Jahrgang Frühjahr 2019 - Evangelische Akademie ...

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Jahrgang Frühjahr 2019 - Evangelische Akademie ...
40. Jahrgang		            Frühjahr 2019     Heft 130

Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde
Themenseiten: Der Kirchenwald

Themenseiten:
Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Jahrgang Frühjahr 2019 - Evangelische Akademie ...
Inhalt

Editorial                                                                         3

Personalie
Die neue Studienleiterin im Programmbereich Theologie,
Politik und Kultur stellt sich vor (Eva Harasta)                                 4
Projektstelle „Konfis und die Eine Welt“ (Miriam Meir)                           5

Kohleausstieg
Stellungnahme zu den Empfehlungen der „Kohlekommission“                           7

Gentechnik
Genome Editing in der Landwirtschaft                                             9

Handlungsempfehlungen
Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht Handlungsempfehlungen
„Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag“                                11

Interview
Christen für Klimagerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung
Interview mit Dr. Wendelin Bücking (Eckhard Pohl)                                13

Veranstaltungshinweise
Der „Grüne Hahn“ – Neuer Umweltauditorenkurs startet im Juni                     17
Vögel im Sinkflug – Zur Situation der Sing- und Feldvögel in Mitteldeutschland   19

Lesetipp
Ernst Paul Dörfler: NESTWÄRME – Was wir von Vögeln lernen können.                20

Rezensionen
Die Nähe zu den Vögeln (Christoph Kuhn)                                          21
„Nestwärme – was wir von den Vögeln lernen können“ (Franz Schneider)             24

Impressum                                                                        25

Zum Schluss
Gebet                                                                            26

Die Themenseiten
Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Jahrgang Frühjahr 2019 - Evangelische Akademie ...
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich, dass sich in dieser Ausgabe der BRIEFE gleich zwei neue
Kolleginnen vorstellen. Eva Harasta ist Studienleiterin für Theologie, Politik
und Kultur an der Evangelischen Akademie in Wittenberg und bringt auf-
grund ihrer Biografie Wiener Charme nach Wittenberg. Miriam Meir leitet
ein neu gestartetes Konfirmanden-Projekt: Konfis und die Eine Welt. Mit ihr
haben wir den Blick junger Erwachsener mit im Kollegium, das insgesamt
weiblicher wird.

In diesem Heft finden Sie keine Berichte aus den Landeskirchen, dafür den
Kommentar der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbeauftragten zur Empfehlung
der Kohlekommission, einen Zwischenruf zum Thema Genome-Editing von
der AGU, EDL und Brot für die Welt sowie einen Beitrag zu den Handlungs-
empfehlungen der Deutschen Bischofskonferenz „Schöpfungsverantwor-
tung als kirchlicher Auftrag“.

Erstmals haben wir zwei Rezensionen für ein Buch abgedruckt; es wäre zu
schade, die eingereichten Texte nicht zu veröffentlichen. Lesen Sie selbst!

Im Thementeil widmen wir uns dem großen Feld der Digitalisierung und der
Frage, welchen Einfluss die digitale Welt auf die globalen Nachhaltigkeits-
ziele und in den Kirchen hat.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Frühlingszeit!

Siegrun Höhne

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019         3
Jahrgang Frühjahr 2019 - Evangelische Akademie ...
Personalie

Die neue Studienleiterin im Programmbereich
Theologie, Politik und Kultur stellt sich vor

von Eva Harasta

                  Theologie, Politik und Kultur – es ist ein weites Feld, für das
                  ich seit 1. Oktober 2018 an der Wittenberger Evangelischen
                  Akademie verantwortlich bin. Das Besondere ist dabei
                  der theologische Zugang zu politischen und kulturellen
                  Themen.

                   Die ersten Monate auf meiner neuen Stelle waren
                   bereits dicht gefüllt. Hervorzuheben sind besonders die
                   Lutherstudientage zum Thema „Maria zwischen den
Konfessionen“, bei denen ich meinen allerersten Wittenberger Vortrag halten
durfte – zur Frage, welche Bedeutung Maria für den heutigen evangelischen
Glauben hat. Als zweites sei die neue Reihe „Evas Versuchungen zur
Theologie“ erwähnt, bei der ich an vier Abenden pro Jahr alte theologisch
Fragen in die Gegenwart hole (2019: Himmel und Hölle im Frühjahr, Freiheit
und Gehorsam im Herbst).

Im Bereich Politik plane ich, die Auseinandersetzung mit Fragen der gesell-
schaftlichen Teilhabe und Inklusion fortzusetzen. Ein erster Beitrag dazu
war die Podiumsdiskussion „Kirche und Rechtspopulismus“ im Rahmen der
Leipziger Buchmesse. Im Bereich „Kultur“ werde ich den Programmschwer-
punkt zur Literatur fortsetzen – etwa mit der Tagung zu Christa Wolf Mitte
November 2019 –, strebe aber auch danach, zeitgenössische künstlerische
Positionen noch stärker zur Geltung zu bringen als bisher.

Beruflich habe ich schon in verschiedenen Kontexten gearbeitet: an der
Universität, in der Kirche und in der Bildungsarbeit. Ich bin ordinierte
Pfarrerin der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in
Österreich und habilitierte systematische Theologin. Am 10. März 2019
(Invocavit) wurde ich in einem festlichen Gottesdienst in der Schlosskirche zu
Wittenberg von Propst Dr. Dr. h.c. Johann Schneider und Akademiedirektor
Pfarrer Friedrich Kramer eingeführt.

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Jahrgang Frühjahr 2019 - Evangelische Akademie ...
Personalie

Projektstelle „Konfis und die Eine Welt“
Die neue Studienleiterin stellt sich vor

von Miriam Meir

                  Zum Januar 2019 hat die Evangelische Akademie
                  Sachsen-Anhalt gefördert durch Brot für die Welt
                  die Projektstelle „Konfis und die Eine Welt“ ins Le-
                  ben gerufen. Ihr Ziel ist es, Globales Lernen unter
                  Nutzung digitaler Medien in die Arbeit mit Kon-
                  firmandinnen und Konfirmanden zu integrieren.
                  Die Stelle knüpft an vorige Projekte im Studienbe-
                  reich „Globales Lernen“ an und baut auf bestehende
                  Schwerpunkte der Akademiearbeit in den Bereichen
Umwelt und Ethik, Religion und Politik sowie der politischen Jugend-
arbeit mit digitalen Medien auf.

Ich freue mich sehr, dass mir diese Aufgabe anvertraut worden ist. In
meinem Studium der europäischen Studien setzte ich mich mit globalen
Zusammenhängen auseinander und beschäftigte mich mit der Rolle von
Kirche. In meiner Zeit in der ESG Leipzig lernte ich darüber hinaus theo-
logische Perspektiven kennen. Dabei sehe ich es als große Chance, dass
die zunehmenden globalen Verflechtungen und die Digitalisierung es uns
ermöglichen, Kontakte auf der ganzen Welt zu knüpfen und an diesen Be-
gegnungen festzuhalten. Auf der anderen Seite sind wir mit gemeinsamen
Herausforderungen konfrontiert – vom Klimawandel bis hin zu struktu-
reller Ausbeutung.

Konfirmandinnen und Konfirmanden wachsen heute in diese globalisierte
Welt hinein. In ihr streben sie nach Gerechtigkeit und möchten Verant-
wortung für andere übernehmen. Umso schöner ist es, wenn sie sich in der
Konfi-Arbeit mit Themen des Globalen Lernens auseinandersetzen können
und Wege kennenlernen, um sich als Christinnen und Christen für unsere
Eine Welt zu engagieren und sie zu gestalten. Hier gibt es bereits viele en-
gagierte und interessierte Konfi-Verantwortliche, deren Ideen und Projekte
aufgegriffen, verbreitet und vernetzt werden können.

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019       5
Personalie

Meine Arbeit setzt sich aus zwei Schwerpunkten zusammen. Zum einen
vernetze ich Verantwortliche der Konfirmationsarbeit mit Expertinnen und
Experten der Entwicklungspolitik und der kirchlichen Medienarbeit an vier
regionalen Standorten in Deutschland sowie bundesweit im Zuge von Fort-
bildungen und Vernetzungstreffen. Zum anderen begleite ich den gemein-
samen Austausch durch die Entwicklung und Aufbereitung von Methoden
und Bildungseinheiten. Insbesondere die Nutzung digitaler Medien birgt
hier die Chance, Inhalte des Globalen Lernens spielend zu vermitteln. Diese
erprobe ich exemplarisch mit Konfirmandinnen und Konfirmanden in Lu-
therstadt Wittenberg und auf den dortigen bundesweiten KonfiCamps. Die
Ergebnisse werde ich in einem Blog sowie in Zeitschriften und auf anderen
Webseiten veröffentlichen.

Ich freue mich sehr auf die künftigen Zusammentreffen und bin gespannt
auf den Austausch, fruchtbare Ideen und Projekte.

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Kohleausstieg

Stellungnahme zu den Empfehlungen der „Kohlekommission“
des Umweltbeaufragten des Rates der EKD, Prof. Hans Diefenbacher und
der Referentin für Nachhaltigkeit der EKD, Dr. Ruth Gütter

Am 25.1.2019 hat die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Be-
schäftigung“, die sogenannte „Kohle-Kommission“, ihren Endbericht vor-
gelegt. Die erste Welle der Aufmerksamkeit in Politik, Medien und anderen
Formen der Öffentlichkeit war sehr groß, in der Regel fielen die Kommentare
verhalten positiv aus, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Perspektiven:
Den einen geht der Ausstieg aus der Kohle nicht schnell genug, die ande-
ren finden schon allein die Festlegung eines Enddatums als gewagt; wieder
anderen erscheint das Maßnahmenpaket zu umfangreich und zu teuer. Die
Gefahr insgesamt ist groß, dass das Thema jetzt wieder von anderen Mel-
dungen verdrängt wird. Aber dazu ist das Thema zu wichtig.

Zunächst begrüßen wir die Tatsache, dass in der von der Bundesregierung
eingerichteten und heterogen besetzten Kommission überhaupt ein Kompro-
miss gefunden wurde, der den Einstieg in den sozialverträglichen Kohleaus-
stieg einläutet. Angesichts der sehr unterschiedlichen Interessen, die dort
verhandelt wurden, war das nicht selbstverständlich. Nun muss die Bun-
desregierung den Empfehlungen der Kommission auch folgen. Zu begrüßen
ist weiterhin, dass umfangreiche Finanzmittel zur sozialen Abfederung des
Prozesses beschlossen wurden. Beides hatten die EKD und vom Kohleaus-
stieg betroffene Landeskirchen seit längerer Zeit gefordert.

Die Empfehlung der Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung,
aber sie sind erst ein Anfang. Viel ist noch zu tun, damit die Energiewende
tatsächlich gelingt. Ein Ausstieg aus der Kohle bedeutet, dass man sich mit
vielen anderen Themen auseinandersetzen muss: Vor allem der Ausbau der
erneuerbaren Energien muss nun konsequent vorangetrieben werden, damit
der Kohleausstieg möglichst schnell vollzogen werden kann. Der Abschluss-
bericht thematisiert das Spannungsfeld zwischen Versorgungssicherheit,
Strompreisen und Klimaschutz zu Recht. Er weist auch auf die Dimension
der Aufgabe einer ökologischen und sicheren Nachsorge der Tagebaue hin.
Nicht alle der nur auf technischem Fortschritt gegründeten Zukunftsvisio-
nen werden sich dabei umsetzen lassen.

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019      7
Kohleausstieg

Was von einem Abschlussbericht einer Kommission, die den Begriff „Wachs-
tum“ als erstes in ihrem Titel führt, nicht zu erwarten war, ist eine diffe-
renzierte Betrachtung eben des Wirtschaftswachstums, dessen Aufrechter-
haltung als Grundvoraussetzung der einzig möglichen positiven Vision für
Wirtschaft und Gesellschaft erscheint. Dass eine Änderung von Lebenssti-
len, zum Beispiel ein veränderter Umgang mit Mobilität und Ernährung, zu
neuen und zukunftsfähigen Entwürfen einer Gesellschaft führen könnten,
wird hier nicht angesprochen. Aber ohne eine solche Diskussion, die auch
die kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit miteinschließt, bleibt die Pla-
nung des Kohleausstiegs – so begrüßenswert sie ist – ein rein technischer
Lösungsansatz, der in jedem Falle zu kurz greift. Die Kirchen werben schon
seit geraumer Zeit für gesamtgesellschaftliche Diskurse und positive Zu-
kunftsvisionen zu der Frage, wie eine (Welt) Gesellschaft aussieht, die den
Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, ohne die ökologischen
Grenzen weiter zu überschreiten.

Die geplanten Steuermilliarden an die Länder und Kraftwerksunterneh-
men sind zu wenig an ökologische und soziale Bedingungen gebunden; der
Hambacher Forst und auch Orte wie z.B. Proschim in der Lausitz sollten
unter diesen Bedingungen erhalten werden können. Das späte Ausstiegsda-
tum 2038 lässt befürchten, dass die Klimaziele der Bundesregierung doch
nicht erreicht werden können, wie es in einem Minderheitsvotum im Be-
richt (dort S. 119) befürchtet wird. Zu begrüßen ist der schnelle „Einstieg
in den Ausstieg“, da schon zwischen 2019 und 2022 Kohlekraftwerke abge-
schaltet werden sollen. Dieser und vor allem künftigen Bundesregierungen
sollte zum einen geraten werden, die Empfehlungen der Kohle-Kommission
kontinuierlich zu behandeln und so schnell wie möglich umzusetzen. Zum
anderen aber sollte sie in regelmäßigen Zeitabständen überprüfen, ob der
Ausstiegsfahrplan nicht doch noch weiter beschleunigt werden kann.

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Gentechnik

Genome Editing in der Landwirtschaft
Ein Zwischenruf zu neuen Gentechniken aus evangelischer Sicht

von der Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der EKD, dem Evangelischer
Dienst auf dem Land in der EKD und Brot für die Welt

Es gibt neue technische Entwicklungen in der Pflanzenzucht, die unter dem
Schlagwort „Genome Editing“ (GE) verhandelt werden. GE ermöglicht eine
neue Qualität der Pflanzenzüchtung: Durch die Kombination mit der Bioin-
formatik und aufgrund geringer Entwicklungskosten ist eine neue Dimensi-
on der Präzision, der Komplexität, der Eingriffstiefe und der Geschwindig-
keit möglich.

Mit diesem Zwischenruf möchten wir einige aus unserer Sicht wichtige
Aspekte in die öffentliche Debatte einbringen.

Grundlage für unsere Überlegungen ist unser Bekenntnis zum Schöpfer und
das Liebesgebot Christi. Sie fordern von uns eine Haltung, die sich mitver-
antwortlich weiß für die Bewahrung der Schöpfung und für ein Leben in
Würde für alle Menschen. Wir fragen uns, ob GE in diesem Sinne eine ver-
antwortbare Technik ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen.

Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind wesentliche Leit-
linien unseres Handelns. Dieser Dreiklang ist durch den fortschreitenden
Klimawandel bedroht. Es müssen Wege gefunden werden, die Welternäh-
rungssituation zu verbessern und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen
zu schützen. Die Vereinten Nationen rufen die Staatengemeinschaft mit der
Agenda 2030 dazu auf, Sustainable Development Goals (SDG) umzusetzen,
um eine gerechte, ökologisch verträgliche und zukunftsfähige Entwicklung
einzuleiten. SDG 2 fordert, den Hunger bis 2030 vollständig zu besiegen. Es
verbindet den Kampf gegen den Hunger mit der Förderung einer nachhalti-
gen Landwirtschaft.

Angesichts der globalen Herausforderungen halten wir es für bedeutsam,
in der Landwirtschaft die Option für mehrere Pfade der Entwicklung of-
fen zu halten. Ein Ziel sollte eine weitgehende Resilienz der Anbausysteme

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019        9
Gentechnik

sein. Grundlage dafür ist eine vielfältige Forschungsförderung, in der GE
einen Teilbereich darstellen kann. Bewahrung der Schöpfung schließt aus
evangelischer Perspektive ein, so zu handeln, dass auch nachfolgenden Ge-
nerationen möglichst viele Handlungsoptionen offen stehen. Daher sollte
die Entwicklung von technischen Innovationen stets auf der Basis des Vor-
sorgeprinzips erfolgen. Dies gilt insbesondere für den Bereich von Land-
wirtschaft und Ernährung.

Wir begrüßen das Urteil des EuGH vom 25. Juli 2018, in dem festgestellt
wird, dass auch durch GE gewonnene Organismen genetisch veränderte
Organismen (GVO) sind und grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie der
EU vorgesehenen Verpflichtungen unterliegen. Unserer Ansicht nach gibt
uns die hierdurch geschaffene Rechtssicherheit Zeit, den notwendigen ge-
sellschaftlichen Diskurs zu führen und eine umfassende, sorgfältige und
rechtzeitige Technikfolgenabschätzung im Bereich der neuen Gentechniken
zu ermöglichen.

Berlin, Januar 2019

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Handlungsempfehlungen

Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht Handlungsempfehlungen
„Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag“

Die Deutsche Bischofskonferenz hat am 27. November 2018 ihr Dokument
„Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag – Handlungsempfeh-
lungen zu Ökologie und nachhaltiger Entwicklung für die deutschen (Erz-)
Diözesen“ veröffentlicht. In der Arbeitshilfe werden Aspekte des Umwelt-
schutzes und der integralen Entwicklung des Menschen verbunden, ent-
sprechend dem Auftrag aus Papst Franziskus’ Enzyklika Laudato si’.

Die zehn Handlungsempfehlungen berühren Angelegenheiten der Pastoral,
des diözesanen Verwaltungshandelns und des gesellschaftspolitischen En-
gagements. Sie enthalten konkrete Forderungen und besitzen gleichzeitig
die nötige Breite, um den unterschiedlichen Realitäten der 27 deutschen
(Erz-)Bistümer Rechnung zu tragen. So regen die Bischöfe beispielsweise
an, Schöpfungsspiritualität noch bewusster in Verkündigung und Litur-
gie zu verorten, kirchliche Traditionen wie das Fasten im Hinblick auf die
Schöpfungsverantwortung neu fruchtbar werden zu lassen, in kirchlichen
Institutionen und auf Kirchenland nachhaltig zu wirtschaften, Mobilität
umweltfreundlich zu gestalten und gesellschaftspolitische Verantwortung
für die Armen und für die bedrohte Schöpfung wahrzunehmen.

„Der menschengemachte Klimawandel ist Realität. Zunehmend spüren
wir auch in Deutschland seine ökologischen und sozialen Auswirkungen“,
schreibt Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck (Essen), Vorsitzender der Kom-
mission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofs-
konferenz, im Vorwort zu den Empfehlungen. Mit ihnen möchte die Kirche
in Sachen Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz mit gutem Beispiel vo-
rangehen. „Wir wollen die Taten sprechen lassen“, so Bischof Overbeck. In
Zukunft solle regelmäßig über den jeweiligen Stand des Schöpfungsengage-
ments in den (Erz-)Bistümern berichtet werden.

Die deutschen Bischöfe hatten sich bereits bei ihrer Herbst-Vollversamm-
lung 2017 bei einem Studientag mit der Mitverantwortung der Kirche für
die Bewahrung der Schöpfung befasst. In der Nacharbeit des Studienta-
ges hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Weihbischof Rolf Loh-

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019    11
Handlungsempfehlungen

mann (Münster) die konkreten Handlungsempfehlungen formuliert, die die
Herbst-Vollversammlung 2018 verabschiedet hat.

Das Dokument ist als pdf-Datei zum Herunterladen unter www.dbk.de in
der Rubrik Publikationen verfügbar. Dort kann dieses auch als Broschüre
(Arbeitshilfen Nr. 301) bestellt werden.

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Interview

Christen für Klimagerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung
Ein neuer Lebensstil ist gefragt
Interview mit Dr. Wendelin Bücking

von Eckhard Pohl

Angesichts der rasanten Klimaveränderungen und ihrer Folgen sind nicht
zuletzt Christen gefordert, sich für Klimagerechtigkeit und die Bewahrung
der Schöpfung zu engagieren. Der Umweltbeauftrage des Bistums Magdeburg,
Wendelin Bücking, bietet dabei Hilfestellung an.
Immer mehr Schülerinnen und Schüler schließen sich in diesen Tagen der
„Fridays for future“-Bewegung an. Als junge Menschen machen sie jeweils
freitags auf Plätzen und Straßen darauf aufmerksam, dass viel zu wenig
gegen die Ursachen des Klimawandels getan wird und sie künftig mit den
zunehmenden Folgen konfrontiert sein werden.

Herr Dr. Bücking, trotz extremer werdender Wetterbedingungen, Erderwär-
mung, steigenden Meerwasserspiegels geht es doch nicht wirklich voran in
Sachen Klimaschutz und Bewahrung der Schöpfung? Auch Christen und die
Kirche tun sich damit schwer …

Und dabei könnte das Thema Klima genauso wie die Flüchtlingsfrage ein
aussagekräftiges Handlungsfeld von Christen und eine Chance für die
Glaubensweitergabe sein. Papst Franziskus hat mit seiner Umwelt- und
Sozial-Enzyklika „Laudato si‘“ fundiert darauf hingewiesen und zu ei-
nem adäquaten Handeln ermutigt. Die deutschen Bischöfe haben unlängst
immerhin „Handlungsempfehlungen zu Ökologie und nachhaltiger Ent-
wicklung für die deutschen (Erz-)Diözesen“ verabschiedet. Ich kann nur
dazu drängen, sich damit auseinanderzusetzen und zu einem konsequen-
ten Handeln zu finden.

Ist die Heißzeit, vor der führende Wissenschaftler warnen, noch zu ver-
hindern?

Das glaube ich nicht. Der Ausstoß von Treibhausgasen müsste dann bis 2030
im Vergleich zu 2010 weltweit halbiert werden. Dennoch müssen wir etwas

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019   13
Interview

tun: für sauberere Luft und Meere, für weniger Emissionen, gegen den un-
endlich vielen Plastikmüll, gegen das Artensterben, gegen die Folgen des
Klimawandels ...

Hier und da gibt es immer noch die Auffassung, die Klimaveränderungen
seien nicht vom Menschen gemacht …

Es entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage, zu bestreiten, dass der
Mensch mindestens erheblicher Mitverursacher der empirisch zu beob-
achtenden Klimaveränderungen ist. Auch in unserer Region lassen sich
die Veränderungen inzwischen über längere Zeit anhand von Daten
nachweisen. Im Übrigen ist das im Blick auf notwendige Maßnahmen
auch egal. Mit den Folgen muss der Mensch umgehen und sie zu mini-
mieren versuchen. Die heute jungen Leute wollen in der Zukunft auch
ein lebenswertes Leben führen.

Warum werden so wenig wirklich durchschlagende Maßnahmen ergriffen?

Das ist nicht so einfach, man denke nur an die Arbeitsplätze in der Braun-
kohleförderung. Man muss die Leute in ihrer Situation abholen, und die
ist sehr unterschiedlich. In Deutschland zum Beispiel sind die Menschen
besonders im ländlichen Raum erheblich auf das Auto angewiesen. Woh-
nungen und Häuser wärmetechnisch gut zu dämmen oder fair produzierte
Kleidung zu tragen, ist auch eine Frage des Geldes. Und so weiter. Ande-
rerseits gibt es inzwischen wohl in jedem Discounter Bio-Produkte. Und es
ist zunehmend möglich, sich mit Produkten aus regionaler und saisonaler
Herstellung zu ernähren. Es gilt eben unermüdlich Aufklärungsarbeit zu
leisten und machbare Veränderungen unseres Lebensstils anzubieten. Es
gibt bereits viele Möglichkeiten, etwas zu tun. Und nicht zuletzt Christen
können jahrhundertelang erprobte Formen eines bewussten Lebensstils
und viele andere Impulse einbringen: kooperative Formen des Lebens und
Wirtschaftens wie etwa in Klöstern und ihrem Umfeld, das Freitagsgebot
und andere Zeiten des Fastens, Güter miteinander zu teilen, der Glaube an
Gottes gute Schöpfung, die es zu bewahren gilt, das Gebot der Gottes- und
Menschenliebe und damit die Aufforderung, sich für Frieden und Gerech-
tigkeit einzusetzen.

14                  BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019
Interview

Auch in vielen Gemeinden und kirchlichen Gruppierungen scheint die
Bewahrung der Schöpfung immer noch keine oder eine geringe Rolle zu
spielen …

Das ist auch meine Erfahrung. Hier gilt es weiter dafür zu sensibilisieren.
Eine Arbeitsgruppe unserer Bischöflichen Kommission für Gerechtigkeit,
Frieden und Bewahrung der Schöpfung im Bistum Magdeburg beschäf-
tigt sich gerade mit Handlungsempfehlungen, was Gemeinden tun können.
Die haben natürlich auch andere Probleme, dennoch ist der Einsatz für
die Schöpfungsbewahrung unerlässlich und zwar hier und heute. Klima-
gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Frieden (Kriege um Wasser,
Ressourcen) hängen übrigens eng miteinander zusammen.

Was halten Sie in den Bistümern der neuen Bundesländer für besonders
dringlich?

Wichtig ist, dass unsere Gemeinden ihr Leben umweltfreundlich gestalten,
Energie einsparen, Plastikmüll vermeiden, Gemeindemitglieder sich gegen-
seitig mit dem Auto zu kirchlichen Angeboten mitnehmen und vieles mehr.
Damit dies auf vielen Ebenen angeregt wird, ist eine entsprechende Weiter-
bildung der haupt- und ehrenamtlich Engagierten der Gemeinden nötig. So
lassen sich etwa über das Schreiben „Laudato si‘“ von Papst Franziskus viele
konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Neben dem, was jeder einzel-
ne Christ und Gruppen im konkreten Leben tun können, muss es dann auch
ein ressourcenschonendes Energie- und Grundstückmanagement gehen.
Als ehrenamtlicher Umweltbeauftragter im Bistum Magdeburg, der in dieser
Konstellation auch schnell an eigene Grenzen gelangt, finde ich es übrigens
sehr bedauerlich, dass das Erzbistum Berlin, zu dem die Bundeshauptstadt
gehört, noch keinen Umweltbeauftragten hat. Berlin und Görlitz haben nur
Ansprechpartner. Erfurt und Dresden offizielle Umweltbeauftragte, wenn
auch nur nebenamtlich.

Sind andere Bistümer schon weiter?

Durchaus. Im Bistum Münster wird ein dreistufiges Vorgehen praktiziert.
So bekommt eine Gemeinde oder Einrichtung, die ein Öko-Team gebildet
hat und sechs von zwölf leicht umsetzbaren Punkten einer Liste praktiziert,

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019      15
Interview

das Siegel „Ökofaire Gemeinde“ verliehen. In einer zweiten Stufe geht die
Gemeinde Fragen der Energieeinsparung und des bewussten Einkaufs im
Rahmen eines Umweltmanagementsystems nach. In einer dritten Stufe der
Ergänzung des Umweltmanagement-Systems um ein Qualitätsmanagement
wird die EMAS-Zertifizierung (Eco-Management and Audit Scheme –Sys-
tem für das freiwillige Umweltmangement und die Umweltbetriebsprüfung)
angegangen.

Und ein solches Vorgehen wollen Sie auch im Bistum Magdeburg etablieren?

Ich stelle mir ebenfalls ein dreistufiges Vorgehen in den Gemeinden vor:
Bildung eines Teams, das sich um Fragen des fairen, ökologischen Lebens
kümmert. In einer ersten Stufe sollten relativ einfach zu realisierende Maß-
nahmen umgesetzt werden, wofür die Gemeinde dann ein erstes Siegel er-
hält. In einer zweiten Stufe könnte das Energiemanagement in Angriff ge-
nommen, in der dritten Stufe die Zertifizierung im Rahmen des kirchlichen
Umweltmanagementsystems „Grüner Hahn“ angestrebt werden.
Das Vorhaben müssen wir unbedingt ökumenisch angehen, in den evan-
gelischen Gemeinden ist die Situation vergleichbar. Gemeinsam mit den
evangelischen Kollegen haben wir vor, ein Netzwerk Ökumenisches Um-
weltmanagement zu gründen, das im Namen der Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland, der Evangelischen Kirche Anhalts und des Bistums
Magdeburg Unterstützung anbietet. Bei einer Tagung im März soll es
darum gehen.

Und das Netzwerk wird dann auf die Gemeinden zugehen?

Wir wollen die Gemeinden bei entsprechenden Vorhaben begleiten. Bis jetzt
bin ich allerdings nur mit vier Pfarreien im Bistum Magdeburg im Gespräch
über Umweltvorhaben. Ich biete an, in die Gemeinden und Einrichtungen zu
kommen oder Referenten zu vermitteln.

Mehr Infos bei Dr. Wendelin Bücking: umwelt@bistum-magdeburg.de

Mit freundlicher Genehmigung der Kirchenzeitung Tag des Herrn.
www.tag-des-herrn.de, Alle Rechte vorbehalten. © St. Benno-Verlag, Leipzig.

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Veranstaltungshinweise

Der „Grüne Hahn“ – Neuer Umweltauditorenkurs startet im Juni

Der „Grüne Hahn“ ist ein Umweltmanagementsystem, das bereits in über
1000 Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen erfolgreich einge-
führt wurde. Es bewirkt, dass kirchliche Aktivitäten für die Bewahrung
der Schöpfung nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern zielgerichtet und
dauerhaft erfolgten. Der „Grüne Hahn“ entspricht der europäischen EMAS
Verordnung und ist so ein anerkanntes System. Gleichzeitig ist der „Grüne
Hahn“ gut an kirchliche Verhältnisse angepasst.

Der „Grüne Hahn“ will:

•   gelebte Schöpfungsverantwortung ermöglichen
•   die kirchliche Glaubwürdigkeit stärken
•   kontinuierlich die Umweltbelastung verringern
•   die Betriebskosten senken helfen
•   mittel- und langfristig wirken
•   Imagegewinn schaffen
•   Menschen motivieren und Gemeinde bauen

Die Fortbildungsreihe richtet sich an Interessierte aus kirchlichen Einrich-
tungen und Kirchengemeinden und an Umweltbeauftragte, Umweltberater/
Umweltberaterinnen.
Für die Fortbildung vorgesehen sind zwei Wochenendseminare und vier
Samstage, die sogenannten Zirkeltage, über einen Zeitraum von über einem
Jahr hinweg. Parallel zur Fortbildung betreuen die Auditoren/ Auditorinnen
eine Kirchengemeinde oder Einrichtung bei der Einführung des „Grünen
Hahns“. Der letzte Fortbildungstag ist als Kolloquium gestaltet und endet
mit der feierlichen Überreichung der Teilnahmezertifikate.

In der Fortbildung soll Folgendes vermittelt werden:

•   Schöpfungstheologie und Nachhaltigkeit
•   Einführung in EMAS und „Grünen Hahn“
•   Aufbau von Umweltmanagementsystemen und Ablauf
•   Umweltrecht und Sicherheitsfragen
•   Umweltbestandsaufnahme

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 130, 1|2019      17
Veranstaltungshinweise

• Bewertung von Umweltwirkungen
• Entwicklung von Schöpfungsleitlinien, Umweltzielen und einem
  Umweltprogramm
• Internes Audit und Management Review
• Prozessorientiertes Arbeiten und Gremienarbeit
• Öffentlichkeitsarbeit
• Praxisorientierte Module zu Themen wie Heizenergie sparen, Strom sparen u. Ä.

Termine:
Auftaktseminar: 21.-22.6.2019, Fr. 17.00 Uhr bis Sa., 18.00 Uhr
Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt, Wittenberg, Schlossplatz 1d

Die Fortbildung ist für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Evange-
lischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Kirche Anhalts
kostenlos. Für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus anderen Kirchen und
Bistümern wird ein Unkostenbeitrag in Höhe von 300 € für den gesamten
Kurs erhoben. Üblicherweise werden die Kosten vollständig oder teilweise
von der jeweiligen Landeskirche übernommen. Fahrtkosten können nicht
erstattet werden.

Die Anmeldung ist für die gesamte Fortbildungsdauer verbindlich. Die Be-
gleitung einer Kirchengemeinde oder kirchlichen Einrichtung auf dem Weg
zum Kirchlichen Umwelt- oder Energiemanagement ist als praktischer Teil
der Ausbildung erwünscht.

Nach Abschluss der Fortbildung können die Teilnehmerinnen und Teilneh-
mer als Kirchliche Umweltauditoren weitere Kirchengemeinden begleiten
und Interne Audits durchführen. Für diese Leistungen erhalten Sie eine
Aufwandsentschädigung. Umweltauditorinnen und Umweltauditoren haben
die Möglichkeit, sich beim jährlich im März stattfindenden Fachtag Kirch-
liches Umweltmanagement fortzubilden.

Weitere Informationen:
Fachstelle Kirchliches Umweltmanagement:
Siegrun Höhne 03491/498833
hoehne@ev-akademie-wittenberg.de

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Veranstaltungshinweise

Vögel im Sinkflug
Zur Situation der Sing- und Feldvögel in Mitteldeutschland
31. Mai - 2. Juni 2019 | Fr. – So.
Evangelische Akademie | Lutherstadt Wittenberg

Die Zahl der Sing- und Feldvögel in Deutschland und Europa ist in den letz-
ten Jahren drastisch gesunken. Geeignete Lebensräume fehlen und Insekten
gehen als Nahrung aus.

Ornithologe Sven Trautmann vom Dachverband der Deutschen Avifaunisten
beschreibt am Freitagabend die Situation und erläutert die Ursachen für den
drastischen Rückgang der Bestände.

Axel Schonert, der als Biotopmanager beinahe täglich in der Natur unter-
wegs ist, berichtet am Samstagvormittag von seinen Erfahrungen in der
Region Wittenberg. Im Anschluss sind Sie eingeladen, Ihre eigenen Erfah-
rungen vorzustellen und mit dem Referenten zu diskutieren.

Der Nachmittag stellt die Frage in den Mittelpunkt, was Kirchen, aber auch
was jede/r Einzelne ganz praktisch für den Vogelschutz tun kann.

Am Abend stellt Dr. Ernst Paul Dörfler sein aktuelles Buch „Nestwärme“
vor. Die Lesung ist öffentlich.

Bei einer Exkursion mit Biotopmanager Axel Schonert am Sonntagvormit-
tag beobachten Sie die Vögel der Wittenberger Elbaue und erfahren, wel-
che Landschaftsbestandteile für die Vogelwelt besonders wichtig und damit
schützenswert sind und wie man sich beim Beobachten am besten verhält.

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Lesetipp

Bild: Hanser-Verlag

Ernst Paul Dörfler: NESTWÄRME – Was wir von Vögeln lernen können.

Carl Hanser Verlag 2019. 281 Seiten. 20, 00 EURO.
ISBN 978-3-446-26185-3

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Rezensionen

Die Nähe zu den Vögeln

von Christoph Kuhn

„Seht die Vögel unter dem Himmel: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sam-
meln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“
Dieser Satz aus dem Matthäus-Evangelium wäre ein Motto für das Buch.
Denn Vergleiche zwischen dem Leben der Vögel und dem der Menschen sind
schon alt, und es gibt diesbezüglich immer wieder neue Erkenntnisse.

Zunächst vermerkt der Autor Ernst Paul Dörfler, dass erfreulicherweise die
Hinwendung zur Natur zunimmt. Auch was einzelne Interessen betrifft:
So wächst die Zahl der Menschen, die Vögel beobachten. „Immer mehr
Menschen merken, dass ihnen im Leben etwas fehlt.“ Über den Nutzen der
Vögel im Ökosystem hinaus erfüllt uns ihr Gesang mit Freude.

Ernst Paul Dörf ler, geboren 1950, wuchs auf dem Lande auf, in und
mit der Natur – ganz selbstverständlich in einer freien Bauernfamilie.
Er beschreibt seinen Weg vom promovierten Ökochemiker zum Akti-
visten der Umweltbewegung in der DDR – beargwöhnt, beobachtet und
abgehört von der Stasi. Seinem Kultbuch „Zurück zur Natur?“ aus den
achtziger Jahren folgten weitere zahlreiche Veröffentlichungen haupt-
sächlich zur Vogelkunde. Er gehört zu den Mitbegründern der Grünen
Partei in der DDR und ist nach wie vor Ökologe, Referent und Publizist
auf dem Gebiet des Naturschutzes.

„Wann hatten Sie Ihre letzte bewusste Begegnung mit einem frei lebenden
Vogel?“, fragt er die Leserinnen und Leser, und er fragt es auch das Publikum
bei seinen Vorträgen. „Wir teilen eine gemeinsame, 400 Millionen Jahre
währende Entwicklungsgeschichte“ mit den Vögeln. Auf vielfältige Weise
sind wir auf sie angewiesen, sie spielen eine große Rolle in unserer Kultur.
Noch vor 100 Jahren war die Verbindung Mensch-Vogel existenziell. Heute
muss die Vogelwelt neu entdeckt werden.

Unglaubliches ist über die physischen Leistungen der Vögel, über ihre Lern-
fähigkeit und ihre Gefühle zu erfahren. Unglaublich aber nur, weil der

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Rezensionen

Mensch gewohnheitsmäßig von sich ausgeht, menschliche Qualitäten Tieren
nicht zubilligen will, sie nach wie vor zu den „Sachen“ rechnet.

Viele Vögel sind uns nicht nur beim Fliegen überlegen – schneller, höher und
CO2-neutral; sondern auch ihre Sinne, das Sehen und Hören, sind schärfer;
viele haben einen besseren Geruchssinn, ganz abgesehen von einem zusätz-
lichen Magnetsinn zur Orientierung. Manche sind in der Lage, vor Erd- oder
Seebeben zu warnen – mit einer Sensorik, die technischen Möglichkeiten
überlegen ist, und sie verfügen über enorme Gedächtnisleistungen und über
vielfältige Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten. Zudem: „Vö-
gel sind Persönlichkeiten mit eigenem Charakter.“

Experimente zeigen, dass viele sich bewusst uneigennützig und gegenseitig
Hilfe leisten, ja sich um gegenseitiges Wohlergehen sorgen. Prosoziales
Verhalten ist kein menschliches Alleinstellungsmerkmal. Vögel spielen
miteinander und mit Spielzeug – sie haben Freude und Spaß. Und sie sind
(meistens) sanftmütig, weshalb auch die Taube ein Symbol des Friedens ist.
Die meisten Kapitel beginnen mit diesem Mensch-Vogel-Vergleich. Was die
Wahl und Zahl der Lebenspartner betrifft; die Neigung zu Tanz und Gesang;
die Ernährung: Vögel werden nicht zu dick (nur wenn Menschen sie zum
Verzehr mästen!), ihr Krankenstand ist dank natürlicher Lebensweise und
körpereigener Immunabwehr sehr niedrig; Vögel wechseln nur ein- oder
zweimal im Jahr ihr Gefieder bei der Mauser – Menschen in Deutschland
legen sich im Durchschnitt jährlich 60 neue Kleidungsstücke zu.

Die Vogelwelt kennt kein Patriarchat; „Vogelweibchen leben selbstbe-
stimmt“, tonangebend und mit eigenem Flugplan. Ihre Nester sind Null-
energiebehausungen. Die Zahl der Gegenstände in Menschenwohnungen
hat sich „innerhalb weniger Generationen verhundertfacht. Vögel schlie-
ßen sich diesem Steigerungszwang nicht an.“ Vogelkindern wird lange
Eltern- und Nestwärme zuteil – was in der menschlichen Zivilisation
vielfach missachtet wurde. Hingegen ist das Phänomen „Hotel Mama“ in
Vogelfamilien unbekannt.

Der Autor geht mit viel Humor sehr ins Detail, z.B. wenn er über Brut-
und Stresshormone und über Inzestrisiken schreibt. Übrigens beeinflussen
dieselben Hormone das Verhalten von Vögeln und Menschen.

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Rezensionen

Tatsache ist, dass der Mensch die einzige Spezies ist, die sich ihrer Lebens-
grundlagen beraubt. So verschwinden durch Monokulturen die Insekten;
die Flächen für Futterpflanzen nehmen ab und werden mit Insektiziden
vernichtet. Statt die Vögel zu füttern, sollte sich der Mensch lieber um den
Bestand der Insekten kümmern. Um 80% ist die Insekten-Biomasse inner-
halb der letzten drei Jahrzehnte geschrumpft. Dadurch schrumpft auch die
Vogelzahl alarmierend: 42% der heimischen Brutvögel stehen auf der Roten
Liste; 118 von 248 Vogelarten sind am Verschwinden; 13 Vogelarten sind
ausgestorben, weil Wälder gerodet, Moore entwässert, Ackerflächen vergif-
tet, Grünland überweidet, Meere überfischt, Flüsse verschmutzt und ver-
baut werden. „Wir sind mitten im größten Artensterben seit dem Aussterben
der Saurier vor 65 Millionen Jahren.“ Der Rückgang der Vogelpopulation
– der Artenverlust überhaupt – ist auch „eine Verarmung der menschlichen
Seele.“ Wer das Buch liest, wird reicher, wird aufmerksamer die Vogelwelt
erleben und vielleicht die Natur überhaupt.

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„Nestwärme – was wir von den Vögeln lernen können“

von Franz Schneider

Vögel können selbständig fliegen, Greifvögel haben sehr gute Augen und
können aus großer Höhe erkennen, was sich unter ihnen am Boden abspielt.
Diese beiden Tatsachen haben wir Menschen aufgrund unserer Beobachtun-
gen in unser Bewusstsein übernommen. Diese beiden Erkenntnisse würden
wohl auch den meisten Menschen einfallen auf die spontane Frage, was die
Vögel von den Menschen unterscheidet. Wahrscheinlich könnten sie diese
„Vorteilsliste“ der Vögel nicht wesentlich erweitern. Dass Vögel in Wirklich-
keit sich aber noch in vielen anderen Dingen von uns Menschen unterschei-
den, das hat der erfahrene Naturliebhaber Ernst Paul Doerfler in diesem
Buch „Nestwärme – was wir von den Vögeln lernen können“ gut beschrie-
ben. Und man kann das nicht nur lesen, sondern auch in einer Haltung des
Staunens und Bewunderns gut erkennen und würdig anerkennen.

Sein Buchtitel „Nestwärme“ kommt ja nicht von ungefähr, denn seit über
Zehn Jahren „brütet“ er über der Frage, was Vögel mit uns Menschen ge-
mein haben. Bereits im Jahr 2009 erschien sein Buch „Die Liebe der Vö-
gel“. Im darauffolgenden Jahr folgte „Was Vögel futtern“ und im Jahr 2013
kam von ihm das Buch „Liebeslust und Ehefrust der Vögel“ auf den Markt.
In allen drei Büchern zeigt er bestimmte Parallelen zwischen Menschen
und Vögeln auf. In dem nun erschienenen Buch „Nestwärme“ weitet Dörf-
ler allerdings den Blick und gibt einen umfassenden und ganzheitlichen
Blick auf die Eigenschaften der beiden Gattungen Vögel und Menschen.
Und er kommt dabei zu erhellenden Einsichten, die zu Gemüte zu führen
sich wirklich lohnen. Es ist ihm ein Buch voller Poesie und Bewunderung
für die Welt der Vögel gelungen. Man spürt beim Lesen des Buches seine
starke Bezogenheit zur Natur, die ihn schon ein Leben lang begleitet und
prägt. Nicht zuletzt deshalb wurde die Natur auch seine Berufung, die er
mit großer Leidenschaft lebt: er leidet nachvollziehbar an der Entfremdung
der Menschheit von der Natur und ihrer Schöpfung. In einem Dorf in der
ehemaligen DDR und unmittelbar am Ufer der Elbe aufgewachsen, erlebte
Dörfler in seiner Kindheit noch das „ursprüngliche“ Leben. Es war sicher
nicht so zufällig, dass er danach Chemie studierte, denn damit konnte er die

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Grundlage für jede Art von Leben beobachten: die Wasserqualität der Seen,
Flüsse und Bäche. Sehr bald wurde er dabei mit einem Gewissenskonflikt
konfrontiert: es musste immer mehr zwischen den amtlich-staatlichen Inte-
ressen und seinem persönlichen Wissen unterscheiden. Diesen Interessens-
konflikt konnte er auf Dauer nicht verdrängen oder verleugnen. Er geriet
deshalb bald ins Visier der Stasi. Durch die Wiedervereinigung wurde er
aus diesem Konflikt – erst mal - befreit. Sehr bald musste er aber erkennen,
dass auch im kapitalistischen Westsystem die Natur nicht an der Spitze der
Werte steht. So drohte, dass „seine Elbe“ und die mit ihr verbundene Natur
Opfer der Schifffahrt wird: sie sollte aus wirtschaftlichen Gründen vertieft
werden. Dörfler war erneut gezwungen, als Umweltaktivist seinen Platz in
der Gesellschaft zu suchen und zu finden. Selbstbestimmung statt Fremd-
bestimmung war für Dörfler also ein Leben lang ein existentielles Thema.
Kein Wunder also, dass er die Vögel als „Muster der Eigenständigkeit“ ent-
deckte. So beschreibt er in diesem Buch zum Beispiel deren Kleidung als ei-
nen Teil ihrer Identität. Bei Menschen dagegen habe sie oft die Funktion der
Tarnung und Täuschung. Auch die Ernährung sei bei den Vögeln origineller
als bei Menschen: frisch, saisonal und unverpackt. Und Flüggewerden sei
bei den Vögeln überhaupt kein Familiendrama: die Fütterung werde durch
die Eltern einfach eingestellt! Und schließlich sei auch das Altern in der
Vogelwelt kein Problem: Demenz und Hörverlust gebe es bei den Vögeln
schlichtweg einfach nicht.

Dörfler schreibt mit großem Sachverstand und mit viel Liebe zum Detail.
Er riskiert auch den Mut zur Lücke, denn viele Beobachtungen sind wohl
noch nicht ausreichend wissenschaftlich bewiesen. Beim Lesen dieses un-
terhaltsamen Buches wurde mir persönlich die Weisheit der Schöpfung und
der Natur bzw. der Evolution deutlich. Ich stellte mir auch die Frage, was es
damit auf sich hat, dass Vögel „am Himmel“ leben, also fliegen können und
damit die Schwerkraft mühelos überwinden – im Gegensatz zu uns Men-
schen, die wir eine Menge schwere Gewichte mit uns herumtragen und –
wie Sisyphos in der griechischen Mythologie – uns schwer damit tun. Kann
das ein Hinweis sein, dass die Vögel näher an der schöpferischen Ordnung
der Welt sind als wir Menschen?

Mich fasziniert an diesem Buch die erzählende Sprache, die nicht nur Fak-
ten aufzählt, sondern von einer „Anderwelt“ berichtet und dabei Geschich-

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ten erzählt, die uns sowohl fremd wie auch bekannt vorkommen. Dörfler
richtet mit seinem Buch den Blick auf einen Bereich der Natur, dem wir
moderne Menschen mit unserem Bewusstsein uns weit überlegen fühlen.
In Wirklichkeit liegt das Leben der Vögel offensichtlich der schöpferischen
Ordnung viel näher, als wir Menschen das einsehen und eingestehen wol-
len. Dies erinnert mich auch an den Begriff „Èlan Vital“, der wörtlich über-
setzt etwa „lebendige Begeisterung“ bedeutet. Er stammt von dem franzö-
sischen Philosophen Henri Bergson ( 1859 bis 1941 ), der in seinem 1907
erschienenen Werk „Schöpferische Evolution“ genau dies deutlich macht:
die Natur beruhe nicht auf dem Funktionalitätsprinzip ( Ursache - Wirkung
). Vielmehr wirke im Leben eine viel ursprünglichere Kraft, eben der „Elan
vital“, der kreativ, schöpferisch und unberechenbar wirke. Dörfler ist es
nach meinem Empfinden gelungen, diesen „Elan Vital“ am Beispiel der Vö-
gel nachvollziehbar zu beschreiben.

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Digitalisierung und Nachhaltigkeit

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Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Versuch eines Überblicks

von Siegrun Höhne

1. Zum Stand der Dinge

Mit dem rasanten Wachstum der digitalen Angebote und Möglichkeiten hat
sich das Leben der Menschen in allen Bereichen seit den 2000er Jahren sehr
stark verändert. Fast jeder trägt ein Smartphone bei sich, ein Haus ohne In-
ternetanschluss wird als eine Art analoges Gefängnis beschrieben und an
den meisten Arbeitsplätzen kommt ein Computer zum Einsatz. Mit dieser Ent-
wicklung verbunden sind auf der einen Seite Hoffnungen auf wirtschaftliche
Entwicklung, Entlastung bei unangenehmen Aufgaben in der Arbeitswelt,
im Haushalt, im medizinischen Bereich, verbesserten Kommunikationsmög-
lichkeiten und mehr. Gleichzeitig werden Risiken dieser Entwicklung immer
deutlicher, sie reichen von Cyberkriminalität über den Verlust der Privatsphä-
re bis zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dass die digitalen Technolo-
gien der Arbeitswelt Arbeitsplätze kosten werden, ist abzusehen

Filme, wie Minority Report, zeichnen die digitale Zukunft als Bild des
gläsernen Menschen. Der Hauptakteur betritt Läden, in denen ein Holo-
gramm sofort seine Identität erkennt und vorangegangene Einkaufserleb-
nisse einsehen kann. So begrüßt es ihn mit der Frage, ob er mit dem 3er-
Pack T-Shirts vom letzten Besuch zufrieden sei.

Marc Uwe Kling hat in seinem 2017 erschienenen Buch „Qualityland“ die
heute erlebbaren digitalen Entwicklungen weitergedacht. Die Welt in Qua-
lityland wird durch die Algorithmen einiger weniger marktbeherrschender
Plattformen gesteuert. „TheShop“ liefert Produkte ohne Bestellung, d. h.
bevor der Kunde überhaupt weiß, dass er sie benötigt, und die Partnersuch-
maschine „QualityPartner“ schlägt sogar Verheirateten bessere Partner vor
und sorgt auch gleich für die Auflösung der bestehenden Beziehung. „In-
telligente“ Maschinen sind allgegenwärtig. Sie sind so weit entwickelt, dass
sie selbst ein Bewusstsein und auch manchmal Defekte haben, zum Beispiel
eine Drohne mit Flugangst oder ein Roboter-Autor mit Schreibblockade.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Qualityland)

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Digitalisierung und Nachhaltigkeit

In der Arbeitswelt wurde auf die Verbreitung digitaler Technologien und der
mit ihnen einhergehenden Automatisierung mit dem Ausrufen der Indus-
trie 4.0 geantwortet. Die Bundesregierung hat sich entschieden, mit dieser
Hightech-Strategie die Industrie mit der Kommunikations- und Informati-
onstechnologie (IKT) zu verknüpfen. Die IKT-Branche gilt als mitverant-
wortlich für steigende Ressourcenverbräuche und immer kürzere Nutzungs-
zyklen. Einer Viertel Millionen Tonnen Neugeräte, die verkauft werden,
stehen 9.000 Tonnen zum Recyceln gesammelter Altgeräte pro Jahr ge-
genüber. Reparaturfähigkeit, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit wer-
den in der IKT-Branche kaum umgesetzt. Zu diesen Ergebnissen kommt die
Deutsche Umwelthilfe (DUH) in einer 2018 veröffentlichten Studie (Quelle:
www.l.duh.de/handys) Untersucht wurden 25 Hersteller von Telefonie- und
Internetgeräten wie Smartphones und Routern.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat 2016 eine Studie
veröffentlicht, in der sie den Stand der Verbreitung von digitalen Techno-
logien in deutschen Betrieben untersucht. Die Wissenschaftler stellen unter
anderem fest, das bis dato 18 Prozent der befragten Unternehmen digitale
Technologien als Hauptbestandteil des Geschäftsmodells sehen. Gleichzeitig
haben sich rund 30 Prozent der deutschen Firmen noch nicht mit den digi-
talen Technologien auseinandergesetzt. Dabei liegen die Dienstleistungsbe-
triebe vor den Produktionsbetrieben bei der Umsetzung der digitalen Tech-
nologien.
(Quelle: www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/)

Die Bundesagentur für Arbeit hat in einer Studie 2015 ermittelt, dass 15 Pro-
zent der deutschen Jobs durch die Verbreitung digitaler Technologien weg-
fallen könnten. Das betrifft hauptsächlich Berufe mit häufig auftretenden
Routinearbeiten. In dem Bericht wird abgeschätzt, dass besonders Hilfs-
und Fachkräfte in den Fertigungsberufen und fertigungstechnischen Beru-
fen durch Roboter ersetzt werden können. Das sind zum Beispiel Arbeiter im
Bergwerk, Werkzeugbauer oder Chemielaboranten.

Home Office, das Arbeiten von zu Hause aus, bietet eine Alternative zum
Büro. Der Weg zur Arbeit entfällt, die MitarbeiterInnen können ihre Ar-
beitszeit teilweise frei gestalten. Doch IBM, eines der großen IT Unterneh-
men, hat inzwischen beschlossen, einen Teil seiner Arbeiter wieder in die

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Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Büros zu rufen. Das Unternehmen begründet die Entscheidung mit mehr
innovativen Ideen, die beim Austausch in den Pausen oder auf den Gängen
entstehen.

Durch die weitere Verbreitung digitaler Technologien beschleunigen sich
viele Lebenswelten. Vieles kann von Zuhause aus erledigt werden. Aber die
damit gewonnene Zeit wird schnell von neuen Dingen eingenommen, wie
zum Beispiel die Suche nach der richtigen Software, dem Vergleichen von
Angeboten oder dem Begreifen neuer Technik. Es entstehen neue Geschäfts-
modelle, neue Berufe, kreative Ideen und neue Gefahren.

2. Umweltmonitor Digitalisierung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU)

Welche Folgen die Digitalisierung für die Umwelt hat, fragte die forsa Poli-
tik- und Sozialforschung GmbH Berlin 1023 BundesbürgerInnen im vergan-
genen Jahr. Auftraggeberin war die DBU. Es zeigte sich, dass eine Mehrheit
der Befragten die Begriffe Umweltschutz (61 Prozent) und Umweltver-
schmutzung (65 Prozent) nicht mit Digitalisierung in Verbindung brachten.
78 Prozent meinten, dass es in der Verantwortung der Hersteller und Anbie-
ter liege, ein Produkt oder eine Dienstleistung möglichst umweltverträglich
herzustellen oder zu gestalten. Immerhin halten 92 Prozent der Befragten
es für wichtig, dass sich Politik, Unternehmen und Gesellschaft stärker mit
den möglichen Folgen der Digitalisierung für die Umwelt beschäftigen.

DBU-Generalsekretär Alexander Bonde kommentierte die Studie „Wir müs-
sen Umweltschutz und Digitalisierung gemeinsam denken, nicht isoliert.
Die Digitalisierung braucht einen ökologischen Rahmen. Gleichzeitig ist das
Potenzial der Digitalisierung für Energie- und Ressourceneinsparung, neue
Mobilitätskonzepte und moderne Produktions- und Arbeitsprozesse gigan-
tisch.“ (Quelle: www.dbu.de/umweltmonitor)

3. Digitalisierung als Instrument für eine nachhaltige Wirtschaft?

Unternehmen sehen den größten Vorteil der Digitalisierung mit Blick auf die
Umweltauswirkungen in den neuen Möglichkeiten, Stoffströme und Verbräu-
che besser zu managen und Prozesse besser zu überwachen. Um insbesondere
mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, nachhaltiges Handeln

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Digitalisierung und Nachhaltigkeit

bei Innovations- und Änderungsprozessen einzubeziehen, initiierte die DBU
in Zusammenarbeit mit dem Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbe-
wusstes Management (B.A.U.M.) das Projekt „Nachhaltig. Digital – Kompe-
tenzplattform für Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Mittelstand.

Auf der Plattform https://nachhaltig.digital werden neben technischen und
ökonomischen auch ökologische und soziale Themen präsentiert. Ergänzt
wird die Initiative durch Expertengespräche und Kongresse aus der Praxis,
Wissenschaft und Politik.

4. Digitalisierung in den Dienst globaler Nachhaltigkeit stellen!

Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressour-
cen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima
weiter beschleunigen. Daher ist es eine vordringliche politische Aufgabe
Bedingungen dafür zu schaffen, die Digitalisierung in den Dienst nachhal-
tiger Entwicklung zu stellen, so eine der zentralen Botschaften des gerade
vorgelegten Berichtes des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung
für Globale Umweltfragen (WBGU).

Die digitale Revolution beeinflusst in erheblichem Maße die Chance, die
2015 von den Vereinten Nationen (UN) beschlossenen Nachhaltigkeitszielen
(Sustainable Development Goals, SDGs) zu erreichen oder zu verfehlen. Der
WBGU hat in der Erstellungsphase des o. g. Hauptberichtes zwölf Fragen-
komplexe zur öffentlichen Diskussion gestellt und im Bericht bearbeitet.
Diese sind (gekürzt):

1. Digitalisierung braucht dringend Gestaltung. Sie ist keine Naturgewalt,
sondern eine von Menschen vorangetriebene Entwicklung. Digitalisierung
sollte ausdrücklich in den Dienst einer gesellschaftlichen Transformation
zur Nachhaltigkeit gestellt werden.

2. Nachhaltigkeit ist eine Vision globalen, langfristigen Wohlergehens. An-
gesichts der weitreichenden und langfristigen Auswirkungen der neuen
Technologien auf den Menschen selbst, seine Privatsphäre sowie auf ökono-
mische und politische Prozesse muss die Würde des Menschen ins Zentrum
der Überlegungen rücken.

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