COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011

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COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
COMPETENCE

   Gesundheit als Business
    Das Magazin der ZHAW School of Management and Law
                                   Nr. 3, Dezember 2011
COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
Inhalt
                                                                                                                                                              Vorwort                                                                              5

                                                                                                                                                              CEO-Sicht
                                                                                                                                                              Interview mit Ole Wiesinger, CEO der Privatklinikgruppe Hirslanden                   6

                                                                                                   a. 191
                                                                                                            0                                                 Hintergrund
                                                                                         ahre, c
                                                                nssaal
                                                                         der Grü
                                                                                 nderj                                                                        Früher göttliche Gnade, heute käufliches Gut                                        11
                                                      peratio
                                             erg, O
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                                                                                                                                                              Hochschulperspektive
                                                                                                                                                              Gesundheit in der Schweiz: teuer, aber wertvoll                                     14
                                                                                                                                                              Wie viel darf ein Lebensjahr kosten?                                                19

                                                                                                                                                              Unternehmensperspektive
                                                                                                                                                              The mHealth Potential                                                               23

                                                                                                                                                              Expertensicht
                                                                                                                                                              Interview mit Mario Lütolf, Direktor des Schweizer Tourismus-Verbands               26
                                                                                                                                                              Das grosse Hauen ums Stechen                                                        31
                                                                                                                                                              Massgeschneiderte Nahrung für mich und dich                                         34

                                                                                                                                                              Alumni-Perspektive
                                                                                                                                                              Gesundheitssystem im Wandel                                                         38

                                                                                                                                                              Perspektivenwechsel
                                                                                                                                                              Schwarze Listen für säumige Krankenkassenzahler                                     43
Zentrum für medizinische Radiologie –
Röntgeninstitut Lindberg AG, Winterthur:
Das Tochterunternehmen der RI Holding AG ist
mit modernen bildgebenden Geräten ausge­
stattet. Mittels digitalem Röntgen, Magnet­
resonanztomografie, Computertomografie,
Ultraschall etc. werden detaillierte Bilder des
menschlichen Körpers angefertigt. Um dem
ständig steigenden Qualitätsanspruch in der
Medizin gerecht zu werden, ist eine fortlaufen­
de Investition in den Unterhalt und die Erneu­
erung der Geräte zwingend. Man rechnet pro
Jahr mit ca. 25 Prozent des Gesamtumsatzes.

                                                                                                            Building Competence. Crossing Borders.                                                                            COMPETENCE | 2011    3
COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
Vorwort

                                                                                Building Competence.
                                                                                                    Liebe Leserin, lieber Leser                Wort kommen: Zwei Manager zeigen
                                                                                                                                               auf, wie die Nachfrage nach Gesund-
                                                                                                     Unsere Gesundheit spielt nicht nur        heitsleistungen in unternehmerischem
                                                                         1921
                                                  pital W   interthur,
                                       , Kantonss                                                    für uns selbst als Individuen, sondern    Erfolg resultiert; Hochschulvertreter
                            hwestern
                Krankensc                                                                            auch für die Gesellschaft und die Wirt-   diskutieren den Wert der Gesundheit
                                                                                                     schaft als Kollektiv eine immer wich-     für Gesellschaft und Volkswirtschaft;
                                                                                                     tigere Rolle. Einerseits sind Erhaltung   Journalisten beleuchten aktuelle Busi-
                                                                                                     und allenfalls Wiedererlangung der        ness-Trends, aber auch problemati-
                                                                                Gesundheit vor allem im Zusammenhang mit der gestie-           schere Versicherungsaspekte.
                                                                                genen Lebenserwartung zu einem beträchtlichen Kosten-
                                                                                faktor für Individuum und Staat geworden. Andererseits         Zur Illustration von COMPETENCE haben wir, wie auch in
                                                                                ist die Gesundheit wesentliche Bedingung für den volks-        den vergangenen Ausgaben, Impressionen aus Winterthur
                                                                                wirtschaftlichen Erfolg. In einigen westlichen Ländern ist     gewählt. Als traditionell wichtiger Standort für die Gesund-
                                                                                der Gesundheitssektor inzwischen der grösste Arbeitge-         heitsbranche hat die Stadt viele aussagekräftige Motive zu
                                                                                ber. Und manche Experten meinen sogar, der Gesund-             bieten. Der Fotograf Beat Märki und unsere Mediengestal-
                                                                                heitsmarkt habe das Potenzial, der Megamarkt des 21.           terin Nadja Hutmacher haben dabei ein ganz besonderes
                                                                                Jahrhunderts zu werden. Daher misst auch unsere School         Konzept gewählt: Den modernen Aufnahmen haben sie
                                                                                of Management and Law dem Wirtschaftsfaktor Gesund-            altes Bildmaterial aus den Archiven von Winterthur gegen-
                                                                                heit schon seit einigen Jahren grosse Bedeutung bei. Dies      übergestellt. Dadurch wird uns einmal mehr bewusst, wie
                                                                                kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass wir seit          stark der Zeitgeist das Gesundheitsverständnis prägt.
                                                                                1999 das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
                                                                                (WIG) führen, das auf ökonomische und sozialwissen-            Es ist übrigens kein Zufall, dass auch IMPACT, das Ma-
                                                                                schaftliche Fragen im Bereich des Gesundheitswesens            gazin der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen-
                                                                                spezialisiert ist.                                             schaften, seine jüngste Ausgabe ebenfalls dem Thema
                                                                                                                                               Gesundheit gewidmet hat. In verschiedenen Beiträgen
                                                                                Aufgrund dieser Relevanz befasst sich COMPETENCE,              wird gezeigt, wo die ZHAW bisher aktiv war und welche
                                                                                das Magazin der School of Management and Law, in der           Chancen sich im Gesundheitsbereich gerade für interdis-
                                                                                vorliegenden Ausgabe mit dem Thema «Gesundheit als             ziplinäre Forschung bieten.
                                                                                Business». Wie es dem Konzept von COMPETENCE ent-
                                                                                spricht, lässt die Publikation verschiedene Perspektiven zu    Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!

Das Departement Gesundheit der ZHAW ist
eines der grössten Zentren der Schweiz für
die Aus- und Weiterbildung in den Gesund­
heitsberufen Ergotherapie, Hebamme, Pflege
und Physiotherapie. Es trägt massgeblich zur
Professionalisierung der vier Berufe bei – eine                                 Prof. André Haelg                                              Dr. Regine Wieder
Voraussetzung dafür, dass die Gesellschaft auf                                  Leiter ZHAW School of Management and Law                       Chefredakteurin COMPETENCE
hoch qualifizierte Gesundheitsfachpersonen
zählen kann. Zwischen 2006 und 2011 hat sich
die Anzahl der Bachelorstudierenden von 217
auf 1166 mehr als verfünffacht.

                                                                                                                                                                                 COMPETENCE | 2011       5
COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
CEO-Sicht

Ein gutes Gesundheitswesen
braucht freien Wettbewerb
Die Privatklinkgruppe Hirslanden führt in der Schweiz 14 Kliniken                                                           Bekanntlich hilft Wettbewerb, die Qualität zu steigern. Ein
                                                                                                                            echter Wettbewerb ist aber nur in einem nicht regulierten
und ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Ihr CEO Ole                                                                 Markt zwischen privatwirtschaftlichen Akteuren möglich.

Wiesinger ist davon überzeugt, dass der freie Wettbewerb die                                                                Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich mit Hirslan-
                                                                                                                            den gemacht?
Qualität im Spitalwesen fördert.                                                                                            Ole Wiesinger: Ich bin der Überzeugung, dass ein staat-
Interview: Regine Wieder                                                                                                    lich überreguliertes Gesundheitswesen zu einer schlech-
                                                                                                                            teren Qualität der Leistungen und höheren Kosten führt.
                                                                                                                            Gute Qualität ist nur möglich, wenn man die Kräfte des
                                                                                                                            Wettbewerbs spielen lässt, mit einer gewissen Überwa-
COMPETENCE: Worin bestehen die Erfolge der Privatkli-         punkt dar. Hinzu kommen modernste Technologie und             chungsfunktion des Staates. Die Revision des Kranken-
nikgruppe Hirslanden in den letzten Jahren?                   Facharztgarantie, ambulant wie stationär.                     versicherungsgesetzes geht grundsätzlich in die richtige
Ole Wiesinger: Wir konzentrieren uns konsequent auf                                                                         Richtung, d. h. öffentliche und private Spitäler sollen gleich
Qualitätsmanagement einschliesslich der gruppenweiten         In der Vision der Hirslanden-Gruppe heisst es: «Wir han-      behandelt werden. Das Gesetz sieht mehr Wettbewerb
ISO-Zertifizierung aller Einheiten. Damit haben wir ein ex-   deln nach unternehmerischen Grundsätzen und zeichnen          und mehr marktwirtschaftliche Aspekte vor. In der Realität
zellentes Qualitätsniveau erreicht. Ein weiterer kritischer   uns durch hohe Qualität und Wirtschaftlichkeit aus.» Wirt-    führt jedoch die Doppelrolle der Kantone als Regulatoren
Erfolgsfaktor ist das Konzept der Kompetenzzentren.           schaftlichkeit bedeutet auch, Kosten so weit wie möglich      und Betreiber von Spitälern zu einer erheblichen Fehlsteu-
Dies sind Zentren, in denen sich unterschiedliche Fach-       zu reduzieren. Wie stellen Sie dabei sicher, dass bei der     erung im System.
ärzte und weiteres medizinisches Personal auf ein The-        medizinischen Qualität keine Abstriche gemacht werden?
ma konzentrieren, z. B. die Wirbelsäule, und in denen eine    Ole Wiesinger: Wir können bei der Qualität keine Ab-          Die Klinikgruppe kommuniziert, dass sie die Ärzte aktiv in
integrierte Versorgung erfolgt. Wir betreiben derzeit etwa    striche machen, da wir eine Qualitäts- und keine Kosten-      die Umsetzung der Geschäftsentwicklung einbezieht. Wie
100 solcher Kompetenzzentren. Seit unserer Gründung           führerschaft anstreben. Die Qualität der medizinischen        genau funktioniert das?
können wir Wachstum in allen Dimensionen aufweisen:           Behandlung ist bei uns oberstes Gebot. Wir haben uns          Ole Wiesinger: Die ISO-Zertifizierung erfordert unter an-
Anzahl der Betten, Ärzte und Mitarbeiter, aber auch Fall-     bisher komplett selbst finanziert und das unternehmeri-       derem einen stringenten Strategieprozess eines jeden Un-
zahlen und Pflegetage. Wir haben uns als der Anbieter für     sche Risiko voll getragen. Erfolg haben wir, weil der Markt   ternehmens. Im Fall der Kliniken beteiligen wir die Ärzte
Zusatzversicherte positioniert, ohne dabei die Grundver-      von unserer Leistung überzeugt ist.                           am Strategie- und Zielerarbeitungsprozess. Unsere Kom-           Ole Wiesinger: «Gute Qualität ist nur möglich, wenn
sicherten aus den Augen zu verlieren – immerhin sind 30                                                                     petenzzentren werden zusammen mit unseren Ärzten ent-            man die Kräfte des Wettbewerbs spielen lässt.»
Prozent unserer Patienten Grundversicherte.                   Ökonomisches Handeln bedeutet auch Einkommen zu               wickelt. Beispielsweise geht das Ende 2008 gegründete
                                                              maximieren. Kommt man da als privater Anbieter von me-        Zentrum für Neuropelveologie auf eine Initiative unserer
Im freien Markt müssen sich Organisationen von ihren          dizinischen Leistungen nicht in Versuchung, besonders         Ärzte zurück. Dieses hoch spezialisierte Zentrum beschäf­        Ole Wiesinger: Die Mediclinic-Gruppe ist die fünft-
Wettbewerbern unterscheiden, um erfolgreich zu sein.          teure Therapien anzuwenden?                                   tigt sich mit Funktionsstörungen sowie Schmerzen und             grösste Klinikgruppe der Welt und in drei geografischen
Wodurch unterscheidet sich die Klinikgruppe von ihren         Ole Wiesinger: Es ist selbstverständlich, dass wir kei-       Erkrankungen im kleinen Becken und ist, wie auch die             Regionen mit sehr unterschiedlichen mikro- und makro-
Wettbewerbern?                                                ne unnötigen oder zu teuren Therapien durchführen. Da         anderen Kompetenzzentren, für uns von strategisch wich-          ökonomischen Bedingungen vertreten: in der Schweiz, im
Ole Wiesinger: Unsere Wettbewerber sind sowohl öf-            greift auch unser Qualitätsmanagement, das wir flächen-       tiger Bedeutung, da wir uns dadurch im Markt als innova-         südlichen Afrika und in Dubai. Somit verfügt die Gruppe
fentliche als auch private Spitäler. Wir unterscheiden        deckend anwenden. Ausserdem sind Patienten heutzuta-          tiver Dienstleister positionieren können.                        auch über Erfahrungen in unterschiedlichen Märkten: ers-
uns dadurch, dass wir den strategischen Fokus auf die         ge in der Regel bereits vor einer Behandlung sehr genau                                                                        tens im gesättigten Markt der Schweiz, wo wir uns über
Behandlung zusatzversicherter Patienten legen. Neben          über potenziell notwendige Massnahmen und Methoden            Hirslanden ist Teil der Mediclinic-Gruppe, die auch Kliniken     die Qualitätsführerschaft differenzieren; zweitens in den
bedingungsloser Kundenorientierung bieten wir unse-           informiert. Auch würden die Hausärzte ihre Zuweisungs-        in Südafrika, Namibia und den Vereinigten Arabischen Emi-        Emerging Markets von Südafrika und Namibia, wo sich
ren Patienten einen schnellen Zugang zur medizinischen        praxis augenblicklich ändern und niemanden mehr zu uns        raten betreibt. Sie selbst sind Mitglied der internationalen     selbst Privatspitäler nur über Kostenführerschaft behaup-
Behandlung. Selbstverständlich stellt die kompetente,         schicken. Im Übrigen glaube ich grundsätzlich nicht, dass     Konzernleitung von Mediclinic und in deren Verwaltungsrat        ten können; und drittens in Dubai, wo die Gruppe derzeit
aufmerksame und fürsorgliche Pflege in wohltuender Um-        eine angebotsgesteuerte Nachfrage im akutstationären          vertreten. Inwiefern sind die Herausforderungen im südli-        strategisch zwischen Qualitätsfokus und Kostenfokus po-
gebung nebst guter Verpflegung einen wichtigen Schwer-        Bereich greift.                                               chen Afrika bzw. in den VAE anders als in der Schweiz?           sitioniert ist.

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COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
CEO-Sicht

                                                                                         Affinität zur Forschung zu rek-     sollte es dem Spital überlassen bleiben, welche Leistung        zwang abgeschafft werden, d. h. eine Krankenkasse sollte
                                                                                         rutieren. Insofern kann sich die    es zu welchem Preis anbietet. Bisher haben wir bewiesen,        nicht per se an jeden zugelassenen Arzt zahlen müssen,
                                                                                         Privatklinikgruppe     Hirslanden   dass die Preise für unsere hochstehenden Leistungen             sondern sie sollte wählen können, mit welchem Arzt sie
                                                                                         gar nicht leisten, diesen Bereich   durchaus wettbewerbsfähig sind. Kostensenkungsmass-             Verträge macht. Zweitens bräuchte man eine monistische
                                                                                         zu vernachlässigen. In Sachen       nahmen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht nötig.                 Finanzierung, d. h. es würden nicht mehr sowohl Kanton
                                                                                         Forschung haben unsere Klini-                                                                       als auch Krankenversicherung für unsere Gesundheits-
                                                                                         ken sehr viel Autonomie und in-     Die Privatklinikgruppe Hirslanden behauptet, sie engagiere      leistungen bezahlen, sondern nur noch ein Zahlmeister.
                                                                                         vestieren dort, wo ihre Schwer-     sich nachhaltig in Gesellschaft und Politik als sozialverant-   Drittens ist ein verfeinerter Risikostrukturausgleich erfor-
                                                                                         punkte liegen. Zudem haben          wortlicher Partner. Wie tut sie dies?                           derlich. Derzeit greift bei unseren Krankenversicherungen
                                                                                         wir eine Forschungsstiftung, die    Ole Wiesinger: Auf Gruppen- und Klinikebene haben wir           ein finanzieller Ausgleichsmechanismus, der schlechte
                                                                                         entsprechende Vorhaben finan-       2011 1,5 Mio. Franken für Projekte im Bereich der Cor­          Risiken kompensiert. Dieser muss adjustiert werden. In
                                                                                         ziell unterstützt.                  porate Social Responsibility zur Verfügung gestellt. Das        einem derartigen Setup mit Kantonen, die sich auf die
                                                                                                                             beinhaltet sowohl Medical-Partnerschaften als auch Pro-         Sicherstellung der medizinischen Versorgung mit einem
                                                                                        Was entgegnen Sie jenen Kriti-       jekte aus den Bereichen Gesundheit wie z. B. Schwei-            Mindestmass an Regulierung beschränken und sich aus
                                                                                        kern, die den Privatspitälern vor-   zerische Herzstiftung, Krebsliga, aber auch Kunst- und          der Betreiberschaft von Spitälern zurückziehen, würden
                                                                                        werfen, sich nur mit dem profi-      Kulturprojekte wie ein Sponsoring des Luzerner Sinfonie-        die Qualität und Wirtschaftlichkeit im System steigen.
                                                                                        tablen Geschäft rund um die          Orchesters, oder auch Umweltprojekte wie das Solarflug-
                                                                                        Privatpatienten abzugeben und        zeugprojekt Solar Impulse von Bertrand Piccard. Zudem
Die Klinik Hirslanden in Zürich nimmt im März 2009 als erste Institution der
                                                                                        «Rosinenpickerei» zu betreiben?      setzen wir uns für ein freiheitliches, an marktwirtschaft-
Schweiz ein CyberKnife-System in Betrieb. Das CyberKnife-System ist das
                                                                                        Ole Wiesinger: Erstens sind          lichen Prinzipien orientiertes und wettbewerbliches Ge-
weltweit einzige nichtinvasive, robotergesteuerte Radiochirurgiesystem für
                                                                                        etwa ein Drittel unserer Patien-     sundheitswesen ein. Es bedeutet auch, dass es ein faires
die Behandlung von Tumoren an beliebigen Stellen des Körpers.
                                                                                        ten gruppenweit Allgemeinver-        und transparentes Nebeneinander von öffentlichen und
                                                                                        sicherte, an einzelnen Standor-      privaten Spitälern geben soll und muss.
                                                                                        ten über 60 Prozent. Zweitens
Forschungsaktivitäten sind für Spitzenkliniken unerlässlich,    ist es doch selbstverständlich, dass Patienten, die          Sie haben früher als Chirurg im Spital gearbeitet. Inwiefern
um die Qualität bei Diagnose und Behandlung sicherzustellen.    höhere Prämien bezahlen, eine erweiterte Leistung            können Sie von dieser Erfahrung heute als Manager einer
Allerdings sind die Forschungsaktivitäten an privaten Kliniken  bekommen. Das ist auch in öffentlichen Spitälern nicht       Klinikgruppe profitieren?
eingeschränkter als an staatlichen, da private Kliniken keine   anders; auch sie behandeln gerne Zusatzversicherte.          Ole Wiesinger: Dank meiner medizinischen Erfahrung
staatliche Unterstützung für ihre Forschung erhalten. Wie stel-                                                              verstehe ich Ärzte und ihre Anliegen besser. Ich profitiere     Ole Wiesinger
len Sie sicher, dass die Klinikgruppe trotzdem wettbewerbs-     Wie gehen Sie damit um, dass die Hirslanden-Klinik           davon, dass ich die medizinischen Abläufe kenne und vor         Dr. Ole Wiesinger ist seit 2008 CEO der Privatklinikgruppe Hirslanden.
                                                                                                                                                                                             Davor war er während vier Jahren Direktor der Klinik Hirslanden in
fähig bleibt?                                                   «Im Park» in Zürich aufgrund mangelnder Wirtschaft-          allem auch die Situation des Pflegepersonals. Ich muss
                                                                                                                                                                                             Zürich. Wiesinger ist Mitglied des Verwaltungsrats der Mediclinic Swit-
Ole Wiesinger: Hier muss zunächst zwischen Grundlagen-          lichkeit nicht auf die Spitalliste gekommen ist? Werden      zugeben, dass mir mein Arztberuf manchmal fehlt, denn           zerland AG und Mediclinic International Limited, der südafrikanischen
forschung und klinischer Forschung unterschieden werden.        Sie Kostensenkungsmassnahmen einleiten?                      ich war ausgesprochen gerne Arzt. Aber meine Entschei-          Muttergesellschaft der Privatklinikgruppe Hirslanden. Nach dem Stu-
                                                                                                                                                                                             dium der Biologie und Humanmedizin absolvierte er ein Nachdiplom-
Grundlagenforschung muss sinnvollerweise den Universitä-        Ole Wiesinger: Ich bin nicht damit einverstanden,            dung, ins Spitalmanagement zu wechseln, bereue ich kei-         studium in Gesundheitsökonomie. Der 49-Jährige ist in Hamburg ge-
ten vorbehalten bleiben; klinische Forschung kann an allen      dass der Kanton verkündet, die Klinik «Im Park» sei          nesfalls.                                                       boren, verheiratet und Vater von vier Kindern.
klinischen Einrichtungen betrieben werden. Für die Privatkli-   nicht wirtschaftlich genug. Erstens ist die Vergleichs-
nikgruppe Hirslanden ist Forschung von strategischer Be-        grundlage falsch, da man die durchschnittlichen Kos-         Wie müsste man aus Ihrer Sicht ein ideales Gesundheits-         Privatklinikgruppe Hirslanden
                                                                                                                                                                                             Die Privatklinikgruppe Hirslanden umfasst 14 Kliniken in 10 Kantonen,
deutung, da sie sich u. a. über die z. T. hoch spezialisierten  ten aller öffentlichen Spitäler als Vergleichsgrösse an-     system organisieren?
                                                                                                                                                                                             zählt 1 520 Belegärzte und angestellte Ärzte und 5 654 Mitarbeitende.
Kompetenzzentren positioniert, und diese wiederum wären         gesetzt hat. Zweitens ist es Sache des Privatspitals,        Ole Wiesinger: Grundbedingung ist Wettbewerb im                 Hirslanden ist die führende Privatklinikgruppe der Schweiz und weist
ohne entsprechende klinische Forschungsaktivitäten nicht so     wie es mit den Kosten umgeht, nachdem ja eben ab             Markt, denn kein rein staatliches Gesundheitssystem hat         im Geschäftsjahr 2010/11 einen Umsatz von 1 218 Mio. Franken aus.
                                                                                                                                                                                             Die Privatklinikgruppe Hirslanden formierte sich 1990 aus dem Zu-
erfolgreich und attraktiv. Unser Wachstum ist auch ein Re-      2012 nicht mehr das Objekt, d. h. das Spital, sondern        sich je durchgesetzt. Darüber hinaus sind drei Vorausset-       sammenschluss mehrerer Privatkliniken und ist seit 2007 Teil der süd-
sultat unseres Bestrebens, hoch spezialisierte Ärzte mit einer  das Subjekt, d. h. der Patient, finanziert wird. Auch        zungen notwendig: Erstens müsste der Kontrahierungs-            afrikanischen Spitalgruppe Mediclinic International Limited.

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COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
Früher göttliche Gnade,
                                                                heute käufliches Gut
                                                                Die Gesundheit spielte für den Menschen schon immer eine
                                                                wichtige Rolle. Bereits seit der Antike kennt man sowohl ihre kör-
                                                                perliche als auch ihre seelisch-geistige Dimension. Allerdings gibt
                           ntonsspital W
                                           interthur, 19
                                                           26   es bis heute keine Einigkeit darüber, worin Gesundheit besteht
            Apotheke, Ka
                                                                und wie stark sie der Mensch beeinflussen kann.
                                                                Text: Regine Wieder

                                                                Dafür, dass sie unser höchstes Gut sein soll, wissen wir       die geistige und soziale Dimension mit einbezogen werden
                                                                ausgesprochen wenig über unsere Gesundheit. Sie be-            müssen. Dieses erweiterte Verständnis von Gesundheit
                                                                schäftigt uns zwar fortwährend, aber meist nur indirekt,       ist sicherlich insofern sinnvoll, als es unser psychosozi-
                                                                indem wir versuchen, Krankheiten abzuwenden. Über              ales Wohlbefinden explizit berücksichtigt. Problematisch
                                                                Krankheiten wissen wir dagegen viel, weil uns über sie         allerdings ist die Absolutheit, die in der Definition zutage
                                                                eine grosse Menge an Informationen zur Verfügung steht.        tritt. Gälten wir nur bei vollständigem körperlichem, geisti-
                                                                Aber letztlich dreht sich alles um das eine: die Erhaltung     gem und sozialem Wohlbefinden als gesund, so wären die
                                                                oder Wiederherstellung unserer Gesundheit, eines Zu-           meisten Menschen fast permanent krank.
                                                                stands, den wir für erstrebenswert halten, aber bei dem
                                                                wir uns nicht einig sind, worin er besteht.                    Gesundheit als Geisteshaltung
                                                                                                                               Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Wert und Wesen
                                                                Was ist Gesundheit?                                            unserer Gesundheit die Menschen schon früh beschäftigt
                                                                Ein gängiges Verständnis von Gesundheit ist die Abwe-          haben und in engem Zusammenhang mit der Frage nach
                                                                senheit von Krankheit. Diese Sicht ist einerseits problema-    dem Lebenssinn stehen. Bereits im klassischen Griechen-
                                                                tisch, weil Krankheit kein objektiver Zustand ist, sondern     land ging das Verständnis von Gesundheit über körperli-
                                                                von willkürlichen Definitionen abhängt. So argumentiert        che Unversehrtheit hinaus. Eine wichtige Voraussetzung
                                                                der Mediziner, Theologe und Buchautor Manfred Lütz,            für Gesundheit war die Harmonie, die einerseits aus dem
                                                                dass die Anzahl der Krankheiten ausschliesslich von der        Fliessgleichgewicht der Körpersäfte besteht, andererseits
                                                                Häufigkeit der medizinischen Kontrolluntersuchungen ab-        aber auch durch eine intakte Umwelt sowie die entspre-
                                                                hänge. Andererseits greift das Verständnis, Gesundheit         chende Ernährung gebildet wird. Für Plato ist die Ge-
                                                                sei der Zustand ohne Krankheit, auch zu kurz. Generell         sundheit des Menschen vor allem von dem Zustand der
                                                                gehen wir davon aus, dass die Gesundheit wieder herge-         Seele abhängig, die zwar mit dem Körper verbunden ist,
Steinberg-Apotheke Winterthur: Gemäss                           stellt, wenn die körperliche Krankheit besiegt ist. Fraglich   aber weit über ihm steht und unsterblich ist. Er sieht in
Schweizerischem Apothekerverband pharma­
                                                                ist allerdings, ob man nach dem Verschwinden der Krank-        der Seele auch die Vernunft beheimatet, die die Aufga-
Suisse gibt es schweizweit über 1 700 Apo­
theken und eine Apotheke pro 4 500 Einwoh­                      heitssymptome bereits von Gesundheit sprechen kann.            be hat, Tugenden zu fördern und die Harmonie der Seele
nerinnen und Einwohner. Die Apothekendichte                     Gemäss der Definition der World Health Organization ist        herzustellen. Auch bei Aristoteles kommt im Zusammen-
liegt somit unter dem europäischen Mittel von                   Gesundheit «ein Zustand des vollständigen körperlichen,        hang mit Gesundheit, die er als höchstes Gut bezeichnet,
3 300. Durchschnittlich beschäftigt eine Apo­                   geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das          der Tugendaspekt zum Ausdruck. Aristoteles ist sogar der
theke in der Schweiz knapp 11 Personen und                      Fehlen von Krankheit oder Gebrechen». Zumindest weist          Meinung, der Mensch sei für seine Krankheiten oft selbst
erwirtschaftet einen Betriebserlös von 2,9 Mio.
                                                                diese Formulierung darauf hin, dass Abwesenheit von            verantwortlich und könne Gesundheit durch eine tugend-
Franken.
                                                                Krankheit nicht ausreicht und neben der körperlichen auch      hafte Haltung erreichen.

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COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
Hintergrund

Gesundheit von Gottes Gnaden                                   Zwischen Mechanizismus und                                     Kontrolle über die Gesundheit                                   rungsprozess und schliesslich dem Tod so lange wie mög-
Auch im abendländischen Mittelalter wurde Gesundheit           Harmonieideal                                                  Die Vorstellung, dass die innere Haltung sowohl Körper          lich auszuweichen, ist zwar prinzipiell nachvollziehbar. Es
stark mit religiösen Fragen verbunden. Körperliche Krank-      Ein mentalitätsgeschichtlicher Paradigmenwechsel fand          als auch Psyche übersteuern und ein Gleichgewicht be-           stellt sich allerdings die Frage, ob die permanente Sorge
heiten, vor allem auch Missbildungen, waren zunächst           in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts statt. Ein gänz-     wirken kann, wurde mit Beginn des 20. Jahrhunderts              um das Wohlbefinden uns nicht letztlich mehr Lebensqua-
eine Strafe Gottes für eine menschliche Sünde. Sie wur-        lich neues Verständnis von Gesundheit entstand, als René       durch Sigmund Freud (1856 – 1939) fundamental in Frage          lität nimmt, als sie uns gibt.
den aber auch als eine Botschaft verstanden, die den           Descartes (1596 – 1650) mit seinem «Discours de la mé-         gestellt. Gemäss seiner Theorie der Psychoanalyse sind
Menschen zur Kontemplation und Umkehr bringen sollte,          thode» (1637) den Grundstein für die moderne wissen-           unbewusste psychische Vorgänge für unser Verhalten,
um letztlich seine seelische Gesundung zu bewirken. Um-        schaftliche Denkweise legte und mit seinen Ideen eine          unser Denken und unsere Emotionen verantwortlich. Erst
gekehrt sah man im körperlich Gesunden Ausdruck eines          wichtige Voraussetzung für die Aufklärung schuf. Für Des­      durch Aufdecken dieser unbewussten Vorgänge können
gottgefälligen und tugendhaften Lebens. Diese Gesund-          cartes besteht der Mensch aus zwei Elementen: einem            psychische und psychosomatische Störungen behoben
heit manifestierte sich durch Körperkraft und die Fähig-       mechanisch funktionierenden Körper und einer Seele. Den        werden. Auch wenn die Wissenschaftlichkeit dieser Theo-
keit zum Kampf mit Schwert und Schild. Nicht umsonst           menschlichen Körper vergleicht er mit einem Automaten          rie nicht allen Prüfungen standhält, so haben wir Freud zu
stösst man bei einer etymologischen Untersuchung des           und den Blutkreislauf mit einem Fluss, der verschiede-         verdanken, dass die menschliche Psyche in der Medizin
Wortes «Gesundheit» auf althochdeutsche Formen, die            ne Maschinen, nämlich die Organe, antreibt. Descartes          und auch in anderen Wissenschaften eine immer stärkere
in etwa «Stärke» bedeuten. Obwohl Krankheit als Strafe         erwartet von der Medizin, dass sie durch systematische
Gottes gesehen wurde, verlangte das Gebot der christ-          Suche nach den Ursachen den Menschen von Krankhei-                  «Dass der Mensch nur dann
lichen Nächstenliebe, den Kranken zu helfen, was auch          ten befreien kann. Sein mechanistisches Verständnis des         gesund ist, wenn auch seine Psyche
zuverlässig praktiziert wurde. Denn schliesslich hätte eine    menschlichen Organismus markiert den Beginn einer lan-            im Gleichgewicht ist, wird heute
                                                               gen Tradition, die sich zum Teil bis heute gehalten hat. Es        kaum noch in Frage gestellt.»
  «Umgekehrt sah man im körperlich                             ist die Überzeugung, dass Gesundheit und Krankheit fast
   Gesunden Ausdruck eines gott­                               vollständig durch den Menschen gesteuert und kontrolliert      Berücksichtigung fand und noch findet. Dass der Mensch
 gefälligen und tugendhaften Lebens.»                          werden können. Auch wenn sich diese Sicht im Laufe der         nur dann gesund ist, wenn auch seine Psyche im Gleich-
                                                               Zeit als problematisch erwiesen hat, bleibt Descartes’ Ver-    gewicht ist, wird heute kaum noch in Frage gestellt. Zu-
Vernachlässigung der karitativen Pflicht zur Folge haben       dienst für die Entwicklung der Wissenschaften beachtlich.      sätzlich haben wir – gerade auch durch Freud – gelernt,
können, dass Gott einen dafür selbst mit Siechtum be-          Eine weitere wichtige Wende im Verständnis von Gesund-         dass es menschliche Phänomene wie eben das «Unbe-
straft. In dieses Dilemma gerieten die Menschen insbe-         heit vollzog sich über ein Jahrhundert später. Der noch        wusste» gibt, die wir mit den uns zur Verfügung stehen-
sondere, als im 14. Jahrhundert in Europa die Pest wü-         während der Aufklärung propagierten Vernunft als Erkennt-      den Methoden nicht vollständig erschliessen, allenfalls
tete, die als rasender Zorn Gottes interpretiert wurde. Im     nis- und Problemlösungsprinzip wurde gegen Ende des            erahnen können, die aber ein wichtiges Element unserer
Gegensatz zu diesem körperbezogenen Verständnis von            18. Jahrhunderts die Emotion gegenübergestellt. Das Be-        Gesundheit ausmachen.
Gesundheit gab es im Mittelalter auch einige Strömungen,       dürfnis, widerstreitende Kräfte miteinander zu versöhnen,
die alles Körperliche verteufelten und sich zu strengster      resultierte anschliessend im Harmonieideal der Klassik.        Obwohl wir uns der Grenzen der Wissenschaft bewusst
Askese verpflichteten. Für sie hatte die körperliche Verfas-   Dieses Prinzip nimmt auf das bereits in der Antike propa-      sein müssten, hat sich das von Descartes begründete
sung wenig Bedeutung, wichtig war die geistige Haltung.        gierte Ideal der Vollkommenheit und Ganzheit Bezug. Vor        mechanistische Menschenbild hartnäckig über die Jahr-
Inmitten dieser Ambivalenz von Körperverehrung und             diesem Hintergrund wird auch Gesundheit neu definiert.         hunderte behauptet und scheint in den letzten Dekaden
Körperverachtung hatte es die Medizin ausgesprochen            Gesundheit war nicht mehr hauptsächlich das Ergebnis           gar noch populärer geworden zu sein. Der Trend, dass
                                                                                                                                                                                              Regine Wieder
schwer. Zwar hatte sie bereits seit dem 13. Jahrhundert        einer reibungslos funktionierenden Maschine, sondern           vor allem körperliche Intaktheit und Perfektion mit allen zur   Dr. Regine Wieder ist an der ZHAW School
dank ihrem Zugang zu dem reichen medizinischen Wis-            die Zusammenführung von Körper und Seele. Goethe               Verfügung stehenden Methoden erreicht werden können,            of Management and Law als Dozentin für
                                                                                                                                                                                              Wissenschaftstheorie, Kommunikation und
sen der Araber und der berühmten Fakultäten von Bolog-         (1749 – 1832), der sich zeitlebens über sein Befinden Ge-      wenn man nur genügend investiert, ist allgegenwärtig.
                                                                                                                                                                                              Public Relations tätig. Nach ihrem Studium
na, Salerno und Montpellier grosse Fortschritte gemacht.       danken machte, sah in der Gesundheit eine Harmonie, die        Selbst fernöstliches Gedankengut und Meditationsprak-           und Doktorat in Europäischer Literatur an
Dennoch konnten sich ihre Erkenntnisse kaum gegen den          das Resultat einer inneren Haltung ist. Diese ermöglichte      tiken, wie z. B. Yoga, werden letztlich oft entgegen ihrer      der Universität Oxford und einem längeren
                                                                                                                                                                                              Forschungsaufenthalt an der University of
alles dominierenden Glauben – und insbesondere auch            ihm trotz körperlicher Krankheit und psychischer Krisen, die   ursprünglichen Idee im Sinne des Machbarkeitswahns              Pennsylvania hat sie als Kommunikations-
den Aberglauben – durchsetzen.                                 entgegengesetzten Kräfte ins Gleichgewicht zu bringen.         instrumentalisiert. Das Bestreben, Krankheiten, dem Alte-       spezialistin in der Wirtschaft gearbeitet.

12       COMPETENCE | 2011                                                                                                                                                                                                        COMPETENCE | 2011   13
COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
Hochschulperspektive

Gesundheit in der Schweiz:
teuer, aber wertvoll
Dass die Kosten des schweizerischen Gesundheitswesens                                                                     Abbildung 2 zeigt denselben Tatbestand aus Sicht der ein-            Tabelle 1: Lebenserwartung bei Geburt in Jahren,

hoch sind und ständig ansteigen, kann man beinahe täglich                                                                 zelnen Person für die Schweiz. So sind in der betrachteten
                                                                                                                          Zeitperiode die Ausgaben pro Kopf zu Preisen von 2005
                                                                                                                                                                                               Schweiz 1985, 2000 und 2009

den Medien entnehmen. Darüber sollte allerdings nicht verges-                                                             von 4 400 auf 8 000 Franken pro Jahr, also um 83 Prozent              Jahr                           Männer         Frauen

sen werden, dass auch der Wert der Gesundheit sehr hoch ist                                                               angestiegen. Das Pro-Kopf-Einkommen hat dagegen real
                                                                                                                          nur um 24 Prozent von rund 57 000 auf 70 000 Franken
                                                                                                                                                                                                1985                           73,5           80,2

und zukünftig weiter zunehmen wird.                                                                                       zugenommen. Dabei gilt es zu beachten, dass trotz der
                                                                                                                                                                                                2000                           76,9           82,6

Text: Reto Schleiniger                                                                                                    überproportionalen Zunahme der Gesundheitsausgaben                    2009                           79,8           84,4
                                                                                                                          das Einkommen auch abzüglich dieser Ausgaben immer
                                                                                                                                                                                                Differenz 1985 bis 2009        6,3            4,2
                                                                                                                          noch angestiegen ist.
In der Schweiz betrugen im Jahr 2009 die Ausgaben für die     hoch ist und die USA mit einem Wert von 17,4 Prozent im                                                                          Bundesamt für Statistik der Schweiz
Gesamtheit aller Gesundheitsleistungen 61 Mia. Franken,       Jahr 2009 unangefochten an der Spitze stehen. In allen      Abbildung 2: Gesundheitsausgaben und BIP pro Kopf,
wovon rund die Hälfte über die obligatorische Kranken­        Ländern hat die Quote über die Zeit stark zugenommen.       1985 bis 2009                                                        Natürlich wird die Lebenserwartung auch von anderen
versicherung und die Kantonsbeiträge an die Spitäler ab-      Im Durchschnitt über alle OECD-Länder stieg der Anteil                                                                           Faktoren als der Gesundheitsversorgung beeinflusst.
                                                                                                                          190
gedeckt wurde. Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt          in den letzten 25 Jahren um 3,4 Prozentpunkte. Die Ge-                                                                           Wenn aber beispielsweise die Hälfte der Veränderung
                                                                                                                          180
stiegen die Ausgaben in den letzten 25 Jahren von 7,7         sundheitsausgaben sind also in dieser Zeit deutlich stär-   170                                                                  der Lebenserwartung, also gut drei Jahre bei den Män-
auf 11,4 Prozent. Abbildung 1 zeigt, dass der Anteil der      ker gewachsen als die Gesamtwirtschaft.                     160                                                                  nern und gut zwei Jahre bei den Frauen, auf vermehrte
                                                                                                                          150
Gesundheitsausgaben in unseren Nachbarländern ähnlich                                                                                                                                          Gesundheitsleistungen zurückzuführen ist, so kann man
                                                                                                                          140
                                                                                                                          130
                                                                                                                                                                                               sich die Frage stellen, ob die zusätzlichen Lebensjahre die
                                                                                                                          120                                                                  Mehrkosten von jährlich 3 600 Franken wert sind. Neuere
                                                                                                                          110                                                                  Studien für die USA und auch für die Schweiz bejahen
                                                                                                                          100
                                                                                                                             1985     1990          1995            2000        2005    2010   diese Frage. Die Erhaltung der Gesundheit kostet also viel,
Abbildung 1: Entwicklung des Anteils an Gesundheitsausgaben in ausgewählten Ländern (in Prozent)                                          Gesundheitsausgaben real pro Kopf indexiert
                                                                                                                                                                                               ihr Nutzen wird aber von der Bevölkerung noch höher be-
18                                                                                                                                        BIP real pro Kopf indexiert                          wertet.

16
                                                                                                                          Bundesamt für Statistik der Schweiz                                  Das bedeutet, dass die Ausweitung der Gesundheitsver-
14                                                                                                                                                                                             sorgung in der Schweiz als Ganzes wohlfahrtssteigernd
                                                                                                                                                                                               ist. Es heisst allerdings nicht, dass Art und Menge der
12
                                                                                                                          Nicht nur die Kosten steigen                                         Gesundheitsleistungen in einzelnen Bereichen nicht über
10                                                                                                                        Bei der Beurteilung dieses Kostenwachstums ist aller-                das von den Konsumenten gewünschte Mass hinausge-
                                                                                                                          dings insofern Vorsicht geboten, als steigende Kosten                hen oder dass alle Leistungen möglichst kostengünstig
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                                                                                                                          nicht a priori etwas Schlechtes sein müssen. Dies wäre               erbracht werden. Es kann also durchaus noch «Luft im
6                                                                                                                         nur dann der Fall, wenn den zunehmenden Kosten kein                  System» in Form von allokativer und produktiver Ineffizi-
                                                                                                                          Nutzen gegenüberstehen würde. Ein häufig verwendeter                 enz vorhanden sein. Um zu analysieren, ob solche Ineffizi-
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                                                                                                                          Indikator für den Nutzen von Gesundheitsleistungen ist die           enzen bestehen, müssen zuerst die Ursachen der hohen
2                                                                                                                         Lebenserwartung. Diese ist in der Schweiz, wie aus Tabel-            Kosten bzw. des Kostenwachstums identifiziert werden.
                                                                                                                          le 1 zu entnehmen ist, in den letzten 25 Jahren deutlich             Anhand der einzelnen Einflussfaktoren lässt sich dann die
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        Korea     United Kingdom   Sweden         Austria          Switzerland   Germany      France      United States
                                                                                                                          angestiegen.                                                         Frage genauer erörtern, ob die Kosten zu hoch sind bzw.
                                                                                                                                                                                               deren Wachstum zu hoch ist. Im Folgenden werden die
                                                 1985       2000      2009
                                                                                                                                                                                               vier Kostentreiber Alter, technischer Fortschritt, Versiche-
OECD, Health Data 2011                                                                                                                                                                         rungsmarkt und Einkommen näher betrachtet.

14      COMPETENCE | 2011                                                                                                                                                                                                        COMPETENCE | 2011     15
COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
Hochschulperspektive

Teurer Lebensabend?                                           beurteilen, die zu Kosteneinsparungen führt. So bestehen     Krankheitssymptome ist und welche Behandlungsmög-             heit aufgewendet wird. Eine Studie für die USA berechnet,
Alle demografischen Fortschreibungen gehen davon aus,         im Rahmen des Schweizerischen Krankenversicherungs-          lichkeiten in Frage kommen. Dieser Informationsvorsprung      dass dieser alleine auf den Präferenzen der Bevölkerung
dass der Anteil älterer Menschen in der Schweiz wachsen       gesetzes kaum Anreize für kostensparende Innovationen,       kann nun unter Umständen dazu benutzt werden, den Pa-         beruhende Anteil bis Mitte des Jahrhunderts auf 30 Pro-
wird. Damit wurde lange stillschweigend angenommen,           da dieses auf dem so genannten Kostenerstattungsprin-        tienten zu viele oder zu teure Leistungen zu verkaufen. Mit   zent ansteigen wird.
dass sich die Gesundheitsausgaben pro Kopf auch erhö-         zip beruht, wonach die Krankenkassen die Kosten für alle     der aktuellen Revision des Krankenversicherungs­gesetzes
hen werden. Diese Annahme wird allerdings durch neuere        in Anspruch genommenen Leistungen tragen müssen. Mit         soll dieses Problem über die Forcierung von Managed-          Es gibt also viele Gründe für steigende Gesundheitskos-
Studien in Zweifel gezogen, die zeigen, dass vielmehr die     der Einführung von Fallpauschalen von stationären Be-        Care-Modellen eingedämmt werden. Die Idee dabei ist,          ten. Die meisten davon sind allerdings Ausdruck der Prä-
Nähe zum Tod als das eigentliche Alter die Gesundheits-       handlungen ab 2012 kommt es dabei allerdings zu einer        dass die Ärzte im Rahmen dieser Modelle Budgetver-            ferenzen der Bevölkerung. Auch wenn es möglich wäre,
kosten erhöht. Die wissenschaftliche Diskussion darüber       Änderung des Prinzips, von der man sich einen kosten-        antwortung übernehmen, indem sie pro Patient mit einer        den Gesundheitsmarkt durch eine optimale Regulierung
ist noch im Gange. Der Stand der Dinge ist aber, dass die     sparenden Effekt erhofft.                                    Pauschale abgegolten werden. Damit entfällt der Anreiz,       vollkommen effizient zu gestalten, so würden die Kosten
Todesnähe vor allem einen Einfluss auf Akutbehandlungen                                                                    unnötige Behandlungen zu verschreiben.                        zukünftig dennoch zunehmen, und auch ihr Anteil am
hat, während das Alter an sich eher die Pflegekosten, z. B.   Moralisches Risiko bleibt                                                                                                  Bruttoinlandprodukt würde weiter steigen. Natürlich zah-
für Alzheimerpatienten, erhöht. Wie dem auch sei: Selbst      Im Versicherungsmarkt für Gesundheit sind darüber hin-       Steigende Einkommen – steigende                               len wir alle lieber weniger als mehr, jedoch nur bei glei-
wenn die zunehmende Alterung die Gesundheitskosten            aus noch weitere Aspekte von Bedeutung, die zu einer         Kosten                                                        cher Leistung. Wenn aber die Frage nach der Ausweitung
ansteigen lässt, so ist dies Ausdruck der gestiegenen         zu starken Ausdehnung der in Anspruch genommenen             Der letzte hier erörterte Kostentreiber ist das Einkommen.    von Leistungen gestellt wird, dann findet das eine breite
Nachfrage einer älter gewordenen Bevölkerung. Alterung        Leistungen führen. Häufig erörtert werden dabei das so       Dazu ist zuerst einmal Folgendes festzuhalten: Es ist ganz    Zustimmung. So wurde die Volksabstimmung am 17. Mai
kann also zu einem Kostenanstieg führen, von zu hohem         genannte moralische Risiko (moral hazard) und die an-        normal, dass sich die Ausgabenanteile für einzelne Gü-        2009 zur Aufnahme der Komplementärmedizin in den
Wachstum kann aber in diesem Zusammenhang nicht die           gebotsinduzierte Nachfrageausdehnung. Das moralische         ter mit zunehmendem Einkommen ändern. Es wäre alles           Grundleistungskatalog der obligatorischen Krankenversi-
Rede sein.                                                    Risiko ergibt sich dadurch, dass krankenversicherte Per-     andere als rational, unabhängig von seinem Einkommen          cherung von allen Ständen und mit einem Ja-Anteil von 67
                                                              sonen Gesundheitsleistungen pauschal über Prämien            immer genau fünf Prozent davon beispielsweise für Brot        Prozent deutlich angenommen. Die schlechte Nachricht
Anreize für Kosteneinsparung schaffen                         finanzieren und für einzelne, effektiv nachgefragte Leis-                                                                  ist also, dass die Kosten auch in Zukunft weiter steigen
Technischer Fortschritt zeigt sich in Form von kostengüns-    tungen wenig oder nichts zahlen. Dadurch verhalten sich         «Dass uns der zweiundsiebzigste                            werden. Die gute Nachricht ist, dass dies gar keine so
tigerer Erstellung bestehender Leistungen oder in Form        versicherte Personen anders, als wenn sie nicht versichert    Fernsehkanal weniger wert ist als der                        schlechte Nachricht ist.
von neuen oder verbesserten Leistungen. Letztere sind         wären, zum Beispiel indem sie zu wenig Prävention be-         zweite, scheint offensichtlich; warum
ein allgemein anerkannter und bedeutender Kostentrei-         treiben oder zu häufig zum Arzt gehen. Mit Instrumenten          uns aber das zweiundsiebzigste
ber im Gesundheitswesen. Allerdings ist damit noch nicht      wie Franchise und Selbstbehalt lässt sich das Risiko zwar     Lebensjahr weniger wert sein soll als
geklärt, wodurch technischer Fortschritt in dieser Form       eindämmen, allerdings wird dadurch der Versicherungs-
                                                                                                                                das zweite, ist weniger klar.»
                                                              schutz reduziert. Das moralische Risiko ist also sozusagen
 «Ein künstliches Hüftgelenk oder die                         der volkswirtschaftliche Preis, den wir für den Versiche-    auszugeben. Es kommt der Zeitpunkt, da man von Brot
 neuen biotechnologisch hergestellten                         rungsschutz zu zahlen haben. Der Preis ist nicht einfach     gesättigt ist und kein zusätzliches konsumiert, auch wenn
   Medikamente gegen Krebs sind                               zu quantifizieren, dürfte aber nicht sehr hoch sein. Zudem   das Einkommen weiter zunimmt. Sättigung oder ein ab-
                                                              ist davon auszugehen, dass das moralische Risiko eher        nehmender Grenznutzen ist bei den meisten Gütern fest-
  zwar sehr teuer, ihr Nutzen ist aber
                                                              das Kostenniveau, nicht aber das Kostenwachstum be-          zustellen. Es ist allerdings fraglich, ob mit zunehmendem
          auch sehr hoch.»
                                                              einflusst.                                                   Alter Sättigung auch in Bezug auf die Lebensdauer auftritt.
ausgelöst wird und warum diese neuen Leistungen auch                                                                       Dass uns der zweiundsiebzigste Fernsehkanal weniger
                                                                                                                                                                                         Reto Schleiniger
nachgefragt werden. Falls dies aufgrund der Präferenzen       Erfolgsrezept «Managed Care»                                 wert ist als der zweite, scheint offensichtlich; warum uns    Dr. Reto Schleiniger ist Professor an der
der Nachfrager geschieht, dann führt der technische Fort-     Ein weiterer kostentreibender Effekt des Krankenversi-       aber das zweiundsiebzigste Lebensjahr weniger wert sein       ZHAW und Privatdozent an der Universität
                                                                                                                                                                                         Zürich. Seine bevorzugten Forschungsgebie-
schritt zwar zu höheren Kosten, ist deswegen aber kein        cherungsmarktes, die angebotsinduzierte Nachfrage-           soll als das zweite, ist weniger klar. Wenn nun die Sätti-
                                                                                                                                                                                         te sind Umwelt- und Gesundheitsökonomie
Problem. Ein künstliches Hüftgelenk oder die neuen bio-       steigerung, ergibt sich, weil die Leistungserbringer als     gung bei Lebensjahren nicht oder langsamer eintritt als bei   sowie Public Finance.
technologisch hergestellten Medikamente gegen Krebs           Gesundheitsspezialisten gegenüber den Patienten einen        anderen «Gütern», dann ist zu erwarten, dass mit zuneh-
sind zwar sehr teuer, ihr Nutzen ist aber auch sehr hoch.     systematischen Informationsvorsprung besitzen. Der Pa-       mendem Einkommen ein immer grösserer Anteil davon für
Anders ist diejenige Form des technischen Fortschritts zu     tient weiss ja meist nicht genau, was die Ursache seiner     Gesundheit bzw. für ein längeres Leben bei guter Gesund-

16       COMPETENCE | 2011                                                                                                                                                                                                   COMPETENCE | 2011   17
COMPETENCE - Gesundheit als Business Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 3, Dezember 2011
Wie viel darf ein Lebensjahr
                                                   kosten?
                                                   Das Bundesgericht hat im November 2010 ein stark beachte-
                                                   tes Leiturteil zum Krankenversicherungsgesetz (KVG) publiziert.
                                                   Im Urteil steht, dass eine Krankenkasse nicht verpflichtet ist,
           ei   selweid, 1
                             911                   jährlich rund eine halbe Million Franken für ein Medikament zu
 Freibad G
                                                   bezahlen, für das kein hoher therapeutischer Nutzen nachge-
                                                   wiesen werden kann.
                                                   Text: Urs Brügger

                                                   Eine bemerkenswerte Aussage in einem Leiturteil des Bun-      und Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien) zu erfüllen haben.
                                                   desgerichts hat Ende 2010 im schweizerischen Gesund-          Im Urteil wurde eine wissenschaftliche Studie zitiert, die
                                                   heitswesen hohe Wellen geworfen und wird seither inten-       die Wirksamkeit des Medikaments untersucht hatte. Die-
                                                   siv diskutiert. Es ging um die Frage, ob eine Krankenkasse    se besagte, dass im Falle der 67-jährigen Frau lediglich
                                                   die Kosten eines sehr teuren Medikaments zur Therapie         eine leichte Verbesserung der Gehfähigkeit zu erwarten
                                                   einer seltenen Stoffwechselkrankheit übernehmen soll. Im      sei. In der Studie wurde die Gehstrecke gemessen, die
                                                   Urteil wurde festgehalten, dass für solche medizinischen      vergleichbare Patienten mit dieser Krankheit innerhalb von
                                                   Leistungen 100 000 Franken pro zusätzlich gewonnenem          sechs Minuten zurücklegen konnten. In der Patienten-
                                                   Lebensjahr eine in der Gesundheitsökonomie häufig ver-        gruppe mit Medikament betrug die Gehstrecke rund 330
                                                   wendete Obergrenze seien. Kann ein Lebensjahr einen           Meter, während die Vergleichsgruppe ohne Medikament
                                                   Preis haben? Und darf es eine solche Grenze geben?            in dieser Zeit durchschnittlich 300 Meter schaffte. Im Urteil
                                                                                                                 des Bundesgerichts steht: «… die Frage nach dem hohen
                                                   Kosten-Nutzen-Verhältnis ist entscheidend                     therapeutischen Nutzen [ist] graduell und in Relation zu
                                                   Der vom Bundesgericht beurteilte Fall betraf eine 67-jähri-   den Behandlungskosten zu beurteilen: Je höher der Nut-
                                                   ge Frau, die an der seltenen Morbus Pompe erkrankt war.       zen ist, desto höhere Kosten sind gerechtfertigt.» Für das
                                                   Die Krankheit ist unheilbar, führt zunächst zu Invalidität    Bundesgericht war die Wirtschaftlichkeit in diesem Fall
                                                   und schliesslich zum frühzeitigen Tod. Ein einziges Medi-     nicht genügend.
                                                   kament existiert dagegen. Es heisst Myozyme, und seine
                                                   Therapiekosten pro Jahr betragen stolze 500 000 Fran-         Leistungskatalog berücksichtigt WZW-
                                                   ken. Die Wirksamkeit ist allerdings eher bescheiden. Das      Kriterien
                                                   Medikament wirkt vor allem bei jüngeren Patientinnen und      Morbus Pompe betrifft nur rund ein Dutzend Patienten in
                                                   Patienten und verbessert die Atmungs- und Gehfähigkeit.       der Schweiz. Aus diesem Grund würden solch hohe Kos-
                                                   Da das Medikament damals nicht auf der so genannten           ten pro Fall für das Gesundheitssystem insgesamt kein
2011 feierte das Schwimmbad Geiselweid, in
Winterthur liebevoll «Geisi» genannt, sein 100-    Spezialitätenliste aufgeführt war, hatte die Krankenkas-      Problem darstellen. Das Bundesgericht hat auch dazu
jähriges Bestehen. Es ist somit das älteste noch   se dieser Patientin nach einem halben Jahr die weitere        eine Überlegung angestellt. Es hat geschrieben, dass
im Betrieb stehende Freibad der Schweiz. Be­       Bezahlung des Medikaments verweigert. Gegen diesen            in der Schweiz rund 180 000 Personen in einem ähnlich
reits im ersten Jahr verzeichnete das Schwimm­     Entscheid klagte die Frau. Das Bundesgericht gab der          schlechten körperlichen Zustand seien wie die Patienten
bad eine stattliche Besucherzahl von rund          Krankenkasse Recht und verwies auf Artikel 32 im KVG,         mit Morbus Pompe. Würden für alle diese Fälle pro Per-
62 000. Ein Eintritt kostete damals 15 Rappen,
                                                   gemäss dem alle durch die Krankenkassen bezahlten             son 500 000 Franken jährlich zur Verfügung stehen, könn-
heute sind es 6 Franken.
                                                   Leistungen die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit         te man vermutlich die Lebensqualität all dieser Personen

                                                                                                                                                   COMPETENCE | 2011      19
Hochschulperspektive

                                                                                                                             In der Schweiz laufen gegenwärtig verschiedene Initiati-     rücksichtigt werden. Teure Behandlungen von seltenen
                                                                                                                             ven, diesen Prozess der Aufnahme von Leistungen in den       Krankheiten belasten das Gesundheitssystem weniger
                                                                                                                             Leistungskatalog besser zu strukturieren und internationa-   als von häufigen Krankheiten. Damit wird der so genann-
                                                                                                                             len Standards anzupassen. Das zitierte Bundesgerichts-       te «Budget Impact» kleiner, was auch höhere Kosten pro
                                                                                                                             urteil hat diesen Bemühungen zusätzlich Schub verliehen.     Lebensjahr erlaubt. Bisher haben sich die Behörden und
                                                                                                                             Auch die WZW-Kriterien und ihre Interpretation in der        die Politiker in der Schweiz allerdings davor gedrückt,
                                                                                                                             Schweiz werden nochmals zu klären sein. Beim Kriterium       das heisse Eisen solcher ökonomischer Grenzziehungen
                                                                                                                             der Wirtschaftlichkeit muss diskutiert werden, ob ein so     anzupacken. Die Fiktion, Rationierung und Zweiklassen-
                                                                                                                             genannter oberer Grenzwert für den «Preis» eines zusätzli-   medizin im Gesundheitswesen zu vermeiden, wird bis
                                                                                                                             chen Lebensjahres gelten soll, wie ihn das Bundesgericht     heute in Politikerreden aufrechterhalten. Alterung der Be-
                                                                                                                             ins Spiel gebracht hatte.                                    völkerung und technischer Fortschritt werden die Kosten
                                                                                                                                                                                          weiter nach oben treiben. Alles zu jedem Preis über das
                                                                                                                             Meinung der Bevölkerung zählt                                Gesundheitssystem zu finanzieren, ungeachtet der Grös­
                                                                                                                             In England beispielsweise verwendeten die Behörden in        se des Nutzens, wird zukünftig wohl nicht mehr uneinge-
                                                                                                                             der Vergangenheit bei ihren Entscheidungen einen sol-        schränkt möglich sein. Gesundheitsökonomische Studien
                                                                                                                             chen oberen Grenzwert von 30 000 britischen Pfund pro        liefern keine Antwort auf Fragen wie die nach dem Wert
                                                                                                                             Lebensjahr bzw. QALY. Dahinter steht die theoretische        des Lebens. Zudem sind sie mit methodischen Problemen
                                                                                                                             Überlegung, dass mit diesem Vorgehen bei einem fixen         behaftet. Sie können aber als eine Entscheidungsgrundla-
                                                                                                                             Budget für Gesundheitsausgaben die Anzahl Lebensjahre        ge neben anderen dienen, da sie Daten zu solchen Fragen
                                                                                                        Bild: Shutterstock   maximiert werden kann. Das Problem dabei ist, dass dann      und damit eine zusätzliche Perspektive liefern. Dank dem
                                                                                                                             Therapien bezahlt werden, die ein gutes Kosten-Nutzen-       Bundesgericht werden nun in der Schweiz solche heiklen
In der Schweiz laufen gegenwärtig verschiedene Initiativen, den Prozess der Aufnahme von Leistungen in den Leis-
                                                                                                                             Verhältnis haben, solche mit einem schlechten Kosten-        und doch unvermeidbaren Fragen diskutiert, vor denen
tungskatalog besser zu strukturieren und internationalen Standards anzupassen.
                                                                                                                             Nutzen-Verhältnis aber nicht. Bei Umfragen zeigt sich,       man sich hierzulande lange gedrückt hat.
                                                                                                                             dass grosse Teile der Bevölkerung ein solches Vorgehen
ebenfalls verbessern. Dies würde das Gesundheitswesen          Klärungsbedarf in der Schweiz                                 als ungerecht empfinden. Ein Argument ist: «Niemand
zusätzlich zu den gegenwärtigen Gesamtkosten von rund          Überlegungen wie die vom Bundesgericht angestellten           kann etwas dafür, wenn er oder sie eine teure Krankheit
60 Mia. Franken nochmals weitere 90 Mia. Franken pro           zum Kriterium Wirtschaftlichkeit sind in der Gesundheits-     hat.» Zudem macht die Bevölkerung auch einen Unter-
Jahr kosten. Dieser Betrag wäre jedoch nicht zu finan-         ökonomie üblich. Dabei geht es um die beiden Fragen:          schied zwischen schweren und harmlosen Krankheiten,
zieren. Deshalb sei auch aus Gerechtigkeitsgründen die         Wie sieht das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer medizi-          was diese Methoden zu wenig berücksichtigen. Und
­Bezahlung von Myozyme abzulehnen.                             nischen Leistung aus? Welches sind die Kostenfolgen für       schliesslich wurde der Wert von 30 000 britischen Pfund
                                                               das Gesundheits­system?                                       willkürlich gesetzt. Inzwischen sind auch die Engländer
Das Bundesgericht beurteilt Einzelfälle. Wichtig sind die                                                                    von einer strikten Anwendung einer solchen Grenze abge-
WZW-Kriterien auch auf Ebene des Gesundheitssystems            Für die Beurteilung der ersten Frage werden häufig so ge-     rückt. Man ist dort zur Einsicht gekommen, dass derartige
für Entscheide im Zusammenhang mit der Aufnahme von            nannte Kosten-Nutzen-Analysen angewandt. Kosten wer-          Wertvorstellungen der Bevölkerung in die Überlegungen
Leistungen in den so genannten Leistungskatalog. Dieser        den dabei in Geldwerten ausgedrückt, während der Nut-         einzubeziehen sind.
                                                                                                                                                                                          Urs Brügger
umfasst sämtliche medizinischen Leistungen, die von der        zen üblicherweise in anderen Kategorien berechnet wird.                                                                    Prof. Dr. Urs Brügger ist Gesundheitsöko-
Krankenkasse vergütet werden müssen. Ein Teilbereich des       Oft wird dabei der Nutzen von medizinischen Leistungen        Gesundheitsökonomische Studien                               nom und Leiter des Winterthurer Instituts für
Leistungskatalogs ist die Spezialitätenliste für die Medika-   in Lebensjahren oder in qualitätsbereinigten Lebensjahren     können helfen                                                Gesundheitsökonomie (WIG). In Forschung
                                                                                                                                                                                          und Lehre befasst er sich mit den Themen
mente. Zuständig für die Festlegung des Leistungskatalogs      (QALY, d. h. «Quality Adjusted Life Years») ausgedrückt.      Der sich abzeichnende Konsens in der Schweiz ist der,        Health Technology Assessment, Managed
ist das Eidgenössische Departement des Innern (EDI). Für       Das Resultat dieser Studien ist dann z. B. ein Geldwert pro   dass aufgrund der erwähnten Einwände keine fixe Gren-        Care und Patientenklassifikationssystemen.

die Medikamente ist ausschliesslich das Bundesamt für          zusätzlich gewonnenem Lebensjahr. Die Methodik ist eta-       ze über alle Krankheiten hinweg gelten sollte. Zudem
Gesundheit zuständig, das eine Abteilung des EDI bildet.       bliert und international verbreitet, wenn auch umstritten.    soll auch die Seltenheit einer bestimmten Krankheit be-

20       COMPETENCE | 2011                                                                                                                                                                                                       COMPETENCE | 2011   21
The mHealth Potential
                                     1910
                            rthur,
   Rotkr
        euza   uto W
                     inte
                                                 Technology is transforming                                        chronic diseases, dwindling physician and care resources,

                                                 healthcare and mHealth solu-                                      inefficiencies in care delivery (e.g. duplicate or unnecessary
                                                                                                                   tests) and a lack of good access to the right information in
                                                 tions have significant potential                                  the system. What is clear is that the healthcare industry is

                                                 to improve care outcomes for                                      at a tipping point for fundamental change. Technology will
                                                                                                                   be a key enabler in driving this much needed transforma-
                                                 patients and lower the cost of                                    tion within our delivery system that will ultimately improve

                                                 care. Learn about innovative                                      patient care and lead to better healthcare outcomes.

                                                 mHealth solutions which facili-                                   Role of Telecommunication Companies
                                                 tate mHealth adoption to spur                                     When you think of the number of people that a global tech-
                                                                                                                   nology provider like AT&T connects every day, it becomes
                                                 widescale implementation.                                         clear why a carrier can play a significant role in creating
                                                 Author: Eleanor Chye                                              solutions that can transform an industry like healthcare.
                                                                                                                   AT&T believes the use of mobile technologies and smart
                                                                                                                   networks can contribute to a healthier world and is com-
                                                                                                                   mitted to developing solutions that will make it simple for
                                                                                                                   providers and patients alike to adopt new mHealth tech-
                                                  Imagine a prescription bottle sending you reminders to           nologies. The company has sold technology and com-
                                                  take a pill, an application on a smartphone s­ ending real-      munications solutions into healthcare for decades and in
                                                  time feedback to a diabetes patient on what to do if blood       2010 created a new practice area called AT&T ForHealthSM
                                                  sugar levels are too high or too low, or a heart patient         that will accelerate the delivery of innovative wireless,
                                                  recovering at home with caregivers remotely monitoring           cloud-based and networking services and applications to
                                                  their status over a wireless network. mHealth solutions like     help the healthcare industry improve patient care and re-
                                                  these have significant potential to improve care outcomes        duce costs. AT&T’s mHealth solutions roadmap includes
                                                  for patients and lower the cost of care. Today, mHealth          services to support mobile patient care focused on en-
                                                  presents exciting potential, yet remains in the experimen-       gagement and care outcomes and enterprise mobilization
                                                  tal phase. While innovative solutions are being devel-           focused on improving efficiencies and workflow.
                                                  oped, there are barriers to mHealth adoption and practi-
                                                  cal actions that we can act on today to spur widescale           Disease Management – Aiding Diabetes
                                                 ­implementation.                                                  Self-Management
                                                                                                                   Self-management of chronic illnesses has grown increas-
                                                 Increasing Cost of Healthcare in the U.S.                         ingly important, given the aging population and high
Rettungsdienst Winterthur: Eine rasche und       According to a recent report from the Centers for Medicare        healthcare costs. Just consider diabetes – there are nearly
professionelle medizinische Erstversorgung
                                                 & Medicaid Services, U.S. healthcare spending is expected         26 million people with diabetes in the U.S. today – and
kann über Leben und Tod entscheiden. Eine
optimale Betreuung in den ersten Minuten ver­    to nearly double to 4.6 trillion dollar in 2020, from 2.6 tril-   that number is expected to grow to 39 million by 2020.
hindert Folgeschäden und senkt die Kosten für    lion dollar in 2010. The projections also estimate that by        This illustrates the need for innovative solutions that can
den Spitalaufenthalt wesentlich. Voraussetzung   2020, national healthcare spending will account for nearly        support diabetes self-management. Wireless technology
dafür ist ein guter Rettungsdienst mit ausge­    20 percent of the nation’s economic output – up from 17.6         now allows diabetes patients to manage their disease
bildetem Personal und dem entsprechenden         percent of GDP in 2010. Several factors are driving the           real-time and on-the-go. Pilots are underway with AT&T
Material (z.B. Rettungswagen). Eine wertvolle
                                                 increasing costs – general population growth and people           mHealth Solutions Presents DiabetesManager® with em-
Investition, die sich auszahlt.
                                                 living longer, needing to help patients better self-manage        ployees at AT&T, one of the nation’s largest corporate pay-

       22            COMPETENCE | 2011                                                                                                                COMPETENCE | 2011      23
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