Diagnostik von psychischen Faktoren bei chronischem Pruritus
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Der Hautarzt Leitthema Hautarzt 2020 · 71:506–510 G. Schneider https://doi.org/10.1007/s00105-020-04596-1 Sektion für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinik für Psychische Gesundheit, Münster, Online publiziert: 28. April 2020 Deutschland © Der/die Autor(en) 2020 Diagnostik von psychischen Faktoren bei chronischem Pruritus Pruritus ist ein häufiges Symptom in der ßern [10, 27]. Daraus können sich kli- Einschränkungen der Lebensqualität, Allgemeinbevölkerung [7], in dermato- nisch relevante psychische Störungen Angst und Depressivität können auch logischen Praxen und Kliniken [6, 11, wie Anpassungsstörungen, Angst- oder mittels validierter und reliabler psycho- 13] sowie in Hausarzt- oder internis- depressive Störungen, teils sogar mit metrischer Instrumente erfasst werden. tischen Praxen [15], da er sowohl als Suizidalität, entwickeln [2]. Die Langfassung der S2k-Leitlinie zur Di- Symptom primärer Hauterkrankungen Die Diagnostik kann durch die Ana- agnostik und Therapie des chronischen als auch als Symptom systemischer Er- mnese oder auch durch den Einsatz psy- Pruritus [23] empfiehlt die in . Tab. 2 krankungen (z. B. bei Niereninsuffizienz, chometrischer Instrumente erfolgen. aufgeführten Fragebögen. Diabetes mellitus u. a.) auftreten kann. In Für die Diagnose depressiver Störun- Geschlechtsspezifische Unterschiede manchen Fällen ist auch keine dem chro- gen können folgende 2 Screeningfragen wurden insoweit gezeigt, dass Frauen nischen Pruritus (CP) zugrunde liegende gestellt werden – mit einer Sensitivität höhere Pruritusintensitäten angeben als körperliche Ursache nachweisbar, oder von 96 % und einer Spezifität von 57 % Männer sowie eine höhere Ausprägung es liegt ein multifaktoriell verursachter ein sehr zeitökonomisches Vorgehen [4, von Ängstlichkeit und Depressivität [22, CP vor [23]. Dabei können psychische 28]: 24]. Faktoren bzw. Störungen den CP antei- 4 Fühlten Sie sich im letzten Monat lig oder überwiegend verursachen, in häufig niedergeschlagen, traurig, B. Psychische Aspekte in Folge des CP auftreten oder als davon bedrückt oder hoffnungslos? Entstehung und Verlauf eines unabhängige Komorbiditäten. 4 Hatten Sie im letzten Monat deutlich chronischen Pruritus Der vorliegende Beitrag gibt einen weniger Lust und Freude an Dingen, Überblick über die Systematik psy- die Sie sonst gerne tun? B1. Klinisch relevante psychische/ chischer Faktoren in Entstehung bzw. psychosomatische Einflussfaktoren Verlauf des CP wieder sowie Hinweise Für die Diagnose einer Panikstörung zu ihrer jeweiligen Diagnostik. oder einer generalisierten Angststörung Wenn für Auslösung und/oder Verlauf Die . Tab. 1 gibt einen Überblick. Die können orientierend folgende Fragen eines CP neben dem gleichzeitigen Vor- einzelnen Aspekte werden im Folgenden gestellt werden [4]: liegen einer oder mehrerer organischer erläutert. 4 Hatten Sie schon einmal einen Angst- Pruritusursachen relevante psychische/ anfall, bei dem Sie ganz plötzlich von psychosomatische Einflussfaktoren zu A. Psychische Beeinträchtigun- starker Angst, Beklommenheit oder identifizieren sind, wird empfohlen, die- gen/Störungen als Reaktion auf Unruhe überfallen wurden? se nach ICD(Internationale Statistische chronischen Pruritus 4 Haben Sie sich schon einmal über Klassifikation der Krankheiten und ver- mindestens einen Monat oder län- wandter Gesundheitsprobleme)-10 als Zahlreiche Studien belegen, dass chro- ger ängstlich, angespannt und voll „F54: Psychologische und Verhaltens- nischer Pruritus zu erheblichem sub- ängstlicher Besorgnis gefühlt? faktoren bei andernorts klassifizierten jektivem Leiden der Betroffenen führen Erkrankungen“ zu klassifizieren. kann: Dies kann sich in Einschränkun- Wenn die Kriterien einer depressiven Aus der Literatur sind vielfältige Ein- gen der Lebensqualität, Schlafstörun- oder Angststörung nach ICD-10 nicht flussfaktoren auf Auslösung und Verlauf gen, Störungen der Sexualität, Stim- erfüllt sind, die Belastung des Patienten von Pruritus bekannt: Pruritus und Krat- mungsverschlechterung mit Angst und/ aber klinisch relevant und Folge des zen können durch (audio)visuelle Reize oder Depressivität, Belastung zwischen- CP ist, kann die Diagnose einer Anpas- induziert werden [17]. Positive und ne- menschlicher Beziehungen, Erleben von sungsstörung im Sinne von Problemen gative Erwartungen, die auch durch ent- Stigmatisierung, sozialem Rückzug äu- der Symptombewältigung zutreffen. sprechende Instruktionen induziert wer- 506 Der Hautarzt 7 · 2020
Tab. 1 Systematik Pruritus-assoziierter psychischer Störungen A. Psychische Beeinträchtigungen/Störungen als Reaktion auf chronischen Pruritus: z. B. Anpassungsstörungen [ICD-10: F43], depressive Störungen [ICD-10: F32–F33], Angststörungen [ICD-10: F40–F41] B. Psychische Aspekte in Entstehung und Verlauf eines chronischen Pruritus – B1. Klinisch relevante psychische/psychosomatische Einflussfaktoren, die Auslösung und Verlauf jedoch nicht alleine bzw. überwiegend erklären: psycho- logische und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Erkrankungen [ICD-10: F54] – B2. Somatoformer Pruritus [ICD-10: F45.0, F45.1, F45.8] – B3. Pruritus bei coenästhetischer Schizophrenie [ICD-10: F 20] – B4. Selbst induzierte Kratzartefakte mit oder ohne Pruritus bei abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle [ICD-10: F63.3], Artefakt- störungen [ICD-10: F68.1], Zwangsstörungen [F42.1] C. Komorbidität mit prinzipiell jeder sonstigen psychischen/psychosomatischen Störung möglich, die ihrerseits das Management des Pruritus erschweren und den Krankheitsverlauf beeinflussen kann (z. B. durch Complianceprobleme bei Persönlichkeitsstörungen, Substanzmissbrauch, organischen oder schizophrenen Psychosen u. a.); bei Relevanz für den Verlauf unter ICD-10: F54 klassifizierbar ICD Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme Tab. 2 Psychometrische Instrumente zurErfassungvonLebensqualität,Angst undDepressivität und Pruritus bei atopischer Dermatitis bei chronischem Pruritus über negative pruritusbezogene Kogni- Lebensqualität Dermatology Life Quality Index (DLQI) bei Dermatosen tionen vermittelt wird [21]. ItchyQol Der häufig kaum unterdrückbare Depressivität Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) Kratzimpuls kann zu Spannungen mit Patient Health Questionnaire (PHQ) nahestehenden Personen führen, die den Beck’s Depressions-Inventar (BDI) Betroffenen auffordern, das Kratzen zu Ängstlichkeit Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) unterlassen. Die Kratzimpulse können Patient Health Questionnaire (PHQ) als nicht unterdrückbar erlebt werden. Teils werden dazu auch Hilfsgegenstände genutzt, oder es entsteht ein automa- den können (im Sinne von Placebo- oder der Pruritusempfindung bei Hauterkran- tisiertes Kratzverhalten, bei dem die Noceboeffekten), beeinflussen die Stär- kungen (u. a. [8]). Bei Gesunden wurden Betroffenen auch kratzen, wenn es nicht ke der Prurituswahrnehmung, das Kratz- ebenfalls Zusammenhänge zwischen der juckt, teils auch ohne dass es ihnen be- verhalten, die physiologischen Hautreak- Häufigkeit von „major life events“ in den wusst wird. So entsteht ein Teufelskreis tionen nach experimentell induziertem letzten 6 Monaten bzw. subjektiv wahrge- aus Jucken und Kratzen, in dem die Be- Pruritus [25, 26]. nommenem Stress und der Angabe von troffenen kurzfristig durch das Kratzen Pruritus gezeigt [18, 29]. Patienten mit Erleichterung des Pruritus empfinden, »durchPruritus und Kratzen können psychische Faktoren CP gaben vor einem sozialen Stresstest höhere Anspannung an und zeigten aus- längerfristig jedoch ihre Haut schädigen, was den Pruritus verstärken kann, zu geprägtere physiologische Stressreaktio- vermehrtem Kratzen führt usw. beeinflusst werden nen als Gesunde [14]. Die Diagnostik psychischer Einfluss- Kognitive und Verhaltensaspekte kön- faktoren in der Hautarzt/Facharztpraxis Ängstlichkeit [9], Depressivität [16] nen ebenfalls relevanten Einfluss auf die setzt eine gründliche (und leider meist sowie bestimmte Persönlichkeitseigen- CP-Wahrnehmung und -Bewältigung auch zeitintensive) Anamnese voraus: Ei- schaften wie hoher Neurotizismus (im und seine Behandlung haben. nige diagnostische Erfassungsmöglich- Sinne emotionaler Instabilität mit Ten- Das Erleben von Stigmatisierung in- keiten und beispielhafte Fragen für die in denz, mehr negative Emotionen zu folge sichtbarer Hautveränderungen wie diesem Abschnitt beschriebenen Aspekte erleben), geringe Verträglichkeit [16, 19, Kratzläsionen kann zu sozialem Vermei- sind in . Tab. 3 aufgeführt: 20] und niedriges Selbstwirksamkeits- dungsverhalten und Rückzug führen, was erleben [1] waren mit einer stärkeren dann wieder durch Wegfallen angeneh- B2. Somatoformer Pruritus Ausprägung der Pruritusempfindung mer Aktivitäten zu einer zunehmenden und des Kratzens assoziiert. Resilienz Fokussierung auf den Pruritus und da- Psychische und psychosomatische Fakto- (psychische Widerstandsfähigkeit) und rüber zu einer verstärkten Prurituswahr- ren können auch als alleinige oder über- Neurotizismus zeigten Zusammenhän- nehmung führen kann. wiegende Ursache eines CP infrage kom- ge zu einem stärkeren Ansprechen auf Negative Kognitionen wie verallge- men, der dann bei Nachweis dieser und Placeboinstruktionen für Pruritus [3]. meinernde und katastrophisierende Ge- Ausschluss relevanter organischer Ursa- Andere Studien zeigten Assoziationen dankenkönnendenStress durchdenPru- chen als somatoformer Pruritus (ICD- zwischen subjektivem Stress, belastenden ritus noch verstärken und zu vermehrtem 10: F45.8 „Sonstige somatoforme Störun- Lebensereignissen und Ausprägung der Pruritus beitragen. Es konnte gezeigtwer- gen“) klassifiziert wird. Der Begriff „psy- jeweiligen Hautsymptomatik und Stärke den, dass der Zusammenhang von Stress chogener Pruritus“ sollte nicht verwendet Der Hautarzt 7 · 2020 507
Zusammenfassung · Abstract werden, da dieser keinem anerkannten Hautarzt 2020 · 71:506–510 https://doi.org/10.1007/s00105-020-04596-1 Klassifikationssystem entspricht. © Der/die Autor(en) 2020 Somatoforme Störungen sind charak- terisiert durch wiederholtes Darbieten G. Schneider körperlicher Symptome, z. B. Pruri- Diagnostik von psychischen Faktoren bei chronischem Pruritus tus oder Hautbrennen, in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach Zusammenfassung medizinischen Untersuchungen trotz Hintergrund. Pruritus ist ein häufiges und Zwangsstörungen oder Artefaktstörungen quälendes Symptom in der Bevölkerung auftreten. Auch eine primär unabhängige wiederholt negativer Ergebnisse und sowie in ärztlichen Praxen. Komorbidität mit einer sonstigen psychischen der Versicherung der Ärzte, dass die Ziel der Arbeit. Der vorliegende Beitrag oder psychosomatischen Störung kann Symptome nicht körperlich begründbar gibt einen Überblick über die Systematik das Management des Pruritus erschweren sind. Gleichzeitig liegen psychosoziale psychischer Faktoren in Entstehung bzw. und den Krankheitsverlauf beeinflussen. Verlauf des Pruritus sowie Hinweise zu ihrer Es werden Hinweise zur Diagnostik der Belastungen vor, die die Symptoma- jeweiligen Diagnostik genannten Faktoren gegeben. tik bedingen und unterhalten können. Material und Methode. Es handelt sich um Diskussion. Die Diagnostik psychischer Die Störung kann monosymptomatisch eine Überblicksarbeit. Einflussfaktoren und psychischer Aspekte (nur Pruritus) sein oder polysympto- Ergebnisse. Psychische Beeinträchtigun- des chronischen Pruritus ist komplex. Das matisch (Pruritus begleitet von anderen gen/Störungen können als Reaktion auf wichtigste diagnostische Werkzeug ist chronischen Pruritus auftreten, z. B. als die gründliche Anamneseerhebung auch organisch nicht ausreichend erklärbaren Anpassungsstörungen, depressive Störungen, bezüglich psychischer Aspekte. Zusätzlich körperlichen Beschwerden). Angststörungen. Psychische Faktoren können können psychometrische Instrumente zum Demgemäß basiert die Diagnosestel- auch in Entstehung und Verlauf eines chroni- Einsatz kommen, die das ärztliche Gespräch lung auf dem Ausschluss einer organi- schen Pruritus eine Rolle spielen, entweder jedoch nicht ersetzen. schen Ursache und dem Nachweis psy- im Zusammenspiel mit organischen Ursachen oder bei deren Fehlen als somatoformer Schlüsselwörter chosozialer Einflussfaktoren auf Auslö- Pruritus oder Pruritus bei coenästhetischer Psychosomatische Faktoren · Psychische sung und Verlauf des Pruritus. Letztere Schizophrenie. Ferner können selbstinduzier- Störungen · Diagnostik · Anamnese · können dem im Abschn. B1 Aufgeführ- te Kratzartefakte mit oder ohne Pruritus im Somatoformer Pruritus ten entsprechen, das diesbezügliche dia- Rahmen von Störungen der Impulskontrolle, gnostische Vorgehen wäre das Gleiche. »bedingt, CP ist häufig multifaktoriell aber psychische Diagnosis of psychological aspects in chronic pruritus Abstract Faktoren können die alleinige Background. Pruritus is a frequent symptom artificial disorders. Furthermore, independent in the general population and in clinics. comorbidity with other psychic disorders Ursache sein Objective. This article gives an overview on can influence the management of chronic psychological and psychosomatic aspects of pruritus. We provide hints/tools for their chronic pruritus and tools for their diagnosis. diagnosis. Materials and methods. This is a review. Conclusions. The diagnosis of psychological In einer kürzlich publizierten Studie wur- Results. Chronic pruritus can lead to psycho- aspects in chronic pruritus is complex. The den CP-Patienten, bei denen auf der Basis logical impairment and psychic diseases, e.g., main diagnostic tool is the thorough taking einer psychosomatischen Konsiliarun- adjustment disorder, depression. Psychologi- of the patient history, including psychological tersuchung die Diagnose relevanter psy- cal factors can also be important factors in the aspects. It can be supplemented by chischer/psychosomatischer Einfluss- etiology and course of chronic pruritus, either standardized questionnaires, but these can in combination with somatic aspects or, in not be substitutes. faktoren in Auslösung/Verlauf des CP the absence of these, as somatoform pruritus oder die Diagnose somatoformer Pruri- or pruritus in coenasthetic schizophrenia. Keywords tus gestellt worden war, mit CP-Patienten Self-induced scratch lesions with or without Psychosomatic aspects · Psychic disorders · Di- verglichen, die keine anamnestische oder pruritus can be symptoms of impulse control agnosis · Medical history taking · Somatoform aktuell diagnostizierte psychische Ko- disorders, obsessive–compulsive disease or pruritus morbidität hatten. Dabei bejahten die CP-Patienten mit psychosomatischen Einflussfaktoren bzw. somatoformem Aspekte jedoch nicht exklusiv bei diesen B3. Pruritus bei coenästhetischer Pruritus als Trigger ihres Pruritus sig- Patienten zutrafen, sondern auch von Schizophrenie nifikant häufiger „Anspannung“ und manchen CP-Patienten ohne psychische „emotionale Anspannung“. Sie bejahten Komorbidität bejaht wurden, können sie Schizophrene und wahnhafte Störungen signifikant häufiger bestimmte emotio- allenfalls als Hinweise dienen [12]. können sich durch taktile Halluzina- nale Adjektive, um ihr Prurituserleben tionen als Pruritus oder die wahnhafte zu beschreiben: „grausam“, „qualvoll“, Überzeugung, an einer Infektion z. B. „aufwühlend“, „entsetzlich“ sowie „der mit Parasiten und dadurch bedingtem Juckreiz macht mich aggressiv“. Da diese Pruritus zu leiden, manifestieren. Die 508 Der Hautarzt 7 · 2020
Tab. 3 Einige Erfassungsmöglichkeiten und beispielhafte Fragen für relevante psychische/psychosomatische Einflussfaktoren, die Auslösung und Verlauf des Pruritus beeinflussen Ziel Mögliche Fragen bzw. Instrumente Zusammenhänge zu Gab es um den Zeitpunkt des Juckreizbeginns (bzw. der Verschlimmerung) besondere Ereignisse in Ihrem Leben? Lebensereignissen/Stress Haben Sie in diesem Zeitraum besondere Belastungen bzw. Stress erlebt? Bemerken Sie eine Zunahme oder Abnahme Ihres Juckreizes im Zusammenhang mit bestimmten Situationen/ Gefühlen/Emotionen/Tätigkeiten? Identifikation negativer Wenn der Juckreiz ausgeprägt ist, welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf? Erwartungen/Kognitionen/ Welche Gefühle haben Sie dabei? katastrophisierender Gedanken Zur Vertiefung können Symptomtagebücher, die die Ausprägung des Pruritus, die jeweilige Situation sowie damit verbundene Gedanken und Gefühle erfassen, zum Einsatz kommen. Zur Identifikation negativer und katastrophisierender Kognitionen steht im deutschsprachigen Raum auch der Juck- reiz-Kognitions-Fragebogen oder Eppendorfer Juckreizfragebogen zur Verfügung Identifikation negativer Was tun Sie, wenn der Juckreiz besonders ausgeprägt ist? Bewältigungsstrategien Haben Sie aufgrund des Juckreizes bestimmte Aktivitäten aufgegeben, die Ihnen früher Freude bereitet haben, bzw. sich sozial zurückgezogen? Identifikation bestimmter Per- Diese können sich aus dem Verlauf der Behandlung/der klinischen Beobachtung erschließen sönlichkeitsdispositionen sowie Ferner stehen zur Persönlichkeitsdiagnostik standardisierte psychometrische Instrumente zur Verfügung, die aber in von Complianceproblemen der Regel eher einer spezialisierten psychologischen Diagnostik vorbehalten sein werden (z. B. Neo-Fünf-Faktoren-In- ventar) Diagnostik bereitet keine besonderen Leugnen der Manipulation durch den Pa- rung vorliegen kann, die ihrerseits die Schwierigkeiten, wenn die Patienten tienten. Behandlung des Juckens erschweren offen von diesen Überzeugungen be- Davon abzugrenzen sind „Paraar- und den Krankheitsverlauf beeinflussen richten, evtl. auch Material mitbringen, tefakte“, bei denen den Patienten ihre kann (z. B. durch Complianceprobleme das sie für Parasiten o. Ä. halten, und an selbstschädigenden Handlungen bewusst bei Persönlichkeitsstörungen, Substanz- diesen Überzeugungen auch festhalten, sind und sie diese auch zugeben, jedoch abhängigkeiten, Psychosen u. a.). wenn man ihnen die negativen Unter- nicht beenden können: Die Diagnostik Deswegen sollte die Anamnese auch suchungsergebnisse mitteilt. Pruritus im erfolgt durch die typische Anamnese: Fragen nach aktuellen oder früheren Rahmen einer coenästhetischen oder Exzessives, auch automatisches Kratzen psychischen oder psychosomatischen sonstigen Psychose sollte als Symptom in diesem Sinne („neurotische Exkoria- Erkrankungen sowie psychiatrischen einer Schizophrenie (ICD-10: F20) klas- tionen“) kann man nach der ICD-10 als oder psychotherapeutischen Behand- sifiziert werden. Der Patient sollte in Impulskontrollstörung (ICD-10: F63.3) lungen umfassen. einem solchen Verdachtsfall fachärzt- klassifizieren. Bei schweren Zwangs- lich-psychiatrisch untersucht und ggf. störungen, insbesondere Zwangshand- Fazit für die Praxis behandelt werden. lungen mit Waschzwang können Aus- trocknen/Schädigung der Haut, dadurch 4 Psychische Störungen und Einfluss- B4. Selbst induzierte Kratzartefakte bedingte Ekzeme und Superinfektionen faktoren bei chronischem Pruritus mit oder ohne Pruritus ebenfalls Pruritus auslösen. Die Dia- (CP) sind häufig. gnostik erfolgt ebenfalls auf Basis der 4 Sie können Ursache oder Folge des CP BeidenartifiziellenStörungenistdas zen- typischen Anamnese, dass Patienten be- sein und sein Management erheblich trale Symptom die Vortäuschung, Aggra- richten, dass sie sich sehr häufig die beeinflussen. vation und/oder Erzeugung körperlicher Hände waschen müssen, dies zwar als 4 Ihre Diagnostik erfolgt vorwiegend oder psychischer Krankheitssymptome, übertrieben oder unsinnig erkennen, durch die gründliche Anamnese. die häufig medizinische Behandlungen aber trotz Versuchen, dem Widerstand 4 Fragebögen können ergänzend zur Folge haben. Die Patienten können zu leisten, nicht einstellen können. eingesetzt werden. auch Pruritus angeben und damit Haut- 4 Bei klinisch relevanten psychischen läsionen begründen. Die Diagnostik ar- C. Komorbidität mit psychischen Einflussfaktoren kann die Behand- tifizieller Störungen ist deswegen schwie- Störungen lung zunächst im Rahmen der psy- rig, weil die Selbstschädigung der Haut chosomatischen Grundversorgung teils bewusstseinsfern geschieht und von Untersuchungen in der Allgemeinbe- erfolgen. den Patienten nicht berichtet oder bei völkerung zeigen Lebenszeitprävalenzen 4 Bei mangelndem Erfolg sollte der Konfrontation damit in der Regel nicht von 25–40 % psychischer Störungen [5]. Patient einer weiteren spezialisierten zugegeben wird. Diagnostische Hinwei- Dies bedeutet, dass bei einem Teil der psychischen Diagnostik und ggf. se sind klinisch ungewöhnliche Läsionen, von Pruritus Betroffenen unabhängig Behandlung zugeführt werden. die trotz Behandlung nicht zuheilen, und davon gleichzeitig eine psychische Stö- Der Hautarzt 7 · 2020 509
Leitthema mental disorders in Germany: the mental health different, morbidity, more scratch lesions and Korrespondenzadresse module of the German health interview and higher burden. Br J Dermatol 168:1273–1280 examination survey for adults (DEGS1-MH). Int J 23. Ständer S, Zeidler C, Augustin M et al (2017) Prof. Dr. G. Schneider Methods Psychiatr Res 23:304–319 S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Sektion für Psychosomatische 6. Kopyciok ME, Ständer HF, Osada N et al (2016) Pre- chronischen Pruritus – Update – Kurzversion. Medizin und Psychotherapie, valence and characteristics of pruritus: a one-week J Dtsch Dermatol Ges 15:860–873 cross-sectional study in a German dermatology 24. StumpfA, StänderS, WarlichB etal(2015)Relations Klinik für Psychische practice. Acta Derm Venereol 96:50–55 between the characteristics and psychological Gesundheit 7. 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Schneider G, Grebe A, Bruland P, Heuft G, aJapanesepopulation-basedstudy.ArchDermatol Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli- Ständer S (2019) Chronic pruritus patients with 145:1384–1388 chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die psychiatric and psychosomatic comorbidity are ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge- highly burdened: a longitudinal study. J Eur Acad mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz Dermatol Venereol 33:e288–e291. https://doi.org/ beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom- 10.1111/jdv.15559 men wurden. 14. Schneider G, Stumpf A, Burgmer M et al (2018) Are patients with chronic pruritus more susceptible Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges to social stress than healthy controls? An Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten experimental case-control study. Br J Dermatol Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil- 179:1174–1176 dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- 15. Schofield JK, Fleming D, Grindlay D, Williams H treffende Material nicht unter der genannten Creative (2011) Skin conditions are the commonest new Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung reason people present to general practitioners in nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für England and Wales. Br J Dermatol 165:1044–1050 die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma- 16. Schut C, Bosbach S, Gieler U, Kupfer J (2014) terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers Personality traits, depression and itch in patients einzuholen. with atopic dermatitis in an experimental setting: aregressionanalysis.ActaDermVenereol94:20–25 Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der 17. Schut C, Grossman S, Gieler U et al (2015) Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ Contagious itch: what we know and what we licenses/by/4.0/deed.de. would like to know. Front Hum Neurosci 9:57. https://doi.org/10.3389/fnhum.2015.00057 18. 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