Das Wohl des Kindes ist keine Frage der Uhrzeit - Erfahrungen mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungszeiten - Kita Plus

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Das Wohl des Kindes ist keine Frage der Uhrzeit - Erfahrungen mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungszeiten - Kita Plus
KitaPlus

Das Wohl des Kindes ist
keine Frage der Uhrzeit
Erfahrungen mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungszeiten
Das Wohl des Kindes ist keine Frage der Uhrzeit - Erfahrungen mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungszeiten - Kita Plus
Das Wohl des Kindes ist keine Frage der Uhrzeit - Erfahrungen mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungszeiten - Kita Plus
Inhalt

1   Wie Kinder erweiterte Betreuungszeiten erleben   4

2   Passgenaue Betreuungszeiten   6
    Modelle an Lebenssituationen orientieren!   8
    Schritt für Schritt: Neue, bedarfsorientierte Betreuungsmöglichkeiten   10
    Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt schaffen!   10
    Familien fördern!   11
    Neue Familienzeiten gewinnen!                                           12
    Stimmen von Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern   14

3   Wohlergehen von Kindern als Dreh- und Angelpunkt   16
    Kinderrechte im Blick   18
    Das sagen Expertinnen und Experten   19

4   Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?   22
    Das sagen Expertinnen und Experten   24
    Bedürfnisse und Interessen der Kinder berücksichtigen                  26
    Die Konzepte der „KitaPlus“-Modellstandorte                            29
    Bildungsprozesse gestalten                                             30
    Bindungen aufbauen und Vertrauen schaffen                              31
    Zusammenarbeit zwischen Familien und pädagogischen Fachkräften stärken  
                                                                            31
    Kinder aktiv einbeziehen                                               32
    Das Wohlbefinden durch Raumgestaltung fördern   32
    Bring- und Abholsituationen und Übergänge im Tagesverlauf   33
    Familienporträt   33

5   Links und Literaturhinweise   35

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Das Wohl des Kindes ist keine Frage der Uhrzeit - Erfahrungen mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungszeiten - Kita Plus
1             Wie Kinder erweiterte
                  Betreuungszeiten erleben

Am späten Nachmittag sind nur noch wenige
Kinder in der Kita. Im Garten ist jetzt viel mehr
Platz als am Vormittag. Tarik und Lena schnappen
sich zwei Laufräder und fahren um die Wette.
Am Ende sind beide gleich schnell. Und ganz
schön aus der Puste. Jetzt freuen sie sich auf das
Abendessen.

                                                     Pepe und sein größerer Bruder schlafen heute
                                                     in der Kita. Den gemütlichen Raum mit den tollen
                                                     Betten kennen sie schon. Die sehen aus wie
                                                     Raumschiffe! Das große Kissen dient als Steuerrad:
                                                     Los, auf zum Mond! Am Morgen holen die Eltern
                                                     die beiden ab. Die vier verbringen den ganzen Tag
                                                     gemeinsam.

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Wie Kinder erweiterte Betreuungszeiten erleben

                                                     Ihr Vater bringt Hilde diesen Samstag am
                                                     frühen Morgen in die Kita. Dann beginnt sein
                                                     Blockseminar in der Universität. Hilde freut sich
                                                     auf die Kita. Mit dabei: ihr kleiner Stoffpinguin.
                                                     Wenn morgens früh nur sehr wenige Kinder da
                                                     sind, bereitet sie gemeinsam mit Erzieher Patrick
                                                     und dem kleinen Pinguin das Frühstück vor.

An diesem Dienstag wacht Rabea auf und ist schon
aufgeregt: „Heute gehen Mama und ich in den
botanischen Garten!“ Ihre Mutter hat nämlich heute
die Spätschicht im Krankenhaus und den ganzen
Vormittag frei. Gemeinsam schlendern die beiden
durch den Garten. „Das sind Seerosen!“ erinnert
sich Rabea vom letzten Besuch. Davon erzählt sie
später ihren Freunden in der Kita.

                                                     Blitz und Donner. Draußen vor der Kita tobt
                                                     ein Gewitter. Leo fürchtet sich. Die Erzieherin Mia
                                                     weiß, dass Leo Gewitter nicht mag. Für solche
                                                     Fälle weiß Mia genau, wo Leos Lieblingsbuch ist.
                                                     Es erzählt von einer kleinen Piratin, die segeln
                                                     kann. Auch, wenn es stürmt. Leo hat das Gewitter
                                                     schon fast vergessen.

                                                                                                          5
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2   Passgenaue
        Betreuungszeiten

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Das Wohl des Kindes ist keine Frage der Uhrzeit - Erfahrungen mit bedarfsgerechten Kinderbetreuungszeiten - Kita Plus
Passgenaue Betreuungszeiten

Manche Lebenssituationen erfordern eine
Kinderbetreuungsmöglichkeit außerhalb der
üblichen Zeiten. Sie können Eltern dabei unter-
stützen, eine Beschäftigung aufzunehmen, sich
weiterzubilden und den Familienalltag so zu
gestalten, dass sie mehr Familienzeit haben.
Davon profitieren die Eltern und die Kinder.

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Passgenaue Betreuungszeiten

Modelle an Lebenssituationen orientieren!                          eine gute und passende Betreuungsmöglichkeit
                                                                   angewiesen. Das Zusammenleben kann auf die
Ob bei der Polizei, der Feuerwehr, im Kranken-                     Probe gestellt werden, wenn Kindertageseinrich-
haus oder in der Gastronomie. Ob im Sicherheits-                   tungen beispielsweise nur von 8 bis 16 Uhr geöff-
dienst, für ein Abendstudium oder als pflegende                    net haben und der Bedarf der Eltern vom beste-
Angehörige: In verschiedenen Berufsfeldern oder                    henden Betreuungsangebot abweicht.
Lebenssituationen müssen Eltern frühmorgens,
spätabends, an Wochenenden oder an Feiertagen             Manche Eltern brauchen eine zusätzliche Betreu-
verfügbar sein. In Berufen mit Bereitschafts- oder        ungsmöglichkeit zum Kita- oder Hort-Platz oder
Schichtdiensten müssen sie oft flexibel sein. Ob          zur Tagespflegeperson, weil diese keine Kinder
mit Kindern oder ohne: Arbeits- und Lebensfor-            betreuen, wenn sie arbeiten müssen. Neben den
Anteil  der  Alleinerziehenden an allen Familien
men, die außerhalb von Kernarbeitszeiten statt-  mit mindestens  einem minderjährigen
                                                          Anforderungen,                Kindsich bringt, ent-
                                                                            die ihr Job mit
finden, erfordern viel Organisation. Für Familien         steht die zusätzliche Belastung, eine alternative
kann das zur Herausforderung werden. Ganz be-             Betreuungsmöglichkeit
                                                                        17 %         organisieren zu müssen.
Früheres Bundesgebiet
sonders für Alleinerziehende! Denn sie sind auf           Großeltern,
                                                              13 %     Freundinnen    und Freunde oder Baby-
                                                          sitter springen ein. Doch eine Kinderbetreuung
Neue Länder                                               durch das private Umfeld ist immer   25auch
                                                                                                  % mit Un­
(einschließlich Berlin)
   Weitere Informationen:                                                  18 %
                                                          sicherheiten verbunden:     Wer springt ein, wenn
   Drittes Arbeitspapier der2017
                             Evaluation
                                      1997                der Babysitter erkrankt ist oder die Freundin
   zum Bundesprogramm „KitaPlus“                          plötzlich anderen Verpflichtungen nachkommen
                                                          muss? Dann wird der familiäre Alltag chaotisch

Bedarfe der Eltern von Kindern im Alter von unter drei Jahren sowie von drei bis fünf Jahren

Kinder unter drei Jahren                44 %                       34 %           10 %    12 %

        Kinder zwischen
                                          49 %                        32 %           9%    10 %
    drei und fünf Jahren

                           0%              25 %             50 %             75 %             100 %

                              Kein Bedarf an erweiterter Betreuungszeit             Bedarf nach 17 Uhr
                              Bedarf vor 8 Uhr                                      Bedarf vor 8 und nach 17 Uhr

Quelle: Deutsches Jugendinstitut: Ergebnisse der DJI-Kinderbetreuungsstudie U12 (2018).
Hinweis: Rundungsbedingt kann die Summe der Anteile von 100 Prozent abweichen.

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Passgenaue Betreuungszeiten

und kleine, unvorhersehbare Vorkommnisse
bringen den Zeitplan durcheinander. Eltern sind in
solchen Fällen besonders gestresst. Sie versuchen
sowohl dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin,
dem Studium, der Ausbildung als auch der Familie
gerecht zu werden – im Alltag ist das oft kaum
zu schaffen. Außerdem können Kosten für den
zusätzlichen Betreuungsbedarf anfallen, zum
Beispiel für die Babysitterin oder den Babysitter.
Diese Mehrkosten müssen in den meisten Fällen
von den Familien selbst getragen werden.

    Viele Eltern stehen, was die Berufstätigkeit an-
    geht, enorm unter Druck, wenn die Betreuung
    der Kinder nicht geregelt ist. Gerade in den
    Abend- und Nachtstunden.
     Mitarbeiterin im Jugendamt, Drittes Arbeitspapier
     der programmbegleitenden Evaluation

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Passgenaue Betreuungszeiten

Schritt für Schritt: Neue, bedarfsorientierte                     Daneben braucht es aber auch Angebote, um Be-
Betreuungsmöglichkeiten                                           rufstätige, Arbeitssuchende oder Menschen in
                                                                  Ausbildung mit Familien zu unterstützen. Lebens-
Der Bund fördert eine bessere Vereinbarkeit von                   modelle und Familienformen verändern sich:
Familie und Beruf und trägt damit auch zu einer                   Zum Beispiel ist der Anteil Alleinerziehender an-
kinderfreundlicheren Gesellschaft bei. Schritt für                steigend. Dadurch wird ein flexibles Betreuungs-
Schritt schafft er Grundlagen für einen besseren                  angebot für Kinder immer wichtiger.
Zugang zu frühkindlicher Bildung, Betreuung und
Erziehung bei gleichzeitig hoher Qualität.                         Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt schaffen!

                                                                  Ein flexibles Betreuungsangebot trägt auch dazu
                                                                  bei, für Chancengleichheit zwischen Männern
  Im Januar 1996 wurde erstmalig ein Rechts­                      und Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Bis
  anspruch für Kinderbetreuung eingeführt.                        heute bleiben viele Frauen zu Hause oder arbeiten
  Dies galt zunächst für Kinder im Alter von über                 in Teilzeit, um ihre Kinder zu betreuen. Sie fan-
  drei Jahren und bis zum Schuleintritt. Seit dem                 gen die Zeiten früh morgens oder in den späten
  1. August 2013 haben Kinder bereits ab dem                      Abendstunden auf, wenn es kein entsprechendes
  ersten vollendeten Lebensjahr Anspruch auf                      Angebot gibt. Erweiterte Betreuungszeiten unter-
  frühkindliche Förderung in einer Kindertages­                   stützen Familien bei der gemeinsamen, besseren
  einrichtung oder in der Kindertagespflege.                      Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Anteil der Alleinerziehenden an allen Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind

Früheres Bundesgebiet                                                              17 %
                                                                      13 %

Neue Länder                                                                                                 25 %
(einschließlich Berlin)                                                               18 %
                              2017        1997

Quelle: Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. In:
Statistisches Bundesamt (DESTATIS): Alleinerziehende in Deutschland 2017. Begleitmaterial zur Pressekonferenz
am 2. August 2018
Bedarfe der Eltern von Kindern im Alter von unter drei Jahren sowie von drei bis fünf Jahren
10
Passgenaue Betreuungszeiten

Eltern können so ihren Berufen nachgehen und
ihren Kindern gleichzeitig die besten Startchan-
cen ermöglichen. Auch der berufliche (Wieder-)
Einstieg und Aufstieg während und nach Zeiten
der Kindererziehung kann durch erweiterte Be-
treuungsmöglichkeiten erleichtert werden.

Familien fördern!

Die Lebenslage der Eltern bestimmt wesentlich
die Chancen ihrer Kinder. Es spielt eine große Rol-
le, wie Eltern finanziell und sozial aufgestellt sind.
Durch ein erweitertes Betreuungsangebot wird
nicht nur die finanzielle Situation von einzelnen
Familien gestärkt, sondern auch die wirtschaft­
liche Entwicklung der Gesellschaft.

Ein geringes (Familien-)Einkommen bringt ein
höheres Armutsrisiko mit sich. Gleichzeitig steigt
die Gefahr der eingeschränkten gesellschaftlichen
Teilhabe. Für Kinder von Alleinerziehenden ist
die Armutsrisikoquote besonders hoch: 44 Pro-            Erweiterte Betreuungszeiten entsprechen im
zent der Alleinerziehenden sind armutsgefährdet.         Einzelfall durchaus den besten Interessen eines
                                                         Kindes. Auch deshalb, weil wir immer auch in
Nicht alle Familien können auf Familienangehö-           den Blick nehmen müssen, was die Alternative
rige oder Freunde vor Ort zurückgreifen. Ein feh-        wäre. Die Alternative wäre zum Beispiel, dass
lendes Betreuungsangebot kann dazu führen, dass          die Eltern eine bestimmte Berufstätigkeit nicht
Mütter oder Väter eine bestimmte Arbeits- oder           ausüben können. Dass sie ihren Job verlieren
Ausbildungsstelle erst gar nicht antreten. Und           oder kündigen müssen, was dann ja auch wie-
finanzielle Sorgen sowie die Unsicherheiten der          derum mit Konsequenzen für das Kindeswohl
Eltern belasten auch die Kinder!                         verbunden wäre.
                                                         Prof. Dr. Jörg Maywald im Interview

                                                                                                      11
Passgenaue Betreuungszeiten

Neue Familienzeiten gewinnen!                           Nehmen Familien Kinderbetreuung in erweiter­
                                                        ten Zeiten in Anspruch, geht dies in der Regel
Qualitativ hochwertige Bildungs-, Betreuungs-           nicht mit einem höheren Betreuungsumfang
und Erziehungsangebote bieten ein hohes Maß an          einher. Vielmehr steht die zeitliche Verlagerung,
Entwicklungschancen – auch in zeitlich erweiter-        beispielsweise ein sehr früher Betreuungsbeginn
ten Betreuungssettings. Beispielweise sind die          bis mittags im Vordergrund. Durch Betreuungs­
Gruppengrößen früh am Morgen oder spät am               zeiten, die sich am Bedarf der Familien orientieren,
Abend oft kleiner als in den Kernzeiten. In Rand-       können neue, stressfreie Familienzeiten dazuge-
zeiten können Erzieherinnen und Erzieher noch           wonnen werden. Dies kann sich positiv auf die
besser auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder     gesamte Familie auswirken. Eltern und Kinder
eingehen. Auch die Wünsche der Kinder lassen            können die Zeit, die sie gemeinsam haben, inten­
sich leichter berücksichtigen. Kinder freuen sich       siver und ohne schlechtes Gewissen nutzen.
darauf, in der Kita gemeinsam Abendessen
vorzubereiten oder am Lagerfeuer Stockbrot                   Das heißt natürlich für uns qualitativ
zu backen.                                                   mehr Zeit. Weil ich nachmittags zu Hause bin.
                                                             Mutter, Drittes Arbeitspapier der
     Die Kinder fragen schon, wann sie das                   programmbegleitenden Evaluation
     nächste Mal wieder länger hier sind.
     Die genießen das auch. Vor allem der Kleine,
     der findet das toll, auch mit den Großen
     den Spätdienst zu machen.                            Die öffentliche geförderte Kindertagesbetreu­
     Vater, Drittes Arbeitspapier der                     ung ist in Deutschland in § 22 Abs. 2 Achtes
     programmbegleitenden Evaluation                      Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) festgehalten.

     Oh, das lieben die! Das ist mit sehr viel Spaß      Tageseinrichtungen für Kinder und
     verbunden und es sind nicht so viele Kinder da.     Kindertagespflege sollen:
     Es wird sehr viel Individuelles gemacht, mit        1. die Entwicklung des Kindes zu einer eigen­
     Ausflügen, Schwimmen. Es ist halt sehr familiär.       verantwortlichen und gemeinschaftsfähigen
     Die Kinder wollen, dass am Dienstag schon              Persönlichkeit fördern,
     Samstag ist. Sie reden viel darüber zu Hause.       2. die Erziehung und Bildung in der Familie
     Und die Schwimmsachen sind schon mitt-                 unterstützen und ergänzen,
     wochs gepackt.                                      3. den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit
     Mutter, Drittes Arbeitspapier der                      und Kindererziehung besser miteinander
     programmbegleitenden Evaluation                        vereinbaren zu können.

12
Passgenaue Betreuungszeiten

Die öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung
hat also zwei wesentliche Aufgaben: Bildung und
Entwicklung von Kindern fördern und die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen.

Das Bundesprogramm „KitaPlus: Weil gute
Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“ setzt genau
hier an. Mit ihm fördert das Bundesfamilienmi-
nisterium seit 2016 passgenaue, am Bedarf der
Eltern orientierte Angebote in der Kindertagesbe-
treuung.

     Wir haben eine wahnsinnige Flexibilität
     gewonnen. Für mich gehört das auch zur
     Qualität einer Kita. Ich bin überzeugt, dass
     das die Zukunft von Kita ist, dass sich die
     Betreuungszeiten mehr den Arbeitszeiten der
     Eltern anpassen.
     Vater, Drittes Arbeitspapier der
     programmbegleitenden Evaluation

Ziel ist es, Eltern eine verbesserte Vereinbarkeit
von Familie und Beruf zu ermöglichen. Damit
könnten auch Paare ermutigt werden, die ihren
Kinderwunsch aufgrund fehlender passender
Betreuungsmöglichkeiten bislang nicht realisiert
haben. Gleichzeitig ist ein Anliegen des Bundes-
programms, zur wirtschaftlichen Stabilität in
Familien beizutragen. Denn letztlich wird so auch
das Wohlergehen der Kinder gefördert.

                                                                             13
Passgenaue Betreuungszeiten

Stimmen von Kooperationspartnerinnen                       Vor allem muss das Kindeswohl im
und Kooperationspartnern des Bundesprogramms               Vordergrund stehen. Bildung, Betreuung und
                                                           Erziehung sind untrennbare Aufgaben –
     Wir erhoffen uns vom Bundesprogramm                   dafür ist ein ausreichender Personalschlüssel
     mehr Chancengleichheit am Arbeitsmarkt.               mit qualifizierten pädagogischen Fach­
     Das Selbstverständnis einer Kita sollte sein,         kräften wichtig.
     die Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern           Deutscher Gewerkschaftsbund, Erstes Arbeitspapier
     zu ermöglichen. Dafür brauchen wir flexible           der programmbegleitenden Evaluation
     Betreuungszeiten. Erziehende erhalten
     dadurch unter anderem die Möglichkeit, an        Eltern, die aufgrund ihrer persönlichen oder
     Qualifizierung und Weiterbildung teilzu­         beruflichen Situation erweiterte Betreuungszeiten
     nehmen, einen Sprachkurs zu besuchen, eine       nutzen, fällt dies nicht immer leicht. Auch für
     Ausbildung zu absolvieren oder in Arbeit         Einrichtungen der Kinderbetreuung und für
     integriert werden zu können.                     Kindertagespflegepersonen, die erweiterte
     Stab der Beauftragten für Chancengleichheit      Betreuungszeiten anbieten, sind die gesellschaftli-
     am Arbeitsmarkt (BCA), Erstes Arbeitspapier      chen Diskussionen zum Thema bedarfsgerechte
     der programmbegleitenden Evaluation              Betreuungszeiten für die alltägliche Arbeit
                                                      relevant. Teilweise erhalten sie aus ihrem sozialen
     Wenn wir gemeinsam die Vereinbarkeit von         oder öffentlichen Umfeld viel Verständnis, teilwei-
     Familie und Beruf wirklich voranbringen          se wird ihnen aber auch mit Skepsis begegnet. Ihre
     wollen, muss man bei der bedarfsdeckenden        Beweggründe werden oft nicht verstanden oder
     Bereitstellung von Kinderbetreuungsangebo-       die Nutzung der erweiterten Zeiten wird negativ
     ten die Anpassung von Öffnungszeiten an die      kommentiert. Diese Vorbehalte haben meist mit
     Bedürfnisse von Müttern und Vätern in der        Fehlannahmen zu tun. Etwa, dass bedarfsgerechte
     Arbeitswelt unbedingt mitdenken. Denn: Gäste     Angebote zu einem höheren Betreuungsumfang
     bedienen, Busse steuern, Menschen pflegen –      führen würden und dieser zu Lasten des Kindes
     das alles sind berufliche Tätigkeiten, die mit   ginge.
     den üblichen Öffnungszeiten von Kindertages-
     einrichtungen und Kindertagespflegepersonen           Entweder ich arbeite nicht und werde als
     in der Regel nicht kompatibel sind.                   Hartz-IV-Empfängerin abgestempelt oder
     Bundesvereinigung der Deutschen                       ich arbeite und bin dann eine Rabenmutter.
     Arbeitgeberverbände, Erstes Arbeitspapier der         Mutter, Drittes Arbeitspapier der
     programmbegleitenden Evaluation                       programmbegleitenden Evaluation

14
Passgenaue Betreuungszeiten

 Die Erfahrungen aus dem Bundesprogramm                 Überlegungen zum Wohlergehen von Kindern,
„KitaPlus“ zeigen, dass das Wohlergehen der Kinder      das heißt zum Kindeswohl und auch zu Kinder-
 auch in erweiterten Betreuungszeiten an erster         rechten, sind bereits bei der Konzeption des
 Stelle steht. Um dies sicherzustellen, werden          Bundesprogramms „KitaPlus“ berücksichtigt
 verschiedene Maßnahmen ergriffen und in der            worden. Dabei betont die Programmkonzeption
 pädagogischen Konzeption verankert (siehe auch         Kinderrechte als Ausgangspunkt für gutes und
 Kapitel 3).                                            sicheres Aufwachsen.

      Bedarfsgerechte Öffnungszeiten sollten
      Normalität werden. Das wäre das Allertollste.
      Es ist ja eine seltsame Normvorstellung,           Das Wohl des einzelnen Kindes muss dabei
      die wir in unserer Gesellschaft haben, dass        immer oberste Priorität bleiben. Es braucht ein
     „Kita-Zeit“ immer nur zu einer bestimmten           qualitativ gutes pädagogisches Konzept, das
      Zeit stattfindet. Wir erleben in vielen von den    zum Beispiel feste Orientierungsstrukturen im
     „KitaPlus“-Standorten, dass die Kinder das          Tagesablauf, einen Betreuungsrahmen oder
      total attraktiv finden, auch mal im Kinder­        flexible Hol- und Bring-Zeiten festlegt. Genauso
      garten abendzuessen oder schon morgens             wichtig sind konzeptionell geregelte Ausgleichs­
      um sechs da zu sein. Schritt für Schritt wird      zeiten und eine individuelle Eingewöhnungs­
      es für die Kinder normaler und führt dann          phase. Kinder brauchen insbesondere eine
      auch nicht mehr zu so einer Aufregung in der       Bezugserzieherin oder einen Bezugserzieher
      Gesellschaft.                                      bzw. persönlich zugeordnete Tagespflegeper­
     Katrin Macha im Interview                           sonen (insb. in Großtagespflegestellen) als enge
                                                         Kommunikationspartnerin oder engen Koopera­
Aus der Perspektive des Städte- und Gemeinde-            tionspartner der Familie. Dies ist gerade vor dem
bundes dürfen bei der Feststellung des Bedarfs           Hintergrund der psychosozial erheblichen Be­
nicht nur die Erwerbstätigkeit der Eltern und die        lastungen relevant, denen sich Alleinerziehende
Anforderungen der Arbeitswelt eine Rolle spielen,        (ihnen fehlt häufig eine soziale Unterstützung)
vielmehr müssten die Bedürfnisse der Kinder              wie auch Familien, die in einem Wechselschicht­
ebenfalls berücksichtigt werden (Erstes Arbeits-         system berufstätig sind, ausgesetzt sehen
papier der programmbegleitenden Evaluation).             (Programmkonzeption des Bundesprogramms
                                                         „KitaPlus“).

                                                                                                         15
3            Wohlergehen von Kindern
                  als Dreh- und Angelpunkt

Am 20. November 1989 wurde die UN-Kinder-
rechtskonvention verabschiedet. Ratifiziert wurde
sie auch von Deutschland. Der aktuelle Koalitions-
vertrag sieht vor, Kinderrechte explizit ins Grund-
gesetz aufzunehmen. Damit rückt das Wohl­
ergehen von Kindern noch stärker in den Vorder­
grund.

16
Wohlergehen von Kindern als Dreh- und Angelpunkt

 Weitere Informationen:
 Bericht der Bundesregierung zur
 UN-Kinderrechtskonvention

                                             17
Wohlergehen von Kindern als Dreh- und Angelpunkt

Kinderrechte im Blick                                  am Kindeswohl orientieren müssen. Neben der
                                                       UN-Kinderrechtskonvention sind Grundrechte
 Der Begriff „Wohlergehen von Kindern“ oder            des Kindes bereits in der EU-Grundrechtecharta
„Kindeswohl“ ist in Deutschland gesetzlich noch        und als Kindschafts- und Familienrecht im
 nicht explizit definiert. Allerdings stehen Kindern   Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und dem Kinder-
 dieselben Grundrechte des Grundgesetzes (GG)          und Jugendhilferecht (SGB VIII) zu finden.
 wie Erwachsenen zu. Das Bundesverfassungsge-
 richt erkennt an, dass das Kind ein Wesen mit         Werden Betreuungszeiten erweitert oder flexibili-
 eigener Menschenwürde und einem eigenen               siert, stellt dies besondere Anforderungen an alle
 Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit ist.       Beteiligten. Um zu erreichen, dass es den Kindern
 Nach wie vor werden die Rechte von Kindern            zu allen Zeiten gut geht, braucht es bestimmte
 jedoch nicht immer so beachtet, wie es die            Rahmenbedingungen. Die Bundesarbeitsgemein-
 Kinderrechtskonvention vorsieht. Um die Kinder-       schaft der Landesjugendämter (BAG) betont in
 rechte sichtbar zu stärken, sieht die Bundesregie-    ihrem Positionspapier „Flexibilisierung der
 rung eine Verankerung der Kinderrechte im GG          Kindertagesbetreuung“, dass bedarfsgerechte und
 als ein starkes und notwendiges Signal an. Durch      familienunterstützende Angebotsformen der
 die Grundgesetzänderung wird den staatlichen          Kindertagesbetreuung den Bedürfnissen und
 Akteuren eine klare Orientierung für ihr Handeln      altersgerechten Entwicklungsbedingungen von
 gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hält            Kindern unterschiedlicher Altersstrukturen
 bereits jetzt fest, dass sich Pflege und Erziehung    gerecht werden müssen.

                                                            Fachkräfte haben vor allem die ganzheitliche
                                                            Erziehung, Bildung und Betreuung zu realisie-
                                                            ren, bei gleichzeitiger Sicherung der physischen
                                                            und psychischen Gesundheit der Kinder.
                                                            Bundesarbeitsgemeinschaft der
                                                            Landesjugendämter, Erstes Arbeitspapier der
                                                            programmbegleitenden Evaluation

18
Wohlergehen von Kindern als Dreh- und Angelpunkt

Das sagen Expertinnen und Experten                      dort Trost zu bekommen – in Situationen, in denen
                                                        es ihnen nicht gut geht, wenn sie belastet oder
„Kindern geht es gut, wenn sie spielen.“                traurig sind oder wenn sie Angst haben. Aus Sicht
                                                        des Kinderrechts formuliert, gehören zu einem
          Prof. Dr. Jörg Maywald ist Geschäftsfüh-      gesicherten Kindeswohl die Erfüllung der Schutzbe-
            rer der Deutschen Liga für das Kind         dürfnisse, der Förderbedürfnisse und auch der
             und Honorarprofessor im Bereich            Beteiligungsbedürfnisse.
             der internationalen Kinderrechte an
             der Fachhochschule Potsdam.                Welche speziellen Rahmenbedingungen
            Darüber hinaus ist er Sprecher der          braucht es innerhalb und außerhalb der
         National Coalition Deutschland, einem          Einrichtungen, die erweiterte Betreuungszeiten
Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechts-             anbieten?
konvention. Die Themen Kinderbetreuung und
erweiterte Betreuungszeiten betrachtet er vor           Das beginnt bei den räumlichen Voraussetzungen.
allem aus einer kinderrechtlichen Perspektive.          Nehmen wir mal die Bettzeit am Abend: Da ist
Insbesondere das Thema Qualität in Kitas, Krip-         deutlich mehr Privatsphäre notwendig als während
pen und der Kindertagespflege steht für ihn im          eines kurzen Mittagsschlafs. Dass das Kind sein
Vordergrund.                                            eigenes Bett, seine Utensilien, die zum Schlafen
                                                        gehören, wie ein Kuscheltier, oder auch Einschlaf­
 Herr Prof. Dr. Maywald, woran können                   rituale hat, wird dann noch wichtiger. Hier ist eine
 wir erkennen, ob es Kindern in erweiterten             besondere Feinfühligkeit der pädagogischen
 oder flexibilisierten Betreuungssettings               Fachkräfte erforderlich.
„gut geht“?
                                                        Außerdem sollte die Zusammenarbeit mit den Eltern,
Ich würde es auf eine kurze Formel bringen: Kindern     die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft, in
in Kindertageseinrichtungen und auch in der             besonderer Weise gepflegt werden. Dies betrifft
Kindertagespflege geht es gut, wenn sie dort bereit     sowohl die Planung der Betreuungszeiten als auch
sind zu spielen, wenn sie Humor zeigen, wenn sie        die Häufigkeit des Kontakts. Der Austausch sollte im
lachen. Das ist ein Zeichen dafür, dass sie loslassen   Betreuungsverlauf besonders oft stattfinden.
können, dass sie entspannt sind und dass sie Freude     Entwicklungsgespräche sollten aus meiner Sicht in
am Alltag haben. Und wenn Kinder in der Lage sind,      erweiterten Betreuungszeiten zumindest zwei oder
sich an eine pädagogische Fachkraft zu wenden, um       dreimal pro Jahr stattfinden. Gespräche müssen –

                                                                                                          19
Wohlergehen von Kindern als Dreh- und Angelpunkt

neben den täglichen Tür- und Angel-Gesprächen –         „Erweiterte Betreuungszeiten können gut gelingen,
auch dann möglich sein, wenn es besondere Anlässe        wenn das Personal geschlossen hinter dem Modell
gibt. Wenn beispielsweise das Kind einnässt, obwohl      steht.“
es zuvor schon trocken war.
                                                        Prof. Dr. Sabina Schutter ist Professorin
Es ist wichtig, dass Eltern, Kinder und Fachkräfte      für Pädagogik der Kindheit an der
Probleme ansprechen können. Zum Beispiel wenn           Technischen Hochschule Rosenheim,
sich am Verhalten eines Kindes etwas ändert. Dann       Direktorin des Campus Mühlendorf
sollte es möglich sein, zeitnah einen Termin zu         der Technischen Hochschule
vereinbaren.                                            Rosenheim und stellvertretende
                                                        Sprecherin des Studiengangs Kind-
Und ein letzter Punkt, der häufig vergessen wird: Die   heitspädagogik. Sie forscht zu institutio-
erweiterten Betreuungszeiten haben auch Auswir-         nellen, politischen und familiären Bedingungen,
kungen auf die gesamte Kindergruppe. Was bedeu-         unter denen Kinder heute leben. Seit diesem Jahr
tet es eigentlich für Kinder, die eine Kita besuchen,   leitet sie eine ethnographische Studie zum
wenn manche Kinder erst sehr spät kommen, früh          Wohlbefinden von Kindern in flexibilisierter
abgeholt werden oder sogar über Nacht bleiben?          Kindertagesbetreuung.
Wie fühlt sich das für sie an? Ist es irgendwann ganz
normal oder bleiben es Ausnahmen, die von den
Kindern auch als solche empfunden werden?

Kinder wünschen sich meist Kontinuität. Welche
Auswirkungen haben die flexiblen Zeiten auf sie?
Was bedeutet es emotional für die Gruppe, ruft es
vielleicht sogar Neid hervor? „Die oder der darf in
der Kita übernachten und ich nicht.“ Auch Verunsi-
cherung kann eine Rolle spielen, zum Beispiel, weil
sich manche Kinder nur selten begegnen. Damit
müssen Fachkräfte umgehen können. Dazu braucht
es Transparenz. Die Kinder müssen informiert
werden, wie die Betreuungszeiten für alle geregelt
sind und warum.

20
Wohlergehen von Kindern als Dreh- und Angelpunkt

Wie definieren Sie das „Wohlbefinden“ von               Befunde deuten an, dass sich ihre Äußerungen und
Kindern in erweiterten Betreuungszeiten?                Handlungen auf die Kinder übertragen können:
                                                        Zum Beispiel eine positive Einstellung gegenüber
Unter welchen Bedingungen sich Kinder wohlfühlen,       erweiterten Betreuungszeiten. Für das Wohlbefinden
wird in der Sozialforschung oft durch Erwachsene        entscheidend ist, wie pädagogische Fachkräfte auf
definiert. Aber es geht ja um die Kinder. Dagegen       die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Es ist wichtig,
gehen wir in der Kindheitsforschung davon aus,          dass sowohl in den frühen Morgen- als auch in den
dass Kinder ganz individuelle Vorstellungen ihres       späten Abendstunden pädagogisches Personal vor
Wohlbefindens äußern und diese in der Forschung         Ort ist, das die Kinder über die Betreuung hinaus
sichtbar gemacht werden können. Diese Perspektive       individuell fördert und entsprechende Angebote
ermöglicht es, vielleicht unbekannte Aspekte des        bereitstellt.
Wohlbefindens zu identifizieren. Aus einer reinen
Erwachsenensicht wären diese Aspekte möglicher-         Was bedeutet das für Kitas und Träger von
weise gar nicht besonders aufgefallen. Wir möchten      Einrichtungen der Kindertagesbetreuung?
mit unserem Projekt herausfinden, was das Wohlbe-       Worauf sollte geachtet werden?
finden von Kindern in erweiterten Betreuungszeiten
beeinflusst. Wie geht es Kindern, wenn sie beispiels-   Die Personalverteilung sollte so gestaltet sein, dass
weise ganz früh morgens in die Kita kommen? Was         ausreichend Fachkräfte da sind. Und zwar über den
machen sie zu diesen Zeiten? Was brauchen sie? Was      ganzen Tag. Ähnlich dem rhythmisierten Ganztag in
tun Kinder selbst für ihr Wohlbefinden und wie          Schulen sollte ein Wechselspiel von freien Zeiten und
verhalten sie sich in der Kindertagesbetreuung?         Bildungsangeboten stattfinden. Kinder, die längere
                                                        Zeiten in der Einrichtung sind, zeigen sehr deutlich,
Welche Aspekte haben Sie identifiziert, die             was sie gerade brauchen. Wenn dann aber niemand
das Wohlergehen von Kindern in erweiterten              da ist, der auf diese Bedürfnisse eingeht, kann das
Betreuungszeiten sicherstellen können?                  Modell schnell kippen. Die Träger und das Führungs-
                                                        personal sollten eine klare Haltung und Kommuni-
Unser Forschungsprojekt steht noch ganz am              kation zu den erweiterten Betreuungszeiten ent­
Anfang. Die Einrichtungen, die wir bisher besucht       wickeln und diese auch beharrlich vertreten. Erwei­
haben, sind sehr unterschiedlich. Aufgefallen ist uns   terte Betreuungszeiten funktionieren gut, wenn
bei unseren Beobachtungen vor allem die Haltung,        das Personal geschlossen hinter dem Modell steht
mit der die Fachkräfte in den Einrichtungen den         und sowohl den Kindern als auch den Eltern ein
erweiterten Betreuungszeiten begegnen. Die ersten       positives Gefühl vermittelt.

                                                                                                          21
4           Was bedeutet das für die
                 pädagogische Praxis?

Erweiterte Betreuungszeiten erfordern einen
besonderen Blick für die Bedürfnisse der Kinder.
Von den Eltern und den pädagogischen Fachkräf-
ten in Kitas, Horten oder der Kindertagespflege.
Die „KitaPlus“-Vorhaben zeigen, wie es gelingen
kann, dass das Wohlergehen der Kinder im Fokus
steht.

22
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Projektlandkarte „KitaPlus“:
www.kitaplus.fruehe-chancen.de/programm/
standortkarte

                                             23
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Das sagen Expertinnen und Experten                      Bedürfnisse und individuellen Besonderheiten der
                                                        Kinder eingehen können und wollen. Wie geht es
„Die drei wesentlichen Faktoren sind Flexibilität,      dem einzelnen Kind in den verschiedenen Phasen
 Kindorientierung und Beziehung.“                       seines Tages in der Kita? Ist es müde? Braucht es
                                                        eine Ruhephase oder eine Aktivität? Wichtig ist
       Katrin Macha ist stellvertretende Direktorin     zudem, dass die Kinder mit all denen, die sie
          im Institut für den Situationsansatz.         betreuen, eine Beziehung aufbauen. Zum Teil haben
            Sie forscht rund um das Thema               die Einrichtungen im Bundesprogramm zum
            „Qualität in Kitas“. Seit Programmstart     Beispiel sehr ausgefeilte Eingewöhnungskonzepte
             hat sie gemeinsam mit der Univation –      entwickelt, um zu sichern, dass Kinder alle Fach-
             Institut für Evaluation Dr. Beywl &        kräfte, die sie zu den verschiedenen Zeiten betreuen,
           Associates GmbH das Bundespro-               kennen lernen können. In den Modelleinrichtungen
        gramm „KitaPlus“ begleitend evaluiert.          haben wir dies bei der Evaluation des Bundespro-
                                                        gramms erleben können und mit Fachkräften, Eltern,
Frau Macha, wie müssen bedarfsgerechte                  Trägern und auch Kindern gesprochen. Sie beschrei-
Betreuungszeiten in der Praxis und aus                  ben, wie wichtig die erweiterten Zeiten sind und
der Perspektive der Kinder gestaltet sein?              machen eindringlich darauf aufmerksam, dass sich
Wie fühlen sich die Kinder dabei wohl?                  viele Situationen im Alltag von Familien, aber auch
                                                        Kitas, dadurch entspannen. Die meisten Kinder, mit
Die drei wesentlichen Faktoren sind Flexibilität,       denen wir gesprochen haben, fanden diese besonde-
Kindorientierung und Beziehung. Bedarfsgerecht          ren Zeiten am Abend oder frühen Morgen ziemlich
bedeutet nicht, dass die Kinder zwölf oder 14           toll und konnten differenziert beschreiben, was sie
Stunden in der Einrichtung sind, sondern flexibel zu    daran mochten.
den Zeiten, wenn die Eltern arbeiten. Wenn die
Kinder erst später am Vormittag gegen elf oder auch     Was unternehmen die geförderten Kitas,
um 13 Uhr in die Kita gehen können, wenn die            Horte und Tagespflegepersonen, um
Eltern anfangen zu arbeiten, dann haben Familien        das Wohlbefinden der Kinder sicherzustellen?
ja den Vormittag zusammen. Das ist dann richtige
Qualitätszeit für Kinder und Eltern. Aber auch im       Alle Einrichtungen, die wir im Bundesprogramm
Miteinander mit den Kindern zeigt sich die Flexibili-   „KitaPlus“ begleiten, haben sich im Vorfeld sehr viele
tät in der Kindorientierung und ist da höchst            Gedanken darüber gemacht, wie sie die erweiterten
bedeutsam. Fachkräfte müssen flexibel auf die            Zeiten mit den Kindern gestalten. Die Fachkräfte

24
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

nehmen die Kinder immer wieder genau in den              den hat. Ebenso trägt eine offene Haltung gegenüber
Blick, gehen auf die individuellen Bedürfnisse ein       den Familien und den Bedürfnissen der Eltern dazu
und hören den Kindern zu. Oft entscheiden Fach-          bei, dass die Erweiterung der Öffnungszeiten gelingt.
kräfte und Kinder gemeinsam, was sie gerne
machen möchten. Ob abends zusammen ein Buch              Eine weitere Herausforderung ist, dass Fachkräfte
gelesen wird oder die Kinder lieber noch eine Runde      und Eltern immer wieder damit konfrontiert werden,
mit dem Bobbycar drehen. Wichtig sind zudem              dass Menschen aus ihrem Umfeld Zweifel haben, ob
entsprechend gestaltete Räume. Die Kinder müssen         es den Kindern gut geht, wenn sie bspw. am Abend in
sich jederzeit zurückziehen können, wenn sie das         der Kita sind. Das zeigt, es ist durchaus noch nicht
Bedürfnis nach Ruhe haben. Aber sie müssen auch          etabliert oder anerkannt, dass Kinder wirklich
die Möglichkeit haben, aktiv zu sein, wenn sie lieber    bedarfsgerecht in der Kita sein können. Damit
spielen möchten, während andere Kinder sich              müssen die Kita-Teams und die Eltern umgehen.
ausruhen.

Welche Gelingensfaktoren, aber auch
Herausforderungen haben Sie beobachtet?

Der wichtigste Gelingensfaktor ist meiner Meinung
nach: für die erweiterten Zeiten braucht es gut
ausgebildete Fachkräfte. Hat ein Kind ein Problem zu
bewältigen, ist es traurig oder hat es sich wehgetan?
Dann müssen die Pädagoginnen und Pädagogen, die
da sind, das Kind in dieser Situation gut unterstützen
können. Es ist wichtig, Übergänge zu schaffen, die
verschiedene Kinder in ein gemeinsames Spiel
begleiten und Fragen oder Sorgen von Eltern im
Abholgespräch beantworten. Außerdem lief es in den
Modellprojekten im Bundesprogramm dort gut, wo
die erweiterten Zeiten gut in die bestehende Konzep-
tion der Kita integriert werden konnten und eine
gemeinsame konzeptionelle (Weiter-)Entwicklung
mit allen Pädagoginnen und Pädagogen stattgefun-

                                                                                                            25
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Bedürfnisse und Interessen                                 In den erweiterten Zeiten ist es besonders
der Kinder berücksichtigen                                 wichtig oder schön, wenn Kinder einen
                                                           flexiblen Raum haben, in dem man mehr
Im Bundesprogramm „KitaPlus“ erproben Kitas,               auf ihre Bedürfnisse eingehen kann.
Horte und Tagespflegepersonen, wie sich er­                Mutter, Abschlussbericht der
weiterte Betreuungszeiten ideal umsetzen lassen.           programmbegleitenden Evaluation
Dabei nehmen sie das Wohlergehen der Kinder
besonders in den Blick und testen, was es dafür
braucht. Wie Kinder, Eltern und Fachkräfte die              Impuls aus der Praxis:
er­weiterten Betreuungszeiten erleben, zeigen die
Ergebnisse der programmbegleitenden Evaluation.       Die Pädagoginnen und Pädagogen im Bundes­
                                                      programm „KitaPlus“ beobachteten, dass die Kinder
Die Bedürfnisse und Interessen der Kinder sind        einen Wunsch nach Betreuungskontinuität haben.
für die pädagogischen Fachkräfte von zentraler        Die Einrichtungen haben darauf reagiert und ihre
Bedeutung und werden bei der Gestaltung               Dienstplangestaltungen geändert. Pädagoginnen
bedarfsgerechter Betreuungszeiten besonders           und Pädagogen arbeiten nun über einen längeren
berücksichtigt.                                       Zeitraum in der „KitaPlus“-Erweiterung, beispiels­
                                                      weise für eine gesamte Woche (Abschlussbericht
     Alle Fallstudienstandorte haben sich sehr        der programmbegleitenden Evaluation).
     viele Gedanken darüber gemacht, wie
     die erweiterten Zeiten mit den Kindern zu
     gestalten sind.                                  Aber auch wiederkehrende Projekte, Rituale sowie
     Katrin Macha im Interview                        eine verlässliche Tagesstruktur sind von zentraler
                                                      Bedeutung und bieten den Kindern Sicherheit.
Die am Bundesprogramm „KitaPlus“ teilnehmen-          Um die Interessen und Anliegen der Eltern, der
den Einrichtungen zeigen gelungene Wege, um           Kinder und der pädagogischen Fachkräfte bei der
den Kindern sowohl im Kita-Alltag als auch in         Gestaltung bedarfsgerechter Öffnungszeiten zu
ihren Beziehungen Orientierung und Stabilität zu      berücksichtigen, hat sich die enge Zusammenarbeit
bieten. Dabei spielen Flexibilität und partizipati-   mit den Eltern bewährt. Sie schafft Vertrauen und
ve Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Die         gemeinsame Ziele in der Erziehungspartnerschaft.
Kinder sollen die Räumlichkeiten frei, neugierig
und unbeschwert erkunden können.

26
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Praxisinterview

„Bei den Kindern wird es nicht als schlimm,
 sondern als etwas Besonderes erlebt.“

Ludger Althoff leitet die Kita Villa
Regine. Diese wurde gegründet,
um Eltern eine Betreuung außer-
halb der regulären Betreuungs­
zeiten zu ermöglichen. Um
möglichst nahe am Geschehen zu
sein, hat er sein Büro in der Kita.
Als Leitung übernimmt Ludger Althoff vor
allem die pädagogische Begleitung, die Konzept-
sowie Öffentlichkeitsarbeit.

Was ist das Besondere an dem Konzept
der Kita „Villa Regine“?

Wir bieten Betreuung rund um die Uhr an. Das heißt
aber nicht, dass die Kinder länger als in anderen
Einrichtungen betreut werden. Wir betreuen Kinder,
deren Eltern einen Betreuungsbedarf zu besonderen
Zeiten haben. In der Regel melden sie diesen einen
Monat im Voraus an. Sollten sich die Arbeitszeiten
kurzfristig ändern, können wir darauf aber auch
flexibel reagieren. Jede Fachkraft hat eine zweite Per-
son als Back-up, sodass sich die Eltern keine Sorgen
um Ausfälle in der Kinderbetreuung machen müssen.
So können sie ihren Alltag sorgen- und stressfreier
gestalten.

                                                    27
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Alle Kinder, die über zwei Jahre alt sind und die ent-   gut. Sie überlegt dann zum Beispiel gemeinsam mit
sprechenden Fähigkeiten besitzen, dürfen sich inner-     den Kindern, wie sie die Zeit schön gestalten kön-
halb der Einrichtung frei bewegen. Die Kinder und        nen. Wenn mal nur noch ein Kind über den späten
Fachkräfte treffen nach und nach in der Einrichtung      Nachmittag hinaus bleibt, fährt die Erzieherin oder
ein. Kinder, die bis in die Abendstunden oder über       der Erzieher abends mit dem Kind in das Elternhaus
Nacht betreut werden, kommen erst nach der ge-           und bringt es dort ins Bett. Das Kind bleibt in seinem
meinsamen Familienzeit in die Einrichtung. Am Vor-       gewohnten Umfeld und für die Eltern ist es ein tolles
und Nachmittag kommen die Kinder dann in Grup-           Gefühl und erleichternd zu wissen, dass das Kind
pen unterschiedlichen Alters zusammen, in denen          im eigenen Bett schlafen kann, während sie arbei-
mindestens zwei Kinder gleich alt sind. Sie können       ten. Gleiches gilt auch in den frühen Morgenstunden:
entscheiden, ob sie an den verschiedenen Projekten,      Wenn nur ein einzelnes Kind die Betreuung benötigt,
wie zum Beispiel einem Zauberworkshop, teilneh-          fährt die Erzieherin bzw. der Erzieher in das Eltern-
men oder lieber draußen spielen möchten. Unser Ziel      haus und später gemeinsam mit dem Kind in die Kita.
ist es, alle Angebote der Kinderbetreuung in unse-       Das Kind behält den gewohnten Schlafrhythmus so-
rem Haus zu vernetzen. Da in den Ferienzeiten viele      wie die Morgenrituale zu Hause bei. Generell betreu-
Einrichtungen geschlossen haben, nehmen wir dann         en wir die Kinder in der Kita Villa Regine sehr indivi-
auch Grundschulkinder auf. Die Kinder lernen von-        duell und gehen auf die einzelnen Bedürfnisse ein.
einander und unterstützen sich gegenseitig.
                                                         Dass es den Kindern bei uns gut geht, erkenne ich vor
Welche Bedeutung nimmt das Wohlergehen                   allem an den Reaktionen der Kinder, die nur in den
der Kinder in ihrem Konzept ein?                         üblichen Zeiten betreut werden. Sie wünschen sich
                                                         länger zu bleiben, um auch so tolle Sachen machen
Trotz des offenen Konzepts haben die Kinder Bezugs-      zu können, wie wir sie in erweiterten Betreuungs-
personen, die sie besonders gut kennen und denen         zeiten anbieten. Bei den Kindern wird es nicht als
sie sich anvertrauen. Die Kolleginnen und Kollegen,      schlimm, sondern als etwas Besonderes erlebt, so
die am späten Nachmittag und in den Abendstun-           viel Aufmerksamkeit in einer kleinen Gruppe zu be-
den die Kinderbetreuung übernehmen, schließen            kommen. Die Kinder stehen nicht weinend an der
nahtlos an die Frühbetreuung an. Dadurch nehmen          Tür und warten auf die Eltern, sondern freuen sich
die Kinder den Personalwechsel kaum wahr. Gegen          darauf, hier Zeit zu verbringen. Auch die Rückmel-
15.30 Uhr beginnt die pädagogische Fachkraft, die        dungen der Eltern sind sehr positiv. Sie beobachten
in den Abend- und Nachtstunden arbeitet. Die Kin-        außerhalb der Einrichtung eine tolle Entwicklung
der, die in diesen Zeiten betreut werden, kennen sie     ihrer Kinder.

28
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Die Konzepte der „KitaPlus“-Modellstandorte                   Impuls aus der Praxis:

Bei der Konzeptionierung der bedarfsgerechten          Einige Bundesländer haben Vorgaben für die
Betreuungszeiten haben sich bei den teilnehmen-        minimalen und maximalen Betreuungszeiten
den Einrichtungen im Bundesprogramm „Kita-             definiert. Die im Bundesprogramm geförderten
Plus“ verschiedene Kriterien herauskristallisiert,     Einrichtungen haben sich wiederum auf eine
die bei der Gestaltung bedarfsgerechter Öffnungs-      Obergrenze von neun bis zehn Stunden täglich oder
zeiten Orientierung bieten:                            45 bis 50 Stunden wöchentlich festgelegt. Dabei
                                                       sollen Kinder, die auch am Wochenende betreut
Betreuungszeiten bedarfsgerecht anpassen               werden, einen mindestens zweitätigen „Freizeitaus­
Ziel des Bundesprogramms „KitaPlus“ ist es nicht,      gleich“ an anderen Wochentagen haben. Andere
die Betreuungszeiten von Kindern zu verlängern,        Einrichtungen sehen dagegen vor, dass zwischen
sondern bedarfsgerecht anzupassen. Im Vorder-          den Kita-Besuchen mindestens zwölf Stunden
grund steht, flexibel auf die Bedürfnisse der Eltern   liegen müssen oder sie definieren ein Mindestmaß
und Kinder eingehen zu können.                         an Ferienzeiten. Eine weitere Möglichkeit besteht
                                                       darin, sich von den Arbeitgeberinnen und Arbeitge­
     Ich hatte es auch schon das ein oder andere       bern die Arbeitszeiten der Eltern schriftlich bestäti­
     Mal, dass sich meine Schicht geändert hat, von    gen zu lassen und die Betreuungszeiten der Kinder
     Freitag zu Montag, und ich dann herkommen         darauf zu beschränken (Zweites Arbeits­papier der
     musste und gesagt habe, dass ich für Montag­      programmbegleitenden Evaluation).
     nacht eine Betreuung brauche. Das ging
     schnell, zwei Stunden später war es erledigt.
     Ich fand das richtig klasse.
     Mutter, Abschlussbericht der
     programmbegleitenden Evaluation

                                                                                                           29
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Bildungsprozesse gestalten                            Die erweiterten Betreuungszeiten eignen sich aber
                                                      auch, um bestehende Förderschwerpunkte zu ver-
 Die entwickelten Konzepte für die erweiterten        tiefen. So finden bei einigen erprobten Vorhaben
 Öffnungszeiten in dem Bundesprogramm                 zusätzliche Angebote in den Bereichen Mathema-
„KitaPlus“ knüpfen meist an die bestehenden Be­       tik, Musik, Technik, Naturwissenschaft oder Be-
 treuungs- und Einrichtungskonzepte sowie die         wegung statt. Hier sollte jedoch stets die Balance
 Bildungspläne der jeweiligen Bundesländer an.        zwischen aktivem Angebot und Entspannung ge-
 Um die zusätzlichen Betreuungszeiten optimal         wahrt werden. Schließlich eignet sich die ruhige
 zu nutzen und an das Bestehende anzuknüpfen,         Atmosphäre in den Randzeiten auch besonders für
 werden pädagogische Inhalte auf die alltäglichen     individuelle Zuwendung und die Förderung der
 Bildungsprozesse und -themen der Einrichtung         Kinder.
 abgestimmt. Besonderer Wert wird häufig auf das
 alltagsintegrierte Lernen gelegt. Das Abendessen          Es ist wichtig, dass sowohl in den frühen
 bietet zum Beispiel viele Gelegenheiten für Lern­         Morgen- als auch in den späten Abendstunden,
 erfahrungen: durch die gemeinsame Entschei­               pädagogisches Personal vor Ort ist, das
 dung für ein Gericht, das Einkaufen der Zutaten,          Kinder über die Betreuung hinaus individuell
 das Wiegen und Zubereiten der Speisen sowie das           fördert und entsprechende Angebote bereit­
 Ein- und Abdecken der Tische. Bei diesen Tätig­           stellt.
 keiten werden ganz praktisch und alltagsintegriert        Prof. Dr. Sabina Schutter im Interview
 die Selbstständigkeit, die Gesundheit, das Experi­
 mentieren und das soziale Miteinander gefördert.
                                                            Impuls aus der Praxis:
     Die erweiterten Öffnungszeiten sind die
     Krönung. Wir haben Zeit, mit den Kindern         Im „Zweckverband Katholische Tageseinrichtungen
     zu kochen. Und mit ihnen das Abendbrot           für Kinder im Bistum Essen“ informieren sich die
     zu gestalten, in Ruhe Abendbrot zu essen.        pädagogischen Fachkräfte daher bei den Eltern über
     Oder sie können mit uns einkaufen gehen.         die gewohnten Rituale der Kinder und setzen diese
     Pädagogin, Abschlussbericht der                  Abläufe dann auch in der Kita um. Es werden zum
     programmbegleitenden Evaluation                  Beispiel Geschichten vorgelesen oder bestimmte
                                                      Lieder gesungen (Abschlussbericht der programm­
                                                      begleitenden Evaluation).

30
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Bindungen aufbauen und Vertrauen schaffen              Zusammenarbeit zwischen Familien und
                                                       pädagogischen Fachkräften stärken
Um den Kindern ausreichend Raum und Zeit
für individuelle Interessen und Bedürfnisse zu          Zuverlässige und vertrauensvolle Erziehungs­
geben, ist Flexibilität im Betreuungsalltag wichtig.    partnerschaften sind besonders wichtig, wenn
Gleichzeitig haben auch vertraute und verläss­          Kinder in erweiterten Zeiten betreut werden. Die
liche Rahmenbedingungen großen Einfluss auf            „KitaPlus“-Vorhaben halten in ihren Konzepten
das Wohlbefinden der Kinder. Dazu kann bei­             ausdrücklich die Zusammenarbeit mit den Eltern
spielsweise eine feste Gruppenstruktur zählen, die      fest. Die Erziehungspartnerschaft leben sie durch
eine gute Orientierung bei Lernprozessen bietet.        regelmäßig vereinbarte Elterngespräche, aber
                                                        auch durch informelle Tür- und Angel-Unterhal-
Auch Rituale können eine familienähnliche               tungen. Der Austausch legt den Grundstein dafür,
Atmosphäre schaffen und vor allem bei der Abend-        dass die Familien und pädagogischen Fachkräf-
betreuung oder in der Nacht das Gefühl von Ge­          te sich eng miteinander über die Bedürfnisse, die
borgenheit fördern. Wichtig ist, dass den Kindern       Entwicklung und insbesondere das Wohlergehen
auch in den erweiterten Öffnungszeiten eine feste       der Kinder abstimmen. Konkret können Familien
Bezugsperson zur Seite steht.                           und die Einrichtungen den Austausch nutzen, sich
                                                        über Gewohnheiten und Vorlieben der Kinder zu
     Wenn ich komme, dann umarmen mich die              informieren. Dieses Wissen können die pädago-
     Kinder und freuen sich, dass ich nun da bin.       gischen Fachkräfte nutzen, um beispielsweise die
     Pädagogin, Abschlussbericht der                    Abendstunden entsprechend zu gestalten. Umge-
     programmbegleitenden Evaluation                    kehrt ist es für Eltern wichtig zu erfahren, wie es
                                                        den Kindern in den erweiterten Betreuungszeiten
     Um es bindungstheoretisch zu formulieren:          geht und wie sie diese erleben. Eine bewährte Er-
     Kindern sollte ein ausgeglichenes Verhältnis       ziehungspartnerschaft ermöglicht auch, umge-
     zwischen ihren Erkundungsbedürfnissen und          hend zu reagieren, wenn es besondere Anlässe gibt.
     ihren Bindungs- und Schutzbedürfnissen er-
     möglicht werden. Sie sollten also frohgemut in         Es kommt vor allem drauf an, dass wir mit
     die Welt hinausgehen, spielen und erkunden             den Eltern in gutem Kontakt sind.
     können, bei Bedarf müssen aber Erwachsene              Kita-Leitung, Drittes Arbeitspapier der
     für das Kind da sein.                                  programmbegleitenden Evaluation
     Prof. Dr. Jörg Maywald im Interview

                                                                                                        31
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Kinder aktiv einbeziehen                             Das Wohlbefinden durch Raumgestaltung fördern

Mit der UN-Kinderrechtskonvention wurde das          Bei der Gestaltung der erweiterten Öffnungszeiten
Partizipationsrecht der Kinder festgeschrieben.      spielt die räumliche Umgebung eine wichtige
Das Recht fordert, dass Kindern der Zugang zu        Rolle, auch sie hat Einfluss auf das Wohlbefinden
Informationen gewährt wird und ihre Meinung          der Kinder. Die Gestaltung der Räumlichkeiten
Berücksichtigung findet. Dies gilt für die bisher    sollte das Freispiel der Kinder unterstützen und
üblichen, wie auch für die erweiterten Betreu-       zum Spielen anregen. Idealerweise werden die
ungszeiten. Die Konzeptionen, der am Bundespro-      Kinder in diesen Prozess einbezogen. Auf diese
gramm „KitaPlus“ teilnehmenden Einrichtungen,        Weise gewinnen sie Vertrauen in die räumliche
zeigen hier verschiedene Ansätze und Beteili-        Umgebung. Platz für ausreichend Bewegung ist
gungsstrategien, beispielsweise Kinderkonferenzen,   ebenso wichtig wie Bereiche zum Entspannen.
um die Kinder in die Gestaltung der Öffnungszei-     Eine ansprechende und gemütliche Umgebung
ten einzubeziehen.                                   mit Rückzugsmöglichkeiten erhöht das Gefühl
                                                     von Geborgenheit und Behaglichkeit. Individuell
     Rhythmisierte / Zirkulierende Angebote, bei     eingerichtete Schlafplätze schätzen die Kinder
     denen vielleicht alle Kinder beteiligt sind,    besonders.
     bestimmte Überschneidungszeiten, die den
     Austausch unter den Kindern ermöglichen,
     oder eine Kinderversammlung – das sind
     meiner Meinung nach Aspekte guter Qualität.
     Es geht darum, die Bedürfnisse der Kinder­
     gruppe insgesamt nicht aus dem Blick zu
     verlieren.
     Prof. Dr. Jörg Maywald im Interview

32
Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

      Impuls aus der Praxis:                         Familienporträt

Neu angeschaffte Ausstattungen wie Matratzen­        Ein Beispiel: Berufstätige, die tagsüber arbeiten,
landschaften oder Snoezelen-Elemente laden die       müssen oder wollen auch mal vor oder nach der
Kinder ein, sich zurückzuziehen und auszuruhen       Arbeit zum Zahnarzt gehen. Deshalb bieten viele
oder fordern sie zum Entdecken auf und regen ihre    Praxen Sprechstunden vor oder nach üblichen
Fantasie im Spiel an (Abschlussbericht der pro­      Arbeitszeiten an. Sabine Kuhlmann ist Zahnarzt-
grammbegleitenden Evaluation).                       helferin und alleinerziehende Mutter von drei
                                                     Kindern. Um die Familie und ihren Beruf mitein-
Bring- und Abholsituationen und                      ander vereinbaren zu können, stand Frau Kuhl-
Übergänge im Tagesverlauf                            mann fast täglich vor Herausforderungen. Sie
                                                     musste für ihre Arbeitszeiten am frühen Abend
Für die Gestaltung der Bring- und Abholzeiten hat    oder am Wochenende eine Betreuung für ihre
sich in den am Bundesprogramm „KitaPlus“             jüngste Tochter organisieren. Dafür griff sie regel­
geförderten Vorhaben eine Flexibilisierung           mäßig auf die Unterstützung von Freunden oder
bewährt: Die Zeiten für das Abholen und Bringen      Bekannten zurück. Diese holten Frau Kuhlmanns
der Kinder sollte an den individuellen Bedarfen      Tochter abwechselnd von der Kita ab und über-
der Eltern und Kinder ausgerichtet sein. Dadurch     nahmen die Betreuung, bis die Mutter gegen 20
lernen Kinder, sich beim Ankommen in das             Uhr von der Arbeit kam. Am Wochenende, wenn
aktuelle Geschehen in der Gruppe zu integrieren      in der Praxis Notdienst ist, wurde die Betreuung
beziehungsweise sich hieraus zu verabschieden.       manchmal ganztägig durch das private Umfeld
Für einen Teil der Modellvorhaben haben sich         abgedeckt. Dadurch musste sich ihre Tochter
jedoch auch feste Zeitenregelungen als vorteilhaft   Emily häufig auf ganz unterschiedliche Umgebun-
erwiesen, da so Bildungsprozesse, Rituale und        gen, Gewohnheiten und Rituale einstellen.
Angebote gemeinsam begonnen und wieder
beendet werden können. Angebote können also
langfristig besser geplant werden. Besonders
wichtig ist jedoch, bei den Übergängen Kontinui-
tät zu bewahren – beispielsweise bei einem             Weitere Informationen:
Wechsel von der Vormittagsgruppe in die Nach-          Broschüre „Gute Betreuung ist keine Frage
mittagsgruppe. Die Kinder sollten vertraute            der Uhrzeit“
Bezugspersonen und -räume vorfinden. Diese
erleichtern ihnen den Übergang und spenden
Sicherheit und Vertrauen.

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