KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk

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KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Mitteilungsblatt des Leipziger Missionswerkes
der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

KIRCHE
2/19                       weltweit

                                                      Gerecht
               Gleich

                    Gerechte Teilhabe ... weil Gottes Welt allen gehört
                    Anerkennung von unterschiedlichen Begabungen und Bedürfnissen, Solidarität, Gleich-
                    berechtigung – all dies sind Schlagworte, wenn es um Teilhabe geht. Menschen aus
                    unseren Partnerkirchen beleuchten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

                    MITGLIEDERVERSAMMLUNG DES FREUNDESKREISES
                    Der Freundes- und Förderkreis des Leipziger Missionswerkes e.V. (FFK) lädt am 24.
                    August 2019 im Rahmen des 183. Jahresfestes des LMW zur Mitgliederversammlung
                    ins Leipziger Missionshaus ein.
KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Editorial & Inhalt

    Liebe Leserinnen
                                                                  Inhalt
    und Leser,
    Vollversammlung des Ökume-                                     2	Editorial
    nischen Rats der Kirchen 2006                                 3 Dr. Thilo Daniel
    … Wir sitzen in einer Morgen-                                 		Meditation
    andacht im Gottesdienstzelt.
    Alles läuft, wie erwartet: gute                                4 Charlotte Weber
    Musik, ansprechende Predigt                                   		Ausgrenzungen überwinden, Verletzungen heilen
    … Doch dann beim Fürbit-                                        	Gedanken zur „Teilhabe“ als Wechselspiel von
    tengebet … Ich bin irritiert:                                    Teilnehmen und Teilgeben
    Die Worte werden von einem Menschen gesprochen, der           8 Ally Seif Ramadhani
    anscheinend Lähmungen hat. Seine Wort sind mir unver-         		Auf dem Weg zum Einparteienstaat
    ständlich. Ich habe nichts verstanden, und wohl auch kein     		Zur aktuellen politischen Situation in Tansania
    anderer Mensch im Zelt ... Schlagartig wird mir bewusst:
    Nicht ich bin Adressat des Gebetes, sondern Gott. Und da      10 Dr. S. Thomas Kennedy
    bin ich mir sicher: Gott hat die Worte gehört, und er hat     		Angriffe gegen Muslime und Christen
    sie verstanden.                                                 	Hindu-Nationalisten schüren Gewalt gegen
    EDAN, das Ökumenische Aktionsbündnis von und für                 religiösen Minderheiten in Indien
    Menschen mit Behinderungen, hatte jene Vollversamm-           12 Fürbitte konkret
    lung intensiv begleitet. Dabei ist sichtbar geworden, dass
    es um mehr geht als um eine Rollstuhlrampe zur Kirche.        14 	Rahael Jaukae
    Der gerechten Teilhabe aller Menschen liegen noch viele       		Die Kirchen werden leerer und die Clubs voller
    Steine im Weg. Deshalb ist es gut, dass die sächsische        		Das Verhältnis der Generationen in Papua-
    Landessynode kürzlich einen „Maßnahmeplan zur gleich-             Neuguinea
    berechtigten Teilhabe von Männern und Frauen in der           16 	Faustina Nillan
    Kirche“ beschlossen hat. Denn während 55,8 Prozent der        		 Mit der Vergangenheit die Zukunft gestalten
    Kirchgemeindeglieder weiblich sind, sind Leitungsfunkti-      		Wie die Zeitreise-Methode Frauen zu ihren
    onen in der Landeskirche beinahe ausnahmslos männlich             Rechten verhilft
    besetzt.
    Davon, wie Dalits – Inder*innen, die aufgrund ihrer Kas-      17 Andreas Kecke
    tenzugehörigkeit als „unberührbar“ gelten – ausgegrenzt       		Wie alles begann
    werden, können Sie am 23. August zum Auftakt unseres          		 Vor 200 Jahren gründete sich in Dresden der
    Jahresfestes hören. „Alles, was Recht ist“, so lautet der        erste Missions-Hilfsverein
    Abend mit Manuela Ott, Koordinatorin der Dalit Solida-        18 „Türen auf!“ für junge Menschen mit Behinderung
    rität in Deutschland. Was das für uns bedeutet, habe ich      		Adventsaktion für Tansania erbringt über 30.000
    kürzlich im Leipziger Erich-Zeigner-Haus erfahren. Gjulner       Euro
    Sejdi und Jana Müller berichteten vom Verfolgungsweg
    mitteldeutscher Sinti und Roma: Seit mehr als 600 Jahren      20	Nachrichten
    leben sie in Deutschland, allerdings wird ihnen wie den       22	Geburtstage, Impressum
    Dalits in Indien gerechte Teilhabe verwehrt. Von uns in
    Deutschland. Im Jahr 2019.                                    23 	Termine
    Barrierefreiheit beginnt im Kopf! Ich wünsche uns, dass wir   24 Vierteljahresprojekt
    erkennen, wo wir es sind, die anderen Menschen Teilhabe
    verwehren, wo wir andere Menschen behindern.
    Seien Sie herzlich gegrüßt aus dem Leipziger Missionshaus.
                                                                  Zum Titelbild: Für das Materialheft der Advents­
    Ihr                                                           aktion „Türen auf!“ wurde in Tansania dieses Sinn-
                                                                  bild nachgestellt, das den Unterschied von Gleichheit
                                                                  und Gerechtigkeit verdeutlichen soll. Fotografiert hat
    Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerkes       es unser weltwärts-Freiwilliger Jonathan Pungel.

2   KIRCHE weltweit 2/2019
KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Meditation

Meditation
Von Oberlandeskirchenrat Dr. Thilo Daniel, Dezernent für theologische Grundsatzfragen, Landeskirchenamt Sachsen

                           Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören,
                           langsam zum Reden, langsam zum Zorn.
                                    Monatsspruch Juli 2019: Jakobus 1,19

Ihr sollt wissen: Ein jeder Mensch sei schnell zum       manchmal verloren, dass
Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn.              aus dieser Erfahrung auch
SMS – Short Message Service (Kurznachrichten-            ein neues Miteinander un-
dienst). Wir tauschen unsere Nachrichten heute           ter uns folgt. Vers 22: „Seid
ganz anders aus als noch vor 20 Jahren: Wer hätte        aber Täter des Worts und
seinerzeit an das „Simsen“ gedacht. Die Welt wird        nicht Hörer allein; sonst be-
zum Dorf durch diese Art und Weise des Aus-              trügt ihr euch selbst.“ Und
tauschs. In Sekundenschnelle rasen Nachrichten um        dieses Wort, das lebendige
die Welt. Das ist ohne Zweifel ein Fortschritt. Tan-     Wort Gottes, ist Jesus Chris-
sania, Indien und Papua-Neuguinea scheinen gleich        tus selbst. Im Juli erinnert
um die Ecke zu sein.                                     besonders der 4. Sonntag
Die Kehrseite lässt sich vielleicht so beschreiben:      nach Trinitatis daran: An
Die Welt rückt näher zusammen, aber mit den              diesem Sonntag sind die Verse aus dem ersten Ka-
Menschen in unserer Nähe tauschen wir uns we-            pitel des Jakobusbriefes einer der Predigttexte neben
niger direkt aus, als wir es über das Handy tun. In      den sechs immer wiederkehrenden Predigtreihen.
der Straßenbahn haben wir nur noch eine Hand frei.       Und eines der Wochenlieder fasst die Erinnerung
In der anderen ist das Handy immer fest im Griff.        des Jakobusbriefes in eine Bitte, ja, ein Gebet. Der
Noch beim Einkauf zwischen den Regalen sind wir          Text stammt von Hans von Lehndorff, Arzt und Teil
erreichbar. Die Nachrichten, die wir austauschen,        der bekennenden Kirche. Bereits 1967 entstanden,
werden schneller und kürzer und sie werden auch          sind seine Verse ein Ruf zur Besinnung und Um-
„kurzatmiger“. Wenn die Antwort nicht gleich auf         kehr auch für unsere Zeit. Er bittet für die eine Welt:
der Anzeige erscheint, dann ist die Geduld rasch         „Komm in unsre stolze Welt, Herr, mit deiner Liebe
am Ende. Und: Wir reden weniger miteinander.             Werben. Überwinde Macht und Geld, lass die Völ-
Wir senden Nachrichten, aber wir sprechen nicht          ker nicht verderben. Wende Hass und Feindessinn
mehr miteinander und begegnen uns weniger. Die           auf den Weg des Friedens hin.“
Möglichkeit, auf Alles gleich zu reagieren, hat auch     Er bittet für unser Land und die Entscheidungen, die
nachweislich die Hemmschwelle gesenkt, gleich und        wir als Wählerinnen und Wähler in diesem Sommer
ohne nachzudenken dem Ärger freien Raum zu las-          finden sollen: „Komm in unser reiches Land, der du
sen. „Shitstorm“ nennen wir die schlimmste Eskala-       Arme liebst und Schwache, dass von Geiz und Un-
tionsstufe des Schimpfens im Netz.                       verstand unser Menschenherz erwache. Schaff aus
Der Monatsspruch für den Juli hat ein Rezept für         unserm Überfluss Rettung dem, der hungern muss.“
eine Art Gegenmittel bereit.                             Er bittet für uns, da, wo wir leben: „Komm in unsre
Zuhören: Erst einmal hinhören und zuhören und            laute Stadt ... Komm in unser festes Haus, ... denn wer
aufeinander hören, damit fängt die Sinnesänderung        sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.“
an. Auch nicht gleich eine Antwort haben. Und            Er bittet für Dich und mich: „Komm in unser dunk-
nicht gleich dem Ärger freien Raum lassen.               les Herz, Herr, mit deines Lichtes Fülle; dass nicht
Vers 20: „Denn des Menschen Zorn tut nicht, was          Neid, Angst, Not und Schmerz deine Wahrheit uns
vor Gott recht ist.“ Die Verse nach dem Monats-          verhülle, die auch noch in tiefer Nacht Menschenle-
spruch machen etwas stark, was unter Evangeli-           ben herrlich macht.“
schen ins Hintertreffen geraten kann. Dank Martin        Dieses Licht ist mit Jesus Christus schon in unsre
Luthers Erfahrung von der befreienden Gnade geht         stolze Welt gekommen.

                                                                                      KIRCHE weltweit 2/2019       3
KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Teilhabe

    Ausgrenzungen überwinden, Verletzungen heilen
    Gedanken zur „Teilhabe“ als Wechselspiel von Teilnehmen und Teilgeben
    Sich selbst mit seinen Begabungen einzubringen und andere gleichberechtigt hat etwas mit Menschenwür-
    de zu tun. Das Gegenteil davon sind Rückzug und Ausgrenzung. Es ist eine Zukunftsaufgabe der Kirche,
    diese zu überwinden – das gilt hier in Deutschland genauso wie im Umgang mit anderen Ländern.
    Von Kirchenrätin Charlotte Weber, Ökumenereferentin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Erfurt

    „Das christliche Verständnis von Teilhabe gründet         teresse des Zusammenhaltes dieses Leibes aus, dass
    in der den Menschen geschenkten Teilhabe an der           gerade den schwächsten Gliedern eine besondere
    Wirklichkeit Gottes. Die Bibel hebt die unverlierba-      Würde und Anerkennung zuteil werden muss. Teil-
    re Würde des Menschen hervor und illustriert die          habe an der Gesellschaft hat fundamental mit der
    Überzeugung von der jedem Menschen gegebenen              Erfahrung von Anerkennung von anderen zu tun.
    Fähigkeit zur aktiven Teilhabe unter anderem in der       Anerkennungsentzug beeinträchtigt die Würde des
    Symbolik des Leibes Christi (1. Korinther 12 u. a.).“     Menschen.“ (Gerechte Teilhabe, S. 20)
    So begründet die EKD-Denkschrift „Gerechte Teil-          So dürfen die realen Unterschiede zwischen Men-
    habe – Befähigung zu Eigenverantwortung und Soli-         schen, ihre unterschiedlichen Begabungen, Her-
    darität“ von 2006 den Gedanken der Teilhabe.              künfte und Lebenserfahrungen in verschiedenen
    Aus der Teilhabe an Gottes Wirklichkeit durch den         Rollen und Aufgaben in der Gesellschaft, und so
    Heiligen Geist – der jeder und jedem „Charismen“,         durchaus auch in unterschiedlicher Entlohnung re-
    Geistesgaben, Begabungen schenkt – erwächst die           sultieren. Sie dürfen aber nicht zur Abwertung von
    Aufgabe, diese Begabungen für sich selbst und für         Personen oder zum Entzug von Anerkennung und
    andere lebendig werden zu lassen. Teilhabe an Got-        Teilhabechancen führen.
    tes Kraft verpflichtet dazu, andere teilhaben zu las-     Wo die vorhandenen Ungleichheiten nicht als reine
    sen an den geschenkten Begabungen und teilzuneh-          Verschiedenheiten der Menschen, sondern als un-
    men am Leben in der Gemeinschaft.                         gleiche Wertigkeiten erlebt werden, werden Men-
    Teilhabe an Gottes Kraft befähigt zur Verantwortung       schen, die sich als ausgegrenzt erleben, noch weiter
    für sich selbst und zur Solidarität mit anderen. Dieser   entmutigt, sich an der Gesellschaft zu beteiligen und
    Eigenverantwortung und Solidarität entspricht eine        ihre Fähigkeiten einzubringen.
    Haltung gegenüber allen anderen, die wie ich an Got-      Die EKD-Denkschrift von 2006 hatte insbesondere
    tes Wirklichkeit teilhaben: Ich begegne ihnen in einem    die Mechanismen von Beteiligung und Ausgren-
    Geist der Wertschätzung und Beteiligung.                  zung in unserer Gesellschaft im Blick, die sich aus
    So entsteht Teilhabe aus einem Wechselspiel von Teil-     der Verteilung der Güter, also durch Reichtum und
    nehmen und Teilgeben, von aktivem Ergreifen meiner        Armut, ergeben. Darüber hinaus durchzieht die Fra-
    Möglichkeiten und dem Gewähren von Beteiligungs-          ge der Teilhabegerechtigkeit in einem umfassenden
    möglichkeiten für andere. Aus der all unseren Leistun-    Sinne Lebensbereiche innerhalb unserer Gesell-
    gen vorausgehenden Teilhabe am Leib Christi entsteht      schaft und weltweit. In diesem Artikel können nur
    so die wirkliche Erfahrung von Zusammengehörigkeit.       einige Aspekte von Teilhabe verdeutlicht werden.
    Das Gegenteil von Teilhabe sind demnach Ausgren-
    zung und Rückzug, der wiederum häufig aus Erfah-
                                                                             Armut und Teilhabe
    rungen von fehlender Zugehörigkeit resultiert: Wem
    nicht Anteil gegeben wird, wird auch nicht teilneh-       Armut und Teilhabe, so kann man sagen, schließen
    men – aber sich vielleicht seinen Teil nehmen, wenn       einander aus. Wer um das tägliche Überleben kämp-
    nötig mit allem Nachdruck.                                fen muss, kann keine Freiheitsrechte wahrnehmen
    So führt uns schon Paulus mit seinem Bild vom Leib        und Beteiligungsmöglichkeiten einfordern. So kön-
    und den vielen Gliedern (1. Korinther 12) deutlich        nen die, die am meisten unter der ungerechten Ver-
    vor Augen, „dass jedem Glied der Gemeinschaft             teilung der weltweiten Güter leisten, am wenigsten
    Christi eine besondere Art der Verantwortung für          Einfluss nehmen auf wirtschaftliche und politische
    das Ganze und damit auch eine besondere Art der           Entwicklungen. Ihnen die Möglichkeit zu geben, für
    Teilhabe am Ganzen zukommt. Und er führt im In-           sich selbst und ihre Familien zu sorgen, sich selbst

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KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Teilhabe

                                                                      ladung zum Essen, kein Konzert, kein Ausflug, kei-
                                                                      ne Zeitung.“ Und wer länger als sieben Wochen so
                                                                      „außen vor“ bleibt, hat immer weniger Motivation
                                                                      sich zu beteiligen, da das soziale Wechselspiel von
                                                                      Beteiligung und Anerkennung ausbleibt.
                                                                      Ein besonderes Problem ist in diesem Zusammen-
                                                                      hang die Langzeitarbeitslosigkeit, die auch mit
                                                                      zunehmendem Fachkräftemangel voraussichtlich
                                                                      nicht verschwinden wird. Durch die zunehmende
                                                                      Digitalisierung und Technologisierung der Arbeits-
                                                                      welt und die Verlagerung weniger qualifizierter Ar-
                                                                      beitsplätze in Billiglohnländer sinken die Chancen
                                                                      von Menschen mit niedrigen Qualifikationen oder
                                                                      gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf dem Ar-
                                                                      beitsmarkt weiter. Wie kann es gelingen, sie nicht
                                                                      weiter von gesellschaftlicher Teilhabe auszuschlie-
                                                                      ßen? Wie kann unsere Gesellschaft vermitteln: Jeder
                                                                      Mensch wird gebraucht, jeder Mensch hat Kompe-
                                                                      tenzen und Begabungen einzubringen – auch je-
                                                                      mand ohne Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt.

                                                                                     Bildung und Teilhabe
                                                                      „Eine gerechte Gesellschaft muss so gestaltet sein,
 Die Bilder, die diesen Beitrag illustrieren, stammen aus der Wan-
 derausstellung des Diakonischen Werkes „Kunst trotz(t) Ausgren-      dass möglichst viele Menschen tatsächlich in der Lage
 zung“, die bis Ende April 2019 in Chemnitz zu sehen war.             sind, ihre jeweiligen Begabungen sowohl zu erkennen,
 Dieser Farbholzschnitt von Martin Klätte trägt den eindrücklichen    als auch sie auszubilden und schließlich produktiv für
 Titel „Mann mit Brot schlägt Mann ohne Brot“ und thematisiert        sich selbst und andere einsetzen zu können. Eine sol-
 Wohlstandsverteidigung und Ausgrenzung. Klätte wurde 1986 in
                                                                      che Gesellschaft investiert folglich, wo immer es geht,
 Berlin geboren und arbeitet seit 2014 im Kunstatelier der Macherei
 des Evangelischen Johannesstiftes in Berlin.                         in die Entwicklung der Fähigkeiten der Menschen zur
                                                                      Gestaltung ihres eigenen Lebens sowie der gesamten
                                                                      Gesellschaft in ihren sozialen und wirtschaftlichen
als eigenverantwortlich und als fähig zum Miteinan-                   Dimensionen.“ (Gerechte Teilhabe, S. 11)
der in der Gesellschaft zu erfahren, bedeutet, ihnen                  Bildung stellt somit einen wichtigen Schlüssel dar,
Würde und Teilhabe zu geben.                                          um Teilhabechancen zu verbessern. Doch ver-
In unserer Gesellschaft bedeutet Armut nicht in                       schiedene Studien belegen: An deutschen Schulen
erster Linie, nicht ausreichend Geld zu haben, um                     entscheidet weitgehend die Herkunft über den Bil-
sich ernähren zu können, sondern ist eine Frage der                   dungserfolg. Kinder, die aus schwierigen sozialen
Würde und des Ausgeschlossenseins. Der zweite                         Verhältnissen oder aus Familien mit Migrations-
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregie-                         hintergrund stammen, haben immer noch deutlich
rung definiert „Armut i.S. sozialer Ausgrenzung                       schlechtere Chancen im Bildungssystem als andere.
und nicht mehr gewährleisteter Teilhabe ... wenn die                  Dies wiederum hat Folgen für Armut und Teilhabe:
Handlungsspielräume von Personen in gravierender                      So kann es in Deutschland laut einer OECD-Studie
Weise eingeschränkt und gleichberechtigte Teilha-                     bis zu sechs Generationen, also 150 Jahre, dauern,
bechancen an den Aktivitäten und Lebensbedin-                         bis die Nachkommen einer einkommensschwachen
gungen der Gesellschaft ausgeschlossen sind“.                         Familie das Durchschnittseinkommen erreichen.
Bekannte von mir machten vor einiger Zeit in der                      Bildung ist daher nicht nur die Verantwortung der
Fastenzeit ein Experiment: Sieben Wochen vom                          Eltern sondern eine gesamtgesellschaftliche Auf-
Hartz-IV-Regelsatz zu leben. Sie berichteten ein-                     gabe. In Zeiten abnehmender Kinderzahlen sollten
drücklich: „Wir hatten ausreichend zum Leben.                         die freiwerdenden Mittel daher in die qualitative
Aber uns fehlte die kulturelle Teilhabe. Keine Ein-                   Verbesserung der Bildung und die individuelle För-

                                                                                                   KIRCHE weltweit 2/2019       5
KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Das hohelied der Liebe in Bildern

    Teilhabe

    derung der Kinder investiert werden, um Kindern
    zu helfen, ihre Begabungen zu entdecken und ihre
    Fähigkeiten zu entfalten.

                    Migration und Teilhabe
    Manche Menschen verlassen ihre Heimat, weil ihr
    Leben dort existentiell bedroht ist oder weil die
    Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe ein-
    geschränkt sind. Unsere Gesellschaft steht vor der
    Herausforderung, geflüchteten Menschen nicht nur

                                                                                                                                                                                             SchönerHeit-Lukas. Alle Rechte vorbehalten © Julia Krahn
    eine gesicherte Existenz zu bieten, sondern Teilhabe
    in einem umfassenden Sinne zu schaffen. So soll die
    Ausgrenzung, die auf materiellen, sprachlichen und
    kulturellen Barrieren fußt, abgebaut werden und
    Teilhabe an allen gesellschaftlichen Vollzügen mög-
    lich sein. Integration heißt das Schlüsselwort. Aber esSt.    Die Fotoserie
                                                               JohanniS GöttinGen,„SchönerHeit. Das Hohelied der Liebe in Bildern“
                                                                                          Die Ausstellung zeigt die Schönheit und auch die
                                                                                                                                                   kooperationspartner:   Gefördert durch:
                                                                                          Verletzlichkeit von Menschen mit Behinderung,
                                                           Johanniskirchof
                                                                  von   Julia Krahn zeigt die Schönheit und auch die Verletzlichkeit
    verdeutlicht auch, dass wir uns über die wahre Dyna-19. Mai – 22. Juni 2016
                                                                                          arbeitet deren liebenswerte Seiten, trotz körperlicher
                                                                                          Einschränkung heraus und gibt ihnen die Möglichkeit,

                                                                  von Menschen mit Behinderung, arbeitet deren liebenswerte
                                                                                          ihre Lebenswirklichkeit in Bildern auszudrücken.

    mik von Teilhabe nicht unbedingt einig sind. Das Bild                                   www.schoenerheit.de   www.juliakrahn.com

                                                                  Seiten, trotz körperlicher Einschränkung heraus und gibt ihnen
    vom Leib und den vielen Gliedern setzt ein eher stati-        die Möglichkeit, ihre Lebenswirklichkeit in Bildern auszudrücken.
    sches Verständnis voraus: Ein Körper bleibt ein Kör-
    per – und eine Hand bleibt eine Hand. Doch wie ver-
    ändert sich eine Gesellschaft, wenn an ihr Menschen hinderungen gemeinsam lernen. Doch es gibt auch
    teilhaben, die vorher nicht dazu gehört haben? Echte Sorgen: Eltern behinderter Kinder fürchten, dass ihr
    Teilhabe ist ein Wechselspiel zwischen Individuum Kind in der „Regelschule“ nicht ausreichend geför-
    und Gemeinschaft, die sich gegenseitig verändern.            dert wird. Eltern nichtbehinderter Kinder fragen:
                                                                 Bekommt mein Kind noch die nötige Aufmerksam-
                                                                 keit? Dort wo die Förderung von gerechter Teilhabe
                  Behinderung und Teilhabe                       Geld kostet – und diese Ressource knapp ist – kann
    Spätestens mit dem Bundesteilhabegesetz, das eine Konkurrenz um Teilhabemöglichkeiten entste-
    2016 in Kraft getreten ist, sind die Begriffe Teilha- hen. Doch echte Teilhabe schließt jede Form gestuf-
    be und Behinderung eng verbunden. Menschen ter Teilhabe aus. Entweder jedes Glied am Leib ist
    mit Behinderungen sollen nicht in erster Linie als gleich wichtig und wertvoll – oder keines.
    Empfänger*innen von Hilfeleistungen gesehen wer-
    den, sondern in ihrer Selbstbestimmung so gestärkt
                                                                       Teilhabe an den weltweiten Ressourcen
    werden, dass sie am vollen gesellschaftlichen Leben
    teilnehmen können. Dies ist auch mit einem Lernweg „Jeder Mensch auf dieser Erde hat das gleiche Recht
    für kirchliche Träger verbunden – sie waren Vorreiter auf Teilhabe an dem weltweiten Reichtum natür-
    in der Zuwendung zu Menschen mit Behinderungen, licher Ressourcen. Das gegenwärtige Ausmaß an
    haben diese aber lange nur als Hilfeempfänger*innen Ungleichheit und Ungerechtigkeit ist unvereinbar
    wahrgenommen. Möglicherweise ist dies ein notwen- mit diesem gleichen Recht. Dieses Recht setzt dem
    diger erster Schritt: Bei der Adventsaktion 2018 „Tü- privaten Eigentum an natürlichen Ressourcen und
    ren auf!“ haben wir erfahren, dass in Tansania Stig- dem Handel mit ihnen Grenzen.“ So formuliert es
    matisierung und Diskriminierung von Menschen mit der „Zweite Stellenbosch-Konsens“, den kirchliche
    Behinderung noch weit verbreitet sind. Die Aktion Vertreter*innen aus Deutschland und Südafrika
    unterstützt diakonische Träger, die behinderten Kin- 2013 formuliert haben. Dabei war sowohl die unter-
    dern einen Zugang zu Bildung verschaffen. Ein erster, schiedliche aktuelle Verteilung der Ressourcen im
    kleiner Schritt in Richtung Teilhabe.                        Blick wie auch ihr übergroßer aktueller Verbrauch
    In Deutschland ist dagegen die Diskussion um auf Kosten der zukünftigen Generationen. Notwen-
    schulische Inklusion im vollen Gange. So soll es dig sei daher eine „Große Transformation“ hin zu
    der Regelfall werden, dass Kinder mit und ohne Be- einer „kohlenstoffarmen Entwicklung und einem

6   KIRCHE weltweit 2/2019
KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Teilhabe

neuen ressourcenverbrauchsarmen Wohlstandsmo-             in die Schule schicken zu können, kommt sonntags
dell“ (These 3). „Die Frage der ökologischen Neu-         nicht zum Gottesdienst. Auch hier begegnet uns der
orientierung muss untrennbar verbunden werden             Zusammenhang von Armut und Teilhabe.
mit dem Anliegen der Gerechtigkeit und der Gel-           Und wie sieht es mit Teilhabe in unseren Kirchen
tung der Menschenrechte“ (These 6).                       aus? Kirche ist wie kaum ein anderer gesellschaftli-
Dass wir auf diesem Weg der Großen Transformati-          cher Akteur in allen Schichten unserer Gesellschaft
on seit 2013 nicht weit genug vorangekommen sind,         verwurzelt – und doch erreicht sie in ihrer Arbeit nur
machen die aktuellen Entwicklungen deutlich.              wenige Milieus, aus denen sich dann wieder Haupt-
                                                          und Ehrenamtliche zur aktiven Teilhabe gewinnen
                                                          lassen. Gleichzeitig arbeiten Christinnen und Chris-
         Teilhabe an Zukunftsgestaltung
                                                          ten in vielen Bereichen unserer Gesellschaft – So-
„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zu-       zialwesen, Bildung, Wirtschaft – und können dort
kunft klaut!“ Die Kinder der „Fridays for Future“-        den christlichen Gedanken von Teilhabe, von Eigen-
Bewegung machen es deutlich: Wir sind von dem             verantwortung und Solidarität, von Wertschätzung
wirtschaftlichen und politischen Handeln der Er-          und Beteiligung lebendig werden lassen. Und Kirche
wachsenen in unserer Zukunft existentiell betroffen       kann sich in ihrer eigenen Bildungs- und Sozialarbeit
– und bisher an den Entscheidungen nicht beteiligt.       von den Menschen bereichern lassen, denen christ-
Sie fordern ein, dass diejenigen, die von Entschei-       liches Glaubens- und Traditionsgut fremd sind, die
dungen betroffen sind, auch mitbestimmen sollen.          aber gerne teilhaben am Auftrag der Kirche, anderen
Die jungen Leute nutzen dabei auch ihre privile-          Teilhabe zu ermöglichen.
gierte Stellung – in einer freiheitlichen Gesellschaft,   Doch die Zukunftsfrage der Kirche wird sein: Kann
mit guter Bildung und wirtschaftlicher Absicherung        unsere Kirche einen Raum bieten, in dem Ausgren-
aufgewachsen, gut vernetzt und mit Smartphones            zungen überwunden und Verletzungen aufgrund von
ausgestattet – um für diejenigen die Stimme zu erhe-      Abwertungen geheilt werden? Einen Raum für die, die
ben, die schon jetzt von den Folgen des Klimawan-         noch nicht dazugehören, weil sie noch nicht lange hier
dels betroffen und in ihren Teilhabemöglichkeiten         leben? Einen Raum für die, die sich abgehängt fühlen,
eingeschränkt sind: Opfer von Dürrekatastrophen           weil sie mit den rasanten Entwicklungen in unserer
und Überschwemmungen, Opfer von Landgrabbing              Gesellschaft nicht mitkommen? Einen Raum für die,
für noch mehr Zugang zu fossilen Brennstoffen und         die nach den Maßstäben unserer Gesellschaft nichts
seltenen Erden. Sicher müssten viele dieser jungen        leisten und doch gleich wichtige und gleich würdige
Leute ihre eigene Verantwortung für den Klima-            Glieder am Leib Christi sind? Einen Raum auch für
wandel durch ihre Beteiligung am globalen Konsum          die, die nicht ganz dazu gehören wollen und doch teil-
noch stärker reflektieren. Aber sie glauben auch          haben an Gottes Auftrag für diese Welt? Und wie wird
nicht, dass sich die existentielle Krise unserer Ge-      Kirche sich verändern, wenn sie all diesen Menschen
genwart und Zukunft mit Energiesparlampen und             Anteil gibt und sie teilhaben lässt?
veganer Ernährung allein lösen.                                            * https://kunst-trotzt-ausgrenzung.de

               Teilhabe in der Kirche                     Anregungen zum Weiterlesen
Bei meinem Besuch in Tansania war ich beeindruckt
von den gut besuchten Gottesdiensten – so viele           Rat der EKD (2006): Gerechte Teilhabe. Befähigung
Menschen aus allen Generationen, nicht nur Kin-           zu Eigenverantwortung und Solidarität. Eine Denkschrift
der und Alte, sondern auch die mittlere Generation,       des Rates der EKD zur Armut in Deutschland, Juli 2006.
Männer und Frauen. Kirche als wirklich inklusive
Gemeinschaft. Aber von meinen Gesprächspart-              Zweiter Stellenbosch-Konsens (2013), 20 Thesen
nern hörte ich: Viele kommen nicht. Wer sich kein         zum Verhältnis von Ökologie und Gerechtigkeit
angemessenes Sonntagskleid leisten oder nichts zur                   * www.bayern-evangelisch.de/downloads/
Kollekte beisteuern kann, fühlt sich nicht zugehörig.            ELKB-Der-Zweite-Stellenbosch-Konsens-2014.pdf
Wer auch sonntags an der Straßenecke Kurierfahr-
ten mit dem Motorrad anbietet oder Obst verkauft,         Predigtanregungen zum Thema Teilhabe gibt es hier:
wer samstags in einer Bar jobbt, um seine Kinder                               * www.nachhaltig-predigen.de

                                                                                       KIRCHE weltweit 2/2019       7
KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
Tansania

    Auf dem Weg zum Einparteienstaat
    Zur aktuellen politischen Situation in Tansania
    Die politische Teilhabe wird für tansanische Oppositionsgruppen unter Präsident Dr. John Magufuli immer
    schwieriger. Kundgebungen sind verboten und zahlreiche Politiker*innen sehen sich zweifelhaften Gerichts-
    verfahren gegenüber. Die persönliche Freiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit wird eingeschränkt.
    Von Ally Seif Ramadhani, Menschenrechtsanwalt, Daressalam

    Die Vereinigte Republik Tansania wurde 1964                            der Vereinigten Republik Tansania, der verstorbene
    durch den Zusammenschluss von zwei ursprünglich                        „Lehrer” Julius K. Nyerere (der „Vater der Nation”),
    selbstständigen Staaten, Tanganyika und Sansibar,                      in seiner 24-jährigen Regierungszeit versucht, einen
    gegründet. Seit der Union wird Tansania von der                        afrikanischen Sozialismus in Tansania zu etablieren.
    gleichen politischen Partei Chama Cha Mapinduzi                        Seit den frühen 1980er-Jahren galt diese Idee als ge-
    (CCM, Partei der Revolution) regiert, jedoch un-                       scheitert, was – mit starker Unterstützung der westli-
                                                                           chen Länder – dem Kapitalismus Raum bot.
                                                                           In Tansania ist die politische Entscheidungsgewalt
                                                                           stark zentralisiert und wird zugleich verkompliziert
                                                                           durch widerstreitende Interessen von Gruppierun-
                                                                           gen innerhalb der Regierungspartei. Koalitionen
                                                                           zwischen diesen verschiedenen Gruppierungen
                                                                           bestimmen die Vorgehensweise der Regierung und
                                                                           beschränken, obwohl demokratisch gewählt, den
                                                                           Handlungsspielraum auf einzelne Elitegruppen.
                                                                           Sichtweisen und Ansichten von außerhalb hoher
                                                                           politischer Kreise werden infolgedessen kaum in die
                                                                           Entscheidungsfindung einbezogen.

                                                                                 Mehrparteiensystem ohne Opposition
                                                                           Seit den Parlamentswahlen im Jahr 2015 stehen die
    Im Wahlkampf 2015 präsentierte sich Dr. John Magufuli als Macher.      Oppositionsparteien in Tansania unter extremem
    Es gibt auch Erfolge im Land, aber die Demokratie leidet inzwischen.   Druck. Die neu gewählte Regierung des Präsidenten
                                                                           Dr. John Magufuli verfügte ein Verbot sämtlicher
    ter wechselnden Präsidenten. Julius Nyerere war                        politischer Aktivitäten der Opposition, einschließ-
    der erste Präsident. Ihm folgten Alhaj Ali Hassani                     lich politischer Kundgebungen. Das Verbot soll bis
    Mwinyi, Benjamin William Mkapa und Dr. Jakaya                          2020 gelten, dem Jahr der zweiten Wahl der fünf-
    Mrisho Kikwete. Gegenwärtig regiert der fünfte Prä-                    ten Präsidentschaftsperiode. In auffälligem Maße
    sident, Dr. John Pombe Joseph Magufuli.                                sind die Oppositionsparteien von Parteiübertritten
    In diesem Artikel möchte ich einige Schlaglicher auf                   und Abwerbungen betroffen. Zehn Parlamentsabge-
    die politische Situation in Tansania seit Beginn der                   ordnete (sieben aus der größten Oppositionspartei
    fünften Präsidentschaftsperiode werfen und dabei                       CHADEMA sowie drei aus der CUF – Civic United
    besondere Tatsachen und Ereignisse in den Blick                        Front, eine liberale muslimisch geprägte Parte) tra-
    nehmen.                                                                ten zur CCM über. Fast alle wurden durch Nach-
                                                                           wahlen wieder in ihre Ämter gewählt und vertreten
                                                                           nun dieselben Wahlkreise – für die CCM. Über 200
             Die politische Situation in Tansania
                                                                           Lokalpolitiker*innen sowie drei Führungskräfte der
    Die Verfassung der Vereinigten Republik Tansania                       ACT-Wazalendo-Partei liefen zur Regierungspar-
    legt die politische Ausrichtung des Landes als „demo-                  tei über. Oberflächlich betrachtet sieht das Ergeb-
    kratischen, säkularen und sozialistischen Staat“ fest.                 nis nach überwältigenden Wahlsiegen der CCM
    Mit der Ideologie von Ujamaa hat der erste Präsident                   bei Nachwahlen nach hoher Akzeptanz der Partei

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KIRCHE - beim Leipziger Missionswerk
tansania

                                                                        onsparteien wurde abgelehnt. Das neue Gesetz greift
                                                                        massiv in die Organisationsrechte der Parteien ein,
                                                                        etwa die Verwaltung der Mitgliederlisten, die Rege-
                                                                        lung interner Disziplinarangelegenheiten, die Sat-
                                                                        zungshoheit.
                                                                        Vor der Novellierung des Parteiengesetzes war be-
                                                                        reits eine Reihe von neuen Gesetzen und Vorschrif-
                                                                        ten eingeführt worden, die die Kontrolle der Medien,
                                                                        der sozialen Netzwerke und Blogs sowie den Einsatz
                                                                        von Statistiken auf ähnliche Weise verschärfen.
                                                                        All diese Gesetzesänderungen haben das Ziel, die
                                                                        Opposition zu beseitigen und Tansania zu einem
                                                                        Ein-Parteienstaat zu machen – was die Regierungs-
                                                                        behörden natürlich bestreiten.
                                                                        Normalerweise sind Nichtregierungsorganisationen
                                                                        (NGOs) in die politische Entscheidungsfindung ein-
In allen öffentlichen Büros in Tansania hängt ein Portrait des Präsi-   gebunden, etwa durch Beteiligung an der Tagesord-
denten Dr. John Pombe Joseph Magufuli.                                  nung, durch Anhörung zu Planung, Entscheidung,
                                                                        Umsetzung, Überwachung eines Vorhabens. In Tan-
in der Öffentlichkeit aus. Bei genauerem Hinsehen                       sania sind die Regierung und ihre Behörden meist
wurde dieser Sieg jedoch mit ungesetzlichen Mit-                        nicht mehr dazu bereit.
teln errungen. So hatte die Regierungspartei (CCM)
immer wieder ihre Position genutzt, um Wahlen                                  Demokratie geht langsam zugrunde
zu manipulieren. Die beiden Oppositionsparteien
(Chadema und ACT-Wazalendo) weigerten sich,                             Der Fortbestand des Mehrparteiensystems in Tan-
an weiteren Nachwahlen teilzunehmen, solange die                        sania steht auf dem Spiel, denn die Demokratie geht
Manipulationen nicht abgestellt würden.                                 langsam zugrunde. In Tansania hat die Regierungs-
Seit Beginn der fünften Präsidentschaftsperiode                         partei (CCM), die jede Bewegung und jeden Plan
wird eine Vielzahl von Oppositionspolitiker*innen                       der Regierung diktiert und den Willen der Bevölke-
unterschiedlicher Vergehen bezichtigt und in endlo-                     rung kontrolliert, eine mächtige Position. Es kursiert
sen Strafverfahren vor verschiedenen Gerichten des                      der Witz, dass Männer schwanger werden müssten,
Landes angeklagt. Der Zweck dieser politisch moti-                      wenn die CCM das beschließen würde. Die Men-
vierten Prozesse ist offenbar, die politische Glaub-                    schen haben kaum Spielraum für eine Auseinander-
würdigkeit der Politiker*innen zu zerstören und die                     setzung mit dieser Entwicklung, denn die persönli-
Opposition im Land zu schwächen. Zu den promi-                          che Freiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit
nenten Beispielen dieser Maßnahmen gehören der                          wird nach und nach eingeschränkt – es sei denn, sie
ACT-Wazalendo-Parteichef und Kigoma-Abgeord-                            unterstützt die Regierung und die Regierungspartei.
neter Zitto Zuberi Kabwe und der Vorsitzende der                        Die Bürgerinnen und Bürger innerhalb und außer-
CHADEMA Freeman Mbowe.                                                  halb der Regierungspartei CCM sollten sich klarma-
Im Parlament wurde das Parteiengesetz von 1992                          chen, dass das Schicksal unseres Landes von unse-
durch Abstimmung und Unterschrift des Präsi-                            ren faktischen Entscheidungen abhängt, nicht von
denten novelliert. Proteste und Einwände wurden                         einem guten Willen, der das Ganze beschädigt.
ignoriert, eine Verfassungsklage von zehn Oppoiti-                              Übersetzung aus dem Englischen: Birgit Pötzsch

                                                                                                    KIRCHE weltweit 2/2019       9
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Indien

   Angriffe gegen Muslime und Christen
   Hindu-Nationalisten schüren Gewalt gegen religiösen Minderheiten in Indien
   Seit rund fünf Jahren kommt es mit dem politischen Aufstieg der Hindu-Nationalisten verstärkt zu Übergriffen
   gegen religiöse Minderheiten in Indien. Dabei sind Muslime als größte Minderheit am stärksten betroffen.
   Instrumentalisiert wird dabei in vielen Regionen das Schlachten und Verzehren von Kühen.
   Von Dr. S. Thomas Kennedy, Pfarrer und Gastprofessor an der Lutherischen Hochschule Gurukul, Chennai

   Indien mit seinen über 1,2 Milliarden Menschen ist                  tant hohem Niveau geblieben. Offizielle Daten zei-
   nur wenig kleiner als China. Die Bevölkerung ist oft                gen allein 2016 mehr als 700 Ausschreitungen mit 86
   sehr religiös und zudem mehrsprachig. Seit langem                   Todesopfern und 2.321 Verletzten. Die tatsächlichen
   leben Menschen verschiedener Religionsgemein-                       Zahlen dürften jedoch noch erheblich höher sein, da
   schaften zusammen. Die Mehrheit der Menschen                        viele Vorfälle nicht gemeldet werden. Religiöse Min-
   sind Hindus (82 Prozent). Mit 172,2 Millionen                       derheiten sind besonders anfällig. Muslime machen
   Menschen (knapp zwölf Prozent der Gesamtbevöl-                      zwar weniger als 12 Prozent der Bevölkerung aus, bil-
   kerung) hat Indien nach Indonesien und Pakistan                     den aber die große Mehrheit der Opfer.
                                                                       Seit dem Wahlsieg der Bharatiya-Janata-Partei (BJP)
                                                                       unter der Führung von Narendra Modi 2014 herrscht
                                                                       ein Klima aufsteigenden hinduistischen Nationalis-
                                                                       mus. Dies wiederum befördert ein zunehmend aus-
                                                                       grenzenden Umfeld, das in der Weiterentwicklung
                                                                       von Richtlinien und Gesetzen zum Ausdruck kommt
                                                                       – etwa strengeren Gesetzen bezüglich des Schlachtens
                                                                       von Kühen. Darüber hinaus wurde dies begleitet von
                                                                       einer offensichtlichen Eskalation der Rhetorik gegen
                                                                       Minderheiten durch viele hochrangige Beamte.
                                                                       In diesem Umfeld wurden rechtsgerichtete Gruppen
                                                                       ermutigt, Angriffe gegen religiöse Minderheiten zu
                                                                       verüben. In vielen Fällen spiegeln diese Missbräu-
                                                                       che die politischen Entwicklungen des Landes wi-
                                                                       der und umfassen erzwungene Bekehrungen, die
                                                                       Verbreitung von Hassreden durch soziale Medien
   Für Hindus sind Kühe heilig und dürfen nicht geschlachtet werden.   und Angriffe auf Personen, die im Verdacht stehen,
   Das führt zu Auseinandersetzungen mit Andersgläubigen.              Rindfleisch zu transportieren oder zu konsumieren.
                                                                       Die Täter wurden durch das anhaltende Schweigen
   aber auch die drittgrößte muslimische Bevölkerung                   der öffentlichen Stellen und sogar deren Komplizen-
   der Welt. Christlichen Kirchen gehören gut zwei                     schaft bei diesen Angriffen weiter unterstützt.
   Prozent der Bevölkerung an.                                         Das Versäumnis der Behörden, Angriffe gegen re-
   Von der Religion abgeleitete Persönlichkeitsrechte                  ligiöse Minderheiten zu verhindern oder zu un-
   führen immer wieder zu Konflikten. Politische Partei-               tersuchen, hat zu einem Klima der Straflosigkeit
   en stehen fundamentalistischen religiösen Organisa-                 geführt. Wenn es nicht angegangen wird, wird dies
   tionen nahe. Ein erheblicher Teil der Hindu-Diaspora                wahrscheinlich zu weiteren Angriffen führen. Folg-
   versammelt sich hinter der Hindutva-Philosophie,                    lich muss die Regierung sicherstellen, dass geltende
   einem politischen Konzept, das die Ausrichtung Indi-                Gesetze zum Schutz der Rechte aller Religionsge-
   ens nach hinduistischen Regeln zum Ziel hat.                        meinschaften mit vollem Engagement von Polizei,
                                                                       Justiz und anderen Akteuren durchgesetzt und in ei-
                                                                       nigen Fällen verstärkt werden. Die Gewährleistung
          Gewalt gegen religiöse Minderheiten
                                                                       der Rechenschaftspflicht gegenüber den Opfern von
   Religiös motivierte Gewalt – seit langem ein Problem                Anschlägen erfordert auch eine umfassendere Do-
   in Indien – ist in den letzten fünf Jahren auf kons-                kumentation und Verfolgung von Vorfällen sowie

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Indien

                            2500
                                                                                                   Anzahl der Verletzten
                            2000

                            1500
Daten: Dr. Thomas Kennedy

                            1000                                                                   Anzahl der Vorfälle von religiös motivierter
                                                                                                   Gewalt
                             500

                                                                                                   Anzahl der Todesfälle
                                0
                                      2011      2012       2013      2014      2015      2016

                            umfassendere Anstrengungen, um die weit verbrei-          vor allem anti-muslimische Gefühle zu mobilisieren.
                            tete Diskriminierung gegenüber religiösen Minder-         In fast allen Fällen sind die Bürgerwehren unbestraft
                            heiten anzugehen.                                         geblieben. Opfer von Angriffen und ihre Familien wa-
                            Zur Vielfalt Indiens tragen eine Vielzahl sich über-      ren häufiger wegen Verstößen gegen die Kuhschlacht-
                            schneidender Identitäten bei, darunter Kasten-, Spra-     gesetzgebung vor Gericht. Die Tatsache, dass viele der
                            chen- und ethnische Zugehörigkeiten sowie Spielarten      ärmsten Gemeinschaften in Indien, einschließlich
                            des religiösen Synkretismus. Viele religiöse Minderhei-   Muslime, aber auch viele Hindus, die zu niedrigeren
                            ten in Indien sehen sich daher auch unterschiedlichen     Kasten gehören, auf Rindfleisch als preiswerte Nah-
                            Formen von zusätzlicher Diskriminierung gegenüber.        rungsquelle angewiesen sind, verleiht dieser Gewalt
                            Dalits, Muslime, Christen und andere religiöse Min-       eine zusätzliche Klassendimension.
                            derheiten gehören oft auch zu sprachlichen Minder-        In Uttar Pradesh wurde diese Situation durch eine
                            heiten oder indigenen Gemeinschaften (Adivasi). Für       Kampagne des Ministerpräsidenten Yogi Adityanath
                            Frauen aus diesen Gruppen gelten nochmals besonde-        verschärft. So erklärte Mukhtar Abbas Naqvi, Minis-
                            re Bedingungen. Die religiös motivierte Gewalt zielt      ter für Minderheitenangelegenheiten, im Mai 2015,
                            derzeit insbesondere auf Muslime und in geringerem        dass „diejenigen, die nicht überleben können, ohne
                            Maße auf Christen und Sikhs ab.                           Rindfleisch zu essen, nach Pakistan gehen“ sollten.
                            Die Gewalt konzentriert sich auf bestimmte Bundes-        Anfang 2015 konvertierte ein Mitglied der Gemein-
                            staaten: Maharashtra, Madhya Pradesh, Uttar Pra-          schaft aus Valmiki nach seinem Ausschluss aus dem
                            desh, Odisha, Haryana, Assam, Jammu und Kashmir,          örtlichen Tempel zum Islam und veranlasste die Po-
                            Karnataka sowie Kerala. Ausschreitungen, zunächst         lizei, ihn wegen „Störung des Friedens und der kom-
                            vor allem ein städtisches Phänomen, treten nun auch       munalen Harmonie“ zu verhaften.
                            häufiger in ländlichen Gebieten und Kleinstädten auf.     Vorwürfe der erzwungenen Bekehrungen werden
                            Festivals, Prozessionen und Gotteshäuser spielen          häufig gegen Christen erhoben und begleiten geziel-
                            nach wie vor eine Schlüsselrolle – sei es in Bezug        te Angriffe gegen sie, die in den letzten Jahren zuge-
                            auf Zeitpunkt, Ort oder symbolische Bedeutung, die        nommen haben. Im April 2017 stoppte die Polizei
                            leicht politisiert werden können. Die Übergriffe kon-     in Uttar Pradesh beispielsweise ein Gebetstreffen in
                            zentrieren sich auf die Zerstörung von Kultstätten, die   einer Kirche, nachdem sie Berichte über mutmaß-
                            Störung gemeinschaftlicher Aktivitäten und Vanda-         liche Zwangskonvertierungen vom rechten Hindu
                            lismus. Im Oktober 2016 wurde die Überschneidung          Yuva Vahini erhalten hatte.
                            zweier religiöser Feste – Durga Puja (Hindus) und         Nationalistische Hindu-Gruppen betreiben erfolg-
                            Muharram (Muslime) – genutzt, um Spannungen               reich Kampagnen (ghar wapsi), um zum Islam oder
                            zwischen den Gruppen zu provozieren.                      zum Christentum übergetretene Gläubige wieder zu
                                                                                      re-konvertieren. Diese sogenannten „Homecomings“
                                                                                      (Heimkehr) werden propagiert, da die Abkehr vom
                                      Rindfleisch als Konfliktursache
                                                                                      Hinduismus durch falsche Versprechungen oder
                            Ein virulentes Problem ist die Schlachtung von Kü-        Gewalt durch andere „fremde“ Religionen zu Stande
                            hen. In weiten Teilen des Landes ist sie illegal. Hin-    gekommen seien.
                            duistische Nationalisten instrumentalisieren sie, um           Übersetzung aus dem Englischen: Antje Lanzendorf

                                                                                                                      KIRCHE weltweit 2/2019 11
FÜRBITTE Konkret

   Regelmäßig erreichen uns Gebetsthemen aus unseren Partnerkirchen, die wir gerne teilen und deshalb auch
   hier in „KIRCHE weltweit“ regelmäßig weitergeben. Mit großer Dankbarkeit feiern wir die frohe Botschaft
   der Auferstehung Jesu und das Geschenk des Heiligen Geistes, der verbindet und Brücken über Sprach- und
   Kulturgrenzen hinweg spannt. Eine dieser Brücken ist das Gebet, das uns verbindet und die Anliegen unserer
   Partner aufnimmt. Die Texte laden zur persönlichen Meditation und zur öffentlichen Fürbitte ein.

   Indien – Gewaltausbrüche und Parlamentswahlen
   Schon seit mehreren Jahren ist auch Asien auf
   Grund von Gewaltausbrüchen in den Schlagzeilen.
   Oft werden dabei religiöse Konflikte als Ursache
   genannt. Bei näherem Hinsehen geht es um Macht,
   Vergeltung und Rache. Auch der indische Subkonti-
   nent mit den angrenzenden Staaten Myanmar und
   Sri Lanka ist nicht frei davon. Diese Entwicklungen
   führen in der Region zu großer Unsicherheit und lö-
   sen Angst und Beklemmungen aus.
   Herr, unser Gott, wir bitten Dich für alle Betroffenen,
   die erleben oder mit anschauen mussten, wie Orte des
   Gebetes zu Orten von Verletzung und Tod wurden. Das
   ist unerträglich und stellt den Sinn von Religion und
   Glaube auf den Kopf, wo doch Re-ligion „Rück-bin-
   dung“ heißt und Antwort und Trost auf die Sehnsucht
   der Menschen nach Sicherheit und Hoffnung geben soll.
                                                             Während des Wahlkampfs in Indien wurden in Tamil Nadu sämtliche
   Wir bitten Dich für unsere Partner in der Tamilischen
                                                             Statuen politischer Würdenträger*innen verhüllt.
   Evangelisch-Lutherischen Kirche: Stärke ihren Glau-
   ben, bewahre sie vor Übergriffen und lass sie selbst      zial beigelegt? Die zukünftige Regierung wird am Um-
   Friedensstifter sein.                                     gang mit all diesen Fragen gemessen werden.
                                                             Herr, unser Gott, wir bitten Dich, dass Besonnenheit
   In Indien wurde gerade ein neues Parlament gewählt.       und demokratisches Handeln überall im Vordergrund
   Wer wird das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung        stehen mögen. Schenk Indien eine Regierung, die ak-
   der Erde in den nächsten Jahren regieren? Wie wird in     tuellen und kommenden Herausforderungen gewach-
   Zukunft sozialer Friede gestärkt, die Würde der Dalits    sen ist und auch allen Minderheiten die nötige Frei-
   (Kastenlose) hergestellt und religiöses Konfliktpoten-    heit und Sicherheit garantiert. Amen.

   PNG – Kommunikation im Land der Sprachenvielfalt
   In keinem anderen Land der Erde wird die Notwen-          Lebens, menschlicher Geschichte und unterschiedlicher
   digkeit von Kommunikation über Sprachgrenzen              Weltverständnisse. Mit großem Einsatz und Phantasie
   hinweg so alltäglich erfahren wie in Papua-Neugui-        pflegen die verschiedenen Sprachfamilien in Neuguinea
   nea. Die wundervolle Vielfalt von 800 verschiede-         ihre Traditionen, Tänze und Lieder. Die Besinnung auf
   nen Völkern und Sprachen braucht Mittler*innen,           die eigene Kultur soll aber nicht der Abgrenzung die-
   die gegenseitiges Verstehen untereinander möglich         nen, sondern zur Dankbarkeit über die Vielfalt und
   machen. Deshalb werden Übersetzerinnen und                Buntheit des Lebens einladen.
   Übersetzer auf der Pazifikinsel auch besonders ge-        Wir bitten Dich für alle, die sich im Bereich der Kom-
   schätzt und die Entstehung einer gemeinsamen Ver-         munikation engagieren, die als Übersetzerinnen und
   kehrssprache, wie das Tok Pisin, als Segen und große      Übersetzer, als Radio- und Fernsehmoderatoren und in
   Erleichterung erlebt.                                     den Bildungseinrichtungen für junge Menschen arbei-
   Herr, unser Gott, wir danken Dir mit den Menschen         ten. Gib ihnen die Weisheit, zu gegenseitigem Verständ-
   in Papua-Neuguinea für die Vielfältigkeit menschlichen    nis und gegenseitiger Achtung beizutragen. Amen.

12 KIRCHE weltweit 2/2019
Fürbitte Konkret

„Waking the Giant“ (Den Riesen wecken) in Tansania
„Waking the Giant – Den Riesen wecken“ - mit dieser     Nationen machen deutlich, wie eng alles zusammen-
Kampagne will der Lutherische Weltbund seine Mit-       hängt – die Klima­krise, der Verbrauch von Rohstoffen,
gliedskirchen weltweit dabei unter-                                                          soziale Gerechtig-
stützen, mit eigenen Aktionen die                                                            keit, Gesundheit,
Ziele für nachhaltige Entwicklung                                                            Bildungschancen,
(Sustainable Development Goals,                                                              demokratische
SDGs) der Vereinten Nationen                                                                 Strukturen ... Nur
umzusetzen. Tansania ist eines von                                                           miteinander, als
vier Pilotländern der Kampagne.                                                              weltweite Gemein-
Die Kirchen in Tansania haben ent-                                                           schaft der Men-
schieden, sich zunächst auf die Ziele                                                        schen guten Wil-
Gesundheit für alle (SDG 3), Bil-                                                            lens, können wir
dung für alle (SDG 4), Gleichberechtigung von Frau-     Schritte in eine Welt der Gerechtigkeit, des Friedens
en und Männern (SDG 5), Ungleichheit verringern         und der Bewahrung der Schöpfung gehen.
(SDG 10) und Frieden und Rechtsstaatlichkeit (SDG       Wir danken Dir dafür, dass wir gemeinsam mit un-
16) zu konzentrieren. Zu jedem dieser Themen gibt       seren Geschwistern in Tansania unterwegs sein dür-
es eine Kommission, die nun kirchliche Initiativen,     fen. Und wir danken Dir, dass Du uns immer wieder
Kirchenleitende und Gemeinden bei der Umsetzung         zeigst, was die Aufgabe von Christinnen und Christen
ihrer Projekte und Aktionen unterstützen soll.          in dieser Welt ist. Bitte stärke und beflügele die Initia-
                                                        tiven und Aktionen unserer Schwestern und Brüder in
Gott, unser Vater und unsere Mutter, Du hast die Welt   Tansania, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen.
geschaffen als wunderbares Geflecht von Ursachen        Hilf mit, „den Riesen zu wecken“, damit Deine Kirche
und Wirkungen, als empfindliches Gleichgewicht von      ihre Kraft zum Wohl des Landes Tansania einsetzen
Gegensätzen. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten     kann. Amen.

Freiwillige aus unseren Partnerkirchen
                                  Im April begann       Sprache, entstehende Freundschaften, wachsende
                                  für sieben „Süd-      Vertrautheit, gemeinsames Lernen und Lachen.
                                  Nord-Freiwilli-
                                  ge“ des Leipziger     Gott, unser Vater und unsere Mutter, der Austausch
                                  Missionswerkes        von Freiwilligen hilft uns, die Verbundenheit mit den
                                  ihr Dienst in         Schwestern und Brüdern in unseren Partnerkirchen
Mitteldeutschland. Joshua Chris und Rahael Jaukae       zu leben. Wir danken Dir, dass es junge Leute gibt, die
aus Papua-Neuguinea, Kiran Poulini aus Indien und       sich für einen solchen Dienst bereitfinden. Sie kom-
die Tansanier Lunyamadzo Ngwembele, John Victo-         men als Abgesandte ihrer Kirche, ihres Landes, ihrer
ry und Yese Mphuru werden in evangelischen Ein-         Kultur – eine große Verantwortung.
richtungen der Behindertenhilfe, in Kindergärten        Wir bitten Dich um Deinen Schutz und Deine Beglei-
und Wohnstätten mitarbeiten. Zwei weitere Teilneh-      tung bei allen Schritten, die die Freiwilligen gehen.
merinnen, Amina Mmeta aus Tansania und Mercy            Sende Deinen Heiligen Geist, der Menschen dabei
Rethna aus Tamil Nadu, Indien, warten noch immer        hilft, einander zu verstehen, geeignete Worte und an-
auf das Visum der Deutschen Botschaft.                  gemessene Verhaltensweisen zu finden. Öffne die Her-
Sie werden wohl ähnliche Erfahrungen machen wie         zen der Kolleginnen und Kollegen und der Menschen,
die deutschen Freiwilligen, die im Herbst für ein       mit denen sie arbeiten werden. Hilf ihnen dabei, Ver-
Jahr in umgekehrte Richtung reisen werden. Erfah-       traute und Freunde zu finden, die gut zuhören und
rungen des Fremdseins, des Alleinseins, des Ange-       spüren, was sie brauchen. Lass uns gemeinsam versu-
wiesenseins auf fremde Unterstützung. Und Erfah-        chen, einander besser zu verstehen, damit wir lernen,
rungen des Gelingens, das Erlernen der fremden          was es heißt, in der Einen Welt zu leben. Amen.

                                                                                      KIRCHE weltweit 2/2019 13
Papua-Neuguinea

   Die Kirchen werden leerer und die Clubs voller
   Das Verhältnis der Generationen in Papua-Neuguinea
   Unsere Freiwillige Rahael Jaukae arbeitete in Papua-Neuguinea als Lehrerin an einer Oberschule. Sie beobach-
   tet die Veränderungen im Verhältnis der Generationen mit Sorge. Dass sich immer mehr Jugendliche aus der
   Kirche zurückziehen, liegt auch an deren mangelnden Teilhabe.
   Von Rahael Jaukae, derzeit Süd-Nord-Freiwillige des Leipziger Missionswerkes

   Papua-Neuguinea (PNG) ist ein multikulturel-                           passt es sich der westlichen Kultur an.
   les Land, in dem Kulturen und Traditionen eine
   wichtige Rolle spielen. Früher wurden die Kinder
                                                                                  Respektlosigkeit und Ungehorsam
   im Zusammenhang mit der Initiation – also dem
   Übergang zum Erwachsenenalter – unterrichtet, wie                      Traditionell gehört zur Initiation in PNG, dass die äl-
   sie sich in allen Bereichen des Lebens zu verhalten                    teren Jungen einen Monat lang in einem Haus (Aus-
                                                                          man) zusammenleben und von einem älteren Mann
                                                                          in den kulturellen Disziplinen des Erwachsenseins
                                                                          unterrichtet werden. Auf die gleiche Weise werden
                                                                          die heranwachsenden Mädchen von einer älteren
                                                                          Frau im Ausmeri unterrichtet. Beide Geschlechter ler-
                                                                          nen dabei vor allem die Bedeutung von Respekt und
                                                                          Gehorsam, das heißt andere mit Hochachtung zu be-
                                                                          handeln, zuzuhören und den Anweisungen und Rat-
                                                                          schlägen von Eltern und älteren Menschen zu folgen.
                                                                          Die Initiation als selbstverständlicher Teil des Le-
                                                                          bens hat mit dem Einfluss der westlichen Kultur
                                                                          an Bedeutung verloren. In vielen Teilen Papua-
                                                                          Neuguineas wird sie gar nicht mehr durchgeführt.
                                                                          Die Folge ist, dass viele junge Leute sich respektlos
                                                                          und ungehorsam verhalten. Früher durften Kinder
                                                                          die Namen der Eltern nicht nennen oder sie direkt
   Die Hälfte der Bevölkerung in Papua-Neuguinea ist jünger als 18 Jah-   ansprechen. Heute streiten sich Kinder mit ihren
   re. Die Veränderungen in der Erziehung haben große Auswirkungen.       Eltern, rufen sie beim Namen und widersprechen
                                                                          ihnen. Wenn sie Fehler machen, lehnen sie Kritik
   haben. Heute verliert die Initiation immer mehr an                     und Ratschläge ab. Früher setzten sich die Eltern
   Bedeutung und wir stehen vor Problemen, die es so                      mit einer Ohrfeige durch. Das wagen sie heute kaum
   in früheren Generationen nicht gab.                                    noch, weil die Kinder sich wehren.
   Die Verhaltensweisen und Einstellungen der meis-
   ten Jugendlichen resultieren aus kulturellen Verän-
                                                                                           Soziale Probleme
   derungen, die in der Elterngeneration stattgefunden
   haben. Früher wurden Ehen arrangiert, Braut und                        Respekt und Gehorsam gegenüber den Älteren be-
   Bräutigam mussten zur gleichen Großfamilie gehö-                       stimmten jahrhundertelang das Generationenver-
   ren. Heute wählen die Menschen ihre Partner aus.                       hältnis. Dadurch wurde die Gemeinschaft stark
   Weil sie häufig in andere Provinzen oder Staaten zie-                  von älteren Menschen beeinflusst, die mit ihren
   hen, um dort zu arbeiten, stammen die Ehepartner                       Entscheidungen Kultur und Tradition bewahrten.
   oft aus verschiedenen Bundesstaaten oder Provin-                       Kinder oder Jugendliche, die sich diesen Entschei-
   zen. Demzufolge gibt es innerhalb einer Familie un-                    dungen nicht beugten oder den Ältesten gegenüber
   terschiedliche Kulturen und Traditionen, also auch                     ungehorsam waren, wurden bestraft. Heute werden
   verschiedene Möglichkeiten, ein Kind aufzuziehen.                      diese Strafen und die kulturellen Regeln nicht mehr
   Wenn sich die Eltern nicht für eine Kultur entschei-                   angewandt, weil immer mehr Menschen mit höherer
   den, wird das Kind sich seine Kultur suchen, meist                     Bildung sie als unangemessen und überholt ansehen.

14 KIRCHE weltweit 2/2019
Papua-Neuguinea

Heute sind Jugendliche unabhängig in Bezug auf            einen Gelegenheitsjob. Nach mehreren gescheiter-
ihre Entscheidungsfindung und nehmen oft keine            ten Bewerbungen sind viele frustriert. Manche wer-
Ratschläge von Älteren mehr an. Vielmehr beein-           den gewalttätig, fangen an, Marihuana zu rauchen
flussen die Jugendlichen jetzt die Gesellschaft mit       oder werden alkoholabhängig aus Verzweiflung da-
ihrer Art der Interaktion, (wie sie sich treffen und      rüber, dass sie keinen Job finden, mit dem sie ihren
wie sie Menschen begrüßen), mit der Art von Mu-           Lebensunterhalt verdienen können. Andere Jugend-
sik, die sie hören, und mit der Kleidung, die sie tra-    liche werden kriminell, begehen Raub und Dieb-
gen. Sie probieren alle möglichen Aktivitäten. Sie        stähle. Natürlich gibt es andere Gründe für dieses
versuchen, sich selbst zu definieren. Sie experimen-      Verhalten, aber bei vielen ist es die Reaktion darauf,
tieren mit Alkohol, Zigaretten und Marihuana. Und         dass sich vor ihnen alle Türen schließen.
weil sie alles selbst entscheiden, fällt es schwer, sie
auf den richtigen Weg zurückzubringen.
                                                                Beteiligung am Leben der Gemeinden
Junge Frauen werden schwanger von jungen Män-
nern, die gerade mit dem Studium begonnen ha-             Jugendliche sind heute unkontrollierbar. Sie sagen und
ben und keine Familie ernähren können. Wenn die           tun, was sie wollen. Soziale Aktivitäten wie Sport und
Familie die Schwangerschaft nicht akzeptiert oder         Clubs sind für viele wichtiger als ein Gebetskreis am
wenn sie selbst das Kind nicht wollen, lassen sie         Freitagabend oder eine Chorprobe am Samstagabend.
es abtreiben. Das ist inzwischen fast ein normales        Früher gab es in Kirchengemeinden eine große Anzahl
Vorgehen. In früheren Generationen hätten junge           von aktiven Jugendlichen, die im Chor sangen, musi-
Mädchen nicht riskiert, vor der Ehe schwanger zu          zierten und in Gottesdiensten Gebete angeleitet haben.
werden, denn eine ungewollte Schwangerschaft hät-         Heute sind sie weniger bereit dazu. Viele Jugendliche,
te eine schwere Strafe nach sich gezogen.                 die an Sonntagsgottesdiensten teilnehmen, setzen sich
                                                          auf die hinteren Bänke.
                                                          Häufig arbeiten die Kirchenältesten leider aber auch
           Ausbildung und Jobangebote
                                                          nicht mit den Jugendgruppen zusammen und so
In vielen ländlichen Gebieten von PNG fehlt es noch       nimmt in vielen Gemeinden der Anteil der Jugend-
an grundlegenden Leistungen im Bildungs- und Ge-          lichen immer mehr ab. Die Kirchen werden immer
sundheitsbereich, an Straßen und Elektrizität. Die        leerer und die Clubs immer voller.
Infrastruktur in den Städten ist besser als auf dem       Neben der Mehrheit der Jugendlichen, die sich ab-
Land, vor allem gibt es dort mehr Schulen.                wendet, gibt es eine innerlich unabhängige Minder-
2012 führte die neu gewählte und von Peter O‘Neill        heit, die weiter zur Kirche geht. Sie glauben daran,
geführte Regierung von PNG die Gebührenfreiheit           dass Gott einen Weg durch die Dunkelheit finden
(Tuition Fee Free, TFF) für alle staatlichen Grund-       wird. Sie werden so zu Friedensstiftenden, die versu-
und weiterführenden Schulen ein. Seit 2013 steigt         chen, einen Weg für die verwirrten und verlorenen
die Zahl der Schüler*innen und Studierenden kon-          Brüder und Schwester zu finden. Um ein vollständi-
tinuierlich. Diese eigentlich positive Entwicklung        ger Mensch zu sein, muss man wachsen: physisch,
stellt die Schulen aber auch vor Probleme, denn auf       mental, emotional und spirituell. Letzteres braucht
so viele Schüler*innen sind sie nicht eingestellt. Die    Anleitung. Auch diese Form der Begleitung kann
bestehenden Klassenräume wurden für 30 bis 35 Kin-        den Jugendlichen helfen, sich selbst zu definieren.
der gebaut. Nun sind die Klassen oft überfüllt, das                Übersetzung aus dem Englischen: Birgit Pötzsch
heißt 70 bis 80 Schülerinnen und Schüler sitzen in ei-
ner Klasse einer Lehrkraft gegenüber. Es wurde auch                                Rahael Jaukae kommt aus
nicht festgelegt, für welche Altersgruppe der Schulbe-                             Goroka in Papua-Neuguinea.
such kostenlos sein soll und so gehen viele Eltern mit                             Die 27-Jährige unterrichtete
ihren Kindern zur Schule. Das macht die Arbeit der                                 zuvor an der Lufa-Oberschule
Lehrenden noch schwieriger, denn die Erwachsenen                                   Wirtschaft und Englisch. Seit
brauchen mehr Unterstützung als die Kinder.                                        April 2019 ist sie eine der Süd-
Ein anderes Problem ist, dass es in PNG zu wenig be-                               Nord-Freiwilligen des LMW
zahlte Arbeit gibt. Viele Jugendliche mit abgeschlos-                              und verstärkt für ein Jahr das
senem Hochschulstudium oder Bachelor-Abschluss                                     Team der Leipziger „Kita unter
finden keine unbefristete Anstellung, nicht einmal                                 dem Regenbogen“.

                                                                                       KIRCHE weltweit 2/2019 15
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