Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt

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Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
Das Courage Netzwerk

           Aktiv gegen
          Ausgrenzung,
         Diskriminierung
           und Gewalt
Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
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Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
Inhalt

Grußwort AKJS                                                              4

Grußwort Ministerium                                                        5

1.	Darum eine Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage werden!          6

2.	Das Selbstverständnis von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage   8

3.	Auf dem Weg zur Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage             9

4.    Der Gewinn für die Schule                                            10

5.	Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit                    12

6.    Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur                          18

7.    Die Rolle von Emotionen                                              23

8.    Ideen                                                                25

9.	Vorschläge und Anregungen zur Nachhaltigkeit einer Courage-Schule      27

10.	Das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage               33

      Das Courage-Netzwerk in Schleswig-Holstein                           34

Anhang                                                                     38

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Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
Grußwort AKJS

       Liebe Interessierte,                               keit und demokratische Grundsätze richten,
                                                          zu verhindern oder einzudämmen, sondern den
       seit 2002 ist die Aktion Kinder- und Jugend-       Fokus auf die Lebenskompetenzen von Kindern
       schutz Landesarbeitsstelle Schleswig-Holstein      und Jugendlichen zu richten und ihnen Erfah-
       e. V. (AKJS) Trägerin der Landeskoordination       rungs- und Lernräume zu schaffen.
       des Projektes Schule ohne Rassismus – Schule mit
       Courage in Schleswig-Holstein.                     Die Schule ist solch ein Ort des Lernens, in dem
                                                          Kinder und Jugendliche sich ausprobieren und
       Als freier Träger der Jugendhilfe arbeitet die     aktiv mitgestalten, sich mit anderen ausein-
       AKJS zu aktuellen Themen des erzieherischen        andersetzen und Verantwortung übernehmen
       Kinder- und Jugendschutzes. Das Augenmerk          können. Im Rahmen des Projektes bieten sich
       liegt dabei darin, die Lebenskompetenz von         ihnen solche Möglichkeiten der Einflussnahme
       jungen Menschen zu fördern. Kinder und Ju-         und Mitbestimmung. Sie finden und vertreten
       gendliche sollen lernen, Gefährdungen selbst zu    eigene Standpunkte, entwickeln neue Perspek-
       erkennen und sich kritisch mit ihnen auseinan-     tiven und leisten damit auch einen Beitrag zu
       derzusetzen. Sie werden gestärkt, um sich vor      einem positiven Schulklima.
       gefährdenden Einflüssen zu schützen und sie
       gegebenenfalls zusammen mit anderen zu be-         Die AKJS unterstützt die Schulen sowohl als
       wältigen. Dazu gehört auch, Kritik- und Ent-       Landeskoordinatorin des Netzwerks Schule
       scheidungsfähigkeit zu erwerben sowie Eigen-       ohne Rassismus – Schule mit Courage als auch
       verantwortung und Verantwortung gegenüber          durch ihre vielfältigen Angebote in den Prä-
       Mitmenschen zu übernehmen.                         ventionsfeldern Umgang mit Gewalt und Mob-
                                                          bing sowie Prävention von Rechtsextremis-
       Um die hierfür notwendigen Kompetenzen zu          mus, Sensibili­sierung für Diversität und dem
       vermitteln, umfasst der erzieherische Kinder-      verantwortungs­vollen Umgang mit Medien.
       und Jugendschutz vorwiegend Präventions-
       maßnahmen mit dem Ziel, junge Menschen zu          Sie erhalten mit dieser Broschüre hoffentlich
       stärken, zu begleiten und ihre Entwicklung und     viele interessante Anregungen und Lust auf
       Lernprozesse zu fördern.                           das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule
                                                          mit Courage.
       Die Perspektiven des Jugendschutzes richten
       sich also einerseits auf Verhinderung, Vorbeu-     Viel Spass beim Umsetzen wünscht
       gung und Aufklärung und andererseits auf Un-
       terstützung, Stärkung und Ermöglichung. Dies       Iris Haulsen
       entspricht auch dem Projektansatz von Schule       Vorstand Aktion Kinder- und Jugendschutz
       ohne Rassismus – Schule mit Courage, der sich      SH e. V.
       gegen Gewalt, Diskriminierung und jede Form
       von Ausgrenzung und für ein Klima der Aner-
       kennung an der Schule einsetzt. (vgl. https://
       www.schule-ohne-rassismus.org/)

       Prävention bezogen auf das Projekt heißt also
       nicht nur, die Entstehung von Handlungsweisen
       und Einstellungen, die sich gegen Gleichwertig­

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Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
Grußwort Ministerium

Liebe Leserinnen und Leser,                        Gemeinsam mit dem Landesdemokratiezentrum
                                                   beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein
unsere Schulen sind nicht nur ein Ort des Ler-     unterstützt das MBWK seit 2020 das Netzwerk
nens, sondern auch ein Ort des sozialen Mitei-     Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Ziel
nanders. Kinder und Jugendliche erleben hier,      unserer Kooperation ist es, die Sichtbarkeit, die
was es heißt, eine Gesellschaft mitzugestalten,    Vernetzung und den Erfahrungsaustausch der
sich für andere einzusetzen und Vielfalt zu        Schulen in diesem Netzwerk zu unterstützen.
leben. Sie lernen, ihre eigene Meinung zu bilden   Damit wollen wir zum einen dem Problem des
und dafür zu streiten, aber auch die Meinung       Rechtsextremismus und der Menschenfeind-
des Gegenübers zu respektieren. Das Zusam­         lichkeit entgegenwirken und zum anderen die
men­leben, das wir in der Schule erleben, prägt    Schulentwicklung unterstützen.
auch das Zusammenleben in unserer Gesell-
schaft außerhalb des Schulgeländes.                In Netzwerktreffen sollen die Schulen mehr
                                                   Raum und Zeit zur Weiterentwicklung be-
Das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit    kommen. Mit einer finanziellen Förderung des
Courage“ motiviert Kinder, Jugendliche und ihre    Netzwerks wollen wir mehr Projekte anbieten
Pädagoginnen und Pädagogen, das Klima an           und auch die Buchung externer Anbieter zur
ihrer Schule aktiv zu verändern, indem sie sich    Moderation und Durchführung von Netzwerk-
bewusst gegen jede Form von Diskriminierung,       treffen ermöglichen.
Mobbing und Gewalt wenden. Durch die hand-
lungsorientierte Ausrichtung des Projektes wird    Die vorliegende Broschüre soll weitere Schulen
Lernen mit sozialer und praktischer Erfahrung      dazu motivieren, sich im Netzwerk Schule ohne
verknüpft.                                         Rassismus – Schule mit Courage zu engagieren.
                                                   Denn jede zusätzliche Schule bringt uns einen
Das Ziel ist eine Schule ohne Rassismus – Schule   Schritt weiter auf dem Weg in eine Gesellschaft
mit Courage, die dieses Motto aktiv und selbst-    ohne Ausgrenzung.
gestaltend in Projekten, Aktionen und Hand-
lungsstrategien, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit    Ich danke allen beteiligten Schulen für ihr En-
und im Schulalltag umsetzt; eine Schule, die       gagement und wünsche dem Netzwerk weiter-
Kinder und Jugendliche in ihren Kompetenzen        hin eine hohe Nachfrage und einen intensiven
und ihrem Demokratiebewusstsein stärkt und         Austausch.
ihnen neue Perspektiven eröffnet; eine Schule,
in der junge Menschen zu mündigen Bürgerin-        Herzliche Grüße
nen und Bürgern heranwachsen.
                                                   Karin Prien
In Schleswig-Holstein gibt es zurzeit 91 Schulen   Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur
ohne Rassismus – Schulen mit Courage, dar-         des Landes Schleswig-Holstein
unter neun Berufsschulen, sechs Grundschulen
und fünf Förderschulen. Die Zahl der Mitglie-
der in diesem Netzwerk wächst stetig. Darüber
freue ich mich sehr, denn es zeigt, dass immer
mehr Schulen ein deutliches Zeichen für Viel-
falt und Toleranz und gegen Rechtsextremis-
mus und Ausgrenzung setzen wollen.

                                                                                                       5
Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
1.	Darum eine Schule ohne Rassismus – Schule mit
    Courage werden!

        Kinder und Jugendliche wachsen in einer hete-       an der Grundrechtecharta1 der Europäischen
        rogenen und pluralen Gesellschaft auf. Sie neh-     Union zu orientieren.
        men politische und gesellschaftliche Verhält-
        nisse und Ungerechtigkeiten wahr – auch und         Dort heißt es: „Diskriminierungen, insbesondere
        gerade in ihrer alltäglichen Lebenswelt.            wegen des Geschlechts, der Rasse [sic!], der
                                                            Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Her-
        Studien zeigen, dass demokratiegefährdende          kunft, der genetischen Merkmale, der Sprache,
        Haltungen und Vorstellungen über die Un-            der Religion oder der Weltanschauung, der po-
        gleichwertigkeit von Menschen in der Gesell-        litischen oder sonstigen Anschauung, der Zu-
        schaft zunehmen. Dies wirft auch Fragen nach        gehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des
        Trennlinien in der Gesellschaft, nach dem Aus-      Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des
        maß von Demokratie- und Menschenfeindlich-          Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind ver-
        keit auf (vgl. Kapitel 5 „Themenschwerpunkt         boten.“
        Ideologien der Ungleichwertigkeit“).
                                                            Haltung zeigen ist ein wichtiges gesellschafts-
        Rechtsextreme Einstellungen und Verhaltens-         politisches Leitbild, um eine freie und demo-
        weisen begegnen uns nicht nur am Rande der          kratische Gesellschaft, die Minderheitenrechte
        Gesellschaft, vielmehr sind sie zumindest in        und die Meinung Andersdenkender respektiert,
        Teilen auch in der so genannten „Mitte“ der         als Wert aufrechtzuerhalten und zu schützen.
        Gesellschaft vorhanden. Besonders junge Men-        Aus solch einem Leitbild erwächst eine Selbst-
        schen werden über Medien wie Musik und In-          verantwortung für alle.
        ternet oder auch Sport- und Freizeitangebote
        und über Themen wie Identität, Nationalität         Das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit
        oder Heimatbewusstsein angesprochen. Dabei          Courage hat sich hier klar positioniert:
        zielen unterschiedlichste Gruppierungen immer
        wieder darauf ab, unsere freiheitlich-demokra-          „Wir verantworten schulische und außer-
        tische Grundordnung (FDGO) abzuschaffen. Ge-            schulische Maßnahmen der politischen
        samtgesellschaftliche Aufgabe ist es, dies nicht        Bildungsarbeit mit Kindern und Jugend-
        zuzulassen.                                             lichen. Wir sind überparteilich, aber nicht
                                                                wertneutral, denn unsere Haltung basiert
        Gesellschaftliche Haltungen und Strömungen              auf Artikel 1 des Grundgesetzes: ‚Die
        machen auch vor den Schultoren nicht halt!              Würde des Menschen ist unantastbar’.
                                                                Sie ist gegründet auf den allgemeinen
        Das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit          Menschenrechten und den Schulgesetzen
        Courage (SOR–SMC) wurde 1988 in Belgien von             der Bundesländer. Dem Beutelsbacher
        Schüler:innen und Fachkräften aus der Jugend-           Konsens entsprechend setzen wir uns für
        arbeit als Antwort auf erstarkende rechte Par-          eine humane Bildung und für eine diskri-
        teien initiiert. Diese Gründungsidee hat nichts         minierungsfreie Schulkultur ein, die sich
        an Aktualität verloren.                                 aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus
                                                                und andere Ideologien der Ungleich-
        Das Projekt bietet die Möglichkeit, dort aktiv zu       wertigkeit wendet. Wir stehen gegen
        werden, wo Kinder und Jugendliche einen gro-            ein ‚anything goes’. Deshalb sagen wir:
        ßen Teil ihrer Zeit verbringen: in der Schule. Es       #wirsindnichtneutral.“
        ermutigt dazu, Stellung zu beziehen und sich
                                                            1   https://www.europarl.europa.eu/germany/de/
                                                                europ%C3%A4isches-parlament/grundrechtecharta

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Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
Darum eine Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage werden!

Das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit      Körper, Psyche und Handlungen ein. Sie lösen
Courage bietet der Schulgemeinschaft Anlass         Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Angst, Vorsicht
und Rahmen, ihre Schule aktiv zu gestalten          oder Misstrauen aus.
und demokratisches Handeln mit Engagement
gegen Diskriminierung zu verknüpfen. Jede           Viele dieser Erfahrungen werden von Außenste-
Schule kann dabei ihren eigenen Weg gehen           henden kaum als Diskriminierung oder Rassis-
und selber entscheiden, mit welchen Themen          mus identifiziert und benannt. Die Verknüpfung
sie sich befasst und welche Schwerpunkte der        von Rassismus mit absichtsvollem Handeln hat
Antidiskriminierungsarbeit sie setzt (vgl. Kapi-    auch zur Folge, dass ein Ansprechen von Erfah­
tel 9 „Vorschläge und Anregungen zur Nach-          rungen oder Vorfällen als Rassismusvorwurf
haltigkeit einer Courage-Schule “).                 vehement abgewehrt und zurückgewiesen wird.
                                                    Diese schwierigen Bedingungen verhindern
Natürlich können an jeder Schule Rassismus          häufig das notwendige Sprechen über Rassis-
oder Diskriminierung auftreten, entscheidend        muserfahrungen.2
ist in so einem Fall jedoch, wie die Schulgemein-
schaft damit umgeht: Hinsehen oder wegsehen?        Es geht darum, eine offene, kritische Haltung
                                                    gegenüber Ungleichwertigkeit zu entwickeln.
Der Titel Schule ohne Rassismus ist an dieser       Diese gelingt nur, wenn die Schule die Kinder zu
Stelle als Zielvorstellung zu verstehen, auf dem    mündigen, demokratischen, couragierten Men-
Weg dorthin braucht es Engagement für Gleich-       schen zu bilden versteht (vgl. Kapitel 6 „The-
wertigkeit und eine rassismuskritische Haltung.     menschwerpunkt Demokratische Schulkultur“).

Rassismus ist nicht auf grobe, eindeutige, ab-      Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ist
sichtsvolle Handlungen und Äußerungen be-           mit über 3.300 Schulen das größte Schulnetz-
schränkt, sondern schließt auch subtile, in         werk in Deutschland. In Schleswig-Holstein ge-
Strukturen und Institutionen verankerte, all-       hören ihm aktuell 91 Schulen an. (Stand August
tägliche und nicht unbedingt absichtlich her-       2020). Weitere acht Schulen sind bereits aner-
beigeführte Formen ein.                             kannt.

Dieses Verständnis von Rassismus geht weit          Zu dem Netzwerk in Schleswig-Holstein gehören
über das Vorherrschende von Rassismus als           neben den Schulen und den Koordinie­rungs­
intentionales Handeln von Individuen hinaus.        stellen auch viele außerschulische Ko­ope­ra­tions­­­-
                                                    partner:innen und regionale Ansprech­part­
Jugendliche, die von Diskriminierung und/oder       ner:in­­nen, die die Schulen vor Ort unter­­stützen
Rassismus betroffen sind, machen individuell        (vgl. Kapitel 10 „Courage-Netzwerk in Schles-
durchaus sehr unterschiedliche Erfahrungen.         wig-Holstein“).
Besonders die alltäglichen Rassismus- und Dis-
kriminierungserfahrungen schreiben sich in          2   Kleff und Terkessidis 2017.

                                                                                                                               7
Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
2.	Das Selbstverständnis von Schule ohne Rassismus –
    Schule mit Courage

         Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage wen-
         det sich gegen alle Formen von Diskriminierung           Selbstverständnis des Projektes
         und Ideologien der Ungleichwertigkeit.
                                                                  1.	Ich setze mich dafür ein, dass meine
         Infolgedessen richtet sich der Blick gleicherma-           Schule nachhaltige Projekte, Aktionen
         ßen auf Diskriminierung aufgrund der Religion,             und Veranstaltungen durchführt, um
         der sozialen oder ethnischen Herkunft, des Ge-             Diskriminierungen, insbesondere Ras-
         schlechts, körperlicher Merkmale, der politi-              sismus, zu überwinden.
         schen Weltanschauung und der sexuellen Ori-
         entierung.                                               2.	Wenn an meiner Schule Gewalt, dis-
                                                                    kriminierende Äußerungen oder Hand-
         Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ist ein         lungen ausgeübt werden, dann wende
         Projekt für alle Schulmitglieder. Es bietet ihnen          ich mich dagegen, spreche dies an und
         die Möglichkeit, das Klima an ihrer Schule aktiv           unterstütze eine offene Auseinander-
         mitzugestalten, indem sie sich bewusst für ein             setzung, damit wir gemeinsam Wege
         friedliches und faires Miteinander und gegen               finden, einander respektvoll zu be­
         jede Form von Ausgrenzung, Diskriminierung                 gegnen.
         und Gewalt wenden. Die Schulgemeinschaft
         setzt sich dabei ein für eine Schule, in der alle -      3.	Ich bin aktiv, damit meine Schule jedes
         unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht,             Jahr Projekte gegen alle Formen von
         Aussehen oder sexueller Orientierung – akzep-              Diskriminierung, insbesondere Rassis-
         tiert und willkommen sind.                                 mus, durchführt.

         Jede Schule, unabhängig von Schulart, kann
         sich dem Netzwerk Schule ohne Rassismus –
         Schule mit Courage anschließen, wenn sie fol-
         gende Bedingung erfüllt:                              An dieser Schule erklärten mindestens 70 Pro-
                                                               zent der Schulmitglieder in einer Abstimmung,
         Mindestens 70 Prozent aller Schulangehöri-            „ich werde mich aktiv gegen Diskriminierungen,
         gen (Schüler:innen, pädagogische Fachkräfte,          insbesondere Rassismus, einsetzen.“
         Schulpersonal) positionieren sich gegen Ras-
         sismus und Diskriminierung, indem sie dem             Eine Schule, die den Titel trägt, ist Teil eines
         Selbstverständnis von Schule ohne Rassismus –         Netzwerks, das sagt: Wir übernehmen Verant-
         Schule mit Courage zustimmen.                         wortung für das Klima in unseren Klassen, an
                                                               unserer Schule, im Netzwerk und in unserer
         Mit dem Titel Schule ohne Rassismus – Schule          Gesellschaft.
         mit Courage setzt die Schule ein Zeichen gegen
         Rassismus, Diskriminierung und Gewalt, wel-           Das Selbstverständnis von Schule ohne Rassis-
         ches nach innen und außen in den Ort/den              mus – Schule mit Courage wird zu einem selbst-
         Stadtteil wirkt. Der Titel ist dabei kein Siegel      gesteckten Ziel, langfristig eine Schulkultur zu
         und keine Auszeichnung für bereits geleistete         etablieren, die Diskriminierung wahrnimmt und
         Arbeit, sondern eine Selbstverpflichtung der          ihr aktiv entgegentritt.
         Schulgemeinschaft für die Gegenwart und die
         Zukunft. Das Logo an der Schulwand bedeutet:

8
Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
3.	Auf dem Weg zur Schule ohne Rassismus –
    Schule mit Courage

1.	Bildet mit weiteren Schulmitgliedern,        6.	Die Bundeskoordination überprüft alle An-
   die sich dafür einsetzen wollen, dass ihr        gaben, schickt euch eine Aufnahmebestäti-
   eine Courage-Schule werdet, eine In-             gung zu und informiert eure Landeskoordi-
   itiativgruppe. Nehmt am besten auch              nation darüber.
   Lehrer:innen und Sozialpädagog:innen auf.
                                                 7.	Spätestens jetzt nehmt ihr unbedingt den
2.	Plant gemeinsam, wie ihr alle Schulmit-         Kontakt zu eurer Landeskoordination auf.
   glieder über die Idee einer Courage-Schule       Denn sie wird mit euch den Termin der Ti-
   informiert. Nutzt verschiedene Mög-              telverleihung vereinbaren und ihn der Bun-
   lichkeiten: einen Artikel in der Schul-          deskoordination mitteilen.
   zeitung schreiben, euer Vorhaben in der
   Schüler:innenvertretung ansprechen, Flyer     8.	Plant mit kreativen Ideen den festlichen Akt
   verteilen, die Selbstverpflichtung mit den       der Titelübergabe. Eure Regional- bzw. Lan-
   drei Punkten am SV-Brett anbringen oder          deskoordination berät und unterstützt euch
   einen Info-Stand auf dem Schulfest auf-          dabei.
   bauen.
                                                 9.	Wurden Termine gut kommuniziert, kommen
3.	Ihr müsst euch auf eine Person als Patin        Plakette, Handbuch und weitere Materialien
   oder einen Paten einigen, die euer Enga-         mindestens eine Woche vor der Titelverlei-
   gement gut unterstützen kann und sie für         hung bei euch an.
   diese Aufgabe gewinnen. Nicht nur Perso-
   nen des öffentlichen Lebens aus Medien,       10.	Auf der von euch gestalteten Feier erhält
   Wirtschaft, Kunst, Politik oder Sport, son-      eure Schule in Anwesenheit der/des
   dern auch medial unbekannte Personen             Pat:in von der Landes- bzw. Regional­
   können dies.                                     koordinator:in die offizielle Ernennungs­
                                                    urkunde und befestigt das Logo-Schild
4.	Informiert die Schule über den Ablauf           sichtbar am Schulgebäude.
   der anstehenden Abstimmung. Sie fin-
   det per Stimmzettel in geheimer Wahl          Ihr habt es damit geschafft: Eure Schule ist
   statt und kann in allen Klassen am sel-       Teil des bundesweiten Courage-Netzwerks.
   ben Tag oder auch getrennt durchgeführt       Jetzt gehen die Aktivitäten erst richtig los! In-
   werden. Ausführliches zum Abstimmungs-        formationen, Unterstützung und Beratung für
   verfahren findet ihr unter https://www.       Projekt­tage und Workshops bekommt ihr von
   schule-ohne-rassismus.org/mitmachen/          eurer Landes- bzw. Regionalkoordination und
   courage-schule-werden/                        unseren Kooperationspartner:innen.

5.	Zeigt das Abstimmungsergebnis: Mindes-
   tens 70 Prozent aller Schulmitglieder haben
   mit Ja gestimmt, ist die Voraussetzung er-
   füllt, eure Schule ins Courage-Netzwerk zu
   bringen. Dann schickt die Schulleitung den
   Aufnahmeantrag mit der Schildbestellung
   an die Bundeskoordination.

                                                                                                     9
Das Courage Netzwerk Aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt
4. Der Gewinn für die Schule

        Leitbild der Schule                                Zum anderen kann das Projekt eine Klammer
                                                           sein für alle möglichen Ansätze, die es in der
        Das Leitbild einer Schule macht ihr Selbstver-     Schule bereits gibt und die noch entwickelt
        ständnis, ihre gültigen Werte und ihre Ziele       werden. So entsteht ein Bezugsrahmen für Ein-
        deutlich. Es schafft damit einen transparen-       zelaktivitäten und Projekte. Die Schule zeigt
        ten und auch erlebbaren Rahmen für alle am         damit, dass sie auch ein Lernort für Gleichwer-
        Schulleben Beteiligten und stellt eine Orientie-   tigkeit und Diversität sein will.
        rungshilfe zur Verwirklichung der formulierten
        Ziele dar. Es dient der Identifikation und er-     Aus dem Projekthandlungsansatz ergibt sich in
        möglicht außerdem einer interessierten Öffent-     der Projektarbeit an den Schulen eine Vielfalt
        lichkeit, die Schule und die sie tragenden Werte   von Themenfeldern. Dazu gehören zum Bei-
        und Ziele kennen zu lernen.                        spiel Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und
                                                           LSBTIQ-Feindlichkeit. Jede Schule kann ihren
        Die gemeinsame Initiative Schule ohne Rassismus    eigenen Zugang wählen und damit auch sowohl
        – Schule mit Courage aller in der Schule tätigen   Aktualität als auch Verbindung zur Lebenswelt
        Menschen kann einen normativ gekennzeich-          der Schüler:innenschaft herstellen.
        neten Rahmen initiieren, in dem es möglich
        ist, sich für Demokratie und gegen Rassismus
        einzusetzen. Zugrunde liegt oft der Wunsch,        Präventiver Ansatz
        diese Themen kontinuierlich zu bearbeiten, das
        Schulprofil zu schärfen und als Schule Position    Primäre Prävention zielt darauf ab, Bedingun-
        zu beziehen (Beispiel im Kapitel 9 „Vorschläge     gen zu schaffen, um Gefährdungen – Einstel-
        und Anregungen zur Nachhaltigkeit einer Cou-       lungen gegen die freiheitlich-demokratische
        rage-Schule“).                                     Grundordnung und Ideologien der Ungleichwer-
                                                           tigkeit – schon im Vorfeld zu verhindern.

        Bezugsrahmen für die Umsetzung                     Ein Beispiel für strukturelle und gruppenbezo-
        pädagogischer Ziele                                gene Maßnahmen sind das Empowerment und
                                                           die Unterstützung demokratischer Entwicklun-
        Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage ist     gen vor Ort. Auf der individuellen Ebene wirken
        eine Möglichkeit, das Leitbild der Schule und      Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, Anerken-
        auch Bildungsinhalte umzusetzen.                   nung und Zugehörigkeit präventiv.

        Zum einen bietet das Projekt einen ständigen       In diesem Sinne umfasst das Projekt Schule ohne
        konkreten Anlass und eine – neben den allge-       Rassismus – Schule mit Courage präventive An-
        meinen Bestimmungen des Schulgesetzes –            sätze: Es schafft Handlungs- und Aktionsfelder
        deutliche Legitimation, sich kritisch mit den      für Mitbestimmung, Verantwortungsübernahme
        oftmals als unbequem und schwierig empfun­         und Wertediskussionen.
        denen Themen wie Rassismus und Diskrimi­
        nierung zu befassen. Dadurch entstehen
        Auseinandersetzungen, Aktivitäten und Frage-
        stellungen rund um das Thema Diskriminie-
        rung, Rassismus und Ausgrenzung für ein posi-
        tives Schulklima.

10
Der Gewinn für die Schule

Unterstützung durch das Netzwerk
Schule ohne Rassismus – Schule mit
Courage

Mit ihrer Anerkennung als Schule ohne Rassis-
mus – Schule mit Courage wird eine Schule Teil
eines bundesweiten Netzwerks von Projekt­
träger:innen, Kooperationspartner:innen aus
der Bildungsarbeit sowie den Patinnen und
Paten.

Dieses Netzwerk bietet zahlreiche Möglich­
keiten, sich mit engagierten Schulen, Schü­
ler:in­nen und Lehrer:innen über Erfahrungen
und gelingende Projektideen auszutauschen
und sich fortzubilden. Das Netzwerk unterstützt
die Schulen durch Angebote auf der Bundes-,
Landes- und Regionalebene.

                                                                        11
5.	Themenschwerpunkt Ideologien der
    Ungleichwertigkeit

        Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage be-              dingt äußerlich erkennen kann) werden soziale
        zieht alle Ideologien der Ungleichwertigkeit in             Gruppen konstruiert. Diese Merkmale sind häu-
        seinen Handlungsansatz mit ein. Das bedeutet:               fig sehr schwer oder nicht veränderbar, wie z. B.
        Wir beschäftigen uns gleichermaßen mit Dis­                 ethnische oder kulturelle Herkunft, Religion,
        kriminierung aufgrund der (vermeintlichen)                  Geschlecht, sexuelle Orientierung und Identität,
        Religion, der sozialen oder ethnischen Herkunft,            Alter, Behinderung sowie Armut oder auch Ar-
        des Geschlechts, körperlicher Merkmale, der                 beitslosigkeit.4 Obwohl alle Menschen individu-
        politischen Weltanschauung und der sexuellen                ell sind und sehr viele unterschiedliche Eigen­
        Orientierung.                                               schaften haben, bekommen diese Merkmale
                                                                    eine übermäßige Bedeutung. Den so konstru-
        Ideologien der Ungleichwertigkeit sind Weltan-              ierten Gruppen werden bestimmte Verhaltens-
        schauungen, in denen die Gleichwertigkeit aller             weisen, Stärken und Schwächen zugeschrieben,
        Menschen grundsätzlich abgelehnt wird: Sie                  welche sich dann auf alle Individuen, die der
        unterscheiden also Menschen nach bestimmten                 Gruppe zugeordnet werden, beziehen. Daraus
        Merkmalen und hierarchisieren diese, so recht-              ergibt sich beispielhaft: Alle X sind y …, alle X
        fertigen sie Diskriminierung, Ausgrenzung und               können y, gut oder eben schlecht …
        Abwertung. Damit richten sich diese Ideologien
        der Ungleichwertigkeit gegen die fundamenta­                Diese Kategorisierung und Differenzierung
        len Werte und Rechte, die Deutschland im                    markieren Menschen als „anders“, dies führt
        Grund­gesetz und in den Menschenrechten allen               häufig zu einer Ungleichbehandlung sowie der
        Menschen garantiert.                                        Vorstellung und Rechtfertigung von Ungleich-
                                                                    wertigkeit. Daraus folgt eine Abgrenzung der
        Praktisch äußern sich Ideologien der Ungleich-              „anderen“ zu einem so geschaffenen „Wir“,
        wertigkeit in der sogenannten „Gruppenbezo-                 dem man sich selbst zuordnet, und so führt
        genen Menschenfeindlichkeit“ (GMF), welche                  die Abwertung „der anderen“ zur Aufwertung
        Wissenschaftler:innen seit einigen Jahren kon-              des Selbst und der eigenen Gruppe. Dabei
        tinuierlich untersuchen und erforschen (z. B.               neigen Menschen, die eine bestimmte Gruppe
        Wilhelm Heitmeyer) – Rassismus, Antisemi-                   abwerten, tendenziell eher dazu, auch andere
        tismus, Sexismus und LSBTIQ*3-Feindlichkeit                 Gruppen abzuwerten: So bildet sich das Syn-
        können hier als einige Beispiele von GMF ge-                drom „Gruppenbezogener Menschenfeindlich-
        nannt werden.                                               keit“ (GMF), das auf einer Vorstellung von
                                                                    Ungleichwertigkeit basiert.5

        Gruppenbezogene Menschen­feind­                             GMF führt auch zu dauerhafter und struktu-
        lichkeit und soziale Ungleichheit                           reller Benachteiligung und Diskriminierung: Im
                                                                    Alltag durch Anfeindungen oder Beleidigungen,
        Knapp zusammengefasst funktioniert der Me-                  auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche
        chanismus so: Anhand bestimmter, auch zu-                   und auch in der Schule. Denn soziale Ungleich-
        geschriebener und nicht tatsächlicher Merk-                 heit ist nicht einfach so zufällig in der Gesell-
        male (bspw. wird Menschen aufgrund äußerer                  schaft auf Individuen verteilt, sondern hängt
        Merkmale eine bestimmte Religionszugehörig-                 mit den beschriebenen (zugeschriebenen)
        keit zugeschrieben, die man aber nicht unbe-                Gruppenzugehörigkeiten zusammen. Ideologien
                                                                    der Ungleichwertigkeit bilden also die Grund-
        3   Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*,      lage für gruppenbezogene Menschenfeindlich-
            Inter*, Queere, das Sternchen steht für alle weiteren
            geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientie-    4   Küpper (2016): S. 22.
            rungen.                                                 5   Küpper (2016): S. 21.

12
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit

keit, führen zu Abwertung, Ausgrenzung und
Diskriminierung und zementieren so soziale
Ungleichheit in der Gesellschaft.6

Einzelne Elemente gruppen­
bezogener Menschenfeindlichkeit

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass
es historisch betrachtet häufig die gleichen
Gruppen sind, die abgewertet und benachteiligt      System und immer auch Ausdruck bestehender
werden, was zur oben genannten Manifestierung       Machtverhältnisse.7 Da Rassismus in gleichstel­
sozialer Ungleichheit führt. In den GMF-Studien     lungsorientierten Gesellschaften als illegitim gilt,
sowie den nach­folgenden sogenannten „Mitte-        gibt es viele Ausweichbegriffe dafür, wie bspw.
Studien“ der Universitäten Leipzig und Bielefeld    „Fremdenfeindlichkeit“, „Ausländerfeindlichkeit“
wurde untersucht, wie weit verbreitet GMF in der    oder „Xenophobie“, welche jedoch den Kern des
deutschen Gesellschaft ist. Im Folgenden werden     Problems der Abwertung nur verschleiern.
nun einige Elemente von GMF und Ideologien
der Ungleichwertigkeit vorgestellt.                 „Rassismus“ als Begriff umfasst dabei ver­
                                                    schiedene Rassismen gegen Schwarze Men-
Rassismus                                           schen, gegen Sinti:zze und Rom:nja und gegen
                                                    muslimische Menschen. Im Jahr 2018 zeigt die
Rassismus bedeutet, dass Menschen aufgrund          „Mitte-Studie“, dass 35,6 Prozent der Befrag-
vermeintlicher, zugeschriebener oder tatsäch-       ten Deutschland durch die „vielen Ausländer in
licher körperlicher und/oder kultureller Merk-      einem gefährlichen Maß überfremdet“ sehen.8
male (z. B. Hautfarbe, vermeintliche Herkunft,      Die Zustimmung zu rassistischen Posi­tionen ist
Sprache, Religion, vermeintliche oder tatsäch-      laut „Mitte-Studien“ in den vergangenen Jah-
liche Migrationsgeschichte) als soziale Gruppe      ren eher angestiegen. So stimmen bspw. 55,8
konstruiert, als „die anderen“ markiert (soge­      Prozent der Befragten im Jahr 2018 der Aus-
nanntes „Othering“), negativ bewertet und           sage zu: „Durch die vielen Muslime hier fühle
strukturell benachteiligt werden. Dabei geht        ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen
Rassismus über bewussten Hass hinaus und bil-       Land“ (2014: 43 %, 2016: 50 %).9 Und 56 Pro-
det ein komplexes System, welches vor langer        zent der Befragten hätten Probleme damit,
Zeit konstruiert wurde, dessen Nachwirkungen        wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend auf-
aber bis heute spürbar und zu beobachten sind.      halten (2014: 55,3 %, 2016: 57,8 %).10 Weit
                                                    verbreitet ist außerdem die Abwertung von
Rassismus stellt gesellschaftliche Machtver-        Asylsuchenden; so unterstellen sogar 61,5 Pro-
hältnisse her, die einerseits Privilegien für die   zent der Befragten, dass Asylsuchende gar nicht
ausschließende Gruppe schaffen, anderer­seits       wirklich befürchteten, in ihrer Heimat verfolgt
Menschen aufgrund der zugewiesenen Gruppen­         zu werden (2014: 55,3 %, 2016: 59,9 %).11
zugehörigkeit den Zugang zu bestimmten Res-
sourcen wie Arbeit, Wohnraum und Bildung
schwerer macht. Rassismus ist also kein indivi-     7    Auma (2017).
duelles Vorurteil, sondern ein gesellschaftliches   8    Decker, Brähler 2018: S. 77.
                                                    9    Ibid.: S. 102.
                                                    10   Ibid.: S. 103.
6   Küpper (2016): S. 25 f.                         11   Ibid.: S. 106.

                                                                                                                                 13
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit

                       Rassismus ist also ein weit verbreitetes Problem           sogenannten „Strafbarkeitsschwelle“ bleiben,
                       in Deutschland und das nicht nur bei rechts­ex­            also von der Polizei nicht verfolgt oder nicht
                       tremen Personen.                                           zur Anzeige gebracht werden – sondern im so-
                                                                                  genannten „Dunkelfeld“ bleiben. In zahlreichen
                       Antisemitismus                                             Bundesländern gibt es daher unabhängige In-
                                                                                  formations- und Dokumentationsstellen, um
                       Als Sammelbegriff bezeichnet Antisemitismus                diese Vorfälle zu erfassen, so auch in Schles-
                       unterschiedlich motivierte antijüdische Ein-               wig-Holstein. Die Landesweite Informations-
                       stellungen und Handlungen.12 Er drückt sich in             und Dokumentationsstelle Schleswig-Holstein
                       Übergriffen gegen jüdische Einrichtungen, An-              (LIDA SH) hat für Januar bis Oktober 2019 51
                       feindungen, Beleidigungen und Gewalt gegen                 Vorfälle erfasst, die verschiedenen Erschei-
                       Jüd:innen und judenfeindlichen Schmierereien               nungsformen bspw. dem modernen oder dem
                       aus. Die Leugnung oder die Relativierung des               israelbezogenen Antisemitismus, zuzuordnen
                       Holocausts ist eine antisemitische Verhaltens­             sind.16 Außerdem gaben bei einer Befragung
                       weise und zudem in Deutschland strafbar. Auch              von Jüd:innen in Deutschland im Jahr 2018 41
                       Aussagen über den Nahostkonflikt oder ver-                 Prozent der Befragten an, dass sie im letzten
                       meintliche Israelkritik kann antisemitisch sein,           Jahr von antisemitischen Taten betroffen waren.17
                       wenn z. B.dem Staat Israel das Existenzrecht
                       abgesprochen wird.13 Dabei ist Antisemitismus              Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches
                       keineswegs nach 1945 aus der deutschen Ge-                 Problem, das in verschiedenen Erscheinungs-
                       sellschaft verschwunden. Er ist sehr wand-                 formen und Handlungen zum Ausdruck kommt.
                       lungsfähig; für komplexe gesellschaftliche Pro-            Auch die Verwendung des Wortes „Jude“ als
                       bleme und Krisen, liefert der Antisemitismus               Schimpfwort ist eine antisemitische Beleidigung
                       eine einfache Erklärung, indem er die „Juden“              und sollte daher auf Schulhöfen und anderswo
                       verantwortlich macht. Häufig spielen dabei                 keinen Platz haben.
                       auch Verschwörungsideologien eine große Rolle.
                                                                                  Sexismus
                       Und obwohl antisemitische Aussagen stark ver-
                       pönt sind und häufig ein Tabu darstellen, sind             Sexismus wird definiert als individuelle Einstel-
                       antisemitische Einstellungen konstant in der               lungen und Verhaltensweisen oder institutio-
                       deutschen Gesellschaft verbreitet. So zeigt die            nelle und kulturelle Praktiken, die entweder eine
                       „Mitte-Studie“ von 2018, dass etwa 10 Prozent              negative Bewertung einer Person aufgrund des
                       der Befragten zustimmen, dass „auch heute                  Geschlechts widerspiegeln oder den ungleichen
                       noch der Einfluss der Juden zu groß“ sei.      14
                                                                                  Status zwischen Frauen und Männern in der Ge-
                                                                                  sellschaft aufrechterhalten.18 Er spiegelt ein ge-
                       Im Jahr 2019 ist die Anzahl antisemitischer                sellschaftliches Machtverhältnis wider, in dem
                       Straftaten in Deutschland im Vergleich zum                 Männer eine privilegierte Position haben und
                       Vorjahr um 13 Prozent auf 2032 gestiegen.15                deshalb primär Frauen als von Sexismus betrof-
                       Doch Antisemitismus äußert sich auch in Über-              fen gelten.19
                       griffen und Anfeindungen, die unterhalb der
                                                                                  Sexismus bezeichnet jede Form der Diskriminie-
                       12 Bergmann (2006): S. 1.                                  rung aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts
                       13 https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/antisemi-
                          tismus/was-ist-antisemitismus/ (Zugriff: 19.9.2020);    16 LIDA-SH (2020): S. 25.
                          vgl. auch Antisemitismus-Definition der International   17 European Union Agency for Fundamental Rights 2018:
                          Holocaust Remembrance Alliance.                            S. 47.
                       14 Decker, Brähler (2018): S. 78.                          18 Swim (2009).
                       15 Bundeskriminalamt (2020): S. 5.                         19 Diehl, Rees, Bohner (2014): S. 1.

14
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit

und wird in dieser Form auch in der Gesetzge-          2017 auch in Deutschland vom Bundestag ver-
bung, im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz           abschiedet wurde, ist ein wichtiger Schritt zur
(AGG) definiert. Strukturelle Benachteiligung          rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare.
zeigt sich zum Beispiel darin, dass Frauen nach        Dennoch sind menschenfeindliche und abwer­
wie vor in Positionen unterrepräsentiert sind, die     tende Einstellungen gegenüber LSBTIQ* in
mit Macht und Status zusammenhängen, dafür             Deutschland nach wie vor weit verbreitet.
aber überproportional mehr Sorge- und Pflege-
tätigkeiten übernehmen. Frauen werden im All-          Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass 12
gemeinen schlechter bezahlt. Im sogenannten            Prozent der Befragten Homosexuellen gegen-
„klassischen“ Sexismus werden Frauen auf ihre          über sehr oder eher negativ ein­gestellt sind,
Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter be-             gegenüber Bisexuellen sind es 13 Prozent, ge-
schränkt und es wird eine biologistisch begrün-        genüber Trans*Personen sogar 17 Prozent.25
dete Passivität oder auch übersteigerte Emotio-        Seit 2017 gibt es die rechtliche Gleichstellung
nalität unterstellt.20 Laut Leipziger „Mitte-Studie“   in der Ehe für homosexuelle Paare und die Be-
von 2016 stimmen ca. 20 Prozent Aussagen wie           fürwortung der Ehe für alle steigt in den ver-
„Die Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle      gangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich
als Ehefrau und Mutter besinnen“ zu.21                 an.26 Dennoch stimmen im Jahr 2018 17,4 Pro-
                                                       zent der Befragten nicht zu bei der Frage, ob
Sogenannter „moderner“ Sexismus äußert sich            eine Ehe zwischen zwei Frauen bzw. zwei Män-
darin, dass die Diskriminierung aufgrund des           nern erlaubt sein sollte.27 Und 24,2 Prozent der
Geschlechtes abgestritten wird. 51,4 Prozent           Befragten sind gegen ein gleichwertiges Adop-
stimmen der Aussage „Die Diskriminierung               tionsrecht für homosexuelle Paare.28 In Bezug
von Frauen ist in Deutschland immer noch ein           auf Trans*Personen zeigt sich, dass 33,2 Pro-
Problem“ überhaupt nicht oder eher nicht zu.22         zent der Befragten eher oder voll und ganz zu-
Eine Benachteiligung von Frauen in der Be-             stimmen, dass es nicht „normal [sei], wenn
schäftigungspolitik sehen 45,1 Prozent der Be-         ein Mann lieber eine Frau oder umgekehrt eine
fragten überhaupt oder eher nicht.23                   Frau lieber ein Mann sein will.“29

Neben faktischer Benachteiligung sind aber             Dabei sind vielfältige Lebensweisen und auch
auch Geschlechterstereotype, das Festhalten            sogenannte „Regenbogenfamilien“ in Deutsch-
an herkömmlichen Geschlechterrollen und                land längst Realität und Benachteiligungen
gesellschaftliche Erwartungen an geschlechts­          aufgrund der sexuellen Identität durch das All-
spezi­fische Verhaltensmuster in den Blick zu          gemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ver-
nehmen. Diese bedingen wiederum sexistische            boten. Und während Nichtbetroffene häufig gar
Verhaltensweisen und Vorstellungen.                    nicht wissen oder gar bestreiten, dass es Diskri-
                                                       minierung gegen LSBTIQ* in Deutschland gäbe,
LSBTIQ*-Feindlichkeit                                  berichten Betroffene durchaus darüber: abwer-
                                                       tende Sprüche, Beleidigungen, Ausgeschlossen-
LSBTIQ* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle,         sein, bis hin zu körperlichen Angriffen.
Trans*, Inter*, Queere, das Sternchen steht für
alle weiteren geschlechtlichen Identitäten und
sexuellen Orientierungen.24 Die Ehe für alle, die
20   Decker et al. (2016): S. 57 f.                    25   Küpper et al. (2017): S. 53.
21   Decker et al. (2016): S. 58.                      26   Ibid.: S. 60.
22   Decker et al. (2016): S. 58.                      27   Ibid.: S. 57.
23   Ibid.                                             28   Ibid.: S. 57.
24   vgl. Fibel. Echte Vielfalt.                       29   Ibid.: S. 59.

                                                                                                                                     15
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit

                                                                            jährigen an und bleibt über die Grundschule bis
                                                                            in die weiterführenden Schulen und die Hoch-
                                                                            schulen relevant. Die soziale Herkunft und der
                                                                            soziale Status der Herkunftsfamilie tragen in
                                                                            Deutschland also entscheidend dazu bei, wel-
                                                                            che Bildungschancen Menschen haben, welche
                                                                            Abschlüsse sie erreichen und wie viel Einkom-
                                                                            men sie später verdienen werden. Damit wird
                                                                            das vom Grundgesetz vorgegebene Ziel, nie-
                                                                            manden wegen seiner Herkunft zu benachteili-
                                                                            gen, verfehlt.

                       Klassismus                                           Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage stellt
                                                                            sich gegen jede Form von Ungleichwertigkeits-
                       Klassismus bezeichnet die Diskriminierung auf-       vorstellungen. Diskriminierung, ob aufgrund
                       grund des tatsächlichen oder zugeschriebenen         der Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder
                       sozialen Status oder der sozialen Position. Klas­    der sexuellen Orientierung, die den Grundwer-
                       sismus ist, obwohl er neben Rassismus und            ten unserer Gesellschaft widersprechen darf in
                       Sexismus zu den zentralen Ungleichwertigkeits­       der gesamten Gesellschaft nicht als Normalität
                       vorstellungen gehört, in Deutschland weit we-        hin­genommen werden. Darum müssen wir jeden
                       niger bekannt und beachtet. Dabei bedeutet           Tag dafür kämpfen, in einer gerechteren und
                       Klassismus für die betroffenen Personen alltäg-      diskriminierungsfreieren Gesellschaft leben zu
                       liche und strukturelle Diskriminierung in Form       können.
                       von Ausbeutung, Ausgrenzung und Gewalt.30
                       Menschen in Armutsverhältnissen wird bspw.
                       gewalttätiges Verhalten oder Alkoholismus un-        Literatur und Quellen
                       terstellt, obwohl dies überall in der Gesellschaft
                       vorkommt. Negative Vorurteile und Ungleich-          Auma, Maisha-Maureen (2017). Rassismus. In:
                       wertigkeitsvorstellungen dienen als Rechtfer-           Dossier Migration. Online abrufbar unter:
                       tigung für Benachteiligung. So finden in der            https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/
                       Leipziger „Mitte-Studie“ von 2018 30,5 Prozent          dossier-migration/223738/rassismus?p=all
                       der Befragten die folgende Aussage teilweise            (letzter Abruf: 10.7.2020).
                       oder voll und ganz zutreffend: „Wer nicht ar-        Bergmann,Werner (2006):Was heißt Anti­
                       beitet, soll auch nicht dieselben Rechte haben          semi­tismus? Online abrufbar unter:
                       wie andere.“31                                          https://www.bpb.de/politik/extremismus/
                                                                               antisemitismus/37945/was-heisst-
                       Häufig wird dabei unterstellt, dass Menschen,           antisemitismus (letzter Abruf:18.9.2020)
                       die in Armut leben, irgendwie selbst an ihrer        Bundeskriminalamt (2020). Politisch motivierte
                       Situation Schuld seien. Dabei zeigen Studien            Kriminalität im Jahr 2019 – Bundesweite
                       und auch länderübergreifende Untersuchungen             Fallzahlen. Online abrufbar unter: https://
                       wie die sogenannten „Pisa“-Studien, dass in             www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/
                       Deutschland der Bildungserfolg stark von der            DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019.
                       sozialen Herkunft abhängt. Das fängt bereits            pdf?__blob=publicationFile&v=8 (letzter
                       bei der frühkindlichen Bildung der unter Drei-          Abruf: 29.7.2020).
                       30 Kemper (2018): S. 7.
                                                                            Czollek, Leah Carola; Perko, Gudrun; Weinbach,
                       31 Decker, Brähler (2018) s. Fn. 8.                     Heike (2012). Praxisbuch Social Justice und

16
Themenschwerpunkt Ideologien der Ungleichwertigkeit

   Diversity. Theorien, Training, Methoden,        Küpper, Beate; Klocke, Ulrich; Hoffmann, Lena-
   Übungen. München/Weinheim: Juventa/                Carlotta (2017). Einstellungen gegenüber
   Beltz Verlag.                                      les­bischen, schwulen und bi­sexuellen
Decker, Oliver; Brähler, Elmar (Hrsg.) (2018).        Menschen in Deutschland. Antidiskrimi­
   Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme               nierungs­stelle des Bundes (Hrsg.). Baden-
   Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft.           Baden: Nomos. Online abrufbar unter:
   Gießen: Psychosozial-Verlag.                       https://www.antidiskriminierungsstelle.de/
Decker, Oliver; Kiess, Johannes; Eggers, Eva;         SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/
   Brähler, Elmar (2016): Die Ergebnisse der          Umfragen/Handout_Themenjahrumfrage_
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   Einstellung in Deutschlang. In: Decker,            26v%3D3 (letzter Abruf: 29.7.2020).
   Oliver; Kiess, Johannes, Brähler, Elmar         Küpper, Beate (2016). Ideologien der Ungleich­
   (Hrsg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre           wertigkeit und das Syndrom Gruppen­
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   Deutschland. Psychosozial-Verlag: Gießen.          Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Ideologien
Diehl, Charlotte; Rees, Jonas; Bohner, Gerd           der Ungleichwertigkeit. Schriften zur
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   die-sexismus-debatte-im-spiegel-                   Online abrufbar unter: https://www.lida-sh.
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   (Hrsg.) (2016). Soziale Herkunft und Bil­          Unrast Verlag.
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   Klassismus. Eine Einführung. Münster:              Rassismuskritik. Versuch einer Bilanz über
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   Erste Auflage. Hrsg. Schule ohne Rassismus –       in: Todd D. Nelson (Hrsg.), Handbook of
   Schule mit Courage in Trägerschaft der Aktion      Prejudice, Stereotyping, and Discrimination,
   Courage e. V. Berlin.                              New York.

                                                                                                                           17
6. Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur

       Schule ist ein Ort der Meinungsbildung, ein Ort     „Zu Demokraten werden wir nicht geboren,
       der Wertebildung, ein Ort der Kompetenzbildung      zu Demokraten werden wir durch Erziehung
       und ein Ort der Charakterbildung32                  und Bildung (...) durch nachhaltige Prozesse in
                                                           Kindheit und Jugend, die unsere Kompetenzen
       Das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit      prägen und unseren Erfahrungen ihre Bedeu-
       Courage regt dazu an, sich aktiv für das Klima      tung verleihen.“34
       des Miteinanders an der eigenen Schule ein-
       zusetzen. Dabei geht es nicht nur darum, sich       Demokratiebildung bedeutet, Kinder und Ju-
       gegen alle Formen der Diskriminierung und           gendliche in ihren Werten, Einstellungen und
       Ideologien der Ungleichwertigkeit zu positi-        Haltungen zu stärken. Demokratie bedeutet in
       onieren, sondern auch um die Gestaltung des         diesem Zusammenhang: gegenseitige Anerken-
       Miteinanders, um eine Schule, in der alle glei-     nung und Teilhabe an Entscheidungen, Offen-
       chermaßen willkommen sind.                          heit und ernsthafte Diskussion über die Grund-
                                                           lagen des gemeinsamen Zusammenlebens. Sie
                                                           bedeutet Gewaltlosigkeit, Rücksicht, Empathie,
       Demokratiebildung                                   Toleranz und Solidarität im Verhalten zu ande-
                                                           ren. Das „Große“ fängt im „Kleinen“ an.35
       Demokratiebildung wird häufig als eine Mög-
       lichkeit der Prävention von Rechtsextremis-         Dies umfasst Grundrechteklarheit und Men-
       mus genannt, weil sich zum Beispiel Mitbe-          schenrechtsorientierung, die Anerkennung von
       stimmung und Anerkennung positiv stärkend           Minderheiten, die Auseinandersetzung und Re-
       auswirken und damit einer möglichen Gefähr-         flexion von Werten sowie die Entwicklung von
       dung vorbeugen. An der Schule gelebte Werte         Diversitäts- und Vorurteilsbewusstsein. Demo-
       wie Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit sind    kratisches Handeln zielt auf Beteiligung, Enga-
       gleichzeitig auch eine Basis dafür, dass anti-      gement und Zivilcourage.
       demokratisches und rechtspopulistisches oder
       -extremes Gedankengut keinen Boden zum              Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage wirkt
       Wachsen findet.                                     insofern als Empowerment für Demokratie, als
                                                           dass das Projekt die Handlungsmotivation auf
       Und natürlich gibt es einen weiteren Zusam-         individueller Ebene stärkt. Im Rahmen des Pro-
       menhang: Wer sich gegen Rassismus einsetzt,         jektes schließen sich Menschen zusammen, um
       setzt sich für die Wahrung der Grund- und           sich auszutauschen und gemeinsam aktiv zu
       Menschenrechte ein.                                 werden, um Veränderungen in ihrem Lebens-
                                                           umfeld Schule zu bewirken. Das geht zusam-
       Demokratiepädagogische Ansätze haben aber           men mit einem aktivierenden Verständnis von
       darüber hinaus Demokratie als Wert für sich im      Teilhabe, Debatten, Pluralität und damit demo-
       Blick. Sie betrachten Demokratie vor allem in       kratischem Handeln.
       der Perspektive als Lebensform,33 als eine Hal-
       tung und Einstellung im Alltag: sich einzubrin-     Die zentrale Frage des Courage Netzwerks ist:
       gen, andere Meinungen zu akzeptieren, ge-           „Wie wollen wir zusammenleben?“ Wie gelingt
       meinsam Herausforderungen zu lösen und sich         ein Miteinander? Was sind verbindende Werte?
       gemeinsam für eine gerechte Welt und einen          Was sind individuelle Freiheiten, wo sind die
       fairen Umgang untereinander zu engagieren.          Grenzen?

       32 http://jugendmachtzukunft.blogspot.com/p/blog-
          page_31.html                                     34 Edelstein 2007.
       33 Himmelmann 2005: S. 20 f.                        35 Himmelmann 2016.

18
Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur

Vielfalt Raum geben                               Abbildung 1: Diversity Kategorien

Schule ist ein Ort, an dem Menschen mit den                                                 finanzieller
                                                                                 Sprachen
unterschiedlichsten Erfahrungen und Hinter-                                                    Status
                                                                   Kommuni­                             Gewohn­
gründen miteinander leben und lernen. In der                       kationsstil                           heiten
Praxis ist es eine Herausforderung, dieser von
Vielfalt geprägten Realität und damit den Kin-              Bildung                                            Arbeit und
                                                                                                               Tätigkeiten
dern und Jugendlichen in ihrer Individualität
und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.
                                                                                        Alter
                                                      Wohnort                                                     Familienstand
Vielfalt Raum geben bedeutet, Heterogenität
                                                                           sexuelle             körperliche
als Normalität zu denken und den Blick für                               Orientierung           und geistige
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu öffnen.          Freizeit­                                  Fähigkeiten              familäre
                                                    gestaltung                                                           Herkunft
Wann spielt Differenz eine Rolle auf dem Weg
                                                                          Hautfarbe                ethnische
zur Chancengleichheit? Wann führt nur Gleich-                                                      Herkunft
behandlung zu Gerechtigkeit?                         Wohn- und                                                         besondere
                                                     Lebens­form                                                      Fähigkeiten
                                                                                      Geschlecht

Die unterschiedlichen Differenzkategorien
                                                          Migrations­                                             Milieu­
werden in Abbildung 1 deutlich. Vieler dieser              erfahrung                                            zugehörig-
Kategorien sind dabei keine individuellen                                                                          keit
Eigen­schaften, sondern soziale Konstruktionen.                                                         Persönlich­
                                                                  Nationalität
Unter dem Stichwort Intersektionalität wird die                                                          keitstyp
                                                                                            Mitglied­
Verwobenheit der unterschiedlichen Kategorien                                    Religion
                                                                                            schaften
miteinander untersucht, bspw. das Zusammen-
wirken von Geschlecht und Herkunft.               Quelle: eigene Darstellung

Gesellschaftliche Realität ist, dass Menschen     den Blick einer kulturellen Zugehörigkeit hin-
bestimmten Kategorien zugeordnet und infolge      ausgehen.
unterschiedlich bewertet werden. Einige Diffe-
renzkategorien sind dabei gesellschaftlich        Diversität als Querschnittsgedanken umzuset-
wirkmächtiger als andere. Es ist wichtig, sich    zen erfordert, Schule und Unterricht so zu ge-
bewusst zu machen, dass es vielfältige Per-       stalten, dass die Rechte aller Beteiligten geach-
sönlichkeitsmerkmale gibt und niemand nur         tet werden und die Lernumgebung möglichst
aufgrund eines Merkmals wie zum Beispiel          inklusiv, partizipativ und diskriminierungs­
Geschlecht oder Religion wahrgenommen wer-        kritisch ist. Dies umfasst auch die Auswahl
den sollte. So eröffnen sich für Kinder und       von didaktischen Methoden und Materialien
Jugendliche neue Möglichkeitsräume und Res-       beziehungsweise die Reflexion stereotyper
sourcen; es werden Fähigkeiten und Kenntnisse     Darstellungen in Schulbüchern und sonstigen
sichtbar, die weit über einen bspw. verengen-     Bildungs­medien.

                                                                                                                                    19
Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur

                      Identität, Anerkennung und
                      Zugehörigkeit

                      Kinder und Jugendliche haben das Bedürfnis
                      nach Anerkennung und Zugehörigkeit. Ob
                      jemand sich anerkannt fühlt, hängt eng mit
                      der Erfahrung zusammen, sichtbar werden zu
                      können, gesehen zu werden, eingebunden und
                      beteiligt zu sein. Schulen können ein solches
                      an Diversität orientiertes Identitätsangebot
                      machen.

                      Anerkennung ermöglicht Zugehörigkeit, der
                      Mangel an Anerkennung schließt aus. Die Kon-
                      fliktforschung benennt einen direkten kau­salen
                      Zusammenhang zwischen dem individuellen
                      Gefühl der Anerkennung und der Bereitschaft,
                      andere Menschen und Gruppen abzuwerten.36

                      Rechtspopulistische Gruppen nutzen dieses
                      und machen Identitätsangebote durch die
                      feindbildgestützte Konstruktion von „Wir“
                      gegen „die anderen“, was in der Abwertung,
                      Diskriminierung oder Gewaltanwendung ge-          Beteiligung findet strukturell in den Gremien, in
                      genüber der Outgroup münden kann. Die             der Schulkonferenz, als Schüler:innen­ver­tretung
                      Erfahrung von unterschiedlichen Gruppen­          oder in Form von Stufenkonferenzen statt.
                      zugehörigkeiten kann solche starren Polari-
                      sierungen aufweichen und zur Förderung von        Sie kann aber ebenso im Schulalltag stattfin-
                      Austausch und Dialog beitragen.                   den, bspw. durch Einbeziehung in die Gestal-
                                                                        tung des Schulgebäudes, der Klassenräume
                                                                        oder des Schulhofes.
                      Mitbestimmung/Partizipative
                      Schulkultur                                       Auch die Frage nach dem Zielort für den nächs-
                                                                        ten Ausflug sollte eine gemeinsame Entschei-
                      In der Schule, unabhängig vom Schultyp, gibt es   dung sein. Partizipation im Unterrichtsalltag
                      vielfältige Gestaltungs- und Mitbestimmungs­      gelingt, indem Projekttage oder eine Exkursion
                      möglichkeiten. Schüler:innen als größte Inter-    eigenständig geplant und Referent:innen in den
                      essengruppe sollten in ihren Anliegen und Inte-   Unterricht eingeladen werden.
                      ressen ernst genommen und in die Entwicklung
                      der Schulstrukturen, Rahmenbedingungen und        Auch in der Gestaltung des Ganztagkonzeptes
                      Unterrichtsgestaltungen einbezogen werden.        können Schüler:innen eingebunden werden,
                                                                        indem sie ihre Vorstellungen von Nachmittags-
                                                                        und Freizeitangeboten äußern. Auch eigene
                                                                        Nachmittagsprojekte, zum Beispiel zu Schule
                                                                        ohne Rassismus – Schule mit Courage, können
                      36 Heitmeyer 2002–2012                            darunterfallen.

20
Themenschwerpunkt demokratische Schulkultur

Wichtig ist, dass die Schüler:innen über die       Zivilcourage
Möglichkeiten ihrer Mitbestimmung informiert
sind und ihre Meinung gehört wird. Ein echtes      Zivilcourage ist der Mut, für die eigene Meinung
Mitbestimmungsrecht umfasst Abgabe von             und Überzeugungen und für die Rechte der an-
Macht und Räume zum Erproben.                      deren einzutreten. Solches Handeln bewirkt,
                                                   dass Gewalt und Vorurteile nicht im Schatten
Kinder und Jugendliche erkennen eigene Be-         von Gleichgültigkeit und in dem Gefühl wach-
dürfnisse und Rechte wie auch die der anderen,     sen können: Das geht mich nichts an ...
sie setzen sich mit den unterschiedlichen In-
teressen auseinander und gestalten Aushand-        Grundlegende Voraussetzungen für zivilcou-
lungsprozesse. Moderation, Präsentation und        ragiertes Handeln ist zum einen die Fähigkeit,
manchmal auch die Überwindung der Angst,           sich in die Interessen, Denkweisen und Empfin-
vor Menschen zu sprechen, sind in diesem Zu-       dungen von anderen hineinzuversetzen und den
sammenhang wichtige Schlüsselkompeten-             anderen als eigenständige Person mit eigenen
zen. Durch die aktive Übernahme von Verant-        Rechten anzuerkennen. Daneben geht es um
wortung erfahren sie Selbstwirksamkeit. Nicht      die Wahrnehmung und die Sensibilisierung für
zuletzt erhöhen Mitbestimmung und Mitge-           Not- und Gefahrensituationen, aber auch für
staltung das Gefühl der Zugehörigkeit und die      Diskriminierungen und Ausgrenzung.
Identifikation mit ihrer Schule.
                                                   Und es braucht sowohl die Zuversicht, Dinge
                                                   ändern zu können, als auch die Empörung über
Streitkultur und Konfliktfähigkeit                 wahrgenommene Ungerechtigkeiten oder Em-
                                                   pathie für jene, deren Rechte verletzt werden.
Zu einer Streit- und Konfliktkultur gehört, dass   Verstärkt wird die Solidarität untereinander in
um Positionen gestritten und gerungen wird.        der Schule, wenn die gegenseitige Achtung mit
Ziel ist, Schüler:innen demokratische, gewalt-     der Suche nach gemeinsamen Werten und Re-
freie und den Menschenrechten verpflichtete        geln einhergeht.
Problemlösungskompetenzen zu vermitteln,
die sie befähigen, mit divergierenden Interessen   Wie würde ich mich in einer solchen Situation
in einer offenen Gesellschaft konstruktiv um-      verhalten und was könnte ich tun? Im Rahmen
zugehen.                                           von Argumentations- oder Zivilcouragetrai-
                                                   nings kann man sich mit unterschiedlichen
Es braucht eine diskursive Auseinandersetzung      Situationen, in denen mutiges Eingreifen nötig
mit anderen Standpunkten, Haltungen und            ist, auseinandersetzen und diese erproben.
Sichtweisen. Dabei werden möglicherweise
Werte, Urteile, Haltungen und Meinungen in-
frage gestellt – innere Orientierungspunkte
also, die emotional behaftet und verankert sind.

Solche Kontroversen können auch für Irritati-
onen sorgen, die geschlossene Weltbilder ver-
hindern und vorgefestigte Meinungen infrage
stellen.

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