Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung

 
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37/2021

Informationen zur politischen Bildung

FRANK DECKER

Bundestagswahl 2021

In Demokratien wählen die wahlberechtigten Bürgerinnen             Inhalt
und Bürger in regelmäßigen Abständen ihre Vertreterinnen
und Vertreter in die Parlamente. In der Bundesrepublik              2 Das Wahljahr 2021
Deutschland wird der Deutsche Bundestag alle vier Jahre neu         3 Wahlen in der Demokratie
gewählt. Die Mehrheitsverhältnisse bestimmen dann, welche
Parteien die Regierung bilden. Am 26. September 2021 ist es         4 Rechtliche Grundlagen der
wieder so weit.                                                       Bundestagswahl
   Dieses Heft bietet einen grundlegenden Überblick zur Bun-       11 Parteiensystem und
destagswahl 2021. Vorgestellt werden das deutsche Wahlsys-            Koalitionsbeziehungen seit der
tem, die Arbeit der amtierenden Koalition und die Spitzen-            deutschen Vereinigung
kandidierenden sowie ihre Themen für den Wahlkampf 2021.
                                                                   15 Die Bundestagswahl 2017
Begleitet wird der Haupttext dabei von Grafiken, Fotos, Illustra-
                                                                      und ihre Folgen
tionen und Hinweisen auf weiterführende Literatur, Internet-
adressen und Unterrichtsmaterialien.                               19 Die Wahl 2021 – Was ist zu erwarten?
Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Bundestagswahl 2021
picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski /
SVEN SIMON

                                                                                                                                                                ddp
                                                                                                                                                                ddp / Henning Schacht
ddp / Georg Wendt

Das Wahljahr 2021 ist geprägt von der Coronavirus-Pandemie (l. oben – r. unten): Landeswahlversammlung der FDP/NRW, Ausgangssperre am Hamburger Hafen,
Promenade in St. Peter Ording, Szene im deutschen Bundestag während der 1. Lesung zur Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes

                                                  Das Wahljahr 2021
Am 26. September wird der Deutsche Bundestag zum 20. Mal                          terin einer dritten Partei als ernstzunehmende Kanzlerkandi-
gewählt. Die Bundestagswahl findet gleich in mehrfacher Hin-                       datin an.
sicht unter außergewöhnlichen Voraussetzungen statt und                              Schließlich und viertens wird sich die Themenagenda der
dürfte eine der spannendsten in der Geschichte der Bundesre-                      Wahlauseinandersetzung von früheren Wahlen unterschei-
publik Deutschland werden.                                                        den. Dass hier der Klimaschutz zum ersten Mal (ganz) weit
   Die erste Besonderheit betrifft die personelle Ausgangslage.                    oben steht, stellt eine der Ursachen wie auch eine Folge des
Noch nie zuvor hat ein amtierender Bundeskanzler – in diesem                      Aufschwungs der Grünen dar. Daneben dürften die wirtschaft-
Fall eine Bundeskanzlerin – darauf verzichtet, erneut zur Wie-                    lichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-
derwahl anzutreten. Dieser Umstand bringt die Unionspartei-                       Pandemie eine wichtige Rolle spielen und – je nach Verlauf
en im Wahlkampf in eine herausforderungsvolle Situation. Sie                      und Erfolg der Impfkampagne – zugleich der Rückblick auf das
treten mit einem neuen Kandidaten – dem CDU-Vorsitzenden                          Pandemiemanagement der Regierung.
Armin Laschet – zu einer Wahl an, bei der gleichzeitig die Re-                       Entschieden wird die Wahl durch das Zusammenspiel von
gierungsbilanz der abtretenden Amtsinhaberin Angela Merkel                        drei Faktoren: Das sind die Kandidierenden, die Themen und
durch die Stimmabgabe bewertet wird.                                              die möglichen Koalitionen (siehe S. 19 ff.). Was die Koalitions-
   Zweitens wird der Wahlkampf von einer der größten Krisen                       bildungen betrifft, besteht im Parteiensystem inzwischen eine
überschattet, die das Land in den 76 Jahren seit Kriegsende zu                    große Flexibilität, da sich SPD und Grüne für ein Bündnis so-
bewältigen hatte: der Coronavirus-Pandemie. Mit dieser Krise                      wohl mit der Linken als auch mit der FDP geöffnet haben. Galt
verändern sich nicht nur die Themen des Wahlkampfs, sondern                       Anfang des Jahres eine Regierung der Union mit den Grünen
zugleich seine technischen und organisatorischen Voraussetzun-                    noch als wahrscheinlichster Wahlausgang, wiesen die Umfra-
gen. Auch die Parteitage und Kandidatennominierungen liefen                       gewerte für die einzelnen Parteien im Mai auch eine Ampelko-
und laufen unter Pandemiebedingungen anders ab als gewohnt.                       alition (rot-gelb-grün) oder ein Linksbündnis (rot-rot-grün) als
   Drittens haben sich in der 19. Legislaturperiode einschnei-                    mehrheitsfähig aus (siehe Tabelle S. 14).
dende Veränderungen der Parteienlandschaft ergeben. Wäh-                             Vor der Bundestagswahl fanden im März und Juni drei Land-
rend die Sozialdemokratie weiterhin nur niedrige Umfrage-                         tagswahlen (in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und
werte verbuchen konnte, geriet nun auch die Union als einzig                      Sachsen-Anhalt) sowie Kommunalwahlen in Hessen statt. Die
noch verbliebene Volkspartei in einen Abwärtssog.                                 Landtagswahlen endeten alle mit dem Sieg der jeweiligen Amts-
   Gleichzeitig gelang es den Grünen, sich als zweitstärkste                      inhaber. Am 26. September werden parallel zur Bundestagswahl
Kraft dauerhaft vor die SPD zu setzen. Machten Union und SPD                      auch das Abgeordnetenhaus in Berlin und die Landtage in Meck-
das Rennen um die Kanzlerschaft bisher stets unter sich aus,                      lenburg-Vorpommern und Thüringen gewählt. Zwei Wochen
tritt mit Annalena Baerbock jetzt zum ersten Mal die Vertre-                      vorher finden Kommunalwahlen in Niedersachsen statt.

2                                                                                                          Informationen zur politischen Bildung aktuell Nr. 37/2021
Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Alle Wahltermine in Deutschland 2021                                           Selbst undemokratische Systeme verzichten nur ungern auf
                                                                               Wahlen. Denn sie wollen und können damit zumindest den
 Datum      Land                         Art                         Turnus    Anschein erwecken, dass ihre Macht auf der Zustimmung der
 14.03.     Hessen                       Kommunalwahl                5 Jahre   Bevölkerung beruht. Die Bezeichnung „demokratisch“ verdie-
                                                                               nen Wahlen allerdings erst, wenn sich Präferenzen innerhalb
 14.03.     Baden-Württemberg,           Landtagswahl                5 Jahre
            Rheinland-Pfalz
                                                                               der Gesellschaft frei entfalten können, Parteien diese Präferen-
                                                                               zen zu unterschiedlichen programmatischen und personellen
 6.06.      Sachsen-Anhalt               Landtagswahl                5 Jahre
                                                                               Angeboten bündeln und diese Angebote in der Wahlauseinan-
 12.09.     Niedersachsen                Kommunalwahl                5 Jahre   dersetzung fair miteinander konkurrieren. Der demokratische
 26.09.     Alle Länder                  Bundestagswahl              4 Jahre
                                                                               Wettbewerb ist dabei an das Mehrheitsprinzip als demokrati-
                                                                               sche Spielregel gebunden. Seine Funktionsfähigkeit beweist
 26.09.     Berlin                       Wahl zum Abgeordnetenhaus   5 Jahre   sich daran, dass Regierungswechsel möglich sind.
 26.09.     Mecklenburg-Vorpommern       Landtagswahl                5 Jahre     Auch in den etablierten Demokratien gibt es allerdings zu-
                                                                               nehmend Zweifel, ob und wie gut die Wahlen die genannten
 26.09.     Thüringen                    vorgezogene Landtagswahl*   5 Jahre
                                                                               Funktionen weiterhin erfüllen. Rückläufige Wahlbeteiligungen,
* Voraussichtlicher Wahltermin                                                 sinkende Mitgliederzahlen der Parteien und der wachsende
Bundeswahlleiter, bundeswahlleiter.de                                          Zuspruch für rechte und linke Protestparteien werden als Be-
                                                                               lege für einen Ansehensverlust der repräsentativen Institutio-
                                                                               nen gewertet. Einige, wie der britische Sozialwissenschaftler
                 Wahlen in der Demokratie                                      Colin Crouch, sehen die Demokratie in der Krise und führen
                                                                               dies auf eine Aushöhlung ihrer zentralen Prinzipien zurück:
  „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke                    Wahlen, Parteienwettbewerb und die Gewaltenteilung blieben
in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe                          zwar nach außen hin weiter intakt. Sie hätten aber immer we-
der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Recht-                      niger Einfluss auf die Entscheidungen, welche vielmehr die Re-
sprechung ausgeübt.“ Art. 20 Abs. 2 GG                                         gierungen und mächtige Interessenvertretungen weitgehend
                                                                               autonom untereinander aushandelten.
In einer Demokratie geht „[a]lle Staatsgewalt […] vom Volke aus.
 Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausge-
 übt“, heißt es im Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG).                 Mitglieder der im Deutschen Bundestag
Wahlen und Abstimmungen haben dabei nicht den gleichen                         vertretenen Parteien jeweils am Jahresende
Rang. Wahlen sind in einer Demokratie unabdingbar, während                     in Tausend
 es sich bei den als Abstimmungen bezeichneten direktdemo-
 kratischen Verfahren um ein „optionales“ Element der Verfas-                  1000
                                                                                        943
 sungen handelt. In den deutschen Ländern und Kommunen
 sind diese Verfahren, mit denen die Bürgerinnen und Bürger                     900
 selbst bestimmte Fragen verbindlich entscheiden können,
 heute überall vorgesehen. Auf der Bundesebene beschränken                              790
                                                                                800
 sie sich auf den in der Praxis wenig wahrscheinlichen Fall einer
Neugliederung der Länder (Art. 29 GG).                                                                                             694
                                                                                700
   Das demokratische Prinzip der Volkssouveränität verdichtet
 sich in den periodisch stattfindenden Wahlen. Die Politikwis-                   600
 senschaft schreibt Wahlen vier wesentliche Funktionen zu:                                                                       594
¬ Legitimationsfunktion: Wahlen sind für eine Demokratie
                                                                                500
   unverzichtbar, da sie die politische Herrschaft auf den Willen                                                                                                                           419
   derjenigen zurückführen, die der Herrschaft unterworfen
                                                                                400
   sind. Sie sichern ihnen die Kontrolle über die Herrschenden                                                                                                                              406
   und gewährleisten durch ihre regelmäßige Wiederkehr die
                                                                                300 281
   Zeitbegrenzung politischer Herrschaft, die für die Demokra-
   tie wesentlich ist.                                                                        186                                178
¬ Kreationsfunktion: Aus Wahlen gehen die politischen Lei-                      200
                                                                                                                                                                                            139
   tungsorgane hervor, in einer parlamentarischen Demokratie                            168                                  67 71
   ist dies eine funktionsfähige Volksvertretung. Diese ist ihrer-              100                                                                                           96 65 61
                                                                                        41
   seits in der Lage, eine funktionsfähige Regierung einzuset-                                                              44
                                                                                                                                                                    18                     35
   zen und die für das Gemeinwesen wesentlichen Entschei-                          0
                                                                                       1990

                                                                                              1992

                                                                                                     1994

                                                                                                            1996

                                                                                                                   1998

                                                                                                                          2000

                                                                                                                                 2002

                                                                                                                                        2004

                                                                                                                                               2006

                                                                                                                                                      2008

                                                                                                                                                             2010

                                                                                                                                                                    2012

                                                                                                                                                                           2014

                                                                                                                                                                                  2016

                                                                                                                                                                                         2018

                                                                                                                                                                                                2019

   dungen zu treffen.
¬ Repräsentationsfunktion: Wahlen sollen sicherstellen, dass
   sich die vielfältigen Interessen, Anschauungen und Wert-
                                                                                   SPD                 CSU                  AfD
   haltungen der Bevölkerung in der von ihr gewählten Vertre-
   tungskörperschaft widerspiegeln.                                                CDU                 FDP
                                                                                                                                                                      * 2007 Vereinigung
¬ Integrationsfunktion: Über Wahlen findet darüber hinaus die                       Linke*              Grüne                                                            von PDS und WASG
   Einbeziehung (Integration) der Bevölkerung in das politische
   System statt; dazu stellt der Wahlakt als solcher eine politische           picture alliance / dpa / dpa-infografik GmbH | dpa-infografik GmbH; Quelle: Zeitschrift für
   Gemeinsamkeit unter den Bürgerinnen und Bürgern her.                        Parlamentsfragen, O. Niedermayer

Informationen zur politischen Bildung aktuell Nr. 37/2021                                                                                                                                         3
Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Bundestagswahl 2021

Anteil der Nichtwählerinnen und Nichtwähler                                                                                                Die Allgemeinheit der Wahl verlangt, dass das Wahlrecht allen
in Prozent (Bundestagswahlen 1949 bis 2017)                                                                                                Bürgerinnen und Bürgern offensteht. Ausnahmen sind nur mit
                                                                                                                                           Blick auf Alter, Sesshaftigkeit, Mündigkeit und – durch richter-
30                                                                                                               29,2 28,5                 lichen Beschluss – schwere Straftaten zulässig. Strafgefangene
                                                                                                                                           dürfen ansonsten zwar wählen, können das Recht aber de fac-
     21,5                                                                         22,2
                                                                                                   20,9                                    to nur per Briefwahl ausüben. Den Wahlrechtsausschluss be-
                                                                                                                               23,8
20
                                                                     15,7            21,0
                                                                                                          22,3                             stimmter Menschen mit Behinderung oder psychisch kranker
                12,2 13,2 13,3                                                              17,8                                           Menschen, die betreuungsbedürftig sind, hat das Bundesver-
                                      11,4
            14,0                  9,3                                                                                                      fassungsgericht 2019 für verfassungswidrig erklärt. Seither er-
10                  12,3
                                          10,9                                       ab 1990                                               folgen keine entsprechenden Meldungen der Vormundschafts-
                              8,9
                                                                                     Gesamtdeutschland                                     ämter an die Wahlbehörden mehr.
 0
                                                                                                                                              Das Wahlalter liegt seit 1970 bei 18 Jahren. Dies gilt sowohl
                                                                                                                                           für das aktive wie das passive Wahlrecht. Einige Bundesländer
     1949
            1953
                   1957
                          1961
                                 1965
                                        1969
                                               1972
                                                      1976
                                                             1980
                                                                    1983
                                                                           1987
                                                                                  1990
                                                                                         1994
                                                                                                1998
                                                                                                       2002
                                                                                                              2005
                                                                                                                     2009
                                                                                                                            2013
                                                                                                                                   2017
                                                                                                                                           haben das aktive Wahlalter bei Kommunal- und/oder Land-
picture alliance / dpa / dpa-infografik GmbH | dpa-infografik GmbH; Quelle: Bundeswahlleiter,
                                                                                                                                           tagswahlen inzwischen auf 16 Jahre abgesenkt. Im Jahre 2013
bundeswahlleiter.de                                                                                                                        wurde das Wahlrecht der im Ausland lebenden Deutschen neu
                                                                                                                                           geregelt. Sie dürfen seither wählen, sofern ihr Wegzug nicht
                                                                                                                                           mehr als 25 Jahre zurückliegt und sie ab dem 14. Lebensjahr
Eine mildere Version der Kritik beklagt das Fehlen realer Ent-                                                                             mindestens drei Monate in Deutschland verbracht haben.
scheidungsalternativen. Die Parteien ließen sich in ihren                                                                                     Das Wahlrecht ist an die Staatsangehörigkeit gebunden.
grundlegenden Zielen und Angeboten, Probleme zu lösen,                                                                                     Etwa 8,7 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen, also
kaum noch voneinander unterscheiden – die belgische Politik-                                                                               etwa jeder achte Erwachsene im Land, können als Nichtdeut-
wissenschaftlerin Chantal Mouffe spricht hier bildhaft von                                                                                  sche deshalb an der Wahl nicht teilnehmen. Ausnahmen gibt
einer „Entscheidung zwischen Cola oder Pepsi“. Gleichzeitig                                                                                es bei den Kommunal- und Europawahlen, bei denen auch in
bildeten sie dort, wo es um ihre eigenen Interessen gehe, zum                                                                              Deutschland lebende Bürgerinnen und Bürger aus anderen
Beispiel bei der Parteienfinanzierung, ein Machtkartell. Der                                                                                EU-Staaten wahlberechtigt sind. Der Einführung eines allge-
Populismus stelle eine Reaktion auf diese Tendenzen dar.                                                                                   meinen Kommunalwahlrechts für dauerhaft im Lande lebende
   Empirische Untersuchungen weisen zudem auf eine wach-                                                                                   Menschen aus Nicht-EU-Staaten hat das Bundesverfassungs-
sende soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung hin. So war                                                                             gericht seit 1989 einen Riegel vorgeschoben. Dies hat zugleich
beispielsweise bei den beiden vergangenen Bundestagswah-                                                                                   Folgen für die im Parteiengesetz geregelte Kandidatenauf-
len 2013 und 2017 der Anteil derjenigen, die nicht zur Wahl gin-                                                                           stellung zu den Bundestags- und Landtagswahlen, an der im
gen, in der untersten Einkommensgruppe mehr als fünfmal so                                                                                 Unterschied zu den internen Wahlen für Parteiämter ebenfalls
hoch wie in der obersten. Unter Demokratiegesichtspunkten                                                                                  nur deutsche Staatsangehörige teilnehmen dürfen.
ist das problematisch, weil damit auch die Interessen dieser                                                                                  Die Allgemeinheit der Wahl verpflichtet den Gesetzgeber des
Gruppe im politischen Prozess weniger beachtet werden: Wer                                                                                 Weiteren, für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu sorgen.
nicht wählen geht, läuft Gefahr, dass seine Interessen nicht re-                                                                           Gewährleistet wird dies durch ein dichtes Netz von Wahlloka-
präsentiert werden. Manche Stimmen, wie der Politikwissen-                                                                                 len und ausreichend lange Öffnungszeiten bei der Urnenwahl
schaftler Armin Schäfer, befürworten aus diesem Grund die                                                                                  (am Wahltag von 8 bis 18 Uhr) sowie durch die Möglichkeit
Einführung einer Wahlpflicht.                                                                                                               der (vorzeitigen) Briefwahl für alle, die nicht persönlich im
                                                                                                                                           Wahllokal ihre Stimme abgeben können. Auch Menschen mit
                                                                                                                                           Beeinträchtigungen muss die Teilnahme an der Wahl ermög-
                                                                                                                                           licht werden. Da die Freiheit und Geheimheit der Wahl bei der
                      Rechtliche Grundlagen der                                                                                            Briefwahl nicht hundertprozentig sichergestellt werden kön-
                          Bundestagswahl                                                                                                   nen, hatte das Bundesverfassungsgericht an ihre Zulassung
                                                                                                                                           anfangs strenge Anforderungen geknüpft, die später gelockert
                                                                                                                                           wurden. Eine Briefwahl kann seit 2008 auch ohne Angabe von
Die rechtlichen Grundlagen der Bundestagswahl sind im Grund-                                                                               Gründen beantragt werden. Der Anteil derjenigen, die per Brief
gesetz, im Parteiengesetz (PartG), im Bundeswahlgesetz (BWahlG)                                                                            wählen, ist entsprechend weiter gestiegen; bei der Bundes-
und in der Bundeswahlordnung (BWO) festgelegt. Auch bestimm-                                                                               tagswahl 2017 betrug er bereits 28,6 Prozent.
te Aspekte der Regierungsform wie die Dauer der Legislaturperio-                                                                              Durch die Coronavirus-Pandemie hat die Briefwahl noch ein-
de werden vom Wahlrecht umfasst. Der Begriff wird im allgemei-                                                                              mal einen deutlichen Schub bekommen. Bei den Landtagswahlen
nen Sprachgebrauch häufig mit dem „Wahlsystem“ gleichgesetzt,                                                                               in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt
das aber nur einen Teilaspekt des Wahlrechts umschreibt.                                                                                   wurde von den Ländern Vorsorge getroffen, diese im Bedarfsfall
  Das Grundgesetz begnügt sich damit, allgemeine „Wahl-                                                                                    als ausschließliche Briefwahl durchführen zu können. Anders als
rechtsgrundsätze“ festzulegen, die den demokratischen Cha-                                                                                 bei der bayerischen Kommunalwahl im Jahr zuvor war das zwar
rakter der Wahl gewährleisten sollen. Gemäß Artikel 38 Absatz 1                                                                            nicht nötig. Dennoch stieg der Anteil der Briefwählerinnen und
sind dies die Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleich-                                                                           -wähler stark an. In Baden-Württemberg lag er bei 51,3, in Rhein-
heit und Geheimheit der Wahl. Hinzu kommt als weiterer, aus                                                                                land-Pfalz bei 66,5 und in Sachsen-Anhalt bei 29,1 Prozent. Auch
einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2009 abgelei-                                                                               für die Bundestagswahl und die anderen anstehenden Landtags-
teter Grundsatz die Öffentlichkeit der Wahl. Zu unterscheiden                                                                               und Kommunalwahlen wird mit einem Anstieg der Briefwahlen
ist zwischen dem Recht, an der Wahl teilzunehmen (aktives                                                                                  gerechnet. Die Briefwahl dürfte damit den vom Verfassungsge-
Wahlrecht), und dem Recht, sich als Kandidat oder Kandidatin                                                                               richt als Voraussetzung für ihre Rechtmäßigkeit verlangten Aus-
aufstellen und wählen zu lassen (passives Wahlrecht).                                                                                      nahmecharakter wohl endgültig verlieren.

4                                                                                                                                                             Informationen zur politischen Bildung aktuell Nr. 37/2021
Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Anteil der Briefwählerinnen und Briefwähler                                                                                 bevorzugt bzw. benachteiligt werden. Für die Regierung gilt
in Prozent (Bundestagswahlen 1957 bis 2017)                                                                                 ein striktes Neutralitätsgebot. Sie hat sich aus dem Wahlkampf
                                                                                                                            herauszuhalten, der ausschließlich Sache der Parteien ist.
30                                                                                                                   28,6      Geheimheit der Wahl bedeutet, dass niemand davon Kennt-
                                                                       ab 1990                                              nis erhalten darf, wem eine Person ihre Stimme gibt. Bei der
                                                                       Gesamtdeutschland                                    Urnenwahl wird das durch die geschützte Wahlkabine sicher-
                                                                                                         24,3
25                                                                                                                          gestellt, bei der Briefwahl liegt es in der Verantwortung der
                                                                                                   21,4                     Wählenden selbst. In die Bundeswahlordnung wurde zudem
                                                                                                                            2017 ein Passus aufgenommen, der das Filmen und Fotografie-
20                                                                                            18,7
                                                                                         18                                 ren mit dem Smartphone in der Wahlkabine untersagt. Blin-
                                                                                  16                                        de und Sehgeschädigte können ihre Stimme mithilfe einer
                                                                                                                            Stimmzettelschablone abgeben, die kostenlos vom Deutschen
15                                                                     13,4
                                               13                                                                           Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) herausgegeben
                                        10,7                 11,1                                                           wird.
10                                                                                                                             Die Öffentlichkeit der Wahl soll gewährleisten, dass diese
                                                      10,5
                   7,3 7,1 7,2                                      9,4                                                     ordnungsgemäß und nachvollziehbar verläuft – von den Wahl-
            5,8                                                                                                             vorschlägen über die eigentliche Wahlhandlung (hier in Bezug
     4,9
 5                                                                                                                          auf die Stimmabgabe durchbrochen durch das Wahlgeheim-
                                                                                                                            nis) bis zur Ermittlung des Wahlergebnisses. Der Grundsatz be-
                                                                                                                            sagt auch, dass die Stimmabgabe im öffentlichen Raum statt-
 0
                                                                                                                            findet und die Wahl so als öffentliches Ereignis sichtbar wird.
     1957

            1961

                   1965

                          1969

                                 1972

                                        1976

                                               1980

                                                      1983

                                                             1987

                                                                    1990

                                                                           1994

                                                                                  1998

                                                                                         2002

                                                                                                2005

                                                                                                       2009

                                                                                                              2013

                                                                                                                     2017

                                                                                                                            Ein vollständiger Ersatz der Urnen- durch die Briefwahl wäre
                                                                                                                            daher unzulässig.
Bundeswahlleiter, bundeswahlleiter.de                                                                                          Um die Durchführung der Wahlen unter demokratischen
                                                                                                                            Grundsätzen gewährleisten zu können, wurden während der
                                                                                                                            Coronavirus-Pandemie 2020 und 2021 einige parteien- und
Unmittelbarkeit der Wahl bedeutet, dass die Bürgerinnen und                                                                 wahlgesetzliche Regelungen angepasst. Bei Parteitagen, Vor-
Bürger die Abgeordneten direkt wählen, es also kein zwischen-                                                               standssitzungen und den für die Nominierung der Kandidie-
geschaltetes Wahlgremium gibt (wie in den USA die soge-                                                                     renden zuständigen Delegiertenversammlungen entfiel das
nannten Wahlmänner). Sowohl die Personen, die in den Wahl-                                                                  Anwesenheitserfordernis – sie konnten jetzt ganz oder teilwei-
kreisen antreten, als auch diejenigen, welche über Parteilisten                                                             se digital durchgeführt werden. Für die Nominierung der Kan-
kandidieren, müssen vorab bekannt gemacht werden.                                                                           didierenden sowie die Wahl der Vorsitzenden und Vorstands-
   Die Freiheit der Wahl soll die Wählerinnen und Wähler vor                                                                mitglieder gab es die Möglichkeit der Briefwahl – eine Wahl auf
Beeinträchtigungen ihrer Willensentscheidung schützen; sie                                                                  elektronischem Wege kam hier wegen der verfassungsrecht-
müssen ihre Stimme ohne Druck oder Zwang von staatlicher                                                                    lichen Hindernisse weiterhin nicht in Frage. Die Verfassungs-
wie nicht staatlicher Seite abgeben können. Zugleich verlangt                                                               gerichte erlegten es den Parlamenten überdies auf, die Hürden
der Grundsatz ein konkurrierendes Angebot von Parteien und                                                                  bei der Zulassung von Wahlbewerberinnen und -bewerbern
Kandidierenden. Das Vorschlagsrecht für letztere darf dabei                                                                 und Listen abzusenken. Der Bundestag kam dem durch eine
nicht ausschließlich bei den Parteien liegen bzw. dort, wo die                                                              Gesetzesänderung im Mai 2021 nach, die das Quorum (die Be-
Parteien die Kandidierenden aufstellen, allein von deren Füh-                                                               schlussfähigkeit) auf ein Viertel reduzierte. Für Listenvorschlä-
rungsgremien ausgeübt werden. Ob zur Freiheit der Wahl auch                                                                 ge sind damit nur noch 500 (statt 2000) und für Kandidierende
das Recht gehört, nicht zu wählen, ist umstritten. Eine gesetz-                                                             in den Wahlkreisen 50 (statt 200) Unterschriften erforderlich.
liche Wahlpflicht, wie sie etwa in Belgien besteht, wäre zwar                                                                   Bei Verletzungen der Wahlrechtsgrundsätze kann die Gültig-
ein geeignetes Mittel gegen niedrige oder sinkende Wahlbetei-                                                               keit der Wahl angefochten werden. Die Wahlprüfung obliegt
ligungen; sie würde aber der deutschen Verfassungstradition                                                                 dem Bundestag, gegen dessen Entscheidung Beschwerde vor
widersprechen.                                                                                                              dem Bundesverfassungsgericht möglich ist. Auch nachgewie-
   Die Gleichheit der Wahl verlangt zum einen, dass jede Wähler-                                                            sene Unregelmäßigkeiten (etwa bei der Stimmenauszählung
stimme gleich viel wert ist und somit den gleichen Einfluss auf                                                              oder der Aufstellung der Wahlbewerberinnen und -bewerber)
das Wahlergebnis hat. Bei Mehrheitswahlsystemen beschränkt                                                                  machen eine Wahl nicht automatisch ungültig, sondern nur,
sich diese Forderung auf den Zählwert der Stimme: Jede Stimme                                                               wenn sie sich auf die Mandatsverteilung auswirken. So musste –
zählt genau gleich viel. Das Mandat gewinnt allerdings nur der                                                              im bisher einzigen Fall – die Bürgerschaftswahl 1991 in Ham-
Kandidat/die Kandidatin oder die Partei mit den meisten Stim-                                                               burg wiederholt werden, weil die Kandidatenaufstellung nicht
men. Die Stimmen für die unterlegenen Kandidierenden oder                                                                   ordnungsgemäß erfolgt war.
Parteien werden somit nicht in Form eines Mandats repräsen-                                                                    Das Bundesverfassungsgericht hat in die Wahlrechtsrege-
tiert. In Verhältniswahlsystemen tritt ein sogenannter Erfolgs-                                                             lungen immer wieder korrigierend eingegriffen. Einschnei-
wert hinzu, da auch die Stimmen für eine nachrangig platzierte                                                              dende Folgen hatte seine Rechtsprechung im Bereich des
Partei bei der Mandatsverteilung berücksichtigt werden und                                                                  Wahlsystems, wo es beispielsweise die Fünfprozentklausel auf
nicht nur wie bei der reinen Mehrheitswahl die Stimmen der                                                                  kommunaler Ebene und bei den Europawahlen aufhob. Im An-
erstplatzierten Partei zum Mandat führen.                                                                                   fang 2017 abgeschlossenen NPD-Verfahren folgte das Gericht
   Zum anderen muss zwischen denen, die sich dem politi-                                                                    zwar nicht dem Antrag des Bundesrates, die rechtsextreme
schen Wettbewerb stellen, Chancengleichheit herrschen. Sie                                                                  Partei zu verbieten, hielt es aber – in einer Abkehr vom bis-
dürfen bei den Wahlrechtsregelungen, bei der Parteienfinan-                                                                  herigen Prinzip der strikten formalen Gleichbehandlung – für
zierung oder beim Zugang zu den Medien also nicht einseitig                                                                 rechtlich möglich, ihr die staatliche Parteienfinanzierung zu

Informationen zur politischen Bildung aktuell Nr. 37/2021                                                                                                                                  5
Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Bundestagswahl 2021

entziehen. 2009 erklärte das Gericht die 2005 erstmals ermög-
lichte Stimmabgabe per Wahlcomputer für unzulässig, weil
dieses Verfahren die Nachprüfbarkeit der Stimmzählung nicht
sicher gewährleiste.

                                                                                            picture alliance / Arno Burgi / dpa-Zentralbild / dpa | Arno Burgi
Das Wahlsystem
Das Wahlsystem ist Teil des umfassenderen Wahlrechts. Es
regelt, wie die Wählerinnen und Wähler ihre Präferenzen für
Kandidierende oder Parteien in Stimmen ausdrücken und
wie diese Stimmen anschließend in Mandate, also in Parla-
mentssitze, übertragen werden. Drei Bereiche bzw. Aspekte
sind hier vor allem bedeutsam: die Wahlkreiseinteilung, die
Kandidatur- und Stimmgebungsformen sowie die Stimmen-
verrechnung.
  An Wahlsysteme werden unterschiedliche Funktionserwar-
tungen herangetragen. Zum einen sollen sie im Sinne des Re-
präsentationsziels dafür Sorge tragen, dass die in der Gesell-
schaft vorhandenen Meinungen und Interessen im Parlament                                    Im deutschen Wahlsystem hat jede wahlberechtigte Person zwei Stimmen. Eine Wäh-
annähernd spiegelbildlich (proportional) vertreten sind, und                                lerin füllt ihren Stimmzettel für die Bundestagswahl 2017 aus.
zum anderen die Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit
ermöglichen. Die Bundesrepublik hat sich auf Bundesebene
wie in den Ländern für ein Verhältniswahlsystem entschie-                                   folge der Kandidierenden ist hier von den Parteien vorgegeben.
den, das dem erstgenannten Ziel Vorrang einräumt. Um eine                                   Gewinnt eine Partei mindestens drei Direktmandate, wird ihr
übermäßige Zersplitterung der parlamentarischen Kräftever-                                  Zweitstimmenanteil auch dann in Parlamentssitze umgerech-
hältnisse zu vermeiden, wird der Proporz allerdings durch eine                              net, wenn dieser unterhalb von 5 Prozent liegt (Grundman-
Sperrklausel (Fünfprozenthürde) beschränkt. Damit soll die                                  datsklausel).
Mehrheitsbildung erleichtert werden. Für die Berechnung der                                    Für die Wahl stehen den Wählerinnen und Wählern zwei Stim-
Sitzzuteilung wird seit der Bundestagswahl 2009 das Sainte-                                 men zur Verfügung. Mit der auf dem Wahlzettel links angeord-
Laguë/Schepers-Verfahren angewandt.                                                         neten Erststimme wählen sie den Wahlkreiskandidaten, mit der
  Ein weiteres Ziel der Wahlsysteme besteht darin, den Bür-                                 rechts angeordneten Zweitstimme die Partei. Dabei können sie
gerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, neben der                                    die Stimmen „splitten“, indem sie zum Beispiel die Erststimme
parteipolitischen auch die personelle Zusammensetzung der                                   dem Kandidaten der Partei A geben, mit der Zweitstimme aber
Parlamente zu beeinflussen. Das Bundestagswahlsystem trägt                                   Partei B wählen. Der Anteil derjenigen, der von dieser Möglich-
dem Rechnung, indem es zwischen Wahlkreis- und Listenkan-                                   keit Gebrauch macht, ist seit der Einführung des Zweistimmen-
didierenden unterscheidet. 299 der (regulär) 598 Abgeordne-                                 systems im Jahre 1953 nahezu kontinuierlich gestiegen und lag
ten werden in bevölkerungsmäßig etwa gleich großen Wahl-                                    bei der Bundestagswahl 2017 bei 27,3 Prozent.
kreisen direkt gewählt (Direktmandate). Das Mandat gewinnt,                                    Die hälftige Aufteilung der Wahlkreis- und Listenmandate
wer die meisten Stimmen erhält. Die restlichen Abgeordneten                                 befördert das Missverständnis, das deutsche Wahlsystem sei
ziehen über die Landeslisten in den Bundestag ein. Die Reihen-                              eine Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahl. Tatsächlich
                                                                                            richtet sich der Mandatsanteil der Parteien aber ausschließlich
                                                                                            nach dem Ergebnis der Zweitstimmen. Das Wahlgesetz spricht
Von der Wählerstimme zum Mandat:                                                            daher zu Recht von einer „mit einer Personenwahl verbunde-
Sitzberechnung nach Sainte-Laguë/Schepers                                                   nen Verhältniswahl“. Nachdem feststeht, wie viele Mandate
                                                                                            jede Partei insgesamt erhält, werden die direkt gewählten Ab-
                         Es sind 11 Sitze zu vergeben.
                                                                                            geordneten auf diesen Anteil angerechnet. Dass die ausschlag-
                                                                                            gebende Bedeutung der Zweitstimme einem erheblichen Teil
                           Partei A                   Partei B           Partei C
                                                                                            (rund 40 Prozent) der Bürgerinnen und Bürger nicht geläufig
 Stimmenzahl               6000                       3100               2950               ist, dürfte vor allem auf die irreführende Benennung „Erst- und
                                                                                            Zweitstimme“ zurückzuführen sein. Dem Wahlsystem man-
                         Die Stimmen der Parteien, die an der Sitzvergabe teilneh-
                         men, werden durch einen Divisor geteilt. Als Divisor eignet
                                                                                            gelt es in diesem Punkt an Verständlichkeit.
                         sich die auf einen Sitz durchschnittlich entfallende Anzahl           Die Verbindung von Wahlkreis- und Listenmandaten zieht
                         der Stimmen, hier: 1095.                                           noch eine andere gravierende Folge nach sich: die mögliche
                         Die Ergebnisse der Division werden anschließend auf ganze          Entstehung von Überhangmandaten. Gewinnt eine Partei
                         Zahlen auf- oder abgerundet. An den ganzzahligen Resulta-
                         ten lässt sich die Sitzverteilung unmittelbar ablesen.             mehr Direktmandate, als ihr nach dem Anteil der Zweitstim-
                         Ist ihre Summe größer / kleiner als erforderlich, wird die Rech-   men zustehen, darf sie diese Mandate behalten. Der sich aus
                         nung mit einem kleineren / größeren Divisor wiederholt.            dem Zweitstimmenergebnis ergebende Proporz wird dadurch
                                                                                            allerdings verzerrt. Kritische Stimmen sehen in den Überhang-
                                      5,48                       2,83               2,69    mandaten deshalb einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrund-
                                                     aufgerundet        aufgerundet
                                                                                            satz. Eine Partei oder Parteienkoalition könne mit ihrer Hilfe
                         abgerundet
                                                                                            eine Mehrheit der Sitze erlangen, ohne gleichzeitig über die
 Sitze                                   5                         3                  3     Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu verfügen.
                                                                                              Waren die Überhangmandate bis zur deutschen Einheit nur
Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbilder 086 131                                          sporadisch angefallen, hat sich ihre Zahl seither deutlich erhöht.

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Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Am größten ist ihr Entstehungsrisiko, wenn der Zweitstimmen-          Argumente erscheinen widerlegbar. So wäre ein Neuzuschnitt
anteil der stärksten Partei durch die Konkurrenz der übrigen          bereits bei einer geringeren Reduzierung der Direktmandate ge-
Parteien auf 30 oder unter 30 Prozent gedrückt wird, sie bei den      boten. Und der Hinweis auf die Größe der Wahlkreise übersieht,
Erststimmen aber einen Vorsprung von etwa 5 bis 7 Prozent-            dass diese nicht nur von den direkt gewählten, sondern ebenso
punkten vor der zweitstärksten Partei behält. Die hohe Zahl an        von den Listenabgeordneten betreut werden. Im Internet-Zeit-
Direktmandaten, die sie damit erlangen kann, wäre durch das           alter müssen die Abgeordneten auch nicht immer zwingend vor
Zweitstimmenergebnis dann nicht mehr gedeckt.                         Ort sein, um persönliche Anliegen zu klären.
  Das Bundesverfassungsgericht, das sich mit dem Problem                 Ein anderer Vorschlag setzt bei den direkt gewählten Abge-
mehrfach befassen musste, erklärte die Überhangmandate in             ordneten an. Er sieht vor, nicht mehr jedes errungene Direkt-
einem 2013, kurz vor der damaligen Bundestagswahl ergange-            mandat zu vergeben. Fallen Überhangmandate an, wird eine
nen Urteil bis zu einer – auf 15 – festgelegten Grenze weiterhin      gleich hohe Zahl von Direktmandaten – diejenigen mit den
für zulässig. Die Parteien einigten sich stattdessen jedoch darauf,   bundes- oder landesweit schlechtesten Ergebnissen – gestri-
die Überhangmandate durch Zusatzmandate vollständig aus-              chen. Gegen diesen Vorschlag regen sich grundsätzliche de-
zugleichen. Im Bemühen um eine perfekte Lösung schossen sie           mokratische Bedenken. Wer gewinnt, sollte auch das Mandat
freilich über das Ziel hinaus: Die 2013 beschlossene Neuregelung      erhalten. Diejenigen, die den Vorschlag befürworten, argu-
führte dazu, dass für ein einzelnes Überhangmandat unter Um-          mentieren dagegen, dass im heutigen Sechsparteiensystem
ständen ein Vielfaches an Ausgleichsmandaten benötigt wird.           häufig bereits ein Stimmenanteil von 30 Prozent oder weniger
Der Bundestag wuchs daher bei den folgenden Wahlen über sei-          genüge, um die relative Mehrheit in einem Wahlkreis zu errin-
ne reguläre Sollgröße von 598 Abgeordneten hinaus deutlich an.        gen. Auflösen oder abmildern ließe sich das Problem, wenn die
2013 lag die Zahl der durch die Überhänge zusätzlich anfallenden      personengebundenen Mandate getrennt nach Parteien über
Mandate bereits bei 33, 2017 sogar bei 111.                           eine Liste zugeteilt würden. Das böte zugleich die Chance, zu
  Öffentlicher Druck und die Mahnungen der Bundestagsprä-              einem Einstimmensystem zurückzukehren.
sidenten Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble, diesen Zu-               Das Zweistimmensystem besteht auf der Bundesebene
stand zu korrigieren, stießen bei den Parteien auf wenig Gehör.       seit 1953. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 fielen die im
Erst im Oktober 2020, also ein knappes Jahr vor der kommenden         Wahlkreis abgegebene Personenstimme und die Parteien-
Bundestagswahl, konnten sich die Regierungsparteien Union             stimme noch zusammen. Dies hatte den Vorteil, dass sich die
und SPD auf eine Neufassung einigen, die den Namen „Reform“           Wählerinnen und Wähler über die Wichtigkeit der Stimmen
allerdings nicht ansatzweise verdient. Einerseits sind die darin      und die damit verbundene Funktionsweise des Wahlsystems
enthaltenen „Dämpfungsmaßnahmen“ ungeeignet, ein weite-               keine Gedanken machen mussten. Das Zweistimmensystem
res Anwachsen des mit 709 Abgeordneten schon jetzt übergro-           barg und birgt demgegenüber nicht nur ein Verständnis-
ßen Parlaments zu verhindern. Andererseits rückt das Gesetz           problem (dem durch eine Umbenennung der missverständ-
von einem zentralen Element des 2013 erzielten Kompromisses –         lichen Bezeichnungen „Erst- und Zweitstimme“ vergleichs-
dem vollständigen Proporz – ab, indem es künftig drei Überhang-       weise leicht abgeholfen werden könnte). Es stellt auch mit
mandate ausgleichsfrei stellt. Neben AfD und Linken verweiger-        Blick auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments
ten ihm deshalb auch Grüne und FDP die Zustimmung.                    keinen Gewinn dar – der Anreiz der Parteien, überzeugende
  Ob die Neuregelung verfassungsrechtlich Bestand haben               und zugkräftige Kandidierende in den Wahlkreisen aufzu-
wird, ist zweifelhaft. Grüne, FDP und Linke haben gegen das           stellen, wird vermindert, wenn die Wählerinnen und Wähler
Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht.            mit der wichtigeren Zweitstimme auf eine andere Partei aus-
Damit könnte auch der zweite, über das Jahr 2021 hinaus-              weichen können.
reichende Teil der Novelle in Frage gestellt werden, der eine
Absenkung der Zahl der Direktmandate auf 280 ab der Bun-
destagswahl 2025 vorsieht. Sämtliche Berechnungen zeigen,             Überhang- und Ausgleichsmandate bei
dass das bei weitem nicht ausreichen wird, um wieder in die           Bundestagswahlen seit 1990
Nähe der 598 Sitze zu kommen. Der Bundestag beschloss im
April 2021 die Einrichtung einer Reformkommission, von der             70
aber nicht klar ist, wieweit sie sich mit dem Wahlsystem an                                                                                65

sich beschäftigen wird. Als weitere Themen werden im Einset-                              Überhangmandate
                                                                       60
zungsbeschluss die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen                              Ausgleichsmandate
und Männern auf den Kandidierendenlisten, die Modernisie-
                                                                       50                                                                  46
rung der Parlamentsarbeit, die Absenkung des aktiven Wahlal-
ters auf 16 Jahre, die Dauer der Legislaturperiode, die Begrenzung
                                                                       40
der Amtszeiten des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin
und die Bündelung von Wahlterminen genannt.
  Von wissenschaftlicher Seite liegen für eine Reform des              30
                                                                                                                             24
Wahlsystems zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch. Die meisten                                                                        29

Expertinnen und Experten raten zu einer starken Reduzierung            20                 16                          16
                                                                                                     13
des Anteils der Direktmandate auf ein Drittel oder ein Viertel.
Überhangmandate könnten dann praktisch nicht mehr entste-              10      6                               5
hen, womit auch die Ausgleichsmandate entfielen. Dagegen                                                                               4
wird meistens zweierlei eingewandt: Zum einen sei dafür ein             0
kompletter Neuzuschnitt der Wahlkreise erforderlich und zum                   1990      1994       1998       2002   2005   2009   2013   2017
anderen würden die Wahlkreise erheblich vergrößert und de-
ren „Pflege“ durch die Abgeordneten damit erschwert. Beide             Bundeswahlleiter, bundeswahlleiter.de

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Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Bundestagswahl 2021

Eine weitere Reformbaustelle des Wahlsystems eröffnet die            setzt sich zusammen aus acht wahlberechtigten Mitgliedern,
Fünfprozenthürde. Im Unterschied zur kommunalen und euro-           die auf Vorschlag der Parteien ernannt werden, sowie aus zwei
päischen Ebene, wo sie von den Verfassungsgerichten gekippt         Richterinnen bzw. Richtern des Bundesverwaltungsgerichts.
wurde, bleibt die Sperrklausel in Ländern und Bund bisher weit-     Der Ausschuss entscheidet unter anderem, welche Parteien zur
hin unbestritten, obwohl sie auch hier unter Legitimations-         Wahl zugelassen werden, und überprüft die Wahlvorschläge.
druck gerät: Sie erfüllt zunehmend weniger die ihr zugedachte       Parteien, die im Bundestag oder einem Landesparlament mit
Funktion, eine übermäßige Zersplitterung des Parteiensystems        mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind, bekommen die
zu verhindern und so die Regierungs- und Koalitionsbildung zu       Zulassung automatisch. Die anderen Parteien müssen sie bis
erleichtern. Gleichzeitig nehmen ihre unerwünschten Neben-          spätestens 97 Tage vor der Wahl beantragen und die dafür vor-
wirkungen zu, weil in der sich ausdifferenzierenden Parteien-        geschriebenen Unterstützungsunterschriften hinterlegen.
landschaft immer mehr Stimmen der Hürde zum Opfer fallen.             Bundeswahlleiter und Bundeswahlausschuss arbeiten eng
Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte der Anteil der im Parla-      mit den 16 Landeswahlleitungen und den 299 Kreiswahlleitern
ment nicht repräsentierten Stimmen einen Rekordwert von 15,6        zusammen, die für die Durchführung der Wahl in den Ländern
Prozent. Mögliche Abhilfen wie die Absenkung der Hürde oder         und Wahlkreisen zuständig sind. Diese haben sich zum Bei-
die Einführung einer „Ersatzstimme“ wurden von den Parteien         spiel um die Herstellung der Stimmzettel und Briefwahlunter-
bisher nicht ernsthaft erwogen. Dasselbe gilt für die Abschaf-      lagen zu kümmern. Deren Bereitstellung bzw. Versand obliegt
fung der von der Fachwelt fast einstimmig als gleichheitswidrig     wiederum den Kommunen, die zugleich für die Ernennung der
erachteten Grundmandatsklausel (siehe S. 6).                        vor Ort – in den Wahllokalen – tätigen Wahlvorstände und de-
   Blendet man vom Wahlsystem auf das weiter gefasste Wahl-         ren Vorsitzende verantwortlich sind. Diese prüfen die Identi-
recht über, konzentrieren sich die Reformansätze auf das Wahlal-    tät der Wählerinnen und Wähler anhand der Wählerverzeich-
ter und auf die Repräsentation von Frauen. Beim Wahlalter tritt     nisse und tragen dafür Sorge, dass die formalen Vorschriften
eine Mehrheit der Parteien inzwischen dafür ein, die in einigen     bei der Stimmabgabe eingehalten werden. Nach Schließung
Ländern bereits vorgenommene Absenkung auf 16 Jahre auch für        der Wahllokale zählen sie die Stimmen aus und übermitteln
den Bund zu übernehmen. Lediglich die Unionsparteien konnten        das Ergebnis der Gemeindebehörde, die es zusammen mit den
sich zu diesem Schritt bisher nicht durchringen, der verfassungs-   Ergebnissen aus den anderen Stimmbezirken und dem Brief-
rechtlich nach einhelliger Auffassung unbedenklich wäre.             wahlergebnis an die Kreiswahlleitungen weitermeldet.
   Anders verhält es sich mit dem Versuch, eine Quotierung des        Zur Aufgabe des Bundeswahlleiters gehört auch, die Wahl
Frauenanteils in den Parlamenten verbindlich vorzuschreiben.        vor Einflussnahmen von außen zu schützen. Nach den Cyber-
Entsprechende Paritätsregelungen in den Wahlgesetzen Thü-           Attacken auf den Bundestag im Jahre 2015 könnten die Wahlre-
ringens und Brandenburgs wurden von den dortigen Landes-            chenzentren und -computer bei der anstehenden Wahl erneut
verfassungsgerichten als Verstoß gegen die Wahlgleichheit           ins Visier der vor allem in Russland vermuteten Hacker gera-
und Satzungsfreiheit der Parteien zurückgewiesen. Auch aus          ten. Die Wahlämter versuchen sich dagegen mit einer Erhö-
verfassungspolitischer Sicht scheint die Frage berechtigt, ob       hung ihrer Rechnerkapazitäten zu wappnen. Darüber hinaus
die Bemühungen um eine bessere Repräsentation von Frauen            werden Störungen des Wahlablaufs durch gezielte, über die
(und anderen, aktuell nur wenig vertretenen Bevölkerungs-           sozialen Medien verbreitete Falschinformationen (fake news)
gruppen) nicht zuerst bei den Parteien ansetzen sollten. Wo         befürchtet (siehe S. 10). Um solchen Manipulationen schnell
sich diese selbst strenge Quotenregelungen verordnet haben,         und öffentlichkeitswirksam entgegenzutreten, nutzt der Bun-
liegt der Frauenanteil in den Parlamenten bereits heute zum         deswahlleiter seinen unter @Wahlleiter_Bund eingerichteten
Teil deutlich höher als der Frauenanteil unter den Parteimit-       Twitter-Kanal. Aktuell hat der Kanal knapp 10 000 Follower.
gliedern. Gemessen daran wären die Frauen sogar überreprä-            Für die Parteien hat die Wahl ebenfalls einen langen Vorlauf.
sentiert. So kommen die drei Parteien mit Quotenregelungen          Weil die Vorschläge für die Listenkandidierenden (Landeslisten)
(SPD, Grüne und Linke) im Deutschen Bundestag zusammen-             bei den zuständigen Landeswahlleitungen und die Vorschläge
genommen auf einen Frauenanteil von 49,3 Prozent, während           für die Wahlkreiskandidierenden bei den Wahlkreisleitungen
dieser bei den Parteien ohne Quote (CDU/CSU, FDP und AfD)           spätestens 69 Tage vor der Wahl einzureichen sind, müssen die
nur bei 19,1 liegt. Daraus ergibt sich ein Gesamtfrauenanteil       ausgewählten Personen bis dahin feststehen. Die Bewerberin-
von 31,4 Prozent. In der vorangegangenen Legislaturperiode          nen bzw. Bewerber in den Wahlkreisen werden von den Kreis-
(2013 bis 2017) hatte dieser noch bei 37,3 Prozent gelegen.         verbänden häufig schon ein Jahr vor der Wahl aufgestellt. Hier
                                                                    kam es durch die Coronavirus-Pandemie in diesem Jahr fast
Der Ablauf der Wahl                                                 durchgehend zu Verzögerungen. Über die Listenkandidieren-
Für die staatlichen Stellen beginnt die Wahl mit der Festsetzung    den entscheiden die jeweiligen Landesdelegiertenversamm-
des Wahltermins. Dies ist Aufgabe des Bundespräsidenten, der        lungen später, weil sie bei deren Aufstellung berücksichtigen
dabei einer Empfehlung der Bundesregierung folgt. Der Wahl-         müssen, welche Kandidierenden in welchen Wahlkreisen be-
tag ist stets ein Sonntag. Das Grundgesetz bestimmt in Artikel      reits nominiert wurden. Organisatorisch und zeitlich aufwen-
39, dass die Wahl frühestens 46 und spätestens 48 Monate nach       diger ist die Nominierung, wenn anstelle der Delegierten die
Beginn der Wahlperiode stattzufinden hat. Die Wahlperiode wird       Mitglieder einer Partei entscheiden. 2021 machte nur die AfD
mit der ersten Zusammenkunft des neu gewählten Bundestags           von diesem Verfahren Gebrauch. Die Urwahl fand dabei pan-
spätestens am 30. Tag nach der Wahl eröffnet. Als bevorzugter        demiebedingt als Online-Abstimmung statt.
Wahlmonat hat sich der September etabliert.                           Parallel zur Aufstellung der Kandidierenden setzt die Wahl-
  Die oberste Zuständigkeit für die Vorbereitung und Durch-         kampfplanung und -vorbereitung ein. Sie erfolgt aus den Par-
führung der Wahl liegt beim Bundeswahlleiter, der vom Bun-          teizentralen heraus, die ihr Personal dafür vorübergehend
desinnenminister bestellt wird. In der Regel handelt es sich um     erheblich aufstocken. Der Wahlkampf lässt sich grob in drei
den jeweiligen Präsidenten des Statistischen Bundesamtes. Der       Phasen einteilen. Die erste Phase beginnt mit der Nominie-
Bundeswahlleiter sitzt dem Bundeswahlausschuss vor. Dieser          rung der Spitzenkandidierenden etwa acht bis zehn Monate

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Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
vor der Wahl. In dieser Phase wird das Wahlprogramm er-            So funktioniert die Bundestagswahl
 arbeitet und in den Parteigremien diskutiert. Sie endet mit
 einem Wahlparteitag, der in der Regel vier bis fünf Monate vor      1 Wahl
 der Wahl stattfindet. Auch hier kam es 2021 – zum Teil wegen
 der Pandemie, zum Teil aufgrund innerparteilicher Querelen –                                      Wahlberechtigte Bevölkerung
 zu manchen Abweichungen. Während die SPD ihren Kanzler-                                          Jeder Wähler hat zwei Stimmen.
 kandidaten Olaf Scholz schon im August 2020 ausgerufen hat-
 te, ließen sich die Unionsparteien und die Grünen mit der Kan-
 didatenkür bis April 2021, AfD, Linke und FDP sogar bis Mai 2021
 Zeit. Bei den Programmen bildeten die Union und die Linke die                                              Stimmzettel
 Schlusslichter (Juni 2021).
   In der anschließenden zweiten Phase steht die Mobilisierung         Die Erststimme          Erststimme              Zweitstimme
                                                                                                    Kandidat A             Partei A
 der eigenen Anhängerschaft im Vordergrund, die die Wahl-                   gilt den im
                                                                                                                                              Die Zweitstimme
                                                                             Wahlkreis              Kandidat B             Partei B
 kampfbotschaften der Partei in die Bevölkerung hineintragen             aufgestellten              Kandidat C             Partei C           gilt den Parteien.
 soll. Sie wird von zahlreichen Veranstaltungen und Kundge-         Direktkandidaten.               Kandidat D             Partei D
 bungen begleitet, die normalerweise überwiegend „outdoor“
 stattfinden, in diesem Jahr wegen der Pandemie aber großen-
 teils in das Netz verlagert werden müssen.
   Wahlplakate etwa sechs bis acht Wochen vor der Wahl und
 Wahlwerbespots in den letzten vier Wochen markieren die dritte,
                                                                     2 Auszählung und Berechnung
„heiße“ Phase. Um die nicht auf eine Partei festgelegten, unent-
 schlossenen Wählerinnen und Wähler zu erreichen, ziehen die
 Wettbewerber hier alle Register des traditionellen Straßen- und                     Kandidat                                             Partei
 modernen Medienwahlkampfs. Höhepunkt ist der Schlagab-
 tausch (das sogenannte Kanzlerduell) der Personen, die für die
 Kanzlerschaft kandidieren, etwa zwei Wochen vor der Wahl. Er
                                                                                                                           5%
 wird im Fernsehen übertragen und ist seit 2002 zu einem festen               A       B       C        D                          A       B     C     D
 Bestandteil der Wahlauseinandersetzung geworden. In diesem
 Jahr wird er zum ersten Mal von drei Personen bestritten.
   Für die Wählerinnen und Wähler ist die Wahl zumindest                                                                  Die Zweitstimmen der einzelnen
                                                                                                                          Parteien werden bundesweit
 formal eine bequeme Angelegenheit (siehe auch S. 12–13). So-                   Kandidat B                                addiert. Parteien mit weniger
 fern sie ordnungsgemäß gemeldet sind, wird ihnen die Wahl-                     hat die meisten Stimmen in                als 5 % aller Stimmen werden
                                                                                seinem Wahlkreis.                         nicht weiter berücksichtigt*.
 berechtigungskarte automatisch zugesandt. Die Wahllokale                       Er zieht für seine Partei
 sind für die meisten Wählerinnen und Wähler fußläufig er-                       in den Bundestag ein.                     Entsprechend der Stimmenanteile
                                                                                                                          werden die Bundestagsmandate
 reichbar. Die Wahlberechtigungskarte muss im Wahllokal vor-                                                              auf die Parteien verteilt.
 gezeigt werden. Fehlt sie, kann eine Identifizierung durch den
 Personalausweis erfolgen. Wer in einem anderen Wahllokal
 innerhalb des Wahlkreises wählen möchte, kann dafür einen
 Wahlschein beantragen. Dieser ist auch den Briefwahlunterla-
 gen beigefügt, die ab ca. sechs Wochen vor der Wahl erhältlich
 sind. Allerdings empfiehlt es sich, Wahlschein und Briefwahl-        3 Sitzverteilung
 unterlagen schon früher zu beantragen, also nicht erst nach Er-    Die Bundestagssitze werden zunächst mindestens zur Hälfte mit den
 halt der Wahlberechtigungskarte. Der Wahlbrief muss bis zur        Wahlkreisgewinnern besetzt. Die übrigen freien Plätze füllen die Parteien
 Schließung der Wahllokale in der Gemeindebehörde eintreffen.        gemäß ihrem Zweitstimmenanteil mit Kandidaten ihrer Landeslisten.
 Wer ihn nicht der Post anvertrauen will, kann ihn dort in den
 Tagen vor der Wahl persönlich abgeben.                                Bundestag regulär 598 Sitze
                                                                       aktueller Bundestag 709 Sitze
   Wenn das Ergebnis am Wahlabend feststeht, beginnt der
 Prozess der Regierungsbildung. Dieser besteht aus vier Etap-
 pen. Zunächst sondieren die Parteien, mit welchen Partnern
                                                                                                                      D
 sie eine Koalition bilden wollen oder können. Danach werden
 Koalitionsverhandlungen geführt, die in einen Koalitions-
 vertrag münden. Im Laufe der Zeit sind diese Verträge immer                                       B
                                                                                                                                      C
 umfangreicher geworden, was die Verhandlungen aufwendi-
 ger macht und in die Länge ziehen kann. Anschließend unter-
 breiten die Parteien den Koalitionsvertrag ihren Gremien zur                      + Überhangmandate                          + Ausgleichsmandate
 Zustimmung. Tritt anstelle eines Parteitagsbeschlusses ein             Wenn eine Partei mehr Wahl-                           Im Anschluss erhalten die
 Mitgliederentscheid wie in der SPD 2013 und 2017, nimmt das        kreisgewinner hat, als ihr anteilig                       anderen Parteien so viele Aus-
 ebenfalls weitere Zeit in Anspruch. Ihren Abschluss findet die       Sitze zustehen, bekommt sie die                          gleichsmandate, bis das
                                                                         zusätzlichen Sitze trotzdem.                         ursprüngliche Kräfteverhältnis
 Regierungsbildung mit der Wahl des Kanzlers/der Kanzlerin                                                                    gemäß Zweitstimmenanteil
 im Bundestag und der Ernennung der Ministerinnen und Mi-                                                                     wieder hergestellt ist.
 nister durch den Bundespräsidenten nach Vorschlag des Kanz-        *Erringt eine Partei drei Direktmandate, bekommt
 lers/der Kanzlerin. Danach werden die Mitglieder des neuen         sie Mandate gemäß ihrem Zweitstimmenanteil.
 Bundeskabinetts im Bundestag vereidigt.                            © picture-alliance/dpa-infografik 30 147; Quelle: bpb, Korte

Informationen zur politischen Bildung aktuell Nr. 37/2021                                                                                                      9
Bundestagswahl 2021 Informationen zur politischen Bildung - Bundeszentrale für politische Bildung
Bundestagswahl 2021

      Wie Politik und soziale Netzwerke auf Fake News
             vor der Bundestagswahl reagieren
     […] Nach einer Studie des Europäischen Auswärtigen Diens-               […] Spätestens wenn Abgeordnete und Parteien sich kümmern,
     tes ist kein Land in der EU so stark von Desinformation be-             stellt sich die Frage, was eigentlich die sozialen Netzwerke
     troffen wie Deutschland. Vor aller Augen rüstet sich Moskau              tun. Sie bieten schließlich den Nährboden für Desinforma-
     für den „Informationskrieg“ gegen den Westen: In Berlin wird            tionskampagnen. „Wir stehen in intensivem Austausch mit
     gerade RT Deutsch [Russia Today] aufgebaut, ein russischer              Google, Facebook und ähnlichen Unternehmen, deren Ge-
     Fernsehsender, der beim deutschen Publikum Zweifel am                   schäftsmodelle bedroht sind, wenn sie Desinformation und
     westlichen System säen soll. Im Verborgenen gehen Angreifer             Einflussnahme nicht bekämpfen“, sagt Staatssekretär Kerber
     mit Phishing-Attacken auf Politiker los, in „Hack-and-Leak“-            vom Innenministerium. [Julian] Jaursch von der Stiftung Neue
     Operationen ergaunern sie erst private Informationen und ge-            Verantwortung fordert, dass die Plattformen ihre Sicherheits-
     ben sie dann der Öffentlichkeit preis. Internetseiten werden             konzepte konsequent umsetzen. „Inzwischen haben das schon
     abgeschaltet oder Konten in sozialen Medien unbemerkt über-             viele verstanden.“
     nommen. Ganze Armeen von Trollen sind unterwegs und flu-                    Wer geschäftige Betriebsamkeit bei der Lösung des Problems
     ten das Netz mit Falschinformationen. Das ist das Gefährdungs-          sucht, wird tatsächlich bei Facebook fündig. […]
     bild, das sich schon jetzt ergibt, obwohl die Politik noch nicht           Die Bundestagswahl 2021 stehe ganz oben auf der Agenda,
     einmal in die heiße Phase des Wahlkampfs eingetreten ist. […]           sie sei Facebooks „Top Priority“, versichert Nick Clegg. Früher
        Im Bundesinnenministerium wurde 2018 in der Grundsatz-               war Clegg stellvertretender Premierminister des Vereinigten
     abteilung das Referat „Politische Ordnungsmodelle und hybri-            Königreichs und ist deshalb hinreichend gestählt in politi-
     de Bedrohungen“ geschaffen, das für das Problem zuständig ist.           schen Wahlkampfmanövern. Seit 2018 ist er Facebooks obers-
     […] Das Haus geht von einer „hohen abstrakten Bedrohungslage“           ter Politik-Stratege […]. Von einem interdisziplinären Team mit
     aus, wie es in einer Analyse heißt, die der F.A.Z. vorliegt. „Die ge-   200 Mitarbeitern berichtet Clegg, unter ihnen ehemalige Ver-
     stiegene Dynamik, eine oft unüberschaubare Anzahl zum Teil              fassungsschützer, Ermittler, Computerspezialisten. Seit dem
     widersprüchlicher Informationen, verschiedene Medien sowie              vergangenen Herbst arbeitet sich die Truppe schon durch die
     eine Vielzahl an Akteuren im Informationsraum führen zu gro-            Tiefen des Facebook-Netzwerks, um nach Bedrohungen Aus-
     ßen Herausforderungen in der Abwehr von gezielt verbreiteten            schau zu halten.
     falschen und irreführenden Informationen.“ […]                             Gesucht werden „raffinierte Feinde“, wie sie im Facebook-
        […] Im Wahljahr 2021 werde ein Schwerpunkt auf die Inte-             Jargon heißen, die die öffentliche Meinung gezielt manipu-
     grität des Wahlprozesses gelegt, versichert [der zuständige             lieren durch „koordiniertes und zugleich unauthentisches
     Staatssekretär Markus] Kerber […].[…] Im „Kampf um die Köpfe“           Verhalten“. Sie tarnen ihre Herkunft und versuchen subtil,
     setzt das Bundesinnenministerium auf „Sensibilisierung der              Halbwahrheiten und Propaganda unter das Volk zu streuen.
     Bevölkerung für Einflussnahme- und Desinformationskampa-                 Die Algorithmen werden immer besser darin, verdächtige Kon-
     gnen“ und auf eine „Ermutigung qualifizierter Fakten-Checks              ten aufzuspüren, allein im letzten Quartal 2020 hat Facebook
     durch renommierte Private“. […]                                         1,3 Milliarden Konten gesperrt, die meisten von ihnen wenige
        […] „Solange die Einflussaktivitäten anderer Staaten legal            Sekunden, nachdem sie eröffnet worden waren.
     sind, wenn auch illegitim, bleibt uns kein anderes Mittel“, fin-            Aber auch die Kriminellen lernten dazu, sagt Clegg. Sie agier-
     det Kerber, zumal Desinformation staatlichen Akteuren oft               ten nicht mehr so plump wie noch vor wenigen Jahren. Sie
     nicht klar zugerechnet werden kann. „Die Bundesregierung                verbreiteten keine offenen Lügen und verstießen auch nicht
     kann nicht die Wahrheitskommission sein.“ Der Staatssekretär            offensichtlich gegen die Hausregeln […]. Deshalb reichten
     […] will vermeiden, „dass eine antirussische oder antichinesi-          selbstlernende Systeme nicht aus, um ihnen auf die Schliche
     sche Stimmung aufkommt“. Dahinter stehen Wirtschaftsinte-               zu kommen, erfahrene Ermittler müssten ran. […] Facebook
     ressen: „Anders als zur Zeit des Kalten Kriegs ist die europäi-         will zeigen, dass es sich immerhin Mühe gibt. Das Unterneh-
     sche Wirtschaft mit China und Russland eng verflochten, eben-            men beschäftigt inzwischen mehr als 35 000 Menschen in al-
     so die Wissenschaft und Forschung“, sagt Kerber.                        ler Welt, die Falschinformationen suchen und sie mit Warnhin-
        Thomas de Maizière, Bundesinnenminister in der vergange-             weisen versehen. […]
     nen Legislaturperiode, […] sieht das Land [gegen echte Cyberan-            Doch Facebooks Betriebsamkeit sorgt nicht für Entwarnung –
     griffe] durch das Sicherheitsgesetz 2.0, das kürzlich verabschie-        zu groß ist der Argwohn gegen das Konzerngeflecht aus den
     det wurde, schon ganz gut gerüstet. Ihm fehlt noch das Recht            Plattformen Facebook, Whatsapp und Instagram. Wieder sind
     zum aktiven Gegenschlag, das sogenannte Hackback, das im                es unabhängige Stellen, die auf mögliche Gefahren hinweisen:
     Koalitionsvertrag verabredet, aber noch nicht umgesetzt wur-            Der Politikbeobachter Julian Jaursch ist besorgt, dass sich die
     de. Doch gegen Desinformationskampagnen hat auch de Mai-                Gesellschaft auf die Zusagen der Plattformen verlassen müsse,
     zière nicht den Stein der Weisen gefunden. „Entscheidend ist            weil es kaum Transparenzpflichten gibt und keinen gesetzli-
     die Aufklärung der Bevölkerung“, sagt er und sieht da vor al-           chen Rahmen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hilft nur bei
     lem das Bundespresseamt in der Pflicht.                                  strafbaren Falschnachrichten; einfache Lügen, so gefährlich sie
        Und die Sprachrohre autoritärer Regime sollen unbehelligt            auch sein können, fallen nicht darunter. […]
     ihren Informationskrieg führen? RT Deutsch bemüht sich ge-
     rade um eine Sendelizenz in Deutschland. „Natürlich könnte
     man ausländischen Sendern, die Propaganda betreiben, die Li-
                                                                             Helene Bubrowski und Corinna Budras, „Die Verführung des Wählers“, in: Frankfurter Allge-
     zenz entziehen“, sagt de Maizière, „aber das bringt überhaupt           meine Zeitung vom 14. Mai 2021 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung
     nichts, seit sie über Satellit senden.“                                 GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

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