Des Hamsters Dilemma - Organzentren als Mittel gegen Zentralisierung

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KOMMENTAR

Des Hamsters Dilemma – Organzentren
als Mittel gegen Zentralisierung
Kommentar zum Beitrag „Was ist und wem nützt ein                                    tes nur im Entfernten etwas zu tun
Genitalzentrum?“ von Prof. Dr. A.T. Teichmann                                       haben. Es geht hier um „QM“, also
(FRAUENARZT 11/2007, S. 1048–1049)                                                  Qualitätsmanagement, einen Begriff
                                                                                    aus der Industrie, der nicht neu ist.
Serban-Dan Costa                                                                    Neu ist aber der Glaube, von der Po-
                                                                                    litik maßgeblich geprägt, dass ein
Herr Professor Teichmann regt in seinem Leserbrief eine längst                      System, das sich an Fließbändern und
überfällige Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer aktuellen                      in Fabriken bewährt hat, auf Kliniken
Entwicklung an, die uns mittlerweile überrollt. In seinem Bei-                      und Patientenbetreuung fast 1:1
trag über „Genitalzentren“ geht er auf die um sich greifende                        übertragbar ist.
Tendenz ein, aus unseren Krankenhäusern etwas anderes, Neues
und nach Ansicht mancher Beteiligter Besseres zu zeugen –                           Gibt es denn keinen Unterschied zwi-
nämlich Zentren. Er bezieht sich vor allem auf die semantische                      schen einem Unternehmen, das Brems-
Dimension der Zentrenbildung und geht auf andere, mindes-                           beläge oder Glühlampen produziert,
tens genauso wichtige, zoologische Aspekte dieser Entwicklung                       und einem Krankenhaus? Kann man
nicht ein. Ergänzend ist auch darüber zu diskutieren, ob durch                      die einzig richtige Betreuung eines Pa-
Zentrenbildung eine möglicherweise sinnvolle Zentralisierung                        tienten, nämlich die individualisierte
geschickt umgangen wird.                                                            Betreuung, genauso messen, wie man
                                                                                    die Herstellung einer Lampe misst?
Der Gedanke, Zentren zu bilden, ent-      glieder von zwei Vereinen, nämlich
stand vor einigen Jahren, und Frau-       der Deutschen Krebsgesellschaft und       Der entscheidende Unterschied zwi-
enärzte waren die ersten, die sich da-    der Deutschen Gesellschaft für Seno-      schen der Industrie und uns ist, dass
ran machten ihn umzusetzen, indem         logie, hatten sodann eine gute Ge-        wir nicht immer in gleicher Art und
sie begannen, Brustzentren zu grün-       schäftsidee und gründeten eine Zer-       Weise das gleiche Produkt herstellen,
den. Der Vater des Gedankens war die      tifizierungsfirma namens OnkoZert.        wie in der Industrie. Vielmehr ist je-
Vorstellung, dass Mindestzahlen ei-       Einige Kollegen wurden ausgebildet        de Untersuchung und jeder Eingriff
nerseits geeignet seien, die Qualität     und fingen damit an, nach einem ei-       anders, weil die Patienten und ihre
der Diagnostik und Behandlung beim        genen System zu prüfen und zu zer-        Erkrankungen anders sind. Wir pro-
Mammakarzinom zu verbessern, aber         tifizieren. Die Kliniken bezahlten viel   duzieren nicht Medizin und wir ha-
andererseits als Hebel genutzt wer-       Geld und merkten, dass man mit dem        ben auch keine Kunden – für unsere
den könnten, um möglichst viele Pa-       „Zertifikat“ werben kann. Erst später     Patienten zählen das Gespräch, die
tientinnen in wenigen Kliniken zu         wurde deutlich, dass „nach der Zerti-     Empathie, das Verständnis, aber auch
behandeln. Das Unwort „Zentralisie-       fizierung vor der Zertifizierung ist“     technisches Geschick, Wissen, Intel-
rung“, an Zentralkomitees erinnernd,      (mod. nach F. Beckenbauer) – denn         ligenz und Improvisationsfähigkeit
wurde durch „Zentrum“ ersetzt, aber       die Besuche der Zertifizierer und da-     des Arztes. Also das, was wir mit Ein-
vieles deutet darauf hin, dass die bei-   mit die Kontrollen und deren Bezah-       fühlungsvermögen und Erfahrung
den Wörter primär synonym gemeint         lung wiederholen sich Jahr für Jahr.      umschreiben. Das hat mitnichten mit
waren.                                                                              den Begriffen der „New Economy“
                                          Nicht nur vor der ersten Zertifizie-      wie „Struktur-, Prozess- oder Ergeb-
Nach den ersten Gerüchten entstand        rung, sondern auch später sind meh-       nisqualität“ oder gar „Controlling“,
Panik, so wie Panik immer entsteht:       rere Mitarbeiter über Wochen und          „Evaluating“ und „Monitoring“ zu
Einer sagte, dass die Kassen künftig      Monate damit beschäftigt, Abläufe         tun. Umgekehrt, wie würden die
nur noch bezahlen, wenn die Patien-       aufzuschreiben, an zahlreichen, vor-      Glühlampen oder Bremsbeläge ausse-
tinnen in einem Zentrum behandelt         geschriebenen Sitzungen teilzuneh-        hen, wenn man sie „individualisiert“
werden, die Verwaltungen sahen die        men, alles zu protokollieren und zu       herstellen würde?!
DRGs davonschwimmen, die Kassen           aktualisieren – also mit Verwaltungs-
fingen an zu drohen, und plötzlich        bzw. Dokumentationsaufgaben, die          Für derartige Gedanken über die Phi-
entstanden die ersten Zentren. Mit-       mit der eigentlichen Arbeit eines Arz-    losophie des ärztlichen Handelns ha-

                                                                                                FRAUENARZT  49 (2008)  Nr. 2   107
LESERBRIEF
             ben wir aber mittlerweile keine Zeit     und ... ließ sich ebenfalls zertifizie-   und Frauenarztes war, nämlich die
             mehr – denn ein Großteil unserer Tä-     ren.                                      Patientin zu beraten und ihr zu sa-
             tigkeit ist Dokumentation und wir                                                  gen, was und wo sie noch Hilfe be-
             lassen uns vom Management treiben.       Aus der ursprünglichen Absicht,           kommt, wird nun von anderen, Nicht-
             Wie eine Herde. Wenn man allein die      Mammakarzinome nur in einigen we-         Medizinern, übernommen. Die Kassen
             über 200 zertifizierten Brustzentren     nigen Zentren zu behandeln, wurde         und die Politik unterstützen diese
             betrachtet, dann ist es wohl erlaubt     nichts – die anderen Ärzte zeigten        Entwicklung, ganz einfach, weil die
             zu sagen – wie Lemminge!                 den ersten den Vogel!                     Telefonistinnen (zur Zeit noch) billi-
                                                                                                ger als die Ärzte sind.
             Um die „tierische Dimension“ weiter      Selbstverständlich wird keine Patien-
             zu verdeutlichen, erinnert der im-       tin anders, woanders, von jemand an-      Die Etablierung der „Psychoonkolo-
             mense Aufwand, den wir mit der me-       derem operiert und behandelt als frü-     gen“ in Brustzentren gilt ebenfalls
             dizinfremden Etablierung der Ma-         her. Es ist anstrengender und frus-       als Conditio sine qua non für die Zer-
             nagementstrukturen zusätzlich zu         trierender geworden, weil wir zusätz-     tifizierung. Man sollte aber beden-
             unserer medizinischen Kernaufgabe        lich zu unserer ärztlichen Tätigkeit      ken, dass die überwiegende Mehrheit
             betreiben, an ein Hamsterrad. Unser      noch Management-Aufgaben zu er-           unserer Patientinnen nicht psychisch
             Hamster-Dilemma ist, ob wir dem          füllen haben.                             krank ist und dementsprechend kei-
             Rad entkommen, indem wir schneller                                                 nen Psychologen oder gar Psychiater
             treten (also die Managementstruktu-      Ein verheerender, aber seit Jahrzehn-     brauchen – sie brauchen einen ein-
             ren optimieren) oder indem wir das       ten tolerierter Missstand wurde ur-       fühlsamen Menschen, Arzt oder Kran-
             Rad selbst in Frage stellen (keine       plötzlich zu einem Vorteil für alle: Es   kenschwester, der zuhören kann und
             oder nur Teile oder andere, medizin-     gab primär keine Zahlen. Niemand          Ratschläge erteilt, die vor allem auf
             gerechtere Managementstrukturen          in Deutschland wusste, wie hoch die       dem Wissen über die Grunderkran-
             etablieren).                             Inzidenz und wie die Verläufe beim        kung beruhen. Wenn jemand Angst
                                                      Mammakarzinom sind, unter anderem         vor den Therapiefolgen oder dem na-
             Als den meisten klar wurde, „wohin       weil wir kein einheitliches Krebsre-      henden Tode hat, braucht er keine
             die Reise geht“ und dass einige We-      gister haben. Wie soll man wissen,        Diskussion über seine Kindheit oder
             nige versuchen, alles an sich zu rei-    dass sich etwas verbessert, wenn          über Ödipus – er braucht jemanden,
             ßen, reagierten „die anderen“. Ob-       man keinen Vergleich mit „früher“         der ihn begleitet, zuhört und weiß,
             wohl anfangs die Kriterien für die       anstellen kann? Es beruhigt mich kei-     wie es weitergeht.
             Zertifizierung der Brustzentren ge-      nesfalls, dass wir immer noch keine
             heim waren, ist es immer mehr Kol-       genauen Zahlen über die Inzidenz          Psychoonkologen und Case Manager
             legen gelungen, diese herauszufin-       des Mammakarzinoms haben, auch            sind geradezu lebende Beweise dafür,
             den.                                     nach einigen Jahren „Brustzentren“.       dass wir in den so genannten Brust-
                                                                                                zentren weniger Zeit für unsere Pa-
             Nachdem man die Kriterien in Erfah-      Wenn man all das betrachtet, ist          tientinnen haben. Wir delegieren
             rung gebracht hatte, war es nicht        doch die These erlaubt, dass wir heu-     wichtigste Tätigkeiten unseres Berufs
             schwierig, sie zu erfüllen – wie bei     te weniger Zeit für unsere Patientin-     an andere, weil wir uns mit Dingen
             einer Prüfung, bei der die Fragen vor-   nen haben – denn schließlich haben        beschäftigen müssen, die nichts mit
             her bekannt sind. Ärzte in Praxen und    wir früher Patientinnen betreut, oh-      dem Arztsein zu tun haben.
             in Kliniken aller Versorgungsstufen      ne Management-Handbücher auszu-
             bildeten so genannte Netzwerke,          füllen und ohne den immensen zeit-        Den Ärger des Kollegen Teichmann
             etablierten TÜV-fähige Management-       lichen Aufwand für die Vorbereitung       verstehe ich gut. „Darmzentren“ sind
             strukturen, gründeten Zentren und        der Re-Zertifizierung oder Re-Audits.     Realität, „Kontinenzzentren“ im
             ließen sich zertifizieren. Wenn eine     Weiter gedacht: Wenn wir weniger          Kommen, die Schilderhersteller kom-
             Klinik die Mindestzahlen nicht erfüll-   Zeit für Patientinnen haben, kann         men mit der Arbeit kaum nach. Wenn
             te, gab es einen Klinikverbund, wo-      dann unsere Behandlung wirklich           wir schon über 200 Brustzentren im
             bei der Abstand zwischen den Klini-      besser geworden sein?                     Lande haben, prophezeie ich, dass
             ken bis zu 100 km und mehr betra-                                                  wir bald etwa genauso viele Genital-
             gen darf. Wenn ein Belegarzt allein      Für diese These sprechen auch wei-        zentren haben werden. Solange es sie
             keine 50 Mammakarzinome im Jahr          tere Entwicklungen. An manchen Or-        noch nicht gibt, hätten wir die Gele-
             operierte, ging er in ein Kranken-       ten gibt es „Case Manager“ – d.h.         genheit, ihre Entstehung zu beein-
             haus, in dem jährlich mehr Mamma-        Laien in Callcenter-ähnlichen Insti-      flussen – sofern wir das auch wollen.
             karzinome operiert werden, schloss       tutionen, die sich als Lotsen für Pa-
             mit der Klinik, die sich über die zu-    tientinnen betätigen. Das, was ur-        Es gibt meines Erachtens keinen
             sätzlichen DRGs freute, Verträge ab      sprünglich die Uraufgabe eines Haus-      Zweifel, dass die Behandlung der Ge-

108          FRAUENARZT  49 (2008)  Nr. 2
LESERBRIEF
                                                                                            nicht der Realität. Man zeige mir bit-
 Primäre Vulvakarzinome in Sachsen-Anhalt in den Jahren
                                                                                            te die Klinik aus der Tabelle 1, in der
 2000–2006
                                                                                            man als Oberarzt die Möglichkeit hat,
 Klinik*             2000      2001      2002       2003      2004      2005      2006      Erfahrung auf dem Gebiet des Vulva-
                                                                                            karzinoms zu sammeln! Man beden-
  2                1
 38                                                                                  1      ke dabei auch, dass in den „großen
 39                                                    1         2                          Zentren“ (also in denen jährlich 4–5
 40                                                    1                                    Vulvakarzinome operiert werden)
 42                2                        5          2         1         1                noch einige andere Oberärzte arbei-
 43                                                    1         2         1                ten, die auch gerne mal operieren
 44                1              2         1          1                             2      wollen...
 45                               1         3          3         1                   1
 46                                         1                    1         3         1      Zurzeit sind wenige Ärzte und Kran-
 47                3              1         2          2                                    kenhäuser in Deutschland bereit, oh-
 49                1              1                    2                                    ne Zwang Patientinnen mit malignen
 50                                                    1                   1
                                                                                            Erkrankungen einem Zentrum zu
 52                3                        1                    2                   1
 54                1                        2          1         2                          überlassen. Auf die Einnahmen für
 55                               2                    2                   1         3      diese DRGs zu verzichten, würde gro-
 57                               3         2          3         4         5         2      ße finanzielle Verluste verursachen.
 58                                         3          2         2         4                Genauso wenig ist zu erwarten, dass
 59                1                                             1                   3      Kliniken der Maximalversorgung auf
 62                2              1                    2                   2                Eingriffe verzichten, die in jeder Pra-
 65                2              1                                                         xis und in jedem Krankenhaus der Re-
 67                1                                   1         1         4         2      gelversorgung genauso durchgeführt
 68                1              1                                        2                werden könnten. Auch den Maximal-
 69                3              2         6          3         3         3         3      versorgern geht es um „Fallzahlen“.
 70                               2                    1         2         1         1
 72                3              4         3          3         3         2         2
 73                2                        3          2         2         1         4      Unter dem Druck von Kassen, Politik
 74                4              8         5          3         5         2         3      und eigenen Verwaltungen wird die
 75                2                                   5         3         2         4      jetzige Entwicklung fortschreiten. Sie
 76                                                              2                   2      sollte von uns kritisch analysiert wer-
 77                2                                   1         1                          den, weil sie sowohl Vor- als auch
 97                                         1                                               Nachteile hat.
 Klinik unbekannt 2               8         4          1                   5         2
 Klinik außerhalb                                                                           Ein Teil der Maßnahmen, die bei der
 Sachsen-Anhalts                                                 2                          Gründung von Zentren gefordert wer-
 ohne OP           4              5         7          7        12         8        5       den, ist sinnvoll – so beispielsweise
 gesamt           41             42        49         51        54        48       43
                                                                                            die interdisziplinäre Tumorkonferenz,
 * anonymisierte Darstellung der Kliniken. Dabei werden als „Klinik“                        das Benchmarking, die fortlaufende
   auch Abteilungen (z.B. Chirurgie oder Gynäkologie) getrennt aufgeführt.                  und prospektive Analyse der Zahlen,
                                                                                            der Komplikationen sowie die zeitna-
Tab. 1: In den Jahren 2000–2006 wurden insgesamt 328 Patientinnen wegen eines primären
                                                                                            he Einleitung von Verbesserungen,
Vulvakarzinoms in Sachsen-Anhalt behandelt. (Daten aus den drei klinischen Krebsregistern   die auf diesen (vorgeschriebenen)
Sachsen-Anhalts, geschätzte Melderate >85%).                                                Analysen beruhen. Andere wie der
                                                                                            immense Verwaltungs- und Doku-
nitalmalignome – hier in erster Linie           haus vorzuhaltende Infrastruktur be-        mentationsaufwand oder die paralle-
die Operation und die Nachbehand-               einflusst, sicher viel mehr als beim        le, stumpfsinnige Dokumentation für
lung – durch eine Zentralisierung ver-          Mammakarzinom. Durch die weitge-            Qualitätssicherung, DMP, Zertifizie-
bessert werden könnte. Wohlbemerkt              hende Streuung dieser Patientinnen          rung etc. sind zeitraubend, kostspie-
Zentralisierung und nicht Zentren-              ist es nicht nur beim Vulvakarzinom         lig und verschlechtern die medizini-
bildung. Die Prognose und damit der             (s. Tab. 1) praktisch nicht mehr mög-       sche Versorgung unserer Patientin-
Krankheitsverlauf werden beim Ova-              lich, Experten auszubilden. Das oft         nen.
rial-, Zervix-, Endometrium- und Vul-           verwendete Argument: „Während
vakarzinom maßgeblich durch opera-              meiner Ausbildung im Zentrum X ha-          Auf der einen Seite gibt es Erkran-
tive Expertise, Interdisziplinarität            be ich Hunderte solcher Patientinnen        kungen, die man besser in Zentren
und eine aufwändige, im Kranken-                operiert, ich kann das“, entspricht         behandeln kann und sollte – dazu ge-

                                                                                                        FRAUENARZT  49 (2008)  Nr. 2   109
LESERBRIEF
             hören fast alle Genitalmalignome           das Nachdenken und die Analyse auf-       kann auch nicht durch eine – wie
             (mit Ausnahme, vielleicht, des frü-        hören. Die Zentrenbildung darf nicht      auch immer geartete – Zertifizierung
             hen Endometriumkarzinoms). Auf der         als gedanklich abgeschlossener Pro-       hervorgebracht werden.
             anderen Seite gibt es auch Patientin-      zess hingenommen werden, sie ist
             nen, denen man eine Fahrt ins Zen-         ein dynamischer Vorgang, der stän-        Man mag mich als unverbesserlichen
             trum nicht zumuten kann bzw. die           dig verbessert werden kann und soll.      Idealisten bezeichnen, aber ich zie-
             das nicht wollen, was man respektie-       Für mich persönlich, aber nach mei-       he die Kollegialität nach wie vor dem
             ren muss. Außerdem gibt es noch die        ner Kenntnis auch für die meisten         Wettbewerb zwischen Ärzten und
             freie Arztwahl für jeden Patienten,        Kollegen steht fest, dass Bürokratie      Krankenhäusern vor und glaube im-
             die nach wie vor gesetzlich verankert      und mithin Aufwand und Kosten             mer noch daran, dass wir Ärzte das
             ist (§ 611 I BGB).                         dringend reduziert werden müssen.         System gestalten sollen und können
                                                        Es müssen auch nicht überall in der       und nicht der TÜV, die Kassen oder
             Echte Zentren können nicht entste-         Republik, in jeder noch so kleinen        die Politik. Mit diesen anderen „Mit-
             hen, wenn jeder einzelne Arzt und je-      Ecke, Patientinnen nur noch „zertifi-     spielern“ sollten wir erst reden, wenn
             de Verwaltung meinen, dass man in          ziert“ behandelt werden – gute            wir wissen, wie es aussehen soll, wir
             der eigenen Klinik alles machen kann       Medizin ist nicht an ein Zertifikat al-   also Vorschläge ausgearbeitet haben,
             und soll. Die gegenwärtige Zentren-        lein gebunden. Wenn es uns gelingt,       die in erster Linie das Beste für un-
             bildung bedeutet einen sehr hohen          Transparenz zu schaffen und Benchmar-     sere Patientinnen in den Mittelpunkt
             bürokratischen Aufwand und scheint         king-Systeme durchzusetzen, brau-         rücken.
             den Status quo festzuschreiben. Das        chen wir nicht mehr, sondern eher
             Interessante dabei ist, dass sich          weniger Qualitätsmanagement.
             durch die vielen Zentren de facto
             nichts ändert, alles so bleibt, wie es     Im Fall der gynäkologischen Onkolo-
             war, nur unter einem neuen Namen.          gie und hier bezogen auf die großen        Autor
             Wir bezahlen viel Geld und verbrin-        Operationen bei gynäkologischen Ma-
             gen viel Zeit, damit ... sich nichts än-   lignomen plädiere ich für eine Zentra-
             dert!                                      lisierung, weil ansonsten weder Ex-        Prof. Dr. Dr. Serban-Dan Costa
                                                        pertise entwickelt noch die Kosten für     Direktor der Universitäts-
             Durch die Bildung und Zertifizierung       die unbedingt notwendige Infrastruk-       Frauenklinik
             von Brustzentren haben wir einiges         tur in verantwortbaren Grenzen ge-         Otto-von-Guericke-Universität
             gelernt. Die Existenz der Brustzen-        halten werden können. Zentralisie-         Gerhart-Hauptmann-Str. 35
             tren darf aber nicht bedeuten, dass        rung ist nicht mit der Bildung von Or-     39108 Magdeburg
             damit die Entwicklung und vor allem        ganzentren gleichzusetzen, und sie

               Kommentar                                von Prof. Dr. Alexander T. Teichmann, Aschaffenburg

             Die in den letzten Monaten nicht nur       Herrn Kollegen Costa deutlich geäu-       die Themen Zentrumsbildung, Zerti-
             in gut informierten Zirkeln der be-        ßerten Besorgnis hinwegtäuschen –         fizierung und – eng damit in Zusam-
             rufspolitischen Elite verstärkt ge-        ist nicht etwa Resultat exogener          menhang stehend – die begrifflich
             führten Diskussionen um die konkre-        struktureller Zwänge und Vorgaben         manchem nostalgisch erscheinende
             te Zukunft der klinischen und ambu-        der Politik im weitesten Sinne, viel-     Entfremdung ärztlicher Arbeit durch
             lanten Versorgung unseres Faches           mehr sind es die Betroffenen selbst,      Bürokratisierung. Nicht uncharmant
             und damit untrennbar verbunden             die nicht allein in vorauseilendem        mag die Vorstellung wirken, die in-
             auch der qualifizierten Weiterbildung      Gehorsam, sondern zumeist in unmit-       flationäre Entwicklung von Zentren
             unseres Nachwuchses hat deutlich           telbarer Sorge, aus dem um sich grei-     und zertifizierten Prozeduren soweit
             gemacht, dass die Geschwindigkeit          fenden Konkurrenzkampf nicht als          eskalieren zu lassen, dass, wie in
             insbesondere fremdbestimmter Ver-          Sieger hervorzugehen, Strategien          manchen Regionen dichter Besiede-
             änderungen dramatisch zugenommen           entwickeln, an deren Ende es kaum         lung mit Brustzentren bereits heute
             und wachsende Unsicherheit nicht           wirkliche Sieger geben wird.              erlebt, die nukleare Kettenreaktion
             nur mit Blick auf die ferne Zukunft                                                  der Qualitätsinitiativen nicht nur Un-
             geschaffen hat. Ein nicht geringer         Unter den zahlreichen Prozessen, die      summen Geld und Arbeit, sondern
             Teil – und hier darf die Leichtigkeit      hier kritisch zu reflektieren sind und    auch sich selbst verbraucht hat, ein
             des Stils nicht über die Tiefe der von     einer neuen Ordnung bedürften, sind       in sich zusammengesunkenes Häuf-

110          FRAUENARZT  49 (2008)  Nr. 2
LESERBRIEF
lein zu Asche gewordener inhaltslo-     aller sie tragenden Institutionen ist,   gen um mutuelle Bestätigung medio-
ser Formalismen zurücklassend.          sondern vielmehr der aus dem tiefe-      krer Exzellenz fast nicht mehr wahr-
                                        ren Verständnis des Arzt- und nicht      zunehmen ist.
Wenn der nächste Kongress der           etwa Medizinerberufes resultierende
Deutschen Gesellschaft für Gynäko-      Auftrag. Es mutet bizarr an, wenn
logie und Geburtshilfe unter dem        auf der einen Seite Organisationspa-
Aufruf stehen soll, „Durch Gemein-      radigmata aus der Fließbandferti-
sames Gestalten zu Gewinnen“, so        gung zum Leitgedanken der Struktu-
sollte man den derzeitigen Präsiden-    rierung ärztlichen Tuns definiert wer-
ten in der Wahl dieser Begriffe         den, zum anderen diejenigen 40 Pro-       Autor
durchaus ernst nehmen und darin ei-     zent der Tätigkeit weiterzubildender
ne Absicht sehen, den Gestaltungs-      Ärzte, die ausschließlich der ökono-      Prof. Dr.
prozess nicht zu einer Polypragma-      mischen Abbildung ihres Tuns dient,       Alexander T. Teichmann
sie planloser Profilierungskampa-       sich in keinem Logbuch und keiner         Frauenklinik im Klinikum
gnen verkommen zu lassen, sondern       Weiterbildungsordnung wiederfin-          Aschaffenburg
den Blick auf die wesentlichen Auf-     den. Klug wäre es und hohe Zeit,          Am Hasenkopf 1
gaben der Gestaltung von Gynäkolo-      wieder auf Inhalte und die Frage der      63793 Aschaffenburg
gie und Geburtshilfe zu lenken, de-     Sinnhaftigkeit unseres Tuns zu fo-        alexander.teichmann@
ren Zweck nicht sie selbst und auch     kussieren, deren drohende Dürftig-        klinikum-aschaffenburg.de
nicht die wirtschaftliche Prosperität   keit im hektischen Treiben und Rin-
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