mietwohnungen                70 %         624.700
erforder­lich ist. Seit Juli 2016 berechnet sich die
Nettomiete aus 1,75 €/m² pro Monat plus Erhaltungs-            GBV Eigentumswhg.       19
                                                                                                30 %          257.400
und Verbes­serungsbeitrag (EVB) und der Eigenmittel­           GBV Insgesamt		                                882.100
verzinsung der Grundstücksfinanzierung, im Durch­
schnitt liegt sie bei 3 €/m².16
                                                           In einer Mietwohnung einer gemeinnützigen GmbH
Befinden sich die Häuser im Privateigentum, fließt der     oder Aktiengesellschaft bezahlt man für die Über­las­
(un-)regulierte Ertrag an die Eigentümer*innen. Be­        sung einer Wohnung Miete, in einer Woh­nung einer
finden sich die Häuser im Eigentum der öffentlichen        Ge­­nos­senschaft Nutzungsentgelt.
Hand oder einer gemeinnützigen Bauvereinigung
                                                           Für Bewohner*innen hat diese – gesetzlich fest­
kommt der (limitierte) Ertrag der Gemeinde oder der
                                                           geschriebene – Differenzierung in der Praxis keine Be­
Ge­­nossenschaft zugute. Er kann gestalterisch flexibel
                                                           deu­tung, weshalb im allgemeinen Sprachgebrauch und
der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, wie
z.B. dadurch, dass weiter zu leistbaren Mietkonditionen
gebaut wird. Damit wird das soziale Netz dichter und                                   Wohungsgemeinnützigkeitsgesetz WGG 197918
die Volkswirtschaft belebt.
                                                                § 1 (2) Bauvereinigungen, die auf Grund      § 13 (1) Gemeinnützige Bauvereini­gun­
Um die angespannte Wohnungssituation durch mehr
                                                                dieses Bundesgesetzes als gemein­            gen haben für die Überlassung des
und leistbare, aber qualitätsvolle Angebote zu ent­             nützig anerkannt wurden, haben ihre          Gebrauchs einer Wohnung oder […]
schärfen, braucht es – gekoppelt mit einer Decke­lung           Tätigkeit unmittelbar auf die Erfüllung      für die (nachträgliche) Einräumung
der Mieten – eine vermehrte Bautätigkeit von ge­­               dem Gemeinwohl dienender Aufgaben            des Wohnungseigentums an einer
för­
   derten Wohnungen insbesondere durch die Ge­                  des Wohnungs- und Siedlungs­wesens           Wohnung, […] ein angemessenes
                                                                zu richten […].                              Entgelt (Preis) zu vereinbaren, das
mein­­
     nützigen Bauvereinigungen und vor allem der
                                                                                                             nicht höher, aber auch nicht niedriger
Kommunen selbst.                                                (3) Das von gemeinnützigen Bauvereini­       angesetzt werden darf, als es zur
                                                                gungen nach den Grundsätzen ord­             Deckung der Aufwendungen für die
                                                                nungs­gemäßer Wirtschafts­führung er­­       Bewirtschaftung ihrer Baulichkeiten
2.1.4 Gemeinnützige Bauvereinigung (GBV)1718                    wirt­­schaftete Eigen­kapital ist im Sinne   und unter Berücksichtigung eines im
                                                                eines Generationen­     ausgleichs zur       Sinne der Grundsätze des § 23 ge­
                                                                Sicher­ ung einer nachhaltigen Wohn­         recht­fertigten Betrages zur Deckung
GBVs dienen der Erfüllung des Gemeinwohls. Sie                  ver­sorgung bestehender und zukünf­          der Kosten der Wirtschaftsführung
versorgen breite Bevölkerungsschichten mit Wohn­                tiger Nutzer auf Dauer für Zwecke des        der Bauvereinigung sowie nach den
raum und müssen kostendeckend arbeiten. Sie sind                gemeinnützigen         Wohnungswesens        Grund­sätzen einer ordnungsgemäßen
nicht profitorientiert. Gewinne müssen in Wohnbau­              gebunden und zu verwenden.                   Wirt­schaftsführung zur Bildung von
                                                                                                             Rück­lagen erforderlich ist.
maß­nahmen im Inland reinvestiert werden.
6                                                                                       Grüne Bildungswerkstatt | Werkstattschriften

auch in diesem Papier generell von „Miete“ ge­spro­chen                             Diese Ge­   mein­
                                                                                                    dewohnungen sind mit einer durch­
wird (auch im Absatz zur „Kostenmiete“, Kapitel 2.1.3).21­­                         schnitt­lichen Miete von 5,64 €/m² bis heute die gün­
                                                                                    stig­ste Wohn­form.24
Eine gemeinnützige Bauvereinigung kann ihre Baulich­
keiten, Wohnungen und Geschäftsräume nach­träglich                                  Für eine Gemeindebauwohnung müssen gewisse Zu­
ins Eigentum übertragen. Mieter*innen haben nach                                    gangs­­kriterien erfüllt werden, etwa die österreichische
frühestens zehn Jahren Anspruch auf Über­tragung ins                                Staats­­ bürgerschaft oder Gleichstellung (EU, EWR,
Eigentum (§§ 15 c ff WGG)22. Der An­spruch entfällt                                 Schweiz, anerkannter Flüchtlingsstatus oder Dauer­
dann, wenn die GBV nur ein Baurecht hat, also nicht                                 auf­­­ent­­haltstitel EU), ein zwei Jahre durch­gehen­
Eigentümerin der Liegenschaft ist (§ 15 b WGG).                                     der Hauptwohnsitz an der gleichen Ad­resse in Wien,
                                                                                    be­gründeter Wohnbedarf sowie Ehepartner*innen
                                                              Gesetzliche           kön­nen nur ge­mein­sam eine Ge­mein­de­wohnung be­
    Errichtung mit                       Gemeinnützigkeit
          Baurecht                                            Kaufoption im         an­tragen („Geklärte Fa­milien­verhält­nisse“). Die ge­
                                           bleibt erhalten
                                                              gemeinnützigen        meinsame Einkommens­        grenze steigt nach Personen
                                     Kann nach 10 bzw 5       Wohnbau
  Errichtung auf                                                                    degressiv an25
                                        Jahren in privates
 Grundeigentum
                                     Eigentum übergehen                                                Netto-Monatseinkommen 2019
Durch diese Privatisierungen im Rahmen der Miet/Kauf-                                   1 Person                          3.318 €
Option werden geförderte Wohnungen dauerhaft dem                                        2 Personen                       4.944 €
gemeinnützigen Mietangebot entzogen. Zusätzlich
                                                                                        3 Personen                        5.595 €
sinkt die jährliche Anzahl an neu errichteten GBbzwV-
Woh­nun­gen. Der Zuwachs an geförderten Wohnungen
ist weit geringer als der private Wohnbau.                                          Sind die Grundvoraussetzungen erfüllt, werden Inter­
                                                                                    essent*innen auf einer Warteliste platziert. Diese um­
Anzahl der von den GBVs pro Jahr neu errichteten
                                                                      Leistbarer    fasst zB. 2015 16.500 Plätze. Begründeter Wohnbedarf
geför­derten Wohnungen in Wien (inkl. Heimplätze):23
                                                                 Wohnraum wird      be­steht beispielsweise für Personen unter 30 Jahre,
                                                                     nach genau     die seit über zehn Jahren im elterlichen Haushalt
                                                                  vorgegebenen      haupt­­gemeldet sind oder für Personen, die in über­be­
 2014                      4.200 Wohnungen
                                                                        Kriterien
 2015                      6.300 Wohnungen                             vergeben     leg­ten Wohnungen leben. Pro fünf Jahren durch­­gän­
                                                                                    giger Meldung an der aktuellen Adresse wer­den Inter­
 2016                     3.400 Wohnungen                                           essent*innen drei Monate vorgereiht.26

                                                                                    2004 hat die Stadt Wien die Gemeindebau-Tätigkeit
Um mehr leistbaren Wohnraum durch geförderten
                                                                                    aufgegeben, bis sie sich 2015 entschied – aufgrund der
Wohnbau der GBVs schaffen zu können, braucht es
                                                                                    ge­ steigerten Nachfrage nach besonders kosten­  gün­
eben auch die Verfügbarkeit von Boden zu den ent­
                                                                                    sti­gem Wohnraum -, wieder Gemeinde­woh­nun­gen zu
sprechenden Preisen.
                                                                                    errichten. Insgesamt sollen bis 2020 4.000 Gemeinde­
                                                                                    wohn­­ungen geplant wer­den.27 Im Moment befinden sich
                                                                                    in vier Projekten insgesamt 744 Wohnungen in Planung:
2.1.5 Gemeindewohnbau
      und kommunaler Wohnbau                                                        •     Fontana: 120 Wohnungen, Baubeginn 2017,
                                                                                          Fertigstellung 201928
Kommunaler Wohnbau bildet in Wien seit dem Roten
                                                                                    •     Engerthstraße 259: 110 Wohnungen, Baubeginn
Wien die wichtigste Basis für die Leistbarkeit des Le­
                                                                                          2020, Fertigstellung 202229
bens in der Stadt.
                                                                                    •     Handelskai 214: 290 Wohnungen, Baubeginn 2018,
Der Wiener Gemeindebau baut auf seine Entsteh­ungs­
                                                                                          Fertigstellung 202030
geschichte im Roten Wien der Zwischen­kriegszeit auf.
Damals war Wohnungsneubau auf­grund eines guten                                     •     Am Seebogen: 75 Wohnungen, Baubeginn 2019,
Mieter­schutzes und höheren steuerlichen Abgaben                                          Fertigstellung 202131
wenig lukrativ für Private. Der private Markt baute
                                                                                    Die Konditionen für Gemeindebau NEU sind 7,50 €/m²
nicht ausreichend für den Wohnbedarf, dadurch fie­len
                                                                                    Bruttomiete inkl. USt ohne Eigenmittel, ohne Kaution
auch die Boden­preise. Die Stadt Wien initiierte darauf­
                                                                                    und ohne Befristung.
hin das heute welt­weit unter dem Namen „Rotes Wien“
bekan­nte Wohnbauprogramm.

Bis zum Beginn des Austro­faschismus wurden 64.000                                  2.2     Wiener Bodenpreise
Woh­ n­
      ungen für Arbeiter­*innen errichtet. Nach 1945
bis 2004 wurden weitere 146.000 Wohn­          un­
                                                 gen                                Da der Anteil der Grundstückspreise an den Bau­kos­
errichtet. Heute gibt es in Wien ca 210.000 Haupt­­                                 ten bei ca. 20 % liegt, ist günstiger Grund eine Grund­
mietwohnungen in Gemeindebauten.                                                    voraus­setzung für niedrige Baukosten. Die Bodenpreise
Bodenpolitik                                                                                                                                               7

in Wien sind für geförderten Wohnbau aber großteils                                         Planungsanweisung, dass zwei Drittel der errichteten
zu hoch. Derzeit befinden sich die Grundstückspreise                                        Fläche geförderter Wohnbau sein muss. In Zusam­
am freien Markt in folgenden Höhen: 32                                                      menhang mit dem Verweis auf das WWFSG wird für
                                                                                            diesen geförderten Teil der Bodenpreis gedeckelt.35
 in schlechter städtischer Lage		            ca 700 €/m2
                                                                                           Auf Flächen mit der neuen Widmung „Geförderter
 in guter städtischer Lage		             ca 1.200 €/m2                                     Wohnbau“ beträgt der Bodenpreis für die zwei Drittel
 Spitzenpreise in städtischer Lage ca 2.000 €/m2                                           der Fläche, die als geförderter Wohnbau umzusetzen
                                                                                           sind: max. 188 €/m² oberirdischer Bruttogrundfläche
                                                                                           (= Bruttogeschoßfläche).(siehe auch Kapitel 3.1)
   Wiener Wohnbauförderungs-
   und Wohnhaussanierungsgesetz (WWFSG 1989)                                               Wie kommt es zu dieser Zahl? Ein Neubauprojekt
                                                                                           war bis zur Bauordnungsnovelle 2018 nur dann
                                                                                           förder­ungs­­würdig, wenn es Gesamtbaukosten von
   § 4 Abs. 3 Die für die Errichtung von      führungsverordnungen im mehr­       ge­      1.350 €/m² pro Nutzfläche nicht überstieg (laut
   Wohnhäusern, Wohnungen und Heimen          schos­sigen Wohnbau, aus­ge­nommen
                                                                                           WWFSG in Verbindung mit der Neubauverordnung).
   angemessenen Gesamtbaukosten je            Gebäude nach § 2 Z 3, Z 4 und Z 4a, die
   Quadratmeter Nutzfläche sind unter         Höhe von 188,- Euro pro Quadratmeter         Da­­raus folgten maximal mögliche Bodenpreise, um ge­
   Berück­sichtigung einer normalen Aus­      der oberirdischen Bruttogrundfläche          för­derten Wohnbau errichten zu können (jedoch ohne
   stattung gemäß § 3 durch Verord­nung       (BGF) bei raumbildenden Bauteilen            gesetzliche Regelung dafür) von um die 250 bis 275 €/
   der Landesregierung festzusetzen.          nicht überschritten wird. Diese Ober­        m² erzielbarer Wohnnutzfläche (WNFl). Dies entspricht
   Da­­bei ist auf Lage, Größe und Art des    grenze ist auch bei einmaliger Bau­
                                                                                           in einer anderen Form der Berechnung in etwa den
   Ge­bäudes Rücksicht zu nehmen. Eine        zinsvorauszahlung anzuwenden; ein
   Überschreitung dieser angemessenen         laufender Bauzins darf die Höhe von          188 €/m² oberirdischer Bruttogrundfläche.
   Gesamtbaukosten ist im Einzelfall          0,68 Euro pro Quadratmeter BGF im
                                                                                           Die auf diesen Grundstücken errichteten geförderten
   zulässig, wird aber in der Förderung       Monat nicht überschreiten. Die Be­träge
   nur dann berücksichtigt, wenn sie          dürfen ab dem Zeitpunkt des Grund­er­        Wohnungen verlieren jedoch nach 40 Jahren ihre
   durch Aufwendungen auf Grund des           werbs gemäß § 63 Abs. 1 letzter Satz         soziale Bindung und gehen in den freien Markt über.
   Denk­ malschutzgesetzes bedingt ist        verzinst werden;                             Dagegen forderte die Arbeiterkammer, dass nur ge­
   und soweit diese nicht durch Zuwen­                                                     meinnützige Wohnbaugesellschaften diese ge­    för­
   dun­gen aus öffentlichen Mitteln ab­ge­    2. die Wirtschaftlichkeit der Aufschlie­
                                                                                           derten Wohnungen bauen sollten, damit diese Wohn­
   gol­ten werden.                            ßungskosten,
                                                                                           un­gen dauerhaft leistbar bleiben.36
   Grundsätze für die Gewährung einer För­    3. die Angemessenheit der Gesamt­
                                                                                           Im Zuge der Bauordnungsnovelle wurde auch die
   derung und Eigentumsbeschränkung           bau­kosten im Sinne des § 4 Abs. 3,
                                                                                           Ober­grenze der angemessenen Gesamtbaukosten für
   § 5. Bei der Gewährung einer Förderung     4. die Angemessenheit des Kaufpreises        ge­förderten Wohnbau aufgehoben.
   im Sinne des I. Hauptstückes sind zu       nach den Bestim­ mungen des Wohn­
   beachten:                                  ungs­­gemeinnützigkeitsgesetzes     –        GBVs sind aber trotz dieser Maßnahme (die an sich
                                              WGG 1979 bei Errichtung von Wohn­            keine mobilisierende Funktion hat) aufgrund der be­
   1. die Angemessenheit der Grund­           un­gen im Wohnungseigentum bzw.              schriebenen Bodenpreise und -steigerungen der letz­
   kos­
      ten. Die Grundkosten sind ange­         zur nachträglichen Übertragung in            ten Jahre zunehmend auf Bauflächen der öffent­lichen
   mes­sen, wenn bei Übertragung des          das Wohnungseigentum sowie bei
                                                                                           Hand oder von Gesellschaften, welche zu 100 % der
   Eigen­tums einer Fläche zur Er­
                                 rich­        Veräußerung von Wohnungen (Weiter­
   tung und Bereitstellung von Wohn­          verkauf) und bei Veräußerung von             Re­ pub­
                                                                                                  lik Österreich gehören, angewiesen. Dieses
   ungen und Wohneinheiten in Hei­men         Wohn­heimen.                                 öffentliche Grundeigentum und der Umgang der staat­
   nach diesem Gesetz und der Durch­                                                       lichen Institutionen und Gesellschaften damit wird im
                                                                                           fol­genden Abschnitt weiter erläutert.

Geförderter Wohnbau kann mit solchen Grund­
stückspreisen nicht errichtet werden. Es gibt also zu
wenig günstiges Bauland für geförderten Wohnbau.33
                                                                                                     Neubauverordnung 2007 (NeubauVO)
Auch der Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen
warnt davor, dass die zunehmende Bodenknappheit
das gravierendste Hindernis für die Errichtung leistbarer            Verordnung der Wiener Landes­re­gie­      Ab 2018: § 1 (1) Die angemessenen Ge­
Wohnungen durch geförderten Wohnbau ist.34                           rung über die Förderung der Erricht­ung   samt­baukosten im Sinne des § 4 Abs.
                                                                     von Wohnungen, Geschäfts­räu­men,         3 WWFSG 1989 sind im We­         ge der
                                                                     Heim­plätzen, Eigenheimen, Klein­gar­     Ver­gabe von Leistungen gemäß Ver­
                                                                     ten­­wohnhäusern und Einrichtungen        ord­nung der Wiener Landes­regie­rung
2.2.1 Widmungskategorie                                              der kommunalen Infrastruktur im Rah­      über die Vergabe von Leist­ungen im
      „Geförderter Wohnbau“                                          men des WWFSG 1989                        Zu­sammenhang mit der Er­rich­tung
                                                                                                               von Gebäuden im Rahmen des Wiener
                                                                     Bis 2018: § 1 (1) Die Obergrenze der      Wohnbauförderungs- und Wohnhaus­
Mit der Bauordnungsnovelle 2018 reagiert die Stadt
                                                                     an­­ge­messenen Gesamtbaukosten be­       sanierungsgesetzes – WWFSG 1989,
Wien und führt die neue Widmungs­kategorie „Geför­                   trägt 1.350 Euro je Quadratmeter Nutz­    LGBl. für Wien Nr. 20/1991 in der jeweils
derter Wohnbau“ für Bauland-Neuwidmungen ein:                        fläche gemäß § 2 Z 9 WWFSG 1989.          geltenden Fassung festzusetzen.
eine Widmung dieser Kategorie ist gekoppelt mit der
8                                                                                       Grüne Bildungswerkstatt | Werkstattschriften

                       2.3 Ressource Boden:
                           Öffentliches Grundeigentum
                                                                                    Insgesamt stehen 2.100 Liegenschaften39 mit einer
                                                                                    vermietbaren Gesamtnutzfläche (nicht Grundstücks­
        Spielräume     Über Eigentum an Grund und Boden kann die öffent­            fläche) von ca. 7 Millionen Quadratmetern40, davon
             für die   liche Hand trotz steigender Preise am freien Markt           2,658.000 m² in Wien (2011)41 im Eigentum der BIG,
        Gemeinden      ganz direkt handlungsfähig bleiben. Als öffent­liches        aller­­­dings handelt es sich hierbei um öffentliche Ge­
                       Grund­eigentum bezeichnen wir im Weiteren un­      mit­      bäu­de wie etwa Schulen, Verwaltungsgebäude, u.Ä.
                       telbar im Eigentum der Republik Öster­reich oder in
                       kommunalem Eigentum, z.B. der Stadt Wien, steh­ende
                                                                                    ARE Austrian Real Estate GmbH
                       Liegen­schaften, aber auch solche, welche einer juris­
                       tischen Person gehören, an der die Republik Öster­reich      Auch die ARE als 100 % Tochter der BIG steht im
                       100 % der Anteile hält.                                      Eigen­tum der Republik Österreich. Ihre Schwerpunkte
                                                                                    lie­gen im An- und Verkauf von Liegenschaften, sowie
                       Die MA 69 (Liegenschaftsmanagement) ist die zen­
                                                                                    in der Projektentwicklung in den Segmenten Büro und
                       tra­le Stelle in Immobilienangelegenheiten der Stadt
                                                                                    Wohnen.42 In ihrem Unternehmensziel definiert sie
                       Wien. Ihr zufolge besitzt die Stadt Wien etwa 2,8 Mio.
                                                                                    freifinanzierte Wohnraumschaffung (Miete und Eigen­
                       m² Grundfläche, die für geförderten Wohnbau bereit­
                                                                                    tum) nach marktwirtschaftlichen Kriterien und in Ko­
                       ge­­stellt werden könnten. (Wohnbau-Stadträtin Kathrin
                                                                                    opera­tion mit privaten Investor*innen.43
                       Gaal bei der internationalen Wohnbau-Konferenz
                       „housing for all“, 4.12.2018).                               Die ARE ist Eigentümerin von 1,6 Mio. m² vermiet­barer
                                                                                    Flächen verteilt auf 554 Liegenschaften mit ei­nem ge­
                       Die Republik Österreich und auch die Stadt Wien
                                                                                    schätz­ten Marktwert von 2,5 Milliarden Euro. Ein Großteil
                       haben ihre Liegenschaften an Unternehmungen aus­ge­­
                                                                                    der Grundflächen der ARE ist also nicht aktivier­bar, da
                       lagert, die zu 100 % im Eigentum der öffentlichen Hand
                                                                                    sie verbaut und genutzt sind. Für geförderten Wohnbau
                       sind, aber privatrechtlich agieren. Darunter fällt die
                                                                                    wären diejenigen Flächen aktivier­bar, deren alte Nutz­
                       Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) mit ihrer Tochter
                                                                                    ungen nicht mehr benötigt werden. Eine solche Nutz­
                       Austrian Real Estate (ARE), die ÖBB und der Kranken­
                                                                                    ung war etwa das ehemalige Hauptzollamt im 3. Wie­
                       anstalten­verbund (KAV).
                                                                                    ner Gemeindebezirk. Jedoch operiert auch die ARE
       Chancen bei     Vor allem urbane freiwerdende Flächen der ÖBB und            nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen: Auf dem
    der Verwertung     des KAV wären von großer Bedeutung als aktivierbare          Gelän­de des Zollamtes wird derzeit das Neubauprojekt
      großer inner-    Flächen für kommunalen oder geförderten Wohnbau –            Triiiple errichtet, in dem Eigentumswohnungen mit bis
        städtischer
           Flächen     ver­stün­de man diese als „öffentliche“, der Allgemeinheit   zu 7.000 €/m² angeboten werden.
                       gehörende Grundstücke. Sie werden jedoch großteils
                                                                                    In Wien entwickelt die ARE Immobilien vor allem in Ko­
                       nach marktwirtschaftlichen Kriterien veräußert und
                                                                                    opera­tion mit privaten Investor*innen. Folgende Groß­
                       sind also nicht von sich aus als Grundflächen für ge­för­
                                                                                    projekte werden aktuell durchgeführt:
                       derten Wohnbau nutzbar.
                                                                                    •    Triiiple, ehem. Hauptzollamt, 1030: Eigentums­
                                                                                         wohnungen, ARE und Soravia44
                       2.3.1 Bundesebene
                                                                                    •    Das Ensemble, Erdberger Lände, 1030:
                                                                                         Eigen­tumswohnungen, ARE und Premium45
                       Bundesimmobiliengesellschaft m. b. H. (BIG)37
                                                                                    •    Forum Donaustadt, Adolf-Schärf-Platz, 1220:
                       2000 wurde mit dem Bundesimmobiliengesetz der
                                                                                         ARE und Signa46
                       Im­mo­bilienbesitz der Republik Österreich an die BIG
                       übertragen. Alleinige Gesellschafterin der BIG und damit     •    Nußdorfer Straße 90, ehem. Finanzamt, 1090:
                       Eigen­
                            tümerin ist die Republik Österreich, vertreten               Büro-Wohnhaus zum Verkauf, ARE und Premium47
                       durch den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung
                                                                                    •    Wildgarten, Am Rosenhügel, 1120: Miet­wohn­
                       und Wirtschaft. Es sind vor allem öffentliche Gebäude
                                                                                         ungen, Eigentumswohnungen und Baugruppen48
                       (Schu­len, Unis, Gerichte, etc.), die im Eigentum der BIG
                       stehen.

                       In ihrer Selbstbeschreibung definiert die BIG Wirt­          ÖBB-Holding AG
                       schaftlichkeit als Unternehmensziel, zu der sie auch
                                                                                    Die ÖBB-Immobilienmanagment GmbH (ÖBB-Immo)
                       gesetzlich nach § 1 Abs. 1 BIG-G verpflichtet ist.38
                                                                                    ist zu 100 % Tochter der ÖBB-Infrastruktur Bau AG
                       Soziale Verantwortlichkeit wird im Bundes­     immo­ bi­     (ÖBB-Infra), welche über die Beteiligung der ÖBB-
                       lien­­ge­setz nicht nachdrücklich erwähnt. Auch nicht in     Holding AG zur Gänze im Eigentum der Republik
                       Bezug auf den Verkauf von Liegenschaften an z. B. Ge­        Österreich steht. Die Anteilsrechte werden durch
                       mein­nützige Bauvereinigung. Es soll vielmehr ein an­        den Bundesminister für Verkehr, Innovation und
                       ge­mes­sener Preis erzielt werden (§ 4 Abs. 4 BIG-G).        Technologie (BMVIT) verwaltet.49
Bodenpolitik                                                                                                                                            9

Eigentümerin der ÖBB-Gründe ist die ÖBB Infra. Die ÖBB       Die Verkaufspreise sind teilweise „so kalkuliert, dass
ist Eigentümerin von 197 Mio. m² Gesamtgrundfläche           die ‚Angemessenheit der Preise der Baugrundstücke‘
verteilt auf rund 25.000 Liegenschaften (davon ver­          im Sinne von § 5 Z1 des Wiener Wohnbauförderungs-
kauft die ÖBB regelmäßig an Private). Der Nord­west­­        und Wohn­haussanierungsgesetzes 29 (WWFSG 1989)
bahnhof ist noch im Eigentum der ÖBB und verfügt             gewähr­ leistet war. Daraus ergab sich ein höchs­ tens
über eine Entwicklungsfläche von ca. 440.000 m².             zulässiger Verkaufspreis für die Stadt Wien von 235
                                                             EUR pro m2 Nutzfläche …“ 56
Das Nordbahnhofgelände der ÖBB um­             fasst eine
Entwicklungsfläche von 650.000 m². Um welchen                Der Wohnfonds hält derzeit ungefähr 3,3 Millionen
Preis die ÖBB dort Grundstücke verkaufte, z. B. im           Quadrat­   meter an Flächenreserven57 in seinem
Nov. 2015 an ein Konsortium aus Wr. Städtische,              Portfolio und stellt – was erfreulich ist – verstärkt einen
Raiffeisen Evolution und ÖVW (Erste Bank),50 ist in          Teil der Grundstücke in Baurecht zur Verfügung.58
diesem Kontext nicht eruierbar. Jedenfalls lautet die        Allgemein zählt zu den Vorteilen desBaurechts: Jede
Politik der ÖBB: marktwirtschaftliche Kriterien beim         Liegenschaftseigentümer*in kann ein Baurecht ei­
Grund­­stücks­­verkauf.51 Da bei diesen Flächen meist eine   nräumen. Dabei geben Eigentümer*innen ihr Ei­                      Baurechts-
Umwidmung erforderlich ist, eröffnen sich hier zumin­        gen­­­
                                                                  tum nicht auf, sondern verwerten es. Von den                  verträge für
dest Möglichkeiten für die Vertragsraumordnung.              Nutzer*innen wird der Boden nicht gekauft, sondern                 leistbares
                                                                                                                                Wohnen
                                                             ge­nutzt. Bauland kann so in öffentlichem Eigentum
Die ÖBB-Immo verfügt über keine eigenen Lie­
                                                             blei­­­ben und zu günstigen Bedingungen ge­nützt wer­
gen­­­­­schaften. Für den Verkauf oder die Ent­wick­
                                                             den; Bauberechtigte ersparen sich den Kaufpreis für
lung der Liegenschaften werden eigene Projekt­
                                                             die Liegenschaft, sie zahlen bloß den Bauzins. Die An­
trä­­­ger­­­­gesellschaften gegründet, in welche die
                                                             wendung des (Erb)Baurechts leis­tet somit einen rele­
ÖBB-Liegenschaften dann eingebracht werden und
                                                             vanten Beitrag zum leistbaren Wohnen (siehe Absatz
de­­­ren Anteile dann verkauft werden.52
                                                             zum Baurechtsgesetz).
Die ÖBB Infra sowie auch die ÖBB Immo sind laut eines
OGH Entscheids öffentliche Auftraggeber im Sinne des
Bundesvergabegesetz (BVergG 2006) und daher an                  Auch für Private gibt es diese Mög­         ein­­­­­­räu­men; früher konnten das nur
dieses gebunden.53 Daraus könnte geschlossen werden,            lich­keit auf Basis des BaurechtsG 1912     die öffentliche Hand, Kirchen, etc. Das
dass die ÖBB und ihre Immobilien-Töchter kein privates          (wichtige Nov: BGBl 1990/258), das          Eigentum muss damit nicht auf­        ge­
                                                                in seinem Paragrafen 1 das Bau­recht        geben werden, kann aber verwertet
Unternehmen im klassischen Sinn sind, sondern aus
                                                                regelt: ... das dingliche, ver­äußerliche   werden. Mittels des Baurechts kann
derselben gesellschaftlichen Verantwortlichkeit heraus          und vererbliche Recht, auf oder unter       also rares Bauland zu günstigen
agieren müssen wie die öffentliche Hand.                        [z. B. Tiefgarage] der Bodenfläche ei­      Bedingungen genützt werden, ohne
                                                                nes fremden Grundstücks ein Bau­werk        die Eigentümerschaft zu wechseln.
                                                                zu haben.                                   Bau­­­berechtigte ersparen sich den
                                                                                                            Kauf­preis für die Liegenschaft, sie zah­
Burghauptmannschaft Österreich
                                                                Seit der Novelle 1990 kann jedeR Lie­       len bloß den Bauzins. Boden wird nicht
Die Burghauptmannschaft Österreich besitzt bundes­              gen­schaftseigentümer*in     Baurecht       verkauft, sondern genutzt.
eigene Immobilien und Liegenschaften in ganz Öster­
reich, die dem kulturellen und historischen Erbe Öster­
reichs zugezählt werden.54 Darunter befinden sich            KAV
Kir­chen, Museen, Gerichte, Theater, Parks, Ministerien,
                                                             Der Krankenanstaltenverbund (KAV) steht zu 100 %
Lehr­stätten u.a.
                                                             im Eigentum der Stadt Wien. Auch der KAV ist Eigen­
                                                             tümer­in von Liegenschaften. Die VB INFRA - Real
                                                             Estate Management59 ist das Liegenschafts­  manage­
2.3.2 Stadt Wien
                                                             ment des KAV. Es befasst sich mit Verkäufen von KAV-
                                                             Liegenschaften.60
Wohnfonds Wien

Die Gemeinde Wien, vertreten durch die Magistrats­
abteilung 69 – Immobilienmanagement55 (übergeord­            Kleingärten, die stille Baulandreserve
nete Stelle: Geschäftsgruppe Wohnen, Wohnbau und
                                                             Im Jahr 2015 befanden sich 286 Kleingarten­   an­
Stadterneuerung), ist für den Erwerb und die Ver­
                                                             la­­
                                                               gen mit einer Fläche von insgesamt 5,45 Mio.
äu­
  ßerung von Liegenschaften, die Bestellung von
                                                             m2 im Eigentum der Stadt Wien. […] Im Mai 1993
Baurechten, Anträge auf Enteignung oder Zwangs­
                                                             schloss die Stadt Wien mit dem Zentralverband der
tausch zuständig.
                                                             Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter Öster­
Der Wohnfonds Wien, ursprünglich Wiener Boden­               reichs eine Vereinbarung ab, in der die Stadt
bereit­stellungs- und Stadt­erneu­erungsfonds (u.a.          Wien bis Ende 2043 auf eine Kündigung gemäß
zur Bereitstellung von Grund und Boden für den               § 6 Kleingartengesetz 1996 verzichtete. 61
geförderten Wohnungsneubau) kauft und verkauft
                                                             Des Weiteren erfolgte 1992 die Umwidmung von etwa
Grundstücke für die Gemeinde Wien.
                                                             zwei Drittel der Kleingartengebiete in „Erholungs­
10                                                                                    Grüne Bildungswerkstatt | Werkstattschriften

gebote­   /Ganzjähriges Wohnen“ und der Verkauf der       go­rie „geförderter Wohnbau“, die alleine aber die
Hälf­te dieser Grundstücke (ebd.). Mit beiden Maß­nah­    angespannte Situation nicht ent­span­nen wird. In diesem     Grundeigentum
                                                                                                                       in öffentlicher
men brachte sich die Stadt Wien um die Verwen­dung        Kontext ist vor allem öf­fent­   liches Grundeigentum        Hand belassen
der „stillen Baulandreserve“ Kleingarten im öffent­       eine wichtige, aber auch be­grenz­te Ressource. Seine
lichen Interesse. Eine strategische Entwicklung, Be­      Privatisierung muss gestoppt werden, soll die öf­
wirt­­­schaftung und Verwertung dieser, der Stadt Wien    fentliche Hand weiterhin auf dem Wohnungsmarkt
ge­hör­­enden, großen zusammenhängenden Grün­flä­         hand­lungsfähig bleiben. Ganz im Gegenteil sollten der
chen wurde damit langfristig erschwert bzw. un­mög­       Er­werb neuer Flächen und weitere Schritte zu einer
lich gemacht.                                             akti­ven Bodenpolitik in Be­tracht gezogen werden.

                                                          Dafür geben wir in Kapitel 4 ganz konkrete Emp­fehl­
                                                          ungen. Ab­   seits davon gibt es aber bereits jetzt in
2.4 Fazit: Zur Relevanz von Bodenpolitik
                                                          Öster­reich viele Möglichkeiten und Ins­tru­mente, bo­
    für leistbares Wohnen                                 den­­politische Maß­nahmen zu ergreifen: Ei­ne Aus­wahl
                                                          dessen stellen wir im folgenden Kapitel vor.

Weil die Mietkostenentwicklung mit den steigenden         Wien ist nicht die einzige Stadt, deren Bevölkerung
Bo­­
   den­­
       preisen am freien Markt zusammenhängt, ist
Leist­
     barkeit von urbanem Wohnen ohne ak­   tive Bo­
den­politik nicht erreichbar. Dazu ge­
                                     hören regu­ lie­
ren­­
   de Maßnahmen wie die neue Widmungs­         kate­

3. BAULAND-MOBILISIERENDE UND
   BODENPOLITISCHE MASSNAHMEN

                                                                                                 Bodenbeschaffungsgesetz (BobG)
wächst, zu wenig adäquaten Wohnraum hat und deren
Bodenpreise steigen. Diese Bodenpreise entsprechen           § 1 Die Länder haben nach Maßgabe der    Lehrlinge, jugendliche Arbeitnehmer
größtenteils nicht den Bedingungen für geförderten           Bestimmungen dieses Bundesgesetzes       oder für betagte Menschen unbebaute
Wohn­ bau, wodurch die Schaffung günstigen und               Vorsorge zu treffen, daß die Gemeinden   Grundstücke, die baureif sind oder
                                                             für die Errichtung von Häusern mit       baureif gemacht werden können, sowie
qualitativ hochwertigen Wohnraums verhindert wird.
                                                             Klein- oder Mittelwohnungen oder von     Ergänzungsgrundstücke     beschaffen
Dieser Abschnitt befasst sich mit bestehenden bo­            Heimen für Ledige, Schüler, Studenten,   (Bodenbeschaffung).
den­ politischen Instrumenten in Österreich, die auf
diese Situation einwirken können. Im Rahmen dieses
Papiers ist es nicht möglich, gesellschaftlich wichtige
Teil­bereiche der Bodenpolitik wie den Freiraumschutz                                                                   Gewidmetes
                                                                                                                        Bauland, das noch
zu behandeln. Dieses Kapitel konzentriert sich daher                                                                    unverbaut ist:
auf die direkt mit der Wohnbautätigkeit verbundenen
In­strumente.                                                                                                           Österreich gesamt
                                                                                                                        26,5 %

3.1   Bodenpolitische Instrumente in
      Raum- und Bauordnung
                                                                                                                         Wien gesamt 4,3 %
In Österreich obliegt die Raum- und Bauordnung den                                                                      Landstraße: 9,5 %
Bundesländern. Daher gibt es bereits eine Vielzahl                                                                      Favoriten: 5 %
bodenpolitischer Instrumente, die in unterschiedlicher                                                                  Simmering: 6,3 %
Wei­se angewandt werden. Dazu gehören Befristungen                                                                      Floridsdorf: 7,3 %
von Bewilligungen, räumliche Veränderungen an                                                                           Donaustadt: 8,1 %
Bodenpolitik                                                                                                                                11

                                                           Umwidmungen den Grundeigentümer*innen zugute
Grund­­­stücken, die hauptsächlich auf die tatsächliche
                                                           kommen, Wertminderungen deisen aber durch die
Be­­bau­ung gewidmeter Flächen abzielen62, die Beteili­­
                                                           öffentliche hand ersetzt werden müssen.
gung an öffentlichen Kosten, Vorbehaltsflächen für                                                                       Widmungen
ge­för­derten Wohnbau oder aktive Bodenpolitik durch       Befristungen sind ein Instrument, Baulandhortung und          sind nicht in
z.B. Bodenfonds, die auch bei steigendem Markt­­druck      Spekulation mit Bauland zu unterbinden. So können             Stein gemeiselt
die Handlungsfähigkeit der Kommune sich­­ern sollen.       sie dazu beitragen, dass sich spekulative Boden­
In den einzelnen Bundesländern werden je­weils unter­      preissteigerungen weniger leicht bilden. Aller­ dings
schiedliche Kombinationen der folgenden Maß­­­nahmen       kann eine verpflichtende Befristung unter Um­ständen
angewandt.63                                               die Zersiedelung fördern.

3.1.1   Befristungen                                       3.1.2 Räumliche Änderungen an Grundeigentum

Bebauungsfristen                                           Grundstücksvereinigung

Bei Revision des Flächenwidmungsplans oder bei Kauf        Nach dem Vermessungsgesetz des Bundes (§12 VermG)
eines unbebauten Baugrundstückes besteht eine ge­          können auf Antrag der Eigentümer*innen oder von
setzliche Verpflichtung, innerhalb einer vorge­
                                              schrie­      Amts wegen mit Zustimmung der Eigentümer*innen
benen Frist eine widmungsgemäße Bebauung vor­zu­           zwei oder mehrere Grundstücke vereinigt werden.
nehmen. Zusätzlich werden Maßnahmen für den Fall           Oh­ne Eigenmotivation der Eigentümer*innen ist die
des fruchtlosen Fristablaufes formuliert.                  Grund­stücksvereinigung als bodenpolitisches Instru­
                                                           ment jedoch kaum denkbar.

Befristete Baulandausweisung
bzw. Bauverpflichtungen                                    Baulandumlegung
                                                                                                                         Bauparzellen in
Gemeinden in Niederösterreich können neue Bauland­         Die Baulandumlegung ist ein Instrument für die Neu­           bessere Form
widmungen mit 5 Jahren befristen. Nach Ablauf der          ord­
                                                              nung von als Bauland gewidmeten, aber un­    ge­           bringen
Frist ist eine Rückwidmung ohne Entschädigung              schickt geformten Parzellen, hauptsächlich bei der
möglich (§ 17 NÖ ROG 2014). Die Befristung von             Erschlie­­ßung neuer Siedlungen.
Bauland wird in Niederösterreich aber nicht als
                                                           In Tirol kann für eine bodensparende Bebauung und
Sicherstellung der Verfügbarkeit anerkannt. 64
                                                           eine zweckmäßige Verkehrserschließung Bauland um­
Salzburg stellt von einer Vorrats- auf eine Bedarfs­       ge­legt werden (§§ 91 ff TROG 2016). Dieses Instrument
widmung um, u.a. durch befristete Bauland­ausweisung       wird in Tirol durchaus angewandt.
und Rückwidmung bei Nicht-Bebauung innerhalb von
                                                           Zur Neugestaltung und Erschließung von Siedlungs­ge­
10 Jahren (§ 29 ROG 2009 - Novelle 2018)65
                                                           bie­­ten können in Vorarlberg bebaute und unbebaute
In der Steiermark gibt es eine Bebauungsfrist. Bei         Grund­­­stücke in der Weise neu geordnet werden, dass
frucht­­
       losem Fristablauf wird entschädigungslos in         nach Lage, Form und Größe für bauliche oder sonstige
Frei­land umgewidmet, eine Sondernutzung festgelegt        Nut­z­­­un­gen zweckmäßig gestaltete und erschließbare
oder eine Investitionsabgabe vorgeschrieben (§ 36          Grund­­­­­stücke entstehen (§§ 41 ff RaumplanungsG 1996).
StROG 2010).66 In der Steiermark darf eine Befristung
                                                           Stimmen in Niederösterreich mehr als 75 % der Eigen­
auch bei Revision der örtlichen Planung auf bereits ge­
                                                           tü­mer­*innen einer Baulandfläche der Maßnahme zu,
wid­metes Bauland gelegt werden – so wird ein Zu­griff
                                                           kann auch hier Bauland umgelegt werden.
auf den Bestand ermöglicht. Bis dato wurde die­ses
Instrument aber nicht angewandt.                           In Wien hat die Bauordnungsnovelle 2018 unter an­
                                                           derem die Zuweisung von Wiesenstreifen an die Stadt
In Tirol ist eine Bebauung entsprechend der Flächen­
                                                           Wien und eine raschere Bearbeitung des An­trags auf
wid­mung innerhalb von 10 bzw. 20 Jahren vor­    ge­
                                                           Bau­
                                                              landumlegung eingearbeitet, um eine schnelle­ re
schrie­ben (§ 11 Abs. 2 TROG 2016).67
                                                           Mobilisierung von Bauland zu ermöglichen.
In Wien können die Flächenwidmungspläne die Wid­
                                                           In der Steiermark, in Tirol, Vorarlberg, Nieder­öster­reich
mung “Bauland befristet” ausweisen, wenn dies der
                                                           und in Wien sind die gesetzlichen Grundlagen für die          Vorhandene
Erreichung der gesetzlichen Ziele der Stadtplanung                                                                       Instrumente
                                                           Baulandumlegung gegeben, werden aber z.T. nicht an­
dient (§ 4 Abs. 4 BO für Wien).68 Eventueller Schaden­                                                                   werden zu selten
                                                           ge­wandt. Angewandt wäre sie aber für das Ziel einer
sersatz aufgrund des Außerkrafttretens der Bauland­                                                                      angewandt
                                                           spar­samen Flächennutzung einsetzbar.
widmung ist strittig. Zu beachten ist aber die Asym­
metrie zwischen Planungsmehrwert, der privati­    siert    Die Baulandumlegung kann ein wirksames Instrument
wird und Planungsminderwert, der soziali­   siert wird.    ge­gen die Blockade einer Bebauung durch eine Min­
Das bedeutet, dass Wertsteigerungen aufgrund von           der­­heit der Eigentümer*innen darstellen.
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                             3.1.3 Aufschließungs- und Infrastrukturbeiträge               teilung der Verhandlungsposition, Intransparenz der
                                                                                           Verträge für die Öffentlichkeit und Verknüpfung der
                             Die Aufschließung von Grundstücken ist für die All­           privat­rechtlichen Verträge mit dem hoheitlichen Akt
                             ge­­mein­heit mit großen Kosten verbunden. Bei Auf­           der Widmung anbelangt.
                             schließ­ ungs- und Infrastrukturbeiträgen werden die
                             Eigen­­tümer*innen von unbebauten Grundstücken mit
                             Bau­­­land­widmung verpflichtet, Kostenbeiträge (also         3.1.5 Vorbehaltsflächen
                             quasi Vorauszahlungen) zu leisten, sofern die ent­spre­             für den geförderten Wohnbau
                             ch­­en­de Infrastruktur vorhanden ist.
                                                                                           In der Steiermark werden sog. Vorbehaltsflächen aus­
                             In Oberösterreich wird ein Aufschließungs- und Erhal­
                                                                                           gewiesen, d.h. “Flächen für Einrichtungen und Anlagen,
                             tungs­beitrag für nicht bebautes Bauland eingehoben
                                                                                           für die eine nachweisbare Notwendigkeit besteht, die
                             (§§ 25-29 Oö ROG 1994). In Salzburg wird ein
                                                                                           öffentlichen Zwecken dienen” und für den geförderten
                             Infrastruktur-Bereitstellungsbeitrag (§ 77 b ROG 2009
                                                                                           Wohnbau zu verwenden sind (§ 37 StROG 2010).
                             - Novelle 2018)69 für nicht widmungsgemäß genutztes
                             Bauland vorgeschrieben.                                       Auch in Tirol gibt es Neuwidmungen von „Vorbehalts­
                                                                                           fläche[n] für den geförderten Wohnbau“. Diese müssen
                             Aufschließungs- und Infrastrukturbeiträge können für
                                                                                           inner­halb von 10 Jahren der Gemeinde, dem Tiroler
                             eine raschere Bebauung gewidmeter Flächen sorgen.
                                                                                           Boden­ fonds oder einem Bauträger, der geförderte
                                                                                           Wohn­bauten errichtet, zum Kauf angeboten werden.
                                                                                           Geschieht das nicht, tritt die Widmung wieder außer
                             3.1.4 Vertragsraumordnung
                                                                                           Kraft, das Bauland wird zu Freiland (§ 52a TROG 2016).

                             Das Instrument der Raumordnungsverträge soll die              Vorarlberg “In Bauflächen, Bauerwartungsflächen
                             (hoheitliche) Raumplanung bei der Erreichung der              oder Freiflächen können Flächen festgelegt werden,
                             Raumplanungsziele unterstützen. In Verträgen kann             die Zwecken des Gemeinbedarfs dienen.” (§ 20 Raum­
                             etwa die fristgerechte Nutzung mit einer Vertragsstrafe       planungsG 1996).70
                             abgesichert werden. Eine zwingende Verknüpfung
                                                                                           In Oberösterreich können Flächen für förderbare
                             von hoheitlichen Maßnahmen der Raumplanung mit
                                                                                           mehrgeschoßige      Gebäude    ausgewiesen     und
                             privatrechtlichen Verträgen ist nicht zulässig.
                                                                                           bestehende Widmungen dahingehend geändert wer­
                                                                                           den, dass je Grundstückseigentümer*in höchstens die
     Bauordnung für Wien                                                                   Hälfte der für die Umwidmung vorgesehenen Grund­
     (Wr. Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuch)                            stücks­
                                                                                                 fläche für förderbaren Wohnbau ange­   boten
                                                                                           werden muss (§§ 16 u. 22 Oö. ROG 1994).
     § 1a BO für Wien, Maßnahmen der             Die Wiener Bauordnung ist gleichzeitig    Mit der Bauordnungsnovelle 2018 führt die Stadt Wien
     Gemeinde als Trägerin von Privatrechten     Raumordnung. Die Raumplanung ist
                                                                                           die neue Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“
                                                 eine, durch das öffentliche Interesse
     (1) Die Gemeinde ist berechtigt als Trä­    (wie z.B. Ortsbildschutz oder Sicherung   für Bauland-Neuwidmungen ein. Das bedeutet bei
     gerin von Privatrechten zur Un­ter­stütz­   der Qualität der Wohnverhältnisse)        Bau­­vorhaben mit einer zulässige Brutto-Grundfläche
     ung der Verwirklichung der im § 1 Abs. 2    ge­recht­fertigte Einschränkung des       von 5.000 m²: mindestens zwei Drittel der bebaubaren
     genannten Planungs­ziele, insbesondere      Eigen­tumsrechts. In Wien können seit     Fläche muss geförderter Wohnbau sein und in Zu­sam­
     zur Vorsorge ausrei­chen­­der Flächen für   der Bauordnungsnovelle von 2014
                                                                                           menhang mit dem Verweis auf das WWFSG wird für
     den erforderlichen Wohn­raum und für        Städtebauliche Verträge abgeschlossen
     Arbeits- und Pro­  duktions­ stätten des    werden (siehe Bauordnung Wien § 1a)       diesen Teil der Bodenpreis reguliert (siehe Kapitel 2.2).
     Gewerbes, der Industrie und zur Er­         und werden auch angewandt. Wobei
     bring­ung von Dienstleistungen jeder        Allerdings gibt es Bedenken verfas­
     Art, sowie über die Beteiligung der         sungsrechtlicher Art gibt ebenso wie      3.1.6 Aktive Bodenpolitik
     Grund­eigen­tümer an den der Gemeinde       politischer Art, was die ungleiche
     durch die Festsetzung von Grundflächen      Verteil­
                                                        ung der Verhandlungsposition,
     als Bauland erwachsenden Kosten der         Intrans­parenz der Verträge für die       Aktive Bodenpolitik beschreibt, dass Gemeinden nicht
     Infrastruktur privatrechtliche Verein­      Öf­fentlichkeit    und     Verknüpfung    nur durch die Ausweisung, sondern ganz direkt durch
     barungen abzuschließen.                     der privatrechtlichen Verträge mit        den Kauf, die Verwaltung und die Vergabe von Grund­
                                                 dem hoheitlichen Akt der Widmung          stücken (respektive Baurecht) gegen Auflagen oder
                                                 anbelangt.
                                                                                           die Ent­wicklung durch kommunale Träger*innen Ein­
                                                                                           fluss auf die Boden- und Immobilienpolitik neh­men.71

                                                                                           Bodengesellschaften oder -fonds
                             In Wien können seit der Bauordnungsnovelle 2014
                             Städtebauliche Verträge abgeschlossen werden (siehe           Bodenbeschaffungsfonds sind dabei ein operatives
                             Bauordnung Wien § 1a) und werden auch angewandt.              Instrument der Raumordnung zur Unterstützung
                             Allerdings gibt es Bedenken verfassungsrechtlicher            der Gemeinden bei der Verwirklichung der Ziele der
                             ebenso wie politischer Art, was die ungleiche Ver­            örtlichen Raum- und Stadtplanung.72
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