Diagnose und Therapie der uni- und bipolaren Depression - www.kup.at
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Diagnose und Therapie der uni- und Homepage: bipolaren Depression www.kup.at/ Kasper S JNeurolNeurochirPsychiatr Journal für Neurologie Online-Datenbank mit Autoren- Neurochirurgie und Psychiatrie und Stichwortsuche 2000; 1 (1), 7-16 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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S. Kasper DIAGNOSE UND THERAPIE DER DIAGNOSE UND THERAPIE DER UNI- UNI- UND BIPOLAREN UND BIPOLAREN DEPRESSION DEPRESSION dung 1 zusammengefaßt. Im Sin- Diagnoses and therapy of depression ne einer multifaktoriellen Genese münden diese in eine gemeinsa- Summary compliance rate with patients me Endstrecke und führen zu ei- since these agents proved to ner Veränderung der in der Patho- In the past 20 years substantial be as effective as the older genese wichtigen Neurotransmit- progress was made for the medication, however, with ter Serotonin und Noradrenalin. standardising and operational- considerably lower side effect ising diagnoses of depression. profiles. This is insofar of im- Depressionen (depressive Episo- This approach led to a very portance as treatment of affec- den nach ICD-10) gehören zu den positive development in re- tive disorders necessitates a häufigsten psychiatrischen Erkran- search and daily clinical prac- long-term treatment in order kungen. In der allgemeinmedizi- tice. The introduction of modern to minimise the risk of re- nischen Praxis sind sie wahr- antidepressants as well as mood lapse. scheinlich jene Krankheit, mit der stabilizers resulted in a higher der Hausarzt am meisten konfron- tiert ist. Etwa 17 % der Gesamtbe- völkerung (Lebenszeitprävalenz) Verletzlichkeit (Vulnerabilität) für weisen im Verlauf ihres Lebens ZUSAMMENFASSUNG die Entstehung einer Depression einmal eine depressive Episode gekennzeichnet. Neben dem auf. Etwa die Hälfte davon, also spontanen Auftreten depressiver ca. 8–10 %, leiden an einer de- In den vergangenen Jahren wurde Verstimmungen können belasten- pressiven Episode, die zwar gering die Diagnostik affektiver Erkran- de Lebensereignisse (life events) ausgeprägt, aber immerhin noch kungen international standardi- sowie chronische Belastungen klinisch relevant ist. Die verschie- siert und operationalisiert und depressive Episoden auslösen. denen Formen depressiver Erkran- dadurch sowohl für die Forschung Einige der ätiopathogenetisch kungen, diagnostiziert nach ICD- als auch für die Praxis leichter wichtigen Faktoren sind in Abbil- 10, sind in Tabelle 1 aufgeführt. handhabbar gemacht. Die Thera- pie dieser häufigen Erkrankung Abbildung 1: Ätiologie der Depressionen (mit freundlicher Genehmigung aus: S. Kasper hat durch die Einführung moder- et al. Depression: Diagnose und Pharmakotherapie. Thieme, Stuttgart, New York, 1997) ner Antidepressiva und Stimmungs- stabilisatoren (mood stabilizer), die bei gleicher Effektivität ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweisen, eine höhere Akzep- tanz bei Patienten bewirkt. Dies ist insofern von Bedeutung, da bei der Behandlung affektiver Erkran- kungen meist eine Langzeit- behandlung indiziert ist, um das Rückfallsrisiko zu reduzieren. ÄTIOLOGIE UND HÄUFIGKEIT DEPRESSIVER KRANKHEITSBILDER Das Vorhandensein und Zusam- menwirken von biologischen und psychologischen Variablen wird im Sinne einer Disposition als J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 1/2000 7
DIAGNOSE UND THERAPIE DER UNI- UND BIPOLAREN Tabelle 1: Hauptformen depressiver Erkrankungen DEPRESSION Klinische Einteilung ICD-10- ICD-10- Klassifizierung Kodierung DIAGNOSTIK DER DEPRESSION • Unipolare Depression Depressive Episode1 F 32 Rezidivierende depr. Episode1 F 33 Zur Zeit werden international • Bipolare Depression Bipolare affektive Störung, zwei führende und miteinander gegenwärtig depr. Episode1 F 31 weitgehend vergleichbare Dia- • Dysthymia (depressive Neurose) Dysthymia F 34.1 gnosesysteme verwendet: die 10. (anhaltende milde Depression) Revision der Internationalen Klas- • Depressive Anpassungsstörung Anpassungsstörung F 43.2 sifikation (ICD-10) sowie das • Schizoaffektive Psychosen Schizodepressive amerikanische System (Diagnostic Störung F 25.1 and Statistical Manual, 4. Revi- sion; DSM-IV). Die früher nach • Organisch bedingte Depression Organisch depressive (z. B. M. Cushing) Störung F 06.32 ICD-9 als „endogene Depressi- on“ bezeichnete Erkrankung der • Demenz und depressive Demenz und vorwiegend Symptome depressive Symptome2 F 00–F 03.X3 Depression wird nun nach ICD- 10 als „depressive Episode“ und 1 Ausprägungsgrad: leicht (F 32.0, F 33.0), mittelgradig (F 32.1, F 33.1), schwer nach DSM-IV als „Major Depres- (F 32.2, F 33.2) sion“ bezeichnet. Die Diagnose 2 Ausschluß der Kriterien für eine depressive Episode (F 32), ansonsten werden kann aufgrund des Vorliegens von beide klassifiziert 8 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 1/2000
DIAGNOSE UND THERAPIE DER UNI- UND BIPOLAREN DEPRESSION Wichtigste Symptome Tabelle 2: Symptome der depressiven Episode nach ICD-10 Hauptsymptome Andere häufige Symptome Bei der am häufigsten vorkom- 1. Gedrückte Stimmung 1. Konzentrationÿß menden unipolar verlaufenden 2. Interessen-/Freudlosigkeit 2. Selbstwertgefühlÿß Depression leidet der Patient aus- 3. Antriebsstörung 3. Schuldgefühl schließlich unter depressiven Epi- 4. Hemmung/Unruhe soden, bei der bipolaren Depressi- 5. Selbstschädigung on treten auch manische bzw. 6. Schlafstörung 7. Appetitminderung hypomanische Krankheitsepisoden auf. Bei der Dysthymia liegt eine 2 oder 3 Hauptsymptome 2–4 Symptome depressive Grundgestimmtheit vor, müssen vorhanden sein müssen vorhanden sein die über eine längere Zeit des Le- bens (mindestens 2 Jahre) andauert Dauer: mindestens 2 Wochen (mehr schlechte als gute Tage). Nach ICD-10 ist die Ausprägung der Symptome bei der Dysthymia Haupt- und anderen häufigen von 2 Wochen sind in einem vor- jedoch geringer als bei der depres- Symptomen gestellt werden, und liegenden Manual standardisiert siven Episode. Bei der depressiven sowohl die Anzahl, der Aus- (Tabelle 2). Anpassungsstörung kommt es zu prägungsgrad und die Zeitdauer einer milden depressiven Ge- J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 1/2000 9
DIAGNOSE UND THERAPIE DER UNI- UND BIPOLAREN DEPRESSION stimmtheit im Zusammenhang mit lebensgeschichtlichen Ereignissen Abbildung 2: Entscheidungsbaum zur Diagnostik der Depression nach ICD-10 (z. B. Veränderung im beruflichen (mit freundlicher Genehmigung aus: S. Kasper et al. Depression: Diagnose und Pharmako- bzw. familiären Gefüge), und bei therapie. Thieme, Stuttgart, New York, 1997) der schizoaffektiven Psychose lie- gen sowohl Symptome der Schizo- phrenie als auch der depressiven Episode vor. In Abbildung 2 ist ein Entscheidungsbaum zur Diagno- stik der Depression nach ICD-10 angegeben. Differentialdiagnose Die Differentialdiagnose stellt sich vor allem zwischen den ver- schiedenen Formen der Depres- sionen selbst (Tabelle 1) und zum anderen in Abgrenzung zu den Angsterkrankungen und zur De- menz. Weiterhin kann durch die exakte organmedizinische Abklä- rung (Anamnese, Labor, Elektro- enzephalogramm bzw. gegebe- nenfalls Computertomogramm oder Magnetresonanztomogramm des Schädels) eine organisch be- dingte Depression erfaßt werden (z. B. M. Cushing bzw. depressive Symptome bei Multiinfarktde- menz). Angst tritt sowohl als Sym- ptom einer Depression (meist Zukunftsangst bzw. Agitiertheit) als auch als eigenständiges Syn- drom bei den Angststörungen auf. Bis zu zwei Drittel der depressi- ven Patienten in einer Allgemein- praxis können klinisch relevante Tabelle 3: Abgrenzung der depressiven Pseudodemenz zur senilen Demenz Angstsymptome aufweisen. Ver- laufsstudien haben gezeigt, daß Depression Demenz Angststörungen mit der Zeit in • Schneller, erkennbarer Beginn • Schleichender, unklarer Beginn eine depressive Episode überge- • Symptome oft von kurzer Dauer • Symptome dauern schon lange hen können, jedoch selten umge- • Stimmung ist beständig depressiv • Stimmung und Verhalten fluktuieren • „ Weiß nicht“-Antworten sind typisch • Annähernd richtige Antworten über- kehrt. Sowohl von klinisch-psycho- • Patient stellt Defizite besonders heraus wiegen pathologischer Seite (siehe Tabel- • Große Schwankungen der kognitiven • Patient sucht Defizite zu verbergen le 3), als auch von apparativ-me- Leistungsschwäche • Kognitive Leistungsschwäche relativ dizinischer Seite (insbesondere • Bildgebende Verfahren (insbes. SPECT) konstant durch bildgebende Verfahren des uncharakteristisch • Bildgebende Verfahren (insbes. HMPAO-SPECT) charakteristisch Gehirns) gelingt es, eine depressi- ve Pseudodemenz von einer seni- HMPAO-SPECT: Durchblutungsmessung des Gehirns mittels Single-Photonen- Emissions-Computertomographie len Demenz abzugrenzen. 10 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 1/2000
DIAGNOSE UND THERAPIE DER UNI- UND BIPOLAREN DEPRESSION Tabelle 4: Empfehlung der Routineuntersuchungen vor und während einer me- dikamentösen, antidepressiven Therapie THERAPIE DER UNIPOLAREN Viertel- DEPRESSION Parameter Vorher3 Monate3 jährlich 1 2 3 4 5 6 Vor Einleitung einer sowohl medi- RR/Plus • •• •• •• • • • • kamentösen als auch psychothe- Blutbild • •• •• •• • • • • rapeutischen Behandlung emp- Harnstoff, Kreatinin • • • • fiehlt sich eine Routineuntersu- GOT, GPT, g-GT • • • • • • chung, die verschiedene Parame- EKG • •1 •1 •1 EEG • •2 •2 •2 ter beinhaltet (Tabelle 4). Die me- dikamentöse Therapie stützt sich • Anzahl der Kontrollen auf eine exakte psychiatrische 1 Bei Patienten über 50 Jahre und bei kardiovaskulären Störungen und organmedizinische Diagno- 2 Bei Patienten mit hirnorganischen Störungen 3 Bei SSRIs und RIMAs nur Voruntersuchung notwendig, anfangs vierteljährlich stik und sollte syndromorientiert und später halbjährliche Kontrolle der Laborparameter Verwendung finden. Bei der Aus- wahl einer medikamentösen anti- depressiven Therapie (Tabelle 5) sollte für den verschreibenden Tabelle 5: Auswahl von Antidepressiva Arzt sowohl die Klassifizierung Wirksubstanz Produktname Therapeu- Halbwertszeit Potentiell toxisch der Antidepressiva, die meist in Österreich* tische Dosis Mittelw. (Breite) bei Kombination auch den Wirkmechanismus cha- (mg/Tag) in Stunden mit rakterisiert, als auch die Halb- Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) wertszeit sowie die Toxizität bei Citalopram Seropram 10–60 33 (19–45) MAO-Is Überdosis bzw. potentiell toxi- Fluoxetin Fluctine 20–80 168 (72–360) MAO-Is sche Kombinationen mit anderen Fluvoxamin Floxyfral 100–300 20 (17–22) MAO-Is Pharmaka bekannt sein. In ver- Paroxetin Seroxat 20–50 24 (3–65) MAO-Is Sertralin Tresleen 50–200 23 (18–29) MAO-Is schiedenen Übersichtsarbeiten werden die Vor- und Nachteile Neue Antidepressiva der älteren (trizyklischen) Antide- Johanniskraut Jarsin 300–900 6 (4–8) – pressiva (TZA) und der modernen Milnacipram Ixel 50–200 9 (5–11) MAO-Is Mirtazapin Remeron 15–45 25 (20–40) – selektiven Serotonin-Wiederauf- Nefazodon Nefadar 100–400 3 (2–4) MAO-Is nahmehemmer (SSRI) gegenüber- Reboxetin Edronax 4–8 7 (4–9) MAO-Is gestellt. Ein Vorteil der TZA ist Tianeptin Stablon 10–30 5 (4–7) – zum Beispiel, daß sie seit vielen Venlafaxin Efectin 50–300 8 (3–13) MAO-Is Jahren in Verwendung sind und Reversible Hemmer der MAO-A (RIMA) der Arzt im Umgang mit ihnen Mocolobemid Aurorix 300–600 2 (1–3) SSRIs vertraut ist. Die Nachteile der Trizyklika, Heterozyklika TZA bestehen jedoch in den z. T. Amitriptylin Saroten 75–300 24 (16–46) Antiarrhytmika schwerwiegenden Nebenwirkun- MAO-Is gen, insbesondere auf das kar- Clomipramin Anafranil 75–300 24 (20–40) Antiarrhytmika diovaskuläre System, aber auch MAO-Is hinsichtlich der Gefahr bei Glau- Desipramin Pertofran 75–300 18 (12–50) Antiarrhytmika kom-Patienten bzw. bei Prostata- MAO-Is Doxepin Doxepin 75–300 17 (10–47) Antiarrhytmika hypertrophie. Insgesamt überwie- MAO-Is gen die Vorteile der SSRIs hin- Maprotilin Ludiomil 100–225 43 (27–58) MAO-Is sichtlich der Nebenwirkungen Nortriptylin Nortrilen 30–200 26 (18–88) Antiarrhytmika gegenüber den TZA. Einige Anti- MAO-Is depressiva sind zum Teil erst seit Trazodon Trittico 150–600 8 (4–14) – kurzem auf dem Markt, sodaß * Auswahl noch genau beobachtet werden J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 1/2000 11
Abbildung 3: Schematisierte Darstellung des Langzeitverlaufs einer depressi- DIAGNOSE UND ven Episode (nach Kupfer 1991, Übertragung ins Deutsche durch Kasper et al., 1994) (mit freundlicher Genehmigung aus: S. Kasper et al. Depression: Diagnose und THERAPIE DER Pharmakotherapie. Thieme, Stuttgart, New York, 1997) UNI- UND BIPOLAREN DEPRESSION Tabelle 6: Indikationen für eine über Jahre andauernde prophylaktische Langzeittherapie ³ 3 Episoden (innerhalb von 5 Jahren) 2 Episoden (innerhalb von 5 Jahren) und folgende Risikofaktoren: • Spätes Erkrankungsalter (über 60 Jahre) • Frühes Erkrankungsalter (unter 40 Jahre) • Kurzes Intervall zwischen Episoden • Rasche Symptomentwicklung bei Episoden • Positive Familienanamnese mit affektiven Erkrankungen • Komorbidität (doppelte Depres- sion, Angsterkrankungen, Mißbrauch von Alkohol und/oder Medikamenten) • Schwere der Indexepisode (inklu- sive Suizidalität) • Schlechte Behandelbarkeit in der stabilizer, s. u.) eingesetzt werden, schlechterung der Symptomatik Erhaltungstherapie • Geringes Maß an Arbeitsfähigkeit um das Auftreten einer manischen bzw. mit einem Wiederauftreten Phase bzw. von Mischzuständen zu der Depression verbunden war. verhindern. muß, ob nicht bei speziellen Bei einer bipolaren affektiven Stö- Symptomen bzw. Medikamenten- Langzeittherapie der unipolaren rung sollte zusätzlich bzw. in der konstellationen unerwünschte Depression Phase der prophylaktischen Thera- Nebenwirkungen auftreten. pie ein Stimmungsstabilisator, wie Hinsichtlich der Langzeittherapie z. B. Lithium, Carbamazepin bzw. Von klinischer Relevanz ist, daß wurde von nationalen und inter- Valproinsäure, entweder als die TZA bei Überdosierung, z. B. nationalen Gremien das 3-Pha- Monotherapie oder als zusätzliche im Rahmen eines Suizidversuchs, sen-Schema von Akuttherapie, Therapie zu Antidepressiva bzw. gefährlich sind, da bei einer für Erhaltungstherapie und prophy- zu atypischen Antipsychotika ver- einen Zeitraum von 14 Tagen ver- laktischer Therapie (siehe Abb. 3) ordnet werden, da die alleinige schriebenen Medikamentenmenge erarbeitet. Dabei wird hervorge- antidepressive Medikation der bereits die Dosis letalis besteht, hoben, daß für den Zeitraum von Placebogabe gleichzusetzen ist mit der sich der Patient das Leben 4–6 Monaten nach der akuten und zum Auftreten einer mani- nehmen kann. Demgegenüber Therapie, im Sinne einer Erhal- schen Verstimmung bzw. zu weisen die neueren Antidepressiva, tungstherapie, die antidepressive Mischbildern führt. z. B. SSRIs bzw. RIMA, keine Medikation in der Dosierung bei- schwerwiegenden Nebenwirkun- behalten werden sollte, mit der gen auf und sind bei Überdosie- die Remission erzielt wurde, und rung (z. B. Suizidversuch) als bei Vorliegen spezieller Prädik- Problemstellung bei der Tabelle 7: nicht gefährlich einzustufen. toren (siehe Tab. 6) sollte an eine bipolaren Störung über mehrere Jahre dauernde pro- • Langzeiterkrankung Beim Vorliegen einer bipolaren phylaktische Therapie gedacht • Komplikation durch Komorbidität Depression sollte bereits während werden. Empirische Studien (Substanzmißbrauch, Angsterkran- der depressiven Phase zusätzlich haben ergeben, daß eine Dosis- kungen) zum gewählten Antidepressivum reduktion bzw. ein zu frühes • Suizidrisiko Absetzen der antidepressiven • Wahnhafte Symptome ein Stimmungsstabilisator (aus • Psychosoziale Konsequenzen dem Englischen übersetzt: mood Medikation jeweils mit einer Ver- 12 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 1/2000
DIAGNOSE UND THERAPIE DER UNI- UND BIPOLAREN DEPRESSION entsprechend vertreten wird. Tabelle 8: Diagnostische Charakteristika der bipolaren und unipolaren Störung Durch die fehlende Behandlung nach ICD-10* und DSM-IV** bzw. durch das dadurch entste- Bipolar I Mindestens eine manische Episode, und eine depressi- hende Auftreten von schweren ve Episode kann vorhanden sein oder nicht manischen bzw. depressiven Ver- Bipolar II Mindestens eine hypomane Episode zusätzlich zur stimmungen sind negative psy- depressiven Episode chosoziale Konsequenzen zu er- Zyklothymia Im Langzeitverlauf zeigen sich depressive und warten, mit Verlust des Arbeitsplat- hypomane Symptome. Kriterien für Major Depression zes und der familiären Beziehun- (depressive Episode), Hypomanie oder Manie sind nicht erfüllt gen. Weiterhin muß bei dieser Unipolare Depression Depression; kein Anhalt für Hypomanie und Zyklo- Erkrankung das Suizidrisiko im thymia (keine Familienanamnese für bipolare Störung) Vergleich zur Allgemeinbevölke- rung als signifikant erhöht angese- * Internationale Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorgani- sation, 10. Version hen werden, und es konnte ge- **Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Psychiatri- zeigt werden, daß Patienten mit schen Vereinigung der USA, 4. Version einer bipolaren Störung, die keiner adäquaten Langzeitbehandlung zugeführt wurden, eine höhere de Depressionen, die mit unter- Morbidität und Mortalität an kör- BIPOLARE STÖRUNG schiedlich ausgeprägten hypo- perlichen Erkrankungen aufweisen manen Episoden verbunden sind, (siehe Tabelle 7). (FRÜHER: MANISCH- gehen in diese Berechnungen ein. DEPRESSIVE ERKRANKUNG) Die Diagnostik der Spektrumer- Diagnostik der bipolaren Störung krankungen ist insofern von klini- scher Relevanz, da sie eine Thera- Bei der Beurteilung der Patienten In den vergangenen Jahren hat pie mit spezifischen „Stimmungs- mit einer bipolaren Störung ist sich die Aufmerksamkeit wieder stabilisatoren (mood stabilizers)“ neben der Erhebung der aktuellen vermehrt auf die bipolare Störung notwendig machen. Die Diagno- Symptomatologie ein besonderes (früher als manisch-depressive stik der Hypomanie wird oft über- Augenmerk darauf zu legen, ob Erkrankung bezeichnet) gerichtet, sehen, und neuere Studien haben hypomane bzw. manische Episo- nachdem epidemiologische und darauf hingewiesen, daß die früher den in der Vorgeschichte auftraten pharmakotherapeutische Studien angegebene Mindestdauer von 4 (siehe Abb. 4). Epidemiologische die Bedeutung der exakten Dia- Tagen wahrscheinlich auf die Min- Langzeituntersuchungen haben gnosestellung im Langzeitverlauf destdauer von 2 Tagen einge- darauf hingewiesen, daß hypo- hervorgehoben haben. Es zeigte schränkt werden sich dabei, daß außer der klassi- sollte. Abbildung 4: Verlauf der bipolaren Störung und Zyklothymia schen bipolaren Störung auch ein (mit freundlicher Genehmigung aus: S. Kasper et al. Konsensus- weiteres Spektrum der bipolaren Die bipolare Stö- Statement: Diagnostik und Therapie der bipolaren Störung. Neuro- Störung diagnostiziert werden rung bedarf einer psychiatrie 1999; 13 (3): 100–108) kann. Durch Einbeziehung der pharmakologi- bipolaren Spektrumerkrankungen schen Lang- ist die oft angegebene Lebens- zeitbehandlung, zeitprävalenzrate von 1 % als un- die im Zusam- tere Grenze anzunehmen, und menhang mit nach Miteinbeziehung der sub- einem entspre- syndromalen Formen im Rahmen chenden krank- des bipolaren Spektrums müssen heitsspezifischen Raten um 5 % der Allgemein- Management, in bevölkerung angenommen wer- Laienkreisen, den. Insbesondere die Bipolar-II- aber auch in Erkrankungen, d. h. wiederkehren- Fachkreisen nicht J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 1/2000 13
DIAGNOSE UND THERAPIE DER DEPRESSION mane und manische Phasen häufig von den Patienten nicht angegeben werden. Tabelle 9: Indikationen für eine prophylak- Die Erhebung der Familienanamnese ist tische Therapie bei bipolarer Störung mit insofern von großer Bedeutung, da z. B. Stimmungsstabilisatoren die Familienanamnese mit einer bipola- Bipolar I • 3 Episoden einer Depression ren Störung darauf hinweist, daß bei oder Manie, unabhängig vom einer aktuell bestehenden Depression Intervall eines Patienten der Wechsel in eine • 2 Episoden einer Depression oder Manie innerhalb von 5 hypomane/manische Episode zu einem Jahren höheren Prozentsatz gegeben ist, als • 2 Episoden einer Depression wenn eine unauffällige Familienana- oder Manie bei positiver mnese vorliegt. Diese Überlegung sollte Familienanamnese mit bipo- insbesondere auch bei Adoleszenten larer Störung oder schwerer Erkrankung und bei Kindern angestellt werden, wo- bei häufig eine subklinische affektive Bipolar II • 3 Episoden einer Depression Instabilität vor dem vollen Ausbruch oder Hypomanie, unabhängig einer bipolaren Störung gefunden wird. vom Intervall Bei der Diagnostik einer bipolaren Stö- • 2 Episoden einer Depression oder Hypomanie innerhalb rung empfiehlt es sich, den Verlauf der von 5 Jahren Stimmung in sogenannten „Life-charts“ aufzuzeichnen, bei denen der Verlauf der Stimmung des Patienten selbst und pressiva wird häufig von den Patienten auch seiner Erstgradverwandten darge- schlecht toleriert, insbesondere in Kom- stellt wird. Dadurch kann sowohl die bination mit Lithium, und ist darüber Diagnostik mit der Erfassung hypo- hinaus als toxisch bei Überdosierung maner/manischer Episoden als auch anzusehen. Im Gegensatz dazu werden die nachfolgende Behandlung optimiert selektive Serotonin-Wiederaufnahme- werden (siehe Tabelle 8). hemmer sowie die anderen neueren Antidepressiva von den Patienten bes- Akute Depression im Rahmen der ser toleriert, können als sicher bei einer bipolaren Störung Überdosierung angesehen werden und weisen gegenüber den Trizyklika eine Sowohl die klinische Praxis als auch geringere Switch-Rate auf (Trizyklika die wenigen verfügbaren Daten lassen etwa 7 %, SSRI etwa 3 %). Sehr niedri- erkennen, daß Antidepres- siva sowohl bei der akuten Tabelle 10: Medikamente (Stimmungsstabilisatoren) zur unipolaren als auch bei der prophylaktischen Therapie bei bipolarer Störung akuten bipolaren Depressi- on gleich wirksam sind. In Wirksubstanz Dosierung* Blutspiegel mg/Tag der klinischen Praxis sollten Faktoren wie „Switch-Rate“ Lithiumcarbonat 400–800 0,6–0,8 mVal/l (d. h. Induktion von Hypo- Carbamazepin 400–1200 4–10 µg/ml manie/Manie), Medikamen- (Oxcarbamazepin** 400–1200) Valproinsäure, teninteraktionen, Tolerabi- Na-Valproat 750–1500 50–120 mg/l lität, Compliance, Toxizität Lamotrigin** 200–300 1–10 µg/ml in Überdosierung und die Topiramat** 50–200 – Verfügbarkeit berücksichtigt * = Initialdosis deutlich geringer werden. Die Behandlung ** = für diese Indikation nicht zugelassen mit trizyklischen Antide-
DIAGNOSE UND THERAPIE DER DEPRESSION ge Switch-Raten (etwa 1 %) sind für das placebokontrollierten Ergebnisse für in den USA erhältliche Antidepressivum Carbamazepin vor, obwohl dieses Prä- Buproprion, für Moclobemid und den parat in Europa für diese Indikation vor kurzem eingeführten spezifischen zum Teil zugelassen ist. In der Praxis Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wird oft eine Kombination von Stim- Reboxetin beschrieben worden. mungsstabilisatoren durchgeführt, ob- wohl keine kontrollierten Daten vorlie- Zusätzlich zur antidepressiven Therapie gen, die ein solches Vorgehen rechtfer- sollte bereits während der akuten tigen würden. Aufgrund der von dem depressiven Phase die Therapie mit US-amerikanischen Forscher Post auf- Stimmungsstabilisatoren weitergeführt gestellten Kindling-Hypothese geht man bzw. neu initiiert werden, wenn diese davon aus, daß eine bipolare Erkran- zuvor nicht bestand. Die antidepressiven kung zu einem späteren Zeitpunkt Eigenschaften der Stimmungsstabilisa- wahrscheinlich eher von der Gabe ei- toren reichen wahrscheinlich nicht aus, nes Antiepileptikums als von Lithium um die bestehende depressive Sympto- profitiert. matik alleine zu behandeln, wenngleich bei milden Depressionen ein Versuch mit Obwohl Neuroleptika/Antipsychotika in z. B. Lithium unternommen werden der prophylaktischen Therapie der bipo- kann. Bei einer schweren depressiven laren Erkrankung häufig verwendet wer- Symptomatik, insbesondere mit wahn- den (bis zu 50 %), gibt es wenig Unter- haften Zügen, bei bestehender schwerer suchungen, um dieses Vorgehen zu Suizidalität und Behandlungsresistenz rechtfertigen. Die Langzeitbehandlung hat sich die Elektrokrampftherapie als mit Flupenthixol hat z. B. ergeben, daß effektiv erwiesen. inakzeptabel hohe Raten von Depressio- nen auftreten. Atypische Antipsychotika Langzeitbehandlung der versprechen hingegen durch das spezifi- bipolaren Störung sche Rezeptorprofil (5-HT2-Blockade) eine deutlichere Effizienz, wie z. B. be- Die bipolare Störung bedarf einer Lang- reits aus den Erfahrungen mit Clozapin, zeittherapie, und in Tabelle 9 sind die Olanzapin und Risperidon bekannt ist. Indikationen für eine prophylaktische Die Medikamente, die bei der bipolaren Therapie angegeben. Zur Zeit stehen Störung eingesetzt werden, sind in Tabel- die in Tabelle 10 angeführten Medika- le 11 zusammengefaßt. mente für diese Indikation zur Verfügung. Die prophy- laktischen Eigenschaften Tabelle 11: Medikamente bei bipolarer Störung von Lithium sind unbestrit- 1. Stimmungsstabilisatoren (siehe Tabelle 10) ten, wenngleich auch die Medikamente 1. Wahl für Akut-, Erhaltungs- und Effektivität nicht so hoch prophylaktische Therapie ist, wie man früher gedacht 2. Antipsychotika: Atypische Antipsychotika: günstig als Zusatztherapie hat. Neuere placebo- und bei Manie bzw. psychotischer Depression lithiumkontrollierte Lang- Typische Antipsychotika (z. B. Haloperidol, zeituntersuchungen haben Zuclopenthixol) sind Medikamente 2. Wahl, even- ergeben, daß die Valproin- tuell als Zusatztherapie bei hoher Produktivität säure in der Langzeitbe- 3. Antidepressiva: handlung der bipolaren Als Zusatztherapie bei Depressionen Störung wirksam ist. Im 4. Weitere Zusatztherapien: Gegensatz dazu liegen keine Schilddrüsenhormone, Schlafentzug, Lichttherapie
Wichtigste „Mythen“ bzw. „Fallgruben“ bei der Diagnose und Therapie von Depressionen Depressionen sind nicht häufig. Demgegenüber weisen epidemiologische Unter- suchungen Lebenszeitprävalenzraten bis zu 17 % auf. DIAGNOSE UND Depressionen sind keine Krankheiten, sondern nur Probleme. Im Gegensatz dazu THERAPIE DER handelt es sich bei der Depression um eine medizinische Erkrankung, vergleich- bar mit Hypertonus und Diabetes mellitus. UNI- UND Depressionen sind keine schweren Erkrankungen. Im Gegensatz dazu steht häufi- BIPOLAREN ges Auftreten von Suiziden (1 von 10 Patienten). DEPRESSION Depressionen sind einmalige Ereignisse. Im Gegensatz dazu ist die Wahrschein- lichkeit des Wiederauftretens 75 %. Depressionen sind nur in der Psyche manifestiert. Im Gegensatz dazu steht das Auftreten von biochemischen Veränderungen im zentralen Nervensystem. SCHLUSSBEMERKUNG Häufig „präsentieren“ depressive Patienten körperliche Beschwerden, und die depressive Verstimmung bzw. weitere Haupt- und andere häufige Symptome wer- den erst durch exaktes Nachfragen evident. Neben den oben dargestellten Eine Depression wird nicht als solche erkannt, sondern häufig im Zusammenhang Schwerpunkten der Diagnostik mit ubiquitären Lebensumständen erklärt (Überarbeitung etc.). und Behandlung depressiver Er- Eine Depression bei älteren Menschen wird häufig verkannt, da angenommen krankungen ist eine besondere wird, daß dies sowieso zum Alter gehöre. Beachtung dieser Diagnostik bei Verkennung der Depression durch Vorliegen einer depressiven Pseudodemenz. Kindern und Adoleszenten sowie Dies kann sowohl anhand klinischer Parameter (siehe Tabelle 3) als auch anhand von apparativen Parametern geklärt werden. bei älteren Patienten gegeben. Vorliegen von Depression und Angst: Das beinhaltet, daß initial mit einer niedri- Gerade bei Jugendlichen ist z. B. gen antidepressiv/medikamentösen Therapie begonnen werden sollte, da anson- die bipolare Störung häufig unter- sten die Angstsymptomatik verstärkt wird. diagnostiziert. Die häufige Ko- Häufig drängt der Patient den Arzt in der Phase der Erhaltungstherapie, die Dosie- morbidität der depressiven Er- rung wieder zu reduzieren, was häufig mit einer Symptomprovokation bzw. mit krankungen mit z. B. Panik- einem Wiederauftreten der Depression verbunden ist. störung, Zwangsstörung (OCD), Nebenwirkungen von Antidepressiva, z. B. Gewichtszunahme, führen häufig zum sozialer Phobie und Substanz- Absetzen der Medikation. mißbrauch bedarf einer weiteren speziellen Beachtung, wobei zu- möglichen Verursachungs- und Berzlanovich A, Kasper S. Suicide by antidepressant intoxication at autopsy in sätzlich zu der aktuellen Therapie Beeinflussungsmöglichkeiten ge- Vienna between 1991–1997: the favourable diejenige Pharmakotherapie An- kannt wird. Einen gewichtigen consequences of the increasing use of SSRIs. wendung finden sollte, die für die Eur Neuropsychopharmacol 2000; 10: 133– Faktor stellt bei beiden Formen 42. entsprechende komorbide Erkran- depressiver Erkrankungen (uni- Kasper S. Sonstige biologische Therapie- kung zugelassen ist. Bei Frauen ist bzw. bipolar) beim jeweiligen verfahren (EKT, TMS, Schlafentzugs- die enzyminduzierende Eigen- behandlung, Lichttherapie): Theoretische und Patienten die genaue Kenntnis der empirische Grundlagen, sowie klinische schaft von Stimmungsstabilisato- Medikation mit ihren pharmako- Anwendungsprinzipien. In: Möller HJ, Laux ren (z. B. Carbamazepin) bei der logischen Besonderheiten dar, G, Kapfhammer HP (Hrsg). Psychiatrie und Psychotherapie. Springer-Verlag, Berlin, Hei- gleichzeitigen Gabe von oralen um die notwendige Compliance delberg, New York, 2000; 588–605. Kontrazeptiva zu beachten sowie sicher zu stellen. Kasper S, Haushofer M, Zapotoczky HG, spezielle Sorgfalt in der Schwan- Aschauer H, Wolf R, Bonelli M, Wuschitz A. Konsensus-Statement: Diagnostik und Thera- gerschaft und Laktation zu legen. Weiterführende Literatur: pie der bipolaren Störung. Neuropsychiatrie 1999; 13: 100–8. American Psychiatric Association. The Während bei der unipolaren De- practice of ECT: recommendations for Kasper S, Zapotoczky HG, Stuppäck C, König P, Wuschitz A. Konsensus-Statement: Diagno- pression beachtliche Erfolge der treatment, training and privileging. stik und Therapie der Depression. Convulsive Ther 1990; 6: 85–120. Psychotherapie, und dabei beson- Neuropsychiatrie 1997; 2: 59–67. American Psychiatric Association. Practice ders der kognitiven Verhaltens- guidelines for major depressive disorder in Neumeister A, Praschak-Rieder N, therapie, vorliegen, ist eine spezi- adults. Am J Psychiatry 1993; 150 (Suppl): 4. Heßelmann B, Vitouch O, Rauh M, Barocka A, Tauscher J, Kasper S. 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