Bulletin SPEZIAL Frühling 2014 - Credit Suisse
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Bulletin S PE Z IAL Frühling 2014 FUSS BALLWU N D E R SCHWE I Z Seit 20 Jahren unterstützt von der Credit Suisse
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Editorial Grosses geschieht nur gemeinsam Wir schreiben das Jahr 1993. Xherdan Die grossen Fussballerfolge unseres klei- Shaqiri ist noch keine 2 Jahre alt und die nen Landes sind Sinnbild dafür, was mög- Schweizer Fussballnationalmannschaft lich ist, wenn gute Rahmenbedingungen befindet sich im Tal der Tränen: Während existieren und die richtige Mentalität 27 Jahren konnte sie sich nicht mehr für herrscht. Wenn die besten Talente zusam- einen internationalen Grossanlass qualifi- mengebracht und professionell ausgebildet zieren. Zu diesem Zeitpunkt entschied werden. Wenn der Einsatzwille und die sich die Schweizerische Kreditanstalt – Leistungsbereitschaft hoch sind. Wenn WM-Qualifikation 2014: wie die Credit Suisse damals hiess – für kontinuierlich und hartnäckig an einem Und wieder jubelt die Schweiz. eine enge Partnerschaft mit dem Fussball- Projekt gearbeitet wird. Wenn der Team- verband. Sie wollte damit ihre tiefe Ver- geist stimmt. Denn das Ganze ist mehr als 4× WM-Teilnehmer wurzelung in der Schweiz ausdrücken. die Summe seiner Einzelteile. Und Gros- (1994, 2006, 2010, 2014) Dieses Bekenntnis zum Heimmarkt ses geschieht nur gemeinsam. ist für die Credit Suisse bis heute von zen- Wir wünschen Ihnen viel Vergnü- 3× EM-Teilnehmer traler Bedeutung. Genau wie unser inzwi- gen bei der Lektüre der Geschichte des (1996, 2004, 2008) schen 20 jähriges Engagement. Die sport- Schweizer «Fussballwunders» und der Na- liche Bilanz ist beeindruckend: Mit drei tionalmannschaft viel Glück bei der Welt- 1× U17-Weltmeister EM- und vier WM-Qualifikationen er- meisterschaft in Brasilien. Hopp Schwiiz! (2009) lebt die Nationalmannschaft die erfolg- reichste Ära ihrer Geschichte. Ebenso er- Hans-Ulrich Meister 1× U17-Europameister freulich sind der EM- und der WM-Titel Head Private Banking & Wealth Management (2002) der U17-Junioren sowie der Vize-Europa- and Chief Executive Officer meistertitel der U21. Denn seit Beginn Region Switzerland 1× U21-Vize-Europameister des Engagements fliesst die Hälfte unse- (2012) rer Sponsoringbeiträge in die Nach- wuchsförderung. 1× Olympia-Teilnehmer (2012) Inhalt Fussballwunder Schweiz 2 – Xherdan Shaqiri über sich. 4 – Die Schweiz ist rund. Geschichte eines Wunders. 11 – Teamcheck von Ottmar Hitzfeld. 12 – Tore, Trikots, Trainer – die Fakten zur Nati. 14 – Warum die Schweiz so erfolgreich ist. Ein Essay. 16 – Ramona Bachmann, Porträt eines Weltstars. 18 – Generation Katar. Besuch beim Nachwuchs. 23 – Das Jubiläumsquiz. 24 – Roger Federer, der grösste Fan. Noë Flum hat für das Bulletin das Fussballheft fotografiert. Er lebt und arbeitet in Zürich (www.noeflum.ch). PERFORM ANCE Impressum: Herausgeberin: Credit Suisse AG, Projektverantwortung: Daniel Huber, Inhaltskonzept, Redaktion: Ammann, Brunner & Krobath AG (www.abk.ch), Gestaltung: Crafft Kommunikation AG (www.crafft.ch), neutral Drucksache Fotoredaktion: Studio Andreas Wellnitz, Berlin, Druckvorstufe: n c ag (www.ncag.ch), Druckerei: Stämpfli AG, No. 01-14-679890 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership Auflage: 92 500, Kontakt: bulletin@abk.ch (Redaktion), abo.bulletin@credit-suisse.com (Abonnentenservice) Fotos: Samuel Truempy/Keystone/Photopress
— Fussballwunder Schweiz — «Es geht um: Fussball, Fussball, Fussball» Xherdan Shaqiri, das Gesicht der Schweizer Nationalmannschaft, spricht noch schneller, als er rennt: das verbale Dribbling zur WM. Interview: Michael Krobath und Simon Brunner «Wie oft ich jongliere? So oft Sie wollen»: Xherdan Shaqiri. 2 — Bulletin Spezial 2014
— Fussballwunder Schweiz — X herdan Shaqiri, was sind Ihre Eine WM-Kampagne bedeutet wochen- Worin besteht der positive Einfluss auf ersten WM-Erinnerungen? langes Kasernenleben. Wie werden Sie sich dem Platz? Die WM 2002 in Südkorea in Brasilien die Zeit vertreiben? Die Trainerlegende Alex Ferguson soll und Japan. Ich war damals Tatsächlich ist es auf die Dauer ein- einmal gesagt haben: Ein Topspieler 11 Jahre alt und ein grosser Fan des bra- tönig, immer geht es um: Fussball, Fuss- braucht die Technik eines Balkan-Fuss- silianischen Torschützenkönigs Ronaldo. ball, Fussball. Ich gehöre zur Tischten- ballers und die Disziplin eines Schwei- Ich kopierte sogar seinen Haarschnitt. nis-Fraktion. In Südafrika gab es heisse zers. Vielleicht liegt darin die Ant- Duelle mit Inler. Auch Lichtsteiner ist wort. Die Mischung ist einfach gut. Doch nicht jenes alberne, herausrasierte gut. Der Favorit auf den internen WM- Dreieck vorn auf der Stirn? Titel beginnt aber mit S und hört mit Wie oft können Sie eigentlich jonglieren? Genau. Das fand ich irrsinnig cool. haqiri auf. So oft Sie wollen. Auch mit dem Tennis- ball. Nur eine Frage der Konzentration. Wen verehren Sie heute? Mit wem teilen Sie das Zimmer? Defensiv den Brasilianer David Luiz, In der Regel mit Admir Mehmedi. Wir Ottmar Hitzfeld bescheinigt Ihnen eine offensiv den Argentinier Lionel Messi. sind seit der U17 dicke Freunde und ausserordentliche Auffassungsgabe und sagt: Er hat uns 2012 bei der 1:3-Niederlage verbringen auch gemeinsam die Ferien. «Er denkt manchmal fast zu schnell für die im Alleingang erledigt. Mitspieler.» Wie machen Sie das? Ich behalte auch unter Druck die Über- Was macht ihn so gut? sicht und spüre meistens, wo der freie Er ist überall, unberechenbar und eigent- «Ribéry hat viel Mann oder der freie Raum ist. Das lich nur durch Fouls zu stoppen. Die steckt er ungerührt weg: er steht einfach Respekt vor geschieht völlig unbewusst, ich weiss es einfach. auf und spielt weiter – ohne Protest. der Schweiz, wie Sie schauen viel Fussball und analysieren Ein Thema, das Sie beschäftigt? Ja. Ein Spieler haut mich um, es alle bei Bayern.» die Teams und Spieler genau. Wo sind Sie mit Spieler Shaqiri noch nicht zufrieden? schmerzt, der Schiedsrichter hat’s nicht Er ist nicht schlecht, aber er sollte mehr gesehen. Da ist es verdammt schwer, Tore schiessen. ruhig zu bleiben. Wer hat die Macht über die Fernbedienung? Der TV läuft praktisch nie. Wir spielen Mit 22 Jahren haben Sie bereits 30 Länder- Sie reisen diesen Sommer bereits zum auch höchst selten auf der Playstation. spiele in den Beinen. Welches werden Sie nie zweiten Mal an eine WM. Ist das Team Eigentlich quatschen wir dauernd wie vergessen? stärker als 2010? zwei alte Waschweiber, und es wird sehr Höhepunkte waren das Traumtor gegen Wir sind spielerisch besser und stabiler. viel gelacht. Wenn Admir nicht gerade England und der Hattrick gegen Bul- Das zeigen nicht nur die Siege gegen schläft – was ziemlich oft vorkommt. ga rien. Als ich kürzlich dem damaligen Gegner wie Brasilien und Deutschland Bulgarien-Coach Lothar Matthäus, be- oder die souveräne WM-Qualifikation. Wer ist der Chef der Nati? gegnete, meinte er: «Du hast mich Auch im Training ist das Niveau höher. Chef braucht es keinen. Wir sind eine damals aus dem Amt geballert.» Fast alle sind in ausländischen Topligen verschworene Einheit. Aber klar gibt engagiert und die Konkurrenz ist grösser. es Vorbilder für uns Junge, die zwischen- Mit Ottmar Hitzfeld und Pep Guardiola Das treibt uns an. durch ein Machtwort sprechen, etwa arbeiten Sie mit zwei Welttrainern. Worin Inler, Behrami oder auch Džemaili. unterscheiden sich die beiden? Die WM-Gegner heissen Ecuador, Frank- Guardiola ist eine andere Generation und reich und Honduras. Wen fürchten Sie am Wie verständigt sich das multikulturelle näher bei den Jungen. Ottmar Hitzfeld meisten? Team? ist eine Respektsperson, ich habe ihm ex- Keinen. Aber es wird sehr eng. Nicht nur Meistens auf Deutsch, das verstehen trem viel zu verdanken. Er machte mich wegen Frankreich. Die Südamerikaner eigentlich alle. Zwischendurch hört mit 18 zum Natispieler und empfahl mich spielen traditionell sehr hart, gehen voll man auch Französisch, Italienisch oder dem Vorstand des FC Bayern. auf den Körper und tun dir weh. sogar ein paar Brocken Englisch. Und wenn Behrami mal etwas nicht Haben Sie ihm je dafür gedankt? Und wie lässt sich der französische Top- versteht, übersetze ich auf Albanisch. Das versuche ich in jedem Spiel: mit stürmer Franck Ribéry stoppen, Ihr Team- vollem Einsatz und guten Leistungen. kollege bei den Bayern? Haben die Secondos in der Nati die Schweiz Ich werde ihn vermutlich auf der rechten verändert? Seite mit Stephan Lichtsteiner in die Ich denke, wir haben zu einem guten Zange nehmen. Das wird nicht einfach Klima beigetragen. Und wir machen den Xherdan Shaqiri (22) hat in 30 Länderspielen für ihn. Franck hat viel Respekt vor der Secondos Mut, dass sie etwas erreichen 8 Tore erzielt. Er stammt aus dem Kosovo und Schweiz, wie alle anderen Bayern- können. Ganz generell im Leben – nicht gewann 2013 mit dem FC Bayern die Champions Spieler übrigens auch. nur im Fussball. League. Bulletin Spezial 2014 — 3
Die Schweiz ist rund Kaum ein Berichterstatter hat die Schweizer Nati in den letzten zwanzig Jahren so oft spielen gesehen wie Hansjörg Schifferli. Hier erzählt er, wie drei besondere Trainer eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte schrieben.
Angriff ist die beste Verteidigung: Eren Derdiyok in der WM-Qualifikation 2012 gegen N orwegen in Bern. Foto: Peter Klaunzer/Keystone/Photopress
— Fussballwunder Schweiz — s wirkte geradezu geschäftsmäs- Doch dann glückte der Einstand in die WM-Qua- sig routiniert, wie die Schweizer lifikation, in einer Gruppe mit Italien, Portugal und Fussballer die Qualif ikation Schottland, in der die Schweizer klarer Aussen- zur WM 2014 in Brasilien ab- seiter waren. Allmählich wirkte sich Hodgons wickelten. Schon eine Runde vor Arbeitsweise positiv aus – die stundenlangen Trai- Schluss standen sie als Teilneh- ningseinheiten, in denen er sein Team auf die Zo- mer fest. Als sie Anfang Oktober nendeckung im 4-4-2-System einschwörte. Immer 2013 nach dem 2:1-Sieg gegen wieder übten die Spieler dasselbe – «und irgend- Albanien aus Tirana heimkehrten, war der Empfang wann bleibt’s halt hängen», wie Alain Sutter einmal in Zürich Kloten zwar sehr freundlich. Aber er war sagte. Der Berner bildete mit dem Walliser Yvan nicht zu vergleichen mit der Begeisterung, die am Quentin die linke Flanke – der eine ein begnadeter 17. November 2005 herrschte, als der Flughafen aus WM-QUALIFIKATION Techniker, der andere ein rustikaler Haudegen, und 1993 allen Nähten zu platzen drohte. Der dramatische beide waren aufeinander angewiesen. Marc Hottiger trifft in Bern Playoff-Erfolg gegen die Türkei, die aussergewöhn- zum 1:0 gegen Italien – Es war das typischste Paar in Hodgsons Mann- lichen Umstände des Rückspiels in Istanbul hatten die erste WM-Teilnahme seit schaft, die höher eingestufte Gegner als perfekt or- damals die ganze Nation aufgewühlt. 28 Jahren ist vollbracht. ganisiertes Kollektiv bekämpfen sollte. Die Resul- Natürlich ist es etwas anderes, zuerst den tate wurden immer besser, bis am 1. Mai 1993 im Franzosen ein grosses Duell um den Gruppensieg Berner Wankdorf die grösste Stunde des Schweizer zu liefern und dann die Türken zu eliminieren, als Fussballs seit Jahrzehnten schlug. Mit einem 1:0- – wie zuletzt – in einer vergleichsweise unspekta- Sieg gegen Italien löste die Nati das WM-Ticket. Es kulären Gruppe Platz 1 zu belegen. Aber was diese war das grosse Spiel des Torhüters Marco Pascolo Episode verdeutlicht: Die Schweiz hat sich mittler- – unter anderem mit einer brillanten Parade gegen weile an die Erfolge ihrer Fussballer gewöhnt. den Weltfussballer Roberto Baggio. Das erlösende Qualifikationen für grosse Turniere sind heute Tor erzielte Marc Hottiger nach dem Platzverweis selbstverständlich. Ein grösseres Kompliment gibt von Dino Baggio. Dass ein Italiener gegen die es nicht. Was war geschehen? Und wie konnte es dazu kommen? In den vergangenen zwanzig Jahren schaffte es die Schweiz siebenmal an grosse Turniere, was von den Ländern vergleichbarer Grösse nur noch Dänemark und Schweden gelang. Nimmt man die letzten zehn Jahre mit fünf Teilnahmen an sechs Turnieren, so überflügelt die Schweiz selbst Russ- land und befindet sich damit auf Augenhöhe mit England, dem Mutterland des Fussballs. Noch erstaunlicher wird diese Entwicklung beim Blick zurück auf die Zeit zwischen 1966 und 1994, als die Fussballschweiz in Agonie versank und eine ganze Generation im festen Glauben auf- wuchs, Welt- und Europameisterschaften fänden grundsätzlich ohne die Schweiz statt, da sich diese für kein einziges Turnier zu qualifizieren vermoch- te. Doch dann begann die Ära Hodgson und mit ihr ein neues Zeitalter des Schweizer Fussballs. WM 1994 USA Der Anfang des Schweizer Die Ära Hodgson – der Aufbruch Fussballwunders. Georges Schweiz wegen eines Fouls direkt vom Platz gestellt Als Roy Hodgson im Januar 1992 Schweizer Na- Bregys unvergesslicher wird, wäre in früheren Jahren kaum vorstellbar ge- Freistoss zum 1:0 gegen tionalcoach wurde, war der Empfang nicht eben eu- den Gastgeber USA. wesen. Mittlerweile wurden aber auch die Schwei- phorisch. Es dominierte die Ansicht, der Verband zer ernster genommen. Dabei halfen Spieler wie habe beim Trainertausch mit Neuchâtel Xamax den Stéphane Chapuisat, der als Stürmer von Borussia Kürzeren gezogen. Die Neuenburger hatten den zu- Dortmund auch den internationalen Schiedsrich- vor mit der Nati erfolgreichen, aber wieder dem Ta- tern ein Begriff war. gesgeschäft zugeneigten Uli Stielike für den nicht mehr sonderlich geliebten Hodgson erhalten. Die Das erste WM-Spiel nach 28 Jahren ersten Auftritte waren denn auch wenig über- Dann war es so weit: Im Juni 1994 bestritten die zeugend. Hätte die Schweiz nicht im Mai 1992 Schweizer im Pontiac-Silverdome bei Detroit das dank zwei Toren von Christophe Bonvin den EM- erste WM-Spiel seit 28 Jahren. Georges Bregy er- Favoriten Frankreich 2:1 geschlagen, wäre es für zielte mit einem kunstvollen Freistoss das histori- den Briten bereits eng geworden. sche Führungstor und die Begegnung endete 1:1. 6 — Bulletin Spezial 2014 Fotos: Keystone/Archive; Eric Lafargue/RDB
— Fussballwunder Schweiz — Die Teilnahme an grossen Turnieren ist heute selb- stverständlich. Ein ordentlicher Start. Der Höhepunkt folgte ein paar Tage später mit dem 4:1-Sieg gegen Rumänien. Die weit über 10 000 Schweizer Fans im Stadion jubelten ein erstes Mal, als Alain Sutter nach einer Viertelstunde zum 1:0 traf. Dass er mit gebrochenem kleinem Zeh seines linken Fusses ins Spiel gegangen war und den Treffer mit dem schwächeren rechten Fuss erzielte, passte perfekt zur Legendenbildung WM 1994 USA Eine herausragende jener Tage. Rumäniens Star Gheorghe Hagi glich Mannschaftsleistung und vor der Pause aus, aber dann erzielten die entfessel- die Blamage folgten weitere Enttäuschungen und ein Held: Alain Sutter erzielt ten Schweizer drei Tore; zuerst traf Stéphane Cha- mit Platz vier endete nicht nur die WM-Qualifi- mit einem gebrochenen puisat, dann zweimal Adrian Knup. Im Achtelfina- kation, sondern auch Fringers Amtszeit. kleinen Zeh das 1:0 gegen Rumänien. Die Nati le gegen Spanien schied das Team zwar chancenlos Es kam Gilbert Gress. Am Tag vor seinem gewann schliesslich 4:1. aus, trotzdem ist diese WM als Comeback der Nati Debüt, im Wankdorf gegen England, erheiterte er im kollektiven Gedächtnis der Schweizer Fussball- die Medienvertreter ein erstes Mal, als er nach fans verankert. einem Neuenburger Lokaljournalisten suchte, um Eineinhalb Jahre später folgte die souveräne ihm einen Auftrag zu erteilen: Seine Frau habe ihn Qualifikation für die EM 1996. Obwohl diese in angerufen, berichtete Gress, und sich beklagt, sie seiner Heimat stattfinden sollte, heuerte Roy Hodg- finde die TV-Fernbedienung nicht mehr. Es stellte son im Dezember 1995 bei Inter Mailand an. Trotz sich heraus, dass Gress dieses Gerät mit seinem des abrupten Abgangs erlangte er in der Schweiz Handy verwechselt und mitgenommen hatte ... Heldenstatus: als Mann, der mit seinem diszipli- Weniger amüsant verlief die EM-Ausschei- nierten Spielkonzept die Basis zu zwei erfolgreichen dung. In deren Verlauf hatte sich die Mannschaft Jahrzehnten legte. zwar gesteigert, doch dann ging der sicher geglaub- Die Zwischenjahre – vergebliche Anläufe Auf Hodgson folgten fünf Nationalcoaches, die zwei Dinge verbanden: Erfolglosigkeit und eine kurze Amtsdauer. Mit Artur Jorge, dem Portugie- sen, der den FC Porto zum Meistercupsieger ge- macht hatte, fuhr die Schweiz zur EM 2006 nach England. Der Ruf des wortkargen, menschenscheu- en Typs war bald schon ramponiert. Im Lebenslauf stand ein Studium in Leipzig, ein Wort Deutsch sprach er nie. Für Unmut sorgte er, als er kurz vor der Abreise den altgedienten Adrian Knup und Alain Sutter gleichsam zwischen Tür und Angel beschied, sie gehörten nicht zum EM-Kader. Das letzte Test- spiel gegen Tschechien in Basel wurde von tumult- ösen Protesten begleitet und Jorge benötigte Polizei- schutz. Nach der missratenen EM legte er umgehend sein Amt nieder und kehrte nach Portugal zurück. Sein Nachfolger hiess Rolf Fringer, dessen EM-QUALIFIKATION 1995 Debüt als «Schande von Baku» in die Historie ein- Nationalcoach Roy Hodgson ging. Die Reise im luxuriösen Charter nach Aser- te Playoff-Platz in letzter Minute verloren, als die (Mitte) feiert in Zürich die souveräne Qualifikation für beidschan hatte ewig gedauert; den Vorabend der bereits qualifizierten Italiener ihr letztes Heimspiel die EM 1996 in England. Partie verbrachte Fringer lange und bestens ge- gegen die Dänen nach einer 2:0-Führung noch ver- launt am Hotel-Pool. Dann verschoss Murat Yakin loren. Gress verlängerte nicht und wurde ad interim einen Elfmeter und die Schweiz verlor mit 0:1. Auf von seinem Assistenten Hanspeter Zaugg abge- Fotos: Keystone (2) Bulletin Spezial 2014 — 7
— Fussballwunder Schweiz — Trotz Zwischentief geschah Ende der 90er Jahre Ent- scheidendes. wie er die Nationalmannschaft gerne nannte, so manche Probleme bereitet hatte. Nach der Nieder- lage gegen Jugoslawien, im Spiel der letzten Chance um einen Platz an der WM 2002, liefen ihm Sté- phane Henchoz und Stéphane Chapuisat davon – beleidigt, nicht aufgestellt worden zu sein. Nach der 0:4-Schlappe gegen Russland wurden weitere Risse deutlich, etwa zwischen Ciriaco Sforza und Johann EM 1996 ENGLAND Vogel. Kuhn musste sich sagen lassen, etwas allzu Kubilay Türkyilmaz trifft löst, bis der Argentinier Enzo Trossero im August am 8. Juni im Wembley- sehr an das Gute im Menschen geglaubt zu haben. 2000 das Ruder übernahm. Nach der verpassten Stadion per Elfmeter zum 1:1 Aber dann, gegen Österreich, im letzten Test- WM-Qualifikation warf er Ende Saison bereits gegen England. Die Schweiz spiel vor dem Start zur Ausscheidung für die EM wieder das Handtuch. scheidet als Gruppen- 2004, fand er das Ei des Kolumbus. Sforza war letzter trotzdem frühzeitig Eine seiner letzten Amtshandlungen: Er setzte aus dem Turnier aus. definitiv nicht mehr dabei, Henchoz und Chapuisat Sforza kommentarlos als Captain ab. Dieser war kehrten zurück. Vor allem aber ordnete Kuhn sein nach längerer Verletzungspause für das Spiel auf den Team im Mittelfeld erstmals in einem Rhombus an, Färöern zurückgekehrt. Dann kam er in Toftir in mit Johann Vogel im defensiven und Hakan Yakin die Kabine und sah, dass bei seiner Ausrüstung die im offensiven zentralen Mittelfeld. Mit erstaunli- Captainbinde fehlte. Vier Tage später sass er gegen cher Leichtigkeit zog die Schweiz durch diese Aus- Slowenien nach 74 Länderspielen erstmals auf der scheidung und leistete sich nur gerade gegen Russ- Bank. Und ein zweiter Personalentscheid prägte die land einen Ausrutscher. Den letzten Schritt zur EM kurze Amtszeit Trosseros: Er verhalf einem jungen machte die Mannschaft am Vorabend von Köbi Stürmer namens Alexander Frei zum Debüt. Jenem Kuhns 60. Geburtstag. Hakan Yakin und Alex Frei Spieler, der es dereinst mit 42 Treffern zum Rekord- schossen in Basel die Tore zum 2:0-Sieg gegen torschützen der Nati bringen sollte. Irland. Danach sang der ganze St. Jakob-Park «Köbi Resultatemässig befand sich die Schweiz in National» ein Geburtstagsständchen. den späten 90er Jahren in einem Zwischentief. Dazu «Wir haben manchen richtigen Entscheid beigetragen hatte, dass viele Leistungsträger nach getroffen», sagte Kuhn vor der Abreise nach Portugal der EM 1996 aus Altersgründen zurückgetreten (und meinte etwa den Verzicht auf Sforza). Die waren und es noch an Nachwuchs fehlte. Trotzdem Endrunde wurde zu einem Lehrstück für die geschah Entscheidendes: Mit der finanziellen Un- WM-QUALIFIKATION Schweizer. Zwar waren die Leistungen durchaus terstützung der Credit Suisse, seit 1993 der erste 2005 passabel, trotzdem gab es keine Chance auf ein Wei- Grosssponsor in der Geschichte des Schweizeri- Die Schweiz qualifizierte sich terkommen gegen die abgezockteren Engländer und in der Barrage gegen die schen Fussballverbandes, wurde in jenen Jahren ein Türkei für die WM 2006. Franzosen. Einen Platz in den Geschichtsbüchern neues Ausbildungskonzept implementiert. Unter Das Auswärtsspiel endete fanden Marginalien: etwa der Rekord des 18-jähri- der Ägide des Technischen Direktors Hansruedi mit Tätlichkeiten und ging gen Johan Vonlanthen als jüngster EM-Torschütze als «Schande von Istanbul» Hasler entstanden professionelle Strukturen für den aller Zeiten. Oder die «Spuckaffäre» um Alex Frei. in die Geschichte ein. Nachwuchs, mit hauptamtlichen Trainern. Eine In- Die war vergessen, als sich die Schweiz zwei vestition, die sich nachhaltig auszahlen sollte. Jahre später auf die WM in Deutschland vorbereite- te. Die Mannschaft hatte sich zu einer Einheit ent- Die Ära Kuhn – diffiziler Umbruch wickelt und war kaum zu schlagen. Als lang jähriger Am Tag, da Köbi Kuhn vom U21-Nationalcoach Nachwuchscoach entschied sich Kuhn in Zweifels- zum Cheftrainer seines Stammklubs FCZ berufen fällen oft für jüngere Spieler. Aus seinem ehemaligen werden sollte, erhielt er das Angebot, die National- U21-Team, das 2002 bis ins EM-Halbfinale mar- mannschaft zu übernehmen. Er sagte ohne Zögern schierte, waren längst Alex Frei, Ricardo Cabanas, zu. Und die Zustimmung war euphorisch. Aber als Ludovic Magnin und Daniel Gygax dabei. Neu hin- Kuhns erstes Jahr vorbei war, sagte er im Mai 2002 zu kamen Tranquillo Barnetta und Philippe Sende- nach einer 1:3-Niederlage gegen limitierte Kana- ros aus dem U17-Europameister-Team. dier: «Ich bin froh, dass der Lack jetzt etwas ab ist.» Die WM 2006 begann mit einem soliden Diesen Satz sagte er, nachdem ihm seine «Familie», 0:0-Unentschieden gegen Frankreich. Es folgte die 8 — Bulletin Spezial 2014 Fotos: Colorsport/imago; Aykut Akici/Turkpix/Scanpix/Keystone
— Fussballwunder Schweiz — Begegnung gegen Togo am 19. Juni 2006 in Dort- brachte, wo immer er hinkam. Der Deutsche sah die mund. «Das werdet ihr nie mehr erleben – ein Län- Gefahr, dass zu viel erwartet werden könnte, und derspiel vor so vielen Schweizern», hatte Köbi wiederholte deshalb bei jeder Gelegenheit: «Es ist Kuhn zu seinen Spielern im Vorfeld gesagt. Und nie selbstverständlich, dass sich das kleine Fussball- sollte recht bekommen. Als Schiedsrichter Carlos land Schweiz für ein grosses Turnier qualifiziert.» Amarilla aus Paraguay an jenem heissen Montag- Geschafft hat er es dann in zwei von drei An- nachmittag um drei Uhr nachmittags das Spiel an- läufen – über Umwege, die man fast nicht für mög- pfiff, war das Westfalen-Stadion mit 65 000 Zu- lich gehalten hätte. Seine Ära ist geprägt von einem schauern bis auf den letzten Platz besetzt – rund Wechselbad der Gefühle. Es gab die blamable 50 000 davon waren Schweizer. Sie bildeten auf WM 2006 DEUTSCHLAND Heimniederlage gegen Luxemburg und den WM- Die Schweiz gewann das den Rängen eine «rote Wand» und sorgten für Gruppenspiel gegen Sieg gegen den nachmaligen Weltmeister Spanien. eine noch nie dagewesene Atmosphäre. Dank den Togo im Dortmunder Es gab zuerst Häme und danach überschwenglichen Toren von Alex Frei und Tranquillo Barnetta Westfalen-Stadion mit 2:0. Jubel, der rasch wieder verebbte, als das Team nach 50 000 Schweizer Fans stimmte am Ende auch das Resultat. einem 0:0 gegen Honduras aus dem WM-Camp bei sorgten für eine einmalige Atmosphäre. Johannesburg abreisen musste. «Wir hatten im fal- schen Moment Pech», sagte Hitzfeld. Pech im Schlüsselspiel gegen die Chilenen mit dem frühen Platzverweis für Valon Behrami, den dieser bis heute falsch findet. Doch bei allem Pech: dass die Schweiz in drei WM-Spielen nur das eine Tor gegen Spanien schoss, liess erkennen, dass sie trotz Fortschritten noch immer ein «Land von Verteidigern» war. Heute, dreieinhalb Jahre später, ist manches anders. Mit dem Champions-League-Gewinner Xherdan Shaqiri und den ehemaligen U17-Welt- meistern Granit Xhaka und Haris Seferovic, aber auch mit Valentin Stocker verfügt die Schweiz über junge Offensivkräfte, die das Spiel wesentlich krea- tiver gestalten können. Ein 5:3-Sieg gegen Deutsch- land, das über ein halbes Jahrhundert nicht mehr geschlagen werden konnte, ein 4:2 in Kroatien – das waren höchst erstaunliche Resultate, wenn auch nur in Freundschaftsspielen. Und auch in der Ausscheidung für die WM 2014 in Brasilien zeigten Genauso begeistert feierten vier Tage später 20 000 die Schweizer neue Qualitäten. Sie wurden stilsicher Schweizer in Hannover bis weit in die Nacht den und ohne eine einzige Niederlage Gruppensieger. 2:0-Sieg gegen Südkorea, der die Achtelfinal- Mit Diego Benaglio verfügt sie über einen guten Qualifikation bedeutete. Dort allerdings unterlag EURO 2008 SCHWEIZ Torhüter; sie verteidigt oft gut; vor allem aber hat sie An der Heim-EM scheidet eine ausgelaugte Nati in der Kölner Gluthitze harm- das Potenzial, in jedem Spiel Tore zu schiessen. das Team vorzeitig aus. losen Ukrainern im Penaltyschiessen. Kein einziger Trotzdem wird «Köbi Ottmar Hitzfeld ist es gelungen, jenen Um- Elfmeter (von dreien) wurde verwertet. Dennoch: National» bei seinem bruch vorzunehmen, der fällig wurde, als die Gesamthaft fiel die WM-Bilanz positiv aus und die Abschied gefeiert wie kein Coach vor ihm. Experten gingen davon aus, dass die ganz grosse Stunde dieser jungen, entwicklungsfähigen Mann- schaft sowieso erst in zwei Jahren schlagen würde – bei der EM 2008, daheim in der Schweiz. Doch die Ära Kuhn endete mit schwierigen Tagen. Fünf Tage vor dem EM-Eröffnungsspiel musste seine Frau ins Spital; im Spiel selber verletzte sich Stürmerstar Alex Frei bereits vor der Pause und nach der überraschenden Niederlage im nächsten Spiel gegen die Türkei war das Aus besiegelt. Nach dem abschliessenden Sieg gegen die Portugiesen verabschiedeteten die Fans «Köbi National» so emotional wie keinen Nationaltrainer jemals zuvor. Die Ära Hitzfeld – Neue Offensivqualitäten Ottmar Hitzfeld eilte der Ruf des Welttrainers voraus, der in seiner 25-jährigen Tätigkeit Erfolg Fotos: Eugene Hoshiko/AP Photo/Keystone; Laurent Gilliéron/Keystone Bulletin Spezial 2014 — 9
— Fussballwunder Schweiz — beiden altgedienten Basler Stürmer Frei und Streller mitten in der Ausscheidung zur EM 2012 zurück- Die WM ist die erste traten. Zwar war der Fehlstart nicht mehr zu kor- rigieren und die EM wurde verpasst, aber die Reifeprüfung für Qualifikationsspiele waren für die Entwicklung diese offensiv so be- der jüngsten Schweizer Nationalmannschaft aller Zeiten enorm wertvoll. Ihr grosses Potenzial deutete gabte Generation. sie im Juni 2011 beim 2:2 in England mit den Newcomern Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri ein erstes Mal an. Schär, von Bergen, Rodriguez, Behrami, Inler, Ottmar Hitzfeld kam in den vergangenen fünf Shaqiri, Xhaka, Stocker, Seferovic. Wenig zeigt die WM 2010 SÜDAFRIKA Jahren seine immense Erfahrung mit schwierigen demografische Entwicklung im Schweizer Fussball Die Schweiz schreibt Momenten zugute. Wiederholt gewann sein Team Sportgeschichte: Sie besser als die Spielernamen in diesen drei Teams. entscheidende Spiele. In der WM-Qualifikation besiegt den späteren Die vergangenen zwanzig Jahre stehen für die 2010 war dies das 2:1 in Griechenland nach der Weltmeister Spanien mit 1:0 bisher erfolgreichste Periode der Schweizer Fuss- (im Bild Torschütze Blamage gegen Luxemburg; in der WM-Qualifika- Fernandes mit Barnetta). ballgeschichte. In diesen zwei Dekaden war die tion 2014 drohte nach dem 4:4 gegen Island Unge- Nati eher konstant, als dass ihr der ganz grosse mach – vier Tage später holte die Schweiz mit dem Wurf gelungen wäre – wie etwa den Dänen oder Griechen, die beide einmal über sich hinauswuch- sen und Europameister wurden. Im Gegensatz zu Ländern wie Schweden (Zlatan Ibrahimovic) oder Portugal (Cristiano Ronaldo) war die Schweiz nie abhängig von Stars, sondern hatte stets ein starkes Kollektiv. Der Aufstieg zur kleinen Fussball-Gross- macht gelang dank der Etablierung einer erstklassi- gen Nachwuchsförderung und drei sehr unter- schiedlichen, aber fähigen Nationaltrainern. Nun steht die WM in Brasilien vor der Tür. Es handelt sich um die erste grosse Reifeprüfung für diese offensiv so begabte Generation. Es ist dieser zuzutrauen, dass sie ein neues Kapitel in der Ge- schichte des Schweizer Fussballwunders schreibt. DAS JUBILÄUMSVIDEO Die Credit Suisse hat aktuelle und ehemalige Nationalspieler WM-QUALIFIKATION zum Schweizer Fussballwunder befragt. Ihre besten Anekdoten 2013 sehen Sie unter: www.credit-suisse.com/fussball 2:0 in Norwegen die entscheidenden Punkte. «Unter Valon Behrami beim 0:2-Sieg gegen Norwegen in Oslo. Druck ist er am besten», sagt Peter Stadelmann, der Die Vorentscheidung in einer Delegierte der Nationalmannschaft, über Ottmar souveränen Schweizer Hitzfeld. Dieser konstatiert selber nüchtern: «In Qualifikationskampagne. einer solchen Situation muss man kühlen Kopf bewahren. Ich muss nicht Köpfe rollen sehen, um Erfolg zu haben.» Symbolisch dafür: Gegen Nor- wegen schenkte er mit einer Ausnahme den Spielern das Vertrauen, die gegen Island «versagt» hatten. 1965 bis heute – Epilog Elsener, Grobéty, Tacchella, Schneiter, Stierli, Dürr, Hosp, Daina, Quentin, Schindelholz und Köbi Kuhn – so hiessen die Spieler jener Schweizer Hansjörg Schifferli ist Redaktor beim «Winterthurer Landboten» und Mitarbeiter der Mannschaft, die 1965 das WM-Qualifikationsspiel «NZZ». Er hat seit 1980 praktisch keinen Match in Tirana gewann. Als Köbi Kuhn 37 Jahre später verpasst, war bei sechs WM- und acht EM-End- als Nationaltrainer dorthin zurückkehrte, spielten: runden dabei und hat von mindestens 325 Stiel, Haas, Murat und Hakan Yakin, Müller, Ma- WM-QUALIFIKATION Nati-Spielen live berichtet. Seine persönliche 2013 Hitparade lautet: der Sieg gegen Rumänien an der WM 1994 g nin, Cabanas, Vogel, Wicky, Frei und Chapuisat. «Weltcoach» Ottmar Hitzfeld (bestes Spiel); das Solotor von Kubilay Türkyilmaz gegen Und Ottmar Hitzfeld stellte im Oktober 2013 in weist der Nati den Weg Bulgarien von 1991 (bester Moment); Stéphane Chapuisat Albanien das folgende Team auf: Benaglio, Lang, (beim 4:4 gegen Island). (bester Spieler). 10 — Bulletin Spezial 2014 Fotos: Peter Klaunzer/Keystone; Hakon Mosvold Larsen/EPA /Keystone; Salvatori Di Nolfi/Keystone/Photopress; privat
— Fussballwunder Schweiz — Der Teamcheck MEIN TEAM Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld über die Stärken und den Charakter der Mannschaft, die sich souverän für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien qualifiziert hat.* DIEGO BENAGLIO (31) Torhüter, 54 LS, 720 Min., 0 T Ein Weltklassetorhüter, wie er in der WM-Qualifikation einmal mehr be- wiesen hat, wo er mehrere «Unhaltbare» gehalten hat. Ein grosser Teamplayer und vorbildlicher Vizekapitän. Hat den gesperrten Inler gegen Island bestens vertreten und vor dem Spiel eine kurze, aber sehr gute Ansprache gehalten. STEVE JOHAN DJOUROU (27) VON BERGEN (31) Innenverteidiger, STEPHAN Innenverteidiger, 42 LS, 593 Min., 1 T RICARDO LICHTSTEINER (30) 39 LS, 810 Min., 0 T Ein Fels in der Brandung, RODRIGUEZ (21) Aussenverteidiger, Unsere Rückversicherung in der unglaublich kopfballstark, mit Aussenverteidiger, 60 LS, 720 Min., 4 T Defensive, er erahnt brenzlige gutem Pass nach vorne. Ange- 18 LS, 810 Min., 0 T Einer, der für den Fussball Situationen, bevor sie manifest nehm im Umgang, immer ein Ein moderner Verteidiger mit lebt und Sonderschichten im werden. Sehr charakterstark, Lächeln im Gesicht, was für den viel Offensivqualität – ein Fitnessraum einlegt. Dank kann die optimale Leistung zum Teamspirit sehr wichtig ist. Spielertyp, wie er heute sehr seines eisernen Willens hat richtigen Zeitpunkt abrufen. Und sehr zuverlässig, was für gesucht ist. Gehört zu den er es als Verteidiger in Italien, Ein zurückhaltender Mensch, den Trainer von Bedeutung ist. «Jungen Wilden», die 2009 der Hochburg der Defensiv- der sich punktuell zu Wort U17-Weltmeister wurden – kunst, zum mehrfachen meldet, wenn er es für nötig hält. sie alle stecken voller Emo- Meister gebracht. Eine über- tionen und Lebensfreude, ragende Leistung. Gehört voller Tatendrang und Selbst- zum Mannschaftsrat und ist bewusstsein. Dieser Einfluss schlicht ein Vorzeigeprofi. tut der Nationalmannschaft VALON BEHRAMI (28) GÖKHAN INLER (29) sehr gut. Mittelfeld, Mittelfeld, 45 LS, 756 Min., 2 T 70 LS, 810 Min., 6 T Extrem zweikampfstark und der Mein idealer Kapitän. Ist totale Teamworker. Er läuft für nicht das Sprachrohr in den XHERDAN zwei, bügelt die Fehler der Mit- Medien, aber sehr authentisch VALENTIN SHAQIRI (22) spieler aus und spürt die Gefahr und der perfekte Innenminister. STOCKER (24) Mittelfeld, – unsere Lebensversicherung Er setzt das Wir-Gefühl perfekt Mittelfeld, 30 LS, 745 Min., 8 T im Mittelfeld. In den letzten zwei um und stärkt den Jungen den 21 LS, 465 Min., 3 T Schlau, schlitzohrig, Jahren zur Leaderfigur gereift. Rücken. Seine Klasse wird Man vergisst gern, wie jung Spielfreude pur. Perfekte Spielt nicht mehr so unge- unterschätzt. Ein Vorbild in Sachen er noch ist. Hat mit Basel Technik, abschlussstark, stüm wie früher und hat mit Inler Wettkampfhärte und enorm bereits viele Titel gewonnen brillanter Vorbereiter, denkt die jungen Secondos im Griff. wichtig für unsere Stabilität. und ist schon sehr routiniert. manchmal fast zu schnell für Ein intelligenter Typ und seine Mitspieler. Macht uns leidenschaftlicher Spieler. unberechenbar, kann Spiele Weiss um die grosse Konkur- durch Einzelaktionen ent- renz im Nationalteam und scheiden. Ich traue ihm den hat die Emotionen besser Sprung zum Stammspieler GRANIT XHAKA (21) im Griff als beim FC Basel. bei Bayern München zu. Mittelfeld, 23 LS, 746 Min., 4 T Spielt gradlinig, strahlt Meinungsführer der Jungen mit klaren Ansichten. Wirkt unspektakulär, immer Torgefahr aus. aber verfügt über grosse Klasse: hohe Spielintelligenz, ausgezeichnete Technik und Spieleröffnung. Steigerungspotenzial beim letzten Pass und beim Torabschluss. Hat eine grosse Karriere vor sich, wenn er weiter an sich arbeitet. * Diese 11 Spieler haben in der WM-Qualifikation 2014 HARIS SEFEROVIC (22) am meisten Minuten gespielt. Sturm, 9 LS, 446 Min., 1 T Wie alle U17-Weltmeister sehr selbstbewusst (siehe Rodriguez). Ein LS: Länderspiele kompletter, «spielender» Mittelstürmer: Hält den Ball gut, sehr kopfball- Min.: Einsatz in der stark, satter Links-Schuss, guter Vorbereiter. Ein grosses Talent, aber noch WM-Qualifikation 2014 nicht ausgereift. Muss weiterhin hart an sich arbeiten, darf nicht locker lassen. T: erzielte Tore im Nationalteam Fotos: Gaetan Bally/Keystone/Photopress (5); Peter Schneider/Keystone/Photopress (6); Walter Bieri/Keystone/Photopress Bulletin Spezial 2014 — 11
— Fussballwunder Schweiz — Tore, Trikots, Trainer Welcher Haarschnitt ist unvergessen? Welcher Kanton stellte in der WM-Qualifikation 2014 die meisten Spieler? Welches sind die teuersten Spieler? Die wichtigsten Fakten und ein paar mehr über die Schweizer Nationalmannschaft der letzten zwanzig Jahre. Ole Häntzschel (Infografik) KANTÖNLIGEIST Geburtskanton der aktuellen Natispieler. Wenn im Ausland geboren – der erste Wohnkanton. 3 1 6 Basel- Land- schaft Basel-Stadt 1 2 Solothurn DIE WM-QUALIFIKATION Die statistische Bilanz der WM-Qualifikation 2014. Neuen- Zürich burg 2 Waadt 1 Wallis 5Luzern 1 Schwyz 3 St. Gallen 2 Genf 3 Tessin Härtester Spieler Meistgefoulter Spieler mit den Gökhan Inler Spieler meisten Einsatzminuten 22 Valon Behrami Ricardo Rodriguez, (der europäische Spieler 19 Steve von Bergen, mit den viertmeisten Fouls) Gökhan Inler 810 DIE FIFA-WELTRANGLISTE Klassierung der Schweiz unter den einzelnen Trainern. 3. 8./ 7. 1993 8. 12. 1994 12. 2013 1993 18. 17. 18. 17. 2012 1995 2006 24. 2009 22. 2011 2008 2010 35. 2005 44. 44. 44. 47. 47. 2002 2003 2007 1996 1999 51. 58. 2004 62. 2000 63. 1997 2001 83. 1998 Roy Hodgson Artur Rolf Gilbert Gress Enzo Köbi Kuhn Ottmar Hitzfeld Jorge Fringer Trossero UNVERGESSLICHE FRISUREN Die Wahrheit liegt auf dem Kopf. Panoptikum der Haarmode. Adrian Hakan Gökhan Pascal Alain Valon Stéphane Ricardo Knup Yakin Inler Zuberbühler Sutter Behrami Chapuisat Rodriguez 12 — Bulletin Spezial 2014
— Fussballwunder Schweiz — DIE REKORD- DIE INTERNATIONALMANNSCHAFT DAS TOR NACH INTERNATIONALEN Die 66 von Nati-Coach Ottmar Hitzfeld eingesetzten BRASILIEN Spieler mit den meisten Länderspielen Spieler und ihre Herkunft (bis Ende 2013). Michael Lang erzielte in der aller Zeiten. 77. Minute im Spiel gegen England 1 1 Deutschland Albanien das Tor, mit dem LÄNDERSPIELE TORE sich die Schweiz für die WM in Brasilien qualifizierte. Heinz Hermann Kroatien 28 Bosnien- Schweiz Herzegovina Türkei Alain Geiger 1 3 Spanien 2 1 1 1 Tunesien 3 3 Kapverden 10 Dominikanische Italien 1 Mazedonien Republik 1 Stéphane Chapuisat Nigeria 1 Elfenbein- küste 6 Kolumbien 1 DR Kongo 1 Kosovo Uruguay Am wenigsten Gelb-rote Karte Spieler mit den Offside-Könige Aktueller Spieler mit Spielminuten Tranquillo Barnetta meisten Torschüssen Valentin Stocker den meisten Timm Klose 1 Xherdan Shaqiri und Haris Seferovic WM-Einsätzen 2 (in der 75. Min. des 10 4 Tranquillo Barnetta (in 2 Spielen!) Spiels in Slowenien) 7 REKORDTORE Die Jubiläumstorschützen DIE TEUERSTEN SCHWEIZER SPIELER Transfer in Millionen Franken 1 100 500 100 0 24 14,5 13,3 12,7 12,5 Gökhan Xherdan Blerim Patrick Stephan Inler Shaqiri Džemaili Müller Lichtsteiner Erstes Tor 100. Tor 500. Tor 1000. Tor 2011 2012 2011 2000 2011 8.5.1908 5.6.1924 2.5.1965 10.10.2009 Udinese Calcio -> FC Basel -> FC Parma -> Grasshoppers -> Lazio Rom -> Adolf Max Köbi Benjamin SSC Neapel FC Bayern München SSC Neapel Olympique Lyon Juventus Turin Frenken Abegglen Kuhn Huggel LEGENDÄRE TRIKOTS Nicht immer spielte die Schweiz in Rotweiss. Eine Trikot-Auswahl seit 1993. 10 10 10 10 10 10 10 1993 1996 1998 1999 2006 2006 2010 2013 (1 Match) (1 Match) Quellen: fifa.com, sport.ch, transfermarkt.de, uefa.com, NZZ, Tages-Anzeiger, Blick, Basler Zeitung, eigene Recherche Bulletin Spezial 2014 — 13
— Fussballwunder Schweiz — Warum der Schweizer Fussball erfolgreich ist Der Aufstieg der Skination zu einem Land mit einer konkurrenzfähigen Fussballkultur ist erstaunlich, aber kein Zufall. Was noch fehlt, ist ein Hauch Genialität. Eine Analyse des preisgekrönten englischen Fussballautors Simon Kuper. Am 4. Dezember 1898 bestritt die Schweiz hand einer Datenbank von Tausenden von eine Quantité négligable. Nach unserer in Basel ihr erstes Fussballländerspiel. Wie Länderspielen konnten wir feststellen: Statistik konnte die Nati vor den 1980ern der Jubiläumsschrift «50 Jahre Schweize- Doppelt so viel Länderspielerfahrung wie nur in einem Jahrzehnt mehr als ein Drittel rischer Fussball- und Athletikverband der Gegner zu haben, entspricht einem ihrer Spiele gewinnen, und zwar in den 1895 – 1945» (die in meiner Bib- 1940ern, als die meisten europäi- liothek einen herausragenden schen Gegner bekanntlich einige Platz einnimmt) zu entnehmen Probleme hatten. ist, war es eine wahrhaft «interna- Doch seit Neuestem profi- tionale» Begegnung, denn der tiert die Schweiz von einem ande- Schweizer Elf gehörten mehrere ren ihrer historischen Vorteile, Engländer und Deutsche an. Die nämlich ihrer zentralen geogra- Partie gegen eine süddeutsche fischen Lage. Sie ist umgeben von Auswahl gewannen die Schweizer drei der international führenden mit 3:1. Fussballnationen – Deutschland, Was ist daran so interessant, Frankreich und Italien – und in mag man fragen, aber dieser der jüngsten Zeit ist der Wissens- frühe Auftakt erklärt, warum die transfer hinzugekommen. Seit Schweiz im Fussball heutzutage den 1980ern hat die Globalisie- so gut dasteht. Für unser Buch rung auch die Schweiz erfasst. «Soccernomics» haben der britische Einwanderer aus Fussballnatio- Sportökonom Stefan Szymanski nen sind ins Land gekommen, und ich drei Faktoren herausge- deren Kinder, die Secondos, sich arbeitet, anhand deren sich die mehr für Fussball als für den Erfolgschancen einer Nationalmannschaft Vorteil von mehr als einem halben Tor. Wintersport interessieren. Immer mehr gut prognostizieren lassen: Dagegen entspricht die doppelte Bevölke- ausländische Fernsehsender über tragen rungszahl oder das doppelte Pro-Kopf- Fussballpartien in die Schweiz. Nach 1 — Die Bevölkerungszahl: Je grösser der Einkommen nur einem Vorteil von etwa 1995, als europäische Fussballer aufgrund Pool von potenziellen Spielern, desto besser. einem Zehnteltor. Der Stellenwert von der Bosman-Entscheidung überall in Eu- 2 — Wohlstand: Reichere Länder schnei- Erfahrung erklärt, warum die Schweiz ropa spielen durften, erwarben Schweizer den tendenziell besser ab als arme, weil sie besser im Fussball ist als grosse, aber uner- Fussballer zunehmend Auslandserfah- mehr Geld für Sportplätze, medizinische fahrene Nationen wie China oder Indien. rungen. Zudem professionalisierten die Versorgung und Trainer zur Verfügung Vereine ihre Nachwuchsarbeit und der stellen können. Die Wende in den 1980er Jahren Fussballverband eröffnete nach französi- 3 — Erfahrung: Je mehr Länderspiele ein Seit 1898 sammelt die Schweiz also inter- schem Vorbild die Credit Suisse Acade- Land aufzuweisen hat, desto besser seine nationale Fussballerfahrungen, aber lange mies – «Leistungszentren» für den Nach- Erfolgsbilanz. Zeit war sie in diesem Sport nicht sehr wuchs. erfolgreich. Jahrzehntelang war sie primär Ein Fussballgenie haben diese Neu- Von diesen drei Faktoren kommt der ein Land des Skisports. Die Fussballer hin- erungen zwar noch nicht hervorgebracht, Erfahrung die grösste Bedeutung zu. An- gegen waren im internationalen Kontext aber sie produzieren Dutzende von Spie- 14 — Bulletin Spezial 2014 Illustration: Jörn Kaspuhl
— Fussballwunder Schweiz — lern, die die Tugenden des europäischen Fussballs beherrschen – Kraft, Tempo, Studie taktische Disziplin und Teamgeist. Kurz EXPORTSCHLAGER: FUSSBALLER «MADE IN SWITZERLAND» vor der WM 2006 spielte Deutschland während des Vorbereitungslagers gegen Als Xherdan Shaqiri im Sommer 2012 für kolpor- lich mehr Punkte pro Spiel erzielen als jene der eine Genfer Jugendelf. Die selbstbewusst tierte 15 Millionen Franken vom FC Basel zum FC Schweizer (1,43). Besonders eindrücklich ist die agierenden Kids kassierten bis zur 25. Mi- Bayern München wechselte, war das nicht nur für Schweizer Präsenz in Italien, wo bei den beiden nute kein einziges Tor. Die Schweizer ha- den Mittelfeldspieler aus bescheidenen Verhältnis- Topvereinen Juventus Turin (Stephan Lichtsteiner) ben eine Fussballkultur geschaffen. sen ein grosser Tag. Der Transfer symbolisiert auch und Napoli (Gökhan Inler, Blerim Džemaili, Valon Schwierig wird es nur, wenn sie an- die gestiegene Nachfrage nach Fussballern «Made Behrami) insgesamt vier Schweizer zu den Leis- greifen – wie bei der Euro 2008 auf heimi- in Switzerland». tungsträgern gehören. schem Boden, als sie wie Hip-Hop tanzen- Ein Trend, den die «Swiss Football Study» des Foot- Letztlich räumt die «Swiss Football Study» auch mit de Schafe aussahen und bereits nach vier ball Observatory des Centre International d’Etude du einem weitverbreiteten Irrtum auf. So widerlegt sie Tagen aus dem Turnier ausschieden. Doch Sport (CIES) belegt. Sie hält fest, dass die Schweiz die vielzitierte Aussage, dass die helvetischen Le- auf ihre Weise sind sie Meister. Ihr 1:0 ge- in den sogenannten «Big Five» – den fünf grossen gionäre «Bankdrücker» und «Ergänzungsspieler» gen Spanien bei der letzten Weltmeister- europäischen Ligen – letzte Saison mit 35 Spielern seien, die in ihren Klubs kaum eingesetzt würden. schaft war der bisherige Höhepunkt des am sechstmeisten Legionäre stellte*. Noch erstaun- Denn auch was die Spielzeit betrifft, gehören Schweizer Fussballs. licher: Pro Million Einwohner exportierte die Schweiz Schweizer zu den Besten. In der ersten Saisonhälfte damit nach Uruguay am zweitmeisten Fussballsöld- haben die 34 Schweizer durchschnittlich 40,6 Feinschliff im Ausland ner (siehe Grafik)! Minuten gespielt pro Partie; nur knapp weniger als Kein Wunder, dass zahlreiche ausländi- die Brasilianer (41,2 Minuten). sche Klubs inzwischen Schweizer Fuss- In den erfolgreichsten Klubs Europas Die Schweiz – so zeigt die Studie – hat sich in den baller anwerben. Vergangene Saison spiel- Ein weiteres interessantes Resultat der Studie: vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer führenden ten 35 Schweizer in den fünf Topligen Schweizer Spieler spielen meistens auch bei erfolg- Ausbildungsnation entwickelt. Bereits warten rund Europas (siehe rechts), diese Saison sind es reichen Klubs. Von den zehn Ländern mit den meis- 30 Schweizer Auswahlspieler (U15 bis U21) in den bereits 41 – ein Rekord. Raffaele Poli, der ten Spielern im Ausland sind nur die Belgier (1,52 Nachwuchsabteilungen ausländischer Vereine auf Direktor des Fussball-Observatoriums des Punkte) in Klubs engagiert, die im Durchschnitt deut- ihre Chance bei den Profis. Internationalen Instituts für Sportwissen- schaften der Uni Neuenburg, weist darauf AUSLÄNDISCHE FUSSBALLER IN EUROPÄISCHEN LIGEN hin, dass nur Uruguay mehr Fussballer pro Kopf der Bevölkerung exportiert. Und als Herkunft der Zuwanderer in den Big Five ** Im Vergleich zur Bevölkerung*** Legionäre in renommierten ausländischen Anzahl Spieler (Top 20, erstes Semester 2012/2013) (Anzahl pro Mio. Einwohner) Klubs perfektionieren die Schweizer Fuss- baller ihre europäischen Qualitäten. 1. Brasilien 120 1. Uruguay 9,17 Das zeigt sich auch bei den Ergeb- 2. Argentinien 98 2. Schweiz 4,25 nissen. Von 1990 bis 2010 gewann die Nati 3. Frankreich 91 3. Serbien 4,08 43 Prozent ihrer Spiele. Heutzutage tritt 4. Spanien 37 4. Dänemark 3,40 die Schweiz regelmässig bei internationa- 5. Niederlande 36 5. Portugal 3,22 len Turnieren an. Und dort sind die 6. Schweiz 34 6. Argentinien 2,40 Schweizer Meister der Mixed Zone, jenes Portugal 34 7. Belgien 2,16 Bereichs, in dem Journalisten den Fuss- 8. Uruguay 31 8. Niederlande 2,15 ballern ihre Fragen zurufen. Die Schwei- 9. Serbien 29 9. Tschech. Rep. 2,10 zer antworten in nahezu jeder Sprache und 10. Belgien 24 10. Österreich 2,00 so eloquent, als wären sie das Fussballteam 11. Chile 22 Schweden 2,00 einer erstklassigen Sprachenschule. Jetzt 12. Tschech. Rep. 22 12. Frankreich 1,43 müssen sie nur noch mit brasilianischer 13. Deutschland 21 13. Senegal 1,37 Eleganz beeindrucken und ein paar inter- 14. Kolumbien 19 14. Chile 1,26 nationale Titel holen. Wenn man bedenkt, Dänemark 19 15. Spanien 0,80 wie weit sie in zwanzig Jahren gekommen Schweden 19 16. Elfenbeinküste 0,77 sind, ist das keineswegs auszuschliessen. 17. Senegal 18 17. Kamerun 0,72 18. Österreich 17 18. Brasilien 0,62 Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. 19. Elfenbeinküste 16 19. Kolumbien 0,40 20. Deutschland 0,26 * In der Studie wurden ausschliesslich Spieler erfasst, die in diesen Ligen in Meisterschaftspartien Simon Kuper (45) ist Kolumnist der «Financial eingesetzt worden sind. Stichtag war der 3. Dezember 2012. Times» und Autor mehrerer preisgekrönter Fuss- ** 1. Bundesliga, Serie A, Premier League, Ligue 1, Primera Division ballbücher, u.a. von «Soccernomics». Die deutsche Version erschien unter dem Titel «Warum England *** Quelle PRB 2012 immer verliert», Edition Tiamat, Berlin 2012. Bulletin Spezial 2014 — 15
— Fussballwunder Schweiz — Kick it like Bachmann Der Schweizer Frauenfussball hat im letzten Jahrzehnt grosse Fortschritte gemacht. Mit Ramona Bachmann verfügt sie gar über einen Weltstar. Von Michael Krobath 16 — Bulletin Spezial 2014
— Fussballwunder Schweiz — D ie schwedische Damall- nicht einfach», sagt sie. Das Ausbildungs- Minuten, dann sah sie Rot. (Nebenbei: svenskan ist ein Epizent- zentrum bot Bachmann die Chance, unter Auch Lionel Messi flog bei seinem Län- rum des Frauenfussballs. professionellen Bedingungen zu trainie- derspiel-Debüt schon nach wenigen Se- Mit 49 Spielerinnen stellte ren. Nach zwei Jahren und dem Abschluss kunden vom Platz.) Unverblümter Ehrgeiz sie an der EM 2013 mehr der obligatorischen Schulzeit folgte ein und überbordendes Temperament prägten Vertreterinnen als jede andere europäische halbjähriges Engagement beim SC LU- lange Zeit ihre Karriere. Sie hielt nie mit Liga. Im vergangenen Oktober stand dort win.ch, dann setzte sie alles auf eine Karte. ihrer Meinung zurück und erklärte schon die Wahl der wertvollsten Spielerin der früh, sie wolle einmal die Beste der Welt Saison an. Sie fiel weder auf die deutsche werden, was ihr bisweilen als Arroganz Sturmlegende Anja Mittag noch auf die «Sie ist völlig ausgelegt wurde. spanische Supertechnikerin Veronica Seit dem Amtsantritt von Martina Boquete. Und auch nicht auf die fünfmali- unberechenbar Voss-Tecklenburg 2012 ist sie zur Leade- ge Weltfussballerin Marta. Gewählt wur- rin gereift. «Ihre Laufbereitschaft und ihre de Ramona Bachmann aus Malters im und macht Dinge, Defensivarbeit haben sich enorm verbes- Kanton Luzern. Mit überragenden Leis- tungen hatte die 22-jährige Mittelfeld- die keine kann.» sert», sagt die Nationaltrainerin. «Heute zerreisst sie sich fürs Team und ihre Ak- spielerin den LdB FC Malmö vor dem zeptanz ist extrem gestiegen.» Inzwischen haushohen Favoriten Tyresö FF zum über- Sie brach ihre Lehre als Logistikassistentin hat Bachmann 50 Spiele für die Schweiz raschenden Meistertitel geführt. ab und zog mit gerade einmal 16 nach gemacht und 27 Tore erzielt. Zusammen «Sie ist für mich die derzeit beste Umeå. Die schwedische Kleinstadt, 400 km mit der routinierten Champions-League- Spielerin der Welt», sagt Jonas Eidevall, südlich des Polarkreises gelegen, besass Siegerin Lara Dickenmann ist sie das Aus- der Coach von Malmö. Und die Schweizer damals eines der besten Teams der Welt. hängeschild des jüngsten und wohl talen- Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklen- 2000 Zuschauer pilgerten durchschnitt- tiertesten Schweizer Teams aller Zeiten. burg erklärt: «Die Schweiz verfügt über lich zu den Matches, das Kader bestand Es ist die erste Generation, die als Junio- einen Weltstar, und ohne davon Notiz zu aus 20 Profis aus 6 Nationen. Eine von ih- rinnen von der verbesserten Infrastruktur nehmen.» Ramona Bachmann ist zweifels- nen war die erwähnte Marta, genannt im Schweizer Mädchenfussball profitierte frei ein Ausnahmetalent, wie der Schweizer «Pelé im Rock». Die Brasilianerin bekam und nun grösstenteils in starken ausländi- Männerfussball noch nie eines hatte: kein den Auftrag, die junge Schweizerin unter schen Ligen engagiert ist. weiblicher Shaqiri, sondern eher ein weib- ihre Fittiche zu nehmen. «Es brauchte Das Nationalteam ist auf bestem licher Messi – wie sie in Schweden wegen nicht viele Worte», erinnert sich Bach- Wege, sich erstmals für ein grosses inter- ihrer dem argentinischen Superdribbler mann, «ich wollte einfach in jedem Trai- nationales Turnier zu qualifizieren. Mit ähnlichen Spielweise auch genannt wird. ning besser sein als sie.» vier Siegen in vier Spielen, darunter zwei Im Schatten des Superstars reifte sie Auswärtssiegen gegen die starken Teams Mit 16 ins Ausland in Kürze zur Leistungsträgerin und trug in aus Island und Dänemark, ist die Schweiz Bachmanns Weg an die Weltspitze lag in den folgenden vier Jahren mit 40 Toren in perfekt in die WM-Qualifikation 2015 der Natur der Sache. Zumindest aus Sicht 71 Spielen wesentlich zu zwei Meisterti- gestartet. Für das Luzerner Wunderkind des kleinen Mädchens. Wenn die Mutter teln bei. Unterbrochen war das Engage- wäre die WM in Kanada die grosse Chan- zur Arbeit ging, begleitete sie den Vater, ment nur von einem kurzen Abstecher in ce, ihre Spielkunst auf der Weltbühne des einen ehemaligen NLB-Spieler und Trai- die US-Liga zu Atlanta Beat. Seit 2012 ist Fussballs zu präsentieren. Und bei der ner des örtlichen Vereins, jeweils zum sie nun für Malmö tätig. Wahl der besten Spielerin der Welt endlich Training. Mit fünf begann sie selbst, beim Bachmann in Aktion zu sehen, ist berücksichtigt zu werden. FC Malters mitzuspielen, wo sie mit den ein Erlebnis. Der YouTube-Clip «swiss Jungs kickte, da es in der Region keine magician» zeigt warum: Tempodribblings, Mädchenmannschaft gab. «Der Ball war Tricks, Sololäufe übers halbe Feld, spekta- immer dabei, selbst daheim im Wohnzim- kuläre Tore aus allen Positionen. Nur Frauenfussball mer», erinnert sie sich, «mich hat nie etwas 1,62 m gross, zelebriert die Ausnahme- BOOM IM MÄDCHENFUSSBALL anderes interessiert.» Zu Beginn der Som- könnerin die unendliche Leichtigkeit des merferien setzte der Vater eine Belohnung Fussballspielens. «Mit dem Ball am Fuss Der Schweizer Frauenfussball erlebt eine von 100 Franken aus, wenn sie am Ende ist sie vermutlich die schnellste Spielerin rasante Entwicklung. 1970 waren gerade der Ferien hundertmal jonglieren konnte. der Welt», ist Malmö-Trainer Eidevall einmal 270 Fussballerinnen lizenziert, um Nach fünf Wochen hatte sie es geschafft. überzeugt. «Sie zeigt Dinge, die sonst kei- die Jahrtausendwende stieg die Zahl auf Damals war sie acht Jahre alt. ne beherrscht», sagt Nationaltrainerin 7000. Heute sind es bereits über 22 000 und Als der Schweizerische Fussballver- Martina Voss-Tecklenburg, «sie dribbelt Fussball gehört zu den beliebtesten Frau- band die Credit Suisse Academy in Hutt- locker nicht nur eine, sondern auch drei ensportarten der Schweiz. Der Boom wi- wil, ein Ausbildungszentrums für talen- Gegnerinnen aus.» derspiegelt sich in ersten Nachwuchserfol- tierte Fussballerinnen, eröffnete, gehörte gen: die U20 schaffte es bereits zweimal an Ramona Bachmann zum ersten Jahrgang. Rot beim Länderspieldebüt eine WM. Die Credit Suisse unterstützt das «Huttwil war eine Lebensschule. Mit Das erste Länderspiel bestritt Ramona A-Nationalteam und die Nachwuchsteams 13 Jahren von zu Hause wegzugehen, war Bachmann mit 16. Es dauerte ganze 17 sowie die Credit Suisse Academy in Biel . Bulletin Spezial 2014 — 17
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