Brauchen wir eine Neuregelung der "620-DM-Jobs"?
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SOZIALPOLITIK Rainer Erbe Brauchen wir eine Neuregelung der „620-DM-Jobs"? In den letzten Monaten ist die Diskussion um die sogenannten 620-DM-Jobs erneut entbrannt. Während bislang vor allem Gewerkschaften und Opposition eine Abschaffung oder Begrenzung dieser Beschäftigungsform forderten, wird inzwischen auch innerhalb der Koalitionsparteien um eine Neuregelung der 620-DM-Arbeitsverhältnisse gerungen. Was spricht für eine solche Neuregelung, was dagegen? Wie könnte sie aussehen? E ine geringfügige Dauerbeschäftigung ist nach § 8 Sozialgesetzbuch sozialversicherungsfrei, wenn sie regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche schatten, daß von den Unternehmen zunehmend re- guläre Sozialversicherungspflichtige (Vollzeit-)Arbeits- plätze abgebaut und durch sozialversicherungsfreie ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt in West- geringfügige Beschäftigung ersetzt werden. Vorder- deutschland gegenwärtig 620 DM, in Ostdeutschland gründig scheinen die im November 1997 bekanntge- 520 DM nicht übersteigt (sogenannte 620-DM-Jobs). wordenen ersten Ergebnisse einer vom Bundes- Geringfügige Beschäftigungen bei mehreren Arbeit- ministerium für Arbeit und Sozialordnung in Auftrag gebern werden zusammengerechnet. Daher ist der gegebenen Untersuchung1 solche Befürchtungen zu Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, jedes abgeschlos- bestätigen: Während die Anzahl der sozialversiche- sene 620-DM-Arbeitsverhältnis der Einzugsstelle der rungspflichtig Beschäftigten in Deutschland seit Sozialversicherung zu melden. Übersteigt das Ge- Jahren rückläufig ist, soll die Anzahl der geringfügig samtentgelt aus mehreren geringfügigen Beschäfti- Beschäftigten zwischen 1992 und 1997 um rund gungen die Entgeltgrenzen, werden für alle geringfü- 26,5% gestiegen sein. Der niedersächsische Minister- gigen Arbeitsverhältnisse Beiträge zur Sozialversiche- präsident Schröder hat solche vermuteten Substitu- rung fällig. tionsprozesse auch prompt zum Anlaß genommen, wenn schon nicht die Beseitigung der sozialversiche- Neben der Befreiung von der Beitragspflicht zur rungsfreien Tätigkeiten, so doch ihre Quotierung nach Pflege-, Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversiche- Betrieben und Branchen zu fordern2. rung gibt es für die 620-DM-Jobs auch eine einkom- mensteuerrechtliche Sonderregelung: Nach § 40a EStG kann der Arbeitgeber bei geringfügigen Be- Umfang der geringfügigen Beschäftigung schäftigungsverhältnissen auf die Vorlage einer Lohn- Diese wie auch andere Forderungen erscheinen je- steuerkarte verzichten und die Lohnsteuer mit einem doch zumindest übereilt. Sehr ungewiß ist zum einen, Pauschalsteuersatz von 20% (plus knapp 3% für ob das ausgewiesene Wachstum der sozialversiche- Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) abführen. rungsfreien Beschäftigungsverhältnisse überhaupt in Insbesondere die für geringfügige Beschäftigung nennenswertem Umfang durch Zerlegung sozialver- sicherungspflichtiger Tätigkeiten induziert wurde. Un- gewährte Sozialversicherungsfreiheit wird seit länge- klar bleibt zum anderen aber auch das tatsächliche rem heftig kritisiert. So fürchten z. B. die Gewerk- Ausmaß der geringfügigen Beschäftigung und sein Wachstum seit Anfang der 90er Jahre, denn bei nähe- Rainer Erbe, 44, Dipl.-Volkswirt, arbeitet im Stabsbereich Wirtschafts- und Strukturpolitik der Wirtschaftsbehörde Hamburg. Der Aufsatz 1 Vgl. BT-Drucksache 13/9313 vom 28.11.1997. gibt ausschließlich die persönliche Auffassung 2 Vgl. z. B.: Die Bonner Politik ist über die geringfügige Beschäftigung des Verfassers wieder. zerstritten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.12.1997, S. 23. WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11 97
SOZIALPOLITIK rer Betrachtung erweist sich die Datenlage zu Umfang im Sinne des Sozialgesetzbuches ab, sondern auf und Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung im sämtliche „Mini-Jobs". Sinne des Sozialgesetzbuches als ausgesprochen un- Neben diesen beiden Befragungen steht der befriedigend. Die Angaben zum Umfang der geringfü- Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes als die gigen Beschäftigung und ihrer quantitativen Ent- organisatorisch-technisch, methodisch und vom wicklung im Zeitablauf schwanken stark. Je nach Stichprobenumfang (800 000 Personen) sicherlich am Datenquelle und Interessenlage werden für 1996 zwi- besten abgesicherte Untersuchung. Mit dem 1996 schen 1,6 Mill. und 6 Mill. geringfügig Beschäftigte eingeführten System von vier sogenannten Leitfragen genannt. zur Erwerbsbeteiligung ist es auch die einzige Die sich eigentlich anbietende Datenbasis - die Untersuchung, die explizit nach geringfügiger Be- Meldestatistik der Sozialversicherungsträger auf der schäftigung im Sinne des Sozialgesetzbuches fragt. Grundlage der Meldepflicht nach dem Gesetz über Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 1996 üben den Sozialversicherungsausweis - ist unbrauchbar. knapp 1,6 Mill. Personen in Deutschland eine gering- Sie kumuliert schlichtweg die in der Vergangenheit fügige Beschäftigung aus5. gemeldeten geringfügigen Beschäftigungsverhält- nisse, da die Abmeldung beendeter Arbeitsver- Entwicklung im Zeitablauf hältnisse durch den Arbeitgeber und damit die Als sicher kann angesichts dieser Datenlage nur Löschung der entsprechenden geringfügigen Be- gelten, daß die von ISG und DIW veröffentlichten schäftigungsverhältnisse aus der Meldestatistik nicht Zahlen überhöht sind. Die vom Statistischen Bundes- funktioniert. Dennoch wurde in der Vergangenheit ge- amt erhobenen Daten bilden dagegen die absolute legentlich mit Angaben aus dieser Quelle argumen- Untergrenze des Wahrscheinlichen: In den genannten tiert, wobei Zahlen von 4,5 Mill. bis 6"Mill. geringfügig knapp 1,6 Mill. aus dem Mikrozensus nicht enthalten Beschäftigten genannt wurden. sind z. B. die sozialversicherungspflichtig Beschäftig- Die Daten, die gegenwärtig die öffentliche Diskus- ten mit einer geringfügigen Nebentätigkeit, die bei ISG sion dominieren, sind dagegen aus Befragungen rela- und DIW immerhin rund ein Viertel aller geringfügig tiv kleiner Stichproben hochgerechnet und schon von Beschäftigten ausmachen. daher mit großen Unsicherheiten behaftet. Vor allem Ähnlich ungewiß wie die absolute Zahl der gering- wurde in diesen Befragungen aber auch auf Tätig- fügigen Beschäftigten bleibt ihre Entwicklung im keiten abgestellt, die,weit über den Begriff der gering- Zeitablauf. Zwar weisen alle drei Stichproben einen fügigen Beschäftigungsverhältnisse im Sinne des deutlichen Zuwachs aus: Sozialgesetzbuches hinausgehen. Das gilt für: D Der Mikrozensus des Statistischen Bundes- D die bereits erwähnte Untersuchung im Auftrag des amtes weist für 1988 nur 518000 geringfügig Be- Bundesarbeitministeriums, die vom Kölner Institut für schäftigte nach, während 1991 bereits knapp 1,1 Mill. Soziälforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) durch- und im April 1996 bereits 1,6 Mill. Personen in geführt wurde. Danach ist die Anzahl von „Mini-Jobs" Deutschland zu dieser Gruppe gezählt werden. in Deutschland zwischen 1992 und 1997 um gut 1,2 D Auch die SOEP-Zahlen zeigen, ebenso wie der Mill. auf rund 5,6 Mill. gestiegen3. Allerdings wurden Mikrozensus, einen Anstieg der geringfügig Be- vom ISG in seiner Fragestellung auch Jobs berück- schäftigten zwischen 1991 und 1996 um rund ein sichtigt, die in den Bereich der Nachbarschaftshilfe, Drittel. der Schatten Wirtschaft oder schlicht der Schwarz- D Nach den ISG-Zahlen war zwischen 1992 und 1997 arbeit fallen. Damit dürfte die ISG-Studie die tatsäch- ein Zuwachs von gut einem Viertel zu verzeichnen. liche Entwicklung kräftig überzeichnen. Allerdings ist der Anstieg z. B. der vom Mikro- D das Sozioökonomische Panel (SOEP), eine Er- zensus ausgewiesenen Zahlen anscheinend wesent- hebung bei privaten Haushalten, die vom DIW seit lich auf ein geändertes Erhebungsprogramm und da- 1984 durchgeführt wird. Nach dem SOEP-Konzept mit auf die bessere Erfassung der geringfügigen ergibt sich für die Bundesrepublik im Frühjahr 1996 Erwerbstätigkeit zurückzuführen. Bei den Zahlen von eine Zahl von hochgerechnet 5,4 Mill. geringfügig Beschäftigten (wobei das DIW einen Unschärfe- bereich von 4,6 Mill. bis 6,3 Mill. Personen nennt)4. Vgl. BT-Drucksache 13/9313 vom 28. 11. 1997. Auch die vom DIW durchgeführte Befragung stellt Vgl. DIW-Wochenbericht 38/97 vom 18.9.1997, S. 689 ff. nicht auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse Vgl. ebenda. 98 WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11
SOZIALPOLITIK SOEP und ISG zeigen sieh wiederum große Diffe- ment, das z. B. vom Gebäudereinigungshandwerk seit renzen in der Struktur des ausgewiesenen Zuwach- langem vorgetragen wird. In der Regel haben alle ses: Bei einer Differenzierung der Gesamtzahl der ge- Konkurrenten die gleiche Möglichkeit, zur Kosten- ringfügig Beschäftigten in geringfügig Hauptbe- ersparnis und/oder zur Abdeckung von Personalbe- schäftigte und geringfügig Nebentätige weist das darfsspitzen auf geringfügige Beschäftigungsver- Sozioökonomische Panel aus, daß die Zahl derjeni- hältnisse zurückzugreifen. Die Behauptung, daß sich gen, die neben einem Hauptberuf noch einen „Neben- hier z.B. größere Unternehmen gegenüber kleineren job" nachgingen, in den vergangenen fünf Jahren be- und mittleren Unternehmen Wettbewerbsvorteile ver- sonders rasch gewachsen ist - von rund 780000 im schaffen können, ist nicht nachzuweisen. Jahre 1991 auf 1330 000 im Jahre 1996. Nach den Zutreffend ist eher das Gegenteil: Kleine und mittle- ISG-Zahlen soll aber ausgerechnet diese Gruppe zwi- re Unternehmen können durch das Instrument der ge- schen 1992 und 1996 um 3,4% auf 1423000 ringfügigen Beschäftigung Flexibilitätsnachteile ge- Personen geschrumpft sein. genüber den großen ausgleichen, Sprungkosten Angesichts dieser ausgesprochen unbefriedigen- vermeiden und so ihre Wettbewerbsposition gegen- den Datenlage ist wohl jeder Befürworter von Ein- über großen Unternehmen verbessern. Etwas anders schränkungen bei den 620-DM-Jobs gut beraten, stellt sich die Lage dar, wenn Betriebe z.B. aufgrund wenn er seine Forderungen nicht allzusehr auf den eines politischen Einflusses (z. B. kommunale angeblich alarmierenden Umfang oder Anstieg sol- Reinigungsunternehmen, die in Konkurrenz zu priva- cher Beschäftigungsverhältnisse stützt. Dennoch ist ten Betrieben arbeiten) daran gehindert werden, den nicht zu übersehen, daß die Gründe, die für eine betrieblich optimalen Mix an Beschäftigungsverhält- Neuregelung ins Feld geführt werden, in einem mehr nissen zu wählen. oder weniger engen Zusammenhang zur aktuellen Ähnlich ist die Lage der Deutschen Post AG, die als quantitativen Entwicklung in diesem Bereich stehen, ehemaliges staatliches Monopol mit entsprechenden die sich zumindest in der subjektiven Wahrnehmung in der Vergangenheit eingegangenen arbeitsrecht- vielfach als dramatisch darstellt. Die Forderungen lichen Verpflichtungen Wettbewerbsnachteile gegen- nach Abschaffung oder Einschränkung der 620-DM- über künftigen privaten Konkurrenten zu erwarten hat. Jobs stützten sich dabei in der politischen Diskussion Aus dieser Überlegung heraus wurde am 10.12.1997 vornehmlich auf drei Argumente: im Vermittlungsausschuß bei der Behandlung des D Zum einen sollen mit einer Einschränkung oder Postgesetzes vereinbart, in den Lizenzverträgen künf- Abschaffung der Versicherungsfreiheit Wettbewerbs- tiger Post-Wettbewerber soziale Mindeststandards zu verzerrungen zwischen Unternehmen, die geringfügi- verankern. Danach soll Postkonkurrenten, wenn sie ge Beschäftigung anbieten, und Unternehmen, die wesentlich von den Arbeitsbedingungen der Deut- dies nicht tun, vermieden werden (Wettbewerbsargu- schen Post AG abweichen und etwa stärker auf sozi- alversicherungsfreie 620-DM-Jobs setzen, im Extrem- ment). fall die Beförderungslizenz entzogen werden können D Zum anderen wird in den entsprechenden Vor- - eine allerdings rechtlich höchst umstrittene Verein- schriften des Sozialgesetzbuches eine Förderung so- barung. zialversicherungsfreier Erwerbstätigkeit gesehen, von der Eindämmung der 620-DM-Jobs erhofft man sich Arbeitsplatzargument das Entstehen neuer Sozialversicherungspflichtiger Auch das Arbeitsplatzargument erweist sich bei Arbeitsplätze und eine entsprechende Entlastung des näherer Betrachtung als wenig tragfähig. Zwar ist die Arbeitsmarktes (Arbeitsplatzargument). Zahl der Sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten D Als drittes Argument wird schließlich ins Feld ge- in Deutschland von 1991 bis 1996 um rund 1,5 Mill. führt, daß eine Beseitigung der Versicherungsfreiheit gesunken, maßgeblich dafür waren aber nicht die ge- für geringfügig Beschäftigte die angespannte Finanz- ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, sondern die situation der Sozialversicherungen kurzfristig verbes- allgemeine Wirtschaftsentwicklung. Soweit die durch- sern könnte (Einnahmeargument). aus zu beobachtende Flucht aus der Sozialversiche- rungspflicht dabei eine Rolle spielte, vollzog sie sich Wettbewerbsargument vor allem über eine Ausweitung von Werkverträgen und die Zunahme von Scheinselbständigkeit. Nicht alle diese Argumente erscheinen bei näherer Betrachtung gleichermaßen stichhaltig. Problema- Die geringfügige Beschäftigung scheint in diesem tisch erscheint insbesondere das Wettbewerbsargu- Zusammenhang, so viel kann trotz der beschriebenen WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11 99
SOZIALPOLITIK Datenlage gesagt werden, allenfalls einen untergeord- Fraglich ist der Nettoeffekt in der Arbeitslosen- neten Beitrag geleistet zu haben. Selbst wenn man versicherung, wo den Mehreinnahmen mit Sicherheit unterstellt, daß die SOEP-Angaben die reale Ent- zusätzliche Ausgaben gegenüberstehen würden. Vor wicklung nicht überzeichnen, kommt man - so auch allem ist jedoch fraglich, ob es sinnvoll ist, durch eine das Fazit des DIW6 - zu dem Ergebnis, daß die ge- entsprechende Versicherungspflicht für geringfügig ringfügige Beschäftigung nur eine geringe Rolle bei Beschäftigte letztlich funktionslose bzw. systemwidri- der „Vernichtung" regulärer sozialversicherungspflich- ge Mini-Arbeitslosengeld- oder auch Rentenan- tiger Arbeitsplätze gespielt hat. Wenn aber der Schluß sprüche zu schaffen, die dem Charakter dieser Ein- richtig ist, daß geringfügige Beschäftigungsver- richtungen als Existenzsicherungssysteme nicht hältnisse in der Vergangenheit sozialversicherungs- entsprechen. pflichtige Beschäftigung nur in geringem Ausmaß Auch aus dieser Überlegung heraus ist gelegentlich verdrängt haben, so ist auf der anderen Seite die vorgeschlagen worden - so zuletzt von der SPD im Hoffnung trügerisch, daß sich durch Einschränkung Rahmen des am 11.12.1997 erzielten „Rentenkom- der sozialversicherungsfreien geringfügigen Tätigkei- promisses" - , nur die geringfügigen Beschäftigungen ten im wesentlichen Umfang neue Voll- oder Teil- sozialversicherungspflichtig zu machen, die im zeitarbeitsplätze schaffen oder gar die Arbeits- Nebenerwerb ausgeübt werden. Der Verband der losenzahlen vermindern ließen. Deutschen Rentenversicherungsträger argumentiert Auf einem ganz anderen Blatt steht, daß gerade in ebenfalls in diesem Sinne: Zwar sei eine Bei- einigen Wachstumsbereichen - z. B. Transport- und tragspflicht für 620-DM-Jobs keine geeignete Maß- Kurierdienste, Medien oder EDV - kaum noch sozial- nahme zur Stabilisierung der Finanzsituation der versicherungspflichtige Voll- oder Teilzeitstellen ent- Rentenversicherung, doch sei nicht zu begründen, stehen, weil, auch aufgrund der staatlich gesetzten warum zwei 620-DM-Jobs addiert würden und zur Rahmenbedingungen, sich andere Arbeitsformen und Beitragspflicht führten, eine Versicherungspflichtige -Vertragsverhältnisse wie Scheinselbständigkeit oder Haupttätigkeit und eine Nebentätigkeit für einen zwei- Werkverträge auf breiter Front durchgesetzt haben. ten Arbeitgeber jedoch nicht zusammengefaßt wür- den. Eine solche Entwicklung mag aus vielerlei Gründen gesellschaftspolitisch unerwünscht sein. Wer sie mit Gegenargumente gesetzgeberischen Mitteln abbremsen oder umkehren Wer die Versicherungsfreiheit für 620-DM-Jobs ab- will, sollte sich allerdings nicht auf dem „Neben- schaffen will, muß freilich nicht nur prüfen, ob die kriegsschauplatz 620-DM-Jobs" verzetteln, sondern Argumente, die für eine Abschaffung oder Einschrän- benötigt weitaus umfassendere Änderungen des kung vorgebracht werden, tragen, sondern muß auch Sozialversicherungs-, Arbeits- und Steuerrechts. fragen, ob es Gründe für eine Beibehaltung der jetzi- gen Rechtslage gibt. Von den Befürwortern der Einnahmeargument Versicherungsfreiheit werden dabei in der Regel fol- gende Punkte genannt: Unumstritten ist dagegen, daß eine Versiche- rungspflicht für geringfügige Beschäftigung die D Zum einen gibt es durchaus große Gruppen ge- Finanzsituation der Sozialversicherungsträger zu- ringfügig Beschäftigter, die im heutigen Sozialsystem nächst verbessern würde. Das gilt insbesondere für keine zusätzliche Alters- und Arbeitslosenanwart- die gesetzliche Krankenversicherung, wo den zusätz- schaft brauchen (z.B. Rentner, Beamte, Schüler und lichen Einnahmen nahezu keine zusätzlichen Lei- Studenten), zum anderen gibt es zahlreiche private stungsansprüche gegenüberstehen würden, da be- Arbeitgeber, die auf diese kostengünstige und relativ reits jetzt so gut wie alle Geringverdiener Leistungen unbürokratische Beschäftigungsform dringend ange- erhalten (als Rentner, Studenten, Familienmitver- wiesen sind, weil sie nur auf diesem Weg ihren sicherte oder Arbeitslose). Auch in der Rentenver- Arbeitskräftebedarf decken und/oder flexibel auf z.B. sicherung würde es zunächst zu einer finanziellen saisonal oder auch im Tagesverlaüf stark schwanken- Entlastung kommen, der aber später höhere Ren- de Nachfrage reagieren können. Darüber hinaus sind tenansprüche gegenüberstünden. wohl auch zahlreiche Organisationen ohne Erwerbs- charakter aus Kostengründen auf diese Beschäfti- gungsform stark angewiesen (z.B. Sportvereine, 6 Wohlfahrtsorganisationen usw.). Aufgrund dieses ge- Vgl. DIW-Wochenbericht 38/97 vom 18.9.1997, S. 689 ff., hier: S. 693. meinsamen Interesses von Arbeitgebern und gering- 100 WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11
SOZIALPOLITIK fügig Beschäftigten wären bei einer Abschaffung oder sieht, in den Bundestag eingebracht. Danach wären Einschränkung der geringfügigen Beschäftigungsver- statt 620 DM gegenwärtig weniger als 90 DM hältnisse starke Ausweichreaktionen zu erwarten. Monatsverdienst versicherungsfrei. Unter dem Ge- sichtspunkt der Geringfügigkeitsgrenze als Bagatell- D Schließlich sollte nicht übersehen werden, daß die grenze wäre eine deutliche Herabsetzung sicherlich gegenwärtige Geringfügigkeitsgrenze ursprünglich vertretbar, da aufgrund der flächendeckenden Ein- auch den Charakter einer Bagatellgrenze hatte, um führung von EDV und der in allen Sozialversiche- bei den Sozialversicherungsträgern einen in vielen rungszweigen gestiegenen Beitragssätze sich in den Fällen unsinnigen Aufwand zu vermeiden. Einrichtung letzten Jahrzehnten die Höhe des Einkommens, ab der Konten, Kontenführung und Verbuchung der dem die Beitragseinnahmen die Einzugs- und Ver- Beiträge verursachen bei den Sozialversicherungs- waltungskosten übersteigen, vermindert haben dürf- trägern wie den Arbeitgebern einen nicht unerhebli- te. Die von der SPD vorgeschlagene Größenordnung chen Aufwand, der bei geringfügigen Beschäftigungs- schießt allerdings deutlich über das Ziel hinaus, die verhältnissen leicht die Höhe der Beitragseinnahmen Geringfügigkeitsgrenze wieder zu einer echten übersteigen kann. Bagatellgrenze zu machen. Vor dem Hintergrund dieser Argumente von Befürwortern und Gegnern einer Begrenzung der So- Schlank und schlecht zialversicherungsfreiheit von geringfügigen Beschäf- Realitätsnäher erscheint in dieser Hinsicht der jüng- tigungsverhältnissen lassen sich die in der politischen ste Vorschlag des CDU-Sozialpolitikers Louven, die Diskussion gängigen Vorschläge zur Einschränkung Geringfügigkeitsgrenze auf 250 DM abzusenken. Im der gegenwärtig vom Gesetzgeber eingeräumten Gegenzug soll bei diesem Vorschlag allerdings ein Möglichkeiten kurz bewerten. neues Sonderrecht in Form eines „schlanken Be- schäftigungsverhältnisses" geschaffen werden. Da- Änderung der Geringfügigkeitsgrenze? nach sollen künftig Beschäftigungen mit einem Der sicherlich weitestgehende Vorschlag, eine Entgelt zwischen 250 DM und 800 DM zwar renten-, Streichung der Geringfügigkeitsgrenze, erscheint kranken- und pflegeversicherungspflichtig werden, schon deshalb überzogen, weil die Geringfügig- aber von der Arbeitslosenversicherung und der pau- keitsgrenze auch die Funktion hat, Verwaltungskosten schalen Lohnsteuer befreit sein. Dieser Vorschlag und Beitragseinnahmen der Sozialversicherungs- mag zunächst als „das Ei des Kolumbus" erscheinen, träger in einem vernünftigen Verhältnis zu halten.' ist in Wirklichkeit jedoch hochproblematisch: Er weist Zudem würden angesichts der zu erwartenden hefti- die typischen Merkmale eines Geschäftes zu Lasten gen Ausweichreaktionen der Betroffenen die zusätz- Dritter auf: Die Interessen von Arbeitgebern (Fortbe- lichen Beitragseinnahmen vermutlich gering ausfallen. stand kostengünstiger geringfügiger Beschäftigungs- Erwerbsformen wie Scheinselbständigkeit und verhältnisse) und Sozialpolitikern (soziale Absiche- Schwarzarbeit im weitesten Sinne würden einen neu- rung der geringfügig Beschäftigten oder zusätzliche en Wachstumsschub erhalten. Zahlreiche Beschäf- Einnahmen für die Sozialkassen) werden auf Kosten tigte würden aus bislang zwar sozialversicherungsfrei- des Staatshaushalts und/oder der betroffenen Arbeit- en, aber arbeitsrechtlich geschützten Beschäfti- nehmer zur Deckung gebracht. gungen in völlig ungeschützte Arbeitsverhältnisse Wer dabei der „Hauptleidtragende" wäre, hinge von zurückgedrängt. Zugleich würde wohl ein Teil der jetzt der künftigen Besteuerungspraxis beim „schlanken in diesem Bereich angebotenen Tätigkeiten ersatzlos Beschäftigungsverhältnis" ab. In diesem entscheiden- wegfallen, entweder durch Rationalisierung und Um- den Punkt ist der Vorschlag bezeichnenderweise nicht organisation oder aber durch Streichung des durch ganz eindeutig. Man dürfte Louven aber richtig inter- die geringfügige Beschäftigung bislang erbrachten pretieren, wenn man davon ausgeht, daß auch bei der Leistungsangebotes. schlanken Beschäftigung, ebenso wie bei den 620- Letzteres träfe wohl auch bei einer spürbaren DM-Jobs, auf die Vorlage von Lohnsteuerkarten ver- Herabsetzung der Geringfügigkeitsgrenze zu, wie sie zichtet werden soll. Damit würde de facto, wenn auch etwa vom DGB gefordert wird. Die Bundestags- nicht de jure, ein Steuerfreibetrag für schlanke fraktion der SPD hat bereits 1995 einen entsprechen- Beschäftigung eingeräumt - ähnlich der bis zum den Gesetzentwurf, der eine Herabsetzung der Bundesverfassungsgerichtsurteil von der Politik au- Geringfügigkeitsgrenze auf ein Fünfzigstel der monat- genzwinkernd gebilligten De-facto-Steuerfreiheit für lichen Bezugsgrenze in der Sozialversicherung vor- private Zinseinkünfte. WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11 101
SOZIALPOLITIK Aus der Sicht des Finanzministers wäre es in die- Um eine Umgehung der Sozialversicherungspflicht zu sem Fall vermutlich fiskalisch günstiger, gleich für alle verhindern, verbietet der Gesetzgeber schon heute bestehenden 620-DM-Jobs die Übernahme der Ar- sozialversicherungsfreie Nebentätigkeiten bei dem beitgeberbeiträge zur Sozialversicherung anzubieten Arbeitgeber, bei dem auch die Hauptbeschäftigung und dafür die gegenwärtige Pauschalbesteuerung bei- ausgeübt wird. Auch die Einkommen aus mehreren zubehalten. Wegen der beim „schlanken Beschäfti- geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen werden gungsverhältnis" vorgesehenen Anhebung der Ein- zusammengerechnet und lösen bei Überschreiten der kommensgrenze auf 800 DM wäre zudem damit zu Geringfügigkeitsgrenze Beitragspflicht für das gesam- rechnen, daß ein beträchtlicher Teil der gegenwärtig te erzielte Einkommen aus. Allerdings müßte mit der bestehenden „regulären" Teilzeitarbeitsplätze im unte- Abschaffung der Sozialversicherungsfreiheit für Ne- ren Einkommensbereich in neue „schlanke" Beschäfti- benerwerbstätige auch die Pauschalbesteuerung gungsverhältnisse umgewandelt würde. Einen Ein- fallen. Wichtiger erscheint jedoch ein anderer Punkt: druck von der Dimension dieses Problems vermittelt Die Regelung würde Haupterwerbstätige in kaum legi- die Tatsache, daß 1995 nach der Versicherungssta- timierbarer Weise gegenüber rein Nebenerwerbs- tistik des Verbandes Deutscher Rentenversicherer im- tätigen diskriminieren. Viele Vollerwerbstätige mit ge- merhin rund 1,2 Mill. Personen mit einem Einkommen ringem Einkommen, die auf zusätzliche Einkünfte aus von unter 1200 DM monatlich versichert waren7. einer Nebentätigkeit dringend angewiesen sind, hät- ten keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt für ge- Sollte Louven mit der Abschaffung der Pauschal- ringfügige Beschäftigung. Die Arbeitgeber würden besteuerung jedoch Lohnsteuerkarte und das übliche verstärkt das Potential derjenigen Personenkreise Quellenabzugsverfahren einführen wollen, müßte man ausschöpfen, die noch das Recht haben, sozialver- ihm angesichts des Wahljahres politischen Mut, ja Toll- sicherungsfrei zu arbeiten (Hausfrauen, Rentner, Stu- kühnheit, bescheinigen. Wenn z.B. ein Ehepartner nur denten, Beamte(!) etc.). ein durchschnittliches Facharbeitereinkommen be- zieht, würde der heute im Rahmen eines 620-DM- Schließlich gibt es noch den bereits erwähnten nie- Jobs „brutto für netto" hinzuverdienende Partner nach dersächsischen Vorschlag der Quotierung, d. h. der dem Louven-Vorschlag nur noch die Hälfte seines bis- Einführung von Höchstgrenzen für geringfügige Be- herigen Verdienstes in der Lohntüte finden. Bei einer schäftigung, die möglicherweise noch nach Branchen solchen Interpretation macht das schlanke Beschäfti- oder Betriebsgrößen differenziert werden sollen. gungsverhältnis allerdings kaum noch Sinn: Wenn Diese Idee erscheint zum einen ausgesprochen ab- man sich politisch unbeliebt machen will, kann man es wegig in einer Situation, in der noch nicht einmal bei der Senkung der Geringfügigkeitsgrenze belassen. verläßliche Daten über den Umfang der geringfügigen Beschäftigung vorliegen. Gegen den Vorschlag Andere Beschränkungen spricht zum anderen der damit verbundene hohe Verglichen mit dem schlanken Beschäftigungsver- Bürokratieaufwand. Hinzu kommt die Frage nach der hältnis ist das gelegentlich ebenfalls vorgeschlagene Höhe der Quoten: Sollen sie den erreichten Status Einfrieren der bislang an die allgemeine Lohn- und Ge- quo (einmal unterstellt, er wäre denn bekannt) respek- haltsentwicklung gekoppelten Geringfügigkeitsgrenze tieren oder gar noch Spielraum nach oben bieten? In eine politische Lösung von geradezu außergewöhn- diesem Falle wären sie wirkungslos und überflüssig. licher Brillanz: Sie bewirkt nichts, richtet aber auch Wenn sie allerdings mit dem Ziel festgelegt werden, keinen unmittelbaren Schaden an, und der Gesetzge- den bereits erreichten Stand deutlich abzusenken, ber hat doch zumindest sich selbst seine Tatkraft und entfalten sie die gleiche Wirkung wie eine Streichung Problemlösungskapazität eindrucksvoll demonstriert. oder Herabsetzung der Geringfügigkeitsgrenze - nur daß in diesem Fall das Ergebnis mit höherem Aufwand Problematischer erscheint ein weiterer Vorschlag: und auf einem verfassungsrechtlich höchst umstritte- die Beschränkung sozialversicherungsfreier geringfü- nen Weg erreicht wird (oder auch nicht). giger Beschäftigungen auf bestimmte Personen- gruppen. Zwar erscheint z.B. der Gedanke, Personen, die bereits einer Haupterwerbstätigkeit nachgehen, Eine Alternative auch im Rahmen ihrer geringfügigen Nebenerwerbs- Als Alternative zu den oben diskutierten Vorschlä- tätigkeit sozialversicherungspflichtig zu machen, gen ist an eine Einbeziehung der 620-DM-Jobs zu- zunächst durchaus der Logik des Systems zu folgen: mindest in die gesetzliche Krankenversicherung zu denken. Eine solche Einbeziehung erscheint gerecht- 7 Vgl. BT-Drucksache 13/9313 vom 28. 11. 1997. fertigt, weil so gut wie alle geringfügig Beschäftigten 102 WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11
SOZIALPOLITIK schon heute Krankenversicherungsleistungen in Der gravierendste „Webfehler" liegt dabei in der ge- Anspruch nehmen können, während ihre Einkommen, setzlichen Rentenversicherung: Sie knüpft, historisch im Gegensatz zu denen anderer Arbeitnehmer, bei- bedingt, am Tatbestand „abhängige Beschäftigung" tragsfrei bleiben. Um die Administrationskosten ge- an. Als gesamtgesellschaftliche Solidarversicherung ring zu halten, sollte die Krankenversicherungspflicht gegenüber den Existenzrisiken der Erwerbsun- analog zur Pauschalbesteuerung gehandhabt werden: fähigkeit und des Alters ist eine solche Anbindung an Die Beiträge werden als fester Prozentsatz vom eine bestimmte Einkommensart jedoch systemwidrig. Arbeitslohn vom Arbeitgeber an eine zentrale Stelle Konsequent wäre eine Einbeziehung aller Personen abgeführt und von dort nach einem festzulegenden im erwerbsfähigen Alter in die Sozialversicherungs- Schlüssel auf die einzelnen Kassen verteilt. Mit einem pflicht - ähnlich dem Beispiel der Schweiz oder Öster- solchen „Pauschalbeitrag" würde auch vermieden, reichs -, und zwar unter Einbeziehung aller Einkunfts- daß Selbständige oder Beamte mittels einer gering- ärten. Nur mit einer solchen Änderung läßt sich der fügigen abhängigen Nebenerwerbstätigkeit extrem Gefahr begegnen, daß die gesetzliche Sozialver- günstig den Schutz der gesetzlichen Krankenver- sicherung zunehmend in folgenden Teufelskreis gerät: sicherung erwerben können. eine aufgrund hoher Arbeitslosigkeit und des in der Tendenz sinkenden Anteils der Einkommen aus Zusätzlich könnte erwogen werden, diese Beitrags- Arbeitnehmertätigkeit am gesamten Volkseinkommen pflicht - nach dem Beispiel der Rentnerkrankenver- erodierende Einnahmebasis - dadurch ansteigende sicherung - schrittweise einzuführen, z. B. im ersten Beitragssätze - dadurch wachsende Anreize, bislang Jahr 5% Beitragssatz, im zweiten Jahr 10%, ab dem Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung neu in dritten Jahr voller Beitrag entsprechend dem aktuellen Form sozialversicherungsfreier Tätigkeiten (insbeson- Durchschnittssatz. Damit würde die Kostenbelastung dere Scheinselbständigkeit, in geringerem Umfang der betroffenen Arbeitgeber im Anpassungszeitraum sicherlich auch 620-DM-Jobs) zu organisieren - da- um maximal 4% pro Jahr steigen - eine zwar spürba- durch weiter erodierende Einnahmebasis, weiter stei- re, aber auch für „sensible Bereiche" wie gemeinnüt- gende Beitragssätze und/oder Leistungskürzungen, zige Organisationen wohl verkraftbare Erhöhung. die die „Flucht aus der Sozialversicherung" auf Arbeit- geber- wie Arbeitnehmerseite weiter anheizen, usw. Fazit Insgesamt ist die gegenwärtige Diskussion um die Dieser beginnende Teufelskreis ist durch die Ent- 620-DM-Jobs deutlich überzogen. Es gibt keine wicklung bei den 620-DM-Jobs allerdings weder aus- Belege dafür, daß sich durch Begrenzung oder Ab- gelöst worden noch kann er durch die Abschaffung schaffung dieser Beschäftigungsform etwas an.der der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ge- angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt oder an der stoppt werden. Maßnahmen, die ausschließlich an Finanzsituation der Sozialversicherungsträger ändern den 620-DM-Jobs ansetzen, sind damit kontrapro- ließe. In Hinblick auf das Hauptproblem - die zweifel- duktiv, weil sie allenfalls neue Anpassungs- und Aus- los zu beobachtende „Flucht aus der Sozialversiche- weichreaktionen der Betroffenen provozieren würden8. rung" - stellen die geringfügigen Beschäftigungsver- hältnisse allenfalls einen Nebenkriegsschauplatz dar. Der erste Schritt jedes Reformansatzes darf daher Eine der wesentlichen Ursachen dieser Flucht liegt nicht auf die geringfügige Beschäftigung nach § 8 darin, daß eine ganze Reihe staatlicher Regelungen Sozialgesetzbuch abstellen, sondern muß darin be- vom Steuerrecht bis hin zum Sozialversiche- stehen, die Bemessungsgrundlage der gesetzlichen rungsrecht abhängige Beschäftigung gegenüber an- Sozialversicherung (mit Ausnahme der Arbeitslosen- deren Formen der Erwerbstätigkeit diskriminiert. versicherung) generell zu erweitern entsprechend dem Grundsatz „Sozialversicherungspflichtig sind Personen im erwerbsfähigen Alter mit allen Ein- 8 Ebenso verfehlt erscheinen allerdings Forderungen, wichtigeren kunftsarten im Sinne des Steuerrechts" . Erst wenn Erscheinungsformen der „Flucht aus der Sozialversicherung" durch damit die Anreize und Möglichkeiten zu Umgehungs- rein juristische Maßnahmen zu begegnen - etwa durch den Versuch per Gesetz zwischen „echter Selbständigkeit" und „Scheinselb- und Vermeidungsreaktionen weitgehend beseitigt ständigkeit" zu unterscheiden. sind, kann der Gesetzgeber in einem zweiten Schritt 9 Der Vorschlag, die Bemessungsgrundlage insbesondere der den Nebenkriegsschauplatz 620-DM-Jobs durch Rentenversicherung in diesem Sinne zu erweitern, darf dabei nicht mit den Forderungen der Arbeitgeberverbände oder des Sachver- (schrittweise) Umgestaltung der Freigrenzen nach § 8 ständigenrats gleichgesetzt werden, die Versicherungspflicht vom Sozialgesetzbuch zu sach- und zeitgerechten Baga- Arbeitsverhältnis zu lösen, um so die paritätische Finanzierung der Sozialversicherung zu beseitigen. tellgrenzen bereinigen. WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11 103
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