Diabetes, Sport und Bewegung - Deutsche Diabetes ...

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DDG Praxisempfehlung

       Diabetes, Sport und Bewegung

       Autoren
       Katrin Esefeld1, Peter Zimmer2, Michael Stumvoll3, Martin Halle1, 2, 4

       Institute                                                       Bibliografie
       1 Präventive und Rehabilitative Sportmedizin, Klinikum          DOI https://doi.org/10.1055/s-0043-116006
          rechts der Isar, Technische Universität München, München     Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217
       2 AG Diabetes und Sport der DDG                                 © Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart · New York
       3 Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinik    ISSN 1861-9002
          Leipzig, Leipzig
                                                                       Korrespondenzadresse
       4 Deutsches Zentrum für Herzkreislaufforschung (DZHK),
                                                                       Univ.-Prof. Dr. med. Martin Halle
          partner site Munich Heart Alliance (MHA), München
                                                                       Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar,
                                                                       Präventive und Rehabilitative Sportmedizin, Georg-Brauchle-
                                                                       Ring 56, 80992 München
                                                                       Tel.: ++ 49/89/28 92 44 31
                                                                       Fax: ++ 49/89/28 92 44 50
                                                                       halle@sport.med.tum.de

Diese Praxisleitlinie soll die pathophysiologischen Hintergründe       gerung des transmembranösen Glukosetransports ermöglicht
und therapeutischen Optionen zur Bedeutung von körperlicher            und eine Senkung des Glukosespiegels induziert werden [2].
Aktivität in der Therapie des Diabetes mellitus in Grundzügen              Der durch die Muskelarbeit bedingte systemische Glukoseab-
umreißen und praktische Empfehlungen für die Umsetzung bei             fall wird durch eine präzise und adäquate Steigerung der hepa-
Typ-1- und Typ-2-Patienten geben. Sie ist eine Aktualisierung der      tischen Glukosefreisetzung ausgeglichen, wenn keine gleichzeiti-
bisherigen Praxisleitlinien von 2014 [1].                              ge Glukoseresorption aus der Nahrung zur Verfügung steht.
                                                                       Die Steigerung dieser Freisetzung wird im Wesentlichen durch
                                                                       eine Hemmung der pankreatischen Insulinsekretion und des
Physiologie des muskulären                                             daraus resultierenden Abfalls des Insulinspiegels im Pfortaderblut
                                                                       bewirkt. Unterstützend und modulierend wirken dabei die kon-
Glukosestoffwechsels                                                   trainsulinären Hormone (Glukagon, Katecholamine und Cortisol).
Kontraktionen der peripheren Skelettmuskulatur erhöhen den             Fehlen Hormone wie Glukagon nach Zelluntergang wie der Pan-
muskulären Energieverbrauch. In Abhängigkeit von der Belas-            kreatitis, ist diese Gegenregulation aufgehoben, und dies kann zu
tungsintensität und -dauer kann dieser auf das 8- bis 10-Fache         schwerwiegenden, z. T. letalen Hypoglykämien führen.
des Ruhebedarfs ansteigen. Wird der Energieverbrauch unter                 Diese hepatischen und muskulären Energiespeicher werden
Ruhebedingungen primär durch die Oxidation freier Fettsäuren           während und nach Beendigung der Muskelarbeit wieder aufge-
gedeckt, so wird unter körperlicher Belastung der Energiebedarf        füllt. In Abhängigkeit vom Entleerungsgrad kann die Glukoseauf-
anfangs vorrangig durch Glykolyse und bei länger andauernder           nahme in die Muskulatur noch bis zu 48 Stunden nach Ende der
Muskelarbeit ergänzend durch ß-Oxidation von freien Fettsäuren         Muskelarbeit erhöht sein, was für die medikamentöse Einstellung
gedeckt. Zu Beginn der körperlichen Belastung wird zunächst            und Reduktion der Dosis von Bedeutung ist. Intensive und zeitlich
intramuskuläre Glukose verbraucht, die aus dem Abbau der mus-          lange Belastungen der Muskulatur wie exzentrische Belastungs-
kulären Glykogenreserven stammt. Ergänzend gelangt Glukose             formen (z. B. Bergabgehen über mehrere Stunden beim Wandern)
über eine Steigerung des transmembranösen Glukosetransports            führen zu starken Entleerungen der muskulären Speicher. Gleich-
aus dem Blut in die Muskelzelle. Dies erfolgt durch eine Translo-      zeitig kann es durch diese Belastungsform zu Schädigungen der
kation von Glukosetransportern, im Fall der Muskulatur GLUT-4,         Muskelmembran inklusive der Insulinrezeptoren kommen, was
vom endoplasmatischen Retikulum an die Muskelzellmembran,              sich in einer verstärkten Insulinresistenz widerspiegelt und ein
ein Vorgang, der insulinunabhängig ist und durch Muskelmem-            Auffüllen der muskulären Glukosespeicher protrahiert.
brankontraktion induziert wird. Die Eigenkontraktion der Muskel-
fasern entspricht somit der physiologischen Wirkung des Insulins.
So kann auch bei Insulinresistenz wie bei Typ-2-Diabetes eine Stei-

S212                                                                            Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217
Nutzen und Nachteile von körperlicher                                                 tung, 2. des Glukoseanstiegs nach Nahrungsaufnahme, 3. der
                                                                                      Insulinreaktion nach Injektion sowie 4. des körperlichen Trai-
Aktivität bei Typ-1-Diabetes                                                          ningszustands der Muskulatur und des gesamten Organismus
                                                                                      ist eine praktische Wissensvermittlung und Schulung inklusive
Pathophysiologie                                                                      der Austestung der individuellen Anpassung von zentraler
Bei Typ-1-Diabetikern fehlt die pankreatische Insulinsekretion, die                   Bedeutung [4].
exogen substituiert werden muss. Mit jeder Insulininjektion
kommt es zu einem relativen Insulinüberschuss, der die musku-                      Praxis der Prävention sportinduzierter
läre Glukoseaufnahme steigert, gleichzeitig aber die hepati-                       Komplikationen: Basisregeln
sche Glukosefreisetzung blockiert. Daraus resultiert ein Abfall                    ▪ Da es nur grobe Dosis-Wirkungs-Beziehungen gibt, müssen
des Blutglukosespiegels, der bei erhöhtem Ausgangsserumwert                          individuelle Anpassungsregeln für jeden Patienten erarbeitet
erwünscht ist, aber bei längerer Dauer der körperlichen Aktivität                    werden.
und bei bereits zu Beginn der Muskelarbeit bestehender Normo-                      ▪ Dazu sollten bei sportlicher Aktivität regelmäßig Blutzucker-
glykämie rasch unerwünschte Hypoglykämien zur Folge hat. Des-                        profile erstellt und zusammen mit Insulindosis, Injektions-Trai-
halb ist die genaue Abstimmung aus Bewegungssteigerung und                           ningszeit-Abstand, Zusatzkohlenhydraten und Belastungsform
Reduktion der Insulindosis von zentraler Bedeutung.                                  (Ausdauer-, Krafttraining, Intensität, Trainingspuls) in einem
   Wichtig ist hingegen eine Basisinsulinversorgung, ohne die eine                   Sporttagebuch protokolliert werden. Dieses Protokoll bildet
Aufnahme von Glukose in die periphere Muskulatur nur sehr einge-                     die Basis für die Analyse individueller Stoffwechselreaktionen
schränkt möglich ist. Auslassen von Insulininjektionen oder Kathe-                   beim Sport, dient zur Sammlung von Erfahrungen und hilft bei
terokklusionen bei Insulinpumpentherapie führen zu absolutem,                        Therapieoptimierung mit dem Ärzte- oder Diabetesteam.
Infekte zu relativem Insulinmangel. Dieser induziert eine Steige-                  ▪ Bei Blutzuckerwerten > 13,9 mmol/l (250 mg/dl) und Keton-
rung der kontrainsulinären Hormone mit Steigerung der hepati-                        ämie (Blutazeton > 1,1 mmol/l) und Ketonurie (Azeton im Urin)
schen Glukosefreisetzung. Da gleichzeitig die Glukoseaufnahme                        liegt ein starker Insulinmangel vor. Dieser muss durch Insulin-
in die Muskulatur eingeschränkt ist, steigt der Serumglukosespie-                    substitution behoben werden, bevor Muskelarbeit begonnen
gel an. Aufgrund der reduziert verfügbaren intramuskulären Glu-                      oder fortgesetzt wird.
kose wird bei gesteigertem Energiebedarf der arbeitenden Musku-                    ▪ Optimalerweise sollte eine Ergometrie inklusive Laktattestung
latur dieser dann primär durch freie Fettsäuren gedeckt, was die                     oder Spiroergometrie zur Bestimmung des aeroben und anae-
Entstehung einer Ketoazidose bei Insulinmangel während Muskel-                       roben Stoffwechsels erfolgen. Aufgrund der Bestimmung die-
arbeit erklärt.                                                                      ser Stoffwechselgrenzen und der assoziierten Pulsfrequenzen
                                                                                     können dezidierte Trainingsempfehlungen gegeben werden.
Konsequenzen für sportliche Aktivität bei                                            Belastungen im aeroben Bereich induzieren weniger Gluko-
Typ-1-Diabetes                                                                       seschwankungen als Belastungen im anaeroben Bereich. Bei
▪ Sport und Spiel sind für alle Menschen ein Stück Lebensqualität                    dieser letzten, intensiven Belastungsform werden vermehrt
  und insbesondere für Kinder und Jugendliche ein wichtiges                          Katecholamine freigesetzt, die unter Belastung zu Blutglukose-
  sozial-integratives Moment, das auch bei Typ-1-Diabetikern                         anstiegen führen, in der Nachbelastungsphase, gerade jenseits
  gefördert werden sollte.                                                           von 6 h, aber besonders Hypoglykämien begünstigen.
▪ Allerdings führen körperliche Aktivität und Training zu ver-                     ▪ Beim Sport immer ein SOS-Sportset (z. B. Traubenzucker,
  stärkten Glukoseschwankungen während und nach körper-                              Glukosegels, Softdrinks, Saft) mitführen, um bei Hypoglykä-
  licher Belastung. So kann hierdurch zwar vom Grundsatz her                         mie sofort reagieren zu können.
  bei Typ-1-Diabetikern das kardiovaskuläre Risikoprofil und das                   ▪ Lange Belastungen im Wasser wie Langdistanzschwimmen, die
  HbA1C verbessert werden [3], aber grundsätzlich stört jede                         eine Blutzuckerkontrolle unmöglich machen, sind zu vermei-
  Muskelarbeit insbesondere im Sinne von Sport mit Kompeti-                          den.
  tion die Glukosehomöostase und stellt daher keine effektive                      ▪ Sportkameraden, Freunde, Trainer, Lehrer über Hypoglykä-
  Therapieoption zur langfristigen Verbesserung der Glukose-                         mierisiko und Gegenmaßnahmen informieren.
  einstellung dar.                                                                 ▪ Umgebungsbedingungen (Hitze, Kälte) und Höhe müssen mit
▪ Ein körperliches Training kann dann uneingeschränkt empfoh-                        berücksichtigt werden, da diese die Interaktion zwischen Insu-
  len werden, wenn Insulininjektion, Glukoseaufnahme über die                        lin, Glukose, Glukagon und Katecholaminen beeinflussen. In
  Nahrung und Energieumsatz durch körperliche Aktivität präzi-                       diesen Fällen sind häufigere Blutzuckerkontrollen indiziert.
  se aufeinander abgestimmt werden. So kann regelmäßige
  körperliche Aktivität, möglichst uniform und täglich, ver-                       Dosisfindung für Insulin und Zusatzkohlenhydrate
  gleichbare Stoffwechseleffekte induzieren und somit die                          (▶ Tab. 1, 2)
  Glukoseregulation langfristig optimieren, während sporadi-                       Für die Festlegung der Insulindosisreduktion und zusätzlicher
  sche Belastungen gerade bei ungeschulten und unerfahrenen                        Kohlenhydrate beim Sport müssen folgende Faktoren berücksich-
  Patienten unweigerlich zu Stoffwechselkapriolen führen.                          tigt werden [4 – 8]:
▪ Aufgrund der individuellen Unterschiede im Ansprechen 1.                         ▪ Alter
  des muskulären Glukosestoffwechsels auf körperliche Belas-                       ▪ Kardiovaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen

Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217                                                               S213
DDG Praxisempfehlung

                                                                            ▪ Mehrere Portionen von 1 – 2 KHE sollen auf den Zeitraum vor,
    ▶ Tab. 1 Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der
                                                                              während und nach der Bewegung verteilt werden.
    Therapie mit Insulinanaloga.
                                                                            ▪ In Abhängigkeit von Dauer und Intensität können Zusatzkoh-
                                                                              lenhydrate von insgesamt 8 KHE oder mehr erforderlich sein.
    ▪ Bei Sportbeginn bis zu 3 h nach Insulininjektion und einer Mahlzeit
      eduktion kurz wirkender Insulinanaloga um 25 – 75 %                     Geeignet sind Cola, Fruchtsäfte, Müsliriegel, Obst und Brot.
                                                                            ▪ Zur Senkung der Hypoglykämiegefahr bei langandauernden
    ▪ Bei Sportbeginn von mehr als 3 h nach Insulininjektion und einer
      Mahlzeit keine Reduktion kurz wirkender Insulinanaloga, bedarfs-        Belastungen sind kurze Sprints vor, während oder nach der
      weise zusätzliche Kohlenhydrate                                         Belastung zu empfehlen, da kurze intensive Intervalle den
    ▪ Bei kurzzeitigem Sport keine Reduktion lang wirkender Insulinana-
                                                                              Blutzuckerspiegel kurzfristig erhöhen. Allerdings ist zu be-
      loga; ggf. zusätzliche Kohlenhydrate bzw. Reduktion kurzwirksamer       rücksichtigen, dass diese intensiveren Belastungen zu einer
      Insuline zur Vermeidung von Hypoglykämien                               protrahierten Blutzuckerreduktion führen können.
    ▪ Vor ganztägigen körperlichen Aktivitäten Reduktion von langwirk-      ▪ Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr muss immer geachtet
      samen Insulinanaloga (Glargin) um 20 – 40 % und danach um               werden. Erhöhte Blutzuckerwerte erfordern eine zusätzliche
      10 – 20 %                                                               Steigerung der Flüssigkeitszufuhr, um eine Dehydrierung zu
                                                                              vermeiden.

                                                                            Besonderer Hinweis zum Wettkampf- und
    ▶ Tab. 2 Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der
    Therapie mit einer Insulinpumpe.
                                                                            Extremsport bei Typ-1-Diabetes
                                                                            Typ-1-Diabetiker können im Grunde jegliche Sportart auch als
    ▪ Für Reduktion des Mahlzeitenbolus und zusätzlicher Kohlenhydrate:     Wettkampf- oder Leistungssport ausüben. Allerdings sind Sport-
      gleiche Regeln wie bei traditioneller Insulininjektionstechnik        arten, bei denen das Risiko von Bewusstseinstörungen/einge-
    ▪ Bei Sport von mehr als 1 – 2 h Halbierung der Basalrate bei Normal-   schränkter Urteilsfähigkeit infolge evtl. Hypoglykämien erhöht ist
      insulin 2 h und bei Analoginsulin ca. 1 h vor Sportbeginn, dann je    (z. B. Tauchen, Fallschirmspringen, Extremklettern, Skitouren in
      nach Dauer und Intensität                                             großer Höhe, Wildwasserkanufahren oder Drachenfliegen) nicht
    ▪ Bei Ablegen der Pumpe für mehr 2 – 4 h Umstellung auf traditionelle   geeignet. Falls diese Sportarten doch durchgeführt werden, erfor-
      Insulintherapie Reduktion der Basalrate um 10 – 50 % bis zu 14 h      dern sie eine langjährige persönliche Erfahrung des Patienten, be-
                                                                            sonders sorgfältiges Verhalten, individuelle Planung und eine in-
                                                                            tensive Schulung.
▪   Diabeteskomplikationen
▪   Medikation
▪   Trainingszustand                                                        Nutzen und Nachteile von Muskelarbeit bei
▪   Art, Intensität und Dauer der Muskelarbeit
▪   Krafttraining senkt den Glukosespiegel in der Nachbelastungs-           gestörter Glukosetoleranz/Typ-2-Diabetes
    phase stärker als Ausdauertraining
▪   Einflüsse auf Insulinverfügbarkeit durch Umgebungstempera-              Pathophysiologie
    tur, Injektionsort und -zeitpunkt des Insulins, Art des Insulin-        Die grundlegende pathophysiologische Störung bei Patienten mit
    präparats (Normalinsulin, Basalinsulin, Mischinsulin, Insulin-          gestörter Glukosetoleranz und Typ-2-Diabetes mellitus ist eine
    analoga), Höhe der Insulindosis, Art der Therapieform (CT, ICT          gestörte Insulinsensitivität, häufig in Verbindung mit einer relati-
    CS II).                                                                 ven Reduktion der pankreatischen Insulinreduktion. Ursachen
▪   Höhe des aktuellen Blutzuckers vor der Bewegung: Optimal                hierfür sind Bewegungsarmut und hyperkalorische Ernährung.
    sind Ausgangswerte von 120 – 180 mg/dl.                                 Maßnahmen, die eine Steigerung der Insulinsensitivität induzie-
▪   Zeitpunkt der letzten Mahlzeit vor der Bewegung                         ren, wie regelmäßige muskuläre Belastung, bieten eine kausale
▪   Art und Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate                           therapeutische Option. Jede physikalische Spannungserhöhung
▪   Vor mehrstündigem und ganztägigem Sport Normal- und Ba-                 der Muskelfasern steigert den transmembranösen Glukosetrans-
    salinsulin bis zu 50 % reduzieren, da die Auffüllung der musku-         port durch Stimulation der Translokation von Glukosetransportern
    lären Glykogendepots bis zum Folgetag dauern kann. Gleich-              wie GLUT-4 aus intrazellulären Kompartimenten wie dem endo-
    zeitig sollte eine Kohlenhydratzufuhr nach dem Sport erfolgen.          plasmatischen Retikulum an die Muskelzellmembran. Diese führt
▪   Bei Sport von kurzer Dauer und geringer Intensität nur zusätz-          zur Blutzuckersenkung unter körperlicher Belastung, ein Vorgang,
    liche Kohlenhydrate (sog. Sport-BE) zuführen.                           der unabhängig vom regulären Glukoseaufnahmeweg über den
▪   Bei Sport in der Wirkungszeit des Bolusinsulins dieses um 25 –          Insulinrezeptor vermittelt wird [2]. Dieser akute Prozess, der
    75 % reduzieren                                                         bereits nach 20 – 30 min zu beobachten ist, kann durch ständige
▪   Wenn die Verminderung der Insulindosis nicht möglich ist,               Wiederholung von Muskelarbeit wie durch Ausdauer- oder Kraft-
    müssen wiederholt (alle 20 – 30 min) zusätzliche Kohlenhydra-           training verstetigt werden. Ergänzend sind weitere Mechanismen
    te in kleinen Mengen (1 – 2 KHE) mit hoher Energiedichte ge-            wie eine stärkere Insulinbindung an muskuläre Insulinrezeptoren
    trunken oder gegessen werden.                                           wie auch eine Zunahme der Zahl der muskulären Insulinrezepto-
                                                                            ren ebenso wie eine gesteigerte Aktivität von Enzymen des Ener-

S214                                                                              Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217
giestoffwechsels und die Zunahme der muskulären Kapillardichte                         Intensität der Belastung vorgeben. Wichtig ist zu Beginn, dass
beteiligt [2].                                                                         eine Instruktion der einzelnen Übungen möglichst durch den
                                                                                       behandelnden Arzt oder Diabetesberater stattfindet. Dies
Therapeutischer Nutzen                                                                 erhöht die Glaubwürdigkeit der Bewegungstherapie als
▪ Bei bestehendem Typ-2-Diabetes bewirkt die Kombination aus                           eines wesentlichen Teils der Gesamttherapie.
  regelmäßigem Ausdauer- und Krafttraining die größten Effekte                     ▪   Bewegungsprogramme sind dann zum Scheitern verurteilt,
  auf HbA1c-Werte. Effekte von 0,8 – 0,9 % zusätzlich zur medika-                      wenn sie die potenziellen Teilnehmer körperlich und psychisch
  mentösen Therapie sind im Durchschnitt zu erwarten [9, 10],                          überfordern. Dies ist gerade zu Beginn des Trainings innerhalb
  wobei Ausdauertraining die beste Therapieoption darstellt.                           der ersten 6 Wochen von zentraler Bedeutung, denn zumeist
▪ Lebensstilumstellung mit Aktivierung der Muskulatur gepaart                          ist das Belastungsniveau extrem niedrig und umfasst nur
  mit Gewichtsreduktion beim adipösen Patienten mit einge-                             wenige 100 m.
  schränkter Glukosetoleranz und Typ-2-Diabetes kann sogar                         ▪   Zu Beginn steht Regelmäßigkeit, auch wenn dieses nur 5 min
  zu einer Remission der Erkrankung führen.                                            am Tag sind, im Vordergrund. Steigerung der Dauer und Inten-
▪ Das kardiovaskuläre Risikofaktorenprofil bei Insulinresistenz                        sität ist in den ersten Wochen nachrangig und kann individuell
  und Metabolischem Syndrom kann durch Lebensstilumstel-                               angepasst werden. Als grobe Faustregel kann eine Steigerung
  lung signifikant verbessert werden [11, 12].                                         der Dauer um 1 min pro Trainingseinheit pro Woche angenom-
▪ Unklar sind die Effekte einer Lebensstilumstellung auf die kar-                      men werden (Prinzip: „Start low – go slow“).
  diovaskuläre Ereignisrate. Makrovaskuläre Effekte konnten bei                    ▪   Bewegungsprogramme, die diese Prinzipien nicht berücksich-
  adipösem Typ-2-Diabetes nicht verbessert werden, währen                              tigen, können eher schaden, wenn sie organische Schäden
  mikrovaskuläre Komplikation eindeutig zu reduzieren waren                            auslösen und Minderwertigkeits- oder Schuldgefühle wecken
  [11, 13].                                                                            oder verstärken.
▪ Die positiven Effekte körperlichen Trainings auf den muskulä-                    ▪   Bewegungsprogramme können Keimzelle für neue Freundes-
  ren Glukosetransport halten nach Beendigung des Ausdauer-                            kreise werden, in denen Wandern, Nordic-Walking, Radfahren,
  trainings nur wenige Tage an. Um einen dauerhaften positiven                         Schwimmen, Gymnastik oder andere Ausdauersportarten ge-
  Therapieeffekt zu erreichen, ist eine muskuläre Belastung von                        pflegt werden. Diese Gemeinschaft verstärkt die Adhärenz zu
  mindestens 3 ×/Woche notwendig. Eine lebenslange Umstel-                             den Programmen.
  lung auf einen aktiven Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung                      ▪   Bewegungsprogramme für Diabetiker werden auch im Rah-
  ist erforderlich.                                                                    men von ambulanten Diabetesgruppen angeboten, können
▪ Von der Trainingsintensität wird primär ein moderates Aus-                           aber auch in ambulante Herzsportgruppen integriert werden.
  dauertraining (50 – 60 % der maximalen Herzfrequenz, aerober                         Letztere Programme sind besonders für Diabetiker mit Herz-
  Trainingsbereich) empfohlen. Gerade ein Wechsel unterschied-                         erkrankungen sinnvoll.
  licher Belastungsintensitäten zwischen 60 – 80 % der maxima-
  len Herzfrequenz (Wechsel aus aerober und anaerober Intensi-                     Praktisches Vorgehen bei der Durchführung von
  tät) im Sinne eines Intervalltrainings kann größere Effekte                      Bewegungsprogrammen (▶ Tab. 3)
  induzieren [9, 14].                                                              ▪ Bewegungsprogramme sollen primär die aerobe Ausdauer
                                                                                     steigern, weil sie aufgrund der positiven metabolischen und
Hindernisse auf dem Weg zu einem aktiven Lebensstil                                  kardiopulmonalen Effekte die optimale Trainingsart darstellen.
Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass die Mehrzahl aller                     Empfehlenswert sind Ausdauersportarten, die dynamische
Typ-2-Diabetiker älter als 60 Jahre ist und wegen erhöhter Morbi-                    Beanspruchungen möglichst großer Muskelgruppen gegen
dität und Risikofaktoren (koronare Herzkrankheit, Herzinsuffi-                       einen möglichst geringen Widerstand in rhythmisch gleich-
zienz, periphere arterielle Verschlusskrankheit, periphere diabeti-                  bleibender Form erlauben, wie z. B. Nordic-Walking, schnelles
sche Neuropathie, proliferative diabetische Retinopathie,                            Gehen/Walken, Bergwandern, Skiwandern, Schwimmen oder
arterielle Hypertonie), Immobilität und fehlender Motivation nicht                   Radfahren.
oder nur eingeschränkt an Bewegungsprogrammen teilnehmen                           ▪ Alternativ empfiehlt sich ein Kraft-/Ausdauerprogramm für die
kann. Allerdings ist gerade in diesen Fällen der Nutzen körperli-                    großen Muskelgruppen, da die Kraftbelastung zu einer Zunah-
cher Aktivität besonders evident.                                                    me der Muskel- und somit fettfreien Masse führt, resultierend
▪ Bewegungsprogramme sollten vor allem dazu genutzt wer-                             in einer verbesserten Insulinresistenz. Dabei ist allerdings das
   den, Freude an der Bewegung zu wecken und den Einstieg in                         Risiko durch Blutdruckanstiege bei Vorliegen einer arteriellen
   einen aktiven Lebensstil zu ermöglichen.                                          Hypertonie zu beachten. Die Blutdruckwerte müssen vor Trai-
▪ Um bei älteren Menschen Erfolg zu haben, müssen Bewe-                              ningsbeginn optimal medikamentös sowohl in Ruhe als auch
   gungsprogramme deren körperliche Fähigkeiten, altersbe-                           unter Belastung eingestellt sein (Kontrolle im Belastungs-EKG).
   dingten Leistungsabbau, krankheitsbedingte Beeinträchtigun-                     ▪ Die Bewegungsprogramme sollten auch motorische Bean-
   gen, ihre Interessen, ihre sozialen Bindungen und vor allem                       spruchungsformen enthalten, die Geschicklichkeit, Schnell-
   ihre Lebensgewohnheiten berücksichtigen.                                          kraft, Reaktionsvermögen, Koordination und Gelenkigkeit
▪ Konkrete Empfehlungen im Sinne eines Trainingsplans sind                           verbessern helfen, wie z. B. im Rahmen von Ballspielen oder
   essenziell. Dieser sollte sowohl die Art als auch die Dauer und

Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217                                                               S215
DDG Praxisempfehlung

                                                                                  bedingt. Dies muss vor Planung des Trainingsprogramms
   ▶ Tab. 3 Prinzipien des Bewegungsprogramms bei Typ-2-Diabetes.
                                                                                  abgeklärt und das Training entsprechend angepasst werden.
                                                                              ▪   Diabetiker ohne kardiale Erkrankung können an Diabetiker-
   ▪ Zur Beurteilung der körperlichen Belastung wird als indirektes Maß
                                                                                  sportgruppen ohne Arztpräsenz teilnehmen. Diabetiker mit
     die Herzfrequenz genutzt, da gesicherte Beziehungen zwischen
     Herzfrequenz und körperlicher Leistungsfähigkeit (VO2max) beste-             kardialen Erkrankungen sollten in einer Herzsportgruppe unter
     hen.                                                                         ärztlicher Begleitung trainieren.
   ▪ Der Trainingspuls sollte individuell bestimmt werden, optimal durch      ▪   Hypoglykämien sind bei medikamentös oral eingestellten Typ-
     Ergometrie mit Laktatbestimmung bzw. spiroergometrisch, ansons-              2-Diabetikern selten. Unter Therapie mit Sulfonylharnstoffen
     ten Ermittlung mithilfe der Karvonen-Formel (Trainingspuls = HFRuhe +        müssen Blutzuckerwerte engmaschiger kontrolliert werden als
     (HFmax – HFRuhe) × 0,6). Faustregeln, wie z. B. Herzfrequenz = 180/min       unter Inkretinen oder DPP-4-Hemmern.
     – Lebensalter sind ungeeignet.
                                                                              ▪   Blutzuckermessungen sollten unbedingt vor, während und
   ▪ Die initiale Belastungsintensität sowie -dauer (anfangs < 10 min pro         nach dem Bewegungsprogramm bei Diabetikern unter Insu-
     Trainingseinheit) sollte niedrig gehalten werden. Stattdessen sollte
                                                                                  lintherapie durchgeführt werden. Anpassungen der Insulin-
     die Bewegung an möglichst vielen Tagen der Woche (optimal täg-
     lich) durchgeführt werden bzw. bevorzugt kurze Einheiten mehr-
                                                                                  dosis und Zusatz-KHE sollen berücksichtigt werden
     mals am Tag. Die Belastungsdauer und -intensität sollte über             ▪   Bei proliferativer Retinopathie Blutdruckanstiege über 180 –
     Wochen langsam gesteigert werden                                             200/100 mmHg vermeiden. Nach Laserung der Netzhaut oder
   ▪ Zur Erzielung der gewünschten Langzeiteffekte sind Belastungsin-             Augenoperation 6 Wochen keine körperliche Belastung. Kraft-
     tervalle von 20 min optimal 6 – 7 ×/Woche sinnvoll.                          training und Kampfsportarten sind bei Retinopathie ungeeig-
   ▪ Ergänzend kann die Steigerung der Alltagsaktivität die positiven             net und potenziell schädlich.
     Effekte verstärken.                                                      ▪   Bei peripherer diabetischer Neuropathie bestehen Risiken
                                                                                  durch unpassendes Schuhwerk für die Manifestation eines
                                                                                  Diabetischen Fußsyndroms.
  Tanzen. Verbesserungen der Balance lassen sich auch durch                   ▪   Bei autonomer Neuropathie muss die Störung der physiolo-
  Ganzkörper-Vibrationstraining erreichen.                                        gischen Blutdruck- und Herzfrequenzregulation beachtet
▪ Zusätzlich sollte die Alltagsaktivität (Treppensteigen, Spazie-                 werden.
  rengehen, Gartenarbeit etc.) gesteigert werden. Auch dadurch
  lassen sich bereits positive Effekte auf den Glukosestoffwech-              Interessenkonflikt
  sel/die Insulinresistenz erzielen. Diese sind allerdings geringer
  als bei gezielten Bewegungsprogrammen.                                           Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

                                                                              Erstveröffentlichung
Vermeiden von Komplikationen infolge von
Bewegungsprogrammen                                                                Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in Diabetologie 2016; 11
                                                                                   (Suppl 2):S177 – S181.
▪ Ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes mellitus haben im Ver-
  gleich zu gleichaltrigen Gesunden ein höheres kardiovaskulä-                Literatur
  res Risiko. Dieses Risiko liegt umso höher, je geringer die kar-
  diopulmonale Leistungsfähigkeit ist. Zur Vermeidung                         [1] Esefeld K, Zimmer P, Stumvoll M et al. Diabetes, Bewegung und Sport.
  unerwünschter kardiovaskulärer Zwischenfälle nach jahrelan-                     Diabetologie 2014; 10 (Suppl. 2): S199 – S204
  gem Bewegungsmangel muss vor Beginn eine kardiologische                     [2] Stanford KI, Goodyear LJ. Exercise and type 2 diabetes: molecular
  Untersuchung inklusive maximaler Ergometrie (als Abbruch-                       mechanisms regulating glucose uptake in skeletal muscle. Advances in
  kriterium sollten keine altersäquivalenten Richtwerte, sondern                  physiology education 2014; 38: 308 – 314

  klare Abbruchkriterien gewählt werden, so dass eine individu-               [3] Herbst A, Kordonouri O, Schwab KO et al. Impact of physical activity on
                                                                                  cardiovascular risk factors in children with type 1 diabetes: a multicenter
  ell maximale Belastungsintensität ermittelt werden kann)
                                                                                  study of 23,251 patients. Diabetes Care 2007; 30: 2098 – 2100
  durchgeführt werden. Eine gleichzeitige Laktatbestimmung
                                                                              [4] Tonoli C, Heyman E, Roelands B et al. Effects of different types of acute
  oder Spirometrie kann die optimale Trainingsintensität festle-
                                                                                  and chronic (training) exercise on glycaemic control in type 1 diabetes
  gen und ein Training besser individuell strukturieren helfen.                   mellitus: a meta-analysis. Sports medicine (Auckland, NZ) 2012; 42:
▪ Patienten mit Typ-2-Diabetes haben gehäuft weitere kardio-                      1059 – 1080
  vaskuläre Komplikationen wie koronare Herzerkrankung,                       [5] Roberts AJ, Taplin CE. Exercise in Youth with Type 1 Diabetes. Current
  Herzinsuffizienz oder peripher-arterielle Verschlusskrankheit.                  pediatric reviews 2015; 11: 120 – 125
  Die Trainingsintensität sollte darauf abgestimmt werden und                 [6] Pivovarov JA, Taplin CE, Riddell MC. Current perspectives on physical
  ist durch diese Grunderkrankung limitiert.                                      activity and exercise for youth with diabetes. Pediatric diabetes 2015;
                                                                                  16: 242 – 255
▪ Einschränkungen der Belastbarkeit sind bei Patienten mit
  Typ-2-Diabetes gehäuft durch eine diastolische Herzinsuffi-                 [7] Bally L, Laimer M, Stettler C. Exercise-associated glucose metabolism in
                                                                                  individuals with type 1 diabetes mellitus. Current opinion in clinical
  zienz (Heart Failure with preserved Ejection Fraction, HFpEF)
                                                                                  nutrition and metabolic care 2015; 18: 428 – 433

S216                                                                                 Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217
[8] Garcia-Garcia F, Kumareswaran K, Hovorka R et al. Quantifying the acute       [11] Wing RR, Bolin P, Brancati FL et al. Cardiovascular effects of intensive
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     ventions on Glycaemic Control in Type 1 and Type 2 Diabetes: a Syste-              incidence and weight loss in the Diabetes Prevention Program Out-
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     Diabetes Association. 2016                                                         pathy in overweight or obese adults with type 2 diabetes: a secondary
[10] Umpierre D, Ribeiro PA, Kramer CK et al. Physical activity advice only or          analysis of the Look AHEAD randomised clinical trial. The lancet Diabetes
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     diabetes: a systematic review and meta-analysis. JAMA: the journal of         [14] Karstoft K, Winding K, Knudsen SH et al. The effects of free-living inter-
     the American Medical Association 2011; 305: 1790 – 1799                            val-walking training on glycemic control, body composition, and physi-
                                                                                        cal fitness in type 2 diabetic patients: a randomized, controlled trial.
                                                                                        Diabetes Care 2013; 36: 228 – 236

Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217                                                                            S217
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