Delir: der optimale Behandlungsverlauf
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Delir: der optimale Behandlungsverlauf Delir ist eine klassische Organdysfunktion und stellt somit einen medizinischen Notfall dar. Eine Prävention beziehungsweise Senkung des Risikos ist möglich, wenn bestimmte Struktu- ren, Maßnahmen und Vorgehensweisen beachtet werden. Stand 11/2021 1 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF 1. EINLEITUNG Das Spektrum der initiierten Maßnahmen hinsichtlich Prophy- Es entsteht ein zunehmendes Bewusstsein dafür, dass Delir laxe und Therapie ist für alle Patienten weitgehend identisch. kein „Durchgangssyndrom“, das auf die leichte Schulter Es muss jedoch individuell die Intensität der einzelnen genommen werden kann, und damit keine passagere, relativ Maßnahme fortwährend festgelegt werden. harmlose Störung ist. Vielmehr liegt bei Delir eine klassische Dysfunktion eines zentralen Organs und damit offensichtlich ein 2. DEFINITION medizinischer Notfall vor (auch wenn das noch nicht allgemein Als Delir bezeichnet man eine akute, aber rückbildungsfähige anerkannt wird). Ebenfalls noch nicht ausreichend bekannt ist die Bewusstseinsstörung, die unter anderem durch zeitliche und hohe Zahl der „übersehenen“ Delirpatienten oder die möglicher- räumliche Desorientiertheit, Verwirrtheit und Halluzinationen weise signifikanten Konsequenzen: für Patienten schlechtere gekennzeichnet ist. Die Inzidenz des Delirs von beatmeten Inten- Behandlungsergebnisse, höhere Raten der Institutionalisierung sivpatienten liegt bei 30 bis 80 %, bei chirurgischen Patienten nach Entlassung (und damit Verlust an Lebensqualität) sowie je nach Eingriff zwischen 5,1 und 52,2 %2. Bei Hüft-Operationen höhere Letalität, für Krankenhäuser unter anderem höhere sind 35–65 % betroffen, bei kardiochirurgischen Eingriffen ist die Kosten durch den längeren Krankenhausaufenthalt. Bandbreite mit 3–72 % ebenfalls sehr groß3–6. Die Inzidenz bei nicht beatmeten Patienten liegt bei bis zu 50 %7. Doch Delir ist in vielen Fällen vermeidbar, wenn bestimmte Strukturen geschaffen, Maßnahmen durchgeführt und Vorge- DELIR WIRD JE NACH MOTORISCHEM ERSCHEI- hensweisen beachtet werden. Diese werden im Folgenden NUNGSBILD IN DREI PHÄNOTYPEN UNTERTEILT: vorgestellt. Der Fokus liegt dabei auf der Versorgung chirur- – Hypoaktives Delir (30 %) mit Schläfrigkeit und Bewusst- gischer Patienten und der daraus folgenden delirpräventiven seinsstörungen. Extremform: katatone Variante2. Cave: Diese Maßnahmen vor, während und nach der Operation. klinisch unauffälligen Verläufe werden häufig übersehen, mit der Konsequenz einer deutlich höheren Letalität als bei hyper- CAVE: aktivem Delir (33 % vs. 15 %)8. – Andere Patientengruppen, etwa auf der Intensivstation (ICU), – Hyperaktives Delir (5 %) mit Schreckhaftigkeit und Unruhe. können ebenfalls – auch ohne vorhergehende Operation – Extremform: exzitatorische Variante. ein Delir entwickeln. – Mischtyp (65 %). – Das Patientenspektrum ist weiter gefasst als häufig gedacht und kann nicht nur Ältere, sondern auch Kinder sowie eine EIN DELIR MANIFESTIERT SICH IN FÜNF KERN- Vielzahl an potenziellen Risikogruppen betreffen, wie etwa BEREICHEN: Menschen mit Substanzabusus (besonders Benzodiazepine, – Kognitives Defizit aber auch Drogen oder Alkohol)1. – Aufmerksamkeitsstörung – Ältere Patienten haben zwar grundsätzlich das höchste Delir- – Dysregulation der zirkadianen Rhythmik risiko, es sind aber auch die Lebensumstände zu berücksich- – Emotionale Dysregulation tigen: Ein 80-Jähriger, der täglich mit dem Fahrrad unterwegs – Veränderung der Psychomotorik ist, hat unter Umständen ein geringeres Risiko als ein 75-Jähriger, der die eigene Wohnung nicht mehr verlässt. 2 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF Pathophysiologie des postoperativen Delirs9 Der genaue Pathomechanismus ist noch ungeklärt. Nach heutigem Kenntnisstand wird das Delir durch eine Neurotransmitter-Imbalance (Acetylcholin, Dopamin und Serotonin) und/oder Veränderungen im Natriumhaushalt hervorgerufen. Die Liste der möglichen Ursachen ist daher lang und umfasst neben Infektionen, Medikamenten- oder Alkoholentzug und Elektrolytstörungen auch Traumen (inkl. chirurgischer Stimulus), Schmerz, Polypharmazie, metabolische Störungen, Immobilisation, Vergiftungen, Entzündungsreaktionen, Mangelernährung und Hypoxie; auch eine genetische Prädisposition wird diskutiert. Auf Basis dieser Faktoren wurden verschiedene Hypothesen beschrieben. Die neuronale Alterungshypothese beispielsweise verweist auf ein höheres Alter als unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines Delirs bei kritisch kranken Patienten, wofür eine altersbedingt reduzierte physiologische Reserve ursächlich zu sein scheint. Dies resultiert in einer Beeinflussung der neuronalen Signalverarbeitung und wird DREI PATIENTENGESCHICHTEN AUS DER PRAXIS begleitet durch einen altersbedingten Neuronenverlust „Delir zu erwarten“: 78-jährige Patientin mit MMS 20. und neuroinflammatorische Effekte (erhöhte Zytokine Während des stationären Aufenthalts wurden intensive und Akute-Phase-Proteine), während die physiologischen Bundle-Maßnahmen (Frühmobilisation, Reorientierung etc.) antioxidativen Schutzmechanismen abnehmen. Weitere umgesetzt. Die Patientin hat kein Delir entwickelt und hatte Modelle gehen auf oxidativen Stress, neuroendokrine bei Entlassung MMS 22. Einflüsse und Störungen im zirkadianen Rhythmus ein. Letztlich stellt sich aber immer eine Neurotransmitter- „Delir eher nicht zu erwarten“: 80-jähriger Patient ohne Imbalance ein (v. a. Acetylcholin-Mangel und Überschuss von Dopamin/Serotonin), welche die kortikale wesentliche Vorerkrankungen. Schenkelhalsfraktur nach einem Signalverarbeitung beeinträchtigt und das Delir auslöst. Sturz mit kurzzeitigem Delir nach der OP. Nach Einbindung der Familie, Reorientierungsmaßnahmen und der Optimierung des Flüssigkeitshaushalts war der Patient nach kurzer Zeit delirfrei. Cave Polypharmazie: Diesbezüglich sind speziell Benzodiazepine zu erwähnen, die im perioperativen Verlauf „Patient hat immer Delir nach der OP“: 39-jähriger Patient häufig als Prämedikation eingesetzt werden und als stark mit bekanntem Alkoholabusus. Thoraxtrauma nach einem Sturz delirogen gelten. Die einmalige Gabe von Lorazepam war mit Schürfungen → Wundinfektion – VAC-Therapie. VAC-Wech- beispielsweise mit einer Delirinzidenz von 7 % verbunden10. sel in Narkose. Jedes Mal nach Narkose hat der Patient ein aus- Bei Polypharmazie kann aber auch die Kombination ver- geprägtes Delir entwickelt. Ablaufänderung: 03µg/kg/h schiedener Medikamente ein Delir provozieren. Es wird da- her empfohlen, im Delir-Kern-Team (siehe Info-Box) einen Dexmedetomidin perioperativ und 30 Minuten postoperativ im Apotheker hinzuzuziehen, um den Patienten auf Medika- Aufwachraum → kein Delir. mente mit einem möglichst geringen delirogenen Potenzial umzustellen (Beispiel: Furosemidgabe hat einen Einfluss auf den Acetylcholinstoffwechsel, Torasemid nicht). 3 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF 3. INDIVIDUELLE UND GESUNDHEITSÖKONOMISCHE Konsequenzen für Krankenhäuser: höhere Kosten KONSEQUENZEN – Erhöhte Kosten für Krankenhäuser durch den verlängerten Einfach ausgedrückt: Jedes vermiedene Delir ist für den Patien- Krankenhausaufenthalt von bis zu 10 Tagen ten von Vorteil, allein schon aufgrund der schnelleren Verlegung – In den USA verursachen Delirpatienten pro Tag 295 US- von der Intensivstation und einer kürzeren Krankenhausaufent- Dollar Mehrkosten im Vergleich zu Nicht-Delirpatienten, haltsdauer. Krankenhäuser wiederum profitieren finanziell von der kalkuliert wurde ein Gesamtjahreszusatzbetrag von bis zu kürzeren Aufenthaltsdauer der Patienten, womit auch logistische 152 Millionen US-Dollar20, 21 Vorteile verbunden sind (mehr verfügbare Intensivbetten – Laut einer kanadischen Untersuchung verlängert Delir vs. kein bedeuten auch mehr mögliche Operationen). Delir den Krankenhausaufenthalt um 7,4 Tage und erhöht die Kosten um durchschnittlich 5.500 Euro22 Konsequenzen für Patienten: erhöhte Letalität, – Je nach Quelle können Zusatzkosten für Krankenhäuser von schlechtere Outcomes, Verlust an Lebensqualität bis zu 15.000 Euro pro Delirpatient entstehen (berechnet – Erhöhtes Risiko für funktionellen Abbau und Abhängigkeiten aus 1.500 Euro Zusatzkosten pro Tag bei einem verlängerten bei Aktivitäten des täglichen Lebens nach Entlassung; Krankenhausaufenthalt von bis zu 10 Tagen)23, 24 postoperatives Delir ist zudem einer der stärksten Prädiktoren – Über die finanziellen Einsparpotenziale hinaus könnte die für postoperative kognitive Dysfunktionen11 bessere Delir-Prävention für das Krankenhaus mit einem – Erhöhtes Risiko einer Heimeinweisung12, 13 Reputationsgewinn verbunden sein – Längerer Krankenhausaufenthalt von 5–10 Tagen14, 15 – Bei 25 % der Patienten treten dauerhafte kognitive Die Gesamtkosten für die Gesellschaft durch andauernden Funktionsstörungen auf14, 16 Arbeitsausfall und Pflegebedürftigkeit sind wahrscheinlich noch – Bei bis zu 52 % der Patienten mit Delir sind drei Monate höher einzustufen, da die kognitive Leistungsfähigkeit der nach dem Krankenhausaufenthalt noch kognitive Patienten oft noch ein Jahr nach Ende des Krankenhaus- Funktionsstörungen zu beobachten17 aufenthalts beeinträchtigt ist25. – Erhöhte Mortalitätsrate von 25–33 %12 sowie siebenfach erhöhte 5-Jahres-Mortalität19 – Während des Klinikaufenthalts Erhöhung der Letalität von 3,9 auf 22 %2 und eine dreifach erhöhte Letalität sechs Monate nach dem Krankenhausaufenthalt18 4 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF Ein multiprofessionelles „Delir-Kern-Team“ kann die Betreuung der Patienten erleichtern und damit das Delirrisiko senken. Neben einer/m KoordinatorIn aus der Pflege oder Ärzteschaft, der als AnsprechpartnerIn für das Team und gleichzeitig als konstante Be- gleitperson für Patienten fungiert, sollten auch ApothekerInnen, PhysiotherapeutInnen, GeriaterInnen, OperateurInnen der jeweiligen Fachdisziplin und SchmerztherapeutInnen dabei sein. Situationselastisch können weitere Fachdisziplinen hinzugezogen werden, etwa ein/e Logopäden/Logopädin nach Schlaganfall oder ein/e ErnährungswissenschaftlerIn bei Mangelernährung. 5 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF 4. WIE SIEHT DIE OPTIMALE DELIRPROPHYLAXE/ Beispiel: Viele Beatmungsgeräte, die neben dem Bett plat- -BEHANDLUNG AUS? ziert sind, haben ihre Lüftungsschlitze häufig auf Ohrhöhe, 4.1. Allgemeine prozessuale und bauliche Maßnahmen als sodass der Patient durch das Surren konstant „beschallt“ Voraussetzung für die Delirprophylaxe und -therapie wird. Hier könnte man bspw. durch die Platzierung hinter Zwei Hinweise: Die Delirprävention muss nicht sofort zu baulichen einer Trennwand eine Verbesserung erreichen. In einer Studie Maßnahmen führen. Sind solche aber ohnehin geplant, wäre es der Charité konnte mit dieser und anderen Maßnahmen eine sinnvoll, hierin die Delirprävention zu berücksichtigen (z. B. über signifikante Abnahme der Lärmbelästigung erreicht werden27. Beobachtungszimmer, Flächen zur Mobilisierung von Patienten – Die Wege so gestalten, dass das Pflegepersonal nicht immer oder „Human Centric Lighting“). Und: Auch kleinere Maßnahmen in unmittelbarer Nähe um das Patientenbett gehen muss können eine große Wirkung haben, um den Stress der Patienten zu reduzieren, den Schlafrhythmus zu erhalten und damit das Delirrisiko zu senken (z. B. Uhr und Kalender sichtbar platzieren, 4.2. PRÄOPERATIVE PHASE Brille und Hörgerät in Reichweite, auf patientengerechte Tempera- Bereits vor dem Eingriff ist das Risiko eines Patienten für ein turen achten oder die Verfügbarkeit einer aktuellen Tageszeitung). postoperatives Delir zu erheben. Zu den nicht modifizierbaren Risikofaktoren zählen unter anderem28–30: Prozessuale Maßnahmen umfassen beispielsweise die Einführung – Höheres Alter eines integrierten Patientendatenmanagement-Systems, um – Männliches Geschlecht Personalressourcen, Prozesse und Maßnahmen zu planen. – Demenz oder kognitive Dysfunktion (3-4-fach erhöhtes Risiko) Bauliche Maßnahmen können u. a. sein26: – Delir bei früheren Krankenhausaufenthalten – Patientenzimmer: wohnliche Atmosphäre schaffen, warme (6-fach erhöhtes Risiko) Materialien, natürliches Licht maximieren, Sichtbezug nach – Chronische renale/hepatische und metabolische außen, Tag- und Nachtsimulation über Lichtkonzepte Erkrankungen – Lärmreduktion durch entsprechendes Alarmmanagement/ Alarmweiterleitung und durch Platzierung der Geräte am Patientenbett: 6 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF Ein Krankenhausaufenthalt bei Erwachsenen kann in einer MODIFIZIERBARE FAKTOREN UND DEREN GEGEN- deutlichen Störung der Orientierung resultieren. Daher ist MASSNAHMEN SIND: es sinnvoll, reorientierende und generell risikovermindernde – Immobilisation > Frühmobilisierung Maßnahmen wie die folgenden zu treffen: – Medikamente (Sedativa, Anticholinergika, Kortikosteroide u. a.) > Überprüfung des Bedarfs/der Dosierung – Jedem Patienten eine individuelle Bezugsperson des – Evtl. metabolische Störungen behandeln Krankenhauses zuzuweisen, die den Patienten auf allen – Evtl. Schmerzen behandeln Wegen begleitet und auch die Kommunikation mit dem Ein Beispiel aus der Praxis: An einer orthopädischen Personal übernehmen kann, ist in vielen Fällen wahrscheinlich Abteilung erhielten hüftorthopädische Patienten spezielle logistisch/finanziell nicht möglich. Daher sollte zumindest auf Konsultationen durch einen Geriater, mit denen präoperativ oder eine hohe Konstanz des betreuenden Pflegepersonals geachtet innerhalb von 24 Stunden nach der OP begonnen wurde. Die und Angehörige so gut wie möglich eingebunden werden Konsultationen wurden täglich durchgeführt, der Geriater konnte – Die Unterstützung durch Angehörige/Freunde kann das auf Basis eines strukturierten Protokolls gezielte Maßnahmen Risiko um fast ein Drittel reduzieren29. Sie können einerseits zur Delirprävention vorschlagen. Ein Delir trat bei 50 % der Organisatorisches übernehmen („Ist die richtige Brille dabei, Kontrollgruppe vs. 32 % der Interventionsgruppe auf6. sind die Batterien der Hörgeräte geladen?“) und andererseits ein für den Patienten vertrautes Umfeld schaffen. Großzügige Die generelle medikamentöse Prävention von Delir bei Besuchszeiten können diese Rolle für Angehörige erleichtern Intensivpatienten ist laut S3-Leitlinien „aus aktueller Sicht nicht – Zimmer-/Stationswechsel vermeiden sinnvoll“, ein gezielter Einsatz einer niedrig dosierten – Tageslicht im Zimmer Haloperidol-Prophylaxe bleibt lediglich Patienten mit hohem – Lärmpegel möglichst niedrig halten und nächtliche Delirrisiko vorbehalten31. Interventionen/Maßnahmen auf ein Minimum reduzieren – Auf ausreichende Ernährung und Hydrierung achten 4.3. INTRAOPERATIVE PHASE – Förderung der geistigen Aktivität, soweit möglich, etwa durch – Eine realistische OP-Planung verkürzt sowohl die Konzentrationsübungen Nüchternheitszeiten als auch den Aufenthalt in ungewohnten Räumlichkeiten wie Holdingbereich, Anästhesie- Einleitungsraum und Aufwachraum32 7 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF – Auf eine bedarfsadaptierte Analgesie und Sedierung die ausreichende Schmerztherapie, ausreichende Nahrungs- und achten31; bei potenziell schmerzhaften Interventionen ist ein Flüssigkeitszufuhr oder Reduzierung von Kältereizen (Patienten z. B präventiver analgetischer Ansatz, wenn möglich mit einem nach Untersuchungen wieder zudecken). Zudem sollten die regionalanästhesiologischen Verfahren, zu wählen Patienten bei der Einhaltung eines normalen Schlaf-Wach- – Die lungenprotektive Beatmung könnte vorteilhaft sein33 Rhythmus unterstützt werden: in der Nacht Augenmasken – Oxygenierung: Bei Hypoxie wechselt der Patient in einen und Ohrstöpsel, angepasste Lichtkonzepte und Lärmreduktion anaeroben Stoffwechsel, der zu zentralen Veränderungen im durch entsprechendes Alarmmanagement. Diese Maßnahmen Lactatspiegel bzw. Lactat-Pyruvat-Quotient führt, was das zusammengenommen sind auch als „Healing Environment“ oder Delirrisiko erhöhen könnte. Studien bei COPD zeigen ein gesundheitsfördernde Umgebung bekannt. potenziell höheres Delirrisiko Bei Auftreten von Delir steht zunächst die Behandlung Optimales Narkoseverfahren: Bezüglich Delir scheint möglicher Ursachen im Vordergrund: Infektionen, Elektrolyt- laut derzeitigem Wissensstand eine generelle Empfehlung und Blutzucker-Entgleisungen, Schmerzen oder Hypoxie. Um für ein bestimmtes Verfahren – Regionalanästhesie (RA) vs. die unterschiedlichen Felder vollständig zu beleuchten, wird Zentralanästhesie (GA) – nicht möglich zu sein. Ursächlich das Akronym „I WATCH DEATH“ verwendet. Jeder Buchstabe sind zwei Faktoren: Erstens sind die entsprechenden Studien des Akronyms steht für eine ursächliche Störung, die ein Delir nicht stringent bezüglich der Trennung von RA und GA, auslösen kann: beispielsweise werden bei RA auch Benzodiazepine oder Propofol eingesetzt. Zweitens lässt sich der Stressfaktor DELIR-DIFFERENZIALDIAGNOSEN schlecht beschreiben: Tritt ein Delir aufgrund der verwendeten I WATCH DEATH38 Narkosemittel ein oder ist Agitation/Stress hierfür ursächlich? Diese beiden unterschiedlichen Felder sind in Studien nicht Differential Diagnosis of Delirium. einwandfrei zu trennen. Ein wirklicher Vorteil könnte sich in naher Infection HIV, sepsis, pneumonia Zukunft bei richtiger Kombination von RA und Sedativa (z. B. Withdrawl Alcohol, barbiturate, sedative-hypnotic Dexmedetomidin) zeigen, die entsprechenden Studien werden Acute metabolic Acidosis, alkalosis, electrolyte disturbance, zeitnah erwartet. Für die Allgemeinanästhesie konnte in Studien hepatic failure, renal failure gezeigt werden, dass die Anästhesietiefe einen deutlichen Trauma Closed-head injury, heat stroke, postoperative, Einfluss auf die Entstehung des Delirs hatte. Somit scheint severe burns die sorgfältige Überwachung bzw. Steuerung der Narkosetiefe CNS pathology Abscess, hemorrphage, hydrocephalus, sinnvoll, um eine zu tiefe Narkose und ein damit verbundenes subdural hematoma, infection, seizures, Delirrisiko zu vermeiden34–37. stroke, tumors, metastases, vasculitis, encephalitis, meningitis, syphilis 4.4. POSTOPERATIVE PHASE Hypoxia Anemia, carbon monoxide poisoning, – Drainagen und Katheter möglichst rasch wieder entfernen32 hypotension, pulmonary or cardiac failure – Frühe Mobilisation und gegebenenfalls frühe Einleitung der Deficiencies Vitamin B12, folate, niacin, thiamine enteralen Ernährung32 Endocrinopathies Hyper/hypoadrenocorticism, hyper/hypoglycemia, myxedema, Insgesamt gelten viele der in der präoperativen Phase hyperparathyroidism erwähnten Maßnahmen auch postoperativ als präventive Acute vascular Hypertensive encephalopathy, stroke, Delirmaßnahmen auf der Intensivstation, wie etwa die arrhythmia, shock Förderung der kognitiven Aktivität, die Frühmobilisierung Toxings or drugs Prescription drugs, illicit drugs, pesticides, durch Physio- und Ergotherapie (ermöglicht durch mobile solvents Medizingeräte), reorientierende Maßnahmen und Faktoren wie Heavy Metals Lead, manganese, mercury38 8 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF Bei einigen Patienten ist die nicht-medikamentöse Therapie vegetativen Symptome erforderlich. Lediglich bei produktiven allerdings nicht hinreichend, etwa bei Alkohol- oder Symptomen (z. B. Halluzinationen) sind Psychopharmaka indiziert Benzodiazepin-Abusus, in diesen Fällen ist die Verabreichung (niedrigdosiertes Haloperidol, atypische Neuroleptika). von Clonidin oder Benzodiazepinen zur Reduktion der 5. HERAUSFORDERUNGEN Diagnostik/Screening Es ist selbsterklärend, dass die genannten Maßnahmen wie Der genaue Pathomechanismus ist noch ungeklärt. Trotz Screening, Frühmobilisierung, Förderung der kognitiven Aktivität der alarmierenden Auswirkungen auf Patienten wird nur oder Konstanz des Pflegepersonals arbeitsaufwendig und daher bei 27 % der Intensivpatienten ein regelmäßiges Screening ressourcenintensiv sind. Aus den erwähnten ökonomischen durchgeführt39. Für die sichere Diagnostik eines Delirs Belastungen für die Betreuung von Delirpatienten scheint aller- sind validierte Testverfahren vorhanden, beispielsweise dings auch hervorzugehen, dass sich präventive Maßnahmen als die „Confusion Assessment Method for the ICU“ (CAM- insgesamt kostengünstiger herausstellen könnten. ICU) und 3D-CAM oder CAM-S für Patienten auf der Normalstation, siehe Tabelle: Die wesentliche Voraussetzung für anhaltende Änderungen ist aber ein verstärktes Bewusstsein, also ein gewisser „Mindset“ Validierte Testverfahren zur Detektion eines Delirs* für die Problematik des Delirs im Krankenhaus. Dazu zählen Diagnostik eines Delirs CAM-ICU Untersuchung einer Aufmerksamkeits-, Faktoren wie das Auftreten/„Übersehen“ von Delir (v. a. der Bewusstseins- und Denkstörung anhand von hypoaktiven Form), die Folgen für Patienten und Krankenhaus, Testfragen aber auch die entsprechenden verfügbaren Gegenmaßnahmen. ICDSC Untersuchung von Bewusstseinslage, Diese sollten im Krankenhaus abteilungs- und teamübergreifend Aufmerksamkeit, Orientierung, Halluzination, eingeführt werden. Agitation, Sprache, Schlaf und Symptomatik (1 = vorhanden, 0 = nicht vorhanden); Beurteilung über Summenbildung Nu-DESC Untersuchung von Orientierung, Verhalten, Kommunikation, Halluzination und psychomotorischer Retardierung (je nach Ausprägung Werte 0–2); Beurteilung über Summenbildung 3D-CAM Untersuchung einer Aufmerksamkeits-, Bewusstseins- und Denkstörung anhand von Testfragen CAM-S Untersuchung von Verlauf, Aufmerksamkeit, Denken, Bewusstseinslage, Orientierung, Gedächtnis, psychomotorischer Agitation, Retardierung und Schlaf anhand von Tests; Bestimmung des Schweregrades (0–2). Beurteilung durch Summenbildung *Hierzu zählen Confusion Assessment Method for the ICU (CAM-ICU), Intensive Care Delirium Screening Checklist (ICDSC), Nursing Delirium Screening Scale (Nu-DESC), 3-Minute Diagnostic Interview for CAM- defined delirium (3D-CAM) und Confusion Assesment Method Severity (CAM-S)2 9 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
DELIR: DER OPTIMALE BEHANDLUNGSVERLAUF Personelle R ess our n ce hme n a ßn Mindset kreieren Ma Prozesse und Raum- und Arbeits- und als Behandlungs- konzept einführen Maßnahmen e platzgestaltung planen/einführen ch Flächen zur Frühmobilisierung, uli Human Centric Lighting, z.B. über ein integriertes Patienten- verteiltes Alarmsystem, datenmanagementsystem Ba wohnliche Atmosphäre schaffen (z.B. durch warme Materialien und natürliches Licht), Pat Beobachtungszimmer iente Zusammenstellung und Koordination des Delir-Kern-Teams norientierter Proze Koordinator Stressreduzierende Maßnahmen Lärmreduktion über die Platzie- Begrüßung des G es u n d h e it rung der Geräte am Patientenbett Patienten sowie sowie Alarmmanagement, Angehöriger und Tag-/Nachtsimulation über Aufklärung zu Tageslicht oder Lichtkonzepte, Delirmaßnahmen patientengerechte Temperaturen, großzügige Besuchszeiten für Angehörige Konstante Begleitung des Patienten während des Kranken- hausaufenthalts s fö r Orientierungs- maßnahmen ss Sichtbare Uhr und Kalender, Brille der und Hörgerät in Reichweite, aktuelle Prä-OP Tageszeitung, Ohrstöpsel für Post-OP Anamnese (bzgl. Delirrisiko), die Nacht nd Kontinuierliches Screening, Auswahl des geeigneten rasche Entfernung von Drainagen/ OP Narkose-/Analgesieverfahrens, es Katheter, Frühmobilisation, Realistische ggf. Medikation anpassen, ausreichende Schmerztherapie, OP-Planung, evtl. metabolische Störungen/ bedarfsadaptierte Schmerzen behandeln Um Förderung der kognitiven Aktivität, Unterstützung des Schlaf-Wach-Rhythmus Narkose, el Analgesie, d f Bei Auftreten von Delir: Sedierung, Einleiten der Therapie- Beatmung sowie maßnahmen Oxygenierung en K li n i s c h e M a ß n a h m Delirfrei durch den Krankenhausaufenthalt dank Bundle-Maßnahmen 6. TAKE-HOME MESSAGES – Delir ist ein medizinischer Notfall Das ist vor allem bei älteren Patienten von Bedeutung, um – Entscheidend für ein erfolgreiches Delir-Management ist ein „Abrutschen“ in die Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. der multifaktorielle Ansatz. Es geht nicht darum, den Mit Delir sind also nicht nur medizinische Folgen und Patienten „irgendwie“ durch den Krankenhausprozess langfristige ökonomische Kosten verbunden, sondern zu bekommen, sondern den Krankenhausaufenthalt des auch ein hohes Maß an Lebensqualität, das die Patienten mittels der oben genannten verschiedenen Betroffenen verlieren Strukturen und Maßnahmen möglichst risikoreduzierend zu – Und: Delir kann nur erkennen, wer danach sucht. strukturieren Nach Delir muss man Ausschau halten, es bemerken und – Patienten, die delirfrei bleiben, haben eine deutlich höhere dann entsprechend agieren Chance, in ihr normales Umfeld zurückzukommen. 10 © Drägerwerk AG & Co. KGaA
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