Die ersten Bauern in Sachsen

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Die ersten Bauern in Sachsen
forschung

Die ersten Bauern in Sachsen
Hunderte Siedlungen in nur drei Regionen

Von Harald Stäuble

1: Ausgrabungen im
Vorfeld des Neubaus
der BAB 72 Chemnitz–
Leipzig im Bereich der
linien- und stichband-
keramischen Siedlung
                         I    n Mitteleuropa kommen ab Mitte des
                              6. Jahrtausends v. Chr. einheitliche Kul-
                              turausprägungen vor, die nach der Verzie-
                         rung der Tongefäße (Abb. 4; 5) heute „Linien­
                         bandkeramik“ genannt werden. Die Keramik
                                                                          das breite Werkzeugspektrum nun vollständig
                                                                          einer hoch entwickelten Holzarchitektur ange-
                                                                          passt. Wie die in Sachsen entdeckten Brunnen
                                                                          mit ihren Holzkonstruktionen von der ausge-
                                                                          klügelten Zimmermannstechnik des Neolithi-
Kolka im Kohren-Geit-
hainer Lösshügelland.    ist allerdings bei weitem nicht das einzige      kums zeugen, wurde das neue Dechsel- und
                         und wichtigste Merkmal. Vielmehr zählt die       Beilsortiment vor allem für die Bearbeitung
                         Sesshaftigkeit, gepaart mit dem Anbau von        von Holz eingesetzt (s. Beitrag Elburg). Darü-
                         Getreide und dem Halten von Haustieren zu        ber hinaus gewähren Siedlungsgruben einen
                         jenen bedeutenden Neuerungen, die einen          Einblick in die neolithische Lebens- und Wirt-
                         wesentlichen Unterschied zu den Jägern und       schaftsweise. Die aus den Gruben entnomme-
                         Sammlern machen. Eng damit verbunden sind        nen Proben werden durch Archäozoologen und
                         die Grundrisse von zum Teil riesigen Pfosten-    Archäobotaniker auf sogenannte Biofakte, das
                         bauten, die in großen Siedlungen organisiert     heißt tierische und pflanzliche Überreste, hin
                         waren. Wichtig sind aber auch die zahlrei-       analysiert. Solchen Untersuchungen ist es zu
                         chen und vielfältigen Funde aus geschliffe-      verdanken, dass sich zusammen mit den cha-
                         nem Stein. Obwohl ähnliche Steingeräte ver-      rakteristischen und Namen gebenden Arte-
                         einzelt auch in früherer Zeit vorkommen, ist     fakten der Linienbandkeramik noch w    ­ eitere

                     4   Archæo | 8 · 2011
Die ersten Bauern in Sachsen
forschung

                   )
                   "
                                                                                                                      Uhyst
               )
               "          )
                          "

                       _( Leipzig
                       ^                           Salbitz
                                      Mügeln

                   _
                   ^
                   )
                   "
                          Zwenkau
                                                     _
                                                     ^
                                                                       Clieben

                                                                                     Dresden
                                                                            )
                                                                            "    (
                                                                                _
                                                                                ^
                                                                       Mockritz

                                     Chemnitz
                                         (

                                                                                                    !   Bandkeramische Fundstellen

                                                                                 Kilometer
                                                                                                   _
                                                                                                   ^    Älteste Bandkeramik
                                               0    5 10     20   30   40       50                 )
                                                                                                   "    BK Brunnen

­N euerungen nachweisen lassen, die eine                fel daran aufkommen, dass die Entwicklung                 2: Verbreitung der
gegenüber der Zeit davor deutlich geänderte,            durch einen von Außen kommenden Bevöl-                    Fundstellen in den
                                                                                                                  drei bandkeramischen
hauptsächlich auf Landwirtschaft basierende             kerungszuwachs erfolgte. Dennoch lässt sich               Regionen in Sachsen
Lebensweise a­ nzeigen.                                 auch für Sachsen die europaweit kontrovers                mit herausgestell-
                                                        diskutierte Frage nach Zeitraum und Prozess               ten Siedlungen der
                                                                                                                  ­Ältesten Linienband­
Ursprung                                                der Neolithisierung nicht mit letzter Endgül-              keramik und solchen
Die Herkunft der als „neolithisches Paket“              tigkeit beantworten.                                       mit ­Brunnen.
zusammengefassten Innovationen weist in
den sogenannten Fruchtbaren Halbmond, in                Siedlungsplatzwahl und Wege
Vorderasien. Von dort breitete es sich in Rich-         der Aufsiedlung
tung Westen aus. Auf dieser Grundlage entwi-            In Sachsen zeigen sich die ersten Ackerbauern
ckelte sich um 5600 v. Chr. in Transdanubien,           und Viehzüchter zwischen 5500–5400 v. Chr.
im heutigen Ungarn, die sogenannte Kultur               Während die erste Besiedlungswelle der Ältes-
der Linienbandkeramik. Die Komplexität und              ten Bandkeramik nur spärlich vertreten ist,
Vollständigkeit dieses Paketes, die große über-         verdichteten sich die Besiedlungsspuren in der
wundene Distanz, gepaart mit der Schnellig-             folgenden Zeit in den drei fruchtbarsten Regi-
keit, mit der die Linienbandkeramische Kultur           onen Sachsens: dem Dresdner Elbtal, das als
ganz Mitteleuropa erfasste, lassen keine Zwei-          einzige Region mit rund 200 km2 einen recht               

                                                                                             Archæo | 8 · 2011    5
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                                                                              3: Kartierung der während der
                                                                              letzten 15 Jahre neu entdeckten
                                                                              bandkeramischen Fundstellen auf
                                                                              Grundlage der Karte von Hans
                                                                              Quitta aus dem Jahr 1970. Nun-
                                                                              mehr sind auf Ausgrabungen mit
                                                                              zusammen über 70 ha Fläche Spu-
        Zschernitz                                                            ren von rund 530 Hausgrundrissen
                                                                              und zahllosen Gruben der Linien-
                           Kyhna                                              und Stichbandkeramik untersucht
                                                                              worden.
                                                 Brodau

 Altscherbitz                                                                 Legende
                                                        Plaußig                   Landesgrenze
                                                                                  Leipzig, Stadt

                                                                              _
                                                                              ^       Brunnen LBK

                                                                              BK Grabungen seit 1993
                                                                              /
                                                                              "   LBK
                                                                              Y SBK
                                                                              X
                                                                              )
                                                                              "   BK
                                                                                  Grabung Eythra
                                                                              Kartierung Quitta 1970
                                                                              J Linienbandkeramik
                                                                              "
                                                                                Stichbandkeramik
                                                                              ) Linien- und Stichbandkeramik
                                                                              "
                                                                                Zuweisung Bandkeramik unsicher
                                                                              * mehrere bandkeramische Steinwerkzeuge
                                                                              #                                 ze
                                                                                Depotfunde
                                                                                  Auenlehmablagerungen

  Eythra                                          Zwenkau-Harth               Braunkohlentagebau
                                                                                  abgebaut
                                                                                  geplant
                                                                              Höhenschichten (mNN)
 Zauschwitz
                                                                                  > 340
                                                                                  331 - 340
                                                                                  321 - 330
                                                                                  311 - 320
                                                                                  301 - 310
                                                                                  291 - 300
                                                                                  281 - 290
                                                  Droßdorf                        271 - 280
                                                                                  261 - 270
                                                                                  251 - 260
                                                                                  241 - 250
                                                                                  231 - 240
                                                                                  221 - 230
                                                                                  211 - 220
                                                                                  201 - 210
      Rehmsdorf-Rumsdorf
                                                                                  191 - 200
                                                                                  181 - 190
                                         Zipsendorf
                                Zipsendorf
                                                                                  171 - 180
                                                                  Kolka           161 - 170
                                                                                  151 - 160
                                                                                  141 - 150
                                                                                  131 - 140
                                                                                  121 - 130
                                                                                  111 - 120
                                                                                  101 - 110
                                                                                  91 - 100
                                                                                  < 90

                                                                          0       2        4    6   8    10
                                                                                                          km

                            6                Archæo | 8 · 2011
Die ersten Bauern in Sachsen
forschung

                                                                                                     4: Gut erhaltene
                                                                                                     Brunnenfunde: ein
                                                                                                     polierter Kumpf und
                                                                                                     ein flaschenförmiges
                                                                                                     Gefäß mit Resten einer
                                                                                                     Schnuraufhängung.

                                                                                                     1

                                                                                                     2

geschlossenen Eindruck vermittelt, dem mit-       gen aus aufgesiedelt wurde. Eine Route führte
telsächsischen Lösshügelland (ca. 1000 km2)       vom Böhmischen Becken ins Dresdner Elbtal.
und Nordwestsachsen (ca. 1400 km2), das nur       Die Fundstellen aus Nordwestsachsen schei-
ein Bruchteil des noch viel größeren mittel-      nen dagegen eher die östliche Randbesiedlung
deutschen Lösshügellandes umfasst (Abb. 2).       einer von Südwesten her beeinflussten Sied-        3
    Das in Sachsen vorgefundene Besiedlungs-      lungszone zu sein. In welche Tradition sich die
muster lässt sich nicht nur anhand einzelner      Besiedlung des mittelsächsischen Lösshügel­
Gunstfaktoren – Lössböden, milde Tempera-         landes einreiht, bedarf dagegen noch weiterer
turen und geringe Niederschläge – erklären;       Klärung. Erste Hinweise erbrachte die Analyse
wichtig scheint vielmehr das Zusammenspiel        der Hausausrichtung. Diese spricht für einen
mehrerer Elemente. Bei der Platzwahl wurden       engeren kulturellen Kontakt mit dem Leipzi-
genauso lokale Windrichtungen oder die Nähe       ger Raum, der nordwest-südöstlich orientierte
                                                                                                     4
zu Fließgewässern berücksichtigt. Dagegen         Häuser aufweist, während sie in Dresden – wie
blieben weite Teile Sachsens, wie das Erzge-      auch in Tschechien – nord-süd-ausgerichtet
birgsvorland, ein breiter Streifen zwischen der   sind.
Mulde im Osten und dem Pleiße-/Elsterland im
Westen sowie, mit einzelnen Ausnahmen, die        Wichtige Grabungen und
gesamte ­Lausitz siedlungsfrei. Möglicherweise    Befunde der letzten Jahre                          5
dienten diese Gebiete den mittelsteinzeitli-      Die Belegungsdichte in den drei genannten
chen Jägern und Sammlerinnen als Rückzugs-        Regionen, die mit zusammen rund 2600 km2
gebiet. Trotz der Schwierigkeit, Spuren nicht-    nur etwa 14 % der Fläche Sachsens einnehmen
sesshafter ­Kulturen überhaupt nachweisen zu      (Abb. 2), ist sehr hoch. Zwar beruhen viele
können (s. Beitrag Liebermann), zeigt sich eine   bandkeramische Fundstellen nur auf Ober-
recht klare geographische Trennung der Fund-      flächenfunden, aber es gibt auch detaillierte      6
punkte. Dafür, dass die beiden verschiedenen      Ergebnisse zur Siedlungsstruktur. Diese wur-
Lebensweisen nur ausnahmsweise in Kontakt         den durch einzelne größere denkmalpflegeri-        5: Linienbandkera-
traten, sprechen auch die unterschiedlichen       sche Projekte in den 1950–70er Jahren, wie zum     mische (1–3) und
                                                                                                     stichbandkeramische
Erwartungen und Ansprüche, die sie an die         Beispiel in Zwenkau-Harth durch Hans Quitta,       Gefäße (4–6) in Sach-
Naturlandschaft gehabt haben dürften.             in Zauschwitz durch Alfred Neugebauer und          sen. Vgl. auch die
    Sachsen ist, bedingt durch seine zentrale     in Dresden-Nickern durch Wilfried Baumann          Abbildung auf Seite 3
                                                                                                     und Abbildung 11.
Lage in Europa, ein typisches Durchgangsland,     gewonnen. Damit legten sie den Grundstein
das eventuell von unterschiedlichen Richtun-      für die großflächigen Grabungen nach 1990          

                                                                                 Archæo | 8 · 2011   7
Die ersten Bauern in Sachsen
forschung

             Kreispalisadenanlage

             Erdwerk

             Kreisgrabenanlage

                                                                                                        LBK
                                                                                                        LBK, doppelte Wand
                                                                                                        SBK
                                                                                                        Datierung unklar

                                             0   50   100m   200m     300m    400m     500m             LBK-Brunnen

6: Allein im Tagebau         (Abb. 3), wie zum Beispiel der Siedlung Eythra   Leipzig und wird mit Hilfe der Deutschen For-
Zwenkau konnten              im Tagebau Zwenkau, südlich von Leipzig.         schungsgemeinschaft finanziert. Dadurch hat
innerhalb der linien-
und stichbandkera-               Bei dieser Fundstelle handelt es sich um     eine Phase der wissenschaftlichen Auswertung
mischen Besiedlung           die mit rund 30 ha weitaus größte zusammen-      begonnen, die nunmehr etwa ein Dutzend wei-
Eythra auf rund 30 ha        hängende Fläche, die jemals in einer band­       terer Fundstellen im Umfeld einschließt. In
Grabungsfläche etwa
300 Hausgrundrisse           keramischen Siedlung ausgegraben wurde.          Eythra kann nicht nur die Entwicklung einer
nachgewiesen werden.         Trotz der rund 300 Hausgrundrisse, die sowohl    Siedlung aufgeschlüsselt, sondern es können
                             der Linien- als auch der nachfolgenden Stich-    auch Spuren kommunaler „Sonderbauten“
                             bandkeramik zuzuordnen sind, konnte die          in ihrem Umfeld erschlossen werden: für die
                             Gesamtausdehnung der besiedelten Fläche          Linienbandkeramik zwei Brunnen und ein
                             nicht erfasst werden (Abb. 6). Die Ausgrabun-    Grabenwerk, für die Stichbandkeramik eine
                             gen in Eythra bieten die Möglichkeit, eine       dreifache Kreisgrabenanlage.
                             annähernd 800 Jahre lange Besiedlungsge-             Auch aus anderen großflächig gegrabenen
                             schichte nachzuvollziehen. Die Aufarbeitung      Siedlungen, wie Leipzig-Plaußig, Schkeuditz-
                             des zahlreichen Fund- und Befundmaterials        Altscherbitz (Archæo 5, 12–17; Archæo 7, 23–27),
                             erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl      und Brodau (Archæo 3, 16–21) haben sich
                             für Vor- und Frühgeschichte der Universität      frühneolithische Brunnen erhalten (Abb. 2).

                       8     Archæo | 8 · 2011
Die ersten Bauern in Sachsen
forschung

Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine derar-     Einblick in das Verhältnis zwischen dem Men-      7: Eines der unteren
tige Konzentration. In den zumeist in Blockbau-   schen und seiner Umwelt erlauben. Insgesamt       Zwischenplana des
                                                                                                    Brunnens von Altscher-
weise gezimmerten Kästen sind auch zahlrei-       kann man sagen, dass die Entdeckung und           bitz mit einem unten
che Sonderfunde aus organischen Materialien       Untersuchung der bandkeramischen Brunnen          geknickten Rinden-
geborgen worden (Abb. 7). Durch die Jahrring-     dazu beiträgt, dass sich unser bislang bekann-    bastgefäß, das seitlich
                                                                                                    mit Spaltstäben befes-
untersuchung der Brunnenhölzer sind nun-          tes Bild bezüglich des damaligen Lebens gewan-    tigt wurde.
mehr jahrgenaue Datierungen möglich. Zusätz-      delt und erweitert hat.
lich erschließt sich uns durch die besonders           Während der letzten 15 Jahre wurden
guten Erhaltungsbedingungen ein vollständig       in der Region um Leipzig insgesamt 38 neue
neues Fundspektrum der bandkeramischen            Siedlungsplätze entdeckt, auf denen über 500
Kultur. Darunter fallen beispielsweise Beutel     Hausgrundrisse der Linien- und Stichband-
aus Rindenbast (Abb. 8), Schnüre und einzelne     keramik ausgegraben wurden (Abb. 3). Dabei
Holzgeräte. Weiterhin erwähnenswert sind die      liegt der Wert dieser neuen Fundstellen nicht
zahlreichen Biofakte, die einen einzigartigen     nur in ihrer großen Zahl, sondern auch in der     

                                                                                Archæo | 8 · 2011   9
Die ersten Bauern in Sachsen
forschung

                          Tatsache, dass einige davon in Gegenden ange-      den fünf Körpergräbern, die schon Ende der
                          troffen wurden, die man aus verschiedenen          1950er Jahre in Dresden-Nickern untersucht
                          Gründen bislang von der bandkeramischen            wurden, kamen weitere 20 jung- bis jüngst-
                          Aufsiedlung ausgeschlossen hatte. Als Beispiel     linienbandkeramische Bestattungen hinzu
                          können die Fundstellen zwischen Geithain           (Abb. 9,6). Die Skelette waren schon vollstän-
                          und Penig genannt werden, die im Vorfeld des       dig vergangen. Die ost-west-ausgerichteten
                          Autobahnbaus zwischen Chemnitz und Leipzig         Grabgruben enthielten nur wenige Beigaben.
                          ausgegraben wurden (Archæo 4, 14–19). Dazu         Hervorzuheben sind zwei gelochte Graphit-
                          zählt auch die Fundstelle Droßdorf im künfti-      stücke. Zusammen mit einem Gefäß aus der
                          gen Abbaufeld Peres des Braunkohlentagebaus        benachbarten Siedlung, das mit einer Paste
                          Schleenhain, die erst 2011 völlig überraschend     aus zerstoßenem Hämatit gefüllt war, unter-
                          zwischen Weißer Elster und Pleiße entdeckt         streichen sie, dass wir uns das Leben der Band­
8: 3D-Scan des seitlich
geknickten Rindenbast-    wurde und in den nächsten Jahren vollständig       keramiker nicht grau vorzustellen haben. Auf-
gefäßes mit Knickhen-     untersucht werden wird (Abb. 3).                   grund fehlender Belege können wir allerdings
kel aus Brunnen 21 in         Die Entdeckung einer Vielzahl stichband-       nur vermuten, dass neben den gelegentlichen
Eythra, das unten und
seitlich mit Bastschnur   keramischer Kreisgrabenanlagen (um 4800–           Farbresten in den Ritzlinien und Stichreihen
genäht wurde.             4600 v. Chr.) ist ebenfalls von großer Bedeutung   der Tongefäße auch noch andere Objekte oder
                          für die Forschung, besonders wenn ihr zuge-        vielleicht sogar die Häuser bemalt waren.
                          höriges Siedlungsumfeld untersucht werden              Bedeutend für die Bandkeramik-­Forschung
                          kann. Auf zwei Kreisgrabenanlagenfeldern in        des Elbtals ist des Weiteren auch eine unlängst
                          Kyhna (Archæo 4, 12 f.) und Dresden-Nickern        gegrabene Fundstelle bei Clieben, rund 20 km
                          (Archæo 1, 30–33) wurden im Luftbild bezie-        nordwestlich von Dresden, die auf einem insel-
9: Die Grabungsflä-
                          hungsweise durch Ausgrabungen, jeweils auf         artig erhaltenen Terrassenrest erhalten blieb.
chen am Geberbach         einer relativ kleinen zusammenhängenden            Dort wurden über ein halbes Dutzend Haus-
in Dresden-Nickern        Siedlungsfläche, gleich mehrere solcher monu-      grundrisse untersucht. Zwei davon stachen
mit herausgestell-
ten linien- und           mentaler Erdwerke mit einer unterschiedli-         durch ihre Länge von mehr als 50 m besonders
stichband­keramischen     chen Anzahl von ein bis vier konzentrischen        hervor.
Graben­werken (1–4),      Gräben entdeckt (Abb. 9,1.2.4).                        Zu guter Letzt sind die ersten großflächigen
Hausgrund­rissen (5)
und dem kleinen               Im Dresdner Elbtal liegt auch eines der        Ausgrabungen mehrerer linien- und stichband-
Gräberfeld (6).           bislang immer noch seltenen Gräberfelder. Zu       keramischer Siedlungen im bislang ­lediglich
                                              16
                                              0

                               0   25   50         100m                                                             1
                                                                2

                                                                                         5
17

                                                                                                                    3
 0

                                               6

                                                                                                150

                                                                                                                h
                                                                                                            rbac
                          4                                                                           Gebe

                    10    Archæo | 8 · 2011
Die ersten Bauern in Sachsen
forschung

durch Oberflächenfunde gekennzeichneten
Gebiet Mittelsachsens zu nennen. Die 2011 beim
Neubau einer Umgehungsstraße um Mügeln
entdeckten Fundstellen füllen nunmehr die
große Lücke, die zwischen den beiden besser
untersuchten Gebieten Nordwestsachsens und
des Dresdner Elbtals bestand.

Einzelne herausragende
Funde der letzten Jahre
Bislang wurde der Schwerpunkt dieses Beitrags
vor allem auf die Siedlungen und die soge-
nannten Befunde gelegt. Selbstverständlich
sind bei den zahlreichen großflächigen Aus-
grabungen auch eine Vielzahl von Artefakten
geborgen worden: geschliffene und geschla-
gene Steingeräte, Tongefäße und verbrannte
Lehmfragmente. Für die Wissenschaft sind sie
alle bedeutend, dennoch sind einzelne Objekte
nicht zuletzt aufgrund ihrer Seltenheit hervor-
zuheben. Darunter fallen beispielsweise Depot-
funde mit Steingeräten (u. a. Zwenkau-Harth,
Dresden-Nickern), die oftmals den gesamten
Herstellungsprozess spiegeln. Neben einer
Analyse der Nutzungsspuren steht dabei vor
allem die Frage nach dem Herkunftsgebiet
des Rohstoffs im Vordergrund. Um diese Fra-
gen zu klären, hat sich in den letzten Jahren
eine rege Kooperation mit Mineralogen entwi-
ckelt. Weiterhin gehören Funde in diese Rub-
rik, die offensichtlich nicht in den Rahmen
des alltäglichen Lebens gehören. Sie heben
sich durch ihre besondere Herstellungsart,        umzudrehen ist und somit eher als Tischlein        10: Neben den Bestat-
ihre Seltenheit oder auch durch die besondere     bzw. Altärchen betrachtet werden muss. Wenn-       tungen aus Dresden-
                                                                                                     Nickern liegen von
Behandlung, die ihnen die damaligen Men-          gleich das Objekt dadurch aus der Reihe der        dem Flughafengelände
schen zuteil werden ließen ab, beispielsweise     üblichen viereckigen Fußaltärchen sticht, so       Leipzig/Halle in
die in bandkeramischer Manier verzierten          wird es doch mit großer Wahrscheinlichkeit zu      Schkeuditz 28 Körper-
                                                                                                     gräber und drei Brand-
„Altärchen“, meist auf Beinchen stehende,         einem dieser ungewöhnlichen Funde zu zäh-          gräber vor. Die Skelette
rechteckige Plattformen aus Ton. Sie werden       len sein. Wie hoch der Zylinderfuß tatsächlich     zeigen hier die für die
                                                                                                     Bandkeramik typische
dem kultischen Kontext zugewiesen. Von der        war, ist uns jedoch nicht bekannt, da der Rand     Hockerstellung.
Fundstelle in Clieben stammen Scherben, die       an keiner Stelle vollständig erhalten geblieben
sich nicht zu den üblichen Gefäßformen, wie       ist (Abb. 12).
Kümpfe, Schalen oder Flaschen, zusammen-               Auch kleine menschen- und tiergestaltige
setzen ließen. Dafür konnte man ein zylin-        Tonfiguren, die in Siedlungsgruben vorkom-
derförmiges Tongefäß rekonstruieren, das mit      men und als Idole, das heißt im Sinne von
großer Wahrscheinlichkeit nicht als solches       Vorbildern oder Ahnen gedeutet werden, sind
genutzt wurde. Der leicht aufgewölbte Rand        zwar selten, aber doch regelmäßig in Siedlun-
des zunächst vermuteten Bodens wie auch           gen anzutreffen. Von den in den letzten Jahren
zwei Leisten, die dessen Oberfläche untertei-     neu gefundenen Objekten ist vor allem der soge-
len, erlauben keine sichere Auflage. Bald kam     nannte „Adonis von Zschernitz“ aus einer Sied-
man zur Schlussfolgerung, dass das Tongefäß       lung der mittleren Bandkeramik zu n    ­ ennen,    

                                                                                 Archæo | 8 · 2011   11
forschung

            11: Beigaben aus einem stichbandkeramischen Grab   12: Tonaltar aus Clieben mit einer durch zwei Leisten
            von Dresden-Nickern.                               unterteilten Fläche, Durchmesser 20 cm, Höhe des
                                                               zylinderförmigen Hohlfußes mindestens 20 cm.

            der bislang einzige eindeutig ­männliche Torso     Regionen durchaus meist als S­ teckfiguren oder
            seiner Zeit (Abb. 13; 14) (Archaeo 1, 4–10). Im    sitzend in Hausmodellen häufiger vorkommen.
            Unterschied zu anderen Statuetten, wie der         Allerdings werden Idole der Linienbandkera-
            etwa 300–500 Jahre jüngeren „Venus von             mik meist auch nur einzeln gefunden, wes-
            Zauschwitz“, die in den 1970er Jahren gefun-       halb solche Zusammenhänge wie in Zschernitz
            den wurde, ist die Zschernitzer Tonfigur           etwas besonderes darstellen.
            zudem weniger symbolhaft, sondern sehr rea-             2012 bringt das Landesamt für Archäologie
            listisch geformt. Ob die typisch bandkerami-       einen Tagungsband heraus, der die Beiträge
            sche Dreiecksverzierung, die lediglich auf das     einer internationalen Konferenz in Leipzig
            Hinterteil beschränkt ist, auf eine Bekleidung,    im September 2010 beinhaltet. Im Februar
            auf Bemalung oder gar Tätowierung hinweist,        gleichen Jahres fand anlässlich der Eröffnung
            oder ob sie, ähnlich wie manche Tierplastiken,     der Leipziger Brunnenausstellung „Funde die
            vielleicht auch nur ein symbolisches Zugehö-       es nicht geben dürfte. Linienbandkeramische
            rigkeitszeichen der „bandkeramischen Welt“         Brunnen in Sachsen“ eine weitere Fachtagung
            repräsentieren, ist schwer zu entscheiden.         statt. Sie hatte sich den für die Bandkeramik
            Interessant ist, dass zum Torso aus Z­ schernitz   gewissermaßen neu entdeckten „Rohstoff
            noch ein weiteres, jedoch unverziertes Frag-       Baum“ zum Thema gemacht. Darüber hinaus
            ment des Brustbereichs gehören dürfte. Arme        soll die Ende der 1950er Jahre abgeschlossene
            und Kopf sind am Ansatz abgebrochen, die           Dissertation von Hans Quitta zu der bekannten
            Bruchstelle zum Torso passt nicht unmittelbar      Siedlung Zwenkau-Harth nach über 50 Jahren
            an. Aufgrund der Form und Größe des Quer-          gedruckt werden. Mit diesen und vielen Arbei-
            schnitts kann man das fehlende Fragment            ten mehr wollen wir an die wichtigen Arbeiten
            auf etwa einen Zentimeter schätzen. Gleich-        der Altvorderen anknüpfen und die in Sachsen
            zeitig wurde in der unmittelbaren Nähe eine        noch bestehende Lücke in der Erforschung die-
            weibliche Tonfigur gleicher Machart gefunden       ser europäischen Kultur schließen.
            (Abb. 13). Möglicherweise gehören diese beiden          Die Ausgrabungen und Forschungspro-
            Figuren zu einem Ensemble und repräsentie-         jekte gehen somit weiter, denn bei jeder neuen
            ren damit eine szenische Darstellung. Solche       ­Bearbeitung können Funde auftauchen, die
            sind im bandkeramischen Kulturkreis aller-          neue Fragen aufwerfen, die das Publikum oder
            dings nicht üblich, während sie in jüngeren         auch uns Archäologen jeweils neu überraschen
            Epochen (wie z. B. der Lengyel-Kultur oder          – aber das ist das Spannende an den Bandkera-
            der Cucuteni-Tripolje-Kultur) und in ­anderen       mikern: Sie werden nie langweilig!

       12   Archæo | 8 · 2011
forschung

                                                  14: Bei dem 8 cm
                                                  hohen männlichen
                                                  Torso, den wir „­Adonis
                                                  von Zschernitz“
                                                  genannt haben, wurde
                                                  noch ein weiteres
                                                  Brust/Schulter-Frag-
                                                  ment gefunden, das
                                                  ausweislich der Form
                                                  und der Tonzusammen-
                                                  setzung wohl dazu
                                                  gehört.

       literatur
                        R. Bartels/W. Brestrich/P. de Vries/H. Stäuble, Ein
                        neolithisches Siedlungsareal mit Kreisgraben-
                        anlagen bei Dresden-Nickern. Eine Übersicht.
                        Arbeits- u. Forschber. sächs. Bodendenkmal-
                        pflege 45, 2003, 97–133.
                        M. Cladders/H. Stäuble/T. Tischendorf/S. W­ olfram,
                        Zur linien- und stichbandkeramischen Besied-
                        lung von Eythra, Lkr. Leipzig. In: Siedlungs-
                        struktur und Kulturwandel in der Band­
                        keramik. Beiträge der Internationalen Tagung
                        „Neue ­Fragen zur Band­keramik oder Alles beim
                        Alten?!“, Leipzig 23.–24. September 2010.
                        Arbeits- u. Forschber. sächs. Bodendenkmalpfl.
                        Beih. 24 (Dresden 2012) in Vorb.
                        A. Kinne/B. Schneider/H. Stäuble/C. Tinapp, Ein
                        zweiter Schnitt durch Kyhna. Untersuchun-
                        gen an der vier­fachen Kreisgrabenanlage. In:
                        R. Smolnik (Hrsg.), Ausgrabungen in Sachsen 3.
                        Arbeits- u. Forschber. sächs. Bodendenkmalpfl.
                        Beih. 24 (Dresden 2012) 26–32.
13: Erstmalig neben-
einandergestellt: die   H. Stäuble/P. de Vries, Frühneolithikum. In:
Umzeichnungen der       R. Heynowski/R. Reiß (Red.), Ur- und Frühge-
wohl weiblichen und     schichte Sachsens. Atlas zur Geschichte und
der männlichen Ton­
figurfragmente aus      Landeskunde von Sachsen. Beih. B I 1–5 (Leip-
Zschernitz.             zig, Dresden 2010) 24–46.

                         Archæo | 8 · 2011        13
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