Diagnostik der Zukunft - Handelsblatt
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Die Medizin hat einen Dreiklang von Aufgaben – Prävention, Diagnose und Therapie. Der medizinische Fortschritt soll dabei bestenfalls alle drei Bereiche stärken und den folgenden Grundsätzen entsprechen: Prävention: Schwere Erkrankungen sollen nach Möglichkeit verhindert werden. Dies geschieht entweder durch Früherkennung – also, indem die Gefahr rechtzeitig erkannt wird, so dass eine Therapie frühzeitig begonnen werden kann. Typische Beispiele sind die regelmäßigen Brust- oder Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchungen. Oder durch primä- re Prävention, also die Verhinderung der Erkrankung – etwa durch gesundheitsbewusstes Verhalten. Leitgedanke ist, die Gesundheit proaktiv zu gestalten, statt reaktive Krankheitsversorgung zu betreiben. Diagnose: Erkrankungen, die sich bereits eingestellt haben, sollen möglichst frühzeitig und korrekt festgestellt und benannt werden. Dazu gehört, dass die Krankheit in allen ihren Dimensionen erfasst wird. Gleichzeitig sollten Fehl- diagnosen vermieden werden. Therapie: Die zur Verfügung stehenden Therapien sollen in Wirksamkeit und Verträglichkeit bestmöglich den Bedürfnissen des einzelnen Patienten entsprechen. Deshalb wird einerseits versucht, Therapien zu entwickeln, die neue oder bessere Wirkungskanäle aufweisen. Andererseits wird versucht, die Details der Therapie – im Sinne einer möglichst personalisierten Gesundheitsversorgung – auf die speziellen Merkmale der einzelnen Patientinnen und Patienten abzustimmen. Im Folgenden liegt der Fokus auf den jüngsten und künf- tigen Entwicklungen im Bereich der Diagnostik. Grund- sätzlich hat die Medizin auf nahezu allen Gebieten in den zurückliegenden Jahren große Fortschritte gemacht. Bei Behandlungen etwa können moderne künstliche Herz- klappen eingesetzt werden, indem sie an der Spitze ei- nes Katheters durch die Adern bis ans Herz geschoben werden – ohne dass dazu der Brustkorb geöffnet werden muss. In Operationssälen bekommen Chirurginnen und Chirurgen bereits Hilfe von Robotern, die ihnen assistie- ren. Und auch in der Prothetik hat sich vieles verändert: Nach Amputationen können heute High-Tech-Prothesen aus Karbon eingesetzt werden, die so gut funktionieren, dass es kaum noch einen nennenswerten Unterschied mehr gibt zu eigenen Gelenken oder Extremitäten. Ein weiterer Schwerpunkt der Innovationstätigkeit ist die Diagnostik: Bei den bildgebenden Verfahren – wie bei- spielsweise Kernspintomografien – sind die Geräte heute in der Lage, deutlich schneller deutlich bessere Aufnah- men zu machen und zu dreidimensionalen Bildern zu- sammenzusetzen. So lassen sich beispielsweise mögliche Veränderungen in den Organen präziser erkennen. Auch intelligente Brillen – sogenannte Smart Glasses – werden bereits benutzt, etwa in der Dermatologie zur Diagnose von Schuppenflechten und anderem. Viele medizintechnische Geräte sind mittlerweile sehr viel kleiner als früher, so dass sie sich auch für den mobilen Ein- satz eignen – etwa im Rettungswagen. Auch gibt es mittler- weile mobile Minilabore, die es erlauben, Blutproben direkt am Bett der Patientinnen und Patienten auszuwerten. Innovationen wie die digitalen Technologien, die künstliche Intelligenz, die Sensorik und Robotik sowie die Genetik hel- fen, Krankheiten effektiver zu diagnostizieren sowie zu be- kämpfen und Ressourcen sparsamer und zielgenauer ein- zusetzen. Sie alle sind mit großen Potenzialen verbunden. -2-
Potenziale Größere Verfügbarkeit präziser medizinischer Daten Lange Zeit konnte medizinische Technik praktisch nur von Fachkräften bedient werden, dies galt für Geräte ebenso Globales Marktvolumen im Bereich Mobile Health wie für Software. Auch medizinisches Wissen war für die (Gesundheits-Apps etc.) meisten Patientinnen und Patienten oftmals nicht direkt in Mio. Euro (zum Teil Schätzung) verfügbar. Im Zuge der Digitalisierung hat sich dies maß- geblich verändert. Im Internet kann jeder Laie heute gut 350 aufbereitete Informationen über Krankheiten und Sympto- me finden – und sich vor dem Arztbesuch bereits ein Bild 300 darüber machen, worunter sie oder er möglicherweise leidet. 250 200 Längst stehen den Menschen auch technische Hilfsmittel bereit, die dabei helfen, die eigenen Körperfunktionen sys- 150 tematisch zu beobachten. So lassen sich heute bereits vie- 100 le Smartphones als medizintechnisches Gerät verwenden. Mit der Fotofunktion können detailreiche Aufnahmen ge- 50 macht werden, etwa von Rachenentzündungen oder von 0 Hautveränderungen. Gleichzeitig können die Smartphones 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 Schritte zählen oder den Schlafrhythmus dokumentieren. Kombiniert mit sogenannten Wearables – also technischen Quelle: Luther Geräten wie Smart Watches oder Fitnessarmbändern, die am Körper getragen werden – können darüber hinaus Herz- frequenz und Blutdruck gemessen, dokumentiert, aufberei- Die Menschen nehmen auf diese Weise eine deutlich aktive- tet – und wenn gewünscht auch an Ärztinnen und Ärzte re Rolle in Bezug auf ihre Gesundheit ein. Patientinnen und weitergeleitet werden. Patienten sind nicht mehr Objekt der Behandlung, sondern helfen dabei aktiv mit. Doch auch wenn es um komplexere medizinische Werte geht, existieren inzwischen digitale Hilfsmittel, die die Pa- Eine große Bedeutung kommt hier nicht nur der Hardware, tientinnen und Patienten selbst bedienen können. Hierzu sondern auch der Software zu – also den sogenannten Ge- zählen beispielsweise kleine EKG-Geräte oder Messgeräte sundheits-Apps. Viele dieser Programme richten sich an für die Sauerstoffsättigung im Blut. Oft stand beim Innova- Gesunde, die gesund und fit bleiben wollen. Die Apps do- tionsprozess auch das Ziel im Vordergrund, das Leben der kumentieren beispielsweise die sportlichen Aktivitäten, ma- Patientinnen und Patienten zu vereinfachen: So sind inzwi- chen Vorschläge für neue Trainingseinheiten, motivieren – schen Blutzucker-Messgeräte für Diabetikerinnen und Dia- und kritisieren mitunter auch. Auch die Ernährung lässt sich betiker erhältlich, für die kein Stich in die Haut mehr nötig mit Apps dokumentieren und optimieren. So existieren be- ist, weil die Analyse stattdessen mit Infrarot- oder Laser- reits Programme, die den Nährwert eines Essens abschät- Technik erstellt wird. zen können, wenn ein Foto vom Teller hochgeladen wird. Nutzung von eHealth-Apps Prozentualer Anteil der Befragten, die im letzten Jahr die jew. eHealth-App-Art genutzt haben* Ernährung Messung von Schlafverhalten Erinnerung an die Routinen ändern Symptome Allergie- Vitalfunktionen Einnahmen von (z.B. mit dem prüfen Management 61 27 Arzneimitteln Rauchen aufhören) 38 18 15 20 19 * Mehrfachnennungen möglich Quelle: Statista -3-
Der größte Nutzen wird den Gesundheits-Apps allerdings bei chronischen Krankheiten attestiert. Viele dauerhaft Er- Weltweite Umsätze mit eHealth-Produkten krankte müssen ihre medizinischen Werte laufend messen für chronisch Kranke lassen, um gesundheitliche Verschlechterungen schnell in Mio. US-Dollar (zum Teil Schätzung) erkennen zu können. Apps, Wearables und andere techni- sche Kleingeräte wie etwa Blutzuckermesser können dabei Herzversagen helfen, da sie meist sehr leicht zu bedienen sind. Einerseits lässt sich die Frequenz der Messungen auf diese Weise deut- 60 lich erhöhen, andererseits lassen sich Wege zur Arztpraxis 40 sparen. Im Idealfall werden medizinische Werte automa- 20 tisch und digital an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte weitergeleitet und von diesen überprüft. Weil persönliche 0 Besuche in der Praxis dadurch seltener nötig sind, können 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Spezialistinnen und Spezialisten auf diese Weise auch Pati- entinnen und Patienten behandeln, die weit entfernt leben. Viele Apps verfügen darüber hinaus über automatische Diabetes Warnfunktionen, die ein Signal geben, wenn sich medi- 30 zinische Werte gefährlich verschlechtern. Andere haben Erinnerungsfunktionen und machen beispielsweise auf 20 die Einnahme der nächsten Dosis eines Arzneimittels auf- 10 merksam. 0 Noch ist die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer im Bereich 2017 2018 2019 2020 2021 2022 des sogenannten Mobile Health (mHealth) nicht allzu groß. Nicht jeder gesunde Mensch hat Interesse daran, sich mehrfach am Tag mit seinen medizinischen Werten zu be- Bluthochdruck fassen. Bei chronisch kranken Personen dagegen hängt die 60 Nutzung von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten ab, die diese technischen Hilfsmittel zwar vermehrt, aber noch 40 nicht flächendeckend einsetzen. Auch die Krankenversi- 20 cherungen haben erst begonnen, entsprechende Geräte und Apps anzubieten bzw. die Kosten dafür zu erstatten. 0 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Das Wachstumspotenzial des mHealth-Marktes ist somit enorm. Tatsächlich werden den Herstellerinnen und Her- Quelle: Statista Smart Devices Apps stellern stark steigende Umsätze prophezeit. Mit digitaler Technologie gegen Krankheiten: Das Beispiel „Floodlight MS“ Wer an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist, wird meis- Apps, die die Floodlight-Technologie integriert haben, tens zwei- bis dreimal im Jahr von Ärztinnen und Ärz- nutzen verschiedene Tests und Abfragen, um Informa- ten untersucht. Mit verschiedenen Tests versuchen diese tionen über motorische und kognitive Funktionen und dann, den Gesundheitszustand zu beurteilen. Die Smart- Symptome zu bekommen. So gibt es beispielsweise phone-Software Floodlight MS aus dem Hause Roche einen Test, bei dem die Nutzerinnen und Nutzer geo- hilft nun dabei, auch zwischen den Praxis-Besuchen metrische Formen auf dem Handy-Display nachzeichnen wichtige Informationen zum Fortgang der Erkrankung müssen. Ein anderer misst die Gehfähigkeit und Balance. zu generieren. Dies ist notwendig, schließlich kann sich Die erhobenen Daten laufen zusammen und ergeben ein die „Krankheit der 1.000 Gesichter“ verschlimmern, ohne digitales Abbild des Krankheitsstatus. Je mehr Informati- dass es die Betroffenen sofort merken. onen erfasst werden, desto klarer wird auch dieses Bild — und desto individueller kann der Behandlungsplan auch auf die einzelne Patientin oder den einzelnen Patienten angepasst werden. -4-
Big Data und künstliche Intelligenz Während einer Behandlung werden von den Patientinnen Bei der Analyse großer Datenmengen (Big Data) werden und Patienten die unterschiedlichsten Informationen er- inzwischen auch Systeme mit künstlicher Intelligenz (KI) fasst und dokumentiert. Dazu gehören auf der einen Seite verwendet. Diese Computer führen nicht in einer zuvor medizinische Werte wie Fieberkurven, Blutwerte, Sauer- von Menschen einprogrammierten Reihenfolge Befehle stoffsättigungen, Lungenfunktionen. Dazu gehören aber aus, wie es bisher bei Computern üblich war. Stattdessen auf der anderen Seite auch Diagnosen, Therapieprotokolle, entwickeln sie quasi eigene Lösungswege für die Proble- Arztbriefe, Medikationen, genetische Profile, Röntgen- und me, vor die sie gestellt werden. Gleichzeitig sind sie in der CT-Aufnahmen und vieles mehr. Die moderne medizinische Lage, in großen Datenmengen Muster und Zusammenhän- Diagnostik versucht, möglichst alle relevanten Informatio- ge zu erkennen – beispielsweise, wenn es um die Frage nen zu nutzen. geht, welche Merkmale eine Gruppe von Patientinnen und Patienten eint, die besonders schwer von einer Krankheit Viele Computer, die die Ärztinnen und Ärzte bei ihrer Tätig- betroffen sind. Auch hierbei entwickelt die künstliche Intel- keit unterstützen, sind in der Lage, in Sekunden Millionen ligenz eigene Erkenntnisse. von Informationen zu berücksichtigen und auszuwerten. Ob beispielsweise ein bestimmtes Arzneimittel für eine Pa- In der Medizin können Systeme mit künstlicher Intelligenz tientin bzw. einen Patienten ungeeignet ist, weil die persön- bisher keine Ärztinnen und Ärzte ersetzen, aber diese lichen Merkmale eine Nebenwirkung auslösen können, kann enorm unterstützen. Im Bereich der Dermatologie sind ein Computer blitzschnell mit Datenbankabgleichen prüfen. Computer mit hochauflösenden Kameras beispielsweise in der Lage, zwischen gutartigen und bösartigen Mutter- Noch umfassender sind die Vorteile der Computer bei bild- malen zu unterscheiden – und den behandelnden Medizi- gebenden Verfahren wie beispielsweise der Kernspintomo- nerinnen und Medizinern dann Diagnosen vorzuschlagen. grafie (MRT): Diese werfen bei einer Untersuchung Hun- Tatsächlich zeigen Studien, dass die Systeme gefährliche derte von Bildern aus, die ein Mensch nur sehr langsam Hautveränderungen oft nicht nur schneller, sondern auch auf mögliche Tumore oder ähnliches analysieren kann. Mo- treffsicherer diagnostizieren als Menschen. Oft sind KI-Sys- derne Computersysteme dagegen können die Bilder blitz- teme in der Lage, aus sehr feinen Beobachtungen Schlüsse schnell mit gespeicherten Bildern von Tumoren abgleichen zu ziehen: So ist es zum Beispiel möglich, allein mit Hilfe und unterstützen so eine präzise und schnelle Diagnostik. von Herzfrequenzdaten festzustellen, ob jemand an Diabe- tes mellitus leidet. Einsatz von KI in der Medizin Prozentualer Anteil der Befragten, die der jew. Aussage zustimmen. Unabhängig von der Leistungsfähigkeit einer Künstlichen Intelligenz würde ich immer die Diag- 93 nose durch einen Menschen bevorzugen. Wenn Künstliche Intelligenz Ärzten einfache Tätigkeiten abnehmen, haben die mehr Zeit für ihre Patienten. 61 Computerprogramme mit Künstlicher Intelligenz analysieren Röntgenbilder schneller als Ärzte und sollten ihnen diese 49 Aufgabe dauerhaft abnehmen. Ich würde mir regelmäßig eine Zweitmeinung von einer Künstlichen Intelligenz einholen. 31 Quelle: Bitkom -5-
Die Einsatzmöglichkeiten der intelligenten Assistenten beschränken sich dabei nicht nur auf die Diagnose. Auch „Glauben Sie, dass Künstliche Intelligenz Krankheiten bei der Früherkennung und Prävention können sie wich- wie Krebs besser diagnostizieren kann als ein Arzt?“ tige Beiträge leisten: Im Bereich Psychiatrie etwa können Jew. Anteil der Befragten in Prozent Spracherkennungssysteme Muster in der Ausdrucksweise feststellen, die darauf hindeuten, dass jemand in der nähe- ren Zukunft eine Psychose erleiden könnte. Neurologisch 40 38 trainierte Systeme können anhand von Hirnscans Verände- rungen im Stoffwechsel aufspüren, die auf einen baldigen Beginn einer Alzheimer-Erkrankung schließen lassen. 28 25 21 Noch ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Medi- 19 zin eher die Ausnahme. Doch die Zahl der Anwendungen, die auf diese Technologie setzen, wächst. Dem Gesamt- 10 11 markt werden enorme Wachstumschancen vorausgesagt, zumal die Technologie nicht nur präzisere Diagnosen liefern kann, sondern auch beträchtliche Effizienzgewinne ermög- lichen kann – etwa, wenn es darum geht, die Kommunika- ja, bestimmt eher ja eher nein nein, bestimmt nicht tion mit Patientinnen und Patienten zu vereinfachen oder Ärztinnen und Ärzten bei den täglichen Dokumentations- Quelle: Continentale heute in 20 Jahren pflichten zu entlasten. Genetik In wohl keinem anderen Bereich hat die Medizin in den Von deutlich größerer Bedeutung für die alltägliche Medi- zurückliegenden Jahren solche dramatischen Fortschritte zin sind diagnostische Gentests. Diese werden eingesetzt, gemacht wie in der Genanalyse. Im Jahr 2001 wurde das um die Ursache von bereits bestehenden Erkrankungen zu menschliche Genom erstmals vollständig sequenziert. Seit- finden – oder auch, um Behandlungen zu planen. Dabei her konnten die entsprechenden Verfahren weiterentwi- wird mit Tests untersucht, welche Arzneien wirksam sein ckelt werden, wodurch die Entschlüsselung heute deutlich könnten und welche nicht. schneller und preiswerter ist. Besonders in der Onkologie werden zunehmend genetische Längst sind zahlreiche Akteure auf dem Markt, die auch Analysen eingesetzt. Denn Krebserkrankungen sind sehr denjenigen Tests anbieten, die gar keinen medizinisch rele- individuell und unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. vanten Anfangsverdacht haben. Diese Tests können Hinwei- Während der Krankheit treten viele Genveränderungen auf, se über die regionale Abstammung, aber auch über indivi- von denen einige das Wachstum der Tumore antreiben. Mit duelle Wahrscheinlichkeiten für Erbkrankheiten auswerfen. molekulargenetischen Analysen kann untersucht werden, Allerdings bleiben die Erkenntnisse grob und der medizini- welche Erbgutveränderungen genau für einen Tumor und sche Nutzen solcher Tests wird oft bezweifelt. sein Wachstum verantwortlich sind. Statt der bloßen Fra- ge, wo sich ein Tumor befindet, steht dann im Mittelpunkt, wie er entstanden ist und was ihn zum Wachsen bringt. In der Folge können dann Therapieformen im Sinne der Präzisionsmedizin gewählt werden, die in ihrer Wirkweise Kosten für die Sequenzierung eines menschlichen deutlich präziser und verträglicher sind als die eher groben Genoms Strahlen- oder Chemotherapien. in US-Dollar Die Kombination von genetischen und Big-Data-Analysen verspricht in der Onkologie viele Fortschritte – sowohl in 100.000.000 10.000.000 10.000 1.000 Bezug auf die Forschung, als auch auf die Behandlung ein- zelner Patientinnen und Patienten. In großen Datenbanken mit den anonymisierten Informationen von Tausenden Pa- tientinnen und Patienten können spezifische Krebsmuster 2001 2006 2011 2020 ermittelt werden. Durch automatische Abgleiche mit ande- ren Krankheitsverläufen oder auch mit Forschungsstudien können dann individuelle Therapiewege entworfen wer- Quelle: NHGRI den. Diese Entwicklung schreitet voran, ist jedoch längst noch nicht in der breiten Versorgung etabliert. -6-
Herausforderungen Regulatorik Wie so oft, wenn sich technologische Wandlungsprozes- Ein weiteres Risiko besteht darin, dass durch die Fülle von se ereignen, geschieht dies in einem kreativen, eher cha- preiswerten Digitalangeboten ein unregulierter zweiter otischen Prozess. Dies zeigt sich auch im eHealth- und Gesundheitsmarkt entsteht. Während die Menschen frü- mHealth-Bereich. Auf dem Markt für Gesundheits-Apps her quasi gezwungen waren, zu Ärztinnen und Ärzten zu beispielsweise tummeln sich Hunderte von Anbietern, die gehen, um medizinische Informationen zu bekommen und die verschiedensten Produkte und Dienstleistungen an- sich untersuchen zu lassen, können sie heute vieles selbst- bieten. Schätzungen zufolge gibt es weltweit mehr als ständig erledigen. Wer aber seine Vitalwerte mit Hilfe von 300.000 unterschiedliche Gesundheits-Apps. Hierzulande Wearables und Apps selbst überprüft und Informationen bieten zunehmend auch Krankenversicherungen und an- über Krankheiten im Internet findet, verzichtet in der Fol- dere Akteure des Gesundheitssystems digitale Angebote ge möglicherweise auf den Gang in die Praxis. Eine wich- an, die sie entweder selbst erstellen oder hinzukaufen. tige Instanz der Qualitätssicherung würde dadurch dann Doch auch hier ist die Bandbreite der verwendeten Syste- wegfallen. Um dieser Gefahr zu begegnen, sollten Regu- me groß. Eine Konsolidierung des Marktes hat noch nicht lierungsbehörden und Versicherungen versuchen, die Di- stattgefunden, noch befindet er sich in der Pionierphase. gitalprodukte zu prüfen und wo möglich in ihre Systeme einzubinden. Gleichzeitig sollte gegenüber der Bevölke- Die Fülle an Angeboten ist eine große Chance, schließlich rung auf die trügerische Sicherheit von Selbstdiagnosen können auf diese Weise viele Innovationen getestet wer- hingewiesen werden. den. Gleichzeitig birgt die Entwicklung auch Risiken: Das Angebot ist unübersichtlich, die Einschätzung der Qualität schwierig. Immerhin existieren inzwischen Prüfverfahren, nach deren Abschluss Siegel oder Zertifizierungen verge- ben werden können. Letztere sind zwingend, wenn Apps in den Leistungskatalog der Krankenversicherungen auf- genommen werden sollen. Wissenschaftliche Auswertun- gen darüber, welche Erfolge und Effekte der Einsatz von Digitalangeboten in der Medizin hat, werden zwar zuneh- mend erstellt. Mit digitaler Technologie gegen Krankheiten: Das Beispiel der personalisierten Krebstherapien Krebserkrankungen sind immer sehr individuell: Auch Sind die Genmutationen eines Tumors erst einmal ent- wenn ein Tumor denselben Namen trägt, so sind seine schlüsselt – ist sein Fingerabdruck also gefunden -, er- genetischen Ausprägungen stets unterschiedlich. Für stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit die Heilung einer Erkrankung ist es wichtig, das gene- Hilfe computergestützter Technologien einen umfassen- tische Profil des Tumors zu entschlüsseln. Zu diesem den Bericht für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Zweck betreiben Roche und Foundation Medicine im Dieser listet mögliche zielgerichtete Therapien auf, die bayerischen Penzberg ein Kompetenzzentrum für die helfen könnten. Sofern diese bereits zur Verfügung ste- sogenannte Personalisierte Medizin. Die Wissenschaft- hen, können die Betroffenen dann eine personalisierte lerinnen und Wissenschaftler jagen die Schwachstel- Therapie erhalten, die bestmöglich auf die Erkrankung len der Krebs-Mutationen, um sie gezielt angreifen zu und die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. können. Für ihre Forschung nutzen sie große moleku- largenetische Datensätze, die auf Gensequenzierungen basieren, die heute bereits aus kleinsten Gewebe- und Blutproben gewonnen werden können. -7-
Verhältnis von Mensch und Maschine In der Vergangenheit haben Maschinen schlichtweg Aufträ- Sollten die KI-Systeme in der Medizin in der Zukunft aller- ge ausgeführt, die Menschen ihnen zuvor einprogrammiert dings noch autonomer werden, müssten Haftungsfragen hatten. Die modernen Computersysteme hingegen können möglicherweise doch neu geregelt werden. Dies wird zur- inzwischen Dinge tun, die Menschen nicht mehr in Gänze zeit bereits breit und offen diskutiert. Überlegt wird da- nachvollziehen können. Dies kann beispielsweise der Fall bei beispielsweise, inwieweit den KI-Systemen sogar eine sein, wenn computerbasierte Assistenzprogramme selbst eigene juristische Rechtspersönlichkeit zugestanden wer- medizinische Verdachtsdiagnosen erarbeiten, die auf tech- den könnte. nischem Können basieren, über das Menschen nicht ver- fügen – etwa bei der Analyse von hochauflösenden Scans Eine weitere Herausforderung ist, dass die Wege der Wis- aus bildgebenden Verfahren wie der Computertomografie. sensgenerierung durch intelligente Systeme meist im Dun- Zwar werden Diagnosen bisher nicht allein von einem Com- keln bleiben. So präsentieren intelligente Computer zwar puter gestellt, sondern müssen von Ärztinnen und Ärzten ihre Ergebnisse, aber nicht unbedingt die Zwischenschritte geprüft und unterzeichnet werden. Dennoch fußen viele ihres Lern- und Entscheidungsprozesses. Dadurch bleibt un- Verdachtsdiagnosen auf dem Spezialwissen der Computer- klar, wie und warum das System zu einer Erkenntnis gelangt systeme. Für die Ärzteschaft stellt dies einen Rollen- und ist. Eine Möglichkeit, dass Menschen von den Computern Paradigmenwechsel dar, der das Selbstverständnis eines lernen, fehlt dann. Inzwischen existieren aber in der Medizin ganzen Berufsstandes verändern kann – schließlich waren bereits Forschungsprojekte, die intelligenten Systeme bei- sie bisher stets die allein entscheidenden Akteure bei der bringen, ihre Denkprozesse verständlich zu dokumentieren. Erstellung von Diagnosen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit die Patien- tinnen und Patienten bereit sind, dass ärztliche Aufgaben an Computer delegiert werden. Umfragen zeigen jedenfalls, dass die Skepsis in der Bevölkerung groß ist. In der Detailbe- trachtung allerdings wird deutlich, dass die meisten nichts dagegen haben, wenn intelligente Computer die Ärztinnen und Ärzte bei der Arbeit unterstützen – dass sie nur eben nicht ausschließlich von Computersystemen untersucht werden wollen. Dies ist allerdings bisher auch gar nicht möglich. Tatsächlich handelt es sich bei den in der Medizin eingesetzten künstlichen Intelligenzen um Assistenzanwen- dungen, oft wird von schwachen KI-Systemen gesprochen. Diese übernehmen nur Teile eines menschlichen Entschei- dungsprozesses, aber nicht den ganzen. Die Lernprozesse und Entscheidungen bleiben daher in vom Menschen defi- nierten Bahnen. Im Zuge des Aufstiegs von Systemen mit künstlicher Intelli- genz rücken auch Fragen der Haftung bei möglichen Scha- densfällen in den Mittelpunkt. Dabei geht es beispielsweise darum, wer die Verantwortung trägt, wenn ein intelligentes Hilfssystem den behandelnden Ärztinnen und Ärzten eine falsche Diagnose vorschlägt, diese von diesen dann unge- prüft übernommen – und deshalb letztlich eine notwendi- ge Behandlung nicht begonnen wird. Momentan herrscht hierzu größtenteils noch die Auffassung, dass es für eine Neudefinition von Haftungsfragen keinen Anlass gibt, so- lange die Gesamtaufsicht über die Prozesse immer noch bei Menschen verbleibt. Dem folgend würden die Herstellerin- nen und Hersteller haften, wenn ein Fehler auf Fehlern im zugrundeliegenden System basiert – und die Ärztinnen und Ärzte, wenn Fehler bei der Bedienung passieren. -8-
Ethik Bisher gilt es als Konsens, dass niemand gezwungen werden lidargemeinschaft – logisch, diejenigen mit niedrigen Ver- kann und sollte, seine Fitness mit Hilfe von Wearables und sicherungsbeiträgen zu belohnen, die sich fit halten und Gesundheits-Apps zu dokumentieren oder eine Sequenzie- regelmäßig den eigenen Gesundheitszustand überprüfen. rung der eigenen Gene vornehmen zu lassen. Bei Letzterem Schließlich lassen sich ja durch gesundheitsbewusstes Ver- wird dabei von einem Recht auf Nichtwissen gesprochen. halten Behandlungskosten einsparen. Auf den zweiten Blick So mag die Information, wie hoch die Wahrscheinlichkeit tun sich hier allerdings Probleme auf: Denn wer es – bei- ist, von einer schweren erblichen Krankheit getroffen zu spielsweise aus Datenschutzgründen – ablehnt, regelmäßig werden, für einige wünschenswert erscheinen. Andere da- Informationen über das eigene Verhalten und die eigenen gegen möchten lieber im Unklaren darüber leben, ob es sie Vitalwerte mit einer Versicherung zu teilen, würde indirekt später treffen kann oder nicht. durch höhere Beiträge bestraft. Einen direkten Zwang, die eigenen Vitaldaten zu messen Die Diskussion um entsprechende Privilegien für jene, die und zu dokumentieren oder die eigenen Gene entschlüs- sich regelmäßig überwachen lassen, ist noch längst nicht seln zu lassen, wird es voraussichtlich auch in Zukunft nicht abgeschlossen. Bisher sind die Regularien noch sehr restrik- geben. Ethisch zu diskutieren ist allerdings der indirekte tiv. Einige Krankenkassen bieten zwar finanzielle Boni an für Zwang, der sich ergeben kann. So kann einerseits Gruppen- jene, die regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen gehen, druck entstehen: Wenn sich ein immer größerer Teil der Be- an Sportkursen teilnehmen oder Sportabzeichen machen. völkerung entschließt, die erwähnten Angebote zu nutzen, Doch lassen sich hierdurch allenfalls einige Hundert Euro fühlen sich manche womöglich gezwungen, dies ebenfalls sparen. Besonders streng sind auch die Regeln für Gentests. zu tun – gegen den eigenen Willen. Dass sich Arbeitgeber Ergebnisse von prädiktiven Gentests zeigen lassen, ist beispielsweise verboten. Auch hier könnte Gravierender würde dieser Druck, wenn finanzielle Vortei- schließlich ein indirekter Zwang entstehen. Wenn die Mehr- le an die Teilnahme an Monitoringprogrammen oder Gen- heit der Beschäftigten mitmacht, machen sich indirekt all analysen gekoppelt würden. Auf den ersten Blick erscheint jene verdächtig, ein hohes Risiko für Erbkrankheiten zu ha- es für die Krankenversicherungen – und auch für die So- ben, die dies ablehnen. „Nutzen Sie Fitnessarmbänder, Smartwatches oder ähnliche Geräte, um Ihre Gesundheitsdaten im Blick zu behalten?“ Jew. Anteil der Befragten in Prozent ja, intensiv 2 8 ja, ab und zu 4 7 habe ich zwar schon einmal genutzt, jetzt aber nicht mehr 5 7 nein, habe ich noch nicht, könnte ich mir aber vorstellen zu nutzen 17 23 nein, das kommt für mich nicht infrage 72 55 Quelle: Continentale 2015 2019 -9-
Akzeptanz/Datenschutz Insgesamt ist die Skepsis der Menschen in Bezug auf digita- le Gesundheitsangebote noch verhältnismäßig groß, gerade Vor- und Nachteile von eHealth-Apps in Deutschland. Umfragen zeigen, dass es für viele gesunde Prozentualer Anteil der Befragten, die der jew. Aussage Menschen schlichtweg nicht in Frage kommt, ständig die zustimmen. eigenen Gesundheitswerte in den Blick zu nehmen und zu dokumentieren. Viele fürchten darüber hinaus, dass sie die Einfluss auf den Alltag gesammelten Informationen nicht beruhigen, sondern dass 62 diese eher Stressgefühle auslösen. Wearables zur Überprü- fung der Vitalfunktionen werden bisher nur von einer Min- derheit genutzt. Allerdings wächst die Zahl der Nutzerinnen 31 und Nutzer. Kleiner, aber dennoch nennenswert ist die Gruppe der Di- gitalisierungsskeptiker, wenn es um die Behandlung von Die Krankheit beeinflusst den Die Krankheit nimmt viel Raum im Krankheiten geht. Die elektronische Patientenakte (ePa), Alltag weniger, weil die App Alltag ein, weil die App ständig an Aufgaben abnimmt. die Krankheit erinnert. auf der ab 2021 alle Behandlungsinformationen der Patien- tinnen und Patienten zentral gespeichert werden können, wird von vielen Menschen abgelehnt. Hierbei bleibt aller- Folgen der ständigen Überwachung dings unklar, wie groß die Gruppe der Kritikerinnen und Kri- tiker ist, da die Ergebnisse der unterschiedlichen Umfragen 52 zu diesem Thema je nach genauer Fragestellung stark von- 43 einander abweichen. Auch beim Einsatz von Big-Data-Ana- lysen und Computersystemen mit künstlicher Intelligenz herrscht bisweilen eine große Skepsis. Grund für die weit verbreitete ablehnende Haltung ist die Gefühl der Sicherheit: Paranoia: App warnt bei kritischen Werten Man schaut ständig auf die Daten Sorge davor, dass sensible Gesundheitsdaten in die falschen und ermöglicht frühzeitige und Fehlalarme führen zu Hände gelangen könnten. Dieses Risiko scheint bei vielen Maßnahmen zur Vermeidung unnötiger Aufregung und Angst. schwerer zu wiegen als das Risiko, von Ärztinnen und Ärz- medizinischer Folgen. ten nicht die bestmögliche Diagnose zu erhalten, weil nicht alle vorhandenen Daten ausgewertet oder nicht alle verfüg- Quelle: Continentale baren Techniken genutzt werden dürfen. - 10 -
Impressum Das Handelsblatt Research Institute (HRI) ist ein unabhängiges Forschungsinstitut unter dem Dach der Handelsblatt Media Group. Es schreibt im Auftrag von Kundinnen und Kunden, wie Unternehmen, Finanzinvestoren, Verbänden, Stiftungen und staatlichen Stellen wissens- chaftliche Studien. Dabei verbindet es die wissenschaftliche Kompetenz des 30-köpfigen Teams aus Ökonom:innen, Sozial- und Naturwissenschaftler:innen sowie Historiker:innen mit journalistischer Kompetenz in der Aufbereitung der Ergebnisse. Es arbeitet mit einem Netzwerk von Partner:innen sowie Spezialist:innen zusammen. Daneben bietet das Handelsblatt Research Institute Desk-Research, Wettbewerbsanalysen und Marktforschung an. Autor: Dr. Hans Christian Müller Layout: Isabel Rösler, Christina Wiesen Stand: Oktober 2021 Bilder: © Roche SPONSORED BY: Roche: Diagnostik, Pharma und Health-IT unter einem Dach Das Schweizer Gesundheitsunternehmen Roche ist ein weltweit führendes Biotech-Unternehmen, das sich auf die Erforschung und Entwicklung innovativer Diagnostika und Therapielösungen spe- zialisiert hat. Weltweit beschäftigt Roche über 100.000 Mitarbeiter:innen – davon rund 17.200 in Deutschland. Jährlich investiert Roche über 10 Milliarden Schweizer Franken in Forschung und Entwicklung – damit zählt Roche zu den zehn Unternehmen, die weltweit am meisten in Forschung investieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Erkrankungen mit einem besonders hohen Bedarf an neuen medizinischen Lösungen. Neben der Onkologie sind dies unter anderem neurologisch-psychi- atrische Erkrankungen, die Immunologie sowie Infektionskrankheiten. Mehr Informationen: www.roche.de - 11 -
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