CoraxX 20 Jahre in der Luft! - jun+jul €2020 - Radio CORAX
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jun+jul€€€€€2020 Das Freie Radio für Halle (Saale) und Umgebung. www.radiocorax.de coraxX 20 Jahre in der Luft! Auch in der Luft: Viren und das »Wir« corONA
coraxX EDITORIAL€€€ Geburtstag, Virus und »Wir« 20 Jahre Sommer 2020, das heißt Jubiläums- sommer, 20 Jahre RADIO CORAX ! Zeit in der Luft! also für Konzert, Konfetti und kurze Hose! Eigentlich. Doch seit diesem Früh- jahr dominiert ein unbekanntes Virus nicht nur die öffentlichen Debatten. Corona stellt die Welt nicht auf den Kopf, aber grätscht international und flächendeckend in so ziemlich alles hinein, was die Zentren der globalen Weltgemeinschaft zu bieten haben. Das bekommen nicht nur die nationa- len Spielfiguren in Sachen Fußball bzw. Olympia zu spüren, sondern auch Was ist deine jede*r Bürger*in, der und die sich so langsam nichts als seinen Alltag zurückwünscht … alles Folge des erste Erinnerung an allgemeinen ›Shut-Downs‹, in dessen Zuge man in den industriellen RADIO CORAX ? Epizentren des Globus zwischendurch auch mal wieder die eigene Hand vor Augen sehen kann. Die Welt ›im Hier eine kleine Erinnerung an die sehr aussichtslos. Neue Interessent*in- Griff des Virus‹ bedeutet auch für Anfangsjahre von CORAX. Von der nen kamen dafür hinzu. das CORAX-Jubiläum Aufschub bis Möglichkeit eines nichtkommerziellen Als die Frage der Absegnung der 2021. Einerseits … Andererseits: Radiosenders in Halle erfuhr ich Tagesordnungspunkte anstand, bean- Wer sich thematisch so aufdrängt, das erste Mal am Tresen im VL in der tragte ein neuer Kollege ein Rauchverbot. gehört bearbeitet! Ludwigstraße. Das muss so 1997 Man muss wissen, dass die Deshalb widmet sich die aktuelle gewesen sein. Dort unterhielten sich Coraxler alkoholischen CORAX-Programmzeitung zweierlei: Thomas Kupfer und Olaf Kranz (später Getränken nicht abgeneigt Auf der einen Seite muss natürlich promoviert) über die Installation trotzdem gefeiert werden, mit Abstand eines Senders in unserer Stadt. Beides und gefühlte 90 % der versteht sich! Zu Beginn im aktuellen Gründungsväter von CORAX, mit Anwesenden Raucher waren. Heft: die Stimmen zahlreicher Mit- großem Know-how und wichtigen Ver- Diesen Augenblick der allgemeinen streiter*innen und Freund*innen des bindungen, ohne die unser Radio Schockstarre werde ich nie vergessen. halleschen Lieblingsradios und ihre wohl nicht existieren würde. Beispiels- Die Bandbreite der Mimik der Betei- ganz persönlichen CORAX-Momente. weise wollten auch Magdeburg und ligten reichte von Ungläubigkeit und Außerdem on air mit einem 20-Jahre- Dessau seinerzeit einen Sender aufzie- Fassungslosigkeit bis hin zu allgemeiner CORAX-Jubiläumsprogramm am hen, haben es jedoch nicht auf die Bestürzung. Selbstverständlich wurde Monatswechsel von Juni zu Juli. Genau- Reihe gekriegt. Nur Naumburg für einige dem Antrag jedoch zähneknirschend eres in den Sendetexten und im Pro- Zeit und Aschersleben schafften es. stattgegeben (…). Fortan wurde während grammschema auf den letzten Seiten. Jedenfalls war mein Interesse sofort ge- der Sitzungen am offenen Fenster Auf der anderen Seite präsen- weckt und ich fragte, ob man da mit geraucht (…) und ein allgemeines Hin tieren die Texte einen etwas anderen einsteigen könnte. Natürlich war die Ant- und Zurück vom zweiten Stock bis Blick auf die meist vom Standpunkt des wort, dem stand also nichts im Wege. runter vor die Tür. Wir haben es überlebt. nationalen ›Wirs‹ geführte Shutdown- Um einen Radiosender rechtlich zu Am 1. Juli 2000 konnte RADIO Debatte, die das Virus als ›Resilienz- ermöglichen, bedurfte es eines immens CORAX (auch über diesen Namen wurde test‹ der Demokratie versteht. Raum umfangreichen behördlichen Vorlaufs. abgestimmt) schließlich auf Sendung also, sich einmal fernab der Corona- Es war schier unglaublich, an was alles gehen. Unser erstens Studio war ein Dauerbeschallung zwei drei eigene zu denken war. Zu jener Zeit traf sich Kellerraum in der Herderstraße, reich- Urteile darüber zurechtzulegen, was allwöchentlich ein Kreis von ca. 15 Akti- lich provisorisch mit Eierpappen und eigentlich bei dieser Krise ins Wanken vist*innen in der Uhlandstraße im Funzelbeleuchtung, aber auch mit funk- gerät. … soviel vorab. Paulusviertel, um schwer basisdemokra- tionierender Sendetechnik ausgestattet. Philipp für die Redaktion tisch über die zu treffenden Entschei- Erst einige Zeit später bezogen wir dungen zu beratschlagen. Etliche spran- unsere Räumlichkeiten im Unterberg, gen wieder ab, denn zu zäh war die so wie wir sie heute kennen. Materie und das Unterfangen schien Dirk Stolle Stolzenhain / Rockparade
20€jahre€in€der€luft!ß Thomas Kupfer sitzt in unserer VL- Ich bin dem Raben 1993 oder Es war warm, es war Frühsommer Kneipe in der Kellnerstraße und erzählt 1994 begegnet, auf dem zweiten Radio- und es war Paulusfest 1998. Was mir, dass er ein Freies Radio aufbauen kongress. Ich war noch ganz grün hinter bedeutete, viele Leute zu sehen, sich viel will. Ich dachte damals, wow – was für den Radioohren und stellte mit Erstau- zu unterhalten, ein paar Schnäppchen eine wahnsinns Idee!!! Thomas hatte nen fest, wie rege und gut aufgestellt die mit nach Hause zu nehmen. Aber auch visionäre Pläne – und er konnte die auch Radioszene Ost war, der Westen – bis etwas zu hören, das ganze Wochenende umsetzen! Ich vermisse Thomas immer auf die Enklave Dreyeckland – weit zurück, vertraute und nicht vertraute Stimmen, noch. Gerade auch, weil sein Engagement ein radiokarges und -ödes Entwicklungs- Politik und gute Musik. (48 Stunden einer Vereinigten Linken galt. land. Im Osten hingegen gab es schon Veranstaltungsradio, Anm. d. Redak.) Simi / Freischaffende Künstlerin / viel Sende-Erfahrung unter piratisch moti- Daran könnte ich mich gewöhnen. Und Kunstraum Rauschickermannmann vierter Ausnutzung der unklaren gesetz- habe ich schließlich auch. lichen Situation. Ricardo Hoppel / hin und wieder Beate Flechtker / war bei Interview-Gast, häufig Hörer Ein sonniger Nachmittag im Herbst Radio Unerhört Marburg und im 1995 im Biergarten des La Bim am Bund Freier Radios aktiv Töpferplan. Dem Verein war gerade die Als ich im Frühsommer 2009 zum vorgesehene ABM-Kraft abgesprungen. ersten Mal mit Monika Heinrich ein Ich hatte eigentlich etwas anderes vor, Studio betreten habe, war ich regelrecht ließ mich dann aber spontan begeistern eingeschüchtert von der Technik und und war zwei Jahre lang die erste und der Software – hätte mir damals nicht einzige ABM-Kraft des Vereins. annähernd vorstellen können, selbst Dietmar Sievers / ehem. Vorstand und Sendungen zu machen … ehem. Umweltmagazin Elke Prinz / FrauenLeben / LeSBIT Als ich eine Freundin und damalige Praktikantin von CORAX fragte, wo ich mich melden kann, um bei der Tages- aktuellen Redaktion mitzumachen, war die Antwort: Ich war bereits ein oder zwei Jahre Such den Typen mit dem Aus- vor dem Sendestart Mitglied beim sehen eines Büroangestellten, CORAX e.V. Plötzlich und recht kurz- fristig kam die Nachricht, dass wir ab der in Wahrheit aber Punk ist. dem 1. Juli 2000 eine 24h-Frequenz Mal abgesehen davon, dass diese Be- erhalten hatten. Das hieß: Wir Coraxler, schreibung je nachdem welche Assozia- von denen ja die wenigsten bereits tionen man mit dem Typus des Büro- eine professionelle Radioausbildung Es war ein warmer Tag im Sommer angestellten hat, auf mehrere Menschen hatten, mussten ab sofort ein kom- 2000. In der Schleiermacherstraße bei RADIO CORAX zutrifft, habe ich plettes Radioprogramm stemmen! So eilte mir Maria entgegen. Sie trug einige dennoch sofort Michael Nicolai durch fuhr ich am 5. Juli 2000 meine erste Rollen Klopapier unter dem Arm. diesen Tipp identifizieren können. Sendung Musik für den Bauch, die da- Maria: Wohin des Wegs? Ich: Zur Peißnitz. Andrea / unterstützt die mals über zwei Stunden ging und Und du? Maria schien nur auf diese Kinder- und Jugendradioredaktionen 14-tägig ausgestrahlt wurde. Der Name Frage gewartet zu haben: Wir haben nen sowie die Tagesaktuelle Redaktion änderte sich dann bald auf Planet Radiosender gegründet. Wir senden Sounds, das musikalische Profil blieb seit gestern. Total krass. In nem aber bis heute unverändert bei Global Im Oktober 2011 bin ich mit meinen Grooves. Das war für mich schon Keller in der Herderstraße. Bin die damaligen Mitbewohnern eine Küche eine sehr spannende Zeit. Ich erinnere ganze Zeit nur noch dort. Hab grad schnell für unsere erste Wohnung in Halle ab- mich noch genau, wie ich damals etwas noch was eingekauft, was man eben so holen gefahren und habe das Radio aufgeregt aus einen provisorischen braucht. Jetzt geht’s wieder zurück. Das ist angemacht, um die neue Radiolandschaft feuchtem Kellerstudio in der Herder- total spannend. Ciao. Schnellen Schrit- kennenzulernen. Auf einem Sender straße an den Reglern saß. Schon bald tes lief sie weiter Richtung Herderstraße, gab es eine Reportage über verschiedene konnte ich namhafte Studiogäste wie nicht ohne sich nochmal nach mir Tiere und ihre Stimmen (hab erst Jahre u.a. die Ethnojazzpioniere von Embryo, umzudrehen und zu rufen: Zur Peißnitz später herausgefunden, dass das die albanische Jazzsängerin Eda Zari gehst du? Erzähl allen von dem Sender, Kunst für Tiere auf CORAX war). Der eine oder die argentinischen Latin-Ska-Mata- die du triffst. Bis dann! Wahrscheinlich Mitbewohner wollte das nicht hören, doren von Karamelo Santos aus dem nannte sie noch Frequenz und Namen der andere fand das ganz spannend und nagelneuen CORAX-Studio am Unter- des Senders. Die Leser*innen wissen ich war voll begeistert. berg präsentieren. natürlich, welcher Sender gemeint war. quastian / Zeitweitzeit Johannes Heretsch / Planet Sounds Jasmino Kalkov / Glück und Musik
coraxx Einer der kuriosesten Momente war Was war dein Erstaunlich finde ich es immer wieder, wie viele Leute CORAX eigentlich der Anruf eines Hörers, der sich be- schwerte, ich würde im Morgenmagazin kuriosester hören. Man macht da jeden Monat so ne popelige Sendung und denkt: Egal, zu viel ›imperialistische‹ Musik spielen. Ihm wäre nämlich aufgefallen, CORAX- freies Radio, hört ja eh niemand. Aber dass die meisten Texte in meinem dann trifft man tatsächlich Leute, die Magazin auf Englisch gesungen werden. deine Sendung kennen oder sogar Andrea / unterstützt die Moment? regelmäßig hören. Einmal kam ich auf einer Party mit einem Typen ins Gespräch. Und als das Thema RADIO Kinder- und Jugendradioredaktionen sowie die Tagesaktuelle Redaktion CORAX aufkam, erwähnte ich, dass ich da auch ne Sendung mache. – Echt? Vielleicht war der kurioseste Radio- Welche denn? – Kennst du bestimmt nicht. moment die Übernachtung bei der Ist so ne Schlager-Sendung, Glück und Zukunftswerkstatt Community Medien in Musik. – Wirklich, Glück und Musik? Voll Potsdam, als ich wie eine Gouver- cool. Und wer bist du dann? Reverend nante im hängematteartigen Extrabett Jay Kay King oder Jasmino Kalkov? Das erwachte, gemeinsam untergebracht war echt absurd. im Schlafsaal mit sechs in Stockbetten Jasmino Kalkov / Glück und Musik ruhenden CORAX-Mitarbeiter*innen, die trotz morgendlicher Stunde nach kurzer Nacht bereits heiter humorige Dialoge führen konnten. So 1999/2000 rum hatten wir ne Beate Flechtker / war bei einmalige Sendung, wo wir eine Stunde Radio Unerhört Marburg und im kurios? warum nicht desaströs, Live-Trommelsession zu dritt gemacht Bund Freier Radios aktiv glamourös, peinlich, unvergesslich, haben. Ganz schön anstrengend, wir langweilig, phantastisch, bereichernd, waren auch ziemlich aufgeregt. Dann enttäuschend, prägend, ultimativ, hab ich an der Trennscheibe den Macher typisch – und dann noch im Superlativ?! von der coolen Rocksendung gesehen, TooManyThingsForTooLessSpace. wie er zu unserer Musik mitgewippt ist. t3k04 / Buchfink Das war ein herrlicher Anblick und hat mich motiviert, die letzten 10 Minu- ten noch durchzuhalten. Als ich zum ersten Mal meine Frithjof / für immer Punk eigene Stimme im Radio hörte – irgendwie war das nicht nur unge- wohnt, sondern wie die Stimme einer Fremden … Es war kalt und vier Menschen Elke Prinz / FrauenLeben / LeSBIT Wir hatten bei Ground Zero mehrere schauten im Winter 2009 Twin Peaks. Livesendungen. Unser Expertengespräch Aber nicht irgendeinen Teil, sondern war performte Kulturkritik, etwas den legendären Der Riese sei mit dir Es gab viele kuriose Vereins- witzig Surrealistisches mit abwegigen Doppelteil also Staffel 2, Folge 1 und 2, Themen. Unsere Sendung wurde klar ne. Geflasht vom Gesehenen sitzungen, die zeigten, dass allerdings so authentisch, dass manche und wild diskutierend und deutend Basisdemokratie sehr anstregend vor und im Sender sich ernsthaft fragten, gehen alle in die Küche machen ist, zu anstrengend eigentlich, ob dieser Beitrag wirklich so das Radio gegen 3.00 Uhr früh an und damit das wirklich ein Modell für die was läuft wenig später auf CORAX: Gesellschaft wäre. Kurios? Als mal je- unrealistisch seltsam sei, … oder Laura Palmer’s Theme. Puh. Der arme, mand live in der Sendung anrief und eben doch Kunst. der noch alleine nach Hause musste. ich bin nicht dein Präsident in den Äther Simi / Freischaffende Künstlerin / Ricardo Hoppel / hin und wieder schrie. Oder als die Morlox mit einem ehem. Kunstraum Rauschickermann Interview-Gast, häufig Hörer italienischen Orgelspieler im Studio aufliefen. Oder das eine Interview in Erfurt mit dem Sänger einer bekannten Indie-Band, das für Interviewten und Interviewer im absoluten Vollrausch endete (und wenig sendefähiges Mate- rial enthielt). Captain / Schlaffunk (früher) / Dr. Rock (heute)
20€jahre€in€der€luft!ß CORAX ist das Radio, das selbst- Das fällt vermutlich in den Kurio- sitäten-Bereich: Ich habe in meinem Was wolltest und reflektiert politisch auf der Höhe der Emanzipation gleichzeitig prag- Leben nur einmal etwas gewonnen. Das war bei einer CORAX in den frühen du schon matisch Vieles in Bewegung setzt. Beate Flechtker / ehem. Radio immer mal Nuller-Jahren, wo man als erste*r Unerhört Marburg und BFR Anrufer*in eine Berluc-CD (Die Hits) mit Autogrammen abgreifen konnte. Ich habe 30 Minuten nach der Ansage ange- rufen und war erster. Ich verstehe zu CORAX Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie anstrengend es einmal sagen? bis heute offen gesagt nicht, wie das war, RADIO CORAX zu hören. Da hat sich passieren konnte. Aus meiner Sicht im Laufe der Jahre beinahe heimlich handelt es sich bei dem Cover für Die eine Professionalität eingeschlichen, dass Hits um die zweitbeste Covergestaltung es fast schon beängstigend ist. Immer (nach Rocker von der Küste) für eine mal wieder gibt es diese Mo-mente, in Berluc-Veröffentlichung. Ich gehe heute Wenn CORAX ein/e Nachbar/in wäre denen ich beim Hören mutmaße, ob ich noch regelmäßig ins Coaast Schall- und man würde regelmäßig fragen nicht doch versehentlich MDR-Kultur plattencafé in Warnemünde. Der Laden wie’s so geht, wäre glaube ich die Antwort oder Deutschlandfunk eingeschaltet habe: ist zwar scheiße, aber da hängen jedes Mal: Muss ja!. glasklare Moderationen, vollkommen manchmal Berluc-Leute rum. Zumindest Andrea / unterstützt die ohne die früher noch üblichen Verhaspler. versuche ich mir das einzubilden. Kinder- und Jugendradioredaktionen Wohin sind die ehemals fast Ich freue mich dann immer darüber in sowie die Tagesaktuelle Redaktion obligatorischen halleschen deren Nähe zu sein, ohne dass die wissen, dass sie das einzige ›gemacht‹ und ostdeutschen Dialekte Thanks for participating in my not- haben, was ich jemals gewonnen habe. verschwunden? so-secret project: cultural imperialism Naggn / die letzten Naggn ;-) Bill / American Folk Und trotzdem bietet CORAX noch genug Raum, um Platz zu machen für Neues und um als Experimentierfeld zu dienen. Offenheit und Miteinander werden Das ist toll und wichtig und gut. Und bei CORAX als alltäglich empfunden wer den halleschen Dialekt in den Mode- – für viele Menschen sicherlich kurios. rationen vermisst, der wird in so man- Für mich ein Grund, zu bleiben. chem musikalischem Abendprogramm Christian Allner / #Onlinegeister Viele Menschen und noch mehr noch fündig, in dem der Dialekt noch Ansichten, nicht alle darstell- und hör- groß und die Dialektik meist etwas bar (gemacht). Die wahrnehmbare kleiner geschrieben wird. Verschiedenheit (manchmal kaum) zum Jasmino Kalkov / Glück und Musik Aushalten. Möge darin Freiheit, wel- che aus der Stärke der (Mit)Gestaltung der Wirklichkeit erwächst, Zweck und Das Feedback von Hörenden auf der praktiziertes Mittel sein. In akustischen Straße im Vorbeigehen – klasse. That is Dimensionen meinen (leise und laute, how community feels like. aber nie ungesagte) Worte zugleich auch Bianca / ehem. Flugradius Auf der Treppe zum Konzertsaal. Verantwortung – über das frequenz- Diese Stimme! Ca. 1,5m hinter oder modulierte Miteinander hinaus. neben mir. Hier? So prägnant und voll Auch Du, liebes RADIO – sonst wöchentlich in der heimischen CORAX, bist nicht aus einem Küche aus immer der selben Ecke – jetzt Selbstzweck entstanden. hier – klar rausstechend aus dem t3k04 / Buchfink Gesprächsgewirr. Ich schaue mich um und da, aus diesem Munde kommt diese Stimme. Aber der Mensch dazu, das passt nicht! Mein Hirn arbeitet und kann es (noch) nicht vereinbaren. Vertraute Stimme – genau. Aber wer ist dieser Mensch dazu? Verwirrung! Ich muss hinhören – fremde Inhalte. Ein schönes Beispiel für ein sehr Ich schaue hin – befremdender Anblick. erfolgreiches und erwachsen gewordenes Jedes Mal, wenn ich draußen Annäherung? Kennenlernen? Sein Lokal- & Bürgerradio in der ansonsten einen Raben oder eine Krähe lassen, damit die Radiostimme ›meine‹ eher dumpfen Radiolandschaft Mittel- sehe oder höre, muss ich Radiostimme bleibt? deutschlands. Weiter so! an RADIO CORAX denken. Bianca / ehem. Flugradius Johannes Heretsch / Planet Sounds quastian / Zeitweitzeit
Coraxx €€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€ Trotz mancher Diskrepanzen und Die Anarchie des Personalentscheidungen ist CORAX und die Leute dahinter, davor, dabei und alchimistischen Radio- und darunter ein wichtiges Medium in Halle und darüber hinaus. Ein Turm in der flachen Steppe der Eintönigkeit. Ricardo Hoppel / Gast & Hörer Gesellschaftslabors Ein Statement zum Abschied Dass es Radios wie CORAX gibt ist nicht selbstverständlich, wenn es auch so sein sollte. Deshalb Danke an alle, die CORAX aufgebaut, weitergebracht und Nach 25 Jahren im Verein CORAX musste Ralf Wendt seine gepflegt haben. Stelle als Programmkoordinator verlassen und verabschiedet Wurzel / Gleichlaufschwankung sich nun aus dem Verein mit diesem »Plädoyer …, damit der Rost etwas bröckelt, der das Schiff CORAX aus meiner Sicht befallen hat«. Werdet bloss keine Hipster, Vielfalt versus Massenattraktivität ist aus meiner Sicht eine sonst schalt’ ich das Radio aus. Tenden- Scheinalternative. schrieb Wolfgang Hagen, HA-Leiter zen gab’s in den letzten Jahren ja Kultur und Musik im DeutschlandRadio sowie dessen genug. (…) Ich wünsche mir vor allem Leiter der Medienforschung, vor knapp 20 Jahren in mehr Barmherzigkeit und Mitgefühl seinen Überlegungen mit dem Titel Formatradio – Pro- in der Szene. und CORAX spiegelt ja die grammierung von Selbstverständlichkeit. Er forderte eine Szene(n) so gut wie keine andere Insti- stärkere Zielgruppenorientierung und klarere Unterhal- tution in Halle. tungsangebote ähnlich dem privatkommerziellen (…) Die Qualität war im Schnitt auch Radioangebot der USA . Und das gelte für alle Radio- schon mal besser. Trotzdem geil, der Modelle, ob nun privat oder öffentlich-rechtlich. Service ist Laden. Also, dranbleiben, ich versuch’, das Zauberwort und zwar immer genau dann, wenn auch meinen Beitrag zu tun. die KonsumentInnen es möchten (morgens hauptsächlich, Frithjof / für immer Punk abends gibt’s ja TV). Vielleicht war es auch das, was so viele Menschen zu CORAX brachte und in Halle dafür sorgte, dass mehr Menschen ein Freies Radio als den Mit so manchen Macht- lokalen öffentlich-rechtlichen Kulturkanal hören (Medien- gefügen bei CORAX bin ich nicht analyse 2012). Denn Service war und ist sicher glücklich. Trotz dass ich CORAX nicht das Ziel der meisten Sendungsmachen- sozusagen von Eizelle an begleite, ver- den bei CORAX. Hier pulsiert schon immer misse ich ein Gefühl von Freundschaft. Simi / Kunstraum Rauschickermann die Lust am Laborieren. Nimm das erst ernst, das ist ein Kunstprojekt!, sagte ein Freund, als ich zu spät kam zu den ersten Sendeminu- ten von CORAX am 1. Juli 2000. Was er damit meinte, Ich finde es toll, dass es dieses Radio habe ich wohl erst viel später begriffen. Denn erst einmal (schon so lange!) gibt – und dass es haben viele CORAX vor allem als Labor begriffen. Und ständig wächst und sich immer wieder Labor hieß vor allem Alchemie – Alles mit Allem zu verändert. Toll ist auch, dass RADIO mischen, mit viel Energiezufuhr neue Elemente im Rea- CORAX so jung (geblieben) und lebendig genzstudio zu erschaffen, Worte mit gebrochenen ist – und sich auch nicht scheut, die Klängen und nervenden Geräuschen zu vermischen und eigenen Ansprüche zu hinterfragen … Musik ins Programm zu bringen, die viele Hörende Elke Prinz / FrauenLeben / LeSBIT als solche gar nicht bezeichnet hätten. Politisch radikale Forderungen fanden sich in alchemischer Verbindung mit junger Literatur und Sendeformaten, die ab und an die Tageslänge weit überschritten. Festivals und Aus- Schön, dass es CORAX gibt. Dass es stellungen gingen aus dem CORAX-Brodeltopf hervor, Leute gibt, die für die Strukturen sorgen, Radio Revolten und Zufalls-Operationen wie Addicted- die wir für unseren Quatsch nutzen 2Random, Kunst für Tiere oder Radio-Kiosk-Aktionen wie könnnen. Danke, dass wir soviel Narren- unlängst am Reileck. Der Ort des Studios geriet in freiheit haben! Bewegung und die Wahrnehmung der Hörenden oft aus Captain / Dr. Rock den Fugen formatierter Wahrnehmung.
€€€€€€€€€€€coraxx€–€20€jahre€in€der€luft!ß Aber: Trotzdem gibt es nicht wenige Menschen (auch Und immer wieder scheint sie auf, diese Lust, für einen innerhalb der Mandelbrot-Menge der Sendenden), die in Moment lang alles, aber auch alles in Frage zu stellen: solchen Momenten aufstöhnen und so etwas denken die Liebe, den Kommunismus, die Nähe, das Geld, die oder sagen wie: Dieser ganze Aufriss für ein bisschen abge- Identität, das Alter, das Sterben, das Kind-Sein, das drehte Kunst im Radio! oder: Seit Neuerem hört man Überleben, die Lust, den Frust, die Gewalt, die Sanftheit auch viel Radio-Kunst bei RADIO CORAX. Warum gibt es und das Geschlecht: und zwar sowohl im harten tages- eigentlich immer noch diese rigide Praxis, die ›Kunst‹ aktuellen journalistisch aufwendigen Hinterfragen der ganz unbedingt vom ›eigentlich Wichtigen‹ trennen zu Vorgänge, als auch in künstlerischen Zugängen. Und wollen und sie im gleichen Atemzug aber natürlich auch unvoreingenommen experimentell praktiziert, ist das ab und an ›auszustellen‹? Hier scheint sich auch im längst ein Ausdruck des so oft nur geforderten emanzi- Freien Radio das widerzuspiegeln, was uns in Erziehung pierten Umgangs mit dem Medium Radio, dem eige- und Umfeld begegnet (ist). Das ist keine kleine Sache, nen In-Erscheinung-Treten, der Familie, dem Umfeld, der kein Problem am Rande, sondern vielleicht eher Ausdruck ganzen umgebenden Gesellschaft. Also lasst sie basteln eines grundsätzlichen Missverständnisses des eigenen und freut Euch meinethalben auch über Misserfolge, aber In-der-Welt-Seins. vor allem genießt die Anarchie des alchimistischen Vielleicht ist es die Unordnung, die stört – dieses Radio- und Gesellschaftslabors, ohne gleich die Feuerlö- ständige Verwirren des Gesetzten; wo ist denn jetzt scher zur Hand zu haben. – Darum geht’s. Cheers. endlich das perfekte Rezeptbuch für gutes Freies Radio? Kunst ist nichts weiter als eine notwendige Bedin- Oder doch wenigstens eine brauchbare Handreichung gung der Bewegung, auch bei einem sich selbst als Freies – ein Leitfaden, ein Halteseil in den Wirren gesellschaftli- Radio titulierenden Kollektiv von sehr unterschiedlichen cher Widersprüche, in der Ohnmacht gegenüber den Menschen. Kunst ist das Labor, das neue Atemwege gegenwärtigen Verhältnissen? Vielleicht ist es aber auch und neue Aufstände oder Ausflüchte generiert das Misstrauen, hier ginge es ja nur um Spaß, um Ge- und hat so gar nichts gemein mit dem Schönen, bei Ralf Wendt mode- nuss und um das Probieren um des Probierens willen … dem wir auch ab und an zur Regeneration verwei- rierte die erste CORAX-Sendung Sicher: was ist schon ein modifizierter Sinuston len können, um anschließend wieder … am 1. Juli 2000. gegen einen Demo-Aufruf? Diese Frage meint eigentlich Emanzipation beginnt mit der Akzeptanz, dass In den letzten 20 denselben unzulässigen Vergleich: was zählt Musik ge- es nicht heil, ordentlich und schön wird, sondern Jahren koordinierte er die Tagesaktuelle gen Beiträge über ertrunkene Geflüchtete? Nichts. Unter dass Zerstörung, Störung und Irritation die erstre- Redaktion (2005 – dieser adaptierten Betrachtungsweise von Ware und benswertesten Zustände sind, um nicht zu ver- 2009) und das ge- Wert der Inhalte jedenfalls wird hier etwas gegen ein zweifeln am so gehypten Wunsch des Festhaltens samte Programm von RADIO CORAX vermutetes Anderes ausgespielt, ohne in Betracht zu am Gegebenen. (2009 – 2020). Er ziehen, dass alle Inhalte im Freien Radio auf derselben Die heile Welt ist die letzte, sagte einmal jemand. gehörte zum Kura- Basis entstehen und unterschiedliche Ausdrucks- In diesem Sinne: Tür und Tor auf für die Toren; torenteam der ersten (2006) und formen suchen. Radiozeit für Irrläufer und Kinder, KünstlerInnen, zweiten (2016) Aus- Das Labor und das Experimentieren hat nicht Verrückte und Verrückende – CORAX könnte weit gabe des Festivals nur Porzellan statt Gold produziert, sondern auch die hinausgehen über ein Grafitti-Radio der Verwirrung: für Radiokunst, Radio Revolten. Nach Vorstellung von Zeit, Materie, Gesellschaft und die es kann eine Kultur, einen Zeichen-, Gestaltungs- seiner Kündigung, Sicht auf die Erde als Scheibe relativiert. Ohne das Labor, und Radioraum schaffen, der seinesgleichen sucht. die für heftige Dis- ohne die tastende oder exzessive Versuchsanordnung, Kraaaaaah. kussionen sorgte, trat Ralf aus dem ohne den Bruch bleibt die gegenwärtige Oberfläche un- (Nehmt das ernst, es ist ein Kunstprojekt!) War für Verein aus – damit berührt – sei es die angespannte Atmosphäre unter mich mehr schön in der Gesamtzeit als ätzend wie finden auch die CORAX-Mitarbeitenden, sei es die als selbstverständlich in den letzten Jahren. von ihm erstellten Sendungen (Radio verkaufte Haltung gegenüber dem Fremden, den Ralf Erevan, Werkleitz Fremden, den fremden Gedanken, den fremden Verfah- Magazin, Tzadik rensweisen, den fremden Beziehungen, den fremden News u.a.) vorerst ein Ende. Worten, der fremden Abwehr, der fremden Zuneigung.
corAXXona€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€ Mit dem Virus zum totalitären Staat? Verschwörungstheoretische Erzählungen zur Corona-Krise Wir stecken in der Krise. So vielfältig wie die Einschrän- als Gefahr, sondern als Legitimation vollständiger staat- kungen, die diese mit sich bringt, sind auch die aktuell licher Kontrolle und Überwachung, die in vielfältigen kursierenden Deutungsangebote. Wie bei jeder Bezügen zum Nationalsozialismus, zweiten Weltkrieg Krisenerscheinung bieten Verschwörungs- und Holocaust von Jebsen beschrieben wird. Nicht das Virus, der Staat erscheint als Gefahr! Dieser Staat über- theorien auch in der aktuellen Lage wacht und kontrolliert seine Bevölkerung, um sie zu besonders eindeutige und stabile Erklärun- disziplinieren. Disziplinierung ist dabei das Mittel, das gen für negativ bewertete Phänomene. bestimmten Zwecken vorausgeht. Je nach Maß, das die mit der Krise verbundenen Einschrän- Laut Verschwörungstheorien gebraucht der Staat kungen annehmen, erhebt das Verschwörungsdenken seine Macht also nicht als Verwaltungsapparat, sondern den Anspruch, die hinter den ergriffenen Maßnahmen als Erfüllungsgehilfe globaler Eliten, die ihren Profit verborgen liegenden Mechanismen aufzudecken. Wo sich sichern wollen. Welche Bezeichnung diese globalen Eliten das Vorhandensein einer Pandemie nur schwer leug- tragen, variiert je nach Interesse der Verschwörungstheo- nen lässt, finden Verschwörungstheoretiker*innen die retiker *innen. Die Auswahl an Signifikanten ist nahezu Schuldigen und Profiteure des Virus. unbegrenzt (Pharmaindustrie, NWO, Juden usw.). Insofern Die aufgedeckten vermeintlichen Ver- funktioniert auch dieses verschwörungstheoreti- schwörergruppen sind dabei dieselben, die auch sche Narrativ nach etablierten Denkmustern. für globale Migration, den Bedeutungsverlust Interessant wird es allerdings, wenn Betrach- traditioneller Familienstrukturen und die tungsmöglichkeiten untersucht werden, die von Erosion patriarchaler Strukturen verantwortlich den Verschwörungstheoretikern ausgelassen wer- gemacht werden. Seien es Feminist*innen, den, obwohl sie für ihre Argumentation ebenso globale Eliten oder wie immer die Juden. Mit nutzbar gemacht werden könnten. Ein Denkansatz dem Virus könnten die Verschwörer*innen findet sich bei Michel Foucault, der die Verbin- ein neues Mittel gefunden (entwickelt) haben, dung eines grassierenden Virus mit Maßnahmen um ihre Pläne zur Unterdrückung oder gar der Disziplinierung schon 1975 theoretisch Auslöschung unschuldiger Bevölkerungsmehr- 2.5.20 Demo auf dem Markt darlegte. Autoren wie Giorgio Agamben und Peter heiten durchzusetzen. Foto: Halle gegen Rechts – Sloterdijk sehen im staatlichen Handeln im In Deutschland, wo hauptsächlich die Prä- Bündnis für Zivilcourage Angesicht von Covid-19 eine Manifestation dessen, ventionsmaßnahmen spürbar sind, die eine was Foucault als Biopolitik bezeichnete. Mit zu schnelle Verbreitung des Virus verhindern sollen, diesem Begriff beschrieb er sein Modell, das erläutern bewegt sich der verschwörungstheoretische Diskurs zwi- sollte, wie Staaten menschliches Leben als Objekt erkann- schen der vollständigen Leugnung der Pandemie und ten, es zu verwalten (z.B. durch Gesundheitsbehörden) der Missachtung ihrer Gefahren. Die Verschwörungs- und zu disziplinieren (z.B. durch Ausgangssperren). theoretiker*innen arbeiten sich hier vor allem an den Ebenso wie die Biopolitik wird Foucaults Analyse der Dis- verordneten Beschränkungen individueller Freiheiten ab. ziplinargesellschaft auf die gegenwärtige Situation Wo der Arzt und Wissenschaftler Wolfgang Wodarg übertragen. In seinem Werk Überwachen und Strafen seinen Kollegen noch die bewusste Übertreibung der beschreibt er Maßnahmen zur Verhinderung der Gefahren von Covid-19 zur finanziellen Förderung ihrer Ausbreitung der Pest als ein Modell für die total verwaltete Forschung unterstellt, phantasiert der rechte YouTuber Gesellschaft, wie sie Jebsen bereits jetzt auszumachen Ken Jebsen bereits die Faschisierung unserer Gesellschaft glaubt. Um Infektionen zu vermeiden, wurden bei Aus- herbei. In seinem Video Corona-Diktatur? Machtergrei- bruch der Pest die Bürger in ihre Häuser eingesperrt, fung im Deckmantel der Volksgesundheit? vom 26. März die Bewegungsfreiheit wurde rigoros unter Strafe gestellt. 2020 konstruiert er monokausale Zusammenhänge zwi- Foucaults These besagt, dass die Regierungen eben schen Ausgangsbeschränkungen, Selbstisolation und jenen Pestzustand herbeisehnen, um die vollständige der vermeintlichen Durchsetzung einer totalitären Regie- Durchsetzung staatlicher Kontrolle zu erproben. Hier rung. Die Pandemie selbst erscheint hier nicht mehr verwirklicht sich das Ideal der Disziplinargesellschaft,
€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€ in der die Körper an dem ihnen zugewiesenen Platz ver- Gesundheitssystem, welches nach Marktkriterien organi- bleiben und sich der staatlichen Disziplin unterwerfen. siert ist. Um die negativen Folgen für die Bevölkerung Dient das Modell der Disziplinargesellschaft also der abzufedern, muss das Gesundheitssystem entlastet wer- Beschreibung der aktuellen Situation, in der die Men- den, da die Marktkriterien einen solchen Fall nicht schen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind und vorsehen. Aus diesem Grund muss die Bevölkerung Selbst- Verstöße gegen die Beschränkungen Strafe oder Infek- schutzmaßnahmen ergreifen, die ihre individuellen tion nach sich ziehen können? Die gebotene Erklärung Freiheiten einschränken. Da nicht alle bereit sind, diese erscheint zumindest reizvoll, da die Ungewissheit einer Einschränkungen in Kauf zu nehmen, muss der Staat bislang kaum erforschten Virusinfektion auf eine rein disziplinierend eingreifen. Diese Disziplinierung ent- rhetorische Strategie des Staates reduziert werden kann. springt aber nicht dem generell unterdrückerischen Zudem konkretisiert sie die Machtstrukturen, denen wir Willen, der dem Staat angedichtet wird. Er entspringt derzeit unterworfen sind, insofern, dass dem Staat ein seinem Willen zur Aufrechterhaltung eines Marktes, bewusstes zielgerichtetes Handeln unterstellt werden dessen Teilnehmer garantierte Freiheiten genießen und kann. Die Abgrenzung gegen einen moralisch verwerf- gleichzeitig den Regeln des Marktes unterworfen sind. lichen Staat ist attraktiver als die Kontingenz einer Auch hier zeigt sich die Funktion von verschwörungs- gesichtslosen Bedrohung. Oder anders theoretischen Erzählungen: die erzwun- formuliert: ein Staat, der Lügen verbreitet, gene Unterwerfung unter staatliche Regeln, um seine Macht auszubauen, ist greif- also der klassische Gegensatz zwischen barer als ein Virus, dem keine Absicht Herrscher und Unterdrückten, bietet zugeschrieben werden kann. eine attraktivere Erzählung als das Jan Batzer ist Darin ähneln sich die akademischen abstrakte System eines Marktes. Wer wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Referenten von Foucaults Disziplinar- sich selbst zum Unterdrückten macht, Kompetenzzentrum gesellschaft und verschiedene Vertre- kann den Unterdrücker benennen für Rechtsextremis- ter *innen des Verschwörungsdenkens: und ihn anklagen. Ein System lässt musforschung, Demokratiebildung sie versuchen hinter dem Virus einen sich schwieriger anklagen, besonders und gesellschaftli- Sinn zu erkennen. Wie lässt sich dann der 2.5.20 Demo auf dem Markt. Foto: Halle eines, in dem wir alle Teilnehmer che Integration Widerspruch erklären, dass Politiker- gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage sind. Im Falle Jebsens treten Anklage (KomRex) der Uni- versität Jena. *innen schnelle Lockerungen der diszi- und Opfermythos deutlich zutage: Zudem ist er Lehr- plinierenden Maßnahmen fordern, obwohl diese doch wenn er in seinem Video (wieder mit NS-Relativie- beauftragter an der eigentlich ihrem vermeintlichen Interesse dienen? rung) konstatiert: Ich bin Radio London!, so dient das Hochschule Merse- burg, wo er sich Foucault hat den Widerspruch zwischen liberalen Frei- der Selbstvergewisserung als Opfer und Dissident. u.A. mit Strategien heitsgarantien und gleichzeitiger Anwendung staatlicher Dieser Imagination dient seine Darstellung, wie so politischer Bildung Repression ein paar Jahre nach dem ersten genannten viele andere Verschwörungsmythen, um die Corona- zu Verschwörungs- theorien auseinan- Modell untersucht. Er ging nun nicht mehr von einem Krise. dersetzt. Staat aus, der aus sich heraus nach absoluter Macht Das perfide daran: diese Erzählungen sorgen strebt, sondern vielmehr Risiken zu minimieren versucht, dafür, dass Menschen die Risiken des Virus leichtfer- um individuelle Freiheiten garantieren zu können. tig ignorieren oder vernachlässigen, womit sie sich Ein weiterer lesens- Hierbei galt es, zwei Fehlschlüsse auszuräumen: erstens selbst und andere gefährden. Aber auch der ideo- werter Artikel zu Verschwörungs- ist nicht jede Machtform aus sich heraus auf die Be- logische Gehalt des Verschwörungsdenkens ist nicht theorien – und ein schränkung von Freiheit ausgelegt und zweitens geschieht zu unterschätzen. Ein Opfer, das sich einer per- Gegenmittel – ist zu die staatliche Garantie von Freiheiten nicht aus rein manenten personifizierten Unterdrückung ausgesetzt finden auf dem Blog von Classless Kulla: altruistischen Motiven. Ihre Freiheit erhalten die Indivi- sieht, kann dazu tendieren, gewaltsam gegen seine Die beste duen vor allem als Marktteilnehmer*innen. vermeintlichen Unterdrücker vorzugehen. In Halle Entschwörung ist Angewandt auf die aktuelle Situation, sähe das staat- mussten wir dies bereits erleben. Klassenkampf. https://tinyurl.com/ liche Handeln dann folgendermaßen aus: ein Virus Jan Batzer yc5pqyl6 bedroht die Gesundheit der Bevölkerung und damit ein
corona€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€ Solidarisch gegen Corona Klassenkämpferische Perspektiven auf die Gesellschaft in Zeiten der Pandemie Anfang März starteten wir unseren Blog Solidarisch gegen Verschärfung der ökonomischen und sozialen Krise Corona. In diesen Tagen begannen wir zu realisieren, reagieren können. Unser Ziel ist es, damit zur Auswei- dass unsere Welt durch die Pandemie nicht mehr die tung einer Klassenbewegung beizutragen, die die gleiche sein würde. Alarmierende Berichte über den Weltgesellschaft im Interesse der ungeheuren Mehrzahl Zusammenbruch der Versorgung in italienischen Kran- revolutioniert. Denn die aktuelle Situation ist nicht kenhäusern, über Grenzschließungen und den Sturz allein wegen des Corona-Virus außer Kontrolle geraten, der Börsenkurse häuften sich. Es zeichnete sich ab, dass sondern offenbart tieferliegende Probleme der kapita- die Pandemie eine verheerende und langwierige soziale, listischen Wirtschaftsweise. Diese dient nicht unserem ökonomische und politische Krise auslösen könnte, Wohlergehen, sondern bedeutet für die Meisten die unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen weiter zu Ausbeutung, Plackerei, Leistungsdruck und Prekarität. verschlechtern droht. Wie im Fall der Klimakrise haben wir von den Ein riesiges Konfliktpotenzial wurde sichtbar: Regierungen keine Lösungen zu erwarten. Länderübergreifend traten ArbeiterInnen spontan Denn auch wenn die Lockdown-Maßnahmen in den Streik und forderten mehr Gesundheits- zunächst zum Ziel haben, die Infektions- schutz an ihren Arbeitsplätzen oder die Einstellung zahlen zu senken und damit das Gesund- der Arbeit bei Lohnfortzahlung. In einigen Fällen heitssystem vor dem Kollaps zu bewahren, so kamen sogar Auseinandersetzungen darüber auf, besteht langfristig das Hauptinteresse der wer entscheidet, ob, was und wie produziert wird. Staaten in der Aufrechterhaltung der Produk- In diesen Konflikten deuteten sich Wege kollektiver tion zur Sicherung der Profite. Deutlich Gegenwehr und Organisierung an. wurde dies beispielsweise in Italien, wo sich Parallel zu den Kämpfen entwickelte sich das die Regierung lange Zeit sträubte, entbehr- Bedürfnis einer politischen Diskussion über liche Teile der Produktion runterzufahren. Wildes Plakat in Halle gesellschaftliche Ursachen, Reaktionsweisen und Erst durch einen Generalstreik und den Folgen der Pandemie – eine Debatte, die über den engen Druck der Öffentlichkeit wurden manche Arbeiten einge- Gesichtspunkt des virologischen Expertentums hinaus- stellt. Auch hierzulande dienten die Milliarden, die die geht. In der Entwicklung dieser Diskussion sehen wir eine Regierung in die Wirtschaft butterte, zu allererst der Liqui- Chance: Viele Probleme der kapitalistischen Gesellschaft dität großer und mittlerer Konzerne, um diese vor dem erscheinen in der Krise wie im Brennglas; es bietet sich Kollaps zu bewahren. Es ist davon auszugehen, dass die die Gelegenheit, über die Notwendigkeit einer besseren Regierungen in naher Zukunft versuchen werden, die Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. leeren Staatskassen durch Sparmaßnahmen wieder auf- Diese Eindrücke und Ereignisse haben uns dazu zufüllen, die die Lohnabhängigen am härtesten treffen. bewogen, den Blog ins Leben zu rufen. Wir sammeln Gegen diese Zumutungen können wir uns nur Informationen über die globalen Kämpfe und arbeiten an kollektiv als Nachbarn und Kolleginnen wehren. Neben Analysen und politischen Deutungen der aktuellen Krise, den Auseinandersetzungen an den Arbeitsplätzen bil- gestalten Plakate zur Agitation im städtischen wie im den sich derzeit Solidaritätsnetzwerke, die eine gegen- digitalen Raum, schreiben Glossen und Einschätzungen, seitige Unterstützung in der Ausnahmesituation führen Interviews und übersetzen Beiträge von Gruppen organisieren. In Marseille beispielsweise haben ehema- aus aller Welt, berichten über Menschen, die sich am lige Angestellte einer McDonalds-Filiale diese zu einer Arbeitsplatz und darüber hinaus gegen die Auswirkungen nachbarschaftlichen Essensausgabe umfunktioniert. der Corona-Krise zur Wehr setzen. Von einem Streik Auch dies sind wichtige Schritte dahin, nicht nur die für sichere Arbeitsbedingungen in einem brasilianischen Produktion, sondern auch das Alltagsleben zu revo- Callcenter über den Widerstand indischer Wanderarbei- lutionieren. In all diesen Auseinandersetzungen muss terInnen gegen staatliche Repression bis hin zur Selbst- es darum gehen zu diskutieren, was an die Stelle mehr unter: organisation alleinerziehender Mütter in Wien wollen dieser katastrophentreibenden Gesellschaftsordnung coronasoli.org wir zur Verbreitung dieser Kämpfe beitragen und einen treten kann. Austausch darüber anregen, wie wir auf eine drohende
€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€corona Lyrics and Music voll kapitalistischer Gemeinschaftlichkeit Corona und ein bedrohtes ›Wir‹ I – Man hört im Supermarkt: Denn einander zu helfen, interessiert. Ganz leer vom Inhalt, was man gemeinsam macht uns stark!; im Radio: Solidarität gegen Corona!; man tut und was man individuell will, zählt stattdessen, lauscht Politikern: Unsere Solidarität, unsere Vernunft, dass man es gemeinsam tut. Offenbar geht hierzulande unser Herz füreinander sind auf eine Probe gestellt.; man das dass im was nicht auf, ist ihm sogar ganz äußer- sieht fern: #wirzusammen; man geht durch die Stadt: lich. Trotzdem hält man, wo der Alltag kein gemeinsamer Anerkennungsapplaus von Balkonen für jene, die arbei- ist, am ideellen Miteinander eisern fest. Wenn man das tend Dienst tun. – Egal wo man sich bewegt, egal macht, wird der gesellschaftliche Alltag den Schein des worauf man seine Sinne und seinen Geist richtet, bezieht Gemeinsamen bitter nötig haben. Dann beharrt man auf sich gerade alles auf Corona. Und stets und eisern in Zusammenhalt als höchsten Wert, der zum Alltag, fern Bruderschaft mit der Seuche: die Beteuerung ideeller bzw. wider die Gemeinsamkeit, erst hinzutreten muss, Gemeinsamkeit. Unser Wir würde nun insbesondere wenn jetzt der westliche durch Corona geprüft, zugleich sei dieses Alltag brach liegt und um sein ›negatives‹ Wir auch das beste Heilmittel. Miteinander ringt. Die ›Gemeinschaft‹ Eine äußerst merkwürdige Emphase. aller gesellschaftlichen Teile im Ringen Denn erstens entbehrt dem Gemeinschaft- ums Geld (Arbeiten-gehen-müssen für lichen doch jeder Sache: Gemeinschaftlich- den Reichtum anderer versus kreditiertes keit hilft nicht gegen Corona; es ist eher Geldverdienen durch die Arbeit anderer) umgekehrt; Nähe ist Risiko, allein Medizin besitzt sachlich solche Sprengkraft, hilft. Zweitens ist diese Emphase unsach- dass systematische Pflege durch Politik, gemäß, weil das, was man so hervorheben Recht und Moral not tut, um aushalt- und als Selbstverständlichkeit betonen muss, bar zu sein. Die aktuelle politische Sorge offenbar für sich nicht existiert. Drittens gilt genau dem. Sie will das elementar zeigt sich in der Betonung des Wirs ein ökonomische Gegeneinander lebendig beachtlicher Gegenstandswechsel der Sorge: halten, wenn sie das Gesellschafts-, also Gemeinschaft wird zum Dreh- und Angel- hier das Arbeits- und Konsumleben Werbung in Halle punkt. So stellt sich die Frage, die kaum unterbindet und sie die Gegensätze z.B. eine theoretische zu sein scheint: Weshalb gilt dieser zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer milliarden- Fiktion des Wirs so viel Aufmerksamkeit, was ist sachlich schwer und mit moralischer Strenge abfedert … Auf der dran an diesem Unsinn? anderen Seite aber, bei denen, für die es sich bekannter- Vorweg. Eine vernünftige Gesellschaft brauchte kaum maßen auch schon vor Corona sehr schlecht auszahlte, huldigende Werbung für sich oder eine Kultur der Selbst- auf dieses ökonomische ›Miteinander‹ verpflichtet zu Sorge. Der gesellschaftlich geteilte Zweck würde für sein, vernimmt man Gleiches: Auch sie pflegen im leeren sich stehen und Punkt. Dort gelte ein Seuchen-Shutdown Wert Wir die selbstlose Sorge um die Kontinuität ihrer der Sorge um das physische Wohl und stünde dem nicht ökonomischen Verfasstheit. Mensch, es ist Kapitalismus entgegen. Sorge gebe es maximal um Nahrungsmittel, und jeder will bleiben. Dafür: Balkonapplaus. nicht um Arbeitsplätze, weil Arbeit nur liegen bliebe, sich im Shutdown sogar vermehrte und es danach einfach weiterginge, mit mehr Arbeit. Hierzulande geht’s aber II – Die Künstler_innen treibt wie immer nichts anderes ganz anders, sogar entgegensetzt zu. ›Wegen‹ Corona als den Rest ihrer Mitmenschen um, nur ein Grad droht hier Arbeits›losigkeit‹ und Armut. Welches ›Mitein- unerträglicher, weil in Reimen und mit Gitarren. Das ander‹ herrscht hier? beschränkt sich nicht auf Typen wie die von Frei.Wild. Das Miteinander gilt erst einmal als ein Wert. Das Die hatten der ›Hysterie‹ um die Seuche gerade ein Lied war schon vor Corona so, es ist nix Neues. Es ist sogar gewidmet, als sie wegen ihres maladen Tontechnikers ein höchster Wert und der stärkste Meta-Einwand z.B. selbst in Quarantäne mussten. Das hatte Paula Irmschler gegen Links, Rechts und ungleiche Reichtums-Verteilung: getwittert und den wirklich notwendigen Satz dazu: sie ›spalten‹ die Gesellschaft. Allein diese Qualität Das hab ich mir nicht ausgedacht.
corona€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€ Frei.Wilds Lied Corona Weltuntergang treibt die Sorge ums wodurch bestimmt und jetzt schon seinen Tribut verlan- Gemeinschaftliche um genau wie die, die sich als deren gend (Stichwort: fehlendes Einkommen). Man hatte an demokratische Gegenstimme verstehen. Der einzige ihm nur nicht nichts auszusetzen, man möchte ihn sogar Unterschied: sie verstehen die heutige politische Elite als zurück: Auch wenn die Zeit uns grad fordert (mh-mh). Gibt schlechte Betreuer der Gemeinschaft. Politik hätte mit es Hoffnung noch. Dass der Tag kommt, an dem all das vorbei Corona eine Angstgemeinschaft erzwungen und auf sich ist. Und die Welt macht wieder auf (oh yeah). verpflichtet. Um dies zu stärken, nützen Frei.Wild sogar Oh yeah! Auch Tocotronic sind dabei, wie immer die früheren politischen Zustände, für die sie doch zuvor intellektuell. Gegen die Vereinzelung setzen sie ein Lied, so viel Spott übrig hatten. Diese kommen beinah als das uns verbindet und es heißt Hoffnung. Weshalb diese kollektive Idealzustände einher, auch das kann Corona: Not tut, bleibt nebulös. Einmal singen sie von uns, dem Alles hat ein Ende. Wird wieder gut. Corona Weltuntergang. Gemeinschaftliches abgeht, dann von einem Ich, sich Oder, wir klagen was anderes an. Man hört nichts mehr selbst in die Ecke manövrierend. Dann singen sie von vom Klimawahn. Und Angie und auch Greta schweigen sich Vereinzelung, als ob es sie vor Corona nicht auch gab. an. Und Tausende stehen. Vor der Grenze, Egal, was da Abhilfe sei, jedenfalls kein frieren. etc. sachlich vernünftiger Zweck am Und die Stimmen der demokratischen Horizont. Es reiche, auch wenn Aktion Mehrheit? Hölscher, eine Kölner Kombo, aktionistisch hinpronounciert wird, buchstabiert Zeit für Menschlichkeit so aus: schon: Ein kleines Stück. Lyrics and Music. Du belädst den Truck und du fährst die Bahn. Und es genüge auch jeder Ton, egal Du sorgst für Ordnung und du packst das welchen Inhalts, also Hauptsache tönend. Regal. Du gibst Unterricht und zwar digital. Eine schöne Selbstsuggestion, die Und spielst mit den Kindern, ja das ist genial. ideell wahllos kittet, woran man als Pro- Dass jetzt ein Gesellschaftsleben weiter geht, blem sachlich nichts mehr festhalten will. 4:20 min, mit Gitarre, so billig kann’s sein. in seiner breiten vor-Corona-Banalität, Ironisierende Stimmen gibt’s auch, wenige. Die ist schon der ganze Witz. Man sollte nicht fragen, Ärzte singen ein bisschen Quarantäne sei nicht die schlimm- was am Leben gehalten wird, wenn für Hölscher Ord- ste Sache der Welt. Trotzdem eine Herausforderung, nungshüter dazugehören (müssen), was ihre Idee von denn daheim langweilen sie sich. Und so füllt sich ihr Bild Menschlichkeit ist, wenn manche ihren Traumjob der Lage: fern aller Gemeinschaftsemphase die Emphase am Lagerregal nachgehen dürfen. Lustig allein ist das der individuellen Frage, wie den Tag rumkriegen. absurd-poetische youtube-Transkript: To keep some Und dann Irmschler again. Reagierend auf die Super- Turkish fatigue each time. Which means mythical manana show der Supergemeinschaftlichkeit (One World mit system yeah. etc., LOL. Elton John bis Lady Gaga) textet sie ihren eigenen Corona- Auch wenn den Leuten von der Band KUULT die Tribute. Was sich alles unter diesem gelobten Wir ver- Corona-Zeit schon komisch vorkommt, weil ihnen nichts sammelt, zeigt im Nebeneinander das realsatirische mehr ist, wie’s vorher war, mag man staunen. Wie war Innenleben: Solidarity all together thank you people stay das mit dem Job, der nun nur noch prekärer wurde, mit home I am glad I am super rich. (…) I just love my rich- gültig bleibenden Kreditforderungen und mit intakten niss. And the nurses. Diese Persiflage der Heuchelei der wie halsbrecherischen Mietansprüchen? Doch eher so- Reichen bleibt stumpf, insofern sie als Pflege des Werts lide, unerbittliche Kontinuität?! Wenn KUULT im Endreim wahrer Gemeinschaftlichkeit verstanden wird und Bleibt nur ein Wir einfällt, ist das nicht resignierend wohl auch gemeint ist. Reibend im Abgleich zwischen gemeint, im Gegenteil: selbstsicher, dass so ein scheiß Ideal und Wirklichkeit: auch nur eine Stimme im Virus unseren schönen alten Alltag wenigstens ideell Wir-Wert-Chor. nicht klein bekommt. Lena und Steffen Silbermond, die selbe Leier. Die größte Pein: nicht seinem vor-Corona-Alltag nachgehen zu können, gleich
€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€€hingehört Pandemonia oder This is Water! Tagebuch einer Gesellschaft in der Pandemie Der Schriftsteller David Foster Wallace formulierte in Pandemonia ermöglicht es so, zurück zu gehen. Ein Zeit- einer später berühmt gewordenen Rede einen einfachen sprung zurück in die ersten Wochen des Shutdowns. Gedanken: Wenn uns die Gesellschaft umgibt wie das Eindrücklich beschreiben die Beteiligten die Veränderun- Wasser den Fisch, dann ist leicht zu übersehen, was eigentlich gen, die um sie herum und in ihnen selbst geschehen. unser Leben bis auf die Haut bestimmt. Für Wallace weiß Das ist ein großer Gewinn für die Zuhörenden. Die der Fisch nicht einmal, was Wasser überhaupt sein soll eigenen Erfahrungen und Gedanken mit dem Shutdown – auch für Menschen ist es leicht zu vergessen, was die werden hervorgerufen und bekommen Kontur. Von gesellschaftliche Realität eigentlich ausmacht. der Ungewissheit und manchmal wilden Hoffnung zu Nun stellen Sie sich vor: eines Tages kommt es zu Beginn des Shutdowns und dem Ärger und der Sorge, einer Pandemie. Es würden Ausgangssperren verhängt. die sich mit den ersten erbrachten Opfern einstellt, erzählt Keine harten, gegen die sich spontan Protest formieren Pandemonia den Weg der Beteiligten zurück in eine würde. Flexibel und gut begründet. So würde es allen gesellschaftliche Realität, die sich gar nicht so sehr von Beteiligten möglich gemacht, die Ausgangssperren zu der Ausgangslage unterscheidet. Wir erinnern uns: akzeptieren. Schnell würden die Menschen anfangen, der Fisch schwimmt im Wasser, auch wenn er sich selbst nach Wegen zu suchen, das Leben weiterlaufen zu lassen verändert. Die Welt, die uns umgibt, hat sich nicht wie bisher. Die räumliche Distanz würde die Kommu- wesentlich verändert. Wirtschaftliche Existenzängste sind nikationswege ändern. das Problem jener, die vorher schon in Unsicherheit Erst etwas holprig, dann ganz selbstverständlich wür- lebten. Die Last der Care-Arbeit liegt immer den neue Begrüßungsformen im Alltag angewandt. noch auf denselben Schultern. Sie wiegt Das Arbeiten von Zuhause stünde dann im Zentrum der nur schwerer. Und wer bislang Existenzsor- Gesellschaft. Jedenfalls im Feuilleton. Außerhalb der gen lieber aus der Ferne betrachtet hat, Welt der Zeitungslesenden freilich arbeiteten bleibt dabei. weiter alle in jenen ermüdenden Tätigkeiten, Die Angst vor den langfristigen Fol- die von da an systemrelevant genannt werden. gen des Shutdowns relativiert sich an der Trägheit des Ohne natürlich, dass die Interessen der Bestehenden. Gesellschaftliche Konflikte spitzen sich zu. Lohnabhängigen in diesen Berufen eine ver- Grundlegend verändert haben sie sich nicht. Aber auch gleichbare Adelung erfahren würden. wenn die Gesellschaft, die uns umgibt, gleich geblieben Von dieser Entwicklung handelt die Feature-Reihe ist – ist sie jetzt deutlicher zu sehen. Pandemonia. Inzwischen ist das Leben ohne Öffentlich- Pandemonia fährt die Bahnen nach, in denen viele keit zur Normalität geworden. Zwar sind die Straßen die Selbstverständlichkeiten des eigenen Lebens in Gedan- selten leer, doch immer begleitet die Passantin das Gefühl ken umkreist haben. Die eigene Position in der Gesell- des unberechtigten Aufenthalts außerhalb der Wohnung. schaft, die Abhängigkeit voneinander und auch die Soli- Und während am Anfang noch Verwunderung domi- darität zueinander sind Fragen, die sich angesichts der nierte, hat sich nach einigen Wochen eine Gewöhnung plötzlichen Veränderungen aufdrängen. Zu welchen eingestellt. Theresa Münnich hat sehr früh begonnen, Schlüssen jeder Einzelne dabei kommt, lässt sich kaum Tagebuch zu führen. Nicht ihr persönliches, sondern ein vereinheitlichen. Aber beim Hören von Pandemonia kollektives. In Sprachnachrichten, aufgezeichneten drängen sich diese Fragen wieder auf. Pandemonia ist Telefonanrufen und Momentaufnahmen sammelte sie deshalb nicht nur eine atmosphärisch-dichte Auseinander- Eindrücke, Gedanken und Befürchtungen. Die Feature- setzung mit der Zeit des Corona-Shutdowns – es regt Reihe begleitet die Auseinandersetzung mit der veränder- auch zum Nachdenken über das eigene (gesellschaftliche) ten Lebenssituation. Die Erzählungen sind persönlich, Leben und die Gesellschaft, die uns umgibt, an. Ob manchmal intim. Das Geflecht der Einzelerfahrungen die Erkenntnis über die Beschaffenheit des Wassers für verbindet sich mit jeder Minute mehr zu einer gemeinsa- den Fisch einen Unterschied macht, können wir Nachzuhören unter: men Erzählung. Es entsteht ein kollektives Tagebuch. nicht wissen. Beim Menschen jedenfalls ist diese www.radiocorax.de/ Bald wird deutlich: die eigenen Erfahrungen sind davon Erkenntnis die Voraussetzung für die Veränderung ?s=Pandemonia nicht so weit entfernt. der Gesellschaft. Valentin
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