DGAPanalyse Frankreich - Aller Anfang ist schwer: Frankreich auf der Suche nach einer neuen Afrika-Politik

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DGAPanalyse
                                                Frankreich
Forschungsinstitut der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik

Dezember 2007 N° 5
ISSN 1865-701X

                  Aller Anfang ist schwer:
           Frankreich auf der Suche nach
                 einer neuen Afrika-Politik
                                                  von Andreas Mehler
Die DGAPanalysen Frankreich erscheinen
mit freundlicher Unterstützung der

Redaktion:
Dr. Martin Koopmann und Ulla Brunkhorst

Herausgeber:
Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. | Rauchstraße 17/18 | 10787 Berlin
Tel.: +49 (0)30 25 42 31-0 | Fax: +49 (0)30 25 42 31-16 | info@dgap.org | www.dgap.org | www.weltpolitik.net
© 2007 DGAP
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05

              Zusammenfassung / Summary

              Andreas Mehler

              Aller Anfang ist schwer:
              Frankreich auf der Suche nach einer neuen Afrika-Politik
              Die Afrika-Politik nimmt in Frankreich aufgrund der französischen Kolonialver-
              gangenheit seit jeher einen besonderen Stellenwert ein. Sie gilt als stark an den
              Interessen bestimmter Lobbys orientiert, europäisch nicht vernetzt, in hohem
              Maße militarisiert und politisch rückwärtsgewandt. Nicolas Sarkozy gab schon im
              Vorfeld seiner Wahl 2007 zu verstehen, dass er die sehr spezifischen Beziehungen
              zum afrikanischen Kontinent »normalisieren« möchte. Aber die Signale des neuen
              Präsidenten bleiben widersprüchlich. So wandte sich Sarkozy zwar offen gegen
              die »Netzwerke aus einer anderen Zeit«, gleichzeitig unterhält er aber beste Bezie-
              hungen zu einem Teil der großen Drahtzieher im Afrika-Geschäft.
              In den anderen EU-Mitgliedstaaten stößt das französische Engagement in Afrika
              weiterhin auf Misstrauen. Es hat sich in den letzten Jahren der Eindruck verfestigt,
              dass Frankreich in Afrika die europäische Karte nur dann zieht, wenn es glaubt,
              den Prozess kontrollieren zu können, oder wenn es die Möglichkeit eines »Burden-
              Sharing« kostspieliger Engagements sieht. Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Lissabon
              am 8./9. Dezember 2007 wird erneut eine gemeinsame Afrika-Strategie diskutiert.
              Es ist durchaus vorstellbar, dass sich Paris im Bereich der Entwicklungszusammen-
              arbeit gemeinsamen Vorgaben unterwirft. In den meisten anderen Politikfeldern ist
              dies aber kaum zu erwarten.

              All beginnings are difficult:
              France in search of a new Africa policy
              Due to its colonial past, Africa policy has always been a key priority in France. For
              a long time, it has been deemed to be subordinated to interests of certain pres-
              sure groups, to be disconnected from the European context, largely militarized
              and politically backward. In the run-up to the elections, Nicolas Sarkozy already
              expressed his intention to “normalize” the very specific relations with the African
              continent. However, his signals and statements have remained contradictory to a
              great extent. Officially, Sarkozy has argued against the “networks of former times”,
              but at the same time maintains close ties with some of the key actors in the Africa
              business.
              French commitment in Africa still provokes skepticism and mistrust among other
              EU member states. In recent years, it seemed that France opted for the European
              way in African affairs only when it could be sure to control the process, or when
              it anticipated the benefits of burden sharing regarding costly commitments. At the
              EU-Africa Summit in Lisbon on 8–9 December 2007, a common Africa strategy
              will again be on the agenda. It is quite conceivable that Paris will accept common
              guidelines in the area of development cooperation. In most other policy fields, this
              is unlikely to occur.

                                                                                                      
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Inhalt

Ein kurzer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  5

Das koloniale Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  7

Zuwanderung und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Die Macht der Generäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  8

Französische Alleingänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9

Aufgeklärte Wirtschaftsinteressen oder Machenschaften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10

EU-Afrika-Strategie, EU-Afrika-Gipfel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11

Welche Szenarien sind vorstellbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11
       Szenario 1: »Kontinuität durch Wandel«  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11

       Szenario 2: Struktureller Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12

Perspektiven für die deutsche Afrika-Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Anmerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13

                                                                                                                                                                           
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Aller Anfang ist schwer: Frankreich auf der
Suche nach einer neuen Afrika-Politik
Andreas Mehler
Französische Afrika-Politik stand stets mehr im         zösischer Afrika-Politik. Frankreich unterhält mit
Fokus der Aufmerksamkeit als die Politik, die           zwanzig afrikanischen Staaten südlich der Sahara
andere europäische Staaten gegenüber dem Nach-          militärische Kooperationsverträge, die in acht Fäl-
barkontinent verfolgten. Nicolas Sarkozy gab schon      len Geheimklauseln enthalten.3 Ein Netz von Mili-
im Vorfeld seiner Wahl 2007 zum Präsidenten             tärbasen sorgte für die schnelle Einsetzbarkeit in
zu verstehen, dass er die sehr spezifischen Bezie-      allen Subregionen des Kontinents. Allerdings wurde
hungen zu »normalisieren« gedenke.1 Aber seine          die Zahl der stationierten Truppen von einst 60 000
Signale bleiben widersprüchlich.                        beständig reduziert, zu Jahresbeginn 2007 waren ca.
                                                        10 000 Mann in Afrika im Einsatz.4 Trotz einiger
                                                        Reformversuche in den 1990er Jahren änderte
Ein kurzer Rückblick                                    sich an diesem Bild wenig. Lediglich der erklärte
                                                        Wille zur Europäisierung der eigenen Afrika-Poli-
Die französische Afrika-Politik ist in einer Fin-       tik wurde häufig wiederholt und in Ansätzen auch
dungsphase. Während der Amtszeit Jacques Chiracs        verwirklicht.
gab es noch ein deutliches Profil, das in Frankreich,
in Afrika, aber auch in EU-Mitgliedstaaten stark        Über die Einrichtung der beiden west- und zen-
kritisiert wurde. Es galt als                           tralafrikanischen CFA-Franc-Währungszonen5
                                                        behielt Frankreich überdies einen hohen Einfluss
•   stark an Interessen bestimmter Lobbys orientiert,   in der Währungs- und Finanzpolitik seiner ehema-
•   europäisch nicht vernetzt,                          ligen Kolonien. 1994 erfolgte die fünfzigprozentige
•   übermächtig in Währungsfragen,                      Abwertung des an den französischen Franc gekop-
•   in hohem Maße militarisiert und                     pelten CFA-Franc, was auf afrikanischer Seite zu
•   politisch rückwärtsgewandt.                         heftigem Protest führte, Importe verteuerte und
                                                        damit die Mittelschichten hart traf. Das Ziel der
Erinnert sei an ambivalente bis herabwürdigende         Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
Stellungnahmen französischer Spitzenvertreter,          der betroffenen Volkswirtschaften wurde nur sehr
insbesondere vom Präsidenten Chirac, zur afri-          begrenzt erreicht. Frankreich gelang es aber, die
kanischen Demokratiebewegung. Letztlich stand           feste Bindung des CFA-Franc an den Euro zu ver-
Frankreichs Afrika-Politik über Jahrzehnte in           anlassen, als die eigene nationale Währung entfiel.6
der Kontinuität ihrer Begründung unter Charles
de Gaulle, der sich deutlich für einen weltweiten       Auf diplomatischem Parkett feierte sich Frankreich
Einfluss in ehemaligen Kolonien einsetzte, um           durch die sogenannten Franko-Afrikanischen Gip-
auf internationalem Parkett Unterstützung zu            fel, die erst in den 1990er Jahren um Teilnehmer
generieren, aber auch, um privilegierten Zugang         aus dem nichtfrankophonen Afrika erweitert wur-
zu Rohstoffen und Absatzmärkten zu sichern.2            den. Mehrfach wurde schon gemutmaßt, dass der
Davon profitierten einige französische Topunter-        Gipfel in Cannes (15./16.1.2007) der letzte seiner
nehmen (zum Beispiel Accor, Air France, Bolloré,        Art sein würde. Mit der Frankophonie-Bewegung
Bouygues, früher Elf-Acquitaine, eher weniger           und einem dichten Netz von französischen Kul-
heute: Total) und ein Heer von Mittelsmännern, die      turinstituten wollte sich Paris auch seinen Platz in
Verbindungslinien zwischen Politik und Wirtschaft       den Köpfen der intellektuellen Elite sichern. Weit
sowohl in Frankreich als auch auf dem Nachbar-          wichtiger waren die Beziehungen zu den jeweiligen
kontinent hinter den Kulissen zu beeinflussen           Staatschefs und auch eine klare staatliche Fixierung
trachteten (Stichwort »Françafrique«). Von Beginn       zum Beispiel der Entwicklungspolitik, wo zivilge-
an wichtig war eine militärische Komponente fran-       sellschaftliche Gruppen und Nichtregierungsor-

                                                                                                               
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ganisationen – im Vergleich mit anderen Gebern          Hand der Rebellen. Sukzessive fanden die Rebellen
– einen geringen Stellenwert einnahmen.                 Unterstützung in zahlreichen Städten der nördlichen
                                                        Landeshälfte – der Beginn der Spaltung des ehe-
Zwei einschneidende Ereignisse der jüngeren             maligen Vorzeigelandes im frankophonen Afrika.
Geschichte haben die Gewissheit verstärkt, dass         Die erst seit zwei Jahren amtierende, Frankreich-
eine solche Politik einen zu hohen politischen und      kritische Regierung unter Präsident Laurent Gbagbo
materiellen Preis hat: Ruanda 1994 und Elfenbein-       rief daraufhin Paris auf, das bestehende Verteidi-
küste 2004.                                             gungsabkommen anzuwenden und die stationierten
                                                        Truppen zu mobilisieren. Dort sah man die Krise
In Ruanda unterstützte Frankreich bis zuletzt poli-     offiziell zunächst als innerivorische Angelegenheit
tisch und militärisch das »exkludierende« Regime        an; die Antipathie gegenüber Gbagbo mochte ein
Juvénal Habyarimanas; und nach dessen gewalt-           Motiv dafür sein. Erst am 28. Oktober schickte
samen Tod am 6. April 1994 wurde wenig getan,           Frankreich Truppen zur Friedenssicherung. In Frie-
um dem Genozid an den Tutsi Einhalt zu gebie-           densverhandlungen bei Paris vermittelte die ehema-
ten.7 Die dann einsetzende militärische »Opération      lige Kolonialmacht einen Frieden, der zumindest
Turquoise« ermöglichte es vielen radikalen Milizen,     in seinen Ausführungsbestimmungen für Gbagbo
in die benachbarte Demokratische Republik Kongo         inakzeptabel war. Das rigorose Auftreten auf fran-
zu fliehen und von dort den Krieg fortzusetzen.         zösischer Seite schuf zusätzlichen Widerstand. In
Während es berechtigte Zweifel an der Lauterkeit        der Folgezeit wurden immer neue, nicht umgesetzte
der damaligen Rebellenbewegung und heutigen             Friedensschlüsse formuliert. Gbagbo mobilisierte
Regierungspartei Front Patriotique Rwandais gibt,       die Straße – und weite Teile der öffentlichen Mei-
ist weitgehend unbestritten, dass Paris seinen erheb-   nung in Afrika! – gegen Frankreich, obwohl er
lichen Einfluss nicht dafür genutzt hat, um mäßi-       wenigstens zeitweise darauf angewiesen war, eine
gend auf das Hutu-dominierte Regime einzuwirken.        minimale militärische Unterstützung zu bekommen.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss der        Ohne Aussicht auf eine politische Lösung blieben
französischen Nationalversammlung kam zu einem          zunächst 4000 französische Soldaten (»Opération
gemischten Urteil über die Politik der Regierung,8      Licorne«) an der Seite einer UN-Mission vor Ort.
während sich in Afrika und weltweit der Eindruck
verfestigte, dass Frankreich eine Mitschuld am          Am 4. November 2004 verletzte die Regierungsar-
Genozid trug, der ca. 800 000 Menschen (Tutsi und       mee den Waffenstillstand einseitig und griff diverse
gemäßigte Hutu) das Leben kostete.                      Stellungen der Rebellen an. Zwei Tage später
                                                        bombardierten die beiden Kampfflugzeuge der ivo-
Im November 2004 erlebten französische, aber auch       rischen Luftwaffe Bouaké und griffen dabei offen-
afrikanische Fernsehzuschauer, wie französische         bar gezielt ein französisches Lager an. Bei diesem
Soldaten in Abidjan (Elfenbeinküste) auf schwarze       Angriff starben neun französische Soldaten und ein
Demonstranten schossen und umgekehrt franzö-            US-Bürger. Der französische Gegenschlag bestand
sische Bürger, teilweise seit Jahrzehnten ansässig,     in der kompletten Vernichtung der ivorischen Luft-
durch die Straße der Metropole getrieben wurden.9       waffe. Es folgten wütende Proteste und antifran-
Vorausgegangen war eine Abfolge militärischer           zösische Ausschreitungen in Abidjan. Französische
und diplomatischer Ereignisse, die Frankreich trotz     Truppen rückten in die Nähe des Präsidentenpa-
sehr intensiven Engagements nicht kontrollieren         lasts vor, was zu Befürchtungen Anlass gab, man
konnte.10 In der Nacht zum 19. September 2002           werde Präsident Gbagbo gewaltsam entfernen. Bei
überfielen Bewaffnete strategische Punkte in Abid-      den folgenden Unruhen starben nach offiziellen
jan. Der Innenminister wurde erschossen, am Folge-      Angaben 64 Menschen durch französische Kugeln
tag in einem Racheakt auch ein ehemaliger Militär-      (1300 Verletzte).11 Während in den französischen
diktator – der Startschuss für das furchteinflößende    Medien die Horrorerlebnisse fliehender Franzosen
Treiben von Todesschwadronen. Während loyale            die Nachrichtenlage dominierten, zeigten die regie-
Truppen die Lage in Abidjan in den Griff beka-          rungsnahen Organe in Abidjan die grausigen Bilder
men, blieb die zweitgrößte Stadt, Bouaké, in der        getöteter Ivorer. Paris bemühte sich nun intensiv

                                                                                                               
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und erfolgreich um eine Beruhigung sowie auf dem        scharf. Aber auch südlich der Sahara meldeten sich
diplomatischen Parkett um eine Verurteilung der         Intellektuelle wie Achille Mbembe vernehmlich
ivorischen Regierung. Aber erst die »afrikanische       zu Wort und nahmen die Debatte zum Anlass, die
Lösung« der Krise durch den Präsidenten Burkina         Behandlung von Zugewanderten heute mit denen
Fasos, Blaise Compaoré (selbst kaum verdeckt zu         der kolonialen »Untertanen« zu vergleichen, denen
Beginn ein Unterstützer der Rebellion), schuf im        die vollen Bürgerrechte verweigert wurden.14
März 2007 eine Atempause und die Chance auf
einen geordneten Rückzug Frankreichs.                   Letztlich kassierte der französische Verfassungs-
                                                        rat die umstrittene Formulierung Anfang 2006.
Beide Ereignisse verweisen auf tiefer sitzende          Sarkozy selbst erklärte dazu kurz, dass es Episoden
Probleme französischer Afrika-Politik, die unter        der Gewalt gegeben habe, er respektiere die »not-
Sarkozy auf der Tagesordnung sein werden: das           wendige Pflicht der Erinnerung«.15 Die Kolonisie-
koloniale Erbe, Einwanderungsfragen, die Macht          rung dürfe jedoch nicht mit der Sklaverei gleichge-
der Generäle, französische Alleingänge, aufge-          setzt werden. Er stellte die rhetorische Frage, ob
klärte Wirtschaftsinteressen oder Machenschaften        man Visa auf Lebenszeit ausstellen müsse, nur weil
(»Françafrique«).                                       man ein gemeinsames Kapitel in der Geschichte
                                                        habe.16 Für viele ist das zu wenig oder schon wieder
                                                        zu viel.17 Eine eigentümliche Mischung aus Selbst-
Das koloniale Erbe                                      anklage und Kolonialapologie konnte das Publikum
                                                        dann auch Ende Juli an der Universität Dakar
Mit all seinen formellen und informellen Einfluss-      hören. In großem Pathos erinnerte Sarkozy dort
kanälen hat Frankreich das Bild einer ehemaligen        wieder an die Schicksalsgemeinschaft Afrika-Fran-
Kolonialmacht genährt, die Jahrzehnte nach der          kreich: »Et la France n’oublie pas ce sang africain
juristischen Unabhängigkeit ihrer »Besitzungen«         versé pour sa liberté«.18
die reale Unabhängigkeit nur unwillig zugesteht.
Sarkozy möchte diesen Ballast offenkundig los-
werden, und genau darin besteht die große Chance        Zuwanderung und Integration
für einen Neubeginn. Unmissverständlich erklärt
er, dass Demokratie die richtige Regierungsform         Als Innenminister unter Chirac hat Sarkozy das
für Afrika sei,12 sein Vorgänger Chirac hatte sie als   Thema der illegalen Immigration konsequenter
Luxus bezeichnet. Chirac hat nie dementiert, dass       aufgegriffen als alle seine Vorgänger. Die »erlit-
er dem alten Modell (spöttisch »L’Afrique à Papa«       tene Zuwanderung« (»immigration subie«) möchte
genannt, also Paternalismus pur) anhing. Aber           Sarkozy per Gesetz durch eine »gewählte Zuwande-
Sarkozy tut dies in einem Tempo, das manch einen        rung« (»immigration choisie«) ersetzen.19 Rund 10
aufschrecken lässt: Will sich der Präsident mit dem     Prozent der erwachsenen Bevölkerung Frankreichs
Hinweis auf die Mündigkeit seiner Gesprächspart-        ist nicht in dessen Grenzen geboren – gegenüber
ner in Afrika aus seiner Verantwortung stehlen, das     12,5 Prozent in Deutschland oder Österreich und
heißt: weniger Entwicklungshilfe und Umgehung           sogar 22,4 Prozent in der Schweiz.20 Auf den ersten
der Frage nach der »Kolonialschuld«? Heftiger als je    Blick ist dies also gar keine so dramatische Zahl.
zuvor wurde in Frankreich 2005–2007 über koloni-        Zwei Faktoren sorgen aber dafür, dass Immigration
ale Erinnerung gestritten. Hohe Wellen schlug eine      ein Reizthema ist:
Gesetzesänderung durch die konservative Mehr-
heit der französischen Nationalversammlung, die         •   Nach übereinstimmenden Schätzungen gibt es bis
in Schulbüchern die Anerkennung »der positiven              zu 500 000 »sans-papiers«, also illegale Immig-
Rolle französischer Präsenz in Übersee« festgehal-          ranten. Unter diesen befinden sich überpropor-
ten sehen wollte.13 Weil das Gesetz vor allem die           tional viele Afrikaner, die insgesamt aber nur ein
»Algerien-Franzosen« betraf, die nach 1962 unter            Drittel aller Zuwanderer ausmachen.
schwierigen Bedingungen in die Metropole zurück-        •   Frankreich hat ein Ghettoproblem: Einige Stra-
kehrten, war die Reaktion vor allem in Nordafrika           ßen Pariser Vorstädte brannten 2005 und 2006.

                                                                                                                 
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  In dieser Form ist das in den Nachbarländern          kanischen Republik durch attackierende Rebellen
  unbekannt.                                            zusehends unter Druck gerieten. Paris setzte dort
Sarkozy verfolgt eine Politik der harten Hand und       Mirage-Kampfflugzeuge ein, ohne Rücksprache
der starken Worte. Als Sohn ungarischer Einwan-         mit dem Parlament, ohne Abgleich mit der EU,
derer fühlt sich der Präsident berufen und beson-       der Afrikanischen Union oder den Vereinten Nati-
ders geeignet, eine strikte Zuwanderungspolitik zu      onen – einfach mit dem Verweis auf existierende
betreiben. Hierzu gehört seine Vorstellung, mehr        Verträge.
Afrikaner in Frankreich auszubilden, dann aber wie-
der zur Aufbauarbeit nach Hause zu schicken. Was        Einmal so stark engagiert, wird es schwierig, sich
afrikanische Gastarbeiter regulär in Frankreich ver-    wieder zurückzuziehen. Andererseits sind die mili-
dienen, könnte sogar steuerfrei in die Heimatländer     tärischen Abenteuer kostspielig. Die im September
zurückfließen, um dort investiert zu werden – nicht     2005 verfügte Reduktion der französischen Mili-
zuletzt zur Sicherung von lokalem Wohlstand,            tärbasen in Afrika auf vier Standorte – Dschibuti
der den Migrationsfluss bremsen dürfte. Diese           (2900 Soldaten), Senegal (1130), Elfenbeinküste
Ideen gehören in den Bereich der Prävention; kein       (70022) und Gabun (850) – könnte sich noch als
Zweifel besteht aber auch daran, dass Sarkozy kon-      eine Entscheidung mit großer Tragweite heraus-
sequent illegale Zuwanderung unterbinden wird.          stellen. An die Stelle der »forces prépositionnées«
Quantitative Vorgaben zur Abschiebung illegaler         sollten offenbar zunehmend kurzfristige Auslands­
Zuwanderer für jeden Präfekten gehören hierzu           einsätze treten. Doch welcher Rahmen wird bevor-
(für 2006: 25 000). Zuckerbrot und Peitsche wer-        zugt – EU, UN oder NATO? Und wie ist das Echo
den also genutzt. Die aufgeheizte innenpolitische       von außen? Das Vorzeigeprojekt ist hier RECAMP
Diskussion, Fremdenfeindlichkeit und die Versäum-       (Renforcement des capacités africaines en maintien
nisse der Stadtplanung bleiben Frankreich aber          de la paix). Für die Afrikanische Union sollen in
wohl auch mit Sarkozy erhalten. In Afrika wurde         gegenseitiger Abstimmung Peacekeeping-Potenziale
der Präsident in seinen Ministerjahren auf breiter      aufgebaut werden, durch klassische Ausbildungs-
medialer Front als Menschenfeind abgestempelt.          maßnahmen und gemeinsame Manöver. Frankreich
Er fühlt sich hier missverstanden. Nicht sehr viel      preist das Programm an und wirbt bei europäischen
besser ging es ihm mit seiner jüngsten Rede an der      Partnern – auch bei Deutschland – um finanzielle
Universität von Dakar: Der herbeigesehnte Bruch         Beiträge. Aber noch scheint es an der Seine wenig
mit schlechten Traditionen fand jedenfalls nicht        Bereitschaft zu geben, RECAMP als Instrument
statt.21 Es ist keine kleine Aufgabe, dieses Image zu   der ESVP in die EU einzugliedern, wobei auch
korrigieren.                                            unklar bleibt, ob gerade kleinere EU-Länder dies
                                                        unterstützen würden, da sie eine Verlängerung
                                                        kolonialer Einflusspolitik auf ihre Kosten vermu-
Die Macht der Generäle                                  ten. Statt des Engagements bei RECAMP befür-
                                                        worten viele deutsche Entscheidungsträger das
Frankreichs spezifische Afrika-Politik entwickelte      auch für Afrika relevante »Battle Group«-Konzept
sich im Kalten Krieg und schuf ein System aus           (im EU-Rahmen) nicht zuletzt deswegen, weil dort
Geheimdienst, Militär, Parteipolitik und Wirt-          bei Dritten kein Verdacht einer deutsch-franzö-
schaft, das oft zu Unrecht als monolithischer           sischen Absprache besteht – zumal auch Großb-
Block gesehen wurde. Über die militärische Seite        ritannien sowie kleinere Staaten mit an Bord sind.
wird wenig gesprochen. Nach einer längeren              Beide Konzepte widersprechen sich nicht, im einen
Phase der Zurückhaltung in der zweiten Hälfte der       Fall geht es um afrikanische, im anderen um euro-
1990er Jahre engagierte sich Frankreich mit dem         päische Friedenswahrer; die Qualität der RECAMP-
Einsatz in der Elfenbeinküste 2002 erneut auf           Ausbildung gilt außerdem als sehr gut. Bezeichnend
militärischer Ebene. Hier suchte Paris schnell ein      ist aber das Misstrauen gegenüber französischen
UN-Etikett für die eigene »Opération Licorne«. So       Vorstößen im restlichen Europa. Auffällig ist fer-
viel Mühe machte man sich im Jahr 2006 nicht, als       ner, dass sich Frankreich gerade im Vergleich zu
die Regierungen des Tschad und der Zentralafri-         den meisten Nachbarn bei der zivilen Krisenprä-

                                                                                                              
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vention sehr zurückhält und entsprechende Debat-        auch in Deutschland gibt es allerdings Stimmen, die
ten gar nicht geführt wurden.23                         eine weitgehende Europäisierung der Afrika-Politik
                                                        als problematisch ansehen. Die Verlagerung auf die
Das französische Engagement für Frieden in              Brüsseler Bühne enthält vor allem das Risiko, dass
Afrika hat damit eine militärische Schlagseite, die     es auf dieser Ebene an einer kritischen Öffentlich-
nur aus historischer Perspektive verständlich wird:     keit fehlt. In den Demokratien der Mitgliedstaaten
Eine ganze Reihe französischer Generale haben in        können Regierungen immer noch besser zur Ver-
ihrer Karriere eine oder mehrere afrikanische Stati-    antwortung gezogen werden als auf EU-Ebene
onen durchlaufen. Ihr Einfluss in Paris ist nicht zu    (selbst wenn die Machtfülle des französischen
unterschätzen. Sie dürften auch weiterhin Interesse     Präsidenten gerade in der Außenpolitik gegenüber
an einem afrikanischen »Spielfeld« haben. Sowohl        einem ohnmächtigen Parlament ins Auge sticht). In
bei der Artemis-Mission im Ostkongo als auch bei        Deutschland fürchtet man, dass die Übertragung
der EUFOR-Mission zur Absicherung der Wahlen            auf die EU postkoloniale Bemühungen Frankreichs
in der Demokratischen Republik Kongo, beides im         (in zweiter Linie auch Portugals, Belgiens und
Rahmen der ESVP, wurde Frankreich vor Ort als           Großbritanniens) kaschieren könnte. Gleichzeitig
die treibende und sichtbarste Kraft angesehen. Das      ist nicht zu verkennen, dass EU-Mitgliedstaaten oft
war durchaus von Paris intendiert – und zugleich        nur sehr schwer dazu zu bewegen sind, Verantwor-
in hohem Maße problematisch. Denn Frankreich            tung in Afrika zu übernehmen.
hatte früh auf den Amtsinhaber Laurent-Desiré
Kabila gesetzt, die Neutralität des europäischen        Daran hat es im Falle Frankreichs selten gefehlt.
Einsatzes war vor Ort kaum vermittelbar. Euro-          Problematischer ist daher sogar noch, dass Fran-
päisierung à la française kann besonders dann           kreich schwierige Beziehungen zur Afrikanischen
problematisch sein, wenn das Ansehen der ehema-         Union unterhält. Personifiziert wurde dies durch
ligen Kolonialmacht in Frage steht – nicht zuletzt      das schlechte Verhältnis zwischen Chirac und AU-
wegen schneidiger militärischer Auftritte. Es wird      Kommissionspräsident Alpha Oumar Konaré. Der
daher durchaus von Interesse sein, wie sichtbar         Vorstoß des neuen Außenministers Bernard Kou-
das Militär im französischen Afrika-Engagement          chner zur Lösung der Darfur-Krise war zunächst
bleibt.                                                 überhaupt nicht mit der AU abgestimmt, die dort
                                                        immerhin Friedenstruppen unterhält. Die Pariser
                                                        Darfur-Konferenz wurde zu einem diploma-
Französische Alleingänge                                tischen Desaster. In der Sudan-Frage wurden am
                                                        Ende doch gemeinsame Lösungen gefunden, die
Nicht nur in der Sicherheitspolitik hat sich der Ein-   entsprechende UN-Resolution, gemeinsam von
druck verfestigt, dass Frankreich in Afrika die euro-   Frankreich und Großbritannien sowie den USA
päische Karte nur dann zieht, wenn es glaubt, den       eingebracht, nimmt auch französische Vorstöße
Prozess kontrollieren zu können. Wichtiger Neben-       wieder geschickt auf, indem die AU-Mission nun
aspekt ist stets das europäische »Burden-sharing«       doch in eine gemeinsame UN-AU-Operation inte-
kostspieliger Engagements. Mit Übertragung realer       griert wird. Frankreich mühte sich aber weiterhin,
Kompetenzen hat dies bisher wenig zu tun. Zu den        die eigenen Pläne zur Sicherung der Grenzzonen
Problemen im deutsch-französischen Verhältnis           zwischen Sudan, Tschad und Zentralafrikanischer
gehört die geringere Werteorientierung auf der          Republik über eine flankierende europäische Mis-
anderen Rheinseite. Die afrikanischen Verantwort-       sion zu verwirklichen. Trotz einstimmiger Unter-
lichen für schwere Menschenrechtsverletzungen           stützung im UN-Sicherheitsrat für eine 4000 Mann
finden in Frankreich deutlich mehr Verständnis          starke Truppe (26.9.2007) fand dieses Ansinnen
als in allen anderen europäischen Staaten: Das galt     aber nicht viele Freunde. Nichtregierungsorganisa-
lange für die Staatsführung im Sudan, das scheint       tionen stellten offen die Frage, ob eine von Frank-
auch für Simbabwe zu gelten. Es wäre durchaus           reich dominierte Truppe in seinen Exkolonien als
hilfreich, wenn sich Frankreich einmal der Initiative   neutral angesehen werden könne. Und mit Mühe
Anderer anschließen könnte.24 In Frankreich, aber       konnten innerhalb der EU bis Mitte Oktober ca.

                                                                                                              
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2500 Mann gefunden werden, davon 1500 Mann               reichs Außenhandelsbilanz mit Afrika positiv ist,
aus Frankreich selbst, um die Mission personell          sehen die Daten nicht so schlecht aus. Und für
auszustatten.                                            einige wichtige Unternehmen stellt der Nachbar-
                                                         kontinent über 20 Prozent des Auslandsgeschäfts
Diese Art von französischer Einflussnahme zur            dar (zum Beispiel Bolloré oder Peugeot). Auch die
Herstellung eines multilateralen Feigenblatts für alte   Hotelgruppe Accor, die Brauereigruppe Castel,
Interessenpolitik wird es auch weiterhin geben, weil     das Energieunternehmen Vivendi, Telekommuni-
sich niemand in der EU offen gegen Paris stellen         kationsfirmen wie Alcatel oder France Télécom
möchte. Nicht zuletzt mit Blick auf Sarkozys über-       machen gute Geschäfte, deren Wegfall die Fir-
raschende Offerten an Libyens Revolutionsführer          menzentralen schwer treffen würde.26 Richtig ist,
Muammer el-Khadafi (im Spektrum von Nuklear-             dass mit Südafrika, Angola und Nigeria neben
technologie bis Waffenlieferungen) wird man aber         der Elfenbeinküste und Kamerun auch Staaten
sagen müssen, dass die EU auch vor noch weit pro-        von außerhalb des »pré-carré« zu den wichtigsten
blematischeren französischen Volten in der Afrika-       Partnern südlich der Sahara zählen. Frankreich hat
Politik nicht sicher sein kann.                          damit solide, wenn auch nicht mit anderen Kon-
                                                         tinenten vergleichbare Wirtschaftsinteressen in
                                                         Afrika.
Aufgeklärte Wirtschaftsinteressen
oder Machenschaften                                      Welche Politik wird die neue konservative Regie-
                                                         rung hier verfolgen? Sarkozy wandte sich offen
Nicht nur die Diskussion in Frankreich selbst,           gegen die »Netzwerke aus einer anderen Zeit«.27
sondern auch die deutsche Diskussion zur franzö-         Auf der anderen Seite unterhält er beste Bezie-
sischen Afrika-Politik ist stark geprägt vom »Fran-      hungen zu einem Teil der großen Drahtzieher im
çafrique«-Konzept, also der engen Verquickung            Afrika-Geschäft: Als Sarkozy nach seinem Wahl-
afrikanischer und französischer Eliten zur diskreten     sieg eine Auszeit nahm, war dies auf der Yacht
Absprache im gegenseitigen Interesse. Auch aus           von Vincent Bolloré!28 Zu den besten Kontakten
der Sicht deutscher Entscheidungsträger wird oft         und ersten Besuchern Sarkozys gehörte Gabuns
moniert, es sei fast nicht möglich, im frankophonen      Präsident Omar Bongo, das Sinnbild frankoafrika-
Afrika stärker ökonomisch und politisch präsent zu       nischer Machenschaften. Als Schlüsselfrage gilt, ob
sein. Französische Offizielle haben über Jahrzehnte      Sarkozy fortfährt, die wesentlichen Entscheidungen
gerne das Bild geprägt, dass etwa die Hälfte des         zur Afrika-Politik in einer »Cellule Africaine« im
Kontinents die »chasse gardée« Frankreichs sei. Seit     Elysée-Palast treffen zu lassen. So hatten es seine
wenigen Jahren gilt das nicht mehr als opportun.         Vorgänger gehalten und damit die technokratischen
Aller jüngeren Rhetorik zum Trotz sehen deutsche         Abläufe der Sachpolitik in den Fachressorts regel-
Wirtschaftskreise kaum Veränderungen in den hier-        mäßig außer Kraft gesetzt. Vorerst hält Sarkozy an
aus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen.              einer ähnlichen, gut ausgestatteten Struktur fest,29
                                                         allerdings hat deren Leiter Bruno Joubert keinen
Letztlich könnte das aber ein Mythos sein, der           direkten Zugang mehr zum Präsidenten, sondern
den eigenen Misserfolg kaschiert. Sehr wohl ist          muss bei seinem Vorgesetzten, dem diplomatischen
es aggressiven chinesischen Unternehmen gelun-           Berater Jean-David Levitte, vorsprechen.30 Es wird
gen, auch in frankophonen Staaten Fuß zu fassen.         sich zeigen, ob dies eine nennenswerte Änderung
Das ökonomische Gewicht Afrikas für Frankreich           bedeutet. Joubert gilt immerhin als sehr misstrau-
wurde von Sarkozy stark relativiert (»wirtschaftlich     isch gegenüber den selbsternannten Mittelsmän-
brauchen wir Afrika nicht«),25 weshalb das Fach-         nern aus dem »frankoafrikanischen Dorf«. Dies hat
blatt Jeune Afrique recherchierte und auf eine           nicht verhindert, dass auch die erste Afrika-Reise
wachsende Bedeutung des Kontinents für den               Sarkozys als Präsident wieder in die ehemaligen
französischen Außenhandel stieß: 2004 machte der         Kolonien ging, nach Senegal und – offensichtlich
afrikanische Anteil (freilich inklusive Nordafrika)      mit Nachdruck vom »Doyen« Bongo eingeklagt
4,8 Prozent, 2005 sogar 5,1 Prozent aus. Weil Frank­     – nach Gabun.

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In Gabun gibt es Erdöl, Tropenholz und – Uran.          eines gemeinsamen konsularischen Dienstes der
Für den Energiekonzern AREVA hat sich Sarkozy           EU zur Ausstellung von Visa für den Schengen-
persönlich eingesetzt, als dieser sein Geschäft im      Raum. Hier sind Fortschritte – gerade während der
Niger zu verlieren drohte. 43 Prozent des von           französischen Ratspräsidentschaft – möglich.
AREVA produzierten Urans kommt aus dem bet-
telarmen Niger, die eigenen französischen Reserven
sind weitgehend erschöpft, und der Weltmarkt-           Welche Szenarien sind vorstellbar?
preis steigt.31 In der Wüstensiedlung Arlit hat nur
der französische Nuklearkonzern etwas zu sagen.         Grundsätzlich können zwei unterschiedliche Szena-
Hinweise auf erhebliche Strahlenbelastung der           rien entworfen werden. Mischformen sind denkbar,
Arbeiter gibt es – aber wenig Beweise.32 Als die        aber letztlich steht zu erwarten, dass diese Szena-
Regierung in Niamey nun den örtlichen AREVA-            rien den Korridor beschreiben werden, in dem sich
Direktor zur unerwünschten Person erklärte und          französische Afrika-Politik in der laufenden Amts-
chinesischen Firmen Konzessionen anbot, erhöhte         zeit entwickeln wird:
AREVA umgehend die Royalties, um Schlimmeres
zu verhindern. Es sind solche Ereignisse, die daran
zweifeln lassen, dass sich Frankreichs Afrika-Politik   Szenario 1: »Kontinuität durch Wandel«
ändert.                                                 • Französische Afrika-Politik bleibt interventionis-
                                                          tisch, aber mit einer Akzentverschiebung: Der
                                                          humanitäre Aktivismus gepaart mit einem neuen,
EU-Afrika-Strategie, EU-Afrika-                           auf Werte zielenden Pathos wird unter dem prä-
Gipfel                                                    genden Einfluss des Außenministers Kouchner
                                                          zum sicherheitspolitischen Markenzeichen Frank­
Im Dezember 2005 einigten sich die EU-Mit-                reichs – mehr kürzere Peacekeeping-Einsätze,
gliedstaaten auf einen Konsens zu Entwicklungs-           relativer Bedeutungsverlust der Militärbasen vor
fragen und eine EU-Afrika-Strategie, die für die          Ort, aber Fortführung einer stark militärisch
Kommission und für alle Mitgliedstaaten gelten            geprägten Afrika-Politik.
soll. Bestehende Initiativen (Cotonou-Vertrag, das      • Die privilegierten Beziehungen zu einer Hand-
MEDA-Programm mit Nordafrika und das Han-                 voll Staatschefs (insbesondere Omar Bongo
dels-, Entwicklungs- und Kooperationsabkommen             Ondimba / Gabun, Paul Biya / Kamerun, Denis
mit Südafrika) werden erstmals zusammengefasst,           Sassou-Nguesso / Kongo-Brazzaville) werden
die innereuropäische Koordination wird gestärkt,          fortgesetzt, allerdings bei geringerer Sichtbarkeit
und die Strategie geht über das klassische Feld der       dieser Beziehungen (Verkleinerung oder Aufgabe
Entwicklungszusammenarbeit hinaus (also zum               der afro-französischen Gipfel, geringere Anzahl
Beispiel auch in den militärischen Bereich hin-           von Afrika-Reisen französischer Spitzenvertreter)
ein). Theoretisch gibt es seitdem eine gemeinsame         und bei Überprüfung der Beziehungen zu den
Afrika-Politik, aber die Implementierung der Strate-      schwierigeren Vertretern der alten Politik (Togo,
gie kostet Zeit. Die EU-Strategie ist die Grundlage       Tschad).
aktueller, weitergehender Verhandlungen mit der         • Vorbehalte gegen eine stärkere Multilateralisie-
Afrikanischen Union und soll auf dem kommen-              rung bleiben erhalten. Die EU wird wie bislang
den EU-AU-Gipfel am 8./9. Dezember 2007 in                nur oberflächlich in die eigene Politikgestaltung
Lissabon diskutiert werden. Die Spielräume fran-          einbezogen; die Afrikanische Union wird bei
zösischer und aller anderen nationalen Afrika-Poli-       Bedarf mittels der Subregionalorganisationen
tiken sollten also schrumpfen. Während durchaus           (insbesondere CEMAC, teilweise ECOWAS)
vorstellbar ist, dass sich Paris im Bereich der Ent-      überspielt.
wicklungszusammenarbeit gemeinsamen Vorgaben            • Die ökonomische Vorzugsbehandlung franzö-
unterwirft, ist dies in den meisten anderen wesent-       sischer Unternehmen durch einflussreiche Kreise
lichen Politikfeldern kaum denkbar. Sarkozy ver-          und Regierungen in den ehemaligen Kolonien
folgt aber immerhin mit Nachdruck den Gedanken            wird diskret weiter erwartet und auch unterstützt.

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Szenario 2: Struktureller Wandel                           Amts, des Bundesministeriums für wirtschaftliche
•   Präsident Sarkozy bestimmt die Außenpolitik            Zusammenarbeit und Entwicklung sowie des Ver-
    weitgehend selbst, die Afrika-Politik wird mit         teidigungsministeriums aber kaum. Nur bei einer
    weniger Pathos und klarerer Interessensteue-           radikalen Veränderung könnte es sinnvoller sein,
    rung betrieben. Im Vergleich zu anderen Konti-         das alte französisch-deutsche Tandem wieder flott
    nenten erfährt Afrika eine klare Abwertung und         zu machen und für europäische Zwecke in Gang zu
    Unterordnung unter die Innenpolitik (Stichwort         setzen. Die Zusammenarbeit mit Frankreich wird
    Zuwanderung). Dies führt zu einer neuen Selek-         vor allem dann leichter, wenn an der Seine endlich
    tion der wichtigsten Partner nach klaren geostra-      eine ehrliche Bewertung der eigenen Afrika-Politik
    tegischen und ökonomischen Kriterien, mithin zu        vorgenommen würde. Das »objektive Interesse«
    einer Aufwertung Südafrikas und Angolas.               Frankreichs könnte es in der Tat sein, nicht etwa
•   Schrittweise vollzieht sich ein weiteres militä-       bilaterale Sonderbeziehungen zu pflegen, son-
    risches Disengagement, beginnend mit der Elfen-        dern sich multilateral einbinden zu lassen und aus
    beinküste, wo nach der Beendigung der »Opéra-          europäischer Sichtweise zu agieren. Das würde es
    tion Licorne« auch die Militärbasen geschlossen        Deutschland erleichtern, auch dort fortgesetzt zu
    werden.                                                kooperieren, wo es positive gemeinsame Erfah-
•   Einige Dossiers, darunter auch die militärische        rungen gibt: bei der technischen Bewältigung von
    Ausbildung im RECAMP-Rahmen, werden der                Krisen. Noch erfolgversprechender wäre allerdings,
    EU überlassen. Der begrenzte Enthusiasmus              wenn Frankreich nicht so sehr auf den deutschen
    auf EU-Ebene führt zu einer Unterfinanzierung          Partner schauen, sondern gleichzeitig weitere euro-
    dieses Programms. Eventuell gelingt auch eine          päische Nachbarn mit in eine neue europäische
    stärkere Übertragung des Währungsdossiers, es          Afrika-Politik einbeziehen würde. Am besten kann
    folgt eine neue Abwertung des CFA-Franc.               dies gelingen, wenn das heiße Eisen Zuwanderung
•   Die offizielle Politik begleitet französische Unter-   auf eine zugleich
    nehmen sehr viel verhaltener als bisher und
    setzt vollkommen auf deren schon bestehende            •   zukunftsfähige (Anerkennung, dass ein bestimm-
    Marktvorteile.                                             tes Maß an Zuwanderung unvermeidlich ist),
•   Kostspielige Prestigeprojekte, darunter der afro-      •   menschenwürdige (die Modalitäten der Zuwande-
    französische Gipfel, werden abgeschafft. An                rung dürfen nicht den europäischen Standard an
    Stelle der Treffen auf Spitzenebene werden nun             Rechtsstaatlichkeit untergraben),
    andere Ebenen wichtiger: Kooperation der Parla-        •   praktikable (die Visavergabe erfolgt nach trans-
    mente, Austausch auf technokratischer Ebene.               parenten Kriterien und ohne bürokratische Ver-
                                                               schleppung) und
                                                           •   kooperative (afrikanische Regierungen, bei
Perspektiven für die deutsche                                  Bedarf auch lokale Gebietskörperschaften, wer-
Afrika-Politik                                                 den zum Beispiel in die Gestaltung von Migrati-
                                                               onsregelungen einbezogen)
Bei den Gestaltern deutscher Afrika-Politik gibt es
gegenwärtig eine starke Zurückhaltung zur engeren          Basis gestellt wird. Dazu müssten Korrekturen der
Kooperation mit Frankreich. Die Befürchtungen,             bisherigen Politik vorgenommen werden, allerdings
wie in der Vergangenheit als »Juniorpartner« oder          stehen dem reale französische Interessen in Afrika
»Zahlmeister« gefragt zu sein, aber nicht mitre-           und Europa sowie ein ehrgeiziger französischer
den zu dürfen, sitzt tief. Quer durch die Parteien         Präsident entgegen.
und Administrationen gibt es eine recht klare
Absage an rein bilaterale Initiativen. Sollte sich         Andreas Mehler, Direktor des GIGA Instituts für
der humanitäre Interventionismus à la Kouchner             Afrika-Studien, Hamburg.
durchsetzen, wird sich in der öffentlichen Meinung
Deutschlands eventuell deutliche Sympathie mobi-
lisieren lassen, in den Apparaten des Auswärtigem

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Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05

Anmerkungen
1   Das wichtigste Dokument ist eine frühe Grundsatzrede           14 Le Messager (Douala, Kamerun), 27.9.2005.
    zur Afrika-Politik, die Nicolas Sarkozy vor dem Parlament      15 Sarkozy, Politique de la France en Afrique, op. cit.
    Benins schon am 19. Mai 2006 gehalten hat: Sarkozy, Poli-         (Anm. 1).
    tique de la France en Afrique,  (Zugriff            17 Wissenschaftliche Debatten zur Erinnerung an die Kolo-
    15.7.2007). Mehr Programmatisches in einem predigenden            nisation haben sich nicht zufällig 2006 entsponnen. Vgl.
    Stil an die »afrikanische Jugend« findet sich in seiner Rede      dazu Politique Africaine, Nr. 102/2006.
    vor der Universität Dakar am 26. Juli 2007,  (Zugriff 2.8.2007). Die           19 Loi n° 2006-911 (24.7.2006) relative à l’immigration et à
    »essenzialisierenden« Aussagen zum »afrikanischen Men-            l’intégration.
    schen« wirken seltsam anachronistisch.
                                                                   20 Angaben nach: Jeune Afrique, 4.–10.3.2007.
2   Vgl. Gisela Müller Brandeck-Bocquet, Die Afrikapolitk
    Frankreichs zwischen Einflusswahrung und Multilaterali-        21 Vgl. Falila Gbadamassi, »L’Eurafrique« : la vraie fausse
    sierung, in: dies. u. a., Die Afrikapolitik der Europäischen      rupture de Nicolas Sarkozy,  (Zugriff 1.8.2007). Dort wird auch
    Denis Tull, Zeitenwende in der französischen Afrikapoli-          AU-Präsident Alpha Oumar Konaré aus einem RFI-Inter-
    tik (SWP aktuell 44), Berlin 2005.                                view zitiert, der die Rede als »nicht die Art Bruch, die
                                                                      gewünscht war,« charakterisierte.
3   Elfenbeinküste, Gabun, Kamerun, Seychellen, Tschad,
    Togo, Zentralafrikanische Republik (ZAR), Simbabwe.            22 Zusätzlich sind in der Elfenbeinküste ca. 3000 Mann der
                                                                      »Opération Licorne« als Friedenswahrer eingesetzt (Juli
4   Neben den »forces prépositionnées« auch Soldaten im
                                                                      2007, alle Angaben laut Homepage des französischen Ver-
    Auslandseinsatz (Elfenbeinküste, Tschad, ZAR).
                                                                      teidigungsministeriums ,
5   Die CFA-Franc-Zone umfasst die beiden Währungsräume               Zugriff 18.7.2007). In den afrikanischen Übersee-Dépar-
    des CFA-Franc BEAC in Zentralafrika und des CFA-                  tements sind weitere Militärs stationiert: auf Réunion
    Franc BCEAO in Westafrika. Beide Währungen sind zu                (3300) und Mayotte (750). Die »Opération Epervier« im
    einem Wechselkurs von 655,957 CFA-Franc je Euro an                Tschad verfügt über 1100 Mann, die »Opération Boali« in
    die Währung der Eurozone gekoppelt.                               der Zentralafrikanischen Republik über 220 Mann.
6   Das französische Schatzamt verwaltet im Gegenzug 50            23 Mehler, Major flaws in conflict prevention policies
    Prozent der Währungsreserven der betroffenen Länder.              towards Africa. The Conceptual Deficits of Interna-
7   Immer noch die beste Darstellung ist Gérard A. Prunier,           tional Actors’ Approaches and How to Overcome Them
    The Rwanda crisis 1959–1994 : History of a genocide,              (Deutsches Übersee-Institut), Hamburg 2005, S. 23 f.
    London 1995, S. 281 ff.                                        24 So Ronja Kempin, Stiftung Wissenschaft und Politik, in
8   Rapport de la Mission d’information parlementaire sur le          einem Interview mit dem Autor am 25.10.2005.
    Rwanda,  (Zugriff 15.12.1998).                  das Le Monde, 14.2.2007.
9   Dies ist auch der Ausgangspunkt der Analyse von Antoine        26 Alle Angaben nach: Jeune Afrique, 11.–17.2.2007.
    Glaser, Stephen Smith, Comment la France a perdu l’Afri-
    que. Paris 2005.                                               27 Sarkozy, Politique de la France en Afrique, op. cit.
                                                                      (Anm. 1).
10 Vgl. Andreas Mehler, Côte d’Ivoire: Chirac allein zu Haus?
   (Institut für Afrika-Kunde), Hamburg 2004.                      28 Bolloré gehört zu den französischen Geschäftsleuten
                                                                      mit den besten Afrika-Netzwerken, siehe L’Express,
11 Nach Angaben der ivorischen Regierung gegenüber AFP,               18.6.2007.
   24.11.2004.
                                                                   29 Jeune Afrique, 15.–21.7.2007.
12 Sarkozy, Politique de la France en Afrique, op. cit.
   (Anm. 1).                                                       30 L’Express, 18.6.2007.
13 Artikel 4, loi n° 2005-158 (23.2.2005) portant reconnais-       31 Die Welt, 12.8.2007.
   sance de la Nation et contribution nationale en faveur des      32 Communiqué de presse « La responsabilité sociale et
   Français rapatriés. Ein Abänderungsvorschlag der linken            environnementale d’Areva est mise en cause par Sherpa,
   Oppositionsparteien wurde im November 2005 mit der                 Médecins du Monde et CRIIRAD »,  (Zugriff 12.9.2007).

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