"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020

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"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
Wuppertal Institut & transzent - Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit

„Wer hat und wodurch wurde
das Mirker Quartier entwickelt?“
Edition 2020
Eine partizipative Konstellationsanalyse
am Beispiel eines Wuppertaler Stadtquartiers
Matthias Wanner

Unter Mitarbeit von:
David J. Becher, Dieter Bieler-Giesen, Erol Çelik, Christian Hampe,
Joachim Heiß, Jana Ihle, Klaus Lüdemann, Ulla Pomian,
Christine Riesner, Gaby Schulten und Thomas Weyland
"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
Abkürzungsverzeichnis

/dev/tal - Hacker-/Makerspace                   IHP – Integriertes Handlungsprogramm
AFW - Alte Feuerwache                           GMW – Gebäudemanagement Wuppertal (städtisch)
AK Nordstadt – Arbeitskreis Nordstadt -         Kita – Kindertagesstätte/Kindergarten
Stadtteilkonferenz                              LEG – Wohnungsunternehmen LEG Immobilien AG
AWO – Arbeiterwohlfahrt                         NBT – Nordbahntrasse
AWUG - Aktionswochen Urbanes Gärtnern           OB – Oberbürgermeister
AZ – Autonomes Zentrum Wuppertal                OLGA – Projekt „OLGA - Raum für Kunst“
BV – Bezirksvertretung Elberfeld                ÖPNV – Öffentlicher Personennahverkehr
BEA – (ehem.) Bergische Entwicklungsagentur;    RAA – Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von
seit 2016 BSW – Bergische Struktur- und         Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien
Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH           transzent – Zentrum für Transformationsforschung
BUW – Bergische Universität Wuppertal           und Nachhaltigkeit (Uni Wuppertal)
BüBe – Bürger*innenbeteiligung                  USC – Utopiastadt Campus
DAA – Deutsche Angestellten-Akademie GmbH       VHS - Volkshochschule
DİTİB - Türkisch-Islamische Union der Anstalt   WI – Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,
für Religion e.V.                               Energie gGmbH
DIY – Do it yourself (“mach es selbst”)         WiFö – Wirtschaftsförderung (Stadt Wuppertal)
EU – Europäische Union                          WiWu – Wirtschaftswunder (Kneipe)
GWG – Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft     WQG – Wuppertaler Quartierentwicklungs GmbH (bis
mbH Wuppertal (städtisch)                       2018)

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"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis......................................................................................................................................................................... 2

Vorwort......................................................................................................................................................................................... 5

Einleitung: Gutes Leben vor Ort ermöglichen ...................................................................................................................... 8
Das Mirker Quartier in der Wuppertaler Nordstadt und seine Entwicklung ............................................................................. 8

Methode ...................................................................................................................................................................................... 12
Was ist eine Konstellationsanalyse? ................................................................................................................................................ 12
Die Darstellungsweise der Konstellationsanalyse ....................................................................................................................... 12
Durchführung der Konstellationsanalyse ...................................................................................................................................... 18
     Teilnehmende .................................................................................................................................................................................. 18
     Ablauf ................................................................................................................................................................................................ 18
     Datenquellen / Zusatzrecherchen ............................................................................................................................................ 20

Ergebnisse ................................................................................................................................................................................. 22
Grundlegende Dimensionen des Quartiers ................................................................................................................................... 22
     Gebäude und Immobilien ............................................................................................................................................................. 22
     Stadterneuerung und -­planung ................................................................................................................................................ 23
     Bewohner*innen ............................................................................................................................................................................ 25
     Kultur und Gewerbe ...................................................................................................................................................................... 29
Hauptnarrative des Quartiers (2006–2020) ................................................................................................................................. 30
     Die Cluster im Quartier Mirke ...................................................................................................................................................... 30
     Die Cluster im Verlauf (2006–2020) ......................................................................................................................................... 34
Teilgeschichten: ausgewählte Einzelentwicklungen im Verlauf ............................................................................................. 44
     Einzelne Nischenakteure ............................................................................................................................................................. 44
     Nordbahntrasse und Angstraum Mirker Bahnhof .................................................................................................................. 44
     Diakoniekirche ................................................................................................................................................................................ 46
     Die Quartierskonferenzen: Arbeitskreis Nordstadt und Forum:Mirke ............................................................................... 47
     Migrantische Selbstorganisation ............................................................................................................................................... 47
     Muslimische und kirchliche Einrichtungen, Moschee-Neubau ......................................................................................... 48
     Freibad Mirke .................................................................................................................................................................................. 48
     GMW und Wohnungsgesellschaften.......................................................................................................................................... 48
     Urbane Gartenprojekte ................................................................................................................................................................ 50
     Überregionale Aufmerksamkeit ................................................................................................................................................. 50
     Mobilität ............................................................................................................................................................................................ 51

Diskussion der KA und ihrer Funktionen, Ausblick ........................................................................................................... 54
Literatur ..................................................................................................................................................................................... 59
Glossar und Legende ............................................................................................................................................................... 60
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ................................................................................................................................. 64
Impressum ................................................................................................................................................................................. 67

Hinweis: Um auch in der Schriftsprache sowohl das weibliche und männliche Geschlecht anzusprechen sowie
individuelle Selbstzuschreibungen zu ermöglichen, wird die Schreibweise mit * verwendet, z.B. Leser*innen.
Darauf wird nur in Sonderfällen verzichtet.

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"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
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"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
Vorwort
Die Grundlage für diese Studie wurde 2017 durch eine
Reihe intensiver Workshops und Recherchen im For-
schungsprojekt Wohlstands-Transformation Wuppertal
(WTW) gelegt und damals als eigene Studie und Bro-
schüre veröffentlicht1. Wie damals schon gewünscht,
sollte die Zeitreihe der Konstellationsanalysen fort-
geschrieben werden, am besten alle drei Jahre. Ent-
sprechend war im Winter/Frühjahr 2020 der Zeitpunkt
für eine Aktualisierung gekommen. Im Verlauf wurde
entschieden, keine ganz neue Studie zu verfassen,
sondern ganz explizit auf die Basisstudie aufzubauen.
So sind die meisten Kapitel nur um die neuen Elemente,
Entwicklungen und Geschichten erweitert oder ange-
passt worden. Umgeschrieben wurde die Einleitung, die
nicht mehr das Projekt WTW als Ausgangsbasis hat.

Die vorliegende Edition 2020 nimmt die Situation des
Mirker Quartiers bis in den März 2020 in den Blick.
Auch ohne die COVID-19-Pandemie war dieser Zeit-
raum ursprünglich als Redaktionsschluss vorgesehen
gewesen. Die Pandemie ist jedoch ein weiterer, sehr
guter Grund, zum Zeitpunkt des Ausbruchsgeschehens
einen Schnitt zu machen und damit mit dieser Studie
ein klares, von der Pandemie unbeeinflusstes Bild des
Quartiers zu zeichnen. In der Hoffnung auf eine Edition
2023 werden dort die Pandemie und deren Auswirkun-
gen sicherlich eine zentrale Rolle spielen, dürfen für
diese Lektüre jedoch außen vor bleiben.

1 http://quartier-mirke.de/download/170625_Konstellationsanalyse_MirkerQuartier_web.pdf

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"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
Einleitung:
Gutes Leben vor Ort ermöglichen

Städtische Räume sind Orte der Vielfalt und weisen        letzten Jahren hat sich dort ein eigener Name und An-
eine hohe Dichte an unterschiedlichen Akteuren, Inte-     zeichen einer kleinräumigen Identität herausgebildet,
ressen, Handlungsmustern und Ideologien auf. Städte       wobei die nördlichen Grenzen des Quartiers unter-
sind zudem die Orte mit den größten Herausforderun-       schiedlich ausgelegt werden und teils nur bis zur A46,
gen für eine nachhaltige Entwicklung (Ressourcenver-      teils bis zum Grüngürtel des Mirker Hains reichen.
brauch, Umweltverschmutzung, soziale Disparitäten)
und gleichzeitig durch ihr Innovationspotential und En-   Hauptverantwortlich für die Prägung des Namens
gagement enorm wichtig für deren Überwindung. Seit        Mirker Quartier ist das kulturkreative Cluster Utopia-
einiger Zeit sind kleinräumige Analysen und Aktivitäten   stadt im alten Mirker Bahnhof und den umliegenden
unterhalb der gesamtstädtischen Ebene in den Fokus        Flächen. Von dort und vielen anderen Orten gingen
von Forschung und Aktion gerückt. In Quartieren,          in den letzten Jahren zahlreiche Impulse aus, die das
Vierteln und Nachbarschaften finden sich ein ausdiffe-    Quartier auf der einen Seite zu einem spannenden Ort
renziertes Zuhause-Gefühl, ein sozialer Nahraum und       der Veränderung und des Aufbruchs machen. Auf der
vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten zur Steigerung       anderen Seite sind im Quartier weiterhin große soziale
urbaner Lebensqualität.                                   und strukturelle Probleme zu meistern. Diese Gemen-
                                                          gelage und deren Dynamik nachzuzeichnen und damit
Die Entwicklung dieser lokalen Nahräume ist zwar          in ihrer Breite verstehbar zu machen, ist das Ziel diese
von höheren Ebenen, gesellschaftlichen Trends und         Studie.
Entscheidungen von außen beeinflusst, aber nicht
vorbestimmt. Viele engagierte Quartiere quer durch        Zur übersichtlichen Nachverfolgung der Entwicklung –
Deutschland und darüber hinaus zeigen lebendig, dass      in gewissem Sinn als längsschnittliche Systemanalyse
Lebensqualität stark durch lokale Aktivitäten beein-      des Quartiers – wurde ein spezielles Instrument aus-
flusst werden kann.                                       gewählt: die Konstellationsanalyse. Zur Einbindung der
                                                          lokalen Expertise wurden eine Reihe von seit längerem
Hierzu lohnt es sich, die Dynamik, die Entwicklungs-      aktiven Personen aus der Nordstadt in den Jahren
richtungen und Wirkungsketten lokaler Aktivitäten zur     2017 und 2020 zu mehreren Workshops eingeladen (s.
Quartiersentwicklung aufzuzeigen, daraus zu lernen        Kap. Teilnehmende). Die leitende Fragestellung war:
und in die nächste Runde der Gestaltung zu gehen.         „Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier in den
Dazu möchte diese Arbeit beitragen.                       letzten Jahren maßgeblich gestaltet/entwickelt?“.
                                                          Bezogen wurde diese Frage sehr breit auf die sechs
                                                          Dimensionen Kultur, Soziales, Bildung, Umwelt, Politik
Das Mirker Quartier in der
                                                          und Wirtschaft (siehe Abb. 14).
Wuppertaler Nordstadt und seine
Entwicklung
Das Quartier, um das es in dieser Studie geht ist das
Mirker Quartier. Es liegt direkt nördlich angrenzend an
die oberzentrale City Wuppertal Elberfeld und zählt
administrativ zur Elberfelder Nordstadt. Erst in den

2 Mit Dank an Utopiastadt für das Kartenmaterial

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"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
Abbildung 1 (Seite 6/7):
Luftbild Quartier Mirke, 2018

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MIRKER                                                                                      20
QUARTIER
                                                                                                 3
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                                                                                traße
                     4                                                                                                       OSTERSBAUM
                                                                                                      8             9

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                                        13
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                                                                                                 21
                                                                                                                         Gathe

                           ÖLBERG            Hoc
                                                   hs t
                                                          r aß
                                                                                                          r.

                                                                 e
                                                                                                 Karlstraße

Abbildung 2:                                                                     CITY
Umgebungskarte Mirker Quartier2                                                  ELBERFELD

1. Goldzack-Gebäude                                                  11. Anadolu Wuppertal e.V.
(TalTonTheater, Boulderhalle, Bandwebermusuem)                       12. Autonomes Zentrum
2. Hebebühne e.V.                                                    13. Friedhofskirche
3. Mirker Bahnhof,                                                   14. Herz-Jesu-Kirche
Sitz der Utopiastadt gGmbH und des Fördervereins                     15. Gemeinschaftsgrundschule
4. Klimaschutzsiedlung Malerstr.                                     Markomannenstr.
5. Hermann von Helmholtz-Realschule                                  16. Diakonie- bzw. Kreuzkirche, Initiative Kreuzkirche
6. DAA                                                               17. Freibad Mirke, Pro Mirke e.V.
7. Café ADA und Insel e.V. (seit 2019/20)                            18. Kulturkindergarten
8. Realschule Neue Friedrichstr.                                     19. Wohn- und Sozialhilfe Diakonie
9. Alte Feuerwache gGmbH                                             20. Utopiastadt Campus
10. DİTİB-Moschee                                                    21. AWO Wuppertal

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"Wer hat und wodurch wurde das Mirker Quartier entwickelt?" Edition 2020
NORDRHEIN-WESTFALEN

                                                                 BIELEFELD
                                              MÜNSTER

                                             DORTMUND
                                   ESSEN BOCHUM

                        KREFELD
                                                                                    WUPPERTAL
                           DÜSSELDORF           30KM      60KM

                                   KÖLN
                                                        SIEGEN
               AACHEN
                                      BONN

                                                                     Abbildung 3:
                                                                     Umgebungskarte Nordrhein-­Westfalen

                                                                               DORTMUND

WUPPERTAL                         ESSEN
                                                                                       HAGEN

 DÜSSELDORF

              VELBERT                                                                    ELBERFELDER
                             NORDBAHN-                                                   NORDSTADT
                             TRASSE
                                              HBFWUPPER

                                                                      A1

                 A46

                                                                 REMSCHEID

                  SOLINGEN
                                                                     Abbildung 4:
          KÖLN                                                       Umgebungskarte Wuppertal

10
ELBERFELDER NORDSTADT

                                                MIRKER HAIN

                                                                  FREIBAD MIRKE

                                                                                                    A46

                                                                                   NORDBAHNTRASSE

KATERNBERG

                                                                                     OSTERSBAUM

                                                          MIRKE

                                       ÖLBERG

    BRILLER VIERTEL

                                                                     CITY

                                                                             HBF

                                                                              SÜDSTADT

                         ARRENBERG

Abbildung 5:
Umgebungskarte Wuppertaler Nordstadt

                                                                                                          11
Methode

Was ist eine
Konstellationsanalyse?

Die Konstellationsanalyse (KA) ist ein Analysewerk-          Einfache Pfeile (      /   ) markieren klar gerichtete
zeug zur Erfassung komplexer Problemkonstellationen          Verbindungen, Doppelpfeile (         ) unterstreichen
(Ohlhorst & Kröger, 2015). Sie ist als „Brückenkonzept       eine wechselseitige Interaktion. Verbindungslinien,
für die [problemorientierte] Technik-, Innovations- und      die mit einem Fragezeichen gekennzeichnet sind, be-
Nachhaltigkeitsforschung“ (Schön et al., 2004, S. 3)         schreiben fehlende Verbindungen, insbesondere dort,
konzipiert worden. Als solches ist sie vielseitig einsetz-   wo Verbindungen vermutet werden dürfen bzw. sinn-
bar und hat das Potential, die Kommunikation zwischen        voll wären. Darüber hinaus können konfliktäre Relatio-
den wissenschaftlichen Disziplinen sowie Wissen-             nen (Blitzsymbol) zwischen Elementen bestehen.
schaft und Praxis zu erleichtern (Schön et al., 2007).
Die KA kann dabei vielfältige Funktionen einnehmen           In der grafischen Darstellung der KA spielt außerdem
(ebd.). Darunter fallen unter anderem die Abbildung          die Nähe der Elemente zueinander eine Rolle. Grund-
und Strukturierung der Perspektivenvielfalt verschie-        sätzlich gilt: Je näher sich zwei Elemente sind, desto
dener Akteure. Darüber hinaus können sich durch den          größer ist auch ihre inhaltliche Kongruenz bzw. desto
Vergleich der abgebildeten Perspektiven Handlungs-           enger stellt sich auch ihre Verbindung zueinander dar.
optionen abzeichnen, sodass die KA auch zur Strate-          Eine größere Entfernung zwischen den Elementen
gieentwicklung herangezogen werden kann. Hingewie-           deutet dementsprechend auf eine Beziehungslosigkeit
sen werden muss auf die stark interpretativen Züge           bzw. relativ große inhaltliche Distanz hin. Häufig ist al-
der KA. Da es nicht um eine Vollerhebung aller Akteure,      lerdings aufgrund der komplexen Grafik die Darstellung
Programme und/oder Beziehungen geht, kommt dem               von Beziehungsstärke zweier oder mehrerer Elemente
KA-Team im Aushandlungsprozess eine stark gewich-            beeinträchtigt oder erschwert, sodass sich Elemente
tende, bewertende und interpretierende Rolle zu. Das         aufgrund der Vielzahl nicht ideal zueinander anord-
Ergebnis kann dementsprechend nur als eine mögliche          nen lassen. So ließ sich im Falle des Mirker Quartiers
Darstellung der Situation gewertet werden, die inter-        z. B. der Akteur „Sozialverwaltung“ nicht ideal zu allen
subjektiv vom Praxis-Forschungsteam gestützt wird.           inhaltlich nahen Akteuren und Zeichen platzieren (s.
                                                             Abb. 28-31), weil die Clustergrößen keine andere Posi-
                                                             tionierung zuließen.
Die Darstellungsweise der
                                                             Die Größe der einzelnen Elemente spielt im Gegensatz
Konstellationsanalyse                                        zu Abstandsgrößen keine Rolle, sie ergibt sich lediglich
                                                             aus dem Textinhalt, der sich in den farbigen Element-
Die KA besteht aus einer Grafik, die eine vereinfach-        kästchen befindet. Über die Methodik der Konstella-
te Darstellung der abzubildenden Konstellation um-           tionsanalyse hinaus wurde in den KA-Darstellungen für
fasst (siehe beispielhaft Abb.6), sowie einer textlichen     das Quartier Mirke in den ersten Darstellungen noch
Ausarbeitung der Grafik, die zur Erläuterung dient und       ein weiterer theoretischer Ansatz, ebenfalls aus der
gleichzeitig eine Ergänzung der vereinfachten Abbil-         Innovationsforschung kommend, mit einbezogen: Die
dung darstellt (Ohlhorst & Kröger, 2015). Die Kern-          „Multi-Level-Perspektive“ (MLP; Geels, 2002).
elemente der Grafik bilden neben individuellen und
kollektiven Akteuren (gelb), natürliche (grün) sowie         Die Verarbeitung dieser schlägt sich besonders auf
technische/bauliche Elemente (blau), und Zeichen (rot)       der vertikalen Achse der ersten drei Konstellations-
ab (siehe Tab. 1). Die KA bietet somit mehr als eine reine   analysen für das Quartier Mirke nieder. Sie soll die
Analyse der Akteurs- oder Steuerungsstruktur: sie zeigt      Einordnung von Elementen und Clustern auf einem
Relationen und mögliche Abhängigkeiten der Akteure           Bedeutungskontinuum ermöglichen. Ursprünglich
untereinander sowie mit (und in) ihrer Umwelt auf.           werden in der MLP Prozesse und Systeme auf drei Stu-
                                                             fen (Nische, Regime und Landscape) dargestellt. Die
Ohlhorst und Kröger (2015) differenzieren über die Ele-      dargestellten Entwicklungen können sozialer, techno-
mente hinaus auch unterschiedlich geartete Relatio-          logischer, kultureller, wirtschaftlicher, infrastrukturel-
nen durch Pfeile und Symbole. So gibt es einfache Ver-       ler, wissenschaftlicher, etc. Natur sein. Es geht aber
bindungen, die durch Striche zwischen zwei Elementen         immer darum, zu verdeutlichen, auf welcher Stufe oder
dargestellt werden.                                          auf welchem strukturellen Niveau sich eine Strömung

12
Großanlagen                             Grundwasser-
                  Ölpreiskrisen
                                                          (Dänemark)                                 schutz

                                                                             1. und 2. Energie-
                                               Großforschungs-
                      BMFT                                                    forschungspro-
                                                einrichtungen
                                                                                   gramm

                      KTBL                                                   Gülleaufbereitung

                                                                                             Universitäre
                                                              FA Braunschweig              Forschungsförde-
                               Landw. Universitä-
                                                                 Lw. Forsch.                     rung
                                 ten, Fakultäten
                                                                  anstalten

                                                                                              Akademie d.
                                                                                            Landwirtschafts-
                                                                                             wissenschaften

                 Land. Betrieb/              Kleine Hofbiogasan-                          Biogas-Großanlagen
                   Idealisten                   lagen Eigenbau                                (ehem. DDR)

                                                                     Klärgas- und
                                                                  Deponiegastechno-
                                                                         logie

            BMFT Bundesministerium für Forschung und Techologie
            KTBL Kuratorium Technik u. Bauwesen i. d. Landwirtschaft

Abbildung 6: Beispiel einer Konstellationsanalyse zur Pionierphase der Biomasse- und Biogasnutzung von 1970 bis 1990 in Deutschland
(BRD und DDR) (Bruns, Köppel, Ohlhorst, & Wenzel, 2009, S. 138)

                                                                                                                                 13
oder Entwicklung gerade befindet: Ist letztere eher auf              Dieser enthält Prozesse und Ereignisse, die der Kon-
der unteren Stufe einer Nischenentwicklung anzusie-                  trolle und dem Einfluss des Quartiers entbehren, sich
deln, ist sie bereits Teil eines oder bildet sie ein eigenes         also z.B. auf höheren Ebenen abspielen. Hier ist in
Regime im sozialen/wirtschaftlichen/kulturellen/etc.                 der untersuchten Zeitspanne z.B. die Finanzkrise von
Mainstream oder stellt sie sogar einen übergeordneten                2007/08 zu nennen, die als übergeordneter Kontext in
Kontext bzw. Landscape dar?                                          einem bestimmten Zeitraum dennoch eine direkte Aus-
                                                                     wirkung auf das Leben im Quartier hatte.
Für die vorliegenden Konstellationsanalysen war die                  Die vertikale Sortierung wurde vom KA-Team 2019
MLP Grundlage für die vertikale Bedeutungsachse.                     aufgegeben, da die Einordnung sowie die horizonta-
Diese stellt allerdings, wie schon erwähnt, ein nicht                len Vergleiche der Elemente als nicht aussagekräftig
quantifiziertes Kontinuum dar, das die Abbildung eines               genug eingeschätzt wurden. Dementsprechend findet
Bedeutungsunterschieds zwischen Elementen und/                       sich am linken Rand der Darstellung rund um 2019 kein
oder Clustern erlauben soll. Die Logik der Landscapes                Hinweis auf die Bedeutungsabstufung mehr.
entspricht weitgehend der Idee des in der KA üblicher-               Die Kontext-Ebene am oberen Rand wurde jedoch bei-
weise verwendeten Kontexts.                                          behalten.

Elemente-Typen                                Was ist gemeint?                              Mögliche Beispiele im Mirker
                                                                                            Quartier

Akteur                                        (Soziale) Akteure und Akteursgrup-            Stadtentwicklung Wuppertal, BV
                                              pen, Stakeholder, Institutionen und           Elberfeld, Utopiastadt, Alte Feu-
                                              Organisationen                                erwache, Arbeitskreis Nordstadt,
                                                                                            Forum:Mirke etc.

Natürliches Element                           Stoffe, Ressourcen, Umweltmedien,             (Frei-)flächen im Quartier, naturna-
                                              tierische und pflanzliche Lebewe-             he Umgebungen, Stadtgrün, Luft-
                                              sen, die Landschaft sowie Natur-              und Wasserqualität etc.
                                              phänomene (z. B. Klima); Entwick-
                                              lungen in Natur und Umwelt

Technisches Element                           Artefakte, technische Einrich-                Infrastrukturen, Verkehr, gebaute
                                              tungen und Verfahren, bauliche                Umwelt, (Bau-)Denkmäler etc.
                                              Strukturen

Zeichen                                       Ideen, Ideologien, Interessen, Nor-           Integriertes Handlungsprogramm,
                                              men, Gesetze, Preise, Programme               Stadtumbau West, Kampagne
                                              und Konzepte, Diskurse, Leitbilder,           „Armer Anfang ist schwer“, Leer-
                                              institutionelle, rechtliche und öko-          stand, Aufbruchsstimmung etc.
                                              nomische Faktoren

Tabelle 1: Erläuterung der Elemente-­Typen für das Mirker Quartier (Eigene Darstellung nach Ohlhorst und Kröger, 2015)
Abbildung 7: Café Multikulti an der Hochstraße, 2014

14
15
Abbildung 8: Zeitstrahl: Mirker Quartier 2007 – 2020 | ausgewählte Stationen

Kultur | Soziales | Bildung

                                                                                                                       Juli 2013: Kampag-
                                                                                                                       ne der AFW „Armer
                                                                                                                       Anfang ist schwer“

                                                                                                                        Tödlicher „Unfall“
                                                                                             Januar 2011: Letzte        Gathe/Eckernför-
                                                                                               Webaktivität der              der Str.
                                                                                            Initiative Friedrichstr.
       2007: 5 Jahre                             2009: Gründung                                                              Erstes „Only
     Talflimmern in der                          Förderverein Pro                                    1. „Needful Things“     Hut“-Konzert
     alten Feuerwache                               Mirke e.V.                   November 2011:          Design-Markt
                                                                               „Stadtteilzentrum“                               1. Forum:Mirke
     jährl. Projekt „Erleb-                              August 2009:            Diakoniekirche             2012:
                                                                                                       Grundstücks­k äufe        2013: 7000
     nisse statt Gewalt“ in     Bohm und Böhmer:          Eröffnung
                                                                           Okt. 2010: Festival des BJR    der DİTİB-            Besucher*in-
         der Nordstadt          Theater um die Ecke       Hebebühne
                                                                             „Zeitlos“ im Café ADA      Gemeinde Gathe          nen im Mirker
           Juni 2008: Umzug        2009/2010: Internet-                                                                           Freibad
         Bergische VHS aus der     Video-Talkshow „Dem                               2011: Einzug    Januar 2012: Erste
                                                                                    Utopiastadt in     Aufführung im       Alte Feuerwache
            Wiesenstr. In die      lieben J. sein Wupper-      2010: Start von
                                                                                    den Mirker Bf      TalTonTheater        wird Träger von
           Cronenberger Str.                 tal“             „Ein km² Bildung“
                                                                                                                           „Ein km² Bildung“
                  Oktober 2007:                             2010: Neugestal-          Oktober 2012:
             Diskussion zu Alkohol-                         tung Schulhof &         Kulturfest gegen      2013: Neugestal-     August 2013:
             genuss auf Kinderspiel-    2009: Mensa RS       Mensa RS Neue        Pro NRW-Demo an der     tung Schulhof GS      Eröffnung
               plätzen im Quartier       Helmholtzstr.        Friedrichstr.         alten Feuerwache      Markomannenstr.         KLUB

2007                 2008                2009                  2010                 2011                2012                2013

             2006-2010: Hof- und Fassadenprogramm (17 Objekte)                              Februar 2011: Einschrän-        2013 Auszug
                                                                                            kung Hof- und Fassaden-        Großmieter aus
     2008: Baumfällung auf     Abbruch Baudenkmal           2010: Gestaltung der Frei­        programm aufgrund             der Goldzack-
       dem Schulhof RS         Neue Friedrichstr. 6a        fläche Froweinstraße Café           fehlender Mittel                Fabrik
        Helmholtzstr.                                             ADA/ Mare e.V.
                                                                                              September 2011:           Inkrafttreten IHP
                                                                                             Zusammenlegung &          „Stadtumbau West“
                              August 2008: BV beschließt      Drohende Streichung von
                               Konkretisierung des IHP        Stellen im Bereich städt.      Erweiterung Tempo
                                                                                                                       Vorstellung neues
                                 „Stadtumbau West“             Kinder- & Jugendarbeit        30-Zonen Nordstadt
                                                                                                                       Angstraumkonzep-
                                                                                              und Mirker Straße
                                                                                                                       tes inkl. Karlsplatz,
                                Sanierung         März 2009: Sanierungssatzung                                            Carnapsplatz
                                                                                                September 2011:
                                Fassade RS      Stadtumbau West und Soziale Stadt
                                                                                                  Freigabe der
                               Helmholtzstr.         einschl. Nordbahntrasse
                                                                                                 Einbahnstraße
 2007: Bezirksbürger-                     November 2009: Neue           BV unterstützt        Eckernförder Str. für
 meister: Hans Jürgen                    Bezirksbürgermeisterin:      „Stadtteilzentrum“        den Radverkehr
    Vitenius (SPD)                         Claudia Hardt (CDU)          Diakoniekirche

                                                             Schuldenstand Stadt: ca.
                                                             2 Mill.; Neuverschuldung
                                                                     ca. 200 Mio.

Umwelt | Politik | Wirtschaft

16
2013-2019: Zahl der         2018: erstmals leben
                                                              Wohnungslosen in            Menschen aus 100
                                                              Wuppertal steigt            Nationen im Mirker
                                Ab 2011: Altersarmut in
                                                                                               Quartier
                                   Wuppertal steigt

                 Vermehrte Ankunft von Geflüchteten                                    September 2018:                 Januar 2020: Neueröff-
                                                                                   Gründung des Stadtlabors          nung des Bandwebermuse-
            April 2015: Messer-               Januar 2016: Start der                   »WE ARE KIOSK«                 ums im Goldzackgebäude
               angriff im AZ                  Coforschungsgruppe
   Begegnungscafé                           (Utopiastadt & TransZent)               Apr. 2018: Gründung des            Juni 2019: Hebebühne
     in der alten                                                                      Vereins 'Initiative              feiert Zehnjähriges
     Feuerwache                                       März 2017: Feststel-                Kreuzkirche'
                                                      lung einer Abwärts-                                             Juni 2019: Online- Platt-
                                                     Entwicklung der Gathe     Dezember 2017: Homepage               form „GeoPortal des Guten
     2014:
                                                                                www.quartier- mirke.de                 Lebens“ fertiggestellt
  Foodsharing         August 2015:
   Wuppertal                                          Ab Februar 2017
                         Erster                                              Sep. 2017: OB ruft zum                  April 2019: Mann wird auf
    startet                                        Umbau Gepäckabferti-
                      Trassenrave                                            „Bündnis gegen Armut                    der Gathe angeschossen
                                                     gung Utopiastadt
                                                                             - für soziale Gerechtig-
  Oktober 2014:              April 2015:                                                                      Dezember 2018: Start des Projekts
                                                November 2016:                       keit“ auf
 Bauvorhaben der              1. AWUG                                                                        'Utopiastadt Campus' mit dem Kauf
                                              Kampagne der alten                                             von 11.100 Quadratmeter der Fläche
 DİTİB-Gemeinde                                                               Sep. 2017: Erstes
      Gathe              August 2016: Erstes Feuerwache „Wir feiern          Kunst- und Kultur-                und weiterer 25.000 m² in 2019
                           Sommerblühen      25 Jahre Kinderarmut“
                                                                           festival 'KulturTrasse'
      Mirker                                                                                              November 2018: 5.
                            Quartiersfest     2016/17: Zahlreiche
   Quartierskarte                                                                                       Geburtstag Forum:Mirke
                                                  Bildungs-, Austausch-  Juni 2017: Verkündi-
        Wiedereröffnung                           und Sportangebote für gung Schließung und               Dezember 2019-Ende 21: Sanierungs-
       Wirtschaftswunder                               Geflüchtete      Verkauf Diakoniekirche            arbeiten Hauptgebäude Utopiastadt

            Arche       Mai 2015: Einwei-      Dezember 2016:       Januar 2017:    März 2018: Auszeichnung                      Januar 2019:
          Noah-Bar     hung Klimaschutz-      Eröffnung Boulder- Eröffnung Boulder-  Utopiastadt Creative.                     Eröffnung Kultur-
           schließt    siedlung Malerstr.       café „Bhf Blo“     halle „Bhf Blo“  Spaces des Landes NRW                        kindergarten

2014                  2015                 2016             2017               2018                   2019                2020              2021

   Februar 2014: Neuer/                            Quartiersfonds 2016-2018                                Quartiersfonds 2019-2020
   alter Bezirksbürger-
   meister Hans Jürgen            Diskussion um die Neugestal-           2017-2022: Hof- und Fassadenprogramm (bis 2020 4 Objekte)
          Vitenius                     tung Carnapsplatz
                                                                             Mai 2018:          Januar 2019:               2020-2022: Bau
          Oktober 2014:         März 2015:         Neubau Brücke        Starkregenereignis      Ankündigung              Gründer-Campus auf
        Erarbeitung eines       Eröffnung         Wüstenhofer Str.         in Wuppertal       SDE21 in Wuppertal        dem Ex-Poco- Areal an
       Einzelhandels- und      Patina Store                                                                                der Uellendahler
                                                   Mai 2016:
       Zentrenkonzeptes                                              Juli 18: Bürgerbeteiligungs-                           Straße 70-72
                                              Eröffnung Weinerei
           für die Stadt                                             verfahren zur Mobilität und
                                                Wiesenstraße                                           Bis vrstl. 2021: Kanalbauarbeiten in der
                                                                        Umbau in der (Neuen)
     Erweiterung der                                                        Friedrichstraße                    (Neuen)Friedrichstraße
                                           Eröffnung:
    Gebietskulisse IHP
                                            Vacation                                                     Bis 2025: Umbau –und Erneuerungs-
   „Stadtumbau West“                                                         Oktober 2018: BV
                                            Records                                                            maßnahmen auf der A46
                                                                               beschließt die
  Dezember 2014: Eröffnung                                                    Friedrichstraße            Mai 2019: Europa-Wahl
      Nordbahntrasse                                                         zur Fahrradstraße          und Seilbahn-Befragung
   2015: weitere Freigaben von              Okt 16:„Utopiastadt                  zu machen
                                            Campus Flächenent-                                         November 2019:         Dezember 2019:
     Einbahnstraßen für den
                                             wicklungsbeirat“                                         Start kostenloser     Start des Verkaufs-
      Radverkehr (u.a. Neue
                                                 gegründet                                            Lastenradverleih      prozesses Goldzack-
     Friedrichstr., Malerstr.)
                                                                                                      des Klimaschutz-             fabrik
                                  Sept. 2015: Wahl von                                                projektes „Kurze
                                                                                                        Wege für alle“      Vrstl. 2021: Umbau
                                  Oberbürgermeister
                                                                                                                                der (Neuen-)
                                     Mucke (SPD)
                                                                                 Oktober 2018: Start des                    Friedrichstraße zur
   Verstärkte Diskussion um die Entwicklung des                                 Mobilitätsprojektes „Kurze                     Fahrradstraße
      Utopiastadt Campus mit Aurelis, Stadt                                     Wege für den Klimaschutz“
       Wuppertal, Wirtschaftsförderung und                                                                                     Vrstl. 2021-2023:
             Investoren (Küpper Bros.)                                     März 2017:           April 2019: Neues                 Umbau des
                                                                      2. Innenstadtkonfe-      Stadtentwicklungs-              Vorplatzes Mirker
           Dezember 2015: Start                                         renz findet statt       konzept „Zukunft                Bahnhof in zwei
           der Spendenplattform                                                                    Wuppertal“                   Bauabschnitten
            ‚Gut für Wuppertal‘                                         Mai 2017: Erstes
                                                                      Bürgerbudget für den           Juli 2019: Bürgerbetei-
                                                                        Doppelhaushalt                ligung zur Umgestal-
                                                                           2018/2019                  tung Vorplatz Mirker
                                                                                                            Bahnhof

                                                                                                                                                 17
Durchführung der
Konstellationsanalyse

Teilnehmende                                               Gewerbe konnte leider keine Person zur Teilnahme
                                                           motiviert werden, wobei Utopiastadt über Aktivitäten
Für die Erstellung der Konstellationsanalyse wurden        der Kreativwirtschaft eine inhaltliche Nähe aufweist.
2017 drei und 2020 zwei partizipative Workshops mit        Klassische Umweltverbände sind im Quartier nicht
(fast) identischer Besetzung durchgeführt. Die Gruppe      ansässig oder regelmäßig aktiv und deshalb nicht ein-
mit jeweils ca. neun Personen („KA-Team“) und wurde        gebunden. In der ersten Runde stellte das Team fest,
moderiert von Matthias Wanner, wissenschaftlicher          dass in der eigenen Runde Repräsentant*innen mig-
Mitarbeiter am transzent (2017) bzw. dem Wuppertal         rantischer Organisationen oder Gewerbetreibende im
Institut (2020). Zusätzlich waren jeweils eine protokol-   KA-Team fehlten. Der langjährig im Quartier ansässige
lierende und eine in verschiedenen Funktionen unter-       Verein Anadolu Wuppertal e.V. wurde deshalb einge-
stützende Person aus dem transzent anwesend. Die           laden, an den Runden teilzunehmen. Vertreter*innen
Zusammenstellung des KA-Teams fand in Rücksprache          waren zwar verhindert, wurden jedoch jeweils über die
mit den Organisationsteam des Forum:Mirke statt.           Durchsicht der Konstellationen sowie 2017 mit einem
                                                           weiteren Interview eingebunden.
Die Gruppe setzte sich zusammen aus Gaby Schul-
ten, Thomas Weyland (beide u.a.: ORG.BERATUNG,             Ablauf
Zwischennutzungsagentur 2007-2011, Wohnungsge-
nossenschaft Ölberg, Orga-Team Forum:Mirke), Klaus         Die beiden Runden 2017 und 2020 liefen in ähnlicher
Lüdemann (Stadtratsmitglied bzw. Bezirksvertretung         Reihenfolge ab:
Elberfeld für B90/Die Grünen), Christine Riesner           Zu Beginn erfolgte eine Einführung in die bzw. Auf-
(Pflegeexpertin, Anwohnerin), Ulla Pomian (Projektma-      frischung der Methodik der KA, Fragen konnten geklärt
nagement Stadtteilarbeit West, u.a. Leitung AK Nord-       und das Verständnis des Vorgehens sichergestellt
stadt), Christian Hampe (Mitgründer und Geschäfts-         werden. Der Runde wurde ein vom transzent erstellter
führer Utopiastadt gGmbH, Orga-Team Forum:Mirke),          Zeitstrahl von 2007 bis 2017 bzw. 2017 bis 2020 mit Er-
David J. Becher (Vorstand Utopiastadt Förderverein,        eignissen im und um das Quartier herum ausgehändigt
Orga-Team Forum:Mirke & Kulturschaffender), Dieter         (siehe Abb. 8 und Abschnitt Datenquellen, S. 20). Die-
Bieler-Giesen (Stadt Wuppertal, Ressort Stadtent-          ser sollte unterstützende Wirkung im Erinnerungspro-
wicklung und Städtebau) und Joachim Heiß bzw. Jana         zess der einzelnen Zeitpunkte bzw. Zeiträume bieten.
Ihle (Geschäftsführer bzw. Pädagogische Leiterin Alte      In den ersten Workshops 2017 einigte die Gruppe sich
Feuerwache gGmbH und Orga-Team Forum:Mirke). Die           darauf, drei Konstellationen für die Zeiträume rund um
neun Teilnehmenden weisen alle einen klaren Quar-          2007, rund um 2012 und rund um 2016 anzufertigen.
tiersbezug auf. Der Großteil der Gruppe ist außerdem       Anschließend wurde mit der ersten KA für den Zeit-
wohnhaft in der Nordstadt oder im Mirker Quartier          raum um 2007 gestartet. Alle Teilnehmenden konnten
selbst. Bei der Auswahl der Teilnehmenden wurde ver-       in ihren Augen relevante Akteure, Zeichen, natür-
sucht, alle relevanten Bereiche des Lebens im Quartier     liche und technische Elemente nennen. Während der
Mirker durch mindestens eine Person abzudecken (de-        Sitzung wurden diese an Pinnwänden festgehalten,
finiert als Soziales, Kultur, Bildung, Umwelt, Gewerbe     eingeordnet und grob geclustert. Vor der zweiten Sit-
und Politik (siehe Abb. 8)). Ein zusätzliches Kriterium    zung wurden am transzent auf Grundlage des ersten
für die Auswahl war, dass die Person einen Überblick       Workshop vorläufige Darstellungen für die Zeit rund um
über das Quartier seit ca. 2005 hat. Aus dem Bereich       2007, rund um 2012 und rund um 2016 erstellt. In den

18
Abbildung 9/10: Goldzack-Fabrik mit TalTonTHEATER in der Wiesenstraße, 2014

Abbildung 11: Goldzack-Fabrik mit Boulderhalle und Café Bahnhof Blo, 2018

                                                                              19
Workshops 2020 (einmal live, einmal virtuell) erfolgte   zugänglichen Quellen, wie z.B. eigene Projektarchive,
die Erstellung einer Konstellation rund um 2019, also    städtische Statistiken und Protokolle des Arbeitskreis
drei Jahre später. Ausgangspunkt war die Konstella-      Nordstadt und 3) aus weiteren Recherchen wie z.B.
tion 2016, die an verschiedene Stellen verändert und     Interviews mit Expert*innen und weiteren Insider*in-
aktualisiert wurde.                                      nen, Ortsbegehungen, teilnehmenden Beobachtungen
                                                         und weiteren Datenquellen (wie z.B. die Immoscout24-
Die Ergebnisse der Sitzungen wurden zwischendurch        Daten).
und abschließend durch Matthias Wanner und Kol-
leg*innen aufbereitet und zur Verfügung gestellt.        Die Zusatzrecherchen der Kategorie 3 sind tabellarisch
                                                         abgebildet. 2017 lag der Schwerpunkt dieser Recher-
Datenquellen                                             chen auf migrantischer Ökonomie, muslimischen
                                                         religiösen Strukturen, dem Spielhallen- und Wettlokal-
Die Daten für die Konstellationsanalyse speisen sich     Cluster an der Gathe und Hochstraße sowie illegalen
grob aus drei Quellen: 1) Öffentlich und “am Schreib-    und kriminellen Aktivitäten im Quartier. 2020 lag ein
tisch” zugängliche Quellen wie Zeitungsarchive, Proto-   Zusatzfokus auf der Mietpreisentwicklung, Alters-
kolle der Bezirksvertretung und dem Forum:Mirke, dem     armut, Immobiliengesellschaften im Quartier und der
Ratsinformationssystem, städtische Berichte und Pro-     Entwicklung der Kriminalität. Der vorherige gute Draht
gramme, street-view-Ansichten und online-Portalen        zur Bezirkspolizei war jedoch durch einen Personal-
von Vereinen, Organisationen, Initiativen und Projek-    wechsel verloren gegangen, weitere offizielle Daten zur
ten, 2) aus dem Wissen der Teilnehmenden und ihnen       Kriminalität konnten nicht aufgebracht werden.

Abbildung 12: Café ADA, 2019

20
Zusatzrecherchen

Jahr                Format              Datenquelle/Informant*in               Themenbereich(e)

2017                Interview           Nachtclub-Betreiber auf der Gathe      Soziale und ökonomische Struk-
                                                                               turen entlang der Gathe, Eigen-
                                                                               tümer*innen- und Betreiber*in-
                                                                               nenbeschreibungen, Armut,
                                                                               Zuwanderung, ethnische Konstel-
                                                                               lationen und Konflikte, Gewalt und
                                                                               Kriminalität, illegale Geschäfts-
                                                                               praktiken

2017                Interview           Anonymer “Gathe-Insider” (seit 1980    Soziale und ökonomische Struk-
                                        dort wohnhaft, verschiedentlich in     turen entlang der Gathe, Eigen-
                                        die Geschäftsstrukturen vor Ort ein-   tümer*innen- und Betreiber*in-
                                        gebunden, u.a. als Türsteher)          nenbeschreibungen, Armut,
                                                                               Zuwanderung, ethnische Konstel-
                                                                               lationen und Konflikte, Gewalt und
                                                                               Kriminalität, illegale Geschäfts-
                                                                               praktiken

2017                Interview           Erol Çelik, Vorsitzender des ca. 180   Migrantische Selbstorganisation,
                                        Mitglieder zählenden türkischen        Bildungs- und Kulturarbeit, musli-
                                        Bildungs- und Kulturvereins Anadolu    mische Strukturen im Quartier
                                        Wuppertal e.V.

2017                Gespräch            Bezirkspolizei                         Kriminalität, Wett- und Glücksspiel,
                                                                               illegale Aktivitäten, Armut

2017                Recherchen und      Fachstelle “Wegweiser Bergisches       Prävention, Deradikalisierung und
                    Telefonat           Land”                                  Beratung zu religiösem Extremis-
                                                                               mus im Islam, islamistische Aktivi-
                                                                               täten in Wuppertal und dem Mirker
                                                                               Quartier

2017                Vor-Ort-            Schilder, Reklame, zugängliche Cafés Zählung und Kartierung aller
                    Recherche           und Kneipen                            Wettbüros und Spielhallen bzw.
                                                                               Automaten

2020                Datenanalyse        Rohdaten von Immoscout 24              Mietpreisentwicklung

2020                Online-Recherchen   Wohnanlagen-Eigentümer:innen           Bestand an Wohnanlagen (in städ-
                    und Telefonate                                             tischem, genossenschaftlichen
                                                                               oder privaten Besitz)

2020                Online-Recherchen   AWO Wuppertal, Stadtteilservice,       Altersarmut, Hilfestrukturen
                    und Telefonate      Sozialamt Wuppertal

Tabelle 2: Zusatzrecherchen

                                                                                                                   21
Ergebnisse
Grundlegende Dimensionen des Quartiers
Um das Mirker Quartier in seinen Grundzügen im ge-        mit umliegenden Städten, als auch innerhalb von Wup-
wählten Zeitraum von ca. 2006 bis 2019 zu verstehen,      pertal. In den letzten Jahren ist ein stetig steigender
wurde eine vereinfachte halbgrafische Darstellung mit     Mietpreisspiegel im Quartier zu vernehmen. Die Miet-
vier Bereichen gewählt (s. Abb. 18). Die Grafik wurde     preise liegen weiterhin konstant unter dem Wupper-
vom transzent v.a. mit Rückgriff auf das Integrierte      taler Durchschnitt, allerdings ist die Steigerungsrate
Handlungsprogramm (IHP; Stadt Wuppertal, 2014)            zwischen 2012 (Tiefpunkt) und 2019 im Mirker Quartier
entwickelt und im ersten Durchgang 2017 ebenfalls mit     mit ca. 26% im Vergleich zu Wuppertal mit 24% leicht
dem KA-Team (s. Kap. 2 Teilnehmende) diskutiert.          erhöht (Immoscout24, o.J.; siehe Abb. 15). Zudem
Das Mirker Quartier wird in dieser Darstellung in vier    herrscht im Quartier, im Vergleich zu anderen Wupper-
Bereiche unterteilt, die einen Aufschluss über die        taler Stadtteilen, eine höhere Mietbelastungsquote,
Charakteristika des Quartiers und der Entwicklung seit    die sich auf die unverhältnismäßige Relation zwischen
ca. 2006 geben. Die Bereiche umfassen von links nach      durchschnittlichen Haushaltseinkommen (LEG, 2016)
rechts: (1) Aktivitäten innerhalb der Kulturbranche und   und den (steigenden) Mieten zusammensetzt und ein
Gewerbe (v.a. Dienstleistungen und Gastronomie), (2)      deutliches Anzeichen für die finanziell schwache Be-
demographische Angaben zu den Bewohner*innen              wohnerschaft ist. Das hat zur Folge, dass auch kleine
des Quartiers und stark mit den Ausprägungen des          Mietpreissteigerungen einen wesentlich größeren
benachteiligten Quartiers verbundene Institutionen,       Effekt haben können als in anderen Stadtteilen. Dies
(3) Gebäude und Immobilien, also die „Hardware“ des       sind mögliche Gründe für eine beginnende Gentrifizie-
Quartiers, sowie (4) Aktivitäten rund um Stadterneue-     rungsdebatte seit 2017/18, die jedoch 2019/20 etwas
rung und -planung. Da jeder Bereich eigene Pfad-          abgeflaut ist.
abhängigkeiten, Zeithorizonte und Eigendynamiken          Die Wohnlagen werden auf einer vierstufigen Skala
der Erneuerung hat, kann man mit Schnur (2013) von        (einfach – mittel – gut – exklusiv) durchgehend als
„Zyklen“ sprechen.                                        „mittel“ bezeichnet, mit Ausnahme der Wohnungen
                                                          entlang der Ausfallstraßen und im südlichen Bereich
Gebäude und Immobilien                                    der A46, dort herrschen „einfache“ Wohnlagen vor
                                                          (GARS, 2017, 2018, 2019, 2020). Es gibt einen anhal-
Das Mirker Quartier ist stark gründerzeitlich geprägt.    tenden Sanierungsstau in Wohn- und Gewerbeimmo-
58% der heute knapp 760 Gebäude wurden laut städ-         bilien sowie eine Reihe problematischer Immobilien.
tischen Daten vor 1920 gebaut, nach dem zweiten           Zwischenzeitlich gab es schrottreife Immobilien in
Weltkrieg kamen bis 1990 noch 229 Gebäude dazu bzw.       niedrigem zweistelligen Bereich in der Mirke, einige
wurden ersetzt. Seither stagniert der Neubau, es ka-      davon konnten bzw. mussten aufgekauft und abgeris-
men nur im einstelligen Bereich neue Gebäude hinzu.       sen werden. Die Anzahl von Problem- und Schrottim-
Über die Hälfte der Gebäude im Quartier ist denkmal-      mobilien ist mittlerweile auf einen einstelligen Bereich
geschützt, die Eigentümer*innenstruktur ist äußerst       gesunken. In den Jahren 2007 bis 2012 versuchte das
kleinteilig. Dies zeigt sich auch darin, dass die Stadt   Projekt „Zwischennutzungsagentur“ insbesondere
kaum selbst verwalteten Gebäudebesitz (inkl. Sozial-      leerstehende Ladenlokale neu zu beleben, was im
wohnungen) im Quartier hat. Ebenso gibt es insgesamt      Förderzeitraum gut gelang, jedoch kaum längerfris-
wenige und kaum größere Immobilieninvestor*innen          tige Effekte hatte. Auch die speziell für die Sanierung
oder Wohnungsgesellschaften (GWG, LEG, Clees-Grup-        und Immobilienaufwertung gegründete Wuppertaler
pe, EBV) die im Quartier aktiv sind. Die wenigen im       Quartierentwicklungsgesellschaft (WQG) konnte in
Quartier ansässigen Wohnungsgesellschaften ver-           dem Untersuchungszeitraum keine nennenswerten
walten nur eine sehr geringe Menge an Wohneinheiten.      Impulse für den Immobilienzyklus liefern. 2018/19
Ein Beispiel für neuen Wohnbau durch große Träger         wurde sie von den Gesellschafter*innen aus verschie-
sind die Wohnhäuser entlang der unteren Wiesenstra-       denen Gründen, v.a. einer negativen finanziellen Bilanz,
ße, die von der Clees-Unternehmensgruppe Anfang           aufgelöst. Innerhalb der ersten Periode der Stadt-
der 00er Jahre nach Abriss neu gebaut wurden. Die         umbau-Förderung (2006 – 2010) konnten mittels des
Wohnflächen in der Mirke sind kleiner als im Wupperta-    Hof- und Fassadenprogramms 17 Projekte realisiert
ler Durchschnitt, was hauptsächlich an einer höheren      werden. In der Zeit von 2017 -2019 kamen 4 weitere
Anzahl an Single-Wohnungen (max. 45qm) und der            Projekte hinzu. Die durchschnittliche Förderung pro
geringen Anzahl an Wohnungen über 90qm liegt.             Projekt beträgt ca. 7.000 € bei einer Investitionssum-
Das Mietpreisniveau ist niedrig, sowohl im Vergleich      me von durchschnittlich ca. 18.000 €. Das Programm

22
wird in den nächsten Jahren fortgesetzt. Die Förder-                raum das Förderprogramm Stadtumbau West von 2006
möglichkeit wurde in regelmäßigen Abständen erwei-                  bis 2012 für die gesamte Nordstadt genannt werden,
tert und läuft aktuell bis 2022. Denkmalschützer*innen              das 2015 speziell für das Mirker Quartier ausgebaut
und Architekturinteressierte finden im Mirker Quartier              und verlängert wurde. Wichtige Bestandteile dieses
ein höchst interessantes, oft durchgehend intaktes                  Integrierten Handlungsprogramms (IHP) war die Unter-
historisches Erscheinungsbild vor, das dem Quartier                 stützung von Utopiastadt, die Förderzusage für die
baukulturell eine starke Identität verleiht.                        Sanierung des Mirker Bahnhofs, Gelder für die Umge-
                                                                    staltung des Bahnhofvorplatzes, die Verlängerung des
Stadterneuerung und –planung                                        Hof- und Fassadenprogramms, eine Verlängerung und
                                                                    Ausweitung der sogenannten Mitmachprojekte sowie
Für Stadtentwicklung im baulichen Sinne bot das                     die Anerkennung des 2013 durch Utopiastadt gegrün-
Quartier während der letzten Jahrzehnte wenig Poten-                deten Forum:Mirke als relevante Quartierskonferenz.
zial, da es zum allergrößten Teil bereits vor dem ersten
Weltkrieg „fertig“ gebaut wurde (s. Gebäude und Im-                 Alle genannten Projekte sind Stand Anfang 2020 noch
mobilien). Sowohl prekäre Gebäudezustände, als auch                 in der Umsetzung oder wurden verlängert. Manche
eine sich zuspitzende soziale Problematik geprägt von               Vorhaben harren noch der Umsetzung, wie z.B. der
Kinder- und Jugendarmut sowie vergleichsweise hohe                  Umbau des Bahnhofvorplatzes. Insgesamt wurde
Arbeitslosenzahlen fordern die Stadt und andere Ak-                 jedoch mit dem Bündel an Maßnahmen die Entwick-
teur*innen jedoch immer wieder zum Handeln auf. Eine                lungsimpulse aus der Bürger*innenschaft und von
grundlegende Einschränkung städtischer Handlungs-                   zentralen Organisationen im Quartier sichtbar unter-
fähigkeit im Quartier stellen die seit Jahren leeren Kas-           stützt. Auch finden verstärkt städtisch organisierte
sen der Stadt Wuppertal dar, die weiterhin mit einem                Bürger*innenbeteiligungsveranstaltungen im Quartier
harten Sparkurs einhergehen. Dies verhindert bzw.                   statt (z.B. zur Bahnhofsvorplatzgestaltung und der
verzögert z.B. die konsequente Sanierung von Grün-                  Fahrradstraße (Neue) Friedrichstraße).
flächen und Kinderspielplätzen im Quartier. Im Gegen-               Ein weiterer Stadtentwicklungs-Eckpfeiler an der
satz dazu ist das Quartier im Untersuchungszeitraum                 Schnittstelle zwischen zivilgesellschaftlichem und
stark geprägt vom Engagement von Privatleuten,                      städtischem Engagement ist der Umbau der Nord-
zivilgesellschaftlichen Gruppen und/oder sozialen/                  bahntrasse 2008-2014 zur allseits beliebten Fuß- und
kulturellen Organisationen. Insbesondere das Projekt                Radverbindung entlang der Nordhöhen, der haupt-
Utopiastadt im alten Mirker Bahnhof (2011) entwickelte              sächlich von der Wuppertal Bewegung organisiert
sich zu einem Schwerpunkt der aktiven Quartiers- und                wurde. Die Nordbahntrasse verläuft durch den nördli-
Stadtentwicklung von unten und prägte maßgeblich                    chen Teil des Mirker Quartiers und trägt seit ihrer Eröff-
die Benennung des östlichen Teils der Nordstadt als                 nung im Dezember 2014 zu einer wesentlich besseren
„Mirker Quartier“. Als zentrales Instrument von Politik             Anbindung des Quartiers für Fuß- und Radverkehr in
und Verwaltung muss für den Untersuchungszeit-                      Ost-West-Richtung bei. Im Rahmen der Förderung des

Abbildung 13: Fahrradmesse Bergische Velo am Mirker Bahnhof, 2018

                                                                                                                           23
Radverkehrs wurden auch zahlreiche Einbahnstraßen                   ten Neue Friedrichstraße und Gathe nicht in die Karten
für Rad-Gegenverkehr freigegeben und - auf öffent-                  spielte. Im immer wieder problematischen Raum an der
lichkeitswirksamen Druck hin und durch dringende                    Gathe, der im Osten des Quartiers liegt, fällt das dichte
Kanalbauarbeiten ermöglicht - die (Neue) Friedrich-                 Spielhallen- und Wettbüro-Cluster ins Auge.
straße zur zweiten Fahrradstraße in Wuppertal umge-                 Auf den zum Quartier gehörenden oder quartiersnahen
baut (Bauende 2021).                                                Straßenzügen um die Gathe und an der angrenzenden
2018 unterstützte die Stadt Wuppertal Utopiastadt im                Hochstraße befanden sich Anfang 2017 von außen
Rahmen eines kooperativen Planungsprozesses und                     ersichtlich 21 Spielhallen, Wettbüros und/oder Kneipen
mit einem gemeinsam mit dem Flächeneigentümer                       mit mehreren Spielautomaten (siehe Abschnitt Kultur
verabschiedeten Rahmenkonzept dabei, die Idee des                   und Gewerbe). Dieser Entwicklung, die als Symbol
Utopiastadt Campus zu realisieren (siehe Teilgeschich-              für die sozialen Herausforderungen stehen kann,
ten). Die öffentliche Förderung der Sanierung und                   sollte durch das 2012 beschlossene Spielhallen- und
Umgestaltung des Mirker Freibads wird ebenfalls von                 Wettbürokonzept der Stadt Wuppertal (auf Basis der
Politik und Verwaltung stark unterstützt.                           Glücksspielstaatsverträge und folgenden NRW-Ge-
In Bezug auf die gewerbliche Situation sorgte die Er-               setzgebung von 2012) entgegengewirkt werden (Stadt
öffnung der City-Arkaden ab 2001 für eine Verlagerung               Wuppertal, 2012). Städtische Bebauungspläne wurden
des City-Einkaufsbereichs Richtung Hauptbahnhof,                    seither zu Ungunsten einer Ansiedlung neuer Spielhal-
was vor allem den ehemaligen Einzelhandelsstandor-                  len abgeändert. Im Winter 2017 endete die fünfjährige

 9000

 8500

 8000
         2000        2002       2004        2006       2008         2010        2012       2014        2016       2018        2020

Abbildung 14: Bevölkerungsentwicklung im Quartier Mirke, absolute Zahlen (Stadt Wuppertal, 2020)

 60 %

 50 %

 40 %

 30 %

 20 %
        2000       2002        2004       2006        2008        2010        2012        2014       2016        2018       2020

Abbildung 15: Entwicklung der prozentualen Anteile von migrantischer (schwarz) und ausländischer (grau) Bevölkerung im Mirker
Quartier (Stadt Wuppertal, 2020. Der Anteil migrantischer Bevölkerung wird von der Stadt Wuppertal erst seit 2007 ausgewiesen.)

24
Übergangsfrist der Gesetzgebung, die eine feste, nur                den Trassennetz und unterstreicht großräumig, ohne
in Ausnahmesituationen verhandelbare Abstandsrege-                  auf Details einzugehen, die Entwicklungspotentiale
lung zwischen Spielhallen von 350m vorsieht. Die Kon-               des Quartiers (Stadt Wuppertal, 2019).
sequenzen dieser hoheitlichen Vorgaben für die Spiel-
hallenansammlung an der Gathe und damit für das                     Bewohner*innen
Quartier sind gering. Lediglich drei Spielhallen wurden
stadtweit geschlossen, die Klagen gegen die Verord-                 Die Nordstadt ist der am dichtesten besiedelte Bereich
nung waren teils erfolgreich oder sind noch anhängig.               im Wuppertaler Stadtgebiet und 2019 Wohnraum von
Der am Eingangstor zum Quartier liegende Karlsplatz                 rund 17.240 Menschen (Stadt Wuppertal, 2019), wovon
wurde zwischenzeitlich zum Angstraum erklärt und                    etwa 8.600 im Mirker Quartier leben. Die Bevölkerungs-
soll 2020 weiter umgebaut werden. Ein umfassendes                   dichte liegt bei 146 Einwohner*innen pro Hektar.
Gestaltungskonzept liegt jedoch nicht vor und weiter-               Vernachlässigt man die beiden größten, nicht für Wohn-
hin fehlen sowohl öffentliche Gelder als auch private               zwecke genutzten Flächen (Friedhöfe und Utopiastadt
Initiativen, die dem Platz an der Schnittstelle zwischen            Campus), liegt sie sogar bei 194,7 EW/ha (Wuppertal ge-
City und Quartier eine neue Attraktivität verleihen                 samt: 21,1 EW/ha). Die Einwohner*innenzahlen steigen
könnten. Das 2019 veröffentlichte Stadtentwicklungs-                seit 2012 nach vielen Jahren der Stagnation und des
konzept verortet die Mirke zwischen der langgezoge-                 Bevölkerungsverlusts wieder leicht an (siehe Abb. 14),
nen urbanen Lebensader im Tal und dem impulsgeben-                  erreichen aber noch nicht das Niveau vor 2000.

6,5

5,5

4,5
      2006              2008              2010             2012              2014              2016             2018

Abbildung 16: Mietpreissteigerung - Kaltmiete pro qm (Median) im Quartier Mirke (grau) und Wuppertal gesamt (schwarz)
(Immobilienscout 24)

160

130

100

 70

40

      2000        2002       2004        2006        2008        2010        2012       2014        2016        2018    2020

Abbildung 17: Anzahl der Nationen im Quartier Mirke (grau) und in Wuppertal (schwarz) (Stadt Wuppertal, 2020)

                                                                                                                               25
(Neue) Friedrich-
                                                                                     straße als zweite
                                                                                      Fahrradstraße
                                                                                        Wuppertals
                                                                                                             Stadtentwicklung
                            Wenige private
                           Immobilieninves-
                              tor*innen                                              Städtische Über-         Schleppender
       Sehr wenige                                                                      schuldung           Umbau öffentlicher
       Neubauten                                   Sinkende Anzahl                                               Plätze
                              GMW & GWG           Schrottimmobilien
                                                                                    Verschiebung des
  Stark gründerzeit-                                                                                           Integriertes
                          LEG, Clees-Gruppe,          Kleinteilige                  City- Einkaufsbe-
    lich geprägtes                                                                                            Handlungspro-
                                  EBV             Eigentümer*innen-                reichs Richtung Hbf
 Mischgebiet 58% der                                                                                        gramm Stadtumbau
                                                       struktur                                               West 2006-2012
  Gebäude vor 1920
        gebaut             50% denkmalge-                                          Utopiastadt gGmbH
                          schützte Gebäude        Günstige Mietpreise               und Förderverein
                                                                                    seit 2011, Utopia-      Fortschreibung IHP
 Viele Single-Woh-
                                                                                    stadt Campus seit        Stadtumbau West
nungen, wenige über         Anhaltender                                                    2018                 2015-2018
       90qm               Sanierungsstau in        Wenig Sozialwoh-
                             Gewerbe- &           nungen und öffentl.
     Hof- & Fassaden-      Wohngebäuden           betriebene Gebäude                 Forum:Mirke seit
                                                                                          2013               AK Nordstadt seit
        programm
                                                                                                               Anfang 90er
                           WQG gGmbH (bis
                               2018)                                                 Mitmachfonds
                                                                                   2006-12 & 2015-18,       Kaum Wirkung der
                                                                                        2019-21             Glücksspielregulie-
                                                                                                                   rung

                                                                                    Bau der Nordbahn-
                                                                                    trasse 2008-2014

Gebäude & Immobilien „Immobilienzyklus“                                           Stadterneuerung & -entwicklung
                                                                                  „Planungszyklus“

Abbildung 18: Der Kontext des Mirker Quartiers im Zeitraum von ca. 2006-2020 in vier Dimensionen bzw. „Zyklen“. Abkürzungen siehe
S.2 und Glossar ab S.60

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