Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe

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Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
Der Freiheitsentzug in Deutschland
   im internationalen Vergleich
       Fachwoche Straffälligenhilfe
             Prof. Dr. Jörg Kinzig
             26. November 2019
                    Mainz
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
Vorstellung
Das Institut für Kriminologie in
           Tübingen
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
Das Institut für Kriminologie

                                Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                                 des Instituts für Kriminologie
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
Gliederung
I.     Einleitung
II.    Gefangenenraten in Deutschland
III.   Gefangenenraten in Europa und der Welt
IV.    Erklärungsversuche für den unterschiedlichen Gebrauch
       von Freiheitsstrafen
V.     Möglichkeiten zur Vermeidung von Freiheitsstrafen
VI.    Kleines Fazit
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
I. Einleitung

              Definition der „Gefangenenrate“
  (auch „Gefangenenquote“ oder „Inhaftierungsziffer“ genannt)

   C Die Gefangenenrate wird aus der Anzahl der
     Gefangenen pro 100.000 Einwohner der
     Wohnbevölkerung einer Nation oder einer
     regionalen Gegend zu einem bestimmten
     Stichtag berechnet.
          Die Höhe der Gefangenenrate wird
     entscheidend durch zwei Faktoren beeinflusst

                Durch die Zahl der
                                      und die Dauer der
                in den Strafvollzug
                                         jeweiligen
                   eingelieferten
                                        Inhaftierung
                     Personen
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
I. Einleitung

     Welche Aussagekraft haben Gefangenenraten?

    C Alleine aus der Gefangenenrate ist kein eindeutiger
      Rückschluss auf eine Sanktionspolitik möglich.

    C Gefangenenraten werden dennoch häufig als Indiz
      herangezogen, um Aussagen zur Strafkultur eines
      politischen Systems oder in einem bestimmten
      Zeitverlauf treffen zu können.

    C Weitere bedeutende Faktoren, die zusätzlich zu
      den Gefangenenraten betrachtet werden müssen,
      sind die mittlere Inhaftierungsdauer sowie die
      Anzahl der Neuaufnahmen („flow of entries“).
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
I. Einleitung

  Welche Aussagekraft haben Gefangenenraten (Forts.)?

    C Dennoch: Je höher die Gefangenenrate ausfällt,
      desto eher wird man von einer punitiv
      geprägten, also an Freiheitsstrafe orientierten
      Strafzumessungspraxis ausgehen können.

    C Niedrige Zahlen lassen auf eine eher moderate
      Kriminalpolitik schließen.

    C Gründe dafür können sein der vermehrte Gebrauch

    •   alternativer Sanktionsformen,
    •   bedingter Freiheitsstrafen,
    •   kurzer Freiheitsstrafen,
    •   vorzeitiger Entlassungen.
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
Gliederung
I.     Einleitung
II.    Gefangenenraten in Deutschland
III.   Gefangenenraten in Europa und der Welt
IV.    Erklärungsversuche für den unterschiedlichen Gebrauch
       von Freiheitsstrafen
V.     Möglichkeiten zur Vermeidung von Freiheitsstrafen
VI.    Kleines Fazit
Der Freiheitsentzug in Deutschland im internationalen Vergleich - Fachwoche Straffälligenhilfe
II. Gefangenenraten in Deutschland

                                         Entwicklung der Gefangenenpopulation               Quelle:
                                                     seit dem Jahr 2000
                                         (U-Haft, Freiheits- und Jugendstrafe sowie
                                                   Sicherungsverwahrung)
 Anzahl der Gefangenen in Tausend

                                    80

                                    70

                                    60

                                    50

                                    40

                                    30

                                    20

                                    10

                                     0
                     2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
    Gefange in Tsd. 70,252 70,977 79,452 76,629 72,259 69,385 65,889 61,872 62,865 63,643
II. Gefangenenraten in Deutschland
                                                         Entwicklung der Gefangenenrate
                                                                  seit dem Jahr 2000                                     Quelle:
                                                      (U-Haft, Freiheits- und Jugendstrafe sowie
                                                                Sicherungsverwahrung)
  Anzahl der Gefangenen pro 100.000 Einwohner

                                                100

                                                 90

                                                 80

                                                 70

                                                 60

                                                 50

                                                 40

                                                 30

                                                 20

                                                 10

                                                  0
                2000                                      2002   2004   2006   2008   2010   2012   2014   2016   2018
 Gefangenenrate 85                                         86     96     93     88     85     82     76     76     77
II. Gefangenenraten in Deutschland
       Belegung der Gefängnisse nach Art des Vollzugs
                                                                                                                           Quelle:
  ohne Strafarrest und Abschiebungshaft und Jugendstrafvollzug
jeweils zum 30. November eines Jahres (Ausnahme: August 2018)
100%   0,5%   0,4%   0,6%   0,7%    1,2%   0,3%    0,8%       0,8%    0,8%     0,9%   0,9%   0,8%   0,8%     0,9%   0,9%

 90%

 80%

 70%
       72%    72%    74%                                               74%      72%   72%    71%    73%      70%    70%
                            75%     75%    76%      76%       75%
 60%

 50%

 40%

 30%
       5%     5%                                                                      7%                     7%     7%
                     6%     6%                                         7%       7%            7%     7%
 20%                                6%      6%       6%       6%

 10%   23%    22%    20%    19%                                                 20%   20%    20%    20%      22%    22%
                                    18%    18%      17%       18%      19%

 0%
       2004   2005   2006   2007    2008   2009    2010       2011    2012     2013   2014   2015   2016     2017 Aug 18

                Untersuchungshaft     Ersatzfreiheitsstrafe        Freiheitsstrafe    Sicherungsverwahrung
II. Gefangenenraten in Deutschland
    Längerfristige quantitative Entwicklung der
                                                  Quelle:
     Strafgefangenen nach der Vollzugsdauer
II. Gefangenenraten in Deutschland
   Längerfristige quantitative Entwicklung der   Quelle:
       Strafgefangenen nach dem Alter
Grafik:
Dünkel et al.,
Bewährungshilfe
2/2016, S. 190
II. Gefangenenraten in Deutschland
                       C Es existieren große regionale
                         Unterschiede.

                       C Berlin weist mit einem Wert von 116
                         (Juni 2018: 106) die höchste
                         Gefangenenrate auf, gefolgt von NRW,
                         Sachsen, Bayern und Hamburg.

                       C Schleswig-Holstein und Brandenburg
                         (45 bzw. 57 Gefangene auf 100.000
                         Einwohner) haben dagegen die
                         geringsten Werte.

                       C Ein hoher Rückgang der
                         Gefangenenraten war zuletzt in Berlin
                         und Hamburg zu verzeichnen.

                         Grafik: Dünkel et al., Bewährungs-
                         hilfe 2/2016, S. 190
II. Gefangenenraten in Deutschland

Grafik: Dünkel, Strafverteidigervereinigungen, S. 78
Gliederung
I.     Einleitung
II.    Gefangenenraten in Deutschland
III.   Gefangenenraten in Europa und der Welt
IV.    Erklärungsversuche für den unterschiedlichen Gebrauch
       von Freiheitsstrafen
V.     Möglichkeiten zur Vermeidung von Freiheitsstrafen
VI.    Kleines Fazit
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

Weltweite Gefangenenraten (Stand 2016)
                                                   Auswahl an Ländern:

                                                   1.   Vereinigte Staaten (655)
                                                   2.   El Salvador (615)
                                                   3.   Turkmenistan (552)
                                                   5.   Thailand (512)

                                                   19. Russland (375)
                                                   30. Türkei (318)

                                                   133. China (118)
                                                   145. Frankreich (104)
                                                   169. Deutschland (77)
                                                   191. Schweden (59)
Datenquelle:
https://www.prisonstudies.org/highest-to-          219. Guinea (25)
lowest/prison_population_rate?field_region_taxon   220. Zentralafr. Republik (16)
omy_tid=All; abgerufen am 3.9.2019;                221. Färöer (12)
Grafik: Jannick88 - CC BY-SA 4.0,                  222. Guinea Bissau (10)
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid
=61711663
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

   Aktuelle Gefangenenraten in Europa

   Anzahl der Gefangenen
   auf 100.000 Einwohner

             > 300
             150-300
             100-150
             80-100
             < 80

Datenquelle:
https://www.prisonstudies.org/hig
hest-to-
lowest/prison_population_rate?fie
ld_region_taxonomy_tid=14;
abgerufen am 03.09.2019
Grafik:
eigene Darstellung
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

    Aktuelle Gefangenenraten in Europa

  C Sehr niedrige Gefangenenraten
    finden sich in Island (37), in
    Skandinavien (51-63), den
    Niederlanden (61), Slowenien (64),
    Bosnien (66), aber auch in
    Deutschland (77).

  C In der zweiten Gruppe folgen
    einige mittel- und westeuropäische
    Länder, z.B. die Schweiz (81),
    Belgien (88), Österreich (98).
                                         Anzahl der Gefangenen auf
                                         100.000 Einwohner
                                                      > 300
Datenquelle:                                          150-300
https://www.prisonstudies.org/hig                     100-150
hest-to-                                              80-100
lowest/prison_population_rate?fie                     < 80
ld_region_taxonomy_tid=14;
abgerufen am 03.09.2019
Grafik:
eigene Darstellung
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

  Aktuelle Gefangenenraten in Europa
C Zwischen 100 und 150 Gefangene
  sind in West- und Osteuropa z.B. in
  Frankreich (104), Rumänien (106),
  Spanien (126) und Portugal (127) und
  in südeuropäischen Ländern wie Italien
  und Griechenland (jeweils 100) zu
  verzeichnen.

C Mehr als 150 Gefangene haben alle
  baltischen Staaten und einige (süd)-
  osteuropäische Länder (Polen,
  Tschechien, Ukraine, Serbien).           Anzahl der Gefangenen auf
                                           100.000 Einwohner
                                                        > 300          Datenquelle:
C Die höchsten Gefangenenraten mit                      150-300        https://www.prisonstudies.org/hig
                                                        100-150        hest-to-
  weit über 300 Gefangenen weisen                       80-100         lowest/prison_population_rate?fie
  Weißrussland (318), die Türkei (343)                  < 80           ld_region_taxonomy_tid=14;
                                                                       abgerufen am 03.09.2019
  und Russland (375) auf.                                              Grafik:
                                                                       eigene Darstellung
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

                                                        • Rückgang der Gefange-
                                                          nenraten in zahlreichen
                                                          west-, aber auch osteu-
                                                          ropäischen Ländern
                                                        • In Westeuropa:
                                                          Niederlande, Spanien
                                                          und Schweden

 Grafik: Dünkel, Strafverteidigervereinigungen, S. 79
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

                                                        • Russland: Rückgang
                                                          von 730 (1999) auf
                                                          425 (2017) (- 42%)
                                                          Gründe: Rückgang
                                                          der Kriminalität,
                                                          Veränderungen der
                                                          Sanktionspolitik (u.a.
                                                          Entkriminalisierung
                                                          von Bagatelleigen-
                                                          tumsdelikten etc.)
                                                        • Deutliche Rückgänge
                                                          auch in den
                                                          baltischen Ländern
                                                          und der Ukraine
                                                        • Besonderheit:
                                                          Besonders niedrige
                                                          Gefangenenraten in
                                                          Kroatien und
                                                          Slowenien
 Grafik: Dünkel, Strafverteidigervereinigungen, S. 80
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt
Mittlere Inhaftierungsdauer im Jahr 2017

                                                                                                  Quelle:

     Quelle: http://wp.unil.ch/space/files/2019/06/FinalReportSPACEI2018_190611-1.pdf, S.108 f.
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt
Mittlere Inhaftierungsdauer im Jahr 2017
                                                                                                  Quelle:

     Quelle: http://wp.unil.ch/space/files/2019/06/FinalReportSPACEI2018_190611-1.pdf, S.108 f.
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt
Durchschnittliche Anzahl der Neuaufnahmen („flow of entries“) im Lauf des Jahres 2017

                                                                                                  Quelle:

     Quelle: http://wp.unil.ch/space/files/2019/06/FinalReportSPACEI2018_190611-1.pdf, S. 88 f.
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt
Durchschnittliche Inhaftierungsrate („flow of entries“) im Lauf des Jahres 2017

                                                                                                Quelle:

   Quelle: http://wp.unil.ch/space/files/2019/06/FinalReportSPACEI2018_190611-1.pdf, S. 88 f.

    C Dänemark und die Schweiz haben relativ geringe durchschnittliche
      Verbüßungsdauern, sperren dafür aber vergleichsweise viele Menschen für
      kurze Zeit ein („flow of entries“).
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

Grafik: Dünkel et al., Bewährungshilfe 2/2016, S. 185
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

                                              Quelle:
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

                                              Quelle:
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

                                                             Grafik:
                                                             Dünkel et al.,
                                                             Bewährungshilfe
                                                             2/2016, S. 187

C Deutschland weist mit 11,8% den geringsten Anteil an Gefangenen auf,
  die eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren zu verbüßen haben.
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

                                                                   Grafik:
                                                                   Dünkel et al.,
                                                                   Bewährungshilfe
                                                                   2/2016, S. 188

Deutschland hat im Gegensatz dazu die meisten (46%) „kurzstrafigen“ Gefangenen,
wovon etwa jeder Vierte eine Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten zu verbüßen hat.
III. Gefangenenraten in Europa und der Welt

                                                                    Grafik:
                                                                    Dünkel et al.,
                                                                    Bewährungshilfe
                                                                    2/2016, S. 189

Deutschland hat einen relativ hohen Anteil an „gewaltlosen“ Eigentums- und
Vermögensdelikten und damit ein großes Potential für alternative Sanktionsformen.
Gliederung
I.     Einleitung
II.    Gefangenenraten in Deutschland
III.   Gefangenenraten in Europa und der Welt
IV.    Erklärungsversuche für den          unterschiedlichen
       Gebrauch von Freiheitsstrafen
V.     Möglichkeiten zur Vermeidung von Freiheitsstrafen
VI.    Kleines Fazit
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen
    C Gefangenenraten können nicht allein auf das Kriminalitäts-aufkommen
      zurückgeführt werden.
    C Die Abnahme schwerer Kriminalität seit dem Jahr 2007 ist aber zu-
      mindest mitursächlich für rückläufige Gefangenenraten in Deutschland.

 Grafik: PKS-Kompakt 2018 Gewaltkriminalität, S. 7   https://www.fluter.de/sind-gefaengnisstrafen-sinnvoll
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen

  C Gefangenenraten können nicht mit einem bestimmten Faktor
    erklärt werden, sondern sind Ergebnis eines komplexen
    Bedingungsgefüges.

                                         Externe
                                         Faktoren

                    Gefangenen-            Intermediäre
                        rate               Faktoren

                                         Interne
                                         Faktoren
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen
 Externe Faktoren: Theorie von Garland (Wandel der sozialen Kontrolle)
         „Penal welfarism“                          Indikatoren für eine   Punitive
      (moderate, sozialliberale                       punitive Wende       Sanktionspolitik
        Strafrechtsschule)
  Ausgangspunkt bis Mitte der     Niedergang des•
  1970er Jahre:                   Resozialisierungsgedankens
                               • Wiederkehr der Vergeltung
                               • Veränderung des Tonfalls
  •    Täterorientierung       • Rückkehr des Opfers
  •    Resozialisierung        • Betonung des Schutzes der
  •    Behandlungsoptimismus Externe
                                  Allgemeinheit
                                      Faktoren
  •    Alternativen zur        • Politisierung und neuer
       Freiheitsstrafe            Populismus
                               • Neuerfindung des Gefängnisses
                               • Wandel des kriminologischen
                                  Denkens
                               • Expandierende
                                  Kriminalprävention
                               • Privatisierung der
                                  Verbrechenskontrolle
                               • Privatwirtschaftliche Einflüsse
                               • Ständiges Krisenempfinden,
                                  Vertrauensverlust in die
                                  Strafrechtspflege

      Vgl. Drenkhahn, BewHi 2/2019, S. 104 f.
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen
 Externe Faktoren: Theorie von Dignan/Cavadio (politikwissenschaftlicher Ansatz)

                                                 Typologie          Gefangenenraten im
                                            spätkapitalistischer        Jahr 2016
-Konsensorientiert                                Staaten
Mehrparteiensystem
 USA                                       Neoliberal              655
    Südafrika                                                      280
    England/Wales                                                  140
    Australien                                                     172
                                      Externe Faktoren
    Deutschland                        Konservativ-                75
    Frankreich                         korporatistisch             104
    Italien                                                        98
    Niederlande                                                    61

    Finnland                               Sozialdemokratisch      51
    Schweden                                                       59
    Japan                                  Orientalisch-           41
                                           korporatistisch

    Vgl. Drenkhahn, BewHi 2/2019, S. 105
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen
 Externe Faktoren: Theorie von Lacey/Lappi-Seppälä
 (politikwissenschaftlicher Ansatz)

       Westminster- oder                    Konsensmodell
       Konkurrenzmodell                     (z.B. Deutschland)
       (z.B. Großbritannien)
 -Konsensorientiert
   • Wettbewerbsorientiert                  • Konsensorientiert
 Mehrparteiensystem
   • Motto „the winner takes it all“
       • Zwei-Parteien-System          • Mehrparteiensystem
                            Externe Faktoren
       • Mehrheitswahlrecht            • Verhältniswahlrecht
       • Zentralistische               • Föderale Struktur
         Staatsorganisation

       • Vergleichsweise höhere             • Moderate Kriminalpolitik mit
         Gefangenenraten                      geringeren Ausschlägen

     Vgl. Drenkhahn, BewHi 2/2019, S. 106
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen

 Weitere externe Faktoren:                                            Intermediäre Faktoren:

 Ø Sozio-demographische Merkmale                                      Ø Massenmedien, öffentliche
                                                                        Meinung, Politikströmungen
 Ø Migration und Anteil ethnischer
                                           Interne Faktoren:
   Minderheiten, wobei Status und
   sozio-ökonomische Lage der
   Migranten ausschlaggebend sind          Ø Kriminalpolitik und Ausrichtung
   (der Anteil von Ausländern Externe
                              im              des Strafverfolgungssystems
                                       Faktoren
   deutschen Strafvollzug liegt bei rund
   32%).                                   Ø Einfluss der Kriminalpolitik:

 Ø Arbeitslosigkeit und relative Armut                                      Polizeiliche Strafverfolgung

                                                                            Staatsanwaltschaftliche
                                                                            Erledigungspraxis
Vgl. Dünkel at al., BewHi 2/2016, S. 182, 192 ff.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-                             Richterliche Strafzumessung
Rechtspflege/Publikationen/Downloads-Strafverfolgung-
Strafvollzug/strafvollzug-2100410187004.pdf?__blob=publicationFile S. 14
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen

  Kriminalpolitische Einflüsse auf Gefangenenraten:

   C Der Anstieg der Gefangenenrate in den 1990er Jahren in
     Deutschland kann hauptsächlich auf die Zunahme der
     Verurteiltenzahlen in den Bereichen Gewalt-, Sexual- und
     Drogendelikte und diesbezügliche Gesetzesverschärfungen
     zurückgeführt werden.

  C Ebenfalls führen die
                       ExterneEinführung
                                 Faktoren oder Erhöhung von
    Mindeststrafen und eine restriktive Drogenpolitik zu höheren
    Gefangenenraten, so z.B. in den USA.

   Vgl. Dünkel et al., Bewährungshilfe 2/2016, S. 182, 194 f.
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen

  Kriminalpolitische Einflüsse auf Gefangenenraten:

  C Der Ausbau alternativer Sanktionen (Ausweitung von Geld- und
    Bewährungsstrafen sowie gemeinnütziger Arbeit) kann kurze
    Freiheitsstrafen oder Freiheitsstrafen bei „gewaltlosen“ Delikten ersetzen
    (sog. frontdoor-Strategie).

  C Lange Freiheitstrafen lassen sich durch Abschaffung/Senkung von
    Mindeststrafen und vermehrte frühzeitige Entlassungen auf Bewährung
    vermeiden (backdoor-Strategien).

     Vgl. Dünkel et al., Bewährungshilfe 2/2016, S. 183 f., 194 ff.
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen

  Kriminalpolitische Einflüsse auf Gefangenenraten:

  C Der zwischenzeitlich in Deutschland eingetretene Rückgang der
    Gefangenenrate kann auch mit der vermehrten Strafaussetzung zur
    Bewährung bei Freiheitsstrafen zwischen 1-2 Jahren und der
    Ausweitung ambulanter Sanktionen erklärt werden.

     Vgl. Dünkel et al., Bewährungshilfe 2/2016, S. 195.
IV. Erklärungsversuche für den unterschiedlichen
     Gebrauch von Freiheitsstrafen

   Kriminalpolitische Einflüsse auf
   Gefangenenraten:

   C Auch der deutliche Rückgang der
     Gefangenenrate in Hamburg kann

          - auf den vermehrten Gebrauch der
            Einstellungsmöglichkeit nach § 153
            StPO,
          - den Rückgang von Urteilen mit
            unbedingter Freiheitsstrafe und
          - die seltenere Anordnung von U-Haft

   zurückgeführt werden.

Vgl. Villmow/Gericke/Savinsky, NK 1/2010, S. 14-18.
Gliederung
I.     Einleitung
II.    Gefangenenraten in Deutschland
III.   Gefangenenraten in Europa und der Welt
IV.    Erklärungsversuche für den unterschiedlichen Gebrauch
       von Freiheitsstrafen
V.     Möglichkeiten zur Vermeidung von Freiheitsstrafen
VI.    Kleines Fazit
V. Möglichkeiten zur Vermeidung von Freiheitsstrafen

 Ø Entkriminalisierung von Delikten im unteren Schwerebereich

 Ø Z. B.

   • bei sogenanntem „Schwarzfahren“
   • beim Gebrauch sogenannter „weicher Drogen“
   • beim Ladendiebstahl

 Ø Alternative Maßnahmen zur Haftvermeidung oder mindestens zur
                         Externe Faktoren
   Haftverkürzung bei Ersatzfreiheitsstrafen.

 Ø Alternative Formen der Sanktionierung anstatt kurzer
   Freiheitsstrafen.

 Ø Stärkere Fokussierung auf Resozialisierung
   durch Arbeit, Aus- und Fortbildungen, Sozialtherapie,
   Schulden- und Drogenberatung und offenen Vollzug

 Ø Verbesserung des Übergangsmanagements und der Nachbetreuung
Gliederung
I.     Einleitung
II.    Gefangenenraten in Deutschland
III.   Gefangenenraten in Europa und der Welt
IV.    Erklärungsversuche für den unterschiedlichen Gebrauch
       von Freiheitsstrafen
V.     Möglichkeiten zur Vermeidung von Freiheitsstrafen
VI.    Kleines Fazit
VI. Kleines Fazit

                             Kleines Fazit
    1.   Die Gefangenenraten sind in Deutschland seit Jahren rückläufig.
    2.   Die internationale Entwicklung der Gefangenenraten verläuft
         unterschiedlich, teils sind Anstiege, teils Rückgänge zu verzeichnen.
    3.   Die Gefangenenraten sind nicht monokausal erklärbar, sondern
         Ergebnis eines komplexen Bedingungsgefüges und werden durch
         verschiedenste Faktoren beeinflusst.
    4.   In Deutschland besteht trotz und wegen der vergleichsweise geringen
         Inhaftierungsdauer immer noch weiteres „Einsparpotential“.
    5.   Kurze Freiheitsstrafen können durch front- und backdoor-Strategien
         vermieden werden. Ferner können weitere alternative Sanktionsformen
         und die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten diskutiert werden.
    6.   Zusammenfassend kann in Deutschland nicht von einer „neuen
         Straflust“ der Justiz gesprochen werden.
VI. Kleines Fazit

                            Wichtige Quellen

•      Drenkhahn, Strafkultur, Punitivität und Kriminalpolitik, Bewährungshilfe
       2/2019, S. 101-112
•      Dünkel, Freiheitsstrafe – für wen? in: Strafverteidigervereinigungen,
       Organisationsbüro (Hrsg.), Räume der Unfreiheit, Berlin 2018, S. 77-122
•      Dünkel/Geng/Harrendorf, Gefangenenraten im internationalen und nationalen
       Vergleich, Bewährungshilfe 2/2016, S. 178-200

    Und im Februar 2020 erscheint:
Kontaktdaten

Prof. Dr. Jörg Kinzig, Sand 7,
       72076 Tübingen
kinzig@jura.uni-tuebingen.de
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