Bürokratieabbau - eine Chance für die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen? - IHK Südlicher Oberrhein
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Bürokratieabbau – eine Chance für die deutsch- französischen Wirtschaftsbeziehungen? Auswertung der Umfrage der IHK Südlicher Oberrhein zum Thema „Arbeitseinsatz in Frankreich 2022“
2 | Einleitung Liebe Leserinnen, liebe Leser, liebe Unternehmerinnen, liebe Unternehmer, eine Arbeitnehmerentsendung nach Frankreich liegt immer dann vor, wenn ein Arbeitnehmer auf Weisung seines deutschen Arbeitge- bers vorübergehend eine Beschäftigung in Frankreich ausübt. Dabei muss die Dauer der Beschäftigung in Frankreich von vornherein bestimmt sein. Firmen, die ihre Mitarbeitenden entsenden, müssen dies vor Aufnahme der Arbeiten der örtlich zuständigen Arbeits- inspektion über das französische Internetportal SIPSI anzeigen. Eine Auswertung des SIPSI-Portals ergab, dass 2019 insgesamt mehr als 675.000 Entsendungen nach Frankreich durchgeführt wurden (ohne Speditions- bzw. Transportunternehmen). Das bedeutet, dass insgesamt rund 261.300 Mitarbeitende von ihren Unternehmen nach Frankreich geschickt wurden. Diese Arbeitnehmer waren insbesondere für Unternehmen aus dem Bereich Industrie (34 Prozent), dem Baugewerbe (34 Prozent), dem Dienstleistungssektor (20 Prozent) und der Landwirtschaft (9 Prozent) tätig. Als IHK-Schwerpunktkammer für Frankreich führte die IHK Südlicher Oberrhein in den vergangenen Jahren regelmäßig Umfragen bei Unternehmen durch, um zu erfahren, wo die Schwierigkeiten im deutsch-französischen Wirtschaftsverkehr liegen und mit welchen Maßnahmen Hindernisse abgebaut werden können. Im Jahr 2019 wurden die Unternehmen zuletzt zu ihren Frankreich-Geschäften befragt. Zahlreiche Unternehmen meldeten damals zurück, dass sie aufgrund des erhöhten zeitlichen und bürokratischen Aufwandes bei der Meldung der Entsendung von Mitarbeiten- den resigniert hätten und ihre Tätigkeiten in Frankreich reduzieren oder sogar ganz einstellen würden. Durch die vielen Rückmel- dungen hat die IHK Südlicher Oberrhein die französische Verwaltung zum Einlenken bewegt und die bereits von französischer Seite geplante Einführung einer Gebühr von 40 Euro pro Entsendung verhindert. Zudem wurde die Meldepflicht für Unternehmen, die auf eigene Rechnung in Frankreich arbeiten, abgeschafft. Über die kleinen Erleichterungen hinaus besteht dennoch weiterhin großer Handlungsbedarf, sodass die IHK Südlicher Oberrhein vom 15. Februar bis 25. März 2022 erneut eine Umfrage durchgeführt hat, um ein aktuelles Stimmungsbild über die Situation bei der Entsendung nach Frankreich einzuholen. Insgesamt haben 261 Unternehmen die Möglichkeit genutzt, ihre Probleme und Schwierigkeiten im Frankreichgeschäft darzustellen. Die Ergebnisse der Umfrage bilden die Grundlage zur Vertretung der Interessen der deutschen Betriebe gegenüber den französischen Behörden. Die IHK Südlicher Oberrhein dankt allen teilnehmenden Unternehmen und allen Akteuren, die die Durchführung der Umfrage unter- stützt haben. Mit besten Grüßen Eberhard Liebherr Dr. Dieter Salomon Präsident Hauptgeschäftsführer
| 3 Welche Unternehmen entsenden nach Frankreich? Die Mitarbeiterentsendung ist für sehr viele kleine bis mittelständische Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern (81 Prozent) rele- vant. Sie sind in den Bereichen Industrie (36 Prozent), Handwerk (28 Prozent) oder Dienstleistungen (13 Prozent) tätig. Wie viele Beschäftigte sind in Ihrem Unternehmen tätig? 9,3% 9,7% 29,7% 33,2% 18,1% 1-19 Beschäftigte 20-49 Beschäftigte 50-249 Beschäftigte 250-499 Beschäftigte 500 und mehr Warum fahren Unternehmen nach Frankreich? Die meisten deutschen Unternehmen entsenden ihre Mitarbeitenden nach Frankreich, um in und für französische Firmen Arbeiten und Reparaturen (fast 70 Prozent der Antworten, mehrere Nennungen möglich) durchzuführen, dazu gehören auch der Messebau, Bau und Dienstleistungen. Als weitere Gründe für die Mitarbeiterentsendung werden die Lieferung oder Abholung von Waren (40 Prozent) sowie Besuche bei Kund:innen bzw. Lieferant:innen genannt. Welche Tätigkeiten führen Sie in Frankreich aus? Arbeiten/Reparaturen in Frankreich 69,3% Warenlieferung nach/Warenabholung in Frankreich 40,6% Besuch von Kund:innen/Lieferant:innen in Frankreich 39,1% Passagierbeförderung von/nach Frankreich 3,4% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%
4 | Wo liegen die Herausforderungen bei den Entsende-Formalitäten? Nach wie vor sind die sprachlichen Anforderungen der Bürokratie von enormer Bedeutung für die Unternehmen. Fast 50 Prozent der Unternehmen führen an, dass die Übersetzung ins Französische der für die Entsendung benötigten Dokumente eine besondere Herausforderung darstellt (Mehrfachnennungen möglich). Auch die Bereitstellung eines französischsprachigen Vertreters stellt für 47 Prozent der Unternehmen ein Hindernis dar, dicht gefolgt von dem zeitlichen und personellen Aufwand bei der Einstellung der Daten in das französische Meldeportal (44 Prozent). Welche Formalitäten bei der Entsendung sind für Ihr Unternehmen besonders schwierig? Übersetzung deutscher Dokumente ins Französische (medizinisches 48,3% Attest, Lohn- und Stundenzettel, Arbeitsverträge) Benennung eines französischsprachigen Vertreters (Suche, Kosten) 47,5% Einstellung der Daten in SIPSI (Zeit- und Arbeitsaufwand) 44,8% Weitergabe von datenschutzrelevanten Informationen an Dritte 30,3% Suche nach den in Frankreich geltenden Arbeitsvorschriften (z. B. 26,4% 35-Stundenwoche, Genehmigung für Arbeiten an Sonn- und… Beantragung der A1-Bescheinigung (Selbständige, Grenzgänger) 25,3% Beantragung der Carte BTP im Bereich Bau (Kosten und Aufwand) 22,2% Suche nach dem geltenden französischen Tarifvertrag 19,9% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% „Der Aufwand für die Beantragung einer sogenannten Carte BTP für Baubetriebe ist sehr hoch. So ist die dazugehörige Homepage nur in französischer Sprache verfügbar. Eine rechtzeitige Beantragung bei kurzfristigen Einsätzen wie sie im Bau häufiger vorkommen, ist auf- grund der Bearbeitungsdauer nicht möglich. Jeder Mitarbeiter muss aber die Carte BTP bei jedem Einsatz mit sich führen, sonst drohen hohe Bußgelder.“ Daniel Heid, Projektleiter, Schwarzwälder Beton-Fertigteile-Werk Lahr GmbH & Co. KG, Lahr
| 5 Auf was sollte Frankreich verzichten? Die meisten deutschen Unternehmen führen Arbeiten und Reparaturen in Frankreich durch oder erbringen Dienstleistungen. Hier würde ein Verzicht auf die Meldepflichten bei kurzfristigen und kurzzeitigen Einsätzen große Auswirkungen haben, auch im Interes- se der französischen Unternehmen, die auf den Einsatz ihrer Maschinen angewiesen sind. Die Forderungen der deutschen Unternehmen sind klar: fast 90 Prozent wünschen sich die Abschaffung der Formalitäten bei kurz- zeitigen Entsendungen. Ein Verzicht der Meldepflichten bei kurzfristigen Einsätzen würde 70 Prozent der Unternehmen entlasten. Welche Änderungen würden Ihr Unternehmen am stärksten entlasten? Keine Meldepflicht bei kurzzeitigen Einsätzen 87,7% Keine Meldepflicht bei kurzfristigen Einsätzen (Dringlichkeit) 69,3% Verzicht der Übersetzung der erforderlichen Unterlagen ins 57,5% Französische Reduzierung der erforderlichen Dokumente (Gesundheitszeugnis, 55,2% etc.) Benennung eines Vertreters auf deutschem Boden 40,6% Keine Erfassung personenbezogener Daten (Datenschutz) 31,4% Carte BTP für deutsche Unternehmen mit gleicher Gültigkeit wie 14,6% für französische Unternehmen Klare Definition der Entsendung „auf eigene Rechnung“ 13,4% Keine Meldepflicht bei Entsendungen innerhalb der 13,4% Unternehmensgruppe Klare Definition der Tätigkeiten, die eine Beantragung der Carte BTP 11,1% erforderlich machen 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% „Die ERNST Gruppe hat einen Standort im Elsass, für den Mitarbeiter vom Stammsitz unterstützend tätig sind. Diese oft kurzfristigen und nicht planbaren Einsätze stellen eine hohe organisatorische Hürde für unser Unternehmen dar. Wir würden uns wünschen, dass es hier in der Grenzregion für solche Entsendungen eine unbürokratische Lösung geben würde.“ Paul Dieter Waltersbacher, Treasurer, ERNST Umformtechnik GmbH, Oberkirch
6 | Hat die Bürokratie Auswirkungen auf das Frankreich-Geschäft? 40 Prozent der an der Umfrage beteiligten Unternehmen geben an, wegen des Aufwandes ihre Frankreichaktivitäten zu reduzieren oder gar einzustellen, zumal die Zusatzkosten auf die Kunden umgelegt werden müssen. Die höheren Preise im Verhältnis zu den französischen Mitbewerbern sind jedoch ein klarer Wettbewerbsnachteil. Weitere 40 Prozent der Unternehmen geben an, dass für sie die Entsendeformalitäten beim Frankreich-Geschäft keine Rolle spielen. Der Aufwand an Bürokratie führt dazu, dass sich insbesondere kleinere Unternehmen öfter entscheiden, ihre Frankreichaktivitäten herunterzufahren oder komplett einzustellen. Dies gilt auch für Unternehmen, die nur selten Mitarbeitende nach Frankreich schicken. Hier fehlt die Routine bei den Meldungen, was zu einem höheren Bearbeitungsaufwand führt. Diese Unternehmen stellen ihre Entsen- dungen nach Frankreich häufiger ein. Auch die Branche spielt bei dieser Entscheidung eine Rolle: Unternehmen aus dem Handwerk, dem Handel oder dem Bereich Dienstleistungen ziehen es im Vergleich zu Industriebetrieben verstärkt in Betracht, Mitarbeitende nicht mehr nach Frankreich zu entsenden. Viele Betriebe nutzten mit der Umfrage die Möglichkeit, freiwillig zusätzliche Angaben zu machen und ihren Unmut über den erhöh- ten Aufwand bei den Entsendemeldungen kundzutun. Zu den genannten Auswirkungen gehört beispielsweise auch der Hinweis, nur noch Stammkunden zu bedienen und den französischen Markt nicht weiter zu bearbeiten oder nur noch Aufträge abzuwickeln, die unvermeidbar sind. „„Die Anzahl der erforderlichen Dokumente und deren fachliche Übersetzung stellen einen großen Zeit- und Kostenaufwand dar, der gerade kurzzeitige Einsätze extrem aufwändig macht. Ein Abbau der Bürokratie ist notwendig, um die Zusammenarbeit von Unternehmen über die Grenzen hinweg zu erleichtern.“ Christian Kurz, Personalleitung, Gerriets GmbH Welche Auswirkungen haben die Entsendeformalitäten auf Ihr Frankreich-Geschäft? 10,0% 30,0% 20,4% 39,6% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Wir werden unsere Frankreich-Aktivitäten einstellen. Wir reduzieren unsere Frankreich-Aktivitäten. Sonstiges. Keine.
| 7 Fazit Der bürokratische Aufwand bei Entsendungen führt nach Rückmeldung der befragten Betriebe dazu, dass viele deutsche Unter- nehmen in Betracht ziehen, ihr Frankreichengagement zu reduzieren oder gar einzustellen. Die Umsetzung würde eine dramatische Entwicklung für die deutsch-französischen Grenzregionen darstellen und zudem finanzielle Auswirkungen auf die vielen im Frank- reichgeschäft aktiven kleinen und mittelständischen Unternehmen haben. Die starken wirtschaftlichen Verflechtungen in der Grenzregion zeigen zudem, dass die Reduzierung oder die Einstellung der Frank- reichtätigkeit durch deutsche Unternehmen auch die französischen Betriebe stark treffen würde, da viele französische Unterneh- men auf Produkte und Dienstleistungen deutscher Unternehmen angewiesen sind. Gerade unter Betrachtung der aktuell schwierigen geopolitischen Lage sowie der Herausforderungen im Bereich der Lieferketten werden es sich viele Unternehmen in Zukunft nicht mehr leisten können, einen Markt so nah vor ihrer Haustüre außer Acht zu lassen. Um das Zusammenwachsen des gemeinsamen Wirtschaftsraumes zu fördern und nachhaltig zu stärken, sollten die notwen- digen politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das grenzüberschreitende Wirtschaften zu erleichtern. Aus Sicht der Unternehmen könnte die Reduzierung von bürokratischen Hürden bei der Mitarbeiterentsendung für deutliche Entlas- tung bei den deutschen Betrieben sorgen. Beispielsweise wären ein Verzicht auf die Meldepflicht bei kurzfristigen und kurzzeitigen Einsätzen sowie die Reduzierung der einzureichenden Dokumente erhebliche Erleichterungen für die entsendenden Unternehmen. Die IHK Südlicher Oberrhein appelliert an die französischen Behörden und an die politischen Akteure diesseits und jenseits des Rheins, diesen Forderungen nach konkreten Erleichterungen im Bereich der Mitarbeiterentsendung nachzukommen, um das Zusam- menwachsen der Regionen zu fördern.
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