Das Mass aller Dinge: Potenziale und Risiken der digitalen Selbst vermessung

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Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung
                                     Fondation pour l’évaluation des choix technologiques
                                    Fondazione per la valutazione delle scelte tecnologiche
                                                   Foundation for Technology Assessment

Das Mass aller Dinge:
Potenziale und Risiken der
digitalen Selbstvermessung
Kurzfassung der Studie von TA-SWISS zum Thema «Quantified Self»

www.ta-swiss.ch
Die Stiftung TA-SWISS, Mitglied der Akademien der    Quantified Self – Schnittstelle zwischen Lifestyle
Wissenschaften Schweiz, setzt sich mit den Chancen   und Medizin
und Risiken neuer Technologien auseinander.
                                                     Heidrun Becker, Ursula Meidert, Mandy Scheermes-
Die hier vorliegende Kurzfassung basiert auf einer   ser, Yvonne Prieur, Stefan Hegyi, Kurt Stockinger,
in ihrem Auftrag von einem interdisziplinären Pro-   Gabriel Eyyi, Michaela Evers-Wölk, Mattis Jacobs,
jektteam unter der Leitung von Prof. Dr. Heidrun     Britta Oertel
Becker, Departement Gesundheit, Zürcher Hoch-
schule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW),         TA-SWISS, Stiftung für Technologiefolgen-Abschät-
durchgeführten wissenschaftlichen Studie. Die        zung (Hrsg.). vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich,
Kurzfassung stellt deren wichtigste Resultate und    2018.
Schlussfolgerungen in verdichteter Form dar und      ISBN 978-3-7281-3891-4
richtet sich an ein breites Publikum.
                                                     Die Studie steht als eBook zum freien Download
Unterstützt wurde die Studie vom Bundesamt für       bereit: www.vdf.ethz.ch
Gesundheit (BAG), der Kompetenz- und Koordina-
tionsstelle von Bund und Kantonen eHealth Suisse     Die vorliegende Kurzfassung ist ebenfalls online
und der Nationalen Ethikkommission im Bereich        verfügbar: www.ta-swiss.ch
der Humanmedizin (NEK).

                            www.ta-swiss.ch

                                                           Heidrun Becker, Ursula Meidert, Mandy Scheermesser,
                                                           Yvonne Prieur, Stefan Hegyi, Kurt Stockinger, Gabriel Eyyi,
                                                           Michaela Evers-Wölk, Mattis Jacobs, Britta Oertel

                                                           Quantified Self –
                                                           Schnittstelle zwischen
                                                           Lifestyle und Medizin

2
«Quantified Self» in aller Kürze                                           4
Chancen …                                                                  4
… Risiken …                                                                5
… und einige Empfehlungen                                                  5

Höher, schneller, besser: Der Alltag als ständiges Kräftemessen            5
Eine Vielfalt an Modellen unterschiedlicher Herkunft                       6
In der Vergangenheit verankert                                             7
Anspruchsvolle Interpretation von Messwerten                               7
Unterschiedliche Quellen speisen die Datenflut                             8
Im Vorteil dank Selbstoptimierung?                                         8

Der Körper im Spiegel der Zahlen                                           9
Die Bedenken der Kranken …                                                 9
… und die Einschätzung der Gesundheitsfachpersonen                        10
Prävention und Selbstverantwortung                                        10
Das Profil des Lifestyles                                                 11

Das lukrative Geschäft mit den Körperdaten                                11
Nachfrage und Angebot wachsen rasant                                      11
Fitnesstracker mit vielversprechender Zukunft                             12
Beim jüngeren Publikum beliebte LifestyleApps                             12
Kosteneinsparungen dank Gesundheitsdaten?                                 12
Daten zu Geld                                                             13

Selbstbestimmung bedingt Transparenz                                      13
Die Anforderungen des Heilmittelrechts                                    13
Konsumprodukte im internationalen Warenverkehr                            14
Wem gehören meine Daten?                                                  14
Wertvolles Wissen                                                         14
Die normative Kraft der Daten                                             15

Produktequalität und Datenschutz im Blickpunkt                            16
Ein Gütesiegel für empfehlenswerte Produkte                               16
Strengere Kontrollen für Medizinprodukte                                  16
Konsumenten- und Patientenschutz nehmen Messgeräte ins Visier             16
Mehr Datenschutz und sichere Verfahren vor Gericht                        16
Begleitforschung über die Selbstvermessung fördern                        16
Quantified Self im Gesundheitssystem verankern                            17
Kassenpflicht für bewährte Anwendungen                                    17
Öffentliche Debatte anregen                                               17
Studie «Quantified Self – Schnittstelle zwischen Lifestyle und Medizin»   18
Begleitgruppe                                                             18
Projektleitung TA-SWISS                                                   18

                                                                           3
«Quantified Self» in aller Kürze
«Erkenne dich selbst!» ermahnte eine Inschrift      Chancen …
am Apollo-Tempel in Delphi. Erlauben uns neue
Selbstvermessungen, dieser Forderung näher zu       Wer viel über sich weiss, erkennt unter Umständen
kommen? Stets kleinere Sensoren lassen sich in      drohende Krankheiten früher und dürfte generell
Handys, Armbänder, Kleider und andere Alltags-      dazu neigen, einen gesunden Lebensstil zu pflegen.
gegenstände einpassen. Mobile Messgeräte, die       Apps, die nicht nur die aktuelle Leistung, sondern
rund um die Uhr getragen werden, sind die Vor-      zum Beispiel auch Fortschritte beim Training visu-
aussetzung für Quantified Self: Das aktive Messen   ell aufzeigen, wirken anspornend und helfen den
von sportlicher Betätigung, Schlaf sowie einer      Nutzerinnen und Nutzern, sich realistische Ziele zu
ganzen Reihe von Körperfunktionen, um damit         setzen und diese auch zu erreichen.
Wissen über sich und die eigenen Aktivitäten
zu gewinnen, mit dem sich die Fitness, Wellness     Die digitale Selbstvermessung bietet auch für die
oder Gesundheit bewerten oder auch optimieren       Gesundheitsversorgung neue Möglichkeiten. So
lassen.                                             kann das Selbstmanagement bei chronischen Krank-
                                                    heiten unterstützt werden. Dank des Echtzeitmoni-
                                                    torings von ausgewählten gesundheitsbezogenen
                                                    Parametern könnten Patientinnen und Patienten
                                                    medizinisch enger begleitet werden und verfügen
                                                    dadurch über mehr Freiraum in ihrem Alltag.

                                                    Die grosse Menge an Körperdaten dürfte auch in
                                                    Verknüpfung mit anderen Datenquellen für die
                                                    medizinische, therapeutische und pharmazeutische
                                                    Forschung zu einer wichtigen Grundlage für die Er-
                                                    kennung neuer Muster und die präzisere Zuordnung
                                                    zu Diagnosen werden. Diese Daten könnten ausser-
                                                    dem helfen, gesundheitspolitische Entscheidungen
                                                    besser abzustützen.

4
… Risiken …                                              … und einige Empfehlungen

Verschwindet das Individuum hinter statistischen         Ein Gütesiegel, entwickelt von den Herstellerfirmen,
Werten, droht eine Uniformierung der Gesellschaft,       soll über die Messgenauigkeit und inhaltliche Qua-
weil die Vielfalt zugunsten einer Idealnorm einge-       lität, den Datenschutz und die Zertifizierungs- und
ebnet wird. Wenn der Mensch sich immer mehr an           Kontrollprozesse der Tracker Aufschluss geben. Ein
gemessenen Daten orientiert, beeinflusst dies auch       solches Gütesiegel könnte sich zugleich als Wettbe-
das Verständnis dessen, was als «normal» bzw.            werbsvorteil für Produkte «made in Switzerland»
«abnormal» gilt: Wer vom «richtigen» Mass abweicht       etablieren.
– etwa, weil eine körperliche Beeinträchtigung es
verunmöglicht, täglich eine bestimmte Anzahl Schrit-     Im Rahmen der laufenden Totalrevision des Bundes-
te zu gehen, – läuft Gefahr, benachteiligt zu werden,    gesetzes über den Datenschutz sind die Rechte der
indem sie oder er sozial nicht anerkannt, von vorteil-   Betroffenen zu stärken und die Beweislast im Inter-
haften Versicherungskonditionen ausgeschlossen           esse der Nutzerinnen und Nutzer neu zu regeln.
oder im Arbeitsleben diskriminiert wird.
                                                         Organisationen des Konsumenten- und Patienten-
Bei vielen Trackern lässt die Präzision der Messun-      schutzes sollen die Quantified-Self-Geräte und -Appli-
gen zu wünschen übrig. Die Nutzerinnen und Nutzer        kationen prüfen und die Testergebnisse verbreiten.
erhalten dadurch falsche Angaben. Besonders heikel
ist das, wenn Geräte, die gar nicht dafür zugelassen     Weitere Studien müssen aufzeigen, inwiefern Quan-
sind, für medizinische oder therapeutische Anwen-        tified Self zur Gesundheitsförderung oder gar zur
dungen eingesetzt werden.                                Senkung der Gesundheitskosten beitragen kann.
                                                         Auch muss die öffentliche Debatte über die Selbst-
Der Datenschutz ist bei den meisten Quantified-Self-     vermessung gefördert werden.
Geräten und den dazu gehörenden Applikationen
unzureichend. Das gefährdet die Privatsphäre der         Quantified-Self-Anwendungen, die sich als wirksam,
Betroffenen. Diesen fällt es umso schwerer, ihre         zweckmässig und wirtschaftlich erwiesen haben,
Rechte durchzusetzen, weil viele Anbieter aus Asien      sind in die Liste der Leistungen aufzunehmen, die
und den USA stammen, wo aus Sicht von Europa             von der Grundversicherung der Krankenkasse finan-
kein angemessenes Datenschutzniveau besteht.             ziert werden.

Höher, schneller, besser: Der Alltag als
ständiges Kräftemessen

Dank der Miniaturisierung werden Sensoren im-            an, die ihn am Handgelenk tragen. Er unterschei-
mer kleiner und lassen sich problemlos in Han-           det zwischen den verschiedensten Sportarten
dys, Uhren, Armbänder oder Kleider einpassen.            vom Alpinski übers Laufen und Radfahren bis zum
Viele Alltagshandlungen können damit vermes-             Schwimmen und wertet dabei eine ganze Reihe von
sen werden: Die Anzahl gegangener Schritte, die          Parametern aus: Nebst GPS-Ortungsdaten nutzt er
Dauer und Tiefe des Schlafs, die beim Radfahren          Daten aus Beschleunigungs- und Bewegungssenso-
verbrannten Kalorien und vieles mehr. Durch die          ren und erhebt die Steigung des Geländes. Ergänzt
ständige Erhebung von Körperdaten ist ein viel-          werden diese Angaben durch Messungen der Herz-
fältiges Geschäftsfeld entstanden.                       frequenz.

«Super gemacht! Noch zwei Sternchen, dann verbes-        Mittels ausgeklügelter Algorithmen, deren genaue
sert sich dein Fitness-Alter!» Mit solchen ans Handy     Formeln unter das Betriebsgeheimnis des Herstel-
oder den PC gesendeten Aufmunterungen spornt             lers fallen, werden aus den erhobenen Messwerten
der Fitnesstracker «TomTom Adventurer» diejenigen        Rückschlüsse auf die Art der Bewegung und die

                                                                                                              5
Intensität des Trainings gezogen. Kombiniert mit        Die Ansprüche der Nutzerinnen und Nutzer sind
persönlichen Angaben wie Geschlecht, Alter, Grösse      vielfältig, denn es greifen nicht nur Sporttreibende
und Gewicht lassen sich weitere Parameter wie Kalo-     auf Fitnesstracker zurück. So sind mittlerweile auch
rienverbrauch und Fettverbrennung berechnen und         Geräte auf dem Markt, die etwa die Leitfähigkeit der
Empfehlungen für die nächsten Trainingseinheiten        Haut messen und davon die nervliche Anspannung
ableiten: «Du musst noch 15 Minuten im Pulsbereich      der Betroffenen ableiten. Diese erhalten «ein Bio-
'Ausdauer' trainieren, um einen weiteren Fitness-       feedback», das laut Werbung «hilft, den Stresslevel
punkt zu erhalten», kann beispielsweise die entspre-    zu visualisieren und gezielt am Stressabbau zu arbei-
chende Anweisung lauten, oder auch: «Wow, du bist       ten». Auch zur Überwachung des Körpergewichts
heute wirklich an deine Grenzen gegangen. Lass es       werden Tracker eingesetzt.
morgen etwas langsamer angehen!»
                                                        Die Medizin beginnt ebenfalls, sich die stetige
                                                        Selbstüberwachung zunutze zu machen. Medizini-
Eine Vielfalt an Modellen unter-                        sche Wearables – d. h. in Schuhe oder Kleider
schiedlicher Herkunft                                   eingearbeitete, eng am Körper getragene elektro-
                                                        nische Komponenten oder auf der Haut befestigte
Mittlerweile ist eine grosse Vielfalt von Trackern im   Sensoren – messen beispielsweise den Blutzucker
Angebot: Vom wuchtigen digitalen Chronometer            von Diabeteskranken. Des Weiteren gibt es für Herz-
über die elegante Uhr, der man ihre inneren elek-       Kreislauf-Krankheiten und Asthma Wearables, die
tronischen Werte nicht ansieht, bis zur filigranen      die erhobenen Daten an die «Cloud» übermitteln
Armspange, die mit Technik überhaupt nicht in           und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte stetig
Verbindung zu stehen scheint, decken die verschie-      mit Informationen über den Zustand ihrer Patien-
denen Modelle mannigfaltige Bedürfnisse ab – und        tinnen und Patienten versorgen.
entstammen der Werkstatt von Anbietern aus unter-
schiedlichen Sektoren: Wie TomTom hat beispiels-        Auch wenn die Selbstvermessung – in der internati-
weise auch Garmin sein ursprüngliches Standbein in      onalen Terminologie «Quantified Self» genannt und
der Strassennavigation. Daneben führen Elektronik-      im Folgenden QS abgekürzt – unterschiedliche Aus-
giganten wie Samsung, Apple oder Xiaomi Fitnes-         prägungen kennt, baut sie auf einer einheitlichen
stracker oder «intelligente Uhren» (Smartwatches)       Definition auf. Grundsätzlich ist sie dadurch gekenn-
im Sortiment, während die kalifornische Firma Fitbit    zeichnet, dass sie es einer Person ermöglicht, aktiv
direkt im Hinblick auf das Selbstmonitoring mittels     mit mobilen Geräten und Applikationen Körperfunk-
Fitness- und Gesundheitsdaten gegründet wurde.          tionen und Aktivitäten zu messen. Die Analyseresul-
Auch die Sportartikelherstellerin Nike bietet mit dem   tate bilden die Basis, um mehr über sich, den Körper
FuelBand einen Tracker an, zudem gelangen immer         und das eigene Verhalten in den Bereichen Fitness,
mehr Apps auf den Markt, die es ermöglichen, mit        Wellness oder Gesundheit zu erfahren.
dem Smartphone Fitness- und Gesundheitsdaten zu
erheben.

6
In der Vergangenheit verankert                          Anspruchsvolle Interpretation von
                                                        Messwerten
Das Bedürfnis, sich und die Mitmenschen dank
möglichst objektiver Daten besser zu kennen, ist        Wissenschaftliche Werke über die Biophysik der
nicht neu. In diese Tradition fügen sich etwa die       menschlichen Fortbewegung, den Kalorienbedarf
anatomischen Studien von Leonardo Da Vinci ein,         bei verschiedenen Sportarten und die Belastung
dessen Zeichnung des vitruvianischen Menschen die       des Kreislaufs bei Anstrengung füllen mittlerweile
idealen Körperproportionen festhält. Lange Zeit war     ganze Bibliotheken. Und dank hoch entwickelter und
die berühmte Darstellung aus der Renaissance nicht      miniaturisierter Sensoren lässt sich eine Vielzahl von
nur ästhetisch, sondern auch medizinisch relevant,      Körperdaten erheben. Doch trotz dieser Grundlagen
indem sie praktizierenden Ärzten dazu diente, kör-      bleibt es anspruchsvoll, Bewegungen richtig zu mes-
perliche Missverhältnisse bei ihren Patientinnen und    sen und Sensordaten korrekt zu interpretieren.
Patienten zu erfassen.
                                                        In Tests wiesen Messungen von Fitnesstrackern
Die frühesten gross angelegten systematischen           einen mittleren Fehler von 10 bis 20 Prozent auf.
Messungen des menschlichen Körpers erfolgten            Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass sich ge-
im Rahmen militärischer Aushebungen. So gilt der        wisse Modelle austricksen lassen und etwa rhythmi-
Datensatz mit den Grössenangaben von über 38 000        sches Klatschen als Gehen werten. Mitunter verrin-
Rekruten, der von der französischen Armee ab Mitte      gern Handbewegungen beim Musizieren oder beim
des 17. bis Mitte des 18. Jahrhunderts zusammenge-      Kochen die Präzision der Tracker, und Körperbehaa-
tragen wurde, als die älteste Sammlung individueller    rung oder ein Schweissfilm auf der Haut können die
Körpermasse. Der belgische Statistiker Adolphe          Erhebungen ebenfalls verfälschen.
Quételet vermass 1817 den Brustumfang von rund
5000 schottischen Soldaten und gilt mit dieser Arbeit   Dabei ist die Zuverlässigkeit der Messung zentral,
als Begründer der Biostatistik; 1832 entwickelte er     zumal, wenn die Tracker in der Medizin zum Einsatz
den «Quételet-Index», der heute unter dem Namen         kommen. Doch selbst in diesem Bereich lässt die
«Body Mass Index» nach wie vor als grober Richt-        Genauigkeit zu wünschen übrig: In Studien wurde
wert für Normal- bzw. Unter- oder Übergewicht gilt.     herausgefunden, dass Apps die Insulindosis für
Auch um die Gesetzmässigkeiten des menschlichen         Diabeteskranke zuweilen fehlerhaft berechnen oder
Gangs auszuleuchten, setzte die Wissenschaft gerne      falsche Diagnosen stellen.
Wehrpflichtige als Probanden ein. Der Zusammen-
hang zwischen Schrittlänge und Geschwindigkeit          Weitere Gefahren lauern bei der Übermittlung von
wurde beispielsweise in den 1860er-Jahren (Zuntz N.     Daten an Plattformen in der Cloud. In einem Test
und Schumburg W.: Studien zu einer Physiologie des      stellte sich heraus, dass 20 Prozent der Wearables
Marsches. Verlag August Hirschwald, Berlin 1901).       die Daten unverschlüsselt hochladen. Hackern wäre
                                                        es somit ein Leichtes, Daten der Trägerinnen und
Die Apparaturen, die es für die präzise Datener-        Träger entsprechender Geräte abzufangen und
hebung brauchte, gewannen im Lauf der Zeit an           deren Name, Geburtstag, Mail-Adresse, Gewicht und
Raffinesse. Zu Massstab und Waage gesellte sich         andere Angaben in Erfahrung zu bringen.
beispielsweise der mechanische Schrittzähler. Erfun-
den wurde er im Jahr 1780 vom Uhrmacher Abra-           Wer seine Daten über eine Plattform auswertet und
ham-Louis Perrelet aus Le Locle; dieser hatte wenige    speichert, geht zusätzliche Risiken ein. Denn nebst
Jahre zuvor die automatische Taschenuhr entwickelt,     der gemessenen Leistung oder den erhobenen
die sich die Bewegung ihres Trägers zunutze macht,      Gesundheitsdaten zeichnen die Wearables oft auch
um sich aufzuziehen.                                    den Aufenthaltsort auf, und das Handy registriert
                                                        darüber hinaus das Nutzungsverhalten seiner Besit-
                                                        zerin oder des Besitzers. Im Prinzip ist es möglich,
                                                        diese Daten mit öffentlich zugänglichen Angaben
                                                        über den betreffenden Menschen zu verknüpfen
                                                        und zum aufschlussreichen Persönlichkeitsprofil zu
                                                        verdichten, das weitherum auf Interesse stossen
                                                        dürfte – bei der Krankenversicherung und dem Ar-
                                                        beitgeber ebenso wie beim Fitnesscenter oder beim
                                                        Sportartikelladen.

                                                                                                            7
Unterschiedliche Quellen speisen die                   Wer sich selber gut kennt und viel über seinen
Datenflut                                              Körper weiss, ist zudem in der Lage, allfällige Krank-
                                                       heitsanzeichen früh zu bemerken. «Empowerment»
Ein konsequentes «Self-Tracking» muss schliess-        heisst der neudeutsche Ausdruck, der für Selbstver-
lich auch mit der Schwierigkeit zurande kommen,        antwortung und eigenständige Lebensgestaltung
dass es Daten aus diversen Quellen miteinander zu      steht. Personen, die ihr Gewicht reduzieren oder
verknüpfen gilt: Abgesehen davon, dass die Daten-      von der Zigarette loskommen möchten, profitieren
formate der verschiedenen Modelle untereinander        erwiesenermassen von der Motivation durch QS-An-
kaum kompatibel sind, sollten nebst den Erhebun-       wendungen.
gen eines eigentlichen Trackers oft auch Informatio-
nen aus der Handy-App oder von manuell – etwa mit      Doch der Grat zwischen dem von der Vernunft ver-
einer Zange für die Messung des Körperfetts – er-      ordneten Verbesserungswunsch und einer zwang-
hobenen Werten einbezogen werden. Technisch ist        haften Steigerungsmanie ist schmal. Der Drang,
diese Aggregation unterschiedlicher Daten eine der     ausser der täglichen Schrittzahl laufend auch Puls,
grössten Herausforderungen von QS.                     Lungenfunktion, Schlaf und andere Körperdaten zu
                                                       messen, bringt nicht zuletzt die allgemeinen Effizien-
Eine weitere Erschwernis stellen die gewaltigen        zanforderungen zum Ausdruck, die den individuellen
Datenmengen dar, die bei QS anfallen. So wird bei      Alltag immer stärker prägen. Aus dieser Perspektive
der Abschätzung möglicher Herzkrankheiten die          stellt QS ein weiteres Symptom einer auf Wachs-
Herzfrequenz überwacht. Dabei werden pro Sekun-        tum und Wirtschaftlichkeit fixierten Moderne dar.
de rund 250 Messungen durchgeführt. Jeden Monat        In diese von der Sozialwissenschaft diagnostizierte
wächst mithin die Datenmenge pro Patientin oder        «Objektivierung des Zeitgeistes» fügt sich der Trend
Patient um 9 Gigabyte an.                              ein, den menschlichen Körper anhand von Zahlen
                                                       und Messwerten zu erfassen. Damit verbunden ist
                                                       freilich auch die Gefahr, dass diejenigen diskrimi-
Im Vorteil dank Selbstoptimierung?                     niert werden, die von den sogenannten Idealmassen
                                                       abweichen.
Dass aus den Gegebenheiten stets das Beste
herauszuholen sei, ist zum weitherum akzeptierten
Leitsatz unserer westlichen Gesellschaft geworden:        Die Studie «Quantified Self» von TA-SWISS ent-
Aus dem Angelsächsischen ist die «Qualitätszeit»          stand im Rahmen einer Zusammenarbeit zwi-
auch in den deutschen Sprachraum eingedrungen,            schen der Zürcher Hochschule für Angewandte
und von Geldanlagen über das eigene Zeitmanage-           Wissenschaften (ZHAW) und dem Institut für
ment bis zur Ernährung lässt sich nahezu alles opti-      Zukunftsstudien und Technikbewertung (IZT) in
mieren. In diese Stossrichtung der kontinuierlichen       Berlin unter der Leitung von Heidrun Becker von
Qualitätskontrolle und -verbesserung fügt sich auch       der ZHAW. Die Projektgruppe wertete zum einen
das Bestreben ein, die eigene körperliche Leistungs-      die verfügbare Literatur zum Thema aus und
fähigkeit zu überwachen und zu steigern.                  leitete daraus ihre Einschätzung des Ist-Zustan-
                                                          des und künftige Trends ab. Zum anderen führte
Umsichtig auf eine gesunde Lebensführung zu               sie Befragungen sowohl bei Fachleuten als auch
achten und die heutzutage überwiegend sitzend             bei Nutzerinnen und Nutzern von Fitness- und
ausgeführten Tätigkeiten durch ausreichende Bewe-         Gesundheitstrackern durch, und gewann dadurch
gung auszugleichen, fördert die Gesundheit und das        Einsichten über den Einsatz dieser Geräte und
persönliche Wohlbefinden: Gemäss einer Empfeh-            über die damit einhergehenden Folgen.
lung der Weltgesundheitsorganisation WHO können
Erwachsene das Risiko für chronische Krankheiten
mindern, indem sie sich mindestens zweieinhalb
Stunden pro Woche bewegen. Wenn die Arbeits-
kräfte weniger krank werden, profitiert auch die
Wirtschaft – von den positiven Auswirkungen auf die
Gesundheitskosten ganz zu schweigen.

8
Der Körper im Spiegel der Zahlen
Kranke Menschen enger begleiten, die Erhebung        Die Bedenken der Kranken …
vitaler Gesundheitsdaten vereinfachen, frühzei-
tig Krankheitsmuster erkennen: Gesundheitliche       Freilich neigen gerade chronisch kranke Personen
Zielsetzungen haben die Bewegung von Quanti-         dazu, von QS-Applikationen Abstand zu halten und
fied Self erheblich befördert. Allerdings zielt      eher konventionelle Instrumente wie das Blutdruck-
heute die überwiegende Anzahl der QS-Applika-        oder das Blutzuckermessgerät einzusetzen. Sie
tionen eher auf Wellness ab als auf medizinische     gehen sehr achtsam und bewusst mit ihren Daten
Anwendungen.                                         um und sorgen sich um deren Sicherheit. Insbeson-
                                                     dere die Furcht vor Diskriminierung und Blossstel-
2,2 Millionen Schweizerinnen und Schweizer leiden    lung drängt sie zu grösstmöglicher Diskretion. Der
an chronischen Krankheiten. Herz-Kreislauf-Erkran-   teilweise mangelhafte Datenschutz vieler QS-Appli-
kungen, gewisse Formen von Krebs, Diabetes und       kationen ist denn auch ein triftiger Grund für ihre
chronische Lungenleiden sind besonders verbrei-      Zurückhaltung gegenüber Trackern und Apps.
tet. Damit bestünde hierzulande grundsätzlich ein
erhebliches Potenzial für QS-Anwendungen. Denn       In ihrer Skepsis werden chronisch Kranke von
bei Diabetes mellitus sind regelmässige Messungen    medizinischen Fachleuten bestärkt, die die man-
des Blutzuckerspiegels ohnehin Bestandteil der       gelnde Verlässlichkeit vieler QS-Anwendungen
Therapie, während der Bewegungsmangel erwiese-       beanstanden. Ins Gewicht fällt hier vor allem, dass
nermassen die Entstehung vieler Volksleiden be-      sich Tragekomfort und Messgenauigkeit vielfach
günstigt.                                            ausschliessen. Denn präzise Daten sind oft nur mit
                                                     aufwendigeren Apparaturen zu erheben, die sich
Die Betreuung chronisch Kranker hat denn auch die    nicht ohne weiteres in Armbänder oder Kleidung
Entwicklung der QS-Bewegung stark vorangetrieben:    integrieren lassen und mit Brustgurt oder anderen
Im medizinischen Bereich zielt sie in erster Linie   Vorrichtungen am Körper befestigt werden müssen.
darauf ab, Bewegung zu fördern, Körpergewicht zu
reduzieren bzw. auf einem optimalen Niveau zu hal-
ten, zur gesunden Ernährung zu animieren oder mit
chronischen Erkrankungen umzugehen.

                                                                                                       9
… und die Einschätzung der                             Prävention und Selbstverantwortung
Gesundheitsfachpersonen
                                                       Die heutige Gesundheitsversorgung ist bestrebt,
Die im Rahmen der TA-Studie bei                        Krankheiten eher erst gar nicht entstehen zu lassen,
Gesundheitsfachleuten durchgeführte Befragung          statt sie heilen zu müssen. Vorsorge wird gross ge-
ergab, dass diese nie oder höchstens gelegentlich      schrieben, und wir alle sind gehalten, selbstverant-
QS-Applikationen empfehlen. Auf QS greifen sie         wortlich auf unsere Gesundheit zu achten. In diese
allenfalls dann zurück, wenn es nicht um lebensbe-     Präventionslogik fügt sich QS bestens ein und er-
drohliche Krankheiten geht und Patientinnen oder       öffnet Potenziale, um bestimmte Personengruppen
Patienten zu Veränderungen ihrer Gewohnheiten          besser als bisher zu erreichen, weil die Technologie
animiert werden sollen. Denn viele Tracker zeigen      einen neuen Zugang zur Gesundheit ermöglicht.
direkt den Zusammenhang zwischen quantifiziertem       Dies betrifft insbesondere Männer über 50 Jahren,
Verhalten und dem daraus folgenden Zustand an          die oft eine erhöhte Neigung zu Herzkreislauf-Er-
– also etwa zwischen mehr Bewegung und Gewichts-       krankungen haben.
abnahme. Werden solche Zusammenhänge erkannt
und visualisiert, erleichtert dies der betroffenen     Doch auch in der Therapie und beim Genesungs-
Person, sich realistische Ziele zu setzen und diese    prozess ist die wachsende Bedeutung der Selbstver-
auch zu erreichen.                                     messung absehbar; zunehmend kommen nämlich
                                                       entsprechende Applikationen bei der Überwachung
Eine zu exzessive Beschäftigung mit sich selbst bzw.   und Betreuung von Patientinnen und Patienten zum
den eigenen Messwerten kann jedoch aus Sicht           Einsatz. Die Daten könnten auch direkt ins elektroni-
von Ärztinnen und Ärzten gerade bei ängstlichen        sche Patientendossier einfliessen und dazu beitra-
Menschen den Hang zur Hypochondrie bestärken.          gen, bessere Entscheidungen zu treffen und den
Allerdings gaben die befragten Gesundheitsfachper-     optimalen Zeitpunkt für Interventionen zu wählen.
sonen auch an, das Thema der Selbstvermessung          Mittelfristig dürfte QS somit nahtlos mit eHealth und
sei in jüngerer Zeit in ihrem Umfeld immer öfter zur   Telemedizin verschmelzen.
Sprache gekommen. Viele von ihnen haben privat
Erfahrung mit Trackern und Apps gesammelt und          Schliesslich könnte auch die Forschung von QS pro-
verfolgen die Entwicklung mit Interesse. Ein grosses   fitieren. Denn die gigantische Menge an Körper- und
Potenzial erkennen sie bei der Visualisierung der      Gesundheitsdaten stellt eine Wissensquelle dar, um
Krankheitsdaten.                                       in der Bevölkerung gesundheitsrelevante Muster
                                                       aufzudecken. Wenn dereinst QS verlässliche Daten
                                                       liefert und genügend Personen bereit wären, ihre
                                                       Daten der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen,
                                                       liesse sich dank dieser «Citizen Science» das erfor-
                                                       derliche Datenmaterial für umfassend angelegte
                                                       Studien einfacher als bisher zusammentragen.

10
Das Profil des Lifestyles                                 ten Perspektive aus, um ihr Verhalten zu bewerten
                                                          oder ihre Leistung zu steigern.
Zurzeit sind allerdings die meisten QS-Geräte und
Applikationen nicht so sehr auf die Gesundheit            Doch selbst die spielerische Selbstvermessung ge-
ausgerichtet, als vielmehr einem Zeitgeist verpflich-     sunder Menschen ist nicht ohne Risiken. Die exzes-
tet, der Lifestyle und Fitness grosse Aufmerksamkeit      sive Beschäftigung mit den eigenen Körperdaten
schenkt. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der-   kann letztlich ebenfalls in Leistungsdruck münden
zeit für die Selbstvermessung weitaus am häufigsten       – obschon viele Apps darauf ausgerichtet sind, vor
das Handy zum Einsatz kommt und kein spezifisch           problematischem Verhalten zu warnen und Burnout
auf Körperdaten ausgerichtetes Messgerät.                 zu verhindern. Kommt hinzu, dass QS die Wahr-
                                                          nehmung des eigenen Körpers verändern dürfte:
Im Unterschied zu kranken Menschen, die gezielt           Während im besseren Fall die Selbstvermessung
die für ihre Diagnose relevanten Daten erheben,           dazu beiträgt, gesundheitliche Warnzeichen früh-
messen gesunde Personen oft eine Vielfalt von             zeitig zu entdecken, kann sie schlimmstenfalls zu
Parametern. In der Nutzerbefragung gab knapp die          einer Abhängigkeit von Daten führen, ohne die der
Hälfte von ihnen an, sich in erster Linie aus Spass       Nutzer oder die Nutzerin der Tracker nicht mehr
und Neugierde zu «tracken»; somit weichen sie auch        in der Lage ist, die Signale des eigenen Körpers
diesbezüglich von Patientinnen und Patienten ab,          zu interpretieren. Auf jeden Fall aber fördert die
die die Messungen eher als Belastung empfinden.           Selbstvermessung die Wahrnehmung des Körpers
Auch die Zielsetzungen unterscheiden sich: Kranke         als naturwissenschaftliches Objekt, das aufgrund
Menschen dokumentieren primär ihren gegenwär-             wissenschaftlich fundierter Daten geformt werden
tigen Zustand – etwa, um den geeigneten Moment            kann – und das angesichts gesellschaftlicher Anfor-
für die Medikation zu ermitteln. Gesunde hingegen         derungen möglicherweise gestaltet werden muss.
werten ihre Daten eher aus einer zukunftsgerichte-

Das lukrative Geschäft mit den Körperdaten

Herstellerfirmen, die Tracker produzieren, Infor-         regelmässig treffen. Inzwischen befassen sich nicht
matikunternehmen, die Plattformen zum Aus-                mehr nur Gruppen von Hightech-Begeisterten mit
werten und Speichern der Messwerte anbieten,              QS. Vielmehr sind die entsprechenden Geräte und
Softwareentwickler, aber auch Versicherungen              Applikationen weit verbreitet.
und nicht zuletzt Gesundheitsbehörden: Sie alle
interessieren sich für die Daten aus der Selbstver-
messung.                                                  Nachfrage und Angebot wachsen
                                                          rasant
Ein Artikel, der im Jahr 2007 in der Zeitschrift «Wi-
red» erschien, steht am Anfang der QS-Bewegung.           Auf der Angebotsseite von QS lassen sich verschie-
Der Beitrag thematisierte die zunehmende Ver-             dene Akteursgruppen unterscheiden. So sind in den
breitung von Geräten, die persönliche Daten sam-          letzten Jahren zahlreiche junge Unternehmen auf
meln. Im gleichen Jahr begannen die Autoren mit           den Markt getreten, die neben einfachen Applikati-
einem Blog, der zur Informationsquelle über die           onen zunehmend auch umfassende Gesundheits-
Selbstmessung wurde. Die Bewegung griff rasch             dienstleistungen entwickelt haben. Daneben drän-
von den Hightech-Unternehmen im Silicon Valley            gen zunehmend Telekommunikationsfirmen auf den
auf andere Regionen über und hat sich seither in          QS-Markt. Mit Verily hat beispielsweise die Goog-
mehr als 30 Ländern ausgebreitet. Heute gibt es in        le-Mutter Alphabet eine Tochterfirma gegründet,
über 130 Städten rund 250 QS-Gruppen mit über             die seit April 2017 mit einer eigenen smarten Uhr
80 000 Angehörigen. In der Schweiz existieren in          in der Lage ist, in Echtzeit viele medizinische Daten
Genf und Zürich je eine entsprechende Vereinigung,        zu sammeln. Microsoft und andere kommerzielle
deren Mitglieder sich an sogenannten «Meet-ups»           Anbieter wiederum stellen ihre Cloud-Plattformen

                                                                                                            11
Dritten zur Verfügung, die gesundheitsbezogene          Welcher Umsatz mit Gesundheits- und Wellness-
Daten speichern und auswerten wollen. Alles in al-      Apps erzielt wird, lässt sich nicht ermitteln. Fest
lem handelt es sich beim QS-Markt um einen jungen       steht, dass Applikationen boomen: In Deutschland
Handelsplatz: In einer Umfrage gaben mehr als die       übertraf der durch Apps erzielte Umsatz im Jahr
Hälfte der hier engagierten Unternehmen an, erst        2015 erstmals die Marke von einer Milliarde Euro,
2013 oder später in dieser Domäne aktiv geworden        was gegenüber dem Vorjahr einer Steigerung von
zu sein. Alteingesessene Akteure aus dem Gesund-        41 Prozent entspricht. Ein grosser Teil dieser An-
heitswesen tun sich dagegen eher schwer, in diesem      wendungssoftware dürfte allerdings den Spielen
Bereich ihre starke Stellung geltend zu machen.         zuzurechnen sein; wie stark Gesundheits- und Well-
                                                        ness-Apps am Umsatz beteiligt sind, ist, wie gesagt,
                                                        nicht zu erschliessen.
Fitnesstracker mit vielversprechender
Zukunft
                                                        Kosteneinsparungen dank
Unter den Trackern am weitesten verbreitet sind         Gesundheitsdaten?
Armbänder, smarte Uhren sowie Bänder, die am
Oberarm oder um die Brust getragen werden. Da-          Die Annahme, dass eine gesunde Lebensführung
neben wird aber vor allem das Handy genutzt, um         mit ausreichender Bewegung und ausgewogener
Fitnessdaten zu erheben. In einer Befragung unter       Ernährung zur Senkung der Gesundheitskosten
Entwicklern von Gesundheitsapplikationen gaben          beiträgt, ist plausibel und wird quantitativ belegt:
70 Prozent der Auskunftspersonen an, Sensoren           Die Untersuchung von PwC beziffert für Europa
in Smartphones und Tablets seien die bevorzugte         das jährliche Einsparpotenzial durch elektronische
Hardware zum Tracken von Gesundheitsdaten.              Gesundheitsdienste, die auf mobilen Endgeräten
Demgegenüber sind eigentliche Fitnesstracker hier-      verfügbar sind (sogenanntes «mHealth»), langfristig
zulande noch nicht sehr weit verbreitet.                auf über 99 Milliarden Euro; rund zwei Drittel dieses
                                                        Betrags sind den Bereichen Prävention und Wellness
Dennoch wird Wearables und Fitnesstrackern eine         zuzuordnen – dem Hauptanwendungsbereich von
blühende Zukunft vorausgesagt. Im europäischen          QS-Applikationen. Andere Studien bestätigen das
Gesamtmarkt soll einer Studie der Consultingfirma       Einsparpotenzial der Selbstvermessung, wenngleich
PriceWaterhouseCooper (PwC) zufolge die Anzahl          ohne genaue Zahlen zu nennen. Kostensenkend
verkaufter Geräte jährlich um 25 Prozent zunehmen.      dürften sich ihnen zufolge die Früherkennung von
Somit würde sich das totale Volumen des europäi-        Krankheiten, die präventive Aufklärung und das
schen Marktes vom Jahr 2015 bis ins Jahr 2018           engmaschige Monitoring auswirken.
knapp verdoppeln – nämlich von gut 4,5 Milliarden
Euro (bzw. rund 5 Milliarden Franken) auf über 9 Mil-   Abgesehen von wissenschaftlichen Annäherungen
liarden Euro.                                           an die Einsparungsmöglichkeiten durch QS scheinen
                                                        auch wirtschaftliche Akteure vom kostendämpfen-
                                                        den Effekt der Selbstvermessung überzeugt zu sein.
Beim jüngeren Publikum beliebte                         Jedenfalls bieten mehrere Schweizer Krankenkassen
LifestyleApps                                           ihren Kundinnen und Kunden Rabatte auf die Zu-
                                                        satzversicherung, wenn sie bereit sind, ihre sportli-
Nebst medizinischen Applikationen, die sich an          chen Aktivitäten mittels QS-Daten zu erheben und
Gesundheitsfachpersonen oder an chronisch Kran-         zu belegen. Bei einigen dieser Bonusmodelle reicht
ke richten, gibt es derzeit rund 400 000 Apps, die      es, mit einem Schrittzähler und einer hauseigenen
Funktionen in den Bereichen Lifestyle, Fitness, Sport   App der Versicherung das tägliche Gehpensum zu
und Ernährung abdecken. Generell werden Apps vor        belegen; die CSS etwa vergütet jeden Tag, an dem
allem von Menschen unter 29 Jahren regelmässig          10 000 Schritte gegangen wurden, mit 40 Rappen;
genutzt, und auch der Einsatz von Wellness-Ap-          für 7500 Schritte zahlt sie noch 20 Rappen. Im
plikationen scheint von dieser allgemeinen Regel        Maximum kommt dadurch eine Prämienreduktion
nicht abzuweichen: Daten aus den USA zeigen, dass       von knapp 150 Franken pro Jahr zustande. Solche
Wellness- und Fitness-Apps von jüngeren Personen        Bonusprogramme sind derzeit einzig im Bereich
besonders häufig verwendet werden. Auch besser          der Zusatzversicherungen erlaubt. In der obligatori-
gebildete Menschen und solche mit höherem Ein-          schen Krankenversicherung sind dagegen finanzielle
kommen setzen Lifestyle- und Sportapplikationen         Belohnungen für körperliche Anstrengungen nicht
überdurchschnittlich häufig ein.                        gestattet. Sie verstossen gegen das Solidaritätsprin-

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zip, weil etwa Gehbehinderte von vornherein ausge-      Amazon, Google, Facebook und IBM in den Markt für
schlossen werden.                                       Gesundheitsprävention eingetreten. Pharma-Firmen
                                                        haben denn auch ihre Zusammenarbeit mit den
                                                        IT-Giganten verstärkt, um eHealth oder mHealth-
Daten zu Geld                                           Angebote zu entwickeln und neue Zielgruppen zu
                                                        erschliessen.
Mit «Big Data» sind Messwerte und statistische
Informationen zu einer eigentlichen Währung             Mit der Entwicklung von Gesundheits-Apps erzielen
geworden, mit der sich gut verdienen lässt. Gesund-     nebst etablierten IT-Firmen auch kleine Startups und
heitsdaten stossen vielerorts auf Interesse: Etwa bei   unabhängige Software-Ingenieure ihr Einkommen,
medizinischen und pharmazeutischen Unterneh-            und auch für die Werbung ist die Selbstvermessung
mungen, die zu Krankheitsursachen und Therapien         von Belang. Denn Werbung trägt zu einem erheb-
forschen und aus grossen Datenmengen Erkennt-           lichen Teil zu den Einnahmen der Hersteller von
nisse gewinnen können. Mit Blick auf die Planung        Apps bei. Aussagekräftige Zahlen zum Umsatz der
des Gesundheitssystems könnten staatliche Akteure       unterschiedlichen Angebote sind keine zu finden.
ebenfalls von Gesundheitsdaten profitieren.             Doch dass sich kostenlose Angebote dank Wer-
                                                        bung für den Anbieter durchaus rechnen, zeigt das
Zudem entstehen rund um Gesundheitsdaten neue           Beispiel von Facebook: Das Unternehmen erzielte im
Plattformen, auf denen die Körperdaten gespeichert      2. Quartal des Jahres 2017 einen Umsatz von über
und ausgewertet werden. In diesem Bereich werden        9 Milliarden Dollar – und 98 Prozent davon entfie-
zunehmend grosse Firmen aktiv, die ursprünglich         len auf Werbeeinnahmen (aller Art). Der Anteil der
nicht im biowissenschaftlichen oder medizinischen       Werbung auf mobilen Geräten belief sich dabei auf
Sektor tätig waren: So sind in den letzten Jahren       87 Prozent aller Werbeeinkünfte.

Selbstbestimmung bedingt Transparenz

Wenn Körperdaten im Rahmen einer medizinisch-           Die Anforderungen des
therapeutischen Behandlung erhoben werden,              Heilmittelrechts
müssen die Messgeräte höheren Anforderungen
genügen, als wenn die Fitness oder andere Life-         Medizinprodukte haben dem Heilmittelrecht zu
style-Daten ermittelt werden. Das Gesetz sieht          entsprechen und unterstehen der Kontrolle durch
entsprechende Diferenzierungen vor. Dem                 die Aufsichtsbehörde Swissmedic. Die Schweiz folgt
Datenschutz kommt sowohl bei Konsum- als auch           bei der Zulassung und den Kontrollbestimmungen
bei Medizinprodukten entscheidende Bedeutung            weitgehend dem EU-Recht und wird demnächst
zu.                                                     die Medizinprodukteverordnung an die strengeren
                                                        EU-Bestimmungen anpassen.
Rechtlich gesehen sind die Geräte und Applikationen
für die Selbstvermessung zwei verschiedenen Kate-       Ob ein Gerät den Medizinprodukten zuzuordnen
gorien zuzuordnen: Diejenigen Gadgets, welche als       ist, entscheidet sich an seiner Zweckbestimmung,
Accessoires eines gesünderen Lebensstils und einer      die gesetzlich festgelegt ist. Nicht nur ein Mess-
optimierten Alltagsbewältigung dienen, sind gängige     gerät, sondern auch Medizinsoftware – etwa eine
Konsumprodukte. Anders sieht es bei Messinstru-         App – kann ein Medizinprodukt sein. Wenn das
menten aus, die – etwa mit diagnostischer Absicht       Werbematerial für ein Gerät und die dazu gehörige
– vitale Parameter erheben, eine Therapie begleiten     Auswertungssoftware den Eindruck aufkommen
oder frühzeitig eine Verschlechterung des Gesund-       lassen, dieses verfolge einen medizinischen Zweck,
heitszustandes aufdecken sollen. Bei ihnen handelt      werden Haftungsausschlüsse im App-Store nichtig,
es sich um Medizinprodukte. Für diese gelten weit       selbst wenn dort der Vermerk zu lesen ist: «Dies ist
strengere Qualitätsnormen als für Konsumwaren.          kein Medizinprodukt». Swissmedic kontrolliert, ob

                                                                                                           13
die geltenden heilmittelrechtlichen Bestimmungen        Wem gehören meine Daten?
eingehalten werden und ist befugt, Verstösse straf-
rechtlich zu verfolgen.                                 In der Schweiz gelten Personendaten nicht als Sache
                                                        – mithin ist es auch nicht möglich, sie als Eigentum zu
Nebst den Ansprüchen an die Messgenauigkeit stel-       besitzen. Persönliche Angaben, die jemand öffent-
len sich medizinischen Trackern und Applikationen       lich von sich zugänglich macht, dürfen Dritte nutzen.
auch höhere Anforderungen bezüglich der Datensi-        Dies gilt auch für Personendaten, die im Rahmen von
cherheit. Wendet eine Person ein Medizinprodukt im      QS erhoben werden. Sogar Gesundheitsdaten, die
Rahmen einer ärztlichen Behandlung an, regelt der       gesetzlich unter besonderem Schutz stehen, können
jeweilige Kanton die Frage, wie die Ärztin oder der     unter gewissen Voraussetzungen von Dritten genutzt
Arzt mit den erhobenen Daten umzugehen hat. Für         werden, beispielsweise, wenn die betroffene Person
Gesundheitsinformationen wiederum, die jemand           in die Nutzung eingewilligt hat.
im Rahmen von eHealth freiwillig in seine virtuelle
Krankenakte übertragen lässt, gilt das Bundesgesetz     Allerdings ist es für Betroffene oft nicht ohne weite-
über das elektronische Patientendossier.                res zu durchschauen, was mit ihren Daten geschieht.
                                                        So werden viele Apps von den Anbietern zwar zu
                                                        günstigen Preisen oder gar kostenlos angeboten, de-
Konsumprodukte im internationalen                       ren Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) halten
Warenverkehr                                            indes fest, dass die von den QS-Anwenderinnen und
                                                        -Anwendern erhobenen Daten von ihnen genutzt
Messgeräte, die den Stresslevel, die verzehrten         oder gar an weitere Unternehmen verkauft werden
Kalorien, die Fitness oder generell den Lebensstil      können. Zur fehlenden Transparenz trägt auch bei,
erheben, gehören in die Kategorie der Konsumpro-        dass die AGBs oftmals geändert werden, ohne dass
dukte und fallen entsprechend unter das Konsu-          die Kundschaft zwangsläufig davon erfährt.
mentenrecht. Hier greifen verschiedene Vorgaben,
insbesondere aus dem Bundesgesetz über die
Produktesicherheit (PrSG), aus dem Bundesgesetz         Wertvolles Wissen
über die Produktehaftpflicht (PrHG) und aus dem
Obligationenrecht.                                      Insbesondere im medizinischen Bereich eröffnet die
                                                        Selbstvermessung erhebliche Potenziale, um kranke
Ruft ein fehlerhaftes Produkt einen Schaden her-        Menschen therapeutisch enger zu begleiten und
vor, greift das Produktehaftpflichtgesetz, welches      ihnen gleichzeitig grössere Freiräume in ihrem Alltag
für Schadensansprüche auf das Obligationenrecht         zu ermöglichen: Patientinnen und Patienten gewin-
verweist. Wenn aber der Verkäufer den Mangel nicht      nen an Autonomie, wenn ihre Daten in Echtzeit an
anerkennt, sieht sich die betroffene Person, die bei-   eine Gesundheitsfachperson übermittelt werden
spielsweise einen Fitnesstracker verwendet hat, oft     und diese den Gesundheitszustand laufend über-
mit erheblichen beweisrechtlichen Schwierigkeiten,      wachen kann. So sind etwa für Herzkranke bereits
grossem Aufwand und Prozessrisiko konfrontiert.         Wearables auf dem Markt, die stetig das Elektrokar-
Bei Anbietern aus dem Ausland sind die faktischen       diogramm aufzeichnen und dabei auch Herzrhyth-
Hürden noch höher. Der Grossteil der handelsübli-       musstörungen registrieren. Dank dieser Messgeräte
chen Fitnesstracker und Apps stammt aus den USA         ist es in vielen Fällen möglich, die Behandlung in der
und aus Asien.                                          Klinik abzukürzen und ins eigene Heim zu verlegen
                                                        – für die Betroffenen ein erheblicher Gewinn an
Verschiedene Tests belegen, dass die Genauigkeit        Lebensqualität.
vieler QS-Messgeräte zu wünschen übrig lässt. Wer
diese Produkte nutzt, läuft somit Gefahr, falsche An-   Schliesslich könnten die durch QS erhobenen Daten
gaben über die gemessenen Körperfunktionen und          auch der medizinischen Forschung nützen – und
die davon abgeleiteten physiologischen Parameter        zwar sowohl, wenn es an die Entwicklung neuer An-
zu erhalten. Auch Dienstleistern, deren Angebot auf     sätze für Prävention und Therapie geht, als auch für
einer mangelhaften Applikation aufbaut, kann im         gesundheitspolitische Entscheidungen. Die Daten
Falle eines Schädigungspotenzials ein Haftungspro-      aus QS würden damit eine wertvolle Grundlage lie-
blem drohen.                                            fern, die nicht nur jeder einzelnen Person, sondern
                                                        der ganzen Gesellschaft zugute käme.

14
Die normative Kraft der Daten

Im Umgang mit den von den QS-Nutzerinnen und
-Nutzern erhobenen Messdaten wird sich letztlich
entscheiden, ob die Vor- oder die Nachteile der
Selbstvermessung überwiegen. Personenbezogene
Angaben wecken vielerorts Begehrlichkeiten: Bereits
erwähnt wurden die Bonusprogramme für Zusatz-
versicherungen der Krankenkassen. In den USA sol-
len zudem gewisse Versicherungen den Firmen bes-
sere Konditionen anbieten, wenn ihre Angestellten
an QS-Programmen teilnehmen und an ihrer Fitness
arbeiten. Eine Zweiteilung und Entsolidarisierung
der Gesellschaft wäre damit angelegt: Begünstigt
würden diejenigen, die gewillt und in der Lage sind,
die entsprechende körperliche Leistungsfähigkeit zu
dokumentieren. Auf der Strecke blieben all jene, die
durch ihr Alter oder ein Gebrechen daran gehindert
würden, sich der Norm zu fügen – oder die ihre
Daten aus Prinzip nicht erheben oder bekanntgeben
möchten.

Auch die Privatsphäre gerät unter Druck. Problema-
tisch wird es beispielsweise, wenn Personen auf ent-
sprechenden Plattformen nicht nur ihre körperliche
Leistung dokumentieren, sondern auch Körperdaten
mit einem engen Bezug zu Blutsverwandten preis-
geben – also etwa genetische Daten aus anderen
Quellen.

                                                       15
Produktequalität und Datenschutz im
Blickpunkt
Um die positiven Potenziale von Quantified Self        mögliche Persönlichkeitsrisiken für die Nutzerinnen
auszuschöpfen, ist ein umfassender Datenschutz         und Nutzer zu verhindern.
unabdingbar. Und für Konsumentinnen und Kon-
sumenten muss klar ersichtlich sein, was die Ge-       Gesundheitsfachpersonen stützen sich auf geprüfte
räte messen und wie präzise die Messungen sind.        Medizinprodukte, um ihren Patientinnen und Patien-
                                                       ten qualitativ abgesicherte Modelle zu empfehlen.
Dem Trend zur Selbstvermessung und -optimierung
wird eine erfolgreiche Zukunft vorausgesagt. Um
die Chancen nutzen und die Risiken minimieren zu       Konsumenten- und Patientenschutz
können, werden die folgenden Massnahmen emp-           nehmen Messgeräte ins Visier
fohlen:
                                                       Konsumprodukte für die Messung von Lifestyle- und
                                                       Wellnessdaten werden regelmässig von Organisa-
Ein Gütesiegel für empfehlenswerte                     tionen für den Konsumenten- und Patientenschutz
Produkte                                               geprüft, die sodann für die Verbreitung der Test-
                                                       ergebnisse sorgen. Damit erhalten Kundinnen und
Im unübersichtlichen Markt der Lifestyle-Tracker       Kunden Entscheidungshilfen, wenn sie sich für ein
und -Applikationen erfüllen viele Angebote die         Gerät oder eine App entscheiden wollen.
Qualitätsanforderungen nicht. Mit einem Quali-
tätslabel erhält die Kundschaft einen Hinweis auf
empfehlenswerte Produkte. Das Gütesiegel sollte        Mehr Datenschutz und sichere
Angaben zur Gültigkeit und Präzision der Messun-       Verfahren vor Gericht
gen machen, aber auch Aufschluss geben über den
Datenschutz, die Datensicherheit, die Verständlich-    Der Gesetzgeber nimmt die laufende Totalrevision
keit und Transparenz der AGBs sowie den Zertifizie-    des Bundesgesetzes über den Datenschutz zum
rungs- und Kontrollprozess.                            Anlass, um die Verfahrensrechte der Betroffenen zu
                                                       stärken. Denn für diese ist es oft sehr schwierig, den
Gefordert sind hier die Herstellerverbände, die ein    Nachweis zu erbringen, dass ihre Gesundheitsdaten
solches verbindliches Gütesiegel für diejenigen        von Dritten missbraucht wurden. Als dazu geeignet
Messgeräte entwickeln sollten, die in die Kategorie    erscheint die Umkehr der Beweislast. Es soll dem
der Konsumprodukte fallen; die Schweizer Hersteller    Hersteller eines Geräts bzw. dem Anbieter eines
schaffen mit einem solchen Verzeichnis eine hohe       Dienstes obliegen nachzuweisen, dass kein Miss-
Transparenz und sichern sich einen Marktvorteil.       brauch vorliegt. Diese neue Beweislastregelung ist
Nur wenn auf diese Weise keine ausreichende            in das Bundesgesetz über den Datenschutz einzu-
Qualitätssicherung aufgebaut werden kann, ist eine     führen.
staatliche Zuständigkeit zu prüfen.

                                                       Begleitforschung über die
Strengere Kontrollen für                               Selbstvermessung fördern
Medizinprodukte
                                                       Das positive Potenzial von QS ist derzeit noch eher
Die zuständigen Behörden – Swissmedic und der          Behauptung als Tatsache. Die Forschung hat zu
eidgenössische Datenschutzbeauftragte – intensivie-    klären, inwiefern die Selbstvermessung effektiv zur
ren die Marktbeobachtung für Medizinprodukte. Vor      Senkung der Gesundheitskosten und zur Steigerung
der Markteinführung eines medizinischen QS-Pro-        der Lebensqualität beitragen kann. Auch gilt es, die
dukts checken die Hersteller und die Kontrollstellen   gesellschaftlichen Auswirkungen von QS parallel zu
nicht nur mögliche Gesundheitsrisiken, sondern prü-    deren Entwicklung stets aufs Neue auszuloten.
fen auch, ob bei der Anwendung der Datenschutz
und die Datensicherheit eingehalten werden, um

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Quantified Self im Gesundheitssystem
verankern
QS und das Wissen um seine Anwendungen ist
ins Gesundheitssystem und in die Ausbildung der
Gesundheitsfachpersonen zu integrieren. Aus- und
Weiterbildungsstätten im Gesundheitswesen müs-
sen das Thema QS in ihre Programme aufnehmen
und zur Vermittlung der entsprechenden Kompeten-
zen geeignete Lehrgänge und Berufsbilder entwi-
ckeln.

Kassenpflicht für bewährte
Anwendungen

Längerfristig – d. h. über das Jahr 2022 hinaus – soll
das Bundesamt für Gesundheit BAG vermehrt medi-
zinische QS-Geräte und -Apps, die sich als wirksam,
zweckmässig und wirtschaftlich erwiesen haben, in
die Liste der von der Grundversicherung finanzier-
ten Leistungen aufnehmen.

Öfentliche Debatte anregen

Erlaubt uns die Selbstvermessung ein gesünderes,
angenehmeres und längeres Leben? Oder birgt sie
die Gefahr von Selbsttäuschung, Uniformierung und
Fremdkontrolle? Beides ist möglich. Die permanente
öffentliche Debatte muss die neue Technik in die
von uns gewünschten Bahnen lenken.

                                                         17
Studie «Quantified Self – Schnittstelle zwischen Lifestyle und Medizin»

Begleitgruppe                                            Projektleitung TA-SWISS
■ Dr. Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter           ■ Dr. Sergio Bellucci, Geschäftsführer TA-SWISS
  des Kantons Zürich, Leitungsausschuss TA-SWISS
                                                         ■ Dr. Adrian Rüegsegger, Projektverantwortlicher,
■ PD Dr. Christiane Brockes-Bracht, Klinische Tele-        TA-SWISS
  medizin, Universitätsspital Zürich

■ Dr. Elisabeth Ehrensperger, Geschäftsleiterin
  Nationale Ethikkommission im Bereich der
  Humanmedizin (NEK)

■ Dr. Barbara Hochstrasser, Burnoutstation «au
  soleil», Privatklinik Meiringen

■ Dr. Hermann Kollmar, Firma Medgate, Basel

■ Prof. Dr. Christian Lovis, Sciences de l'information
  médicale, Universität Genf

■ Thomas Müller, Produzent Radio SRF, Leitungs-
  ausschuss TA-SWISS

■ Marc Raemy, Bundesamt für Gesundheit (BAG)

■ Prof. Dr. Katja Rost, Soziologisches Institut,
  Universität Zürich, Nationale Ethikkommission
  im Bereich der Humanmedizin (NEK)

■ Adrian Schmid, Leiter Geschäftsstelle eHealth
  Suisse, Kompetenz- und Koordinationsstelle von
  Bund und Kantonen

■ Prof. Dr. Giatgen Spinas, Universitätsspital Zürich,
  Leitungsausschuss TA-SWISS, Vorsitzender der
  Begleitgruppe

■ Prof. Dr. Franziska Sprecher, Öffentliches Recht,
  Medizin- und Gesundheitsrecht, Universität Bern

■ Barbara Züst, Geschäftsführerin Stiftung (SPO)
  Patientenschutz

■ Prof. Dr. Hans-Jörg Zweifel, Medizintechnik
  Zweifel GmbH, Unterengstringen; Experte «life
  sciences» der Kommission für Technologie und
  Innovation (KTI)

18
Impressum

TA-SWISS (Hrsg.) Das Mass aller Dinge: Potenziale
und Risiken der digitalen Selbstvermessung
Kurzfassung der Studie «Quantified Self – Schnitt-
stelle zwischen Lifestyle und Medizin»
TA-SWISS, Bern 2018
TA 67A / 2018

Autorin: Lucienne Rey, TA-SWISS, Bern
Produktion: Christine D’Anna-Huber, TA-SWISS, Bern
Gestaltung und Illustrationen: Hannes Saxer, Bern
Druck: Jordi AG – Das Medienhaus, Belp

                                                     19
TA-SWISS – Stiftung für Technologiefolgen-
Abschätzung

Neue Technologien bieten oftmals entscheidende
Verbesserungen für die Lebensqualität. Zugleich
bergen sie mitunter aber auch neuartige Risiken,
deren Folgen sich nicht immer von vornherein
absehen lassen. Die Stiftung für Technologiefolgen-
Abschätzung TA-SWISS untersucht die Chancen
und Risiken neuer technologischer Entwicklungen
in den Bereichen «Biotechnologie und Medizin»,
«Informationsgesellschaft», «Nanotechnologie» und
«Mobilität / Energie / Klima». Ihre Studien richten
sich sowohl an die Entscheidungstragenden in
Politik und Wirtschaft als auch an die breite Öffent-
lichkeit. Ausserdem fördert TA-SWISS den Informa-
tions- und Meinungsaustausch zwischen Fachleuten
aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und der brei-
ten Bevölkerung durch Mitwirkungsverfahren. Die
Studien von TA-SWISS sollen möglichst sachliche,
unabhängige und breit abgestützte Informationen
zu den Chancen und Risiken neuer Technologien
vermitteln. Deshalb werden sie in Absprache mit
themenspezifisch zusammengesetzten Experten-
gruppen erarbeitet. Durch die Fachkompetenz ihrer
Mitglieder decken diese so genannten Begleitgrup-
pen eine breite Palette von Aspekten der untersuch-
ten Thematik ab.

Die Stiftung TA-SWISS ist Mitglied der Akademien
der Wissenschaften Schweiz.

20
TA-SWISS
Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung
Brunngasse 36
CH-3011 Bern
info@ta-swiss.ch
www.ta-swiss.ch

       Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung
       Fondation pour l’évaluation des choix technologiques
       Fondazione per la valutazione delle scelte tecnologiche
       Foundation for Technology Assessment
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