Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
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Inhalt Grußwort AKJS 4 Grußwort Ministerium 5 1. Darum eine Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage werden! 6 2. Das Selbstverständnis von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage 8 3. Auf dem Weg zur Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage 9 4. Der Gewinn für die Schule 10 5. Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit 12 6. Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur 18 7. Die Rolle von Emotionen 23 8. Ideen 25 9. Vorschläge und Anregungen zur Nachhaltigkeit einer Courage-Schule 27 10. Das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage 33 Das Courage-Netzwerk in Schleswig-Holstein 34 Anhang 38 3
Grußwort AKJS Liebe Interessierte, keit und demokratische Grundsätze richten, zu verhindern oder einzudämmen, sondern den seit 2002 ist die Aktion Kinder- und Jugend- Fokus auf die Lebenskompetenzen von Kindern schutz Landesarbeitsstelle Schleswig-Holstein und Jugendlichen zu richten und ihnen Erfah- e. V. (AKJS) Trägerin der Landeskoordination rungs- und Lernräume zu schaffen. des Projektes Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage in Schleswig-Holstein. Die Schule ist solch ein Ort des Lernens, in dem Kinder und Jugendliche sich ausprobieren und Als freier Träger der Jugendhilfe arbeitet die aktiv mitgestalten, sich mit anderen ausein- AKJS zu aktuellen Themen des erzieherischen andersetzen und Verantwortung übernehmen Kinder- und Jugendschutzes. Das Augenmerk können. Im Rahmen des Projektes bieten sich liegt dabei darin, die Lebenskompetenz von ihnen solche Möglichkeiten der Einflussnahme jungen Menschen zu fördern. Kinder und Ju- und Mitbestimmung. Sie finden und vertreten gendliche sollen lernen, Gefährdungen selbst zu eigene Standpunkte, entwickeln neue Perspek- erkennen und sich kritisch mit ihnen auseinan- tiven und leisten damit auch einen Beitrag zu derzusetzen. Sie werden gestärkt, um sich vor einem positiven Schulklima. gefährdenden Einflüssen zu schützen und sie gegebenenfalls zusammen mit anderen zu be- Die AKJS unterstützt die Schulen sowohl als wältigen. Dazu gehört auch, Kritik- und Ent- Landeskoordinatorin des Netzwerks Schule scheidungsfähigkeit zu erwerben sowie Eigen- ohne Rassismus – Schule mit Courage als auch verantwortung und Verantwortung gegenüber durch ihre vielfältigen Angebote in den Prä- Mitmenschen zu übernehmen. ventionsfeldern Umgang mit Gewalt und Mob- bing sowie Prävention von Rechtsextremis- Um die hierfür notwendigen Kompetenzen zu mus, Sensibilisierung für Diversität und dem vermitteln, umfasst der erzieherische Kinder- verantwortungsvollen Umgang mit Medien. und Jugendschutz vorwiegend Präventions- maßnahmen mit dem Ziel, junge Menschen zu Sie erhalten mit dieser Broschüre hoffentlich stärken, zu begleiten und ihre Entwicklung und viele interessante Anregungen und Lust auf Lernprozesse zu fördern. das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Die Perspektiven des Jugendschutzes richten sich also einerseits auf Verhinderung, Vorbeu- Viel Spass beim Umsetzen wünscht gung und Aufklärung und andererseits auf Un- terstützung, Stärkung und Ermöglichung. Dies Iris Haulsen entspricht auch dem Projektansatz von Schule Vorstand Aktion Kinder- und Jugendschutz ohne Rassismus – Schule mit Courage, der sich SH e. V. gegen Gewalt, Diskriminierung und jede Form von Ausgrenzung und für ein Klima der Aner- kennung an der Schule einsetzt. (vgl. https:// www.schule-ohne-rassismus.org/) Prävention bezogen auf das Projekt heißt also nicht nur, die Entstehung von Handlungsweisen und Einstellungen, die sich gegen Gleichwertig 4
Grußwort Ministerium Liebe Leserinnen und Leser, Gemeinsam mit dem Landesdemokratiezentrum beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein unsere Schulen sind nicht nur ein Ort des Ler- unterstützt das MBWK seit 2020 das Netzwerk nens, sondern auch ein Ort des sozialen Mitei- Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Ziel nanders. Kinder und Jugendliche erleben hier, unserer Kooperation ist es, die Sichtbarkeit, die was es heißt, eine Gesellschaft mitzugestalten, Vernetzung und den Erfahrungsaustausch der sich für andere einzusetzen und Vielfalt zu Schulen in diesem Netzwerk zu unterstützen. leben. Sie lernen, ihre eigene Meinung zu bilden Damit wollen wir zum einen dem Problem des und dafür zu streiten, aber auch die Meinung Rechtsextremismus und der Menschenfeind- des Gegenübers zu respektieren. Das Zusam lichkeit entgegenwirken und zum anderen die menleben, das wir in der Schule erleben, prägt Schulentwicklung unterstützen. auch das Zusammenleben in unserer Gesell- schaft außerhalb des Schulgeländes. In Netzwerktreffen sollen die Schulen mehr Raum und Zeit zur Weiterentwicklung be- Das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit kommen. Mit einer finanziellen Förderung des Courage“ motiviert Kinder, Jugendliche und ihre Netzwerks wollen wir mehr Projekte anbieten Pädagoginnen und Pädagogen, das Klima an und auch die Buchung externer Anbieter zur ihrer Schule aktiv zu verändern, indem sie sich Moderation und Durchführung von Netzwerk- bewusst gegen jede Form von Diskriminierung, treffen ermöglichen. Mobbing und Gewalt wenden. Durch die hand- lungsorientierte Ausrichtung des Projektes wird Die vorliegende Broschüre soll weitere Schulen Lernen mit sozialer und praktischer Erfahrung dazu motivieren, sich im Netzwerk Schule ohne verknüpft. Rassismus – Schule mit Courage zu engagieren. Denn jede zusätzliche Schule bringt uns einen Das Ziel ist eine Schule ohne Rassismus – Schule Schritt weiter auf dem Weg in eine Gesellschaft mit Courage, die dieses Motto aktiv und selbst- ohne Ausgrenzung. gestaltend in Projekten, Aktionen und Hand- lungsstrategien, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit Ich danke allen beteiligten Schulen für ihr En- und im Schulalltag umsetzt; eine Schule, die gagement und wünsche dem Netzwerk weiter- Kinder und Jugendliche in ihren Kompetenzen hin eine hohe Nachfrage und einen intensiven und ihrem Demokratiebewusstsein stärkt und Austausch. ihnen neue Perspektiven eröffnet; eine Schule, in der junge Menschen zu mündigen Bürgerin- Herzliche Grüße nen und Bürgern heranwachsen. Karin Prien In Schleswig-Holstein gibt es zurzeit 91 Schulen Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur ohne Rassismus – Schulen mit Courage, dar- des Landes Schleswig-Holstein unter neun Berufsschulen, sechs Grundschulen und fünf Förderschulen. Die Zahl der Mitglie- der in diesem Netzwerk wächst stetig. Darüber freue ich mich sehr, denn es zeigt, dass immer mehr Schulen ein deutliches Zeichen für Viel- falt und Toleranz und gegen Rechtsextremis- mus und Ausgrenzung setzen wollen. 5
1. Darum eine Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage werden! Kinder und Jugendliche wachsen in einer hete- an der Grundrechtecharta1 der Europäischen rogenen und pluralen Gesellschaft auf. Sie neh- Union zu orientieren. men politische und gesellschaftliche Verhält- nisse und Ungerechtigkeiten wahr – auch und Dort heißt es: „Diskriminierungen, insbesondere gerade in ihrer alltäglichen Lebenswelt. wegen des Geschlechts, der Rasse [sic!], der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Her- Studien zeigen, dass demokratiegefährdende kunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, Haltungen und Vorstellungen über die Un- der Religion oder der Weltanschauung, der po- gleichwertigkeit von Menschen in der Gesell- litischen oder sonstigen Anschauung, der Zu- schaft zunehmen. Dies wirft auch Fragen nach gehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Trennlinien in der Gesellschaft, nach dem Aus- Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des maß von Demokratie- und Menschenfeindlich- Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind ver- keit auf (vgl. Kapitel 5 „Themenschwerpunkt boten.“ Ideologien der Ungleichwertigkeit“). Haltung zeigen ist ein wichtiges gesellschafts- Rechtsextreme Einstellungen und Verhaltens- politisches Leitbild, um eine freie und demo- weisen begegnen uns nicht nur am Rande der kratische Gesellschaft, die Minderheitenrechte Gesellschaft, vielmehr sind sie zumindest in und die Meinung Andersdenkender respektiert, Teilen auch in der so genannten „Mitte“ der als Wert aufrechtzuerhalten und zu schützen. Gesellschaft vorhanden. Besonders junge Men- Aus solch einem Leitbild erwächst eine Selbst- schen werden über Medien wie Musik und In- verantwortung für alle. ternet oder auch Sport- und Freizeitangebote und über Themen wie Identität, Nationalität Das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit oder Heimatbewusstsein angesprochen. Dabei Courage hat sich hier klar positioniert: zielen unterschiedlichste Gruppierungen immer wieder darauf ab, unsere freiheitlich-demokra- „Wir verantworten schulische und außer- tische Grundordnung (FDGO) abzuschaffen. Ge- schulische Maßnahmen der politischen samtgesellschaftliche Aufgabe ist es, dies nicht Bildungsarbeit mit Kindern und Jugend- zuzulassen. lichen. Wir sind überparteilich, aber nicht wertneutral, denn unsere Haltung basiert Gesellschaftliche Haltungen und Strömungen auf Artikel 1 des Grundgesetzes: ‚Die machen auch vor den Schultoren nicht halt! Würde des Menschen ist unantastbar’. Sie ist gegründet auf den allgemeinen Das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit Menschenrechten und den Schulgesetzen Courage (SOR–SMC) wurde 1988 in Belgien von der Bundesländer. Dem Beutelsbacher Schüler:innen und Fachkräften aus der Jugend- Konsens entsprechend setzen wir uns für arbeit als Antwort auf erstarkende rechte Par- eine humane Bildung und für eine diskri- teien initiiert. Diese Gründungsidee hat nichts minierungsfreie Schulkultur ein, die sich an Aktualität verloren. aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Ideologien der Ungleich- Das Projekt bietet die Möglichkeit, dort aktiv zu wertigkeit wendet. Wir stehen gegen werden, wo Kinder und Jugendliche einen gro- ein ‚anything goes’. Deshalb sagen wir: ßen Teil ihrer Zeit verbringen: in der Schule. Es #wirsindnichtneutral.“ ermutigt dazu, Stellung zu beziehen und sich 1 https://www.europarl.europa.eu/germany/de/ europ%C3%A4isches-parlament/grundrechtecharta 6
Darum eine Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage werden! Das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit Körper, Psyche und Handlungen ein. Sie lösen Courage bietet der Schulgemeinschaft Anlass Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Angst, Vorsicht und Rahmen, ihre Schule aktiv zu gestalten oder Misstrauen aus. und demokratisches Handeln mit Engagement gegen Diskriminierung zu verknüpfen. Jede Viele dieser Erfahrungen werden von Außenste- Schule kann dabei ihren eigenen Weg gehen henden kaum als Diskriminierung oder Rassis- und selber entscheiden, mit welchen Themen mus identifiziert und benannt. Die Verknüpfung sie sich befasst und welche Schwerpunkte der von Rassismus mit absichtsvollem Handeln hat Antidiskriminierungsarbeit sie setzt (vgl. Kapi- auch zur Folge, dass ein Ansprechen von Erfah tel 9 „Vorschläge und Anregungen zur Nach- rungen oder Vorfällen als Rassismusvorwurf haltigkeit einer Courage-Schule “). vehement abgewehrt und zurückgewiesen wird. Diese schwierigen Bedingungen verhindern Natürlich können an jeder Schule Rassismus häufig das notwendige Sprechen über Rassis- oder Diskriminierung auftreten, entscheidend muserfahrungen.2 ist in so einem Fall jedoch, wie die Schulgemein- schaft damit umgeht: Hinsehen oder wegsehen? Es geht darum, eine offene, kritische Haltung gegenüber Ungleichwertigkeit zu entwickeln. Der Titel Schule ohne Rassismus ist an dieser Diese gelingt nur, wenn die Schule die Kinder zu Stelle als Zielvorstellung zu verstehen, auf dem mündigen, demokratischen, couragierten Men- Weg dorthin braucht es Engagement für Gleich- schen zu bilden versteht (vgl. Kapitel 6 „The- wertigkeit und eine rassismuskritische Haltung. menschwerpunkt Demokratische Schulkultur“). Rassismus ist nicht auf grobe, eindeutige, ab- Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ist sichtsvolle Handlungen und Äußerungen be- mit über 3.300 Schulen das größte Schulnetz- schränkt, sondern schließt auch subtile, in werk in Deutschland. In Schleswig-Holstein ge- Strukturen und Institutionen verankerte, all- hören ihm aktuell 91 Schulen an. (Stand August tägliche und nicht unbedingt absichtlich her- 2020). Weitere acht Schulen sind bereits aner- beigeführte Formen ein. kannt. Dieses Verständnis von Rassismus geht weit Zu dem Netzwerk in Schleswig-Holstein gehören über das Vorherrschende von Rassismus als neben den Schulen und den Koordinierungs intentionales Handeln von Individuen hinaus. stellen auch viele außerschulische Kooperations- partner:innen und regionale Ansprechpart Jugendliche, die von Diskriminierung und/oder ner:innen, die die Schulen vor Ort unterstützen Rassismus betroffen sind, machen individuell (vgl. Kapitel 10 „Courage-Netzwerk in Schles- durchaus sehr unterschiedliche Erfahrungen. wig-Holstein“). Besonders die alltäglichen Rassismus- und Dis- kriminierungserfahrungen schreiben sich in 2 Kleff und Terkessidis 2017. 7
2. Das Selbstverständnis von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage wen- det sich gegen alle Formen von Diskriminierung Selbstverständnis des Projektes und Ideologien der Ungleichwertigkeit. 1. Ich setze mich dafür ein, dass meine Infolgedessen richtet sich der Blick gleicherma- Schule nachhaltige Projekte, Aktionen ßen auf Diskriminierung aufgrund der Religion, und Veranstaltungen durchführt, um der sozialen oder ethnischen Herkunft, des Ge- Diskriminierungen, insbesondere Ras- schlechts, körperlicher Merkmale, der politi- sismus, zu überwinden. schen Weltanschauung und der sexuellen Ori- entierung. 2. Wenn an meiner Schule Gewalt, dis- kriminierende Äußerungen oder Hand- Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ist ein lungen ausgeübt werden, dann wende Projekt für alle Schulmitglieder. Es bietet ihnen ich mich dagegen, spreche dies an und die Möglichkeit, das Klima an ihrer Schule aktiv unterstütze eine offene Auseinander- mitzugestalten, indem sie sich bewusst für ein setzung, damit wir gemeinsam Wege friedliches und faires Miteinander und gegen finden, einander respektvoll zu be jede Form von Ausgrenzung, Diskriminierung gegnen. und Gewalt wenden. Die Schulgemeinschaft setzt sich dabei ein für eine Schule, in der alle - 3. Ich bin aktiv, damit meine Schule jedes unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, Jahr Projekte gegen alle Formen von Aussehen oder sexueller Orientierung – akzep- Diskriminierung, insbesondere Rassis- tiert und willkommen sind. mus, durchführt. Jede Schule, unabhängig von Schulart, kann sich dem Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage anschließen, wenn sie fol- gende Bedingung erfüllt: An dieser Schule erklärten mindestens 70 Pro- zent der Schulmitglieder in einer Abstimmung, Mindestens 70 Prozent aller Schulangehöri- „ich werde mich aktiv gegen Diskriminierungen, gen (Schüler:innen, pädagogische Fachkräfte, insbesondere Rassismus, einsetzen.“ Schulpersonal) positionieren sich gegen Ras- sismus und Diskriminierung, indem sie dem Eine Schule, die den Titel trägt, ist Teil eines Selbstverständnis von Schule ohne Rassismus – Netzwerks, das sagt: Wir übernehmen Verant- Schule mit Courage zustimmen. wortung für das Klima in unseren Klassen, an unserer Schule, im Netzwerk und in unserer Mit dem Titel Schule ohne Rassismus – Schule Gesellschaft. mit Courage setzt die Schule ein Zeichen gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt, wel- Das Selbstverständnis von Schule ohne Rassis- ches nach innen und außen in den Ort/den mus – Schule mit Courage wird zu einem selbst- Stadtteil wirkt. Der Titel ist dabei kein Siegel gesteckten Ziel, langfristig eine Schulkultur zu und keine Auszeichnung für bereits geleistete etablieren, die Diskriminierung wahrnimmt und Arbeit, sondern eine Selbstverpflichtung der ihr aktiv entgegentritt. Schulgemeinschaft für die Gegenwart und die Zukunft. Das Logo an der Schulwand bedeutet: 8
3. Auf dem Weg zur Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage 1. Bildet mit weiteren Schulmitgliedern, 6. Die Bundeskoordination überprüft alle An- die sich dafür einsetzen wollen, dass ihr gaben, schickt euch eine Aufnahmebestäti- eine Courage-Schule werdet, eine In- gung zu und informiert eure Landeskoordi- itiativgruppe. Nehmt am besten auch nation darüber. Lehrer:innen und Sozialpädagog:innen auf. 7. Spätestens jetzt nehmt ihr unbedingt den 2. Plant gemeinsam, wie ihr alle Schulmit- Kontakt zu eurer Landeskoordination auf. glieder über die Idee einer Courage-Schule Denn sie wird mit euch den Termin der Ti- informiert. Nutzt verschiedene Mög- telverleihung vereinbaren und ihn der Bun- lichkeiten: einen Artikel in der Schul- deskoordination mitteilen. zeitung schreiben, euer Vorhaben in der Schüler:innenvertretung ansprechen, Flyer 8. Plant mit kreativen Ideen den festlichen Akt verteilen, die Selbstverpflichtung mit den der Titelübergabe. Eure Regional- bzw. Lan- drei Punkten am SV-Brett anbringen oder deskoordination berät und unterstützt euch einen Info-Stand auf dem Schulfest auf- dabei. bauen. 9. Wurden Termine gut kommuniziert, kommen 3. Ihr müsst euch auf eine Person als Patin Plakette, Handbuch und weitere Materialien oder einen Paten einigen, die euer Enga- mindestens eine Woche vor der Titelverlei- gement gut unterstützen kann und sie für hung bei euch an. diese Aufgabe gewinnen. Nicht nur Perso- nen des öffentlichen Lebens aus Medien, 10. Auf der von euch gestalteten Feier erhält Wirtschaft, Kunst, Politik oder Sport, son- eure Schule in Anwesenheit der/des dern auch medial unbekannte Personen Pat:in von der Landes- bzw. Regional können dies. koordinator:in die offizielle Ernennungs urkunde und befestigt das Logo-Schild 4. Informiert die Schule über den Ablauf sichtbar am Schulgebäude. der anstehenden Abstimmung. Sie fin- det per Stimmzettel in geheimer Wahl Ihr habt es damit geschafft: Eure Schule ist statt und kann in allen Klassen am sel- Teil des bundesweiten Courage-Netzwerks. ben Tag oder auch getrennt durchgeführt Jetzt gehen die Aktivitäten erst richtig los! In- werden. Ausführliches zum Abstimmungs- formationen, Unterstützung und Beratung für verfahren findet ihr unter https://www. Projekttage und Workshops bekommt ihr von schule-ohne-rassismus.org/mitmachen/ eurer Landes- bzw. Regionalkoordination und courage-schule-werden/ unseren Kooperationspartner:innen. 5. Zeigt das Abstimmungsergebnis: Mindes- tens 70 Prozent aller Schulmitglieder haben mit Ja gestimmt, ist die Voraussetzung er- füllt, eure Schule ins Courage-Netzwerk zu bringen. Dann schickt die Schulleitung den Aufnahmeantrag mit der Schildbestellung an die Bundeskoordination. 9
4. Der Gewinn für die Schule Leitbild der Schule Zum anderen kann das Projekt eine Klammer sein für alle möglichen Ansätze, die es in der Das Leitbild einer Schule macht ihr Selbstver- Schule bereits gibt und die noch entwickelt ständnis, ihre gültigen Werte und ihre Ziele werden. So entsteht ein Bezugsrahmen für Ein- deutlich. Es schafft damit einen transparen- zelaktivitäten und Projekte. Die Schule zeigt ten und auch erlebbaren Rahmen für alle am damit, dass sie auch ein Lernort für Gleichwer- Schulleben Beteiligten und stellt eine Orientie- tigkeit und Diversität sein will. rungshilfe zur Verwirklichung der formulierten Ziele dar. Es dient der Identifikation und er- Aus dem Projekthandlungsansatz ergibt sich in möglicht außerdem einer interessierten Öffent- der Projektarbeit an den Schulen eine Vielfalt lichkeit, die Schule und die sie tragenden Werte von Themenfeldern. Dazu gehören zum Bei- und Ziele kennen zu lernen. spiel Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und LSBTIQ-Feindlichkeit. Jede Schule kann ihren Die gemeinsame Initiative Schule ohne Rassismus eigenen Zugang wählen und damit auch sowohl – Schule mit Courage aller in der Schule tätigen Aktualität als auch Verbindung zur Lebenswelt Menschen kann einen normativ gekennzeich- der Schüler:innenschaft herstellen. neten Rahmen initiieren, in dem es möglich ist, sich für Demokratie und gegen Rassismus einzusetzen. Zugrunde liegt oft der Wunsch, Präventiver Ansatz diese Themen kontinuierlich zu bearbeiten, das Schulprofil zu schärfen und als Schule Position Primäre Prävention zielt darauf ab, Bedingun- zu beziehen (Beispiel im Kapitel 9 „Vorschläge gen zu schaffen, um Gefährdungen – Einstel- und Anregungen zur Nachhaltigkeit einer Cou- lungen gegen die freiheitlich-demokratische rage-Schule“). Grundordnung und Ideologien der Ungleichwer- tigkeit – schon im Vorfeld zu verhindern. Bezugsrahmen für die Umsetzung Ein Beispiel für strukturelle und gruppenbezo- pädagogischer Ziele gene Maßnahmen sind das Empowerment und die Unterstützung demokratischer Entwicklun- Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ist gen vor Ort. Auf der individuellen Ebene wirken eine Möglichkeit, das Leitbild der Schule und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, Anerken- auch Bildungsinhalte umzusetzen. nung und Zugehörigkeit präventiv. Zum einen bietet das Projekt einen ständigen In diesem Sinne umfasst das Projekt Schule ohne konkreten Anlass und eine – neben den allge- Rassismus – Schule mit Courage präventive An- meinen Bestimmungen des Schulgesetzes – sätze: Es schafft Handlungs- und Aktionsfelder deutliche Legitimation, sich kritisch mit den für Mitbestimmung, Verantwortungsübernahme oftmals als unbequem und schwierig empfun und Wertediskussionen. denen Themen wie Rassismus und Diskrimi nierung zu befassen. Dadurch entstehen Auseinandersetzungen, Aktivitäten und Frage- stellungen rund um das Thema Diskriminie- rung, Rassismus und Ausgrenzung für ein posi- tives Schulklima. 10
Der Gewinn für die Schule Unterstützung durch das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage Mit ihrer Anerkennung als Schule ohne Rassis- mus – Schule mit Courage wird eine Schule Teil eines bundesweiten Netzwerks von Projekt träger:innen, Kooperationspartner:innen aus der Bildungsarbeit sowie den Patinnen und Paten. Dieses Netzwerk bietet zahlreiche Möglich keiten, sich mit engagierten Schulen, Schü ler:innen und Lehrer:innen über Erfahrungen und gelingende Projektideen auszutauschen und sich fortzubilden. Das Netzwerk unterstützt die Schulen durch Angebote auf der Bundes-, Landes- und Regionalebene. 11
5. Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage be- dingt äußerlich erkennen kann) werden soziale zieht alle Ideologien der Ungleichwertigkeit in Gruppen konstruiert. Diese Merkmale sind häu- seinen Handlungsansatz mit ein. Das bedeutet: fig sehr schwer oder nicht veränderbar, wie z. B. Wir beschäftigen uns gleichermaßen mit Dis ethnische oder kulturelle Herkunft, Religion, kriminierung aufgrund der (vermeintlichen) Geschlecht, sexuelle Orientierung und Identität, Religion, der sozialen oder ethnischen Herkunft, Alter, Behinderung sowie Armut oder auch Ar- des Geschlechts, körperlicher Merkmale, der beitslosigkeit.4 Obwohl alle Menschen individu- politischen Weltanschauung und der sexuellen ell sind und sehr viele unterschiedliche Eigen Orientierung. schaften haben, bekommen diese Merkmale eine übermäßige Bedeutung. Den so konstru- Ideologien der Ungleichwertigkeit sind Weltan- ierten Gruppen werden bestimmte Verhaltens- schauungen, in denen die Gleichwertigkeit aller weisen, Stärken und Schwächen zugeschrieben, Menschen grundsätzlich abgelehnt wird: Sie welche sich dann auf alle Individuen, die der unterscheiden also Menschen nach bestimmten Gruppe zugeordnet werden, beziehen. Daraus Merkmalen und hierarchisieren diese, so recht- ergibt sich beispielhaft: Alle X sind y …, alle X fertigen sie Diskriminierung, Ausgrenzung und können y, gut oder eben schlecht … Abwertung. Damit richten sich diese Ideologien der Ungleichwertigkeit gegen die fundamenta Diese Kategorisierung und Differenzierung len Werte und Rechte, die Deutschland im markieren Menschen als „anders“, dies führt Grundgesetz und in den Menschenrechten allen häufig zu einer Ungleichbehandlung sowie der Menschen garantiert. Vorstellung und Rechtfertigung von Ungleich- wertigkeit. Daraus folgt eine Abgrenzung der Praktisch äußern sich Ideologien der Ungleich- „anderen“ zu einem so geschaffenen „Wir“, wertigkeit in der sogenannten „Gruppenbezo- dem man sich selbst zuordnet, und so führt genen Menschenfeindlichkeit“ (GMF), welche die Abwertung „der anderen“ zur Aufwertung Wissenschaftler:innen seit einigen Jahren kon- des Selbst und der eigenen Gruppe. Dabei tinuierlich untersuchen und erforschen (z. B. neigen Menschen, die eine bestimmte Gruppe Wilhelm Heitmeyer) – Rassismus, Antisemi- abwerten, tendenziell eher dazu, auch andere tismus, Sexismus und LSBTIQ*3-Feindlichkeit Gruppen abzuwerten: So bildet sich das Syn- können hier als einige Beispiele von GMF ge- drom „Gruppenbezogener Menschenfeindlich- nannt werden. keit“ (GMF), das auf einer Vorstellung von Ungleichwertigkeit basiert.5 Gruppenbezogene Menschenfeind GMF führt auch zu dauerhafter und struktu- lichkeit und soziale Ungleichheit reller Benachteiligung und Diskriminierung: Im Alltag durch Anfeindungen oder Beleidigungen, Knapp zusammengefasst funktioniert der Me- auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche chanismus so: Anhand bestimmter, auch zu- und auch in der Schule. Denn soziale Ungleich- geschriebener und nicht tatsächlicher Merk- heit ist nicht einfach so zufällig in der Gesell- male (bspw. wird Menschen aufgrund äußerer schaft auf Individuen verteilt, sondern hängt Merkmale eine bestimmte Religionszugehörig- mit den beschriebenen (zugeschriebenen) keit zugeschrieben, die man aber nicht unbe- Gruppenzugehörigkeiten zusammen. Ideologien der Ungleichwertigkeit bilden also die Grund- 3 Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, lage für gruppenbezogene Menschenfeindlich- Inter*, Queere, das Sternchen steht für alle weiteren geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientie- 4 Küpper (2016): S. 22. rungen. 5 Küpper (2016): S. 21. 12
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit keit, führen zu Abwertung, Ausgrenzung und Diskriminierung und zementieren so soziale Ungleichheit in der Gesellschaft.6 Einzelne Elemente gruppen bezogener Menschenfeindlichkeit Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es historisch betrachtet häufig die gleichen Gruppen sind, die abgewertet und benachteiligt System und immer auch Ausdruck bestehender werden, was zur oben genannten Manifestierung Machtverhältnisse.7 Da Rassismus in gleichstel sozialer Ungleichheit führt. In den GMF-Studien lungsorientierten Gesellschaften als illegitim gilt, sowie den nachfolgenden sogenannten „Mitte- gibt es viele Ausweichbegriffe dafür, wie bspw. Studien“ der Universitäten Leipzig und Bielefeld „Fremdenfeindlichkeit“, „Ausländerfeindlichkeit“ wurde untersucht, wie weit verbreitet GMF in der oder „Xenophobie“, welche jedoch den Kern des deutschen Gesellschaft ist. Im Folgenden werden Problems der Abwertung nur verschleiern. nun einige Elemente von GMF und Ideologien der Ungleichwertigkeit vorgestellt. „Rassismus“ als Begriff umfasst dabei ver schiedene Rassismen gegen Schwarze Men- Rassismus schen, gegen Sinti:zze und Rom:nja und gegen muslimische Menschen. Im Jahr 2018 zeigt die Rassismus bedeutet, dass Menschen aufgrund „Mitte-Studie“, dass 35,6 Prozent der Befrag- vermeintlicher, zugeschriebener oder tatsäch- ten Deutschland durch die „vielen Ausländer in licher körperlicher und/oder kultureller Merk- einem gefährlichen Maß überfremdet“ sehen.8 male (z. B. Hautfarbe, vermeintliche Herkunft, Die Zustimmung zu rassistischen Positionen ist Sprache, Religion, vermeintliche oder tatsäch- laut „Mitte-Studien“ in den vergangenen Jah- liche Migrationsgeschichte) als soziale Gruppe ren eher angestiegen. So stimmen bspw. 55,8 konstruiert, als „die anderen“ markiert (soge Prozent der Befragten im Jahr 2018 der Aus- nanntes „Othering“), negativ bewertet und sage zu: „Durch die vielen Muslime hier fühle strukturell benachteiligt werden. Dabei geht ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Rassismus über bewussten Hass hinaus und bil- Land“ (2014: 43 %, 2016: 50 %).9 Und 56 Pro- det ein komplexes System, welches vor langer zent der Befragten hätten Probleme damit, Zeit konstruiert wurde, dessen Nachwirkungen wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend auf- aber bis heute spürbar und zu beobachten sind. halten (2014: 55,3 %, 2016: 57,8 %).10 Weit verbreitet ist außerdem die Abwertung von Rassismus stellt gesellschaftliche Machtver- Asylsuchenden; so unterstellen sogar 61,5 Pro- hältnisse her, die einerseits Privilegien für die zent der Befragten, dass Asylsuchende gar nicht ausschließende Gruppe schaffen, andererseits wirklich befürchteten, in ihrer Heimat verfolgt Menschen aufgrund der zugewiesenen Gruppen zu werden (2014: 55,3 %, 2016: 59,9 %).11 zugehörigkeit den Zugang zu bestimmten Res- sourcen wie Arbeit, Wohnraum und Bildung schwerer macht. Rassismus ist also kein indivi- 7 Auma (2017). duelles Vorurteil, sondern ein gesellschaftliches 8 Decker, Brähler 2018: S. 77. 9 Ibid.: S. 102. 10 Ibid.: S. 103. 6 Küpper (2016): S. 25 f. 11 Ibid.: S. 106. 13
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit Rassismus ist also ein weit verbreitetes Problem sogenannten „Strafbarkeitsschwelle“ bleiben, in Deutschland und das nicht nur bei rechtsex also von der Polizei nicht verfolgt oder nicht tremen Personen. zur Anzeige gebracht werden – sondern im so- genannten „Dunkelfeld“ bleiben. In zahlreichen Antisemitismus Bundesländern gibt es daher unabhängige In- formations- und Dokumentationsstellen, um Als Sammelbegriff bezeichnet Antisemitismus diese Vorfälle zu erfassen, so auch in Schles- unterschiedlich motivierte antijüdische Ein- wig-Holstein. Die Landesweite Informations- stellungen und Handlungen.12 Er drückt sich in und Dokumentationsstelle Schleswig-Holstein Übergriffen gegen jüdische Einrichtungen, An- (LIDA SH) hat für Januar bis Oktober 2019 51 feindungen, Beleidigungen und Gewalt gegen Vorfälle erfasst, die verschiedenen Erschei- Jüd:innen und judenfeindlichen Schmierereien nungsformen bspw. dem modernen oder dem aus. Die Leugnung oder die Relativierung des israelbezogenen Antisemitismus, zuzuordnen Holocausts ist eine antisemitische Verhaltens sind.16 Außerdem gaben bei einer Befragung weise und zudem in Deutschland strafbar. Auch von Jüd:innen in Deutschland im Jahr 2018 41 Aussagen über den Nahostkonflikt oder ver- Prozent der Befragten an, dass sie im letzten meintliche Israelkritik kann antisemitisch sein, Jahr von antisemitischen Taten betroffen waren.17 wenn z. B.dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen wird.13 Dabei ist Antisemitismus Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches keineswegs nach 1945 aus der deutschen Ge- Problem, das in verschiedenen Erscheinungs- sellschaft verschwunden. Er ist sehr wand- formen und Handlungen zum Ausdruck kommt. lungsfähig; für komplexe gesellschaftliche Pro- Auch die Verwendung des Wortes „Jude“ als bleme und Krisen, liefert der Antisemitismus Schimpfwort ist eine antisemitische Beleidigung eine einfache Erklärung, indem er die „Juden“ und sollte daher auf Schulhöfen und anderswo verantwortlich macht. Häufig spielen dabei keinen Platz haben. auch Verschwörungsideologien eine große Rolle. Sexismus Und obwohl antisemitische Aussagen stark ver- pönt sind und häufig ein Tabu darstellen, sind Sexismus wird definiert als individuelle Einstel- antisemitische Einstellungen konstant in der lungen und Verhaltensweisen oder institutio- deutschen Gesellschaft verbreitet. So zeigt die nelle und kulturelle Praktiken, die entweder eine „Mitte-Studie“ von 2018, dass etwa 10 Prozent negative Bewertung einer Person aufgrund des der Befragten zustimmen, dass „auch heute Geschlechts widerspiegeln oder den ungleichen noch der Einfluss der Juden zu groß“ sei. 14 Status zwischen Frauen und Männern in der Ge- sellschaft aufrechterhalten.18 Er spiegelt ein ge- Im Jahr 2019 ist die Anzahl antisemitischer sellschaftliches Machtverhältnis wider, in dem Straftaten in Deutschland im Vergleich zum Männer eine privilegierte Position haben und Vorjahr um 13 Prozent auf 2032 gestiegen.15 deshalb primär Frauen als von Sexismus betrof- Doch Antisemitismus äußert sich auch in Über- fen gelten.19 griffen und Anfeindungen, die unterhalb der Sexismus bezeichnet jede Form der Diskriminie- 12 Bergmann (2006): S. 1. rung aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts 13 https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/antisemi- tismus/was-ist-antisemitismus/ (Zugriff: 19.9.2020); 16 LIDA-SH (2020): S. 25. vgl. auch Antisemitismus-Definition der International 17 European Union Agency for Fundamental Rights 2018: Holocaust Remembrance Alliance. S. 47. 14 Decker, Brähler (2018): S. 78. 18 Swim (2009). 15 Bundeskriminalamt (2020): S. 5. 19 Diehl, Rees, Bohner (2014): S. 1. 14
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit und wird in dieser Form auch in der Gesetzge- 2017 auch in Deutschland vom Bundestag ver- bung, im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz abschiedet wurde, ist ein wichtiger Schritt zur (AGG) definiert. Strukturelle Benachteiligung rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare. zeigt sich zum Beispiel darin, dass Frauen nach Dennoch sind menschenfeindliche und abwer wie vor in Positionen unterrepräsentiert sind, die tende Einstellungen gegenüber LSBTIQ* in mit Macht und Status zusammenhängen, dafür Deutschland nach wie vor weit verbreitet. aber überproportional mehr Sorge- und Pflege- tätigkeiten übernehmen. Frauen werden im All- Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass 12 gemeinen schlechter bezahlt. Im sogenannten Prozent der Befragten Homosexuellen gegen- „klassischen“ Sexismus werden Frauen auf ihre über sehr oder eher negativ eingestellt sind, Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter be- gegenüber Bisexuellen sind es 13 Prozent, ge- schränkt und es wird eine biologistisch begrün- genüber Trans*Personen sogar 17 Prozent.25 dete Passivität oder auch übersteigerte Emotio- Seit 2017 gibt es die rechtliche Gleichstellung nalität unterstellt.20 Laut Leipziger „Mitte-Studie“ in der Ehe für homosexuelle Paare und die Be- von 2016 stimmen ca. 20 Prozent Aussagen wie fürwortung der Ehe für alle steigt in den ver- „Die Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle gangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich als Ehefrau und Mutter besinnen“ zu.21 an.26 Dennoch stimmen im Jahr 2018 17,4 Pro- zent der Befragten nicht zu bei der Frage, ob Sogenannter „moderner“ Sexismus äußert sich eine Ehe zwischen zwei Frauen bzw. zwei Män- darin, dass die Diskriminierung aufgrund des nern erlaubt sein sollte.27 Und 24,2 Prozent der Geschlechtes abgestritten wird. 51,4 Prozent Befragten sind gegen ein gleichwertiges Adop- stimmen der Aussage „Die Diskriminierung tionsrecht für homosexuelle Paare.28 In Bezug von Frauen ist in Deutschland immer noch ein auf Trans*Personen zeigt sich, dass 33,2 Pro- Problem“ überhaupt nicht oder eher nicht zu.22 zent der Befragten eher oder voll und ganz zu- Eine Benachteiligung von Frauen in der Be- stimmen, dass es nicht „normal [sei], wenn schäftigungspolitik sehen 45,1 Prozent der Be- ein Mann lieber eine Frau oder umgekehrt eine fragten überhaupt oder eher nicht.23 Frau lieber ein Mann sein will.“29 Neben faktischer Benachteiligung sind aber Dabei sind vielfältige Lebensweisen und auch auch Geschlechterstereotype, das Festhalten sogenannte „Regenbogenfamilien“ in Deutsch- an herkömmlichen Geschlechterrollen und land längst Realität und Benachteiligungen gesellschaftliche Erwartungen an geschlechts aufgrund der sexuellen Identität durch das All- spezifische Verhaltensmuster in den Blick zu gemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ver- nehmen. Diese bedingen wiederum sexistische boten. Und während Nichtbetroffene häufig gar Verhaltensweisen und Vorstellungen. nicht wissen oder gar bestreiten, dass es Diskri- minierung gegen LSBTIQ* in Deutschland gäbe, LSBTIQ*-Feindlichkeit berichten Betroffene durchaus darüber: abwer- tende Sprüche, Beleidigungen, Ausgeschlossen- LSBTIQ* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, sein, bis hin zu körperlichen Angriffen. Trans*, Inter*, Queere, das Sternchen steht für alle weiteren geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen.24 Die Ehe für alle, die 20 Decker et al. (2016): S. 57 f. 25 Küpper et al. (2017): S. 53. 21 Decker et al. (2016): S. 58. 26 Ibid.: S. 60. 22 Decker et al. (2016): S. 58. 27 Ibid.: S. 57. 23 Ibid. 28 Ibid.: S. 57. 24 vgl. Fibel. Echte Vielfalt. 29 Ibid.: S. 59. 15
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit jährigen an und bleibt über die Grundschule bis in die weiterführenden Schulen und die Hoch- schulen relevant. Die soziale Herkunft und der soziale Status der Herkunftsfamilie tragen in Deutschland also entscheidend dazu bei, wel- che Bildungschancen Menschen haben, welche Abschlüsse sie erreichen und wie viel Einkom- men sie später verdienen werden. Damit wird das vom Grundgesetz vorgegebene Ziel, nie- manden wegen seiner Herkunft zu benachteili- gen, verfehlt. Klassismus Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage stellt sich gegen jede Form von Ungleichwertigkeits- Klassismus bezeichnet die Diskriminierung auf- vorstellungen. Diskriminierung, ob aufgrund grund des tatsächlichen oder zugeschriebenen der Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder sozialen Status oder der sozialen Position. Klas der sexuellen Orientierung, die den Grundwer- sismus ist, obwohl er neben Rassismus und ten unserer Gesellschaft widersprechen darf in Sexismus zu den zentralen Ungleichwertigkeits der gesamten Gesellschaft nicht als Normalität vorstellungen gehört, in Deutschland weit we- hingenommen werden. Darum müssen wir jeden niger bekannt und beachtet. Dabei bedeutet Tag dafür kämpfen, in einer gerechteren und Klassismus für die betroffenen Personen alltäg- diskriminierungsfreieren Gesellschaft leben zu liche und strukturelle Diskriminierung in Form können. von Ausbeutung, Ausgrenzung und Gewalt.30 Menschen in Armutsverhältnissen wird bspw. gewalttätiges Verhalten oder Alkoholismus un- Literatur und Quellen terstellt, obwohl dies überall in der Gesellschaft vorkommt. Negative Vorurteile und Ungleich- Auma, Maisha-Maureen (2017). Rassismus. In: wertigkeitsvorstellungen dienen als Rechtfer- Dossier Migration. Online abrufbar unter: tigung für Benachteiligung. So finden in der https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/ Leipziger „Mitte-Studie“ von 2018 30,5 Prozent dossier-migration/223738/rassismus?p=all der Befragten die folgende Aussage teilweise (letzter Abruf: 10.7.2020). oder voll und ganz zutreffend: „Wer nicht ar- Bergmann,Werner (2006):Was heißt Anti beitet, soll auch nicht dieselben Rechte haben semitismus? Online abrufbar unter: wie andere.“31 https://www.bpb.de/politik/extremismus/ antisemitismus/37945/was-heisst- Häufig wird dabei unterstellt, dass Menschen, antisemitismus (letzter Abruf:18.9.2020) die in Armut leben, irgendwie selbst an ihrer Bundeskriminalamt (2020). Politisch motivierte Situation Schuld seien. Dabei zeigen Studien Kriminalität im Jahr 2019 – Bundesweite und auch länderübergreifende Untersuchungen Fallzahlen. Online abrufbar unter: https:// wie die sogenannten „Pisa“-Studien, dass in www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/ Deutschland der Bildungserfolg stark von der DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019. sozialen Herkunft abhängt. Das fängt bereits pdf?__blob=publicationFile&v=8 (letzter bei der frühkindlichen Bildung der unter Drei- Abruf: 29.7.2020). 30 Kemper (2018): S. 7. Czollek, Leah Carola; Perko, Gudrun; Weinbach, 31 Decker, Brähler (2018) s. Fn. 8. Heike (2012). Praxisbuch Social Justice und 16
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit Diversity. Theorien, Training, Methoden, Küpper, Beate; Klocke, Ulrich; Hoffmann, Lena- Übungen. München/Weinheim: Juventa/ Carlotta (2017). Einstellungen gegenüber Beltz Verlag. lesbischen, schwulen und bisexuellen Decker, Oliver; Brähler, Elmar (Hrsg.) (2018). Menschen in Deutschland. Antidiskrimi Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme nierungsstelle des Bundes (Hrsg.). Baden- Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Baden: Nomos. Online abrufbar unter: Gießen: Psychosozial-Verlag. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/ Decker, Oliver; Kiess, Johannes; Eggers, Eva; SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/ Brähler, Elmar (2016): Die Ergebnisse der Umfragen/Handout_Themenjahrumfrage_ „Mitte“-Studie 2016 – Rechtsextreme 2017.pdf%3F__blob%3DpublicationFile% Einstellung in Deutschlang. In: Decker, 26v%3D3 (letzter Abruf: 29.7.2020). Oliver; Kiess, Johannes, Brähler, Elmar Küpper, Beate (2016). Ideologien der Ungleich (Hrsg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre wertigkeit und das Syndrom Gruppen und rechtsextreme Einstellung in bezogener Menschenfeindlichkeit. In: Deutschland. Psychosozial-Verlag: Gießen. Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Ideologien Diehl, Charlotte; Rees, Jonas; Bohner, Gerd der Ungleichwertigkeit. Schriften zur (2014): Die Sexismus-Debatte im Spiegel Demokratie, Band 42. S. 21–36. wissenschaftlicher Erkenntnisse. Aus Politik LIDA-SH Landesweite Informations- und Doku und Zeitgeschichte (APUZ 8/2014). Online mentationsstelle Antisemitismus Schleswig- unter: https://www.bpb.de/apuz/178670/ Holstein (2020). Auswertungsbroschüre. die-sexismus-debatte-im-spiegel- Online abrufbar unter: https://www.lida-sh. wissenschaftlicher-erkenntnisse?p=all de/wp-content/uploads/2020/01/LIDA- (Zugriff: 17.9.2020). Brosch%C3%BCre-20.12._RZ-1.pdf (letzter European Union Agency for Fundamental Abruf: 10.7.2020) Rights (2018). Experiences and perceptions Müller, Ursula; Schöttle, Monika (2005): of antisemitism. Luxemburg: Publications Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit Office of the European Union. von Frauen in Deutschland. BMFSFJ (Hrsg.). Groß, Eva; Zick, Andreas; Krause, Daniela Online unter: https://www.bmfsfj.de/blob (2012). Von der Ungleichwertigkeit zur /84328/0c83aab6e685eeddc01712109bcb Ungleichheit: Gruppenbezogene Menschen 02b0/langfassung-studie-frauen-teil-eins- feindlichkeit. In: Aus Politik und Zeit data.pdf (Zugriff: 17.09.2020). geschichte (ApuZ )16–17/2012. Ogette, Tupoka (2019). Exit racism. Rassismus Jungkamp, Burkhard; John-Ohnesorg, Marei kritisch denken lernen. 4. Auflage. Münster: (Hrsg.) (2016). Soziale Herkunft und Bil Unrast Verlag. dungserfolg. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. Qasem, Sindyan; Yağci, Nalan; Gläser, Mirjam Kemper, Andreas (2018). Klassismus. Eine (2016). Reflexionen zu Ideologien der Bestandsaufnahme. Erfurt: Friedrich-Ebert- Ungleichwertigkeit von Menschen mit Stiftung, Landesbüro Thüringen. Rassismuserfahrung. In: Detzner, Milena; Kemper, Andreas; Weinbach, Heike (2020). Drücker, Ansgar; Seng, Sebastian (Hrsg.): Klassismus. Eine Einführung. Münster: Rassismuskritik. Versuch einer Bilanz über Unrast Verlag. Fehlschläge, Weiterentwicklungen, Erfolge Kleff, Sanem, Terkessidis, Mark (2017). Reden und Hoffnungen. Düsseldorf: IDA e. V. über Rassismus in Deutschland. Baustein 4. Swim, Janet K./Hyers, Laurie L. (2009), Sexism, Erste Auflage. Hrsg. Schule ohne Rassismus – in: Todd D. Nelson (Hrsg.), Handbook of Schule mit Courage in Trägerschaft der Aktion Prejudice, Stereotyping, and Discrimination, Courage e. V. Berlin. New York. 17
6. Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur Schule ist ein Ort der Meinungsbildung, ein Ort „Zu Demokraten werden wir nicht geboren, der Wertebildung, ein Ort der Kompetenzbildung zu Demokraten werden wir durch Erziehung und ein Ort der Charakterbildung32 und Bildung (...) durch nachhaltige Prozesse in Kindheit und Jugend, die unsere Kompetenzen Das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit prägen und unseren Erfahrungen ihre Bedeu- Courage regt dazu an, sich aktiv für das Klima tung verleihen.“34 des Miteinanders an der eigenen Schule ein- zusetzen. Dabei geht es nicht nur darum, sich Demokratiebildung bedeutet, Kinder und Ju- gegen alle Formen der Diskriminierung und gendliche in ihren Werten, Einstellungen und Ideologien der Ungleichwertigkeit zu positi- Haltungen zu stärken. Demokratie bedeutet in onieren, sondern auch um die Gestaltung des diesem Zusammenhang: gegenseitige Anerken- Miteinanders, um eine Schule, in der alle glei- nung und Teilhabe an Entscheidungen, Offen- chermaßen willkommen sind. heit und ernsthafte Diskussion über die Grund- lagen des gemeinsamen Zusammenlebens. Sie bedeutet Gewaltlosigkeit, Rücksicht, Empathie, Demokratiebildung Toleranz und Solidarität im Verhalten zu ande- ren. Das „Große“ fängt im „Kleinen“ an.35 Demokratiebildung wird häufig als eine Mög- lichkeit der Prävention von Rechtsextremis- Dies umfasst Grundrechteklarheit und Men- mus genannt, weil sich zum Beispiel Mitbe- schenrechtsorientierung, die Anerkennung von stimmung und Anerkennung positiv stärkend Minderheiten, die Auseinandersetzung und Re- auswirken und damit einer möglichen Gefähr- flexion von Werten sowie die Entwicklung von dung vorbeugen. An der Schule gelebte Werte Diversitäts- und Vorurteilsbewusstsein. Demo- wie Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit sind kratisches Handeln zielt auf Beteiligung, Enga- gleichzeitig auch eine Basis dafür, dass anti- gement und Zivilcourage. demokratisches und rechtspopulistisches oder -extremes Gedankengut keinen Boden zum Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage wirkt Wachsen findet. insofern als Empowerment für Demokratie, als dass das Projekt die Handlungsmotivation auf Und natürlich gibt es einen weiteren Zusam- individueller Ebene stärkt. Im Rahmen des Pro- menhang: Wer sich gegen Rassismus einsetzt, jektes schließen sich Menschen zusammen, um setzt sich für die Wahrung der Grund- und sich auszutauschen und gemeinsam aktiv zu Menschenrechte ein. werden, um Veränderungen in ihrem Lebens- umfeld Schule zu bewirken. Das geht zusam- Demokratiepädagogische Ansätze haben aber men mit einem aktivierenden Verständnis von darüber hinaus Demokratie als Wert für sich im Teilhabe, Debatten, Pluralität und damit demo- Blick. Sie betrachten Demokratie vor allem in kratischem Handeln. der Perspektive als Lebensform,33 als eine Hal- tung und Einstellung im Alltag: sich einzubrin- Die zentrale Frage des Courage Netzwerks ist: gen, andere Meinungen zu akzeptieren, ge- „Wie wollen wir zusammenleben?“ Wie gelingt meinsam Herausforderungen zu lösen und sich ein Miteinander? Was sind verbindende Werte? gemeinsam für eine gerechte Welt und einen Was sind individuelle Freiheiten, wo sind die fairen Umgang untereinander zu engagieren. Grenzen? 32 http://jugendmachtzukunft.blogspot.com/p/blog- page_31.html 34 Edelstein 2007. 33 Himmelmann 2005: S. 20 f. 35 Himmelmann 2016. 18
Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur Vielfalt Raum geben Abbildung 1: Diversity Kategorien Schule ist ein Ort, an dem Menschen mit den finanzieller Sprachen unterschiedlichsten Erfahrungen und Hinter- Status Kommuni Gewohn gründen miteinander leben und lernen. In der kationsstil heiten Praxis ist es eine Herausforderung, dieser von Vielfalt geprägten Realität und damit den Kin- Bildung Arbeit und Tätigkeiten dern und Jugendlichen in ihrer Individualität und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Alter Wohnort Familienstand Vielfalt Raum geben bedeutet, Heterogenität sexuelle körperliche als Normalität zu denken und den Blick für Orientierung und geistige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu öffnen. Freizeit Fähigkeiten familäre gestaltung Herkunft Wann spielt Differenz eine Rolle auf dem Weg Hautfarbe ethnische zur Chancengleichheit? Wann führt nur Gleich- Herkunft behandlung zu Gerechtigkeit? Wohn- und besondere Lebensform Fähigkeiten Geschlecht Die unterschiedlichen Differenzkategorien Migrations Milieu werden in Abbildung 1 deutlich. Vieler dieser erfahrung zugehörig- Kategorien sind dabei keine individuellen keit Eigenschaften, sondern soziale Konstruktionen. Persönlich Nationalität Unter dem Stichwort Intersektionalität wird die keitstyp Mitglied Verwobenheit der unterschiedlichen Kategorien Religion schaften miteinander untersucht, bspw. das Zusammen- wirken von Geschlecht und Herkunft. Quelle: eigene Darstellung Gesellschaftliche Realität ist, dass Menschen den Blick einer kulturellen Zugehörigkeit hin- bestimmten Kategorien zugeordnet und infolge ausgehen. unterschiedlich bewertet werden. Einige Diffe- renzkategorien sind dabei gesellschaftlich Diversität als Querschnittsgedanken umzuset- wirkmächtiger als andere. Es ist wichtig, sich zen erfordert, Schule und Unterricht so zu ge- bewusst zu machen, dass es vielfältige Per- stalten, dass die Rechte aller Beteiligten geach- sönlichkeitsmerkmale gibt und niemand nur tet werden und die Lernumgebung möglichst aufgrund eines Merkmals wie zum Beispiel inklusiv, partizipativ und diskriminierungs Geschlecht oder Religion wahrgenommen wer- kritisch ist. Dies umfasst auch die Auswahl den sollte. So eröffnen sich für Kinder und von didaktischen Methoden und Materialien Jugendliche neue Möglichkeitsräume und Res- beziehungsweise die Reflexion stereotyper sourcen; es werden Fähigkeiten und Kenntnisse Darstellungen in Schulbüchern und sonstigen sichtbar, die weit über einen bspw. verengen- Bildungsmedien. 19
Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur Identität, Anerkennung und Zugehörigkeit Kinder und Jugendliche haben das Bedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit. Ob jemand sich anerkannt fühlt, hängt eng mit der Erfahrung zusammen, sichtbar werden zu können, gesehen zu werden, eingebunden und beteiligt zu sein. Schulen können ein solches an Diversität orientiertes Identitätsangebot machen. Anerkennung ermöglicht Zugehörigkeit, der Mangel an Anerkennung schließt aus. Die Kon- fliktforschung benennt einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem individuellen Gefühl der Anerkennung und der Bereitschaft, andere Menschen und Gruppen abzuwerten.36 Rechtspopulistische Gruppen nutzen dieses und machen Identitätsangebote durch die feindbildgestützte Konstruktion von „Wir“ gegen „die anderen“, was in der Abwertung, Diskriminierung oder Gewaltanwendung ge- Beteiligung findet strukturell in den Gremien, in genüber der Outgroup münden kann. Die der Schulkonferenz, als Schüler:innenvertretung Erfahrung von unterschiedlichen Gruppen oder in Form von Stufenkonferenzen statt. zugehörigkeiten kann solche starren Polari- sierungen aufweichen und zur Förderung von Sie kann aber ebenso im Schulalltag stattfin- Austausch und Dialog beitragen. den, bspw. durch Einbeziehung in die Gestal- tung des Schulgebäudes, der Klassenräume oder des Schulhofes. Mitbestimmung/Partizipative Schulkultur Auch die Frage nach dem Zielort für den nächs- ten Ausflug sollte eine gemeinsame Entschei- In der Schule, unabhängig vom Schultyp, gibt es dung sein. Partizipation im Unterrichtsalltag vielfältige Gestaltungs- und Mitbestimmungs gelingt, indem Projekttage oder eine Exkursion möglichkeiten. Schüler:innen als größte Inter- eigenständig geplant und Referent:innen in den essengruppe sollten in ihren Anliegen und Inte- Unterricht eingeladen werden. ressen ernst genommen und in die Entwicklung der Schulstrukturen, Rahmenbedingungen und Auch in der Gestaltung des Ganztagkonzeptes Unterrichtsgestaltungen einbezogen werden. können Schüler:innen eingebunden werden, indem sie ihre Vorstellungen von Nachmittags- und Freizeitangeboten äußern. Auch eigene Nachmittagsprojekte, zum Beispiel zu Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, können 36 Heitmeyer 2002–2012 darunterfallen. 20
Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur Wichtig ist, dass die Schüler:innen über die Zivilcourage Möglichkeiten ihrer Mitbestimmung informiert sind und ihre Meinung gehört wird. Ein echtes Zivilcourage ist der Mut, für die eigene Meinung Mitbestimmungsrecht umfasst Abgabe von und Überzeugungen und für die Rechte der an- Macht und Räume zum Erproben. deren einzutreten. Solches Handeln bewirkt, dass Gewalt und Vorurteile nicht im Schatten Kinder und Jugendliche erkennen eigene Be- von Gleichgültigkeit und in dem Gefühl wach- dürfnisse und Rechte wie auch die der anderen, sen können: Das geht mich nichts an ... sie setzen sich mit den unterschiedlichen In- teressen auseinander und gestalten Aushand- Grundlegende Voraussetzungen für zivilcou- lungsprozesse. Moderation, Präsentation und ragiertes Handeln ist zum einen die Fähigkeit, manchmal auch die Überwindung der Angst, sich in die Interessen, Denkweisen und Empfin- vor Menschen zu sprechen, sind in diesem Zu- dungen von anderen hineinzuversetzen und den sammenhang wichtige Schlüsselkompeten- anderen als eigenständige Person mit eigenen zen. Durch die aktive Übernahme von Verant- Rechten anzuerkennen. Daneben geht es um wortung erfahren sie Selbstwirksamkeit. Nicht die Wahrnehmung und die Sensibilisierung für zuletzt erhöhen Mitbestimmung und Mitge- Not- und Gefahrensituationen, aber auch für staltung das Gefühl der Zugehörigkeit und die Diskriminierungen und Ausgrenzung. Identifikation mit ihrer Schule. Und es braucht sowohl die Zuversicht, Dinge ändern zu können, als auch die Empörung über Streitkultur und Konfliktfähigkeit wahrgenommene Ungerechtigkeiten oder Em- pathie für jene, deren Rechte verletzt werden. Zu einer Streit- und Konfliktkultur gehört, dass Verstärkt wird die Solidarität untereinander in um Positionen gestritten und gerungen wird. der Schule, wenn die gegenseitige Achtung mit Ziel ist, Schüler:innen demokratische, gewalt- der Suche nach gemeinsamen Werten und Re- freie und den Menschenrechten verpflichtete geln einhergeht. Problemlösungskompetenzen zu vermitteln, die sie befähigen, mit divergierenden Interessen Wie würde ich mich in einer solchen Situation in einer offenen Gesellschaft konstruktiv um- verhalten und was könnte ich tun? Im Rahmen zugehen. von Argumentations- oder Zivilcouragetrai- nings kann man sich mit unterschiedlichen Es braucht eine diskursive Auseinandersetzung Situationen, in denen mutiges Eingreifen nötig mit anderen Standpunkten, Haltungen und ist, auseinandersetzen und diese erproben. Sichtweisen. Dabei werden möglicherweise Werte, Urteile, Haltungen und Meinungen in- frage gestellt – innere Orientierungspunkte also, die emotional behaftet und verankert sind. Solche Kontroversen können auch für Irritati- onen sorgen, die geschlossene Weltbilder ver- hindern und vorgefestigte Meinungen infrage stellen. 21
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