Diabetes, Sport und Bewegung - Deutsche Diabetes ...
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DDG Praxisempfehlung Diabetes, Sport und Bewegung Autoren Katrin Esefeld1, Peter Zimmer2, Michael Stumvoll3, Martin Halle1, 2, 4 Institute Bibliografie 1 Präventive und Rehabilitative Sportmedizin, Klinikum DOI https://doi.org/10.1055/s-0043-116006 rechts der Isar, Technische Universität München, München Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217 2 AG Diabetes und Sport der DDG © Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart · New York 3 Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinik ISSN 1861-9002 Leipzig, Leipzig Korrespondenzadresse 4 Deutsches Zentrum für Herzkreislaufforschung (DZHK), Univ.-Prof. Dr. med. Martin Halle partner site Munich Heart Alliance (MHA), München Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Präventive und Rehabilitative Sportmedizin, Georg-Brauchle- Ring 56, 80992 München Tel.: ++ 49/89/28 92 44 31 Fax: ++ 49/89/28 92 44 50 halle@sport.med.tum.de Diese Praxisleitlinie soll die pathophysiologischen Hintergründe gerung des transmembranösen Glukosetransports ermöglicht und therapeutischen Optionen zur Bedeutung von körperlicher und eine Senkung des Glukosespiegels induziert werden [2]. Aktivität in der Therapie des Diabetes mellitus in Grundzügen Der durch die Muskelarbeit bedingte systemische Glukoseab- umreißen und praktische Empfehlungen für die Umsetzung bei fall wird durch eine präzise und adäquate Steigerung der hepa- Typ-1- und Typ-2-Patienten geben. Sie ist eine Aktualisierung der tischen Glukosefreisetzung ausgeglichen, wenn keine gleichzeiti- bisherigen Praxisleitlinien von 2014 [1]. ge Glukoseresorption aus der Nahrung zur Verfügung steht. Die Steigerung dieser Freisetzung wird im Wesentlichen durch eine Hemmung der pankreatischen Insulinsekretion und des Physiologie des muskulären daraus resultierenden Abfalls des Insulinspiegels im Pfortaderblut bewirkt. Unterstützend und modulierend wirken dabei die kon- Glukosestoffwechsels trainsulinären Hormone (Glukagon, Katecholamine und Cortisol). Kontraktionen der peripheren Skelettmuskulatur erhöhen den Fehlen Hormone wie Glukagon nach Zelluntergang wie der Pan- muskulären Energieverbrauch. In Abhängigkeit von der Belas- kreatitis, ist diese Gegenregulation aufgehoben, und dies kann zu tungsintensität und -dauer kann dieser auf das 8- bis 10-Fache schwerwiegenden, z. T. letalen Hypoglykämien führen. des Ruhebedarfs ansteigen. Wird der Energieverbrauch unter Diese hepatischen und muskulären Energiespeicher werden Ruhebedingungen primär durch die Oxidation freier Fettsäuren während und nach Beendigung der Muskelarbeit wieder aufge- gedeckt, so wird unter körperlicher Belastung der Energiebedarf füllt. In Abhängigkeit vom Entleerungsgrad kann die Glukoseauf- anfangs vorrangig durch Glykolyse und bei länger andauernder nahme in die Muskulatur noch bis zu 48 Stunden nach Ende der Muskelarbeit ergänzend durch ß-Oxidation von freien Fettsäuren Muskelarbeit erhöht sein, was für die medikamentöse Einstellung gedeckt. Zu Beginn der körperlichen Belastung wird zunächst und Reduktion der Dosis von Bedeutung ist. Intensive und zeitlich intramuskuläre Glukose verbraucht, die aus dem Abbau der mus- lange Belastungen der Muskulatur wie exzentrische Belastungs- kulären Glykogenreserven stammt. Ergänzend gelangt Glukose formen (z. B. Bergabgehen über mehrere Stunden beim Wandern) über eine Steigerung des transmembranösen Glukosetransports führen zu starken Entleerungen der muskulären Speicher. Gleich- aus dem Blut in die Muskelzelle. Dies erfolgt durch eine Translo- zeitig kann es durch diese Belastungsform zu Schädigungen der kation von Glukosetransportern, im Fall der Muskulatur GLUT-4, Muskelmembran inklusive der Insulinrezeptoren kommen, was vom endoplasmatischen Retikulum an die Muskelzellmembran, sich in einer verstärkten Insulinresistenz widerspiegelt und ein ein Vorgang, der insulinunabhängig ist und durch Muskelmem- Auffüllen der muskulären Glukosespeicher protrahiert. brankontraktion induziert wird. Die Eigenkontraktion der Muskel- fasern entspricht somit der physiologischen Wirkung des Insulins. So kann auch bei Insulinresistenz wie bei Typ-2-Diabetes eine Stei- S212 Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217
Nutzen und Nachteile von körperlicher tung, 2. des Glukoseanstiegs nach Nahrungsaufnahme, 3. der Insulinreaktion nach Injektion sowie 4. des körperlichen Trai- Aktivität bei Typ-1-Diabetes ningszustands der Muskulatur und des gesamten Organismus ist eine praktische Wissensvermittlung und Schulung inklusive Pathophysiologie der Austestung der individuellen Anpassung von zentraler Bei Typ-1-Diabetikern fehlt die pankreatische Insulinsekretion, die Bedeutung [4]. exogen substituiert werden muss. Mit jeder Insulininjektion kommt es zu einem relativen Insulinüberschuss, der die musku- Praxis der Prävention sportinduzierter läre Glukoseaufnahme steigert, gleichzeitig aber die hepati- Komplikationen: Basisregeln sche Glukosefreisetzung blockiert. Daraus resultiert ein Abfall ▪ Da es nur grobe Dosis-Wirkungs-Beziehungen gibt, müssen des Blutglukosespiegels, der bei erhöhtem Ausgangsserumwert individuelle Anpassungsregeln für jeden Patienten erarbeitet erwünscht ist, aber bei längerer Dauer der körperlichen Aktivität werden. und bei bereits zu Beginn der Muskelarbeit bestehender Normo- ▪ Dazu sollten bei sportlicher Aktivität regelmäßig Blutzucker- glykämie rasch unerwünschte Hypoglykämien zur Folge hat. Des- profile erstellt und zusammen mit Insulindosis, Injektions-Trai- halb ist die genaue Abstimmung aus Bewegungssteigerung und ningszeit-Abstand, Zusatzkohlenhydraten und Belastungsform Reduktion der Insulindosis von zentraler Bedeutung. (Ausdauer-, Krafttraining, Intensität, Trainingspuls) in einem Wichtig ist hingegen eine Basisinsulinversorgung, ohne die eine Sporttagebuch protokolliert werden. Dieses Protokoll bildet Aufnahme von Glukose in die periphere Muskulatur nur sehr einge- die Basis für die Analyse individueller Stoffwechselreaktionen schränkt möglich ist. Auslassen von Insulininjektionen oder Kathe- beim Sport, dient zur Sammlung von Erfahrungen und hilft bei terokklusionen bei Insulinpumpentherapie führen zu absolutem, Therapieoptimierung mit dem Ärzte- oder Diabetesteam. Infekte zu relativem Insulinmangel. Dieser induziert eine Steige- ▪ Bei Blutzuckerwerten > 13,9 mmol/l (250 mg/dl) und Keton- rung der kontrainsulinären Hormone mit Steigerung der hepati- ämie (Blutazeton > 1,1 mmol/l) und Ketonurie (Azeton im Urin) schen Glukosefreisetzung. Da gleichzeitig die Glukoseaufnahme liegt ein starker Insulinmangel vor. Dieser muss durch Insulin- in die Muskulatur eingeschränkt ist, steigt der Serumglukosespie- substitution behoben werden, bevor Muskelarbeit begonnen gel an. Aufgrund der reduziert verfügbaren intramuskulären Glu- oder fortgesetzt wird. kose wird bei gesteigertem Energiebedarf der arbeitenden Musku- ▪ Optimalerweise sollte eine Ergometrie inklusive Laktattestung latur dieser dann primär durch freie Fettsäuren gedeckt, was die oder Spiroergometrie zur Bestimmung des aeroben und anae- Entstehung einer Ketoazidose bei Insulinmangel während Muskel- roben Stoffwechsels erfolgen. Aufgrund der Bestimmung die- arbeit erklärt. ser Stoffwechselgrenzen und der assoziierten Pulsfrequenzen können dezidierte Trainingsempfehlungen gegeben werden. Konsequenzen für sportliche Aktivität bei Belastungen im aeroben Bereich induzieren weniger Gluko- Typ-1-Diabetes seschwankungen als Belastungen im anaeroben Bereich. Bei ▪ Sport und Spiel sind für alle Menschen ein Stück Lebensqualität dieser letzten, intensiven Belastungsform werden vermehrt und insbesondere für Kinder und Jugendliche ein wichtiges Katecholamine freigesetzt, die unter Belastung zu Blutglukose- sozial-integratives Moment, das auch bei Typ-1-Diabetikern anstiegen führen, in der Nachbelastungsphase, gerade jenseits gefördert werden sollte. von 6 h, aber besonders Hypoglykämien begünstigen. ▪ Allerdings führen körperliche Aktivität und Training zu ver- ▪ Beim Sport immer ein SOS-Sportset (z. B. Traubenzucker, stärkten Glukoseschwankungen während und nach körper- Glukosegels, Softdrinks, Saft) mitführen, um bei Hypoglykä- licher Belastung. So kann hierdurch zwar vom Grundsatz her mie sofort reagieren zu können. bei Typ-1-Diabetikern das kardiovaskuläre Risikoprofil und das ▪ Lange Belastungen im Wasser wie Langdistanzschwimmen, die HbA1C verbessert werden [3], aber grundsätzlich stört jede eine Blutzuckerkontrolle unmöglich machen, sind zu vermei- Muskelarbeit insbesondere im Sinne von Sport mit Kompeti- den. tion die Glukosehomöostase und stellt daher keine effektive ▪ Sportkameraden, Freunde, Trainer, Lehrer über Hypoglykä- Therapieoption zur langfristigen Verbesserung der Glukose- mierisiko und Gegenmaßnahmen informieren. einstellung dar. ▪ Umgebungsbedingungen (Hitze, Kälte) und Höhe müssen mit ▪ Ein körperliches Training kann dann uneingeschränkt empfoh- berücksichtigt werden, da diese die Interaktion zwischen Insu- len werden, wenn Insulininjektion, Glukoseaufnahme über die lin, Glukose, Glukagon und Katecholaminen beeinflussen. In Nahrung und Energieumsatz durch körperliche Aktivität präzi- diesen Fällen sind häufigere Blutzuckerkontrollen indiziert. se aufeinander abgestimmt werden. So kann regelmäßige körperliche Aktivität, möglichst uniform und täglich, ver- Dosisfindung für Insulin und Zusatzkohlenhydrate gleichbare Stoffwechseleffekte induzieren und somit die (▶ Tab. 1, 2) Glukoseregulation langfristig optimieren, während sporadi- Für die Festlegung der Insulindosisreduktion und zusätzlicher sche Belastungen gerade bei ungeschulten und unerfahrenen Kohlenhydrate beim Sport müssen folgende Faktoren berücksich- Patienten unweigerlich zu Stoffwechselkapriolen führen. tigt werden [4 – 8]: ▪ Aufgrund der individuellen Unterschiede im Ansprechen 1. ▪ Alter des muskulären Glukosestoffwechsels auf körperliche Belas- ▪ Kardiovaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217 S213
DDG Praxisempfehlung ▪ Mehrere Portionen von 1 – 2 KHE sollen auf den Zeitraum vor, ▶ Tab. 1 Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der während und nach der Bewegung verteilt werden. Therapie mit Insulinanaloga. ▪ In Abhängigkeit von Dauer und Intensität können Zusatzkoh- lenhydrate von insgesamt 8 KHE oder mehr erforderlich sein. ▪ Bei Sportbeginn bis zu 3 h nach Insulininjektion und einer Mahlzeit eduktion kurz wirkender Insulinanaloga um 25 – 75 % Geeignet sind Cola, Fruchtsäfte, Müsliriegel, Obst und Brot. ▪ Zur Senkung der Hypoglykämiegefahr bei langandauernden ▪ Bei Sportbeginn von mehr als 3 h nach Insulininjektion und einer Mahlzeit keine Reduktion kurz wirkender Insulinanaloga, bedarfs- Belastungen sind kurze Sprints vor, während oder nach der weise zusätzliche Kohlenhydrate Belastung zu empfehlen, da kurze intensive Intervalle den ▪ Bei kurzzeitigem Sport keine Reduktion lang wirkender Insulinana- Blutzuckerspiegel kurzfristig erhöhen. Allerdings ist zu be- loga; ggf. zusätzliche Kohlenhydrate bzw. Reduktion kurzwirksamer rücksichtigen, dass diese intensiveren Belastungen zu einer Insuline zur Vermeidung von Hypoglykämien protrahierten Blutzuckerreduktion führen können. ▪ Vor ganztägigen körperlichen Aktivitäten Reduktion von langwirk- ▪ Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr muss immer geachtet samen Insulinanaloga (Glargin) um 20 – 40 % und danach um werden. Erhöhte Blutzuckerwerte erfordern eine zusätzliche 10 – 20 % Steigerung der Flüssigkeitszufuhr, um eine Dehydrierung zu vermeiden. Besonderer Hinweis zum Wettkampf- und ▶ Tab. 2 Prävention sportinduzierter Komplikationen bei der Therapie mit einer Insulinpumpe. Extremsport bei Typ-1-Diabetes Typ-1-Diabetiker können im Grunde jegliche Sportart auch als ▪ Für Reduktion des Mahlzeitenbolus und zusätzlicher Kohlenhydrate: Wettkampf- oder Leistungssport ausüben. Allerdings sind Sport- gleiche Regeln wie bei traditioneller Insulininjektionstechnik arten, bei denen das Risiko von Bewusstseinstörungen/einge- ▪ Bei Sport von mehr als 1 – 2 h Halbierung der Basalrate bei Normal- schränkter Urteilsfähigkeit infolge evtl. Hypoglykämien erhöht ist insulin 2 h und bei Analoginsulin ca. 1 h vor Sportbeginn, dann je (z. B. Tauchen, Fallschirmspringen, Extremklettern, Skitouren in nach Dauer und Intensität großer Höhe, Wildwasserkanufahren oder Drachenfliegen) nicht ▪ Bei Ablegen der Pumpe für mehr 2 – 4 h Umstellung auf traditionelle geeignet. Falls diese Sportarten doch durchgeführt werden, erfor- Insulintherapie Reduktion der Basalrate um 10 – 50 % bis zu 14 h dern sie eine langjährige persönliche Erfahrung des Patienten, be- sonders sorgfältiges Verhalten, individuelle Planung und eine in- tensive Schulung. ▪ Diabeteskomplikationen ▪ Medikation ▪ Trainingszustand Nutzen und Nachteile von Muskelarbeit bei ▪ Art, Intensität und Dauer der Muskelarbeit ▪ Krafttraining senkt den Glukosespiegel in der Nachbelastungs- gestörter Glukosetoleranz/Typ-2-Diabetes phase stärker als Ausdauertraining ▪ Einflüsse auf Insulinverfügbarkeit durch Umgebungstempera- Pathophysiologie tur, Injektionsort und -zeitpunkt des Insulins, Art des Insulin- Die grundlegende pathophysiologische Störung bei Patienten mit präparats (Normalinsulin, Basalinsulin, Mischinsulin, Insulin- gestörter Glukosetoleranz und Typ-2-Diabetes mellitus ist eine analoga), Höhe der Insulindosis, Art der Therapieform (CT, ICT gestörte Insulinsensitivität, häufig in Verbindung mit einer relati- CS II). ven Reduktion der pankreatischen Insulinreduktion. Ursachen ▪ Höhe des aktuellen Blutzuckers vor der Bewegung: Optimal hierfür sind Bewegungsarmut und hyperkalorische Ernährung. sind Ausgangswerte von 120 – 180 mg/dl. Maßnahmen, die eine Steigerung der Insulinsensitivität induzie- ▪ Zeitpunkt der letzten Mahlzeit vor der Bewegung ren, wie regelmäßige muskuläre Belastung, bieten eine kausale ▪ Art und Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate therapeutische Option. Jede physikalische Spannungserhöhung ▪ Vor mehrstündigem und ganztägigem Sport Normal- und Ba- der Muskelfasern steigert den transmembranösen Glukosetrans- salinsulin bis zu 50 % reduzieren, da die Auffüllung der musku- port durch Stimulation der Translokation von Glukosetransportern lären Glykogendepots bis zum Folgetag dauern kann. Gleich- wie GLUT-4 aus intrazellulären Kompartimenten wie dem endo- zeitig sollte eine Kohlenhydratzufuhr nach dem Sport erfolgen. plasmatischen Retikulum an die Muskelzellmembran. Diese führt ▪ Bei Sport von kurzer Dauer und geringer Intensität nur zusätz- zur Blutzuckersenkung unter körperlicher Belastung, ein Vorgang, liche Kohlenhydrate (sog. Sport-BE) zuführen. der unabhängig vom regulären Glukoseaufnahmeweg über den ▪ Bei Sport in der Wirkungszeit des Bolusinsulins dieses um 25 – Insulinrezeptor vermittelt wird [2]. Dieser akute Prozess, der 75 % reduzieren bereits nach 20 – 30 min zu beobachten ist, kann durch ständige ▪ Wenn die Verminderung der Insulindosis nicht möglich ist, Wiederholung von Muskelarbeit wie durch Ausdauer- oder Kraft- müssen wiederholt (alle 20 – 30 min) zusätzliche Kohlenhydra- training verstetigt werden. Ergänzend sind weitere Mechanismen te in kleinen Mengen (1 – 2 KHE) mit hoher Energiedichte ge- wie eine stärkere Insulinbindung an muskuläre Insulinrezeptoren trunken oder gegessen werden. wie auch eine Zunahme der Zahl der muskulären Insulinrezepto- ren ebenso wie eine gesteigerte Aktivität von Enzymen des Ener- S214 Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217
giestoffwechsels und die Zunahme der muskulären Kapillardichte Intensität der Belastung vorgeben. Wichtig ist zu Beginn, dass beteiligt [2]. eine Instruktion der einzelnen Übungen möglichst durch den behandelnden Arzt oder Diabetesberater stattfindet. Dies Therapeutischer Nutzen erhöht die Glaubwürdigkeit der Bewegungstherapie als ▪ Bei bestehendem Typ-2-Diabetes bewirkt die Kombination aus eines wesentlichen Teils der Gesamttherapie. regelmäßigem Ausdauer- und Krafttraining die größten Effekte ▪ Bewegungsprogramme sind dann zum Scheitern verurteilt, auf HbA1c-Werte. Effekte von 0,8 – 0,9 % zusätzlich zur medika- wenn sie die potenziellen Teilnehmer körperlich und psychisch mentösen Therapie sind im Durchschnitt zu erwarten [9, 10], überfordern. Dies ist gerade zu Beginn des Trainings innerhalb wobei Ausdauertraining die beste Therapieoption darstellt. der ersten 6 Wochen von zentraler Bedeutung, denn zumeist ▪ Lebensstilumstellung mit Aktivierung der Muskulatur gepaart ist das Belastungsniveau extrem niedrig und umfasst nur mit Gewichtsreduktion beim adipösen Patienten mit einge- wenige 100 m. schränkter Glukosetoleranz und Typ-2-Diabetes kann sogar ▪ Zu Beginn steht Regelmäßigkeit, auch wenn dieses nur 5 min zu einer Remission der Erkrankung führen. am Tag sind, im Vordergrund. Steigerung der Dauer und Inten- ▪ Das kardiovaskuläre Risikofaktorenprofil bei Insulinresistenz sität ist in den ersten Wochen nachrangig und kann individuell und Metabolischem Syndrom kann durch Lebensstilumstel- angepasst werden. Als grobe Faustregel kann eine Steigerung lung signifikant verbessert werden [11, 12]. der Dauer um 1 min pro Trainingseinheit pro Woche angenom- ▪ Unklar sind die Effekte einer Lebensstilumstellung auf die kar- men werden (Prinzip: „Start low – go slow“). diovaskuläre Ereignisrate. Makrovaskuläre Effekte konnten bei ▪ Bewegungsprogramme, die diese Prinzipien nicht berücksich- adipösem Typ-2-Diabetes nicht verbessert werden, währen tigen, können eher schaden, wenn sie organische Schäden mikrovaskuläre Komplikation eindeutig zu reduzieren waren auslösen und Minderwertigkeits- oder Schuldgefühle wecken [11, 13]. oder verstärken. ▪ Die positiven Effekte körperlichen Trainings auf den muskulä- ▪ Bewegungsprogramme können Keimzelle für neue Freundes- ren Glukosetransport halten nach Beendigung des Ausdauer- kreise werden, in denen Wandern, Nordic-Walking, Radfahren, trainings nur wenige Tage an. Um einen dauerhaften positiven Schwimmen, Gymnastik oder andere Ausdauersportarten ge- Therapieeffekt zu erreichen, ist eine muskuläre Belastung von pflegt werden. Diese Gemeinschaft verstärkt die Adhärenz zu mindestens 3 ×/Woche notwendig. Eine lebenslange Umstel- den Programmen. lung auf einen aktiven Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung ▪ Bewegungsprogramme für Diabetiker werden auch im Rah- ist erforderlich. men von ambulanten Diabetesgruppen angeboten, können ▪ Von der Trainingsintensität wird primär ein moderates Aus- aber auch in ambulante Herzsportgruppen integriert werden. dauertraining (50 – 60 % der maximalen Herzfrequenz, aerober Letztere Programme sind besonders für Diabetiker mit Herz- Trainingsbereich) empfohlen. Gerade ein Wechsel unterschied- erkrankungen sinnvoll. licher Belastungsintensitäten zwischen 60 – 80 % der maxima- len Herzfrequenz (Wechsel aus aerober und anaerober Intensi- Praktisches Vorgehen bei der Durchführung von tät) im Sinne eines Intervalltrainings kann größere Effekte Bewegungsprogrammen (▶ Tab. 3) induzieren [9, 14]. ▪ Bewegungsprogramme sollen primär die aerobe Ausdauer steigern, weil sie aufgrund der positiven metabolischen und Hindernisse auf dem Weg zu einem aktiven Lebensstil kardiopulmonalen Effekte die optimale Trainingsart darstellen. Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass die Mehrzahl aller Empfehlenswert sind Ausdauersportarten, die dynamische Typ-2-Diabetiker älter als 60 Jahre ist und wegen erhöhter Morbi- Beanspruchungen möglichst großer Muskelgruppen gegen dität und Risikofaktoren (koronare Herzkrankheit, Herzinsuffi- einen möglichst geringen Widerstand in rhythmisch gleich- zienz, periphere arterielle Verschlusskrankheit, periphere diabeti- bleibender Form erlauben, wie z. B. Nordic-Walking, schnelles sche Neuropathie, proliferative diabetische Retinopathie, Gehen/Walken, Bergwandern, Skiwandern, Schwimmen oder arterielle Hypertonie), Immobilität und fehlender Motivation nicht Radfahren. oder nur eingeschränkt an Bewegungsprogrammen teilnehmen ▪ Alternativ empfiehlt sich ein Kraft-/Ausdauerprogramm für die kann. Allerdings ist gerade in diesen Fällen der Nutzen körperli- großen Muskelgruppen, da die Kraftbelastung zu einer Zunah- cher Aktivität besonders evident. me der Muskel- und somit fettfreien Masse führt, resultierend ▪ Bewegungsprogramme sollten vor allem dazu genutzt wer- in einer verbesserten Insulinresistenz. Dabei ist allerdings das den, Freude an der Bewegung zu wecken und den Einstieg in Risiko durch Blutdruckanstiege bei Vorliegen einer arteriellen einen aktiven Lebensstil zu ermöglichen. Hypertonie zu beachten. Die Blutdruckwerte müssen vor Trai- ▪ Um bei älteren Menschen Erfolg zu haben, müssen Bewe- ningsbeginn optimal medikamentös sowohl in Ruhe als auch gungsprogramme deren körperliche Fähigkeiten, altersbe- unter Belastung eingestellt sein (Kontrolle im Belastungs-EKG). dingten Leistungsabbau, krankheitsbedingte Beeinträchtigun- ▪ Die Bewegungsprogramme sollten auch motorische Bean- gen, ihre Interessen, ihre sozialen Bindungen und vor allem spruchungsformen enthalten, die Geschicklichkeit, Schnell- ihre Lebensgewohnheiten berücksichtigen. kraft, Reaktionsvermögen, Koordination und Gelenkigkeit ▪ Konkrete Empfehlungen im Sinne eines Trainingsplans sind verbessern helfen, wie z. B. im Rahmen von Ballspielen oder essenziell. Dieser sollte sowohl die Art als auch die Dauer und Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217 S215
DDG Praxisempfehlung bedingt. Dies muss vor Planung des Trainingsprogramms ▶ Tab. 3 Prinzipien des Bewegungsprogramms bei Typ-2-Diabetes. abgeklärt und das Training entsprechend angepasst werden. ▪ Diabetiker ohne kardiale Erkrankung können an Diabetiker- ▪ Zur Beurteilung der körperlichen Belastung wird als indirektes Maß sportgruppen ohne Arztpräsenz teilnehmen. Diabetiker mit die Herzfrequenz genutzt, da gesicherte Beziehungen zwischen Herzfrequenz und körperlicher Leistungsfähigkeit (VO2max) beste- kardialen Erkrankungen sollten in einer Herzsportgruppe unter hen. ärztlicher Begleitung trainieren. ▪ Der Trainingspuls sollte individuell bestimmt werden, optimal durch ▪ Hypoglykämien sind bei medikamentös oral eingestellten Typ- Ergometrie mit Laktatbestimmung bzw. spiroergometrisch, ansons- 2-Diabetikern selten. Unter Therapie mit Sulfonylharnstoffen ten Ermittlung mithilfe der Karvonen-Formel (Trainingspuls = HFRuhe + müssen Blutzuckerwerte engmaschiger kontrolliert werden als (HFmax – HFRuhe) × 0,6). Faustregeln, wie z. B. Herzfrequenz = 180/min unter Inkretinen oder DPP-4-Hemmern. – Lebensalter sind ungeeignet. ▪ Blutzuckermessungen sollten unbedingt vor, während und ▪ Die initiale Belastungsintensität sowie -dauer (anfangs < 10 min pro nach dem Bewegungsprogramm bei Diabetikern unter Insu- Trainingseinheit) sollte niedrig gehalten werden. Stattdessen sollte lintherapie durchgeführt werden. Anpassungen der Insulin- die Bewegung an möglichst vielen Tagen der Woche (optimal täg- lich) durchgeführt werden bzw. bevorzugt kurze Einheiten mehr- dosis und Zusatz-KHE sollen berücksichtigt werden mals am Tag. Die Belastungsdauer und -intensität sollte über ▪ Bei proliferativer Retinopathie Blutdruckanstiege über 180 – Wochen langsam gesteigert werden 200/100 mmHg vermeiden. Nach Laserung der Netzhaut oder ▪ Zur Erzielung der gewünschten Langzeiteffekte sind Belastungsin- Augenoperation 6 Wochen keine körperliche Belastung. Kraft- tervalle von 20 min optimal 6 – 7 ×/Woche sinnvoll. training und Kampfsportarten sind bei Retinopathie ungeeig- ▪ Ergänzend kann die Steigerung der Alltagsaktivität die positiven net und potenziell schädlich. Effekte verstärken. ▪ Bei peripherer diabetischer Neuropathie bestehen Risiken durch unpassendes Schuhwerk für die Manifestation eines Diabetischen Fußsyndroms. Tanzen. Verbesserungen der Balance lassen sich auch durch ▪ Bei autonomer Neuropathie muss die Störung der physiolo- Ganzkörper-Vibrationstraining erreichen. gischen Blutdruck- und Herzfrequenzregulation beachtet ▪ Zusätzlich sollte die Alltagsaktivität (Treppensteigen, Spazie- werden. rengehen, Gartenarbeit etc.) gesteigert werden. Auch dadurch lassen sich bereits positive Effekte auf den Glukosestoffwech- Interessenkonflikt sel/die Insulinresistenz erzielen. Diese sind allerdings geringer als bei gezielten Bewegungsprogrammen. Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Erstveröffentlichung Vermeiden von Komplikationen infolge von Bewegungsprogrammen Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in Diabetologie 2016; 11 (Suppl 2):S177 – S181. ▪ Ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes mellitus haben im Ver- gleich zu gleichaltrigen Gesunden ein höheres kardiovaskulä- Literatur res Risiko. Dieses Risiko liegt umso höher, je geringer die kar- diopulmonale Leistungsfähigkeit ist. Zur Vermeidung [1] Esefeld K, Zimmer P, Stumvoll M et al. Diabetes, Bewegung und Sport. unerwünschter kardiovaskulärer Zwischenfälle nach jahrelan- Diabetologie 2014; 10 (Suppl. 2): S199 – S204 gem Bewegungsmangel muss vor Beginn eine kardiologische [2] Stanford KI, Goodyear LJ. Exercise and type 2 diabetes: molecular Untersuchung inklusive maximaler Ergometrie (als Abbruch- mechanisms regulating glucose uptake in skeletal muscle. Advances in kriterium sollten keine altersäquivalenten Richtwerte, sondern physiology education 2014; 38: 308 – 314 klare Abbruchkriterien gewählt werden, so dass eine individu- [3] Herbst A, Kordonouri O, Schwab KO et al. Impact of physical activity on cardiovascular risk factors in children with type 1 diabetes: a multicenter ell maximale Belastungsintensität ermittelt werden kann) study of 23,251 patients. Diabetes Care 2007; 30: 2098 – 2100 durchgeführt werden. Eine gleichzeitige Laktatbestimmung [4] Tonoli C, Heyman E, Roelands B et al. Effects of different types of acute oder Spirometrie kann die optimale Trainingsintensität festle- and chronic (training) exercise on glycaemic control in type 1 diabetes gen und ein Training besser individuell strukturieren helfen. mellitus: a meta-analysis. Sports medicine (Auckland, NZ) 2012; 42: ▪ Patienten mit Typ-2-Diabetes haben gehäuft weitere kardio- 1059 – 1080 vaskuläre Komplikationen wie koronare Herzerkrankung, [5] Roberts AJ, Taplin CE. Exercise in Youth with Type 1 Diabetes. Current Herzinsuffizienz oder peripher-arterielle Verschlusskrankheit. pediatric reviews 2015; 11: 120 – 125 Die Trainingsintensität sollte darauf abgestimmt werden und [6] Pivovarov JA, Taplin CE, Riddell MC. Current perspectives on physical ist durch diese Grunderkrankung limitiert. activity and exercise for youth with diabetes. Pediatric diabetes 2015; 16: 242 – 255 ▪ Einschränkungen der Belastbarkeit sind bei Patienten mit Typ-2-Diabetes gehäuft durch eine diastolische Herzinsuffi- [7] Bally L, Laimer M, Stettler C. Exercise-associated glucose metabolism in individuals with type 1 diabetes mellitus. Current opinion in clinical zienz (Heart Failure with preserved Ejection Fraction, HFpEF) nutrition and metabolic care 2015; 18: 428 – 433 S216 Esefeld K et al. Diabetes, Sport und… Diabetologie 2017; 12 (Suppl 2): S212–S217
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