Chronik 1919 2019 - Vom Kantonalen Jugendamt zum Amt für Jugend und Berufsberatung
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Chronik 1919 – 2019 © Hans Staub / Fotostiftung Schweiz Bürdeli-Transport um 1930 Vom Kantonalen Jugendamt zum Amt für Jugend und Berufsberatung Text: Susanne Businger, Nadja Ramsauer 47
Chronik AJB Gründungsphase des Kantonalen Jugend- amtes, 1919 bis 1945 © Hans Staub / Fotostiftung Schweiz Spazierfahrt der Kinderkrippe, 1931 «Vorsorgliche und fürsorgliche Wohl- fahrtsbestrebungen für die Jugend» 48
Um 1900 bildete sich die Vorstellung Interpretations- und Handlungsspiel «Die weitere heraus, dass Kindheit und Jugend raum eröffneten. Im Kanton Zürich Bewerbung eigenständige Lebensphasen sind, waren es die Vormundschaftsbehör eine[r] Dame deren sich die Sozialpolitik annehmen den, die Massnahmen nach Artikel ist wohl nicht muss. Die Jugendlichen wurden als 283 und 284 ZGB verfügten. Den Ent- als solche auf Quelle der gesellschaftlichen Erneue zug der elterlichen Gewalt gemäss die Stelle des rung betrachtet. Stammten sie aus der Arbeiterschicht und lebten in der Artikel 285 beantragten sie hingegen beim Bezirksrat. Dieser war zugleich Vorstehers Stadt, galten sie den ersten Sozialre Entscheid- wie auch Rechtsmittelin aufzufassen.» formerinnen und Sozialreformern stanz und amtete gar als Aufsichtsor als besonders gefährdet. Im Kanton gan über die Vormundschaftsbehörde. die Erziehungsdirektion zu einer sieb Zürich setzte sich damals Friedrich Aus rechtsstaatlicher Sicht stellte dies ten Kandidatur, sondern «vielmehr als Zollinger, kantonaler Erziehungs- keine ausreichende Gewaltentrennung Anmeldung auf Verwendung innerhalb sekretär, für die Kinder- und Jugend- dar. Nach einem Beschluss führte des Organismus des Jugendamtes». fürsorge ein. Er bereiste um 1900 häufig ein Jugendsekretär oder Amts Die Kinder- und Jugendfürsorge war Deutschland, um die dortigen Bestre- vormund das Kinderschutzmandat, zu jener Zeit noch fest in Männerhand, bungen für «verwahrloste Kinder» seltener eine Privatperson. Die Mass zumindest was die Leitung der Amts kennenzulernen. Seiner Meinung nach nahme endete in der Regel erst, wenn stellen anging. In «besonders glück- wusste man darüber in Zürich noch die Kinder volljährig waren. 1 lichem Masse vereinigt» erschienen der zu wenig. Erziehungsdirektion die Voraussetzun In den folgenden Jahrzehnten Das Kantonale Jugendamt gen bei Robert Briner, seinerzeit erlebte auch die Schweiz einen Aus als Zentralstelle und sein Sekretär des Vormundschaftswesens bau der Kinder- und Jugendfürsorge, erster Vorsteher Robert Briner der Stadt Zürich. Geboren 1885, hatte insbesondere in den Städten. 1912 Im Zusammenhang mit dem Ausbau Robert Briner an den Universitäten gründete die Schweizerische Gemein der Kinder- und Jugendfürsorge und Zürich und Berlin Recht studiert und nützige Gesellschaft die Stiftung des zivilrechtlichen Kinderschutzes ist in dieser Disziplin promoviert. Der Vor- Pro Juventute, die sich zunächst der auch die Gründung des Jugendamtes stand des Vormundschaftswesens Bekämpfung der Tuberkulose bei im Kanton Zürich zu verstehen. Der zollte Robert Briner bezüglich seiner Kindern und Jugendlichen verschrieb. Kantonsrat verabschiedete am 10. Feb- «Arbeitsfreude, seiner Initiative, seinem Nebst der Pro Juventute gab es in ruar 1919 die Verordnung. Das Kanto praktischen Geschick, seinem sozia der Schweiz rund 3 000 weitere private nale Jugendamt war als Zentralstelle len Verständnis und seiner Charakter Organisationen der Kinder- und konzipiert und vereinigte «die vorsorg eigenschaften die grösste Anerken Jugendhilfe. Deren Aktivitäten sollten lichen und fürsorglichen Wohlfahrts nung». Die Erziehungsdirektion sah die die «Mängel und Lücken der häus bestrebungen für die vorschulpflichtige, juristische Ausbildung Robert Briners lichen Erziehung» beheben und damit schulpflichtige und nachschulpflichtige als besonders geeignet an, um die die soziale Not bekämpfen, die eine Jugend». Es beaufsichtigte auch die Amtsvormundschaften und die Jugend- langfristige Folge der Industrialisierung Anstalten, Heime und die öffentlichen gerichtsbarkeit im Kanton Zürich aus war und sich in der Zeit des Ersten und privaten Hilfstätigkeiten. Die regio zubauen. Weiter hob sie hervor, dass Weltkriegs akut verschärft hatte. nal gegründeten Bezirksjugendkom Robert Briner «im besten Mannesalter Eine Möglichkeit, in Familien einzu missionen übernahmen in den Bezirken von 35 Jahren» stehe und im Militär greifen, deren Eltern aus behördlicher die gleiche Aufgabe wie die Zentral den Rang eines Hauptmanns im Ge Sicht ungenügend für ihre Kinder sorg- stelle für den ganzen Kanton. Sie setz- neralstab bekleide. Der Regierungsrat ten, bot das Schweizerische Zivil- ten sich aus verschiedenen «Bevölke- folgte dem Antrag der Erziehungs gesetzbuch (ZGB) von 1907. 1912 ein rungskreise[n], insbesondere auch der direktion und wählte Robert Briner geführt, sahen die Kinderschutzartikel Frauen» zusammen. 2 zum ersten Vorsteher des Kantonalen des ZGB abgestufte Interventionen Das Kantonale Jugendamt war der Jugendamtes. Seine Amtszeit dauerte vor. In den drei Artikeln 283, 284 und Erziehungsdirektion unterstellt. Diese von 1919 bis 1935. Danach wurde er 285 regelte das ZGB die sogenannte schlug jeweils dem Regierungsrat den als Vertreter der Demokratischen Partei Fürsorgeaufsicht, die Fremdplatzie Vorsteher des Jugendamtes zur Wahl in den Regierungsrat gewählt, in dem rung und schliesslich den Entzug der vor. Auf die erste Stellenausschreibung er zunächst der Polizei- und Militär elterlichen Gewalt. Besondere Bedeu hatten sich sechs Bewerber gemeldet. direktion, sodann zwischen 1943 und tung kam dabei den Rechtsbegriffen «Die weitere Bewerbung eine[r] Dame 1951 der Erziehungsdirektion vorstand. 3 «Gefährdung» und «Verwahrlosung» ist wohl nicht als solche auf die Stelle 1920 begann das Kantonale Jugend- zu, die den Behörden einen grossen des Vorstehers aufzufassen», meinte amt, die sogenannten Aktuariate der 49
Chronik AJB: 1919 –1945 Bezirksjugendkommissionen zu Kinder im vorschul- und schulpflichti mit einer solchen Überzeugung und Sekretariaten auszubauen. Diese gen Alter, das Jugendamt II mit der Erbitterung der ständige Vorwurf ge- Bezirksjugendsekretariate waren die vorsorglichen Hilfe zugunsten schul macht wird, er verziehe, verzärtele ausführenden Organe der Kommis entlassener Jugendlicher einschliess und verhätschele die heranwachsende sionen. 1926 wurden bereits fünf lich Berufsberatung. Das Jugendamt III Jugend, wie seitens der schweizeri Bezirksjugendsekretariate hauptamt bot fürsorgliche Hilfe zugunsten aller schen Bauernsame.» Dem wollte lich geführt. In den restlichen sechs minderjährigen Personen. Die Abteilung Briner begegnen, indem «das Gefühl Sekretariaten waren Lehrer im Neben- IIIa befasste sich mit der freiwilligen, der Mitverantwortung des ganzen amt tätig, bis auf eine Ausnahme, IIIb mit der gesetzlichen Jugendfürsor- Volkes am Schicksal leidender Mit ein Gerichtsschreiber. 4 Ebenfalls ge. Ihr waren auch die Amtsvormunde menschen planmässig» geweckt 1920 gründete der Regierungsrat zugeteilt. 6 wird, 8 und indem das Kantonale auf Antrag der Erziehungsdirektion Dem Jugendamt III stand mit der Jugendamt in der präventiven Jugend- sogenannte Jugendschutzkommis Juristin Lina Lüthy eine Frau vor und hilfe eine Vorreiterrolle einnahm. sionen, welche die Bestrebungen zur das Büro war ausschliesslich durch Weiter setzte sich Robert Briner, «Bekämpfung der Kriminalität von Frauen besetzt. Das entsprach nicht der von 1930 bis 1958 Präsident der Kindern und Jugendlichen» zu fördern dem bürgerlichen Geschlechterver Schule für Soziale Arbeit in Zürich hatten. 1927 übernahmen schliess ständnis, das für Frauen die Fallbe war, für eine stärkere Vertretung von lich die Bezirksjugendkommissionen treuung vorsah. Die Amtsleitung sollte Frauen in der Jugendhilfe ein. Die diese Aufgabe und unterstützten die Männern vorbehalten bleiben. Dem Arbeit in der öffentlichen Jugendhilfe Jugendanwaltschaft bei der «Hilfe für entsprechend abschätzig sprachen werde zurzeit «in allzu überwiegen die rechtsbrechende Jugend». 5 Diese Fürsorgeamt und Vormundschaftsbe dem Masse vom Manne geleistet», Gründungen und Umstrukturierungen hörde in den 1930er-Jahren von einer den Frauen sei erst in wenigen Städ zeigen, dass im Kanton Zürich die «Weiberwirtschaft», die im Jugendamt Jugendfürsorge von Beginn an einen III herrsche. Das Jugendamt der Stadt «Genau wie Mut- engen Bezug zur Jugendstrafrechts Zürich agierte unabhängig vom Kan ter und Vater pflege hatte und beides unter erziehe tonalen Jugendamt, stand mit diesem gemeinsam die rischen Aspekten betrachtet wurde. aber in einem engem Austausch. 7 elterliche Ge- walt ausüben, Das Jugendamt der Stadt Vorbeugende statt zivilrecht- so sollten Mann Zürich mit einer besonderen Organisationsform lich intervenierende Jugend- hilfe und Frau gleich- Die Stadt Zürich nahm schon früh eine Robert Briner verstand unter Jugend berechtigt auch pionierhafte Stellung ein. Bereits 1908 hilfe «alle Bestrebungen privaten und miteinander in richtete das Schulamt ein Kinderfür öffentlichen Charakters», die «ausser der Jugendhilfe sorgeamt ein. Dieses kümmerte sich halb von Schule und Familie dem arbeiten.» um die «körperliche und sittliche Wohl- Wohl der Jugend dienen». Er betonte fahrt von Kindern des schulpflichtigen erstaunlich früh, wie wichtig nebst ten die «Mitwirkung in den Vormund und vorschulpflichtigen Alters». Es den «fürsorgliche[n]» auch die «vor schafts-, Armen- und Schulbehörden» organisierte Schülerspeisungen, gab sorgliche[n], vorbeugende[n], pro erlaubt. Dies erachtete Briner als Kleider an bedürftige Kinder ab und phylaktische[n] Massnahmen» waren. Problem, denn «genau wie Mutter und richtete Ferienkolonien ein. Daneben Leider stehe man in der Schweiz Vater gemeinsam die elterliche Gewalt beschäftigten sich die Armenpflege, «im allgemeinen [sic] der Wohlfahrts ausüben, so sollten Mann und Frau das Waisenamt und die Amtsvormund- pflege, und hier insbesondere der gleichberechtigt auch miteinander in schaft mit Fragen des Kinderschutzes. Prophylaxis, der Vorbeugung, wenig der Jugendhilfe arbeiten». 9 Ob Robert Um einer Zersplitterung der Fürsorge einsichtsvoll, und deshalb passiv, ja Briner Frauen für leitende Positionen entgegenzuwirken, wurde im Jahr leider gelegentlich sogar feindselig» als geeignet ansah oder sie lediglich 1929 das städtische Wohlfahrtsamt gegenüber. Gründe dafür sah Briner als Fürsorgerin ihre vermeintlich weib- geschaffen. Dieses umfasste die zent im harten und entbehrungsreichen lichen Eigenschaften einbringen sollten, rale Abteilung, die Dienstabteilungen Leben, insbesondere des «Gebirglers». lässt sich nicht sagen. Deutlich wird Jugendamt und Fürsorgeamt sowie die Die daraus resultierende Gesinnung, hingegen in einem Referat von 1935, Vormundschaftsbehörde. dass «jeder […] sich selbst helfen» dass Briner mit Referenz auf Pesta- Das städtische Jugendamt gliederte soll, stand den Prinzipien der Jugend- lozz i die Familie als «Zentrum der Er- sich in drei Abteilungen. Das Jugend hilfe entgegen. «So kommt es, dass ziehung» verstand. Somit sei die amt I befasste sich mit dem Wohl der dem Sozialpolitiker vielleicht nirgends Familie mit geschlechterspezifischer 50
Rollenteilung zwischen Vater und Ferienlager Mutter auch das «Zentrum der Jugend- hilfe». Erziehung und vorsorgliche Jugendhilfe, so führte er weiter aus, sei «gar kein Unterschied, es ist dasselbe». 10 Der Einsatz für Schülerinnen und Schüler … Ein besonderes Gewicht hatten Ein richtungen für Kinder im schulpflich tigen Alter. Das Gesetz über die Leis tungen des Staates für das Volksschul- wesen und die Besoldungen der Leh- rer von 1912 verpflichtete den Kanton, fürsorgerische Einrichtungen der Schulgemeinden zu subventionieren. Unter Aufsicht des Kantonalen Jugend- amtes wurden Ferienkolonien, Ferien- und Jugendhorte geschaffen. Ziel der Horte war es, «die Jugend während der schulfreien Zeit zu beaufsichtigen und sie dem Leben auf der Strasse zu entziehen». Horte gab es 1926 aller dings erst in den städtischen Gemein- den. Weitere Aufgabenschwerpunkte bildeten die Abgabe von Nahrung und Kleidung an bedürftige Schülerinnen und Schüler, die Schulgesundheits pflege sowie die «Versorgung anor maler Schüler in Anstalten». Kinder und Jugendliche, welche dem Unter richt der Volksschule nicht folgen kon nten, wurden damals als «anormal» oder «geistesschwach» bezeichnet. Davon unterschieden wurden «schwer erziehbare» Kinder und Jugendliche, die von den Vormund Ziel der Horte betrachtet. Diese Haltung hatte auch schaftsbehörden in eigens geschaf war es, «die Robert Briner: «Die Anlage kann fenen Erziehungsanstalten unterge Jugend wäh- man leider nicht mehr ändern. Darum bracht wurden. 11 Vorgängig suchten rend der schul- ändert man die Umgebung.» 13 Fürsorgerinnen, die in den Amtsvor freien Zeit zu mundschaften tätig waren, die Fami beaufsichtigen … und die Betreuung der lien auf und inspizierten den Haushalt. Was sie vorfanden, massen sie an und sie dem vor- und nachschulpflichtigen Kinder und Jugendlichen ihren eigenen bürgerlichen Normen. Leben auf der Während die Fürsorge für Schülerin Sie unterstellten den Müttern fehlen Strasse zu ent- nen und Schüler bereits relativ gut de Hygiene und schlechte Haushalts ziehen». ausgebaut war, meinte Robert Briner führung. Das tiefe Erwerbseinkommen 1927, die vor- und nachschulpflichti der Familien aus der Arbeiterschicht Umgebung». Sie platzierten die Kinder gen Kinder und Jugendlichen seien war für sie nicht strukturbedingt, son- und Jugendlichen häufig weit weg von vernachlässigt, was im Kanton Zürich dern selbstverschuldet. 12 Die Behörden den Eltern, um deren Einfluss zu mini- «planmässig bekämpft» werden begriffen die «gefährdeten» Minder mieren. Eltern wurden in der Jugend müsse: «Es ist höchste Zeit hierfür, jährigen als «Produkt ihrer Anlage und hilfe nicht als Kooperationspartner denn jedermann weiss heute, dass 51
Chronik AJB: 1919 –1945 Berufsberatungsstelle für Mädchen der Stadt Zürich, ca. 1929 Foto: Paul Senn, FFV, KMB, Dep. GKS. © GKS. Foto: Paul Senn, FFV, KMB, Dep. GKS. © GKS. Sprechstunde im Büro einer Sozialarbeiterin, Eine Fürsorgerin auf Hausbesuch, 1930er-Jahre 1930er-Jahre 52
der Grund zum Menschen schon in Ein anderes trisch-pädagogische Untersuchung den ersten Lebensjahren gelegt wird, probates Mittel der Jugendlichen fehlte. Es ging von und ferner, dass das Rüstzeug, das für «schwer er- jährlich 300 bis 400 Jugendlichen aus, die Schule der Jugend mitgibt, zum ziehbare» oder die vor einer allfälligen Versorgung Kampf ums Leben bei weitem nicht «schwachsinni- einer Untersuchung bedürften und mehr genügt.» 14 Das Kantonale ge» Jugendliche schlug die Einrichtung von Beobach- Jugendamt verstärkte deshalb sein Engagement für Kinder im vorschul war aus Sicht tungsstationen vor. In abgeänderter Form wurde dieser Passus aufgenom pflichtigen Alter. Die Säuglings- und des Jugendam- men. Das Versorgungsgesetz sah obli- Kleinkinderpflege wurde erweitert, tes die Heim- gatorisch eine «gründliche ärztliche Mütterberatungsstellen wurden erziehung. und pädagogische Untersuchung» der gegründet und in die Kinderkrippen, betroffenen Jugendlichen vor. 17 Heime und Kindergärten investiert. Kanton Zürich» in ausserkantonale Eine solche Begutachtung, aller Ebenso ortete das Jugendamt Anstalten ein, darunter die Zwangs dings lediglich ambulant, war in der Bedarf bei Jugendlichen nach der erziehungsanstalt Aarburg. Weibliche Psychiatrischen Poliklinik für Kinder obligatorischen Schulzeit. Die Berufs «schwer erziehbare» und «verwahr und Jugendliche möglich, die sich an beratung wurde ausgebaut, aber auch loste» Jugendliche, die den Behörden der Kantonsschulstrasse 1 befand. die Jugendpflege, indem beispiels als «sittlich gefährdet» galten, wurden Die Direktionen des Gesundheitswe weise Jugendbibliotheken eingerichtet beispielsweise im stadtzürcherischen sens, der Justiz und des Erziehungs wurden. Daneben bildeten Jugendliche Mädchenasyl Heimgarten in Bülach, wesens orteten aber Bedarf bei statio- in schwierigen Lebenslagen, sogenannte im Mädchenasyl Pilgerbrunnen oder nären Beobachtungsstationen. Für «mindererwerbsfähige» und «schwer im Mädchenheim Tannenhof unter Schulpflichtige existiere zwar die Kin- erziehbare» Jugendliche, zwei weitere gebracht. 15 derstation Stephansburg, die ab 1944 Zielgruppen des Jugendamtes. Für Kantonales Kinderheim Brüschhalde Minderjährige mit einer Behinderung Das Versorgungsgesetz für hiess. Für männliche oder weibliche oder «sonstwie [sic] in ihrer Entwick «sittlich verdorbene oder ge- Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahr- lung gehemmte» Jugendliche führte fährdete» Jugendliche von en gebe es aber keine vergleichbare das Jugendamt die Arbeitsgemein 1925 Einrichtung. Die drei Direktionen schlu- schaft für Mindererwerbsfähige sowie Die Einweisung sogenannt schwer gen vor, das Landerziehungsheim den Verein Zürcher Werkstätten ein, erziehbarer Jugendlicher in Anstalten Albisbrunn als Beobachtungsheim für die Beschäftigungsprogramme durch und Heime stützte sich zumeist auf männliche Jugendliche und das führten. Artikel 284 des ZGB, der eine nicht Arbeitsheim Pfäffikon für die Begut Ein anderes probates Mittel für näher definierte «Gefährdung» oder achtung von weiblichen Jugendlichen «schwer erziehbare» oder «schwach «Verwahrlosung» voraussetzte. zu nutzen. Im November 1941 schloss sinnige» Jugendliche war aus Sicht Daneben verfügten die Behörden im der Kanton Zürich einen entsprechen- des Jugendamtes die Heimerziehung. Kanton Zürich mit dem «Gesetz über den Vertrag mit den beiden Heimen Die Stadt Zürich verfügte über ver die Versorgung von Jugendlichen, ab. Das neue, zusätzliche Angebot schiedene Heime für nachschulpflich Verwahrlosten und Gewohnheits ergänzte fortan die Untersuchungen tige Jugendliche mit körperlichen trinkern» vom 24. Mai 1925, dem in der Stephansburg. Der leitende und geistigen Beeinträchtigungen, sogenannten Versorgungsgesetz, Arzt der Stephansburg, Jakob Lutz, etwa die Anstalt Regensberg oder über einen zweiten Erlass, um «sittlich erstellte die Gutachten zusammen mit die Schenkung Dapples, Anstalt für verdorben[e] oder gefährdet[e]» dem Erziehungspersonal. 1947 baute Epileptische. Verschiedene Einrich Jugendliche, «die ihren Eltern oder der Regierungsrat die kinderpsychia tungen der Stadt Zürich waren auf Vormündern böswilligen und hart trischen Dienste im Kanton Zürich sogenannt schwer erziehbare Buben näckigen Widerstand leisten», in eine weiter aus und schuf die Stelle eines und männliche Jugendliche ausge Zwangserziehungsanstalt einzu Oberarztes an der Psychiatrischen richtet, darunter das Knabenheim weisen. 16 Robert Briner hatte sich für Poliklinik für Kinder und Jugendliche. Selnau und das Landerziehungsheim das Versorgungsgesetz stark gemacht. Während in der Stadt Zürich der Albisbrunn in Hausen am Albis. Für Im November 1919 wandte er sich im Kinder- und Jugendpsychiatrische Adoleszente stand die Kantonale Namen des Kantonalen Jugendamts Dienst der Gesundheitsdirektion unter- Arbeitserziehungsanstalt Uitikon am an die vorberatende Kommission des stand, war er andernorts den Bezirks- Albis zur Verfügung. Daneben wiesen Kantonsrates. Das Jugendamt wies jugendsekretariaten angegliedert. die Behörden «in Ermangelung einer darauf hin, dass im vorliegenden Ge- In Winterthur und im Bezirk Hinwil eigenen Zwangserziehungsanstalt im setzesentwurf die gründliche psychia wurde 1947 je eine Fürsorgerin für den 53
Chronik AJB: 1919 –1945 Rudolf und Martha Messmer Rudolf und Martha Messmer * 22 haben Spielplätze gibt es keine. Die Wohn «Das früh geheiratet und gemeinsam vier verhältnisse sind eng. Familie Mess Geschirr vom Kinder. Rudolf Messmer arbeitet in mer wohnt in zwei kleinen Zimmern. Morgenessen der Maschinenfabrik Escher Wyss. Das Ehepaar hat öfters Streit. Meis steht noch auf Er ist für das Erwerbseinkommen tens sind die ständigen Geldsorgen dem Tisch, Essensreste liegen auf zuständig, gemäss Zivilgesetzbuch oder die Wirtshausbesuche von Rudolf dem Boden. Auch die Hygiene lässt ist er das «Familienoberhaupt». 23 Messmer Anlass für die Auseinander zu wünschen übrig. Das Haar der Martha Messmer betreut die Kinder, setzungen. Die Nachbarn beäugen die Kinder ist ungekämmt, die Hemden führt den Haushalt und bessert mit Familie schon länger misstrauisch. sind schmutzig. Martha Messmer Heimarbeit das Einkommen ihres Als es «wieder einmal laut zu und her kommt ihren Hausfrauenpflichten nur Mannes auf. Sie flickt Kleider und geht», wenden sie sich in einem ano ungenügend nach. Auch der Vater wenn immer sich ihr die Möglichkeit nymen Schreiben an die Amtsvor macht keinen sehr resoluten Ein bietet, putzt sie in besseren Quartie mundschaft der Stadt Zürich, die sich druck.» Die Vormundschaftsbehörde ren Wohnungen und Amtsstuben. an der nahe gelegenen Selnaustrasse beschliesst auf Antrag der Amts Die Kinder spielen nach der Schule befindet. Diese schickt ein paar Tage vormundschaft, eine Fürsorgeaufsicht im Freien. Das gehört an der Hein später eine Fürsorgerin vorbei, um die zu errichten. Fortan besucht die Für richstrasse zum gängigen Strassen Lebensverhältnisse der Familie Mess sorgerin die Familie regelmässig und bild, ist den Sozialreformern der Stadt mer zu überprüfen. Sie betritt kurz vor erteilt der Mutter Anweisungen zur Zürich aber ein Mittag unangemeldet die kleine Woh Kindererziehung und Haushaltführung. Dorn im Auge. nung und nimmt sogleich «die unge Die angedrohte Heimplatzierung hängt machten Betten und ungelüfteten wie ein Damoklesschwert über der Zimmer» wahr, wie sie später in ihrem Familie Messmer. Bericht vermerkt: Fakt 250 Im Kanton Zürich und insbesondere in den Städten Winterthur und Zürich entstanden 225 in der Zwischenkriegszeit zahlreiche so ziale Wohnprojekte, um der Wohnungsnot 200 zu begegnen. Gleichwohl blieb der grosse Wohnungsmangel spürbar. Das Angebot 175 blieb deutlich hinter der Nachfrage zurück. Die Mieterschutzbestimmungen – in der 150 Zeit des Ersten Weltkriegs erlassen –, wurden in den 1920er-Jahren stufenweise 125 zurückgenommen und schliesslich 1926 100 ganz abgeschafft. Die Folge davon waren rasch ansteigende Mietpreise im Zeit 75 raum 1920 bis 1930, die anschliessend auf hohem Niveau stagnierten. 50 25 0 1920 1922 1924 1926 1928 1930 1932 1934 1936 1938 1940 1942 1944 CHF 2 Zimmer 3 Zimmer 4 Zimmer Mittlerer Jahresindex der Miete für alte Wohnungen (vor 1917 erbaut) in der Stadt Zürich 1920 – 1944 54
kinderpsychiatrischen Dienst ange Gesetzgebung darüber in Bund und Das Jugend- stellt. 18 Dies unterstrich die Absicht Kantonen sind in ständigem Fluss.» 19 amt, die Behör- des Kantons, den harten polizeilichen, Zu jener Zeit war bereits Robert den und private richterlichen und vormundschafts Briners Nachfolger, Emil Hauser, im Organisationen behördlichen Zugriff auf Jugendliche, Amt. Er lancierte neue Themen. So wie die Pro den das Versorgungsgesetz erlaubte, wirkte das Jugendamt beratend mit Juventute fass- durch psychiatrische Abklärungen zu ergänzen, die im Verlaufe des 20. bei der Ausarbeitung der Einführungs gesetze zum Berufsbildungsgesetz ten sich als Jahrhunderts immer mehr an Bedeu und zum Strafgesetzbuch. 1942 trat Autoritäten auf, tung gewannen. Die individualisie das Jugendamt im Jugendstrafver die gegenüber rende, medizinische Sichtweise auf fahren an die Stelle der Staatsanwalt Kindern und Jugendliche verdrängte die herkömm schaft und in mehreren Bezirken über- ihren Familien liche Sorge um den Schutz der öffent nahmen Jugendsekretäre als «Jugend- gemeinsam lichen Ordnung. anwälte» strafrechtliche Funktionen. Massnahmen Ein weiterer Schwerpunkt lag weiter durchsetzten, Gescheiterte Bemühungen um hin bei der Ausbildung der «ungelern die schon nach ein Jugendwohlfahrtsgesetz ten Jugend». Die Möglichkeiten, sich damaligen und neue Themenschwer- nach der Volksschule fortzubilden, Massstäben punkte waren gemäss Emil Hauser nach wie fragwürdig Gegen Ende der 1920er-Jahre be- mühte sich Robert Briner intensiv um vor ungenügend. Die Weiterbildung der Schulentlassenen und die Berufs waren. ein kantonales Jugendwohlfahrts beratung waren ihm wie schon Robert fahrenden Familien in der Schweiz die gesetz. Er reichte am 30. Januar 1928 Briner ein wichtiges Anliegen. 20 Kinder weg, um gegen das «Vagan beim Regierungsrat eine entsprechen Das Kantonale Jugendamt bewegte tentum» vorzugehen. Die Kinder galten de Motion ein. Das neue Gesetz würde, sich in der ersten Hälfte des 20. Jahr- gleichermassen als gefährdet wie auch so seine Argumentation, die bereits hunderts zwischen zwei gegensätzli als Gefahr für die Gesellschaft. 21 Zu geltenden Schutzbestimmungen kan chen Polen. Auf der einen Seite stand keinem Zeitpunkt hinterfragten das tonalen und eidgenössischen Rechts die Fürsorge für Jugendliche, die in Jugendamt oder die Vormundschafts systematisch zusammenfassen. Zu- prekärer ökonomischer Situation behörden im Kanton Zürich die Motive gleich sollte der Erlass die Frage «der heranwuchsen. Hier unterstützte das von Alfred Siegfried, dem Leiter des primären Verantwortung gegenüber Jugendamt und nahm schon früh den «Hilfswerks». Die Vormundschaften, der gefährdeten Jugend» lösen. Es sei Grundsatz der Prävention vorweg. Auf die er beantragte, ordneten die Behör- nicht gut, dass sich ganz unterschied der anderen Seite spielte der Schutz den an. liche Behörden und Gerichte der der öffentlichen Ordnung eine wichtige Jugendlichen annahmen. Desiderate Rolle, was sich etwa im Engagement einer modernen Jugendhilfe waren für von Robert Briner für das Versorgungs- Briner der Schutz der schulpflichtigen gesetz zeigte. Das Jugendamt befür Jugend vor ausbeuterischer Erwerbs wortete, dass Vormundschaftsbehörde tätigkeit, vor «niedriger Schundliteratur» und Jugendanwaltschaft im Verbund und schlechten Filmen und schliesslich mit den medizinisch-psychiatrischen vor Alkohol- und Nikotinkonsum. Der Sachverständigen hart gegenüber Regierungsrat erklärte die Motion Jugendlichen durchgriffen, denen sie zunächst für erheblich, nur um 1948 «Gefährdung», «Verwahrlosung» und eine Kehrtwende zu machen: «Ein Widerstand gegen die Generation der Gesetz über die gesamte Jugendhilfe Eltern unterstellten. Das Jugendamt, zu erlassen, welches die bisherigen die Behörden und private Organisatio- Bestimmungen zusammenfassen und nen wie die Pro Juventute fassten sich neue hinzufügen würde, ist formell als Autoritäten auf, die gegenüber unmöglich, weil es sich um ein weit Kindern und ihren Familien gemeinsam schichtiges Gebiet handelt, über das Massnahmen durchsetzten, die schon nicht nur der Kanton, sondern auch nach damaligen Massstäben fragwür der Bund zu legiferieren hat. Eine sol dig waren. Besonders deutlich zeigt che ‹Kodifikation› wäre aber auch sich dies im Falle des «Hilfswerks nicht zeitgemäss. Die Lebensverhält für die Kinder der Landstrasse». Das nisse der Jugendlichen und die «Hilfswerk» der Pro Juventute nahm 55
Chronik AJB Neue Methoden prägen die Arbeit des Jugendamtes in den 1 950er- und 1 960er- Jahren © Anita Niesz / Fotostiftung Schweiz Kinder spielen im Hinterhof, Zürich, 1951 56
In der Schweiz setzte nach dem Ende Die Mutter war Frauen aus dem gutsituierten Bürger des Zweiten Weltkriegs ein beispiel Hausfrau tum, die seit den 1910er-Jahren in den loser Wirtschaftsaufschwung ein. und erzog die Amtsvormundschaften und Bezirks Konsum- und Gebrauchsgüter wie Kinder, der jugendsekretariaten als sogenannte Fernseher, Kühlschränke oder Autos Vater garantier- Gehilfinnen tätig waren. Ab den 1950er- wurden für immer mehr Menschen te das Erwerbs- Jahren wandelte sich das Berufsbild. erschwinglich. Die Hochkonjunktur brachte Arbeitsplatzsicherheit mit einkommen. Sie waren nun Fürsorgerinnen, die nicht mehr nur zudienten, sondern eigene sich und ungeliebte Tätigkeiten, etwa Aufgabenbereiche hatten. Die geringe im Baugewerbe oder in der Industrie, Eltern erwerbstätig waren, entsprachen Bezahlung und die geschlechtsspezi übernahmen oftmals Migrantinnen nicht den bürgerlichen Vorstellungen fischen Vorstellungen blieben aber und Migranten. Dieser tiefgreifende und sahen sich häufig mit einer Kinder- gleich: «Auf den meisten Amtsvor Transformationsprozess wirkte sich schutzmassnahme konfrontiert. Nicht mundschaften [werden] Kleinkinder, auch auf die Kinder- und Jugendfür selten waren die Wohnverhältnisse evtl. auch noch Schulkinder, weibliche sorge aus: «Sowohl beim Fürsorgeamt trotz Wirtschaftsaufschwung selbst in Jugendliche und Erwachsene gröss als auch bei den Jugendämtern und der Stadt Zürich weiterhin prekär. tenteils von der Fürsorgerin betreut.» der Vormundschaftsbehörde gingen So lebte beispielsweise eine vierköpfige Der Amtsvormund hingegen «befasst die Aufträge zurück. Dies dürfte dem Familie in einem einzigen Zimmer. 25 sich oft nur mit den grösseren Buben immer noch guten Beschäftigungs Auch Einelternfamilien, zumeist ledigen und männlichen Erwachsenen». Andere grad zuzuschreiben sein.» Weniger oder geschiedenen Müttern, unterstell- Amtsvormundschaften unterschieden Armut als früher bedeutete tiefere Fall ten die Behörden, nicht ausreichend wiederum nach der Komplexität der zahlen. Gleichzeitig änderten sich die für ihre Kinder zu sorgen. Uneheliche Fälle. Während die Fürsorgerin «regel Bedingungen für die Interventionen. Kinder erhielten gemäss Zivilgesetz mässigen Kontakt» zu den Betroffenen Die Fürsorgerinnen waren es sich bis buch von 1907 direkt nach der Geburt hatte, trat der Amtsvormund «nur bei dahin gewohnt, anlässlich von soge einen Beistand und wurden oft getrennt Schwierigkeiten» in Erscheinen. 26 nannten Hausbesuchen die Familien von der Mutter in einem Kinderheim Fürsorgerinnen waren an der Basis zu kontrollieren und dabei jeweils auch untergebracht. Erst das revidierte ZGB des Geschehens. Daher erstaunt es noch die Nachbarschaft zu befragen. von 1976, das 1978 in Kraft trat, stellte nicht, dass junge Vertreterinnen der Diese «Erhebungen [gestalten sich] uneheliche den ehelichen Kindern sozialen Frauenschulen die ersten immer schwieriger. Wegen der hohen gleich. Der Blick auf die sozialen Pro waren, die neue Wege gehen wollten Mietzinse oder um den Wunsch nach bleme von Familien war wertend. Die und sich selbst als professionelle einem höhern Lebensstandard zu be Behörden beurteilten nicht die Lebens- Sozialarbeiterinnen verstanden. In den friedigen, gehen immer mehr Frauen umstände, sondern unterstellten fehlen USA hatten sie die Methode des einem Erwerbe nach. Dadurch fehlt in de Erziehungsmoral. Die daraus resul Case-Work kennengelernt. Der Hilfe den Häusern der Kontakt unter den tierende «Gefährdung» oder «Verwahr plan wurde im Case-Work gemeinsam Bewohnern, und es finden sich immer losung» der Kinder, so der damalige mit den Betroffenen entwickelt und die weniger Auskunftsgeber, die aus gesetzliche Wortlaut, führte oftmals zu Zusammenarbeit basierte auf Respekt führliche und zuverlässige Angaben einer Unterbringung in einem Heim oder für die Privatsphäre. Hausbesuche machen können.» 24 Problematisiert in einer Pflegefamilie. sollten nur nach vorheriger Anmeldung wurde die Erwerbstätigkeit der Frauen, erfolgen. Diese neue, wissenschaft die nun als Auskunftspersonen fehlten. Wandel im Professionsver- liche Methode stand dem paternalisti Dass die Befragung der Nachbarschaft ständnis und neue schen Fürsorgeverständnis der Vor auch deshalb fragwürdig war, weil da- Einzelfallhilfe mundschaftsbehörden, die sich als mit sehr stark in die Persönlichkeits Das bürgerliche Leitbild prägte nicht Autoritäten verstanden, diametral rechte der Betroffenen eingegriffen nur den Blick auf armutsbetroffene gegenüber. Die Behördenmitglieder wurde, war hingegen noch kein Thema. Familien, sondern auch das Profes und Amtsvormunde waren weiterhin Nicht nur die Fürsorgerinnen, son- sionsverständnis der Fürsorgerinnen. der Meinung, dass das weibliche dern auch die Vormundschaftsbehör Das Konzept der «sozialen Mütterlich Wesen der Fürsorgerin vollends aus den und Amtsvormundschaften gingen keit» basierte auf der Annahme, dass reichte, um den «in einem Haus herr von einem traditionellen Geschlechter- Frauen ihre vermeintlich weiblichen schenden Geist» intuitiv zu erfassen. 27 und Familienmodell aus: Die Mutter war Eigenschaften wie Einfühlsamkeit, Es gab aber Ausnahmen. Die Metho- Hausfrau und erzog die Kinder, der Liebe und Geduld besonders gewinn de des Case-Work fand in einzelnen Vater garantierte das Erwerbseinkom bringend in die Kinderfürsorge ein Bezirksjugendsekretariaten schon früh men. Arme Familien, bei denen beide bringen können. Zunächst waren es Beachtung. Eugen von der Crone 57
Chronik AJB: 1950 –1965 amtete in Pfäffikon als Jugendsekretär schutz reichte aber nicht aus, um alle In den 1950er- und gleichzeitig als Amtsvormund, anfallenden Aufgaben für Kinder und Jahren ergriffen Berufsberater für männliche Jugend Jugendliche zu bewältigen. Ein perso junge Männer liche sowie als Sekretär der Pro Juven neller Ausbau der Jugendsekretariate häufig Berufe tute und der Winterhilfe. Die neue war notwendig. Die Mitarbeiterinnen im Baugewerbe, Methode hatte er 1950 am Internatio und Mitarbeiter beklagten nämlich während bei nalen Kongress für Soziale Arbeit in Paris kennengelernt: «Das Case-Work auch in den 1960er-Jahren die «viel zu hohe Fallbelastung». Prophylaktische weiblichen fordert ein besonders sorgfältiges Aufgaben wie «Elternbildung, Pflege Jugendlichen Eingehen auf die Persönlichkeit jedes kinderwesen, Freizeitgestaltung, die Berufe «der einzelnen Menschen und benötigt Verhütung von Süchten usw.» kämen Coiffeuse und daher sehr viel Zeit, die uns leider zu kurz. 29 Die mittlere Fallbelastung der Tapezier nicht immer zur Verfügung steht. Es wurde schliesslich 1969 auf 120 Fälle näherin» begehrt ist auf jeden Fall wertvoll für uns, eine pro Fürsorgerin oder Fürsorger und waren. solche Arbeitsweise zu studieren und Jahr gesenkt. daraus zu entnehmen und anzuwen Berufsbildung von 1963 und das da- den, was unseren Verhältnissen ange Ausbau der Berufsberatung rauf aufbauende kantonale Berufs passt ist.» Eugen von der Crone woll Bereits in den 1920er-Jahren war die bildungsgesetz von 1969. Die neuen te die neuen Ideen in die bestehenden Berufsberatung durch den damaligen rechtlichen Grundlagen brachten dank Arbeitsweisen integrieren. Ebenfalls Vorsteher des Kantonalen Jugend der Bundessubventionen beträcht aussergewöhnlich war, dass er bereits amts, Robert Briner, gefördert und liche finanzielle Mittel. Der Bedarf an 1950 die freiwillige Fürsorge als das nach Geschlechtern getrennt organi Berufsberaterinnen und Berufsberatern «eigentliche Kerngebiet unserer Arbeit» siert worden. Die stark expandierende nahm auch wegen der 1960 einge verstand. Er setzte auf Beratungsan Berufsberatung der weiblichen führten Invalidenversicherung zu, die gebote für Familien und gründete Jugendlichen unterstützte auch die Minderjährigen mit einer Behinderung Mütterschulen. Dies sporne den «Hilfs- Frauenzentrale. Während männliche Unterstützung im Berufsfindungs- und bedürftigen» an, was wiederum «die Jugendliche Berufe wie Müller, Sattler Integrationsprozess zusicherte. 32 Fürsorge so bald als möglich über oder Schreiner erlernen sollten, waren flüssig» mache. Dadurch liessen sich für die Schulabgängerinnen Glätterin, Heimerziehung mit lückenhaf- seiner Meinung nach Ressourcen Stickerin, Köchin oder Dienstmädchen ter Aufsicht und strukturellen sparen. Die gesetzlichen Kinderschutz- vorgesehen. In den 1950er-Jahren Schwierigkeiten massnahmen des ZGB wollte Eugen ergriffen junge Männer häufig Berufe Deutlich begrenzter waren die Mög- von der Crone nur dann anwenden, im Baugewerbe, während bei weib lichkeiten von Jugendlichen, die im wenn die Beratung keine Besserung lichen Jugendlichen die Berufe «der Heim aufwuchsen. Junge Frauen brachte. Wenn immer möglich, war Coiffeuse und der Tapeziernäherin» absolvierten häufig nur eine Anlehre aber darauf zu verzichten. Dass die begehrt waren. Beiden Geschlechtern oder übten eine Erwerbstätigkeit ohne Familienberatung gegenüber den war gemeinsam, dass das Interesse Ausbildung in prekären Berufsfeldern gesetzlichen Massnahmen an Bedeu an einer kaufmännischen Ausbildung wie Verkauf, Hauswirtschaft oder tung gewann, war eine Entwicklung, ab den 1950er-Jahren stark zugenom Gastgewerbe aus. Junge Männer die sich später auch in anderen men hatte. 30 Der immer wieder neu waren in der Regel besser ausgebildet Bezirksjugendsekretariaten des Kan aufgelegte «Wegweiser zur Berufs und die Amtsvormunde bemühten tons Zürich abzeichnete. 28 wahl für Knaben und Mädchen» war sich um Stipendien. Aber auch hier Das neue Jugendhilfegesetz, das am bürgerlichen Geschlechtermodell existierte eine deutliche schichtspezi am 1. Januar 1958 in Kraft trat, orientiert. Eine berufliche Wahlfreiheit fische Grenze. Eine kaufmännische schenkte der präventiven Jugendhilfe bestand damit nur begrenzt. Ausbildung oder gar der Besuch eines ebenfalls mehr Beachtung. Da die Seit seiner Gründung koordinierte Gymnasiums erwogen die Amtsvor Bezirksjugendsekretariate immer mehr das Kantonale Jugendamt die Berufs munde zumeist nicht. Ziel der Heim- Aufgaben übernommen hatten, war beratung. Ab den 1950er-Jahren pro platzierung war es, die Jugendlichen eine gesetzliche Grundlage unabding fessionalisierte sich das Angebot. für den Arbeitsmarkt «tüchtig» zu bar geworden. Das Jugendhilfegesetz Die Bezirksjugendsekretariate stellten machen, allerdings innerhalb ihrer entlastete die Jugendsekretäre von ausgebildete und vollamtlich tätige sozialen Schicht. 33 den vormundschaftlichen Aufgaben für Berufsberaterinnen und Berufsberater Genauso wie die Amtsvormunde Erwachsene. Diese Abkoppelung des ein. 31 Ermöglicht wurde dieser Aus hatte auch das Heimpersonal einen Erwachsenenschutzes vom Kindes- bau durch das Bundesgesetz über die grossen Ermessensspielraum. 58
Mütterberatungsstelle in Winterthur Sozialarbeiterinnen besprechen ein Dossier. Fotografie ausgestellt an der SAFFA 1958 59
Chronik AJB: 1950 –1965 Anna Meierhans Anna Meierhans* lebt mit ihren zwei unzureichend aufgeklärt. Der junge der Kontakt unterbunden wird. «Ruth jüngeren Geschwistern und ihren Mann will die Vaterrolle nicht über ist jeweils nach dem Besuch der Eltern auf dem Land in Rüti. nehmen, schon bald kommt es zur Kindsmutter verstört und braucht Sie absolviert die Haushaltsschule Trennung. Auch von ihren Eltern, die Ruhe, um in der neuen Situation an- und muss der Mutter bei der Haus Angst haben vor dem Gerede im zukommen», heisst es in den Unter arbeit helfen. Ihr Weg scheint vor Dorf, erhält Anna Meierhans nur lagen der Vormundschaftsbehörde. gezeichnet; sie wird auf einem wenig Unterstützung. Kurz nach der Anna Meierhans tritt im Kanton Bauernhof oder in einer der Fabriken Geburt gibt die junge Frau ihr Kind St. Gallen eine Stelle als Haushalts im Zürcher Oberland arbeiten. Anna zur Adoption frei. Der Beistand, den hilfe an und heiratet ein paar Jahre Meierhans träumt aber das Kind von der Vormundschafts später. Ruth weiss lange nicht, wer von einer Heirat und behörde erhalten hat, drängt sie zu ihre leibliche Mutter ist. Erst Ende der einem Leben in der diesem Schritt, denn sie könne allei 1970er-Jahre, als sie erwachsen ist Stadt Zürich. Sie will ne nicht für die kleine Ruth sorgen. und schon selbst eine Familie hat, dem engen Elternhaus Zudem brauche das Kind eine Mutter beginnt sie zu recherchieren. Es ist entfliehen. Mit neun und einen Vater, so seine Argumente. zu dieser Zeit kaum mehr denkbar, zehn Jahren lernt sie Anna Meierhans hat zu diesem Zeit dass eine Mutter ihr Kind zur Adop auf der Chilbi einen punkt keine feste Stelle. Ohne Aus tion freigibt, nur weil sie arm und jungen Mann kennen. weg unterschreibt sie die Unterlagen ledig ist. Ein Jahr später wird zur Adoptionsfreigabe. Zu Beginn Anna Meierhans besucht sie ihre Tochter Ruth regel schwanger. Sie ist scho mässig immer am letzten Sonntag ckiert, bezüglich Ver des Monats. Schon bald aber wün hütung war sie nur schen sich die Adoptiveltern, dass Fakt Das Schweizerische Zivilge Recht zur Anfechtung. Ab 1 200 setzbuch, am 1. Januar 1912 den 1950er-Jahren ist in der eingeführt, vereinheitlichte das Schweiz ein leichter Anstieg 1 000 bislang kantonal geregelte der ausserehelichen Geburten «aussereheliche Kindesverhält feststellbar, was gemäss der nis». Die unverheiratete Mutter Vormundschaftsbehörde Zürich 800 konnte neu eine Alimentenkla mit den ausländischen ledigen ge einreichen. Dieser Einspruch Arbeiterinnen zusammenhing, 600 stellte eine reine Geldforderung die «schon im schwangeren dar. Im juristischen Sinne war Zustand» anreisten. 37 Erst mit 400 damit keine Anerkennung des der Revision des Zivilgesetz Verwandtschaftsverhältnisses buches von 1976 wurden die zwischen Vater und Kind unehelichen den ehelichen 200 verbunden. Nur wenn ein so- Kindern gleichgestellt. Dass genanntes formloses Ehever ledige Mütter zu diesem Zeit 0 sprechen vorlag, konnte eine punkt weniger stigmatisiert 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 Klage auf Standesfolge in waren als früher, zeigt sich der väterlichen Linie einreicht auch daran, dass die Zahlen werden. Wurde der ledigen der Inlandadoptionen stark Aussereheliche Geburten in Zürich (1950 – 1965) Mutter hingegen ein «unzüchti zurückgingen zugunsten von ger Lebenswandel» unterstellt, Adoptionen aus den Ländern verloren sie und ihr Kind jedes der sogenannten Dritten Welt. 60
Junge Frauen Heimeinweisungen damit, dass junge können. Das neue Sekretariat 8, das absolvierten Frauen «sexuell gefährdet» seien, für sogenannte Sonderfälle zustän häufig nur eine während ihnen die jungen Männer als dig war, hatte bald den Übernamen Anlehre oder «arbeitsscheu» galten. «Halbstarkensekretariat». In Einzel übten eine gesprächen versuchten die Mitarbei Erwerbstätigkeit Jugendkulturen werden terinnen und Mitarbeiter des städti ohne Ausbildung öffentlich sichtbar: das «Halbstarkenproblem» schen Jugendamtes, das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen und in prekären Gegen Ende der 1950er-Jahre rückten diese für eine Freizeitbeschäftigung Berufsfeldern die sogenannten Halbstarken in den zu begeistern, die aus ihrer Sicht wie Verkauf, Fokus des Jugendamtes der Stadt sinnvoll war. 36 Das Jugendamt sah Hauswirtschaft Zürich: «In letzter Zeit mehren sich die nicht nur die Fürsorge, Beratung und oder Gast- Fälle, da Eltern oder Arbeitgeber über Berufsbildung als seine Aufgabe an, gewerbe aus. ihre schulentlassenen Kinder und sondern versuchte auch, die Jugend Arbeitnehmer Klage führen und dabei kultur in gesellschaftlich gebilligte Hausordnungen und Reglemente mit nicht selten das undisziplinierte Ver Bahnen zu lenken. Vorschriften waren zwar vorhanden. halten der betroffenen Jugendlichen Die pädagogische Ausrichtung und als ‹halbstark› bezeichnen. Zürich kennt der Alltag hing aber von der jeweiligen allerdings kein ‹Halbstarkenproblem› Heimleitung ab. Missstände wie harte wie ausländische Städte. Dennoch Arbeit, wenig Privatsphäre, Gewalt muss festgestellt werden, dass bei ausübung, Isolation und übermässige verwahrlosten Jugendlichen die genau Strafen wurden aufgrund der lücken gleichen Symptome wie beim ‹klassi haften Aufsicht nur selten beanstandet. schen Halbstarken› feststellbar sind.» Das Gesetz über die Jugendheime Es blieb dem Jugendamt nicht un- und Pflegekinderfürsorge von 1962 bemerkt, dass sich Jugendliche im brachte diesbezüglich nicht viel Neues. Kanton Zürich gegen die rigiden Moral- Die Heime waren weiterhin lediglich vorstellungen der Elterngeneration meldepflichtig und die Aufsicht war aufzulehnen begannen und nach nicht professionalisiert. Eine kantonale eigenen kulturellen Ausdrucksformen Heimaufsicht wurde, vermutlich aus suchten. Sie trugen Jeans, frisierten finanziellen Überlegungen und wegen sich wie Elvis oder toupierten sich die föderaler Bedenken, nicht geschaffen. Haare, hörten Rock’n’Roll, besuch- Erstmals geregelt wurden hingegen ten Kinos und trafen sich in Cafés. die staatlichen Beiträge an die Heime. 34 Der «Schwarze Ring» war ein berühmt- Die Heime hatten mit strukturellen berüchtigter Treffpunkt in der Stadt Problemen zu kämpfen. Geeignetes Zürich. Dass Halbstarke ihren Lebens Personal zu finden, gestaltete sich stil im öffentlichen Raum artikulierten, schwierig, und ein häufiger Wechsel missbilligten diejenigen, die sich als war die Folge. Die Anforderungen fleissige Bürger des Mittelstandes de waren hoch: «Es bedarf besonderer finierten und kopfschüttelnd an ihnen Fähigkeiten, viel guten Willens und vorbeigingen. grosser Geduld im Umgang mit Kin Das Jugendamt der Stadt Zürich dern, um in einem Heim jenes ruhige schuf 1962 zwei zusätzliche Sekre und glückliche Milieu zu schaffen, das tariate, um den neu aufgetretenen für die gedeihliche Entwicklung der Jugendproblemen begegnen zu Kinder unerlässlich ist.» Die Stadt Zürich teilte die Heime organisatorisch «Zürich kennt auf. Das Jugendamt I führte die städ allerdings kein tischen Kinder- und Jugendheime, ‹Halbstarken- während das Jugendamt IV für die problem› wie Heime «sittlich gefährdeter Zöglinge» ausländische zuständig war. 35 Die Vormundschafts Städte.» behörden begründeten damals 61
Chronik AJB In den 1970er-Jahren: Bern, Bundesplatz: Jugendliche protes- tieren für die Frauen- rechte, 1968 Sozialpädagogische Arbeit mit «gleichgültigen», «ver wahrlosten» und «aggressiven» Jugendlichen 62
Die Auflehnung der Jugendlichen sehr bald mit sogenannten ‹heissen Die von Otto gegen das Establishment kulminierte Eisen› konfrontiert, wie etwa: Kann Siegfried 1968 in einer europaweiten Bewe dem Wunsche eines sechzehnjährigen aufgeworfene gung. Im Kanton Zürich hatte dieser Mädchens nach regelmässiger Abga Frage, ob Aufbruch weitreichende Folgen für be der Pille stattgegeben werden; ist Jugendlichen die Geschlechterrollen, die Familien dem gleichalterigen Jugendlichen zu leerstehende modelle, das Generationenverhältnis, den Umgang mit Sexualität und die gestatten, das Elternhaus zu verlas sen, um in einem Zimmer oder in einer Häuser zur Präsenz von Jugendlichen im öffent Kommune zu leben; soll die Stadt Verfügung lichen Raum. Neue Gruppierungen Jugendbands, die sich grösstenteils gestellt werden entstanden, etwa die Rocker, die aus Jugendlichen rekrutieren, die sollten, schwere Motorräder fuhren und sich keiner geregelten Arbeit nachgehen, beschäftigte in einschlägigen Lokalen im Zürcher Abbruchhäuser zur Verfügung stellen, das städtische Niederdorf oder an der Langstrasse in denen sie wohnen können?» Jugendamt trafen. Das Jugendamt der Stadt Zü Der Sozialarbeiter sah sich laut in den späten rich verortete ein neuartiges Problem: Siegfried gezwungen, entweder als 1960er-Jahren «Sozialarbeiter und Jugendfürsorger Vertreter des «verpönten Establish stark. haben sich heute mit vielfältigen ments» aufzutreten oder er «gerät neuen Erscheinungsformen der man mit den Eltern und den Vertretern der Rockern den Helvetiabunker zur Ver gelnden Geborgenheit der Jugend Ordnungskräfte» in Konflikt. Trotz fügung. Beide Zentren wurden jedoch zu befassen, die einen viel differen dem sprach sich Siegfried gegen den 1971 bereits wieder geschlossen, da zierteren Einsatz als früher erfordern. «goldenen Mittelweg» aus. Vielmehr aus behördlicher Sicht neue soziale Beschäftigten sie vor Jahren die Exis hatten Sozialarbeitende seiner Mei Probleme, besonders Drogenkonsum, tenzialisten und dann die Halbstarken nung nach die Jugendlichen einge aufgetreten waren. 40 Während die in besonderem Masse, sind es heute hend zu studieren. Sie begleiteten die Bilanz zum Aufbau von autonomen die Beatniks, die Hippies, die Rocker «progressiven Pläne» bei jenen, die Jugendzentren Anfang der 1970er- usw. Das Verhalten dieser Jugend «gesund und reif» waren, während Jahre eher ernüchternd ausfiel, initiier lichen erstreckt sich im allgemeinen sie bei anderen konventionelle Wege te das städtische Jugendamt eine [sic] von der totalen Gleichgültigkeit beschritten. 39 Die Einzelfallhilfe bot Beratungsstelle an der Sihlamtstrasse. und Verwahrlosung bis zur irritierten sich aus seiner Sicht in besonderem Das Jugendhilfegesetz von 1957 bot [sic] Aggressivität.» 38 Masse für die Sozialpädagogik und die Grundlage für diese vorbeugende Otto Siegfried, Dienstchef des die soziokulturelle Animation an. Jugendhilfe, die vor allem mit dem Jugendamts III, sah die Sozialarbei Die von Otto Siegfried aufgewor Ausbau von freiwilligen Beratungsan tenden in einer schwierigen Rolle, ein fene Frage, ob Jugendlichen leerste geboten erreicht werden sollte. Neu geklemmt zwischen den Jugendlichen hende Häuser zur Verfügung gestellt war, dass die Sozialarbeiter Gassen und den Ordnungskräften. In seiner werden sollten, beschäftigte das arbeit leisteten und die Jugendlichen Reflexion kommt zum Ausdruck, wie städtische Jugendamt in den späten direkt vor Ort aufsuchten. 41 Die aufsu stark der gesellschaftliche Werte- 1960er-Jahren stark. Jugendliche chende Jugendarbeit entwickelte sich wandel die zuständigen Ämter verun- forderten, dass sie das freiwerdende fortan im ganzen Kanton Zürich zu sicherte: «Welches ist aber die Stel Globus-Provisorium als autonomes einem neuen Feld der sozialen Arbeit. lung eines Sozialarbeiters, der in den Jugendhaus nutzen konnten. Die Diensten eines öffentlichen Gemein «Globus-Krawalle» veranlassten Von der Mütterberatung zur wesens steht, in dieser Umbruchs den Stadtrat, eine verwaltungsinter Elternbildung zeit? Soll er als Avantgardist mit den ne Kommission zur Abklärung der Seit seiner Gründung war das Kan Neuerern auf die Barrikaden steigen? «Jugendlichenprobleme» einzusetzen, tonale Jugendamt im Bereich der Soll er das ‹gut bewährte Alte› à tout während eine zweite, externe Kom frühkindlichen Bildung aktiv. Es baute prix zu konservieren trachten? Darüber mission die Jugendunruhen unter Spielplätze und eröffnete Mütterbera schweigen sich leider die Ausbildungs- suchte. Otto Siegfried präsidierte die tungsstellen, die später in Mütter- und stätten unserer Sozialarbeiter völlig interne Jugendkommission und nahm Väterberatung umbenannt wurden. aus. Die jungen Absolventen dieser als Vertreter der Stadt Zürich auch Ein Problem, das die Industrialisierung Schulen erhalten eine sehr gute Schu in der externen Kommission Einsitz. mit sich gebracht hatte, war die Säug- lung in Methodik der Einzelfallhilfe, 1970 stellte die Stadt den Jugend lingssterblichkeit. Bereits 1913 hatte die der Gruppen- und Gemeinwesen lichen den Lindenhofbunker als auto- Pro Juventute in Zürich die ersten drei arbeit. In der Praxis werden sie aber nomes Jugendzentrum und den Mütterberatungsstellen eingerichtet. 6363
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