Didaktik der Physik Frühjahrstagung - Bonn 2020 - Das Unsichtbare sichtbar machen - technologiegestützte Visualisierung von Spin- und - PhyDid
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Didaktik der Physik Frühjahrstagung – Bonn 2020 Das Unsichtbare sichtbar machen – technologiegestützte Visualisierung von Spin- und Magnetismusphänomenen Anna Donhauser, Carina Heisel, Katrin Hochberg, Jochen Kuhn AG Didaktik der Physik, Fachbereich Physik, TU Kaiserslautern donhauser@physik.uni-kl.de Kurzfassung Der DFG-Sonderforschungsbereich Spin+X untersucht interdisziplinär Spin-Phänomene von der Grundlagenforschung bis hin zur technologischen Anwendung. Die Physikdidaktik der TU Kaisers- lautern übernimmt dabei mit Spin+Education die Vermittlung der Forschungsinhalte durch Wissen- schaftskommunikation und im Rahmen eines Schülerlabors. Die bislang entwickelten Experimen- tiermodule für die Unter- und Oberstufe behandeln als Schwerpunkt Magnetismus bzw. moderne, Spin-basierte Analysemethoden. Die Konzeption der Module verfolgt das Ziel, die Schulausbildung im Bereich Magnetismus und Spin-Phänomene zu verbessern, um motivierte und kompetente Schü- ler*innen für ein MINT-Studium zu gewinnen. Mit einem Experimentiermodul zur Erarbeitung des Spin-Begriffes wird das Schülerlabor für die Mittelstufe erweitert. Inhaltliche Bezüge zum schuli- schen Lehrplan werden dabei ebenso genutzt wie die Verknüpfung zum Forschungsalltag in Spin+X. Ein wichtiger Aspekt der zweiten Förderphase ist die Visualisierung Spin-basierter Phänomene in- nerhalb der Lernmodule mittels immersiver Technologien (VR/AR). Die bestehenden Experimen- tiermodule, sowie die Erweiterung des Schülerlabors von Spin+Education werden vorgestellt. 1. Sonderforschung im Sinne des Magnetismus 2. Das Thema „Spin+X“ für die breite Öffentlich- keit Im Sonderforschungsbereich Spin+X finden sich ver- schiedene wissenschaftliche Disziplinen, die gemein- Spin+Education nimmt regelmäßig an regionalen und sam Spinphänomenen auf den Grund gehen [1]. Von überregionalen Veranstaltungen mit Wissenschafts- der Analyse und dem gezielten Design mikroskopi- bezug teil. Ziel der Präsentation von Spin+X auf die- scher, Spin-basierter Eigenschaften bis hin zur mak- sen Veranstaltungen ist es, der lokalen Bevölkerung roskopischen Funktionalität kooperieren dabei Wis- zu veranschaulichen, mit welchen Forschungsgebie- senschaftler*innen der Physik, Chemie und Ingeni- ten sich der Sonderforschungsbereich beschäftigt und eurwissenschaft im Sinne des Advanced Spin Engi- wie die Ergebnisse dieser Forschung in den Alltag neering. Die Forschungsinhalte lassen sich in zwei Einzug halten könnten. Dazu wurden verschiedene Forschungsgebiete gliedern: Forschungsgebiet A be- Demonstratoren entwickelt. handelt grundlegende Spinphänomene wie die Spin- Bahn-Wechselwirkung als fundamentale Basis des 2.1 Demonstrator „Phasenumwandlung in Stahl“ Magnetismus, während sich das Forschungsgebiet B Das Phänomen, dass Stahl bei einer Belastung durch auf anwendungsorientierte, funktionale Zusammen- Biegen oder Brechen seine magnetischen Eigen- hänge fokussiert. schaften ändert, ist Gegenstand aktueller Forschung, Um die komplexen Forschungsinhalte auch für Men- unter anderem von Spin+X. schen zugänglich zu machen, die keine Mitarbei- Der Demonstrator zum Thema „Phasenumwandlung ter*innen des Sonderforschungsbereiches sind, über- in Stahl“ besteht aus kleinen Stahlplättchen, einmal nahm die Arbeitsgruppe Didaktik der Physik die Auf- in flacher Form („Urzustand“ aus der Produktion) gabe der Didaktischen Rekonstruktion, um das Be- und einmal nachdem sie in der Mitte mehrfach hin wusstsein für Magnetismus und Spinphänomene so- und her gebogen wurden (vgl. Abb. 1). Außerdem lie- wohl in der breiten Öffentlichkeit als auch bei Schü- gen kleine Magnete bereit. Interessierte Besucher ler*innen und Lehrkräften zu fördern. Unter dem Na- können selbst austesten, dass die ungebogenen Me- men Spin+Education werden spannende Erkennt- tallplättchen nicht magnetisch sind. Die Biegestelle nisse der Spin+X-Forschung sowohl als Outreach- wird allerdings vom Magneten angezogen (die unge- Projekt als auch auf Schulebene aufbereitet. Nachfol- bogenen Enden der gleichen Probe sind nach wie vor gend werden beide Bereiche von Spin+Education nicht magnetisch). vorgestellt. 297
Donhauser et al. Aufzug angebracht. Alle für die Funktion wichtigen Bauteile sind gut zu sehen und ermöglichen eine ein- fache und leicht zugängliche Erklärung des GMR. Der Demonstrator wird dazu benutzt, um den GMR und seine Bedeutung im Alltag zu verdeutlichen und so die physikalischen Grundlagen und die Bedeutung der Spinforschung zu erläutern. Abb. 1: Demonstrator zur Phasenumwandlung in Stahl. Links: drei ungebogene, flache Stahlplättchen, rechts: drei gebogene, magnetische. Vorne liegen zwei Magnete mit Spin+X-Logo und die Spielzeugeisenbahn hinten dient der Veranschaulichung des Anwendungsgebietes. Die Plättchen bestehen im Urzustand aus sogenann- tem austenitischem, paramagnetischem Stahl. Auf makroskopischer Ebene sind die Plättchen nicht mag- Abb. 2: Modell des Taipeh 101 Tower zur Veranschauli- netisch. Das Verbiegen verändert die innere Struktur chung des GMR-Sensors. des Materials und damit auch seine Eigenschaften: Die Anordnung der Spins verändert sich, der Stahl 2.3 Demonstrator „Festplatte mit Sichtfenster“ wird martensitisch und damit ferromagnetisch. Ferro- Auch die (HDD-)Festplatte ist eine Alltagsanwen- magnetische Materialien werden von Magneten an- dung des GMR-Sensors (s. Abschn. 2.2). Informatio- gezogen, was man an der Biegestelle deutlich sehen nen werden vom Computer in ein binäres Format mit kann. Nullen und Einsen umgewandelt, um verarbeitet wer- Eine Anwendung für dieses Phänomen ist die einfa- den zu können. Diese Nullen und Einsen werden mit che und sichere Überprüfung von ICE-Rädern, bei Nord- und Südpolen magnetisch auf der Oberseite der denen bereits mikroskopische Risse fatale Folgen ha- Festplatte kodiert. Im Lesekopf der Festplatte befin- ben können. det sich ein GMR-Sensor, der die Veränderung zwi- schen Nord- und Südpolabschnitten registrieren und 2.2 Demonstrator „Taipeh-Tower“ wieder zurück in Nullen und Einsen umwandeln kann. GMR-Sensoren (GMR = giant magnetoresistance, Riesenmagnetowiderstand) sind eine der am weites- Zum anschaulichen Einstieg in ein Gespräch über ten verbreiteten Anwendungen von Spin-Phänome- Spinforschung mit interessierten Besuchern wird als nen im Alltag. Sie kommen z. B. im Auto vor, werden Demonstrator eine HDD-Festplatte mit integriertem zur Positionsbestimmung verwendet (z. B. bei Fahr- Sichtfenster verwendet (s. Abb. 3). Durch das Fenster stuhlsensoren) oder in magnetischen Speichermedien kann der Lesekopf bei Schreib- und Leseprozessen eingesetzt. beobachtet werden. Dazu werden idealerweise einige Dateien von einer Partition der Festplatte auf eine an- Der Taipeh 101 Tower in Taipeh, Taiwan, beispiels- dere kopiert. Zusätzliche Informationen über Ge- weise verfügt über Aufzüge, die zu den schnellsten schwindigkeit des Lesekopfes und seiner Höhe über der Welt gehören. Personen werden mit einer Ge- der Festplattenoberfläche wecken darüber hinaus das schwindigkeit von bis zu 60 km/h in den 89. Stock Interesse technisch interessierter Menschen. und mit etwa 36 km/h wieder Richtung Erdgeschoss transportiert. In diesen Aufzügen sorgen GMR- Sensoren dafür, dass der Fahrstuhl auf exakt der rich- tigen Höhe hält, um die Türen zu öffnen, so dass es beim Ein-/Ausstieg keine Stolperkante gibt. Außer- dem kann damit die Geschwindigkeit überwacht und bei Fehlfunktionen die Sicherheitsbremse ausgelöst werden – alles fast wartungsfrei und mit hoher Le- bensdauer. Im Spin+X-Demonstrator des Taipeh 101 Towers (s. Abb. 2) ist ebenfalls ein GMR-Sensor am Modell- 298
Das Unsichtbare sichtbar machen Leiter bewegen, stoßen sie immer wieder mit den Atomen des Leiters zusammen. Dadurch wird zum einen ihre Geschwindigkeit begrenzt und zum ande- ren entsteht Wärme. Durch die Stöße (die wir insge- samt als Widerstand bezeichnen) geht also Energie „verloren“. Mit den Spinwellen können Informatio- nen mit höherer Geschwindigkeit und fast ohne Wi- derstand, also ohne Energieverlust, übertragen wer- den. Diese Eigenschaft lässt sich mit Hilfe des De- monstrators leicht verständlich der breiten Öffent- lichkeit erklären. Darüber hinaus haben Spinwellen noch den Vorteil, Abb. 3: HDD-Festplatte mit Sichtfenster, durch das der Le- dass sich mehrere Spinwellen ungestört überlagern sekopf beobachtet werden kann. können. Das kann man in der Animation sehen, in- 2.4 Demonstrator „Spinwellen-Animation“ dem mehrere Spinwellen gleichzeitig angeregt wer- den. Man kann also gleichzeitig mehrere Informatio- Spin+X erforscht neue Formen der Elektronik, mit nen in einem Leiter transportieren, auch das ist mit denen man schnellere, kleinere und energieeffizien- herkömmlicher Elektronik nicht möglich. tere und damit umweltfreundlichere Bauteile herstel- len kann: Spintronik und Magnonik. In der herkömm- Da eine Welle durch ihre Amplitude und ihre Phase lichen Elektronik wandern Elektronen durch einen beschrieben wird, kann man mit jeder Spinwelle nicht Leiter. Die Ladung der Elektronen wird dazu benutzt, nur eine, sondern gleich zwei Informationen übertra- Information zu übertragen. In der Spintronik wird zur gen. Insgesamt ermöglicht der Demonstrator somit Informationsübertragung nicht mehr die Ladung der die Veranschaulichung vieler verschiedener Vorteile Elektronen ausgenutzt, sondern ihr Spin. Die Magno- von Spinwellen gegenüber herkömmlicher Elektro- nik geht noch einen Schritt weiter: Hier werden Spin- nik. Er hilft dabei, Spinforschung der allgemeinen wellen, sogenannte Magnonen, benutzt, um Informa- Öffentlichkeit bekannt zu machen und den Nutzen tionen zu übertragen. der Forschung für die Allgemeinheit zu verstehen. Solche Spinwellen haben mehrere Vorteile gegen- 3. Spin+X im Schülerlabor über der gewöhnlichen Elektronik: Der Hauptvorteil Die fachdidaktische Arbeit von Spin+X konzentriert ist, dass die Elektronen sich nicht mehr fortbewegen sich auf die Interaktion mit Schulklassen und Schü- müssen. Zur Veranschaulichung von Spinwellen ler*innengruppen im Rahmen eines Schülerlabors. In wurde ein Demonstrator programmiert, der die Pro- Abhängigkeit von der besuchenden Jahrgangsstufe pagation von Spinwellen auf einem Smartboard dar- werden den Inhalten des Lehrplans entsprechende stellt (vgl. Abb. 4). Die Spins in einem Material wer- Module bearbeitet. Für ein nachhaltiges Lernangebot den dabei als ein Array aus beweglichen Pfeilen visu- bereiten Erklärvideos und Arbeitshefte den Schüler- alisiert. Tippt eine Person einen der Pfeile auf dem laborbesuch vor und nach. Smartboard an, entsteht eine Spinwelle, die sich über die gesamte Anordnung ausbreitet, ohne dass die ein- zelnen Spins ihren Platz verlassen. Abb. 5: Experimentieren im Unterstufenmodul: Schü- ler*innen testen, welches Gewicht ein Elektromagnet „tragen“ kann. Abb. 4: Ein Kind benutzt das Smartboard mit der Spinwel- 3.1 Grundlegende Magnetismus-Phänomene len-Animation und erhält eine physikalische Erklärung von einer Wissenschaftlerin. Die makroskopische Wirkung der mikroskopischen Spinphänomene lässt sich bereits in der sechsten Durch Spinwellen wird ein großer Nachteil der Elekt- Jahrgangsstufe experimentell erkunden. In den Mo- ronik umgangen: Wenn die Elektronen sich durch den dulen für die jüngsten Schüler*innen wird 299
Donhauser et al. beispielsweise die Abhängigkeit der Magnetfeld- Ein magnetisches Rasterkraftmikroskop nutzt die stärke eines Elektromagneten von der Stromstärke magnetische Wechselwirkung zwischen der Oberflä- untersucht. Dafür testen die Experimentierenden, wie che der zu untersuchenden Probe und der magneti- viele kleine Gewichte ein Elektromagnet „tragen“ sierten Mikroskopspitze, mit der diese Oberfläche in kann (s. Abb. 5). Hier kann ein erstes Gespür für die Rasterbewegungen abgefahren wird. Dieses Prinzip Dimensionierungen der Stärke des Magnetfeldes ei- wird in einem Vorversuch (Abb. 6) nachempfunden. nes Elektromagneten entwickelt werden. Magneti- Im Modellexperiment dient eine Blattfeder als Mik- sche Spielereien mit Ferrofluiden, einem Mini-Elekt- roskopspitze, an deren Unterseite ein kleiner Stab- romotor, schwebenden Globen und einer Gauß-Ka- magnet befestigt ist, während ein Spiegel auf der none ergänzen das Modul. Neben der Vermittlung Oberseite das Licht eines Laserpointers auf eine grundlegender, magnetischer Wirkungszusammen- Skala reflektiert. Ein Frequenzgenerator versetzt die hänge soll den Schüler*innen ein Einblick in den For- Blattfeder mit Hilfe eines Elektromagneten in schungsalltag gewährt werden. Während des Experi- Schwingung. Als Probe dient ein Holzstück mit ein- mentierens wird dafür in Anlehnung an das wissen- gelassenen Magneten, deren unsichtbare Anordnung schaftliche Vorgehen in Forschungseinrichtungen ein mit Hilfe des Modell-Rasterkraftmikroskops analy- Versuchsprotokoll angefertigt. An die Experimen- siert werden kann. tierphase schließt sich eine Führung durch Laborato- Im Hauptversuch wird mit einem professionellen rien an. MFM (Magnetic Force Microscopy) experimentiert. 3.2 Einblicke in moderne Forschungsmethoden Für die 12./13. Jahrgangsstufe (v.a. Leistungskurse) wurde das Themenmodul „Reingeschaut!“ konzi- piert. Mit dem Blick auf die gängigen Analysemetho- den der Spin+X-Forschung werden die Experimen- tierenden an Forschungsprozesse und funktionale Zu- sammenhänge herangeführt, die über die Inhalte des Lehrplans hinausgehen. Für die Durchführung not- wendige Grundlagen werden durch Erklärvideos ver- mittelt, die der betreuenden Lehrkraft vorab zukom- men und entsprechend in den Unterricht integriert werden können. Nachfolgend werden die vier großen Themengebiete dieses Moduls vorgestellt. Für jedes Themengebiet gibt es einen Vorversuch, der die Abb.7 : Scanningeinheit des MFM. grundlegende Funktionsweise der jeweiligen Analy- semethode modellhaft vermittelt. Die anschließenden Abbildung 7 zeigt einen Blick auf die Einheit des Hauptversuche bieten die Möglichkeit durch High- MFM, mit der die unbekannte Oberfläche in Raster- End-Geräte in kleinste Strukturen „reinzuschauen“. bewegungen analysiert wird. Der Ausschnitt einer Festplatte dient als Probe, deren Speicherstrukturen 3.2.1 Magnetische Rasterkraftmikroskopie die Schüler*innen untersuchen. 3.2.2 Elektronenspinresonanz Stoffkonzentrationen einer Probe und daraus rück- schließend das Alter eines archäologischen Fundes o- der die Radikalenbelastung von Lebensmitteln kön- nen mit Hilfe der Elektronenspinresonanz bestimmt werden. Die zu untersuchende Substanz, die unge- paarte Elektronen und folglich permanente magneti- sche Momente enthält, befindet sich in einem äußeren Magnetfeld. Eingestrahlte, elektromagnetische Wel- len geeigneter Frequenz sorgen für einen energeti- schen Übergang zwischen zwei Spinzuständen. Die- ser Umklappmechanismus wird im Vorversuch wie in Abbildung 8 dargestellt modelliert. Ein Stabmagnet in einer Billardkugel dient als Ana- Abb. 6: Modellversuch zum magnetischen Rasterkraft- logie für den Spin. Während die Experimentieranlei- mikroskop. tung wiederholend die Grenzen dieses Modells be- tont, werden die Schüler*innen schrittweise angewie- sen, die Einzelkomponenten eigenständig zu 300
Das Unsichtbare sichtbar machen dreidimensionalen Struktur ergibt sich entsprechend aus dem Zusammenfügen einzelner Schichten. Abb. 8: Modellexperiment zur Elektronenspinresonanz. verschalten. Vier Elektromagnete und deren gezieltes Umpolen sorgen für eine Simulation des Um- klappprozesses des Modellspins, der mittels eines Druckluftkompressors drehbar auf einem Luftkissen Abb. 10: Modellexperiment zur Magnetresonanztomo- gehalten wird. graphie mit einem oszillierenden Magnetfeld. Das Hauptexperiment beschäftigt sich mit der Be- Abbildung 10 zeigt einen vorbereitenden Modellver- stimmung des Landéschen Faktors für eine Probe aus such. Kompassnadeln modellieren Kernspins, die in Diphenylpicrylhydrazyl. Dieses DPPH beinhaltet verschiedenen Abständen von einer Leiste mit Topf- freie Radikale, ist aber gleichzeitig stabil und damit magneten platziert werden. Folglich sind diese Mo- für die Analyse mittels Elektronenspinresonanz bes- dellspins unterschiedlichen Stärken dieses äußeren, tens geeignet. homogenen Magnetfeldes ausgesetzt. Senkrecht zur Orientierung dieses Magnetfeldes sorgt eine mit Dreiecksspannung betriebene Spule für ein oszillie- rendes Magnetfeld. Dabei ergibt sich folgender Zu- sammenhang: Während die Kompassnadeln durch das oszillierende Magnetfeld ausgelenkt und zum Schwingen angeregt werden, dämpft das homogene Magnetfeld diese Schwingung. Je näher sich die Mo- dellspins an den Topfmagneten befinden, desto grö- ßere Frequenzen des oszillierenden Feldes sind nötig, um eine Resonanz beobachten zu können. Diese Re- sonanzerscheinung macht sich durch die vollständige Rotation der Kompassnadel um die eigene Achse be- merkbar. Abb. 9: Messaufbau zur Bestimmung der Resonanzstrom- stärke. Im Hauptversuch können die Schüler*innen eigene Magnetresonanztomographie-Bilder einer unbekann- Abbildung 9 zeigt ausschnitthaft die entsprechende ten Probe aufnehmen. Eine Herausforderung des Messanordnung [2], die unter bebilderter Instruktion Messvorgangs bildet die notwendige Abstimmung von den Experimentierenden selbst aufgebaut wird. der Frequenz des eingestrahlten Pulses auf die Fre- Die Schüler*innen ermitteln experimentell die Reso- quenz der präzedierenden Kernspins in der Probe, die nanzstromstärke und berechnen daraus den g-Faktor sogenannte Lamorfrequenz. der Probe. 3.2.4 Das Rastertunnelmikroskop 3.2.3 Magnetresonanztomographie Analog zum magnetischen Rasterkraftmikroskop Durch seinen berühmten Vertreter in der Medizin- analysiert die kleine Spitze eines Rastertunnelmikro- technik erfreut sich die Magnetresonanztomographie skops – kurz STM für scanning tunneling microscopy größerer Bekanntheit als die bisher vorgestellten – eine Probe in Rasterbewegungen. Zwischen der Analysemethoden. In einem äußeren Magnetfeld Spitze des STM und der kontaktlosen Probe fließt ein werden die Kernspins der zu untersuchenden Probe elektrischer Strom. Die Stärke dieses sogenannten ausgelenkt. Die stoffabhängige Relaxationszeit, die Tunnelstroms wird durch den Abstand zwischen einzelne Spins für den Rückgang vom ausgelenkten Probe und Spitze und die lokale Elektronenzustands- in den Gleichgewichtszustand benötigen, wird als In- dichte beeinflusst und dient so als Signal zur Abbil- formation für die Erstellung einzelner Aufnahmen dung der elektrisch leitfähigen Probe. der Tomographie genutzt. Eine solche Aufnahme Ein akustisches Modellexperiment11 verdeutlicht die stellt eine Schicht der Probe dar. Eine Abbildung der Funktionsweise des Rastertunnelmikroskops. Als 301
Donhauser et al. 3.3 VR/AR Experimente zum Elektromagnetis- mus Rund um das Thema Elektromagnetismus und die Darstellung von Magnetfeldern werden derzeit Expe- rimente konzipiert, die durch visuelle, digitale Unter- stützungen ergänzt werden. Die thematischen Inhalte der Experimente reichen dabei von biophysikalischen Schwerpunkten wie dem Magnetsinn der Tiere bis hin zur magnetbasierten Sensorik. Anhand des Lei- terschaukel-Experiments zur Demonstration der Lor- Abb. 11: Modellexperiment zur Funktionsweise des Ras- tertunnelmikroskops. Messprobe dienen leeren Joghurtflaschen (vgl. Abb. 11), über die eine Modellmessspitze in Form eines Kopfhörers kombiniert mit einem Headset-Mikrofon bewegt wird. Anstelle der angelegten Spannung zwi- schen Probe und Spitze wird über den Kopfhörer eine Frequenz von 600 Hz auf die Modellprobe einge- strahlt. Diese Frequenz entspricht der Eigenfrequenz der Flaschen, die wiederum eine Analogie der lokalen Elektronenzustandsdichte darstellt. Das Mikrofon de- tektiert die Lautstärke als Entsprechung der Tun- Abb. 13: Das Leiterschaukelexperiment in einer AR- nelstromstärke. Das detektierten Lautstärken lassen Experimentierumgebung. auf das Höhenprofil der Probe rückschließen. Im Hauptexperiment untersuchen die Schüler*innen entzkraft wurden erste Schritte zur digitalisierten Er- mit dem Rastertunnelmikroskop eine Probe hochori- weiterung der Experimentierumgebung unternom- entierten Graphits zur Bestimmung der Atomab- men. Abbildung 13 zeigt den Blick durch eine Holo- stände. Während des Messvorgangs im sogenannten Lens der Firma Microsoft. Derartige Mixed-Reality- Constant Current Mode wird der Abstand zwischen Brillen ermöglichen die Verknüpfung des Realexpe- riments mit einer digitalen Visualisierung [4-8]. Im Fall des Leiterschaukelexperiments werden die Rich- tung des elektrischen Stromes, die Orientierung des Magnetfeldes und schließlich die Bewegungsrich- tung des Leiters virtuell ergänzt. Der Mehrwert sol- cher Visualisierungen liegt in der Vermeidung und Begegnung bekannter Fehlkonzepte. Im Gegensatz zur Bewegung der Leiterschaukel bleiben das Mag- netfeld des Hufeisenmagneten, der elektrische Strom- fluss und das zugehörige Magnetfeld um die Leiter- schaukel herum unsichtbar. Gerade zu physikalischen Phänomenen, die unsere Sinne nicht wahrnehmen können, entwickeln Schüler*innen mentale Kon- zepte, die der physikalischen Fachlichkeit widerspre- Abb. 12: STM-Aufnahme einer Probe aus hochorientier- chen [3]. Im Rahmen dieser Erhebungen zu Fehlkon- tem Graphit. Der Bildausschnitt zeigt eine Fläche von 2,78 zepten werden besonders Lernschwierigkeiten im x 2,78 nm. Umgang mit dem abstrakten Feldbegriff deutlich. Die Probe und Messspitze so variiert, dass ein konstanter Visualisierung der abstrakten Felder und deren Wir- Wert für die Tunnelstromstärke detektiert werden kungsrichtung im elektromagnetischen Zusammen- kann. Um ein wie in Abbildung 12 dargestelltes, op- hang soll die Schüler*innen dabei unterstützen, phy- timiertes Bild der Probe zu generieren, müssen Mess- sikalisch richtige mentale Konzepte und Lösungsstra- fehler wie eine verunreinigte Spitze oder Staub auf tegien zu entwickeln. der Probe erkannt und behoben werden. Mit Hilfe von Mixed-Reality-Brillen können Reali- täts- und Modellebene verknüpft und gleichzeitig im 302
Das Unsichtbare sichtbar machen Sinne der haptischen Kodierung [9,10] Lerninhalte 5. Literatur über den Tastsinn erfahrbar gemacht. [1] Homepage der TU Kaiserslautern zum Sonder- forschungsbereich Spin+X: https://www.uni- 4. Spin im Ausblick kl.de/trr173/ Da dem Sonderforschungsbereich Spin+X eine wei- (Stand: 5/2020) tere Förderperiode zugesprochen wurde, kann sich [2] ESR-Resonator mit Feldspulen (09050-00) und auch das zugehörige Ö-Teilprojekt „Spin+Educa- ESR-Betriebsgerät (09050-93) der Firma tion“ weiterentwickeln. In beiden Bereichen von Phywe Spin+Education halten dabei Eye-Tracking, Virtual [3] Hopf, M.; Wilhelm, T. (2018). Schülervorstel- und Augmented Reality vermehrt Einzug. lungen zu Feldern und Wellen. In: Schülervor- stellungen und Physikunterricht, S. 186-205 4.1 Ausblick für Angebote für die breite Öffent- [4] Kapp et al. (2019). Augmenting Kirchhoff’s lichkeit laws: Using augmented reality and smartglasses to enhance conceptual electrical experiments In der zweiten Förderphase des Sonderforschungsbe- for high school students. In: Phys. Teach. 57, reiches wird der bestehende Showcase um neue im- 52 mersive Technologien (virtuelle Realität, VR / aug- [5] Strzys, M. P., Kapp, S., Thees, M., Klein, P., mentierte Realität, AR) erweitert. Dazu werden be- Lukowicz, P., Knierim, P., Schmidt, A. & stehende Demonstratoren erweitert und neue aufge- Kuhn, J. (2018). Phys-ics holo.lab learning ex- baut. perience: Using Smartglasses for Augmented Reality labwork to foster the concepts of heat Ein bereits vorhandener Demonstrator des aktuellen conduction. Eur. J Phys. 39 (3), 035703. Showcase, der sich für die Umsetzung mit immersi- [6] Strzys, M. P., Kapp, S., Thees, M., Lukowicz, ven Technologien eignet, ist die Spinwellen-Anima- P., Knierim, P., Schmidt, A. & Kuhn, J. (2017). tion auf dem Smartboard visualisiert. Diese Visuali- Augmenting the thermal flux experiment: A sierung ist sehr hilfreich für die Erklärung von Spin- mixed reality approach with the HoloLens wellen und Magnonik [12]. Mit Hilfe von virtueller Phys. Teach. 55 (2017), 376-377. Realität können Personen mitten in oder direkt über [7] Thees, M., Kapp, S., Strzys, M. P., Beil, F., Lu- eine Spinwelle versetzt werden. Die Intensität des Er- kowicz, P. & Kuhn, J. (2020). Effects of aug- lebnisses wird erhöht, indem die Personen vollstän- mented reality on learning and cognitive load in dig in eine 3D-Visualisierung eintauchen. university physics laboratory courses. Comput- Darüber hinaus ist ein neuer Demonstrator geplant, ers in Human Behavior 108 (2020), 106316. der die Ausbreitung von Spinwellen in einem Mate- [8] Kuhn, J., Lukowicz, P., Hirth, M., Poxrucker, rial mit Hilfe einer Infrarotkamera sichtbar machen A., Weppner, J. & Younas, J. (2016). gPhysics kann. Hierbei kann Augmented Reality genutzt wer- – Using Smart Glasses for Head-Centered, den, um die Spinwellen-Propagation im Material mit- Context-Aware Learning in Physics Experi- tels präzedierender Pfeile darzustellen. Diese Darstel- ments. IEEE Transactions on Learning Tech- lung kann dabei helfen, das zugrunde liegende Phä- nologies 9 (4), 304-317 nomen besser zu verstehen [13]. Verglichen mit der [9] Harnad, S. (1990). The symbol grounding prob- bestehenden Smartboard-Spinwellen-Animation lem. In: Physica D: Nonlinear Phenomena, wird dies den Vorteil haben, dass die Menschen eine 42(1), S. 335–346 Echtzeit-Darstellung einer realen Spinwelle in einem [10] Goldstone, R. L.; Schyns, P. G.; Medin, D. L. Medium sehen und diese manipulieren können. (1997). Learning to bridge between perception and cognition. In: Psychology of Learning and 4.2 Ausblick für Lernmodule im Schülerlabor Motivation, 36, S. 1–14. [11] Thees, M., Hochberg, K., Aeschlimann, M. & Auch die Experimente der Schülerlabormodule wer- Kuhn, J. (2017). Adaptation of acoustic model den um virtuelle Lernhilfen erweitert. Zentrale In- experiments of STM via smartphones and tab- halte bilden dabei die Visualisierung elektromagneti- lets Phys. Teach. 55 (2017), 477-478. scher Zusammenhänge, Bewegungen geladener Teil- [12] Ainsworth, S. (2006). DeFT: A conceptual chen in magnetischen und elektrischen Feldern, die framework for considering learning with multi- Superposition magnetischer Felder und die Integra- ple representations. In: Learning and Instruc- tion symbolischer Repräsentationen. Um lernwirk- tion, 16(3), 183–198. doi:10.1016/j.learnin- same AR-Unterstützungen zu konzipieren, werden struc.2006.03.001 Lernschwierigkeiten vorbereitend durch Konzept- [13] De Jong, T., Linn, M. C., Zacharia, Z. C. tests ermittelt. Die Auswahl der Experimente orien- (2013). Physical and Virtual Laboratories in tiert sich dabei immer an den Forschungsschwer- Science and Engineering Education. In: Sci- punkten von Spin+X. ence, 340(6130), 305–308. doi:10.1126/science.1230579 303
Donhauser et al. Danksagung Das Projekt wird gefördert durch die Deutsche For- schungsgemeinschaft (DFG) – TRR 173 – 268565370 (Projekt Ö) 304
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