DGAPanalyse Frankreich - Aller Anfang ist schwer: Frankreich auf der Suche nach einer neuen Afrika-Politik
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DGAPanalyse Frankreich Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Dezember 2007 N° 5 ISSN 1865-701X Aller Anfang ist schwer: Frankreich auf der Suche nach einer neuen Afrika-Politik von Andreas Mehler
Die DGAPanalysen Frankreich erscheinen mit freundlicher Unterstützung der Redaktion: Dr. Martin Koopmann und Ulla Brunkhorst Herausgeber: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. | Rauchstraße 17/18 | 10787 Berlin Tel.: +49 (0)30 25 42 31-0 | Fax: +49 (0)30 25 42 31-16 | info@dgap.org | www.dgap.org | www.weltpolitik.net © 2007 DGAP
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 Zusammenfassung / Summary Andreas Mehler Aller Anfang ist schwer: Frankreich auf der Suche nach einer neuen Afrika-Politik Die Afrika-Politik nimmt in Frankreich aufgrund der französischen Kolonialver- gangenheit seit jeher einen besonderen Stellenwert ein. Sie gilt als stark an den Interessen bestimmter Lobbys orientiert, europäisch nicht vernetzt, in hohem Maße militarisiert und politisch rückwärtsgewandt. Nicolas Sarkozy gab schon im Vorfeld seiner Wahl 2007 zu verstehen, dass er die sehr spezifischen Beziehungen zum afrikanischen Kontinent »normalisieren« möchte. Aber die Signale des neuen Präsidenten bleiben widersprüchlich. So wandte sich Sarkozy zwar offen gegen die »Netzwerke aus einer anderen Zeit«, gleichzeitig unterhält er aber beste Bezie- hungen zu einem Teil der großen Drahtzieher im Afrika-Geschäft. In den anderen EU-Mitgliedstaaten stößt das französische Engagement in Afrika weiterhin auf Misstrauen. Es hat sich in den letzten Jahren der Eindruck verfestigt, dass Frankreich in Afrika die europäische Karte nur dann zieht, wenn es glaubt, den Prozess kontrollieren zu können, oder wenn es die Möglichkeit eines »Burden- Sharing« kostspieliger Engagements sieht. Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Lissabon am 8./9. Dezember 2007 wird erneut eine gemeinsame Afrika-Strategie diskutiert. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich Paris im Bereich der Entwicklungszusammen- arbeit gemeinsamen Vorgaben unterwirft. In den meisten anderen Politikfeldern ist dies aber kaum zu erwarten. All beginnings are difficult: France in search of a new Africa policy Due to its colonial past, Africa policy has always been a key priority in France. For a long time, it has been deemed to be subordinated to interests of certain pres- sure groups, to be disconnected from the European context, largely militarized and politically backward. In the run-up to the elections, Nicolas Sarkozy already expressed his intention to “normalize” the very specific relations with the African continent. However, his signals and statements have remained contradictory to a great extent. Officially, Sarkozy has argued against the “networks of former times”, but at the same time maintains close ties with some of the key actors in the Africa business. French commitment in Africa still provokes skepticism and mistrust among other EU member states. In recent years, it seemed that France opted for the European way in African affairs only when it could be sure to control the process, or when it anticipated the benefits of burden sharing regarding costly commitments. At the EU-Africa Summit in Lisbon on 8–9 December 2007, a common Africa strategy will again be on the agenda. It is quite conceivable that Paris will accept common guidelines in the area of development cooperation. In most other policy fields, this is unlikely to occur.
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 Inhalt Ein kurzer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Das koloniale Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Zuwanderung und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Macht der Generäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Französische Alleingänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Aufgeklärte Wirtschaftsinteressen oder Machenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 EU-Afrika-Strategie, EU-Afrika-Gipfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Welche Szenarien sind vorstellbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Szenario 1: »Kontinuität durch Wandel« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Szenario 2: Struktureller Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Perspektiven für die deutsche Afrika-Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 Aller Anfang ist schwer: Frankreich auf der Suche nach einer neuen Afrika-Politik Andreas Mehler Französische Afrika-Politik stand stets mehr im zösischer Afrika-Politik. Frankreich unterhält mit Fokus der Aufmerksamkeit als die Politik, die zwanzig afrikanischen Staaten südlich der Sahara andere europäische Staaten gegenüber dem Nach- militärische Kooperationsverträge, die in acht Fäl- barkontinent verfolgten. Nicolas Sarkozy gab schon len Geheimklauseln enthalten.3 Ein Netz von Mili- im Vorfeld seiner Wahl 2007 zum Präsidenten tärbasen sorgte für die schnelle Einsetzbarkeit in zu verstehen, dass er die sehr spezifischen Bezie- allen Subregionen des Kontinents. Allerdings wurde hungen zu »normalisieren« gedenke.1 Aber seine die Zahl der stationierten Truppen von einst 60 000 Signale bleiben widersprüchlich. beständig reduziert, zu Jahresbeginn 2007 waren ca. 10 000 Mann in Afrika im Einsatz.4 Trotz einiger Reformversuche in den 1990er Jahren änderte Ein kurzer Rückblick sich an diesem Bild wenig. Lediglich der erklärte Wille zur Europäisierung der eigenen Afrika-Poli- Die französische Afrika-Politik ist in einer Fin- tik wurde häufig wiederholt und in Ansätzen auch dungsphase. Während der Amtszeit Jacques Chiracs verwirklicht. gab es noch ein deutliches Profil, das in Frankreich, in Afrika, aber auch in EU-Mitgliedstaaten stark Über die Einrichtung der beiden west- und zen- kritisiert wurde. Es galt als tralafrikanischen CFA-Franc-Währungszonen5 behielt Frankreich überdies einen hohen Einfluss • stark an Interessen bestimmter Lobbys orientiert, in der Währungs- und Finanzpolitik seiner ehema- • europäisch nicht vernetzt, ligen Kolonien. 1994 erfolgte die fünfzigprozentige • übermächtig in Währungsfragen, Abwertung des an den französischen Franc gekop- • in hohem Maße militarisiert und pelten CFA-Franc, was auf afrikanischer Seite zu • politisch rückwärtsgewandt. heftigem Protest führte, Importe verteuerte und damit die Mittelschichten hart traf. Das Ziel der Erinnert sei an ambivalente bis herabwürdigende Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Stellungnahmen französischer Spitzenvertreter, der betroffenen Volkswirtschaften wurde nur sehr insbesondere vom Präsidenten Chirac, zur afri- begrenzt erreicht. Frankreich gelang es aber, die kanischen Demokratiebewegung. Letztlich stand feste Bindung des CFA-Franc an den Euro zu ver- Frankreichs Afrika-Politik über Jahrzehnte in anlassen, als die eigene nationale Währung entfiel.6 der Kontinuität ihrer Begründung unter Charles de Gaulle, der sich deutlich für einen weltweiten Auf diplomatischem Parkett feierte sich Frankreich Einfluss in ehemaligen Kolonien einsetzte, um durch die sogenannten Franko-Afrikanischen Gip- auf internationalem Parkett Unterstützung zu fel, die erst in den 1990er Jahren um Teilnehmer generieren, aber auch, um privilegierten Zugang aus dem nichtfrankophonen Afrika erweitert wur- zu Rohstoffen und Absatzmärkten zu sichern.2 den. Mehrfach wurde schon gemutmaßt, dass der Davon profitierten einige französische Topunter- Gipfel in Cannes (15./16.1.2007) der letzte seiner nehmen (zum Beispiel Accor, Air France, Bolloré, Art sein würde. Mit der Frankophonie-Bewegung Bouygues, früher Elf-Acquitaine, eher weniger und einem dichten Netz von französischen Kul- heute: Total) und ein Heer von Mittelsmännern, die turinstituten wollte sich Paris auch seinen Platz in Verbindungslinien zwischen Politik und Wirtschaft den Köpfen der intellektuellen Elite sichern. Weit sowohl in Frankreich als auch auf dem Nachbar- wichtiger waren die Beziehungen zu den jeweiligen kontinent hinter den Kulissen zu beeinflussen Staatschefs und auch eine klare staatliche Fixierung trachteten (Stichwort »Françafrique«). Von Beginn zum Beispiel der Entwicklungspolitik, wo zivilge- an wichtig war eine militärische Komponente fran- sellschaftliche Gruppen und Nichtregierungsor-
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 ganisationen – im Vergleich mit anderen Gebern Hand der Rebellen. Sukzessive fanden die Rebellen – einen geringen Stellenwert einnahmen. Unterstützung in zahlreichen Städten der nördlichen Landeshälfte – der Beginn der Spaltung des ehe- Zwei einschneidende Ereignisse der jüngeren maligen Vorzeigelandes im frankophonen Afrika. Geschichte haben die Gewissheit verstärkt, dass Die erst seit zwei Jahren amtierende, Frankreich- eine solche Politik einen zu hohen politischen und kritische Regierung unter Präsident Laurent Gbagbo materiellen Preis hat: Ruanda 1994 und Elfenbein- rief daraufhin Paris auf, das bestehende Verteidi- küste 2004. gungsabkommen anzuwenden und die stationierten Truppen zu mobilisieren. Dort sah man die Krise In Ruanda unterstützte Frankreich bis zuletzt poli- offiziell zunächst als innerivorische Angelegenheit tisch und militärisch das »exkludierende« Regime an; die Antipathie gegenüber Gbagbo mochte ein Juvénal Habyarimanas; und nach dessen gewalt- Motiv dafür sein. Erst am 28. Oktober schickte samen Tod am 6. April 1994 wurde wenig getan, Frankreich Truppen zur Friedenssicherung. In Frie- um dem Genozid an den Tutsi Einhalt zu gebie- densverhandlungen bei Paris vermittelte die ehema- ten.7 Die dann einsetzende militärische »Opération lige Kolonialmacht einen Frieden, der zumindest Turquoise« ermöglichte es vielen radikalen Milizen, in seinen Ausführungsbestimmungen für Gbagbo in die benachbarte Demokratische Republik Kongo inakzeptabel war. Das rigorose Auftreten auf fran- zu fliehen und von dort den Krieg fortzusetzen. zösischer Seite schuf zusätzlichen Widerstand. In Während es berechtigte Zweifel an der Lauterkeit der Folgezeit wurden immer neue, nicht umgesetzte der damaligen Rebellenbewegung und heutigen Friedensschlüsse formuliert. Gbagbo mobilisierte Regierungspartei Front Patriotique Rwandais gibt, die Straße – und weite Teile der öffentlichen Mei- ist weitgehend unbestritten, dass Paris seinen erheb- nung in Afrika! – gegen Frankreich, obwohl er lichen Einfluss nicht dafür genutzt hat, um mäßi- wenigstens zeitweise darauf angewiesen war, eine gend auf das Hutu-dominierte Regime einzuwirken. minimale militärische Unterstützung zu bekommen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Ohne Aussicht auf eine politische Lösung blieben französischen Nationalversammlung kam zu einem zunächst 4000 französische Soldaten (»Opération gemischten Urteil über die Politik der Regierung,8 Licorne«) an der Seite einer UN-Mission vor Ort. während sich in Afrika und weltweit der Eindruck verfestigte, dass Frankreich eine Mitschuld am Am 4. November 2004 verletzte die Regierungsar- Genozid trug, der ca. 800 000 Menschen (Tutsi und mee den Waffenstillstand einseitig und griff diverse gemäßigte Hutu) das Leben kostete. Stellungen der Rebellen an. Zwei Tage später bombardierten die beiden Kampfflugzeuge der ivo- Im November 2004 erlebten französische, aber auch rischen Luftwaffe Bouaké und griffen dabei offen- afrikanische Fernsehzuschauer, wie französische bar gezielt ein französisches Lager an. Bei diesem Soldaten in Abidjan (Elfenbeinküste) auf schwarze Angriff starben neun französische Soldaten und ein Demonstranten schossen und umgekehrt franzö- US-Bürger. Der französische Gegenschlag bestand sische Bürger, teilweise seit Jahrzehnten ansässig, in der kompletten Vernichtung der ivorischen Luft- durch die Straße der Metropole getrieben wurden.9 waffe. Es folgten wütende Proteste und antifran- Vorausgegangen war eine Abfolge militärischer zösische Ausschreitungen in Abidjan. Französische und diplomatischer Ereignisse, die Frankreich trotz Truppen rückten in die Nähe des Präsidentenpa- sehr intensiven Engagements nicht kontrollieren lasts vor, was zu Befürchtungen Anlass gab, man konnte.10 In der Nacht zum 19. September 2002 werde Präsident Gbagbo gewaltsam entfernen. Bei überfielen Bewaffnete strategische Punkte in Abid- den folgenden Unruhen starben nach offiziellen jan. Der Innenminister wurde erschossen, am Folge- Angaben 64 Menschen durch französische Kugeln tag in einem Racheakt auch ein ehemaliger Militär- (1300 Verletzte).11 Während in den französischen diktator – der Startschuss für das furchteinflößende Medien die Horrorerlebnisse fliehender Franzosen Treiben von Todesschwadronen. Während loyale die Nachrichtenlage dominierten, zeigten die regie- Truppen die Lage in Abidjan in den Griff beka- rungsnahen Organe in Abidjan die grausigen Bilder men, blieb die zweitgrößte Stadt, Bouaké, in der getöteter Ivorer. Paris bemühte sich nun intensiv
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 und erfolgreich um eine Beruhigung sowie auf dem scharf. Aber auch südlich der Sahara meldeten sich diplomatischen Parkett um eine Verurteilung der Intellektuelle wie Achille Mbembe vernehmlich ivorischen Regierung. Aber erst die »afrikanische zu Wort und nahmen die Debatte zum Anlass, die Lösung« der Krise durch den Präsidenten Burkina Behandlung von Zugewanderten heute mit denen Fasos, Blaise Compaoré (selbst kaum verdeckt zu der kolonialen »Untertanen« zu vergleichen, denen Beginn ein Unterstützer der Rebellion), schuf im die vollen Bürgerrechte verweigert wurden.14 März 2007 eine Atempause und die Chance auf einen geordneten Rückzug Frankreichs. Letztlich kassierte der französische Verfassungs- rat die umstrittene Formulierung Anfang 2006. Beide Ereignisse verweisen auf tiefer sitzende Sarkozy selbst erklärte dazu kurz, dass es Episoden Probleme französischer Afrika-Politik, die unter der Gewalt gegeben habe, er respektiere die »not- Sarkozy auf der Tagesordnung sein werden: das wendige Pflicht der Erinnerung«.15 Die Kolonisie- koloniale Erbe, Einwanderungsfragen, die Macht rung dürfe jedoch nicht mit der Sklaverei gleichge- der Generäle, französische Alleingänge, aufge- setzt werden. Er stellte die rhetorische Frage, ob klärte Wirtschaftsinteressen oder Machenschaften man Visa auf Lebenszeit ausstellen müsse, nur weil (»Françafrique«). man ein gemeinsames Kapitel in der Geschichte habe.16 Für viele ist das zu wenig oder schon wieder zu viel.17 Eine eigentümliche Mischung aus Selbst- Das koloniale Erbe anklage und Kolonialapologie konnte das Publikum dann auch Ende Juli an der Universität Dakar Mit all seinen formellen und informellen Einfluss- hören. In großem Pathos erinnerte Sarkozy dort kanälen hat Frankreich das Bild einer ehemaligen wieder an die Schicksalsgemeinschaft Afrika-Fran- Kolonialmacht genährt, die Jahrzehnte nach der kreich: »Et la France n’oublie pas ce sang africain juristischen Unabhängigkeit ihrer »Besitzungen« versé pour sa liberté«.18 die reale Unabhängigkeit nur unwillig zugesteht. Sarkozy möchte diesen Ballast offenkundig los- werden, und genau darin besteht die große Chance Zuwanderung und Integration für einen Neubeginn. Unmissverständlich erklärt er, dass Demokratie die richtige Regierungsform Als Innenminister unter Chirac hat Sarkozy das für Afrika sei,12 sein Vorgänger Chirac hatte sie als Thema der illegalen Immigration konsequenter Luxus bezeichnet. Chirac hat nie dementiert, dass aufgegriffen als alle seine Vorgänger. Die »erlit- er dem alten Modell (spöttisch »L’Afrique à Papa« tene Zuwanderung« (»immigration subie«) möchte genannt, also Paternalismus pur) anhing. Aber Sarkozy per Gesetz durch eine »gewählte Zuwande- Sarkozy tut dies in einem Tempo, das manch einen rung« (»immigration choisie«) ersetzen.19 Rund 10 aufschrecken lässt: Will sich der Präsident mit dem Prozent der erwachsenen Bevölkerung Frankreichs Hinweis auf die Mündigkeit seiner Gesprächspart- ist nicht in dessen Grenzen geboren – gegenüber ner in Afrika aus seiner Verantwortung stehlen, das 12,5 Prozent in Deutschland oder Österreich und heißt: weniger Entwicklungshilfe und Umgehung sogar 22,4 Prozent in der Schweiz.20 Auf den ersten der Frage nach der »Kolonialschuld«? Heftiger als je Blick ist dies also gar keine so dramatische Zahl. zuvor wurde in Frankreich 2005–2007 über koloni- Zwei Faktoren sorgen aber dafür, dass Immigration ale Erinnerung gestritten. Hohe Wellen schlug eine ein Reizthema ist: Gesetzesänderung durch die konservative Mehr- heit der französischen Nationalversammlung, die • Nach übereinstimmenden Schätzungen gibt es bis in Schulbüchern die Anerkennung »der positiven zu 500 000 »sans-papiers«, also illegale Immig- Rolle französischer Präsenz in Übersee« festgehal- ranten. Unter diesen befinden sich überpropor- ten sehen wollte.13 Weil das Gesetz vor allem die tional viele Afrikaner, die insgesamt aber nur ein »Algerien-Franzosen« betraf, die nach 1962 unter Drittel aller Zuwanderer ausmachen. schwierigen Bedingungen in die Metropole zurück- • Frankreich hat ein Ghettoproblem: Einige Stra- kehrten, war die Reaktion vor allem in Nordafrika ßen Pariser Vorstädte brannten 2005 und 2006.
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 In dieser Form ist das in den Nachbarländern kanischen Republik durch attackierende Rebellen unbekannt. zusehends unter Druck gerieten. Paris setzte dort Sarkozy verfolgt eine Politik der harten Hand und Mirage-Kampfflugzeuge ein, ohne Rücksprache der starken Worte. Als Sohn ungarischer Einwan- mit dem Parlament, ohne Abgleich mit der EU, derer fühlt sich der Präsident berufen und beson- der Afrikanischen Union oder den Vereinten Nati- ders geeignet, eine strikte Zuwanderungspolitik zu onen – einfach mit dem Verweis auf existierende betreiben. Hierzu gehört seine Vorstellung, mehr Verträge. Afrikaner in Frankreich auszubilden, dann aber wie- der zur Aufbauarbeit nach Hause zu schicken. Was Einmal so stark engagiert, wird es schwierig, sich afrikanische Gastarbeiter regulär in Frankreich ver- wieder zurückzuziehen. Andererseits sind die mili- dienen, könnte sogar steuerfrei in die Heimatländer tärischen Abenteuer kostspielig. Die im September zurückfließen, um dort investiert zu werden – nicht 2005 verfügte Reduktion der französischen Mili- zuletzt zur Sicherung von lokalem Wohlstand, tärbasen in Afrika auf vier Standorte – Dschibuti der den Migrationsfluss bremsen dürfte. Diese (2900 Soldaten), Senegal (1130), Elfenbeinküste Ideen gehören in den Bereich der Prävention; kein (70022) und Gabun (850) – könnte sich noch als Zweifel besteht aber auch daran, dass Sarkozy kon- eine Entscheidung mit großer Tragweite heraus- sequent illegale Zuwanderung unterbinden wird. stellen. An die Stelle der »forces prépositionnées« Quantitative Vorgaben zur Abschiebung illegaler sollten offenbar zunehmend kurzfristige Auslands Zuwanderer für jeden Präfekten gehören hierzu einsätze treten. Doch welcher Rahmen wird bevor- (für 2006: 25 000). Zuckerbrot und Peitsche wer- zugt – EU, UN oder NATO? Und wie ist das Echo den also genutzt. Die aufgeheizte innenpolitische von außen? Das Vorzeigeprojekt ist hier RECAMP Diskussion, Fremdenfeindlichkeit und die Versäum- (Renforcement des capacités africaines en maintien nisse der Stadtplanung bleiben Frankreich aber de la paix). Für die Afrikanische Union sollen in wohl auch mit Sarkozy erhalten. In Afrika wurde gegenseitiger Abstimmung Peacekeeping-Potenziale der Präsident in seinen Ministerjahren auf breiter aufgebaut werden, durch klassische Ausbildungs- medialer Front als Menschenfeind abgestempelt. maßnahmen und gemeinsame Manöver. Frankreich Er fühlt sich hier missverstanden. Nicht sehr viel preist das Programm an und wirbt bei europäischen besser ging es ihm mit seiner jüngsten Rede an der Partnern – auch bei Deutschland – um finanzielle Universität von Dakar: Der herbeigesehnte Bruch Beiträge. Aber noch scheint es an der Seine wenig mit schlechten Traditionen fand jedenfalls nicht Bereitschaft zu geben, RECAMP als Instrument statt.21 Es ist keine kleine Aufgabe, dieses Image zu der ESVP in die EU einzugliedern, wobei auch korrigieren. unklar bleibt, ob gerade kleinere EU-Länder dies unterstützen würden, da sie eine Verlängerung kolonialer Einflusspolitik auf ihre Kosten vermu- Die Macht der Generäle ten. Statt des Engagements bei RECAMP befür- worten viele deutsche Entscheidungsträger das Frankreichs spezifische Afrika-Politik entwickelte auch für Afrika relevante »Battle Group«-Konzept sich im Kalten Krieg und schuf ein System aus (im EU-Rahmen) nicht zuletzt deswegen, weil dort Geheimdienst, Militär, Parteipolitik und Wirt- bei Dritten kein Verdacht einer deutsch-franzö- schaft, das oft zu Unrecht als monolithischer sischen Absprache besteht – zumal auch Großb- Block gesehen wurde. Über die militärische Seite ritannien sowie kleinere Staaten mit an Bord sind. wird wenig gesprochen. Nach einer längeren Beide Konzepte widersprechen sich nicht, im einen Phase der Zurückhaltung in der zweiten Hälfte der Fall geht es um afrikanische, im anderen um euro- 1990er Jahre engagierte sich Frankreich mit dem päische Friedenswahrer; die Qualität der RECAMP- Einsatz in der Elfenbeinküste 2002 erneut auf Ausbildung gilt außerdem als sehr gut. Bezeichnend militärischer Ebene. Hier suchte Paris schnell ein ist aber das Misstrauen gegenüber französischen UN-Etikett für die eigene »Opération Licorne«. So Vorstößen im restlichen Europa. Auffällig ist fer- viel Mühe machte man sich im Jahr 2006 nicht, als ner, dass sich Frankreich gerade im Vergleich zu die Regierungen des Tschad und der Zentralafri- den meisten Nachbarn bei der zivilen Krisenprä-
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 vention sehr zurückhält und entsprechende Debat- auch in Deutschland gibt es allerdings Stimmen, die ten gar nicht geführt wurden.23 eine weitgehende Europäisierung der Afrika-Politik als problematisch ansehen. Die Verlagerung auf die Das französische Engagement für Frieden in Brüsseler Bühne enthält vor allem das Risiko, dass Afrika hat damit eine militärische Schlagseite, die es auf dieser Ebene an einer kritischen Öffentlich- nur aus historischer Perspektive verständlich wird: keit fehlt. In den Demokratien der Mitgliedstaaten Eine ganze Reihe französischer Generale haben in können Regierungen immer noch besser zur Ver- ihrer Karriere eine oder mehrere afrikanische Stati- antwortung gezogen werden als auf EU-Ebene onen durchlaufen. Ihr Einfluss in Paris ist nicht zu (selbst wenn die Machtfülle des französischen unterschätzen. Sie dürften auch weiterhin Interesse Präsidenten gerade in der Außenpolitik gegenüber an einem afrikanischen »Spielfeld« haben. Sowohl einem ohnmächtigen Parlament ins Auge sticht). In bei der Artemis-Mission im Ostkongo als auch bei Deutschland fürchtet man, dass die Übertragung der EUFOR-Mission zur Absicherung der Wahlen auf die EU postkoloniale Bemühungen Frankreichs in der Demokratischen Republik Kongo, beides im (in zweiter Linie auch Portugals, Belgiens und Rahmen der ESVP, wurde Frankreich vor Ort als Großbritanniens) kaschieren könnte. Gleichzeitig die treibende und sichtbarste Kraft angesehen. Das ist nicht zu verkennen, dass EU-Mitgliedstaaten oft war durchaus von Paris intendiert – und zugleich nur sehr schwer dazu zu bewegen sind, Verantwor- in hohem Maße problematisch. Denn Frankreich tung in Afrika zu übernehmen. hatte früh auf den Amtsinhaber Laurent-Desiré Kabila gesetzt, die Neutralität des europäischen Daran hat es im Falle Frankreichs selten gefehlt. Einsatzes war vor Ort kaum vermittelbar. Euro- Problematischer ist daher sogar noch, dass Fran- päisierung à la française kann besonders dann kreich schwierige Beziehungen zur Afrikanischen problematisch sein, wenn das Ansehen der ehema- Union unterhält. Personifiziert wurde dies durch ligen Kolonialmacht in Frage steht – nicht zuletzt das schlechte Verhältnis zwischen Chirac und AU- wegen schneidiger militärischer Auftritte. Es wird Kommissionspräsident Alpha Oumar Konaré. Der daher durchaus von Interesse sein, wie sichtbar Vorstoß des neuen Außenministers Bernard Kou- das Militär im französischen Afrika-Engagement chner zur Lösung der Darfur-Krise war zunächst bleibt. überhaupt nicht mit der AU abgestimmt, die dort immerhin Friedenstruppen unterhält. Die Pariser Darfur-Konferenz wurde zu einem diploma- Französische Alleingänge tischen Desaster. In der Sudan-Frage wurden am Ende doch gemeinsame Lösungen gefunden, die Nicht nur in der Sicherheitspolitik hat sich der Ein- entsprechende UN-Resolution, gemeinsam von druck verfestigt, dass Frankreich in Afrika die euro- Frankreich und Großbritannien sowie den USA päische Karte nur dann zieht, wenn es glaubt, den eingebracht, nimmt auch französische Vorstöße Prozess kontrollieren zu können. Wichtiger Neben- wieder geschickt auf, indem die AU-Mission nun aspekt ist stets das europäische »Burden-sharing« doch in eine gemeinsame UN-AU-Operation inte- kostspieliger Engagements. Mit Übertragung realer griert wird. Frankreich mühte sich aber weiterhin, Kompetenzen hat dies bisher wenig zu tun. Zu den die eigenen Pläne zur Sicherung der Grenzzonen Problemen im deutsch-französischen Verhältnis zwischen Sudan, Tschad und Zentralafrikanischer gehört die geringere Werteorientierung auf der Republik über eine flankierende europäische Mis- anderen Rheinseite. Die afrikanischen Verantwort- sion zu verwirklichen. Trotz einstimmiger Unter- lichen für schwere Menschenrechtsverletzungen stützung im UN-Sicherheitsrat für eine 4000 Mann finden in Frankreich deutlich mehr Verständnis starke Truppe (26.9.2007) fand dieses Ansinnen als in allen anderen europäischen Staaten: Das galt aber nicht viele Freunde. Nichtregierungsorganisa- lange für die Staatsführung im Sudan, das scheint tionen stellten offen die Frage, ob eine von Frank- auch für Simbabwe zu gelten. Es wäre durchaus reich dominierte Truppe in seinen Exkolonien als hilfreich, wenn sich Frankreich einmal der Initiative neutral angesehen werden könne. Und mit Mühe Anderer anschließen könnte.24 In Frankreich, aber konnten innerhalb der EU bis Mitte Oktober ca.
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 2500 Mann gefunden werden, davon 1500 Mann reichs Außenhandelsbilanz mit Afrika positiv ist, aus Frankreich selbst, um die Mission personell sehen die Daten nicht so schlecht aus. Und für auszustatten. einige wichtige Unternehmen stellt der Nachbar- kontinent über 20 Prozent des Auslandsgeschäfts Diese Art von französischer Einflussnahme zur dar (zum Beispiel Bolloré oder Peugeot). Auch die Herstellung eines multilateralen Feigenblatts für alte Hotelgruppe Accor, die Brauereigruppe Castel, Interessenpolitik wird es auch weiterhin geben, weil das Energieunternehmen Vivendi, Telekommuni- sich niemand in der EU offen gegen Paris stellen kationsfirmen wie Alcatel oder France Télécom möchte. Nicht zuletzt mit Blick auf Sarkozys über- machen gute Geschäfte, deren Wegfall die Fir- raschende Offerten an Libyens Revolutionsführer menzentralen schwer treffen würde.26 Richtig ist, Muammer el-Khadafi (im Spektrum von Nuklear- dass mit Südafrika, Angola und Nigeria neben technologie bis Waffenlieferungen) wird man aber der Elfenbeinküste und Kamerun auch Staaten sagen müssen, dass die EU auch vor noch weit pro- von außerhalb des »pré-carré« zu den wichtigsten blematischeren französischen Volten in der Afrika- Partnern südlich der Sahara zählen. Frankreich hat Politik nicht sicher sein kann. damit solide, wenn auch nicht mit anderen Kon- tinenten vergleichbare Wirtschaftsinteressen in Afrika. Aufgeklärte Wirtschaftsinteressen oder Machenschaften Welche Politik wird die neue konservative Regie- rung hier verfolgen? Sarkozy wandte sich offen Nicht nur die Diskussion in Frankreich selbst, gegen die »Netzwerke aus einer anderen Zeit«.27 sondern auch die deutsche Diskussion zur franzö- Auf der anderen Seite unterhält er beste Bezie- sischen Afrika-Politik ist stark geprägt vom »Fran- hungen zu einem Teil der großen Drahtzieher im çafrique«-Konzept, also der engen Verquickung Afrika-Geschäft: Als Sarkozy nach seinem Wahl- afrikanischer und französischer Eliten zur diskreten sieg eine Auszeit nahm, war dies auf der Yacht Absprache im gegenseitigen Interesse. Auch aus von Vincent Bolloré!28 Zu den besten Kontakten der Sicht deutscher Entscheidungsträger wird oft und ersten Besuchern Sarkozys gehörte Gabuns moniert, es sei fast nicht möglich, im frankophonen Präsident Omar Bongo, das Sinnbild frankoafrika- Afrika stärker ökonomisch und politisch präsent zu nischer Machenschaften. Als Schlüsselfrage gilt, ob sein. Französische Offizielle haben über Jahrzehnte Sarkozy fortfährt, die wesentlichen Entscheidungen gerne das Bild geprägt, dass etwa die Hälfte des zur Afrika-Politik in einer »Cellule Africaine« im Kontinents die »chasse gardée« Frankreichs sei. Seit Elysée-Palast treffen zu lassen. So hatten es seine wenigen Jahren gilt das nicht mehr als opportun. Vorgänger gehalten und damit die technokratischen Aller jüngeren Rhetorik zum Trotz sehen deutsche Abläufe der Sachpolitik in den Fachressorts regel- Wirtschaftskreise kaum Veränderungen in den hier- mäßig außer Kraft gesetzt. Vorerst hält Sarkozy an aus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen. einer ähnlichen, gut ausgestatteten Struktur fest,29 allerdings hat deren Leiter Bruno Joubert keinen Letztlich könnte das aber ein Mythos sein, der direkten Zugang mehr zum Präsidenten, sondern den eigenen Misserfolg kaschiert. Sehr wohl ist muss bei seinem Vorgesetzten, dem diplomatischen es aggressiven chinesischen Unternehmen gelun- Berater Jean-David Levitte, vorsprechen.30 Es wird gen, auch in frankophonen Staaten Fuß zu fassen. sich zeigen, ob dies eine nennenswerte Änderung Das ökonomische Gewicht Afrikas für Frankreich bedeutet. Joubert gilt immerhin als sehr misstrau- wurde von Sarkozy stark relativiert (»wirtschaftlich isch gegenüber den selbsternannten Mittelsmän- brauchen wir Afrika nicht«),25 weshalb das Fach- nern aus dem »frankoafrikanischen Dorf«. Dies hat blatt Jeune Afrique recherchierte und auf eine nicht verhindert, dass auch die erste Afrika-Reise wachsende Bedeutung des Kontinents für den Sarkozys als Präsident wieder in die ehemaligen französischen Außenhandel stieß: 2004 machte der Kolonien ging, nach Senegal und – offensichtlich afrikanische Anteil (freilich inklusive Nordafrika) mit Nachdruck vom »Doyen« Bongo eingeklagt 4,8 Prozent, 2005 sogar 5,1 Prozent aus. Weil Frank – nach Gabun. 10
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 In Gabun gibt es Erdöl, Tropenholz und – Uran. eines gemeinsamen konsularischen Dienstes der Für den Energiekonzern AREVA hat sich Sarkozy EU zur Ausstellung von Visa für den Schengen- persönlich eingesetzt, als dieser sein Geschäft im Raum. Hier sind Fortschritte – gerade während der Niger zu verlieren drohte. 43 Prozent des von französischen Ratspräsidentschaft – möglich. AREVA produzierten Urans kommt aus dem bet- telarmen Niger, die eigenen französischen Reserven sind weitgehend erschöpft, und der Weltmarkt- Welche Szenarien sind vorstellbar? preis steigt.31 In der Wüstensiedlung Arlit hat nur der französische Nuklearkonzern etwas zu sagen. Grundsätzlich können zwei unterschiedliche Szena- Hinweise auf erhebliche Strahlenbelastung der rien entworfen werden. Mischformen sind denkbar, Arbeiter gibt es – aber wenig Beweise.32 Als die aber letztlich steht zu erwarten, dass diese Szena- Regierung in Niamey nun den örtlichen AREVA- rien den Korridor beschreiben werden, in dem sich Direktor zur unerwünschten Person erklärte und französische Afrika-Politik in der laufenden Amts- chinesischen Firmen Konzessionen anbot, erhöhte zeit entwickeln wird: AREVA umgehend die Royalties, um Schlimmeres zu verhindern. Es sind solche Ereignisse, die daran zweifeln lassen, dass sich Frankreichs Afrika-Politik Szenario 1: »Kontinuität durch Wandel« ändert. • Französische Afrika-Politik bleibt interventionis- tisch, aber mit einer Akzentverschiebung: Der humanitäre Aktivismus gepaart mit einem neuen, EU-Afrika-Strategie, EU-Afrika- auf Werte zielenden Pathos wird unter dem prä- Gipfel genden Einfluss des Außenministers Kouchner zum sicherheitspolitischen Markenzeichen Frank Im Dezember 2005 einigten sich die EU-Mit- reichs – mehr kürzere Peacekeeping-Einsätze, gliedstaaten auf einen Konsens zu Entwicklungs- relativer Bedeutungsverlust der Militärbasen vor fragen und eine EU-Afrika-Strategie, die für die Ort, aber Fortführung einer stark militärisch Kommission und für alle Mitgliedstaaten gelten geprägten Afrika-Politik. soll. Bestehende Initiativen (Cotonou-Vertrag, das • Die privilegierten Beziehungen zu einer Hand- MEDA-Programm mit Nordafrika und das Han- voll Staatschefs (insbesondere Omar Bongo dels-, Entwicklungs- und Kooperationsabkommen Ondimba / Gabun, Paul Biya / Kamerun, Denis mit Südafrika) werden erstmals zusammengefasst, Sassou-Nguesso / Kongo-Brazzaville) werden die innereuropäische Koordination wird gestärkt, fortgesetzt, allerdings bei geringerer Sichtbarkeit und die Strategie geht über das klassische Feld der dieser Beziehungen (Verkleinerung oder Aufgabe Entwicklungszusammenarbeit hinaus (also zum der afro-französischen Gipfel, geringere Anzahl Beispiel auch in den militärischen Bereich hin- von Afrika-Reisen französischer Spitzenvertreter) ein). Theoretisch gibt es seitdem eine gemeinsame und bei Überprüfung der Beziehungen zu den Afrika-Politik, aber die Implementierung der Strate- schwierigeren Vertretern der alten Politik (Togo, gie kostet Zeit. Die EU-Strategie ist die Grundlage Tschad). aktueller, weitergehender Verhandlungen mit der • Vorbehalte gegen eine stärkere Multilateralisie- Afrikanischen Union und soll auf dem kommen- rung bleiben erhalten. Die EU wird wie bislang den EU-AU-Gipfel am 8./9. Dezember 2007 in nur oberflächlich in die eigene Politikgestaltung Lissabon diskutiert werden. Die Spielräume fran- einbezogen; die Afrikanische Union wird bei zösischer und aller anderen nationalen Afrika-Poli- Bedarf mittels der Subregionalorganisationen tiken sollten also schrumpfen. Während durchaus (insbesondere CEMAC, teilweise ECOWAS) vorstellbar ist, dass sich Paris im Bereich der Ent- überspielt. wicklungszusammenarbeit gemeinsamen Vorgaben • Die ökonomische Vorzugsbehandlung franzö- unterwirft, ist dies in den meisten anderen wesent- sischer Unternehmen durch einflussreiche Kreise lichen Politikfeldern kaum denkbar. Sarkozy ver- und Regierungen in den ehemaligen Kolonien folgt aber immerhin mit Nachdruck den Gedanken wird diskret weiter erwartet und auch unterstützt. 11
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 Szenario 2: Struktureller Wandel Amts, des Bundesministeriums für wirtschaftliche • Präsident Sarkozy bestimmt die Außenpolitik Zusammenarbeit und Entwicklung sowie des Ver- weitgehend selbst, die Afrika-Politik wird mit teidigungsministeriums aber kaum. Nur bei einer weniger Pathos und klarerer Interessensteue- radikalen Veränderung könnte es sinnvoller sein, rung betrieben. Im Vergleich zu anderen Konti- das alte französisch-deutsche Tandem wieder flott nenten erfährt Afrika eine klare Abwertung und zu machen und für europäische Zwecke in Gang zu Unterordnung unter die Innenpolitik (Stichwort setzen. Die Zusammenarbeit mit Frankreich wird Zuwanderung). Dies führt zu einer neuen Selek- vor allem dann leichter, wenn an der Seine endlich tion der wichtigsten Partner nach klaren geostra- eine ehrliche Bewertung der eigenen Afrika-Politik tegischen und ökonomischen Kriterien, mithin zu vorgenommen würde. Das »objektive Interesse« einer Aufwertung Südafrikas und Angolas. Frankreichs könnte es in der Tat sein, nicht etwa • Schrittweise vollzieht sich ein weiteres militä- bilaterale Sonderbeziehungen zu pflegen, son- risches Disengagement, beginnend mit der Elfen- dern sich multilateral einbinden zu lassen und aus beinküste, wo nach der Beendigung der »Opéra- europäischer Sichtweise zu agieren. Das würde es tion Licorne« auch die Militärbasen geschlossen Deutschland erleichtern, auch dort fortgesetzt zu werden. kooperieren, wo es positive gemeinsame Erfah- • Einige Dossiers, darunter auch die militärische rungen gibt: bei der technischen Bewältigung von Ausbildung im RECAMP-Rahmen, werden der Krisen. Noch erfolgversprechender wäre allerdings, EU überlassen. Der begrenzte Enthusiasmus wenn Frankreich nicht so sehr auf den deutschen auf EU-Ebene führt zu einer Unterfinanzierung Partner schauen, sondern gleichzeitig weitere euro- dieses Programms. Eventuell gelingt auch eine päische Nachbarn mit in eine neue europäische stärkere Übertragung des Währungsdossiers, es Afrika-Politik einbeziehen würde. Am besten kann folgt eine neue Abwertung des CFA-Franc. dies gelingen, wenn das heiße Eisen Zuwanderung • Die offizielle Politik begleitet französische Unter- auf eine zugleich nehmen sehr viel verhaltener als bisher und setzt vollkommen auf deren schon bestehende • zukunftsfähige (Anerkennung, dass ein bestimm- Marktvorteile. tes Maß an Zuwanderung unvermeidlich ist), • Kostspielige Prestigeprojekte, darunter der afro- • menschenwürdige (die Modalitäten der Zuwande- französische Gipfel, werden abgeschafft. An rung dürfen nicht den europäischen Standard an Stelle der Treffen auf Spitzenebene werden nun Rechtsstaatlichkeit untergraben), andere Ebenen wichtiger: Kooperation der Parla- • praktikable (die Visavergabe erfolgt nach trans- mente, Austausch auf technokratischer Ebene. parenten Kriterien und ohne bürokratische Ver- schleppung) und • kooperative (afrikanische Regierungen, bei Perspektiven für die deutsche Bedarf auch lokale Gebietskörperschaften, wer- Afrika-Politik den zum Beispiel in die Gestaltung von Migrati- onsregelungen einbezogen) Bei den Gestaltern deutscher Afrika-Politik gibt es gegenwärtig eine starke Zurückhaltung zur engeren Basis gestellt wird. Dazu müssten Korrekturen der Kooperation mit Frankreich. Die Befürchtungen, bisherigen Politik vorgenommen werden, allerdings wie in der Vergangenheit als »Juniorpartner« oder stehen dem reale französische Interessen in Afrika »Zahlmeister« gefragt zu sein, aber nicht mitre- und Europa sowie ein ehrgeiziger französischer den zu dürfen, sitzt tief. Quer durch die Parteien Präsident entgegen. und Administrationen gibt es eine recht klare Absage an rein bilaterale Initiativen. Sollte sich Andreas Mehler, Direktor des GIGA Instituts für der humanitäre Interventionismus à la Kouchner Afrika-Studien, Hamburg. durchsetzen, wird sich in der öffentlichen Meinung Deutschlands eventuell deutliche Sympathie mobi- lisieren lassen, in den Apparaten des Auswärtigem 12
Dezember 2007 | DGAPanalyse Frankreich 05 Anmerkungen 1 Das wichtigste Dokument ist eine frühe Grundsatzrede 14 Le Messager (Douala, Kamerun), 27.9.2005. zur Afrika-Politik, die Nicolas Sarkozy vor dem Parlament 15 Sarkozy, Politique de la France en Afrique, op. cit. Benins schon am 19. Mai 2006 gehalten hat: Sarkozy, Poli- (Anm. 1). tique de la France en Afrique, (Zugriff 17 Wissenschaftliche Debatten zur Erinnerung an die Kolo- 15.7.2007). Mehr Programmatisches in einem predigenden nisation haben sich nicht zufällig 2006 entsponnen. Vgl. Stil an die »afrikanische Jugend« findet sich in seiner Rede dazu Politique Africaine, Nr. 102/2006. vor der Universität Dakar am 26. Juli 2007, (Zugriff 2.8.2007). Die 19 Loi n° 2006-911 (24.7.2006) relative à l’immigration et à »essenzialisierenden« Aussagen zum »afrikanischen Men- l’intégration. schen« wirken seltsam anachronistisch. 20 Angaben nach: Jeune Afrique, 4.–10.3.2007. 2 Vgl. Gisela Müller Brandeck-Bocquet, Die Afrikapolitk Frankreichs zwischen Einflusswahrung und Multilaterali- 21 Vgl. Falila Gbadamassi, »L’Eurafrique« : la vraie fausse sierung, in: dies. u. a., Die Afrikapolitik der Europäischen rupture de Nicolas Sarkozy, (Zugriff 1.8.2007). Dort wird auch Denis Tull, Zeitenwende in der französischen Afrikapoli- AU-Präsident Alpha Oumar Konaré aus einem RFI-Inter- tik (SWP aktuell 44), Berlin 2005. view zitiert, der die Rede als »nicht die Art Bruch, die gewünscht war,« charakterisierte. 3 Elfenbeinküste, Gabun, Kamerun, Seychellen, Tschad, Togo, Zentralafrikanische Republik (ZAR), Simbabwe. 22 Zusätzlich sind in der Elfenbeinküste ca. 3000 Mann der »Opération Licorne« als Friedenswahrer eingesetzt (Juli 4 Neben den »forces prépositionnées« auch Soldaten im 2007, alle Angaben laut Homepage des französischen Ver- Auslandseinsatz (Elfenbeinküste, Tschad, ZAR). teidigungsministeriums , 5 Die CFA-Franc-Zone umfasst die beiden Währungsräume Zugriff 18.7.2007). In den afrikanischen Übersee-Dépar- des CFA-Franc BEAC in Zentralafrika und des CFA- tements sind weitere Militärs stationiert: auf Réunion Franc BCEAO in Westafrika. Beide Währungen sind zu (3300) und Mayotte (750). Die »Opération Epervier« im einem Wechselkurs von 655,957 CFA-Franc je Euro an Tschad verfügt über 1100 Mann, die »Opération Boali« in die Währung der Eurozone gekoppelt. der Zentralafrikanischen Republik über 220 Mann. 6 Das französische Schatzamt verwaltet im Gegenzug 50 23 Mehler, Major flaws in conflict prevention policies Prozent der Währungsreserven der betroffenen Länder. towards Africa. The Conceptual Deficits of Interna- 7 Immer noch die beste Darstellung ist Gérard A. Prunier, tional Actors’ Approaches and How to Overcome Them The Rwanda crisis 1959–1994 : History of a genocide, (Deutsches Übersee-Institut), Hamburg 2005, S. 23 f. London 1995, S. 281 ff. 24 So Ronja Kempin, Stiftung Wissenschaft und Politik, in 8 Rapport de la Mission d’information parlementaire sur le einem Interview mit dem Autor am 25.10.2005. Rwanda, (Zugriff 15.12.1998). das Le Monde, 14.2.2007. 9 Dies ist auch der Ausgangspunkt der Analyse von Antoine 26 Alle Angaben nach: Jeune Afrique, 11.–17.2.2007. Glaser, Stephen Smith, Comment la France a perdu l’Afri- que. Paris 2005. 27 Sarkozy, Politique de la France en Afrique, op. cit. (Anm. 1). 10 Vgl. Andreas Mehler, Côte d’Ivoire: Chirac allein zu Haus? (Institut für Afrika-Kunde), Hamburg 2004. 28 Bolloré gehört zu den französischen Geschäftsleuten mit den besten Afrika-Netzwerken, siehe L’Express, 11 Nach Angaben der ivorischen Regierung gegenüber AFP, 18.6.2007. 24.11.2004. 29 Jeune Afrique, 15.–21.7.2007. 12 Sarkozy, Politique de la France en Afrique, op. cit. (Anm. 1). 30 L’Express, 18.6.2007. 13 Artikel 4, loi n° 2005-158 (23.2.2005) portant reconnais- 31 Die Welt, 12.8.2007. sance de la Nation et contribution nationale en faveur des 32 Communiqué de presse « La responsabilité sociale et Français rapatriés. Ein Abänderungsvorschlag der linken environnementale d’Areva est mise en cause par Sherpa, Oppositionsparteien wurde im November 2005 mit der Médecins du Monde et CRIIRAD », (Zugriff 12.9.2007). 13
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