Die ersten Bauern in Sachsen
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forschung Die ersten Bauern in Sachsen Hunderte Siedlungen in nur drei Regionen Von Harald Stäuble 1: Ausgrabungen im Vorfeld des Neubaus der BAB 72 Chemnitz– Leipzig im Bereich der linien- und stichband- keramischen Siedlung I n Mitteleuropa kommen ab Mitte des 6. Jahrtausends v. Chr. einheitliche Kul- turausprägungen vor, die nach der Verzie- rung der Tongefäße (Abb. 4; 5) heute „Linien bandkeramik“ genannt werden. Die Keramik das breite Werkzeugspektrum nun vollständig einer hoch entwickelten Holzarchitektur ange- passt. Wie die in Sachsen entdeckten Brunnen mit ihren Holzkonstruktionen von der ausge- klügelten Zimmermannstechnik des Neolithi- Kolka im Kohren-Geit- hainer Lösshügelland. ist allerdings bei weitem nicht das einzige kums zeugen, wurde das neue Dechsel- und und wichtigste Merkmal. Vielmehr zählt die Beilsortiment vor allem für die Bearbeitung Sesshaftigkeit, gepaart mit dem Anbau von von Holz eingesetzt (s. Beitrag Elburg). Darü- Getreide und dem Halten von Haustieren zu ber hinaus gewähren Siedlungsgruben einen jenen bedeutenden Neuerungen, die einen Einblick in die neolithische Lebens- und Wirt- wesentlichen Unterschied zu den Jägern und schaftsweise. Die aus den Gruben entnomme- Sammlern machen. Eng damit verbunden sind nen Proben werden durch Archäozoologen und die Grundrisse von zum Teil riesigen Pfosten- Archäobotaniker auf sogenannte Biofakte, das bauten, die in großen Siedlungen organisiert heißt tierische und pflanzliche Überreste, hin waren. Wichtig sind aber auch die zahlrei- analysiert. Solchen Untersuchungen ist es zu chen und vielfältigen Funde aus geschliffe- verdanken, dass sich zusammen mit den cha- nem Stein. Obwohl ähnliche Steingeräte ver- rakteristischen und Namen gebenden Arte- einzelt auch in früherer Zeit vorkommen, ist fakten der Linienbandkeramik noch w eitere 4 Archæo | 8 · 2011
forschung ) " Uhyst ) " ) " _( Leipzig ^ Salbitz Mügeln _ ^ ) " Zwenkau _ ^ Clieben Dresden ) " ( _ ^ Mockritz Chemnitz ( ! Bandkeramische Fundstellen Kilometer _ ^ Älteste Bandkeramik 0 5 10 20 30 40 50 ) " BK Brunnen N euerungen nachweisen lassen, die eine fel daran aufkommen, dass die Entwicklung 2: Verbreitung der gegenüber der Zeit davor deutlich geänderte, durch einen von Außen kommenden Bevöl- Fundstellen in den drei bandkeramischen hauptsächlich auf Landwirtschaft basierende kerungszuwachs erfolgte. Dennoch lässt sich Regionen in Sachsen Lebensweise a nzeigen. auch für Sachsen die europaweit kontrovers mit herausgestell- diskutierte Frage nach Zeitraum und Prozess ten Siedlungen der Ältesten Linienband Ursprung der Neolithisierung nicht mit letzter Endgül- keramik und solchen Die Herkunft der als „neolithisches Paket“ tigkeit beantworten. mit Brunnen. zusammengefassten Innovationen weist in den sogenannten Fruchtbaren Halbmond, in Siedlungsplatzwahl und Wege Vorderasien. Von dort breitete es sich in Rich- der Aufsiedlung tung Westen aus. Auf dieser Grundlage entwi- In Sachsen zeigen sich die ersten Ackerbauern ckelte sich um 5600 v. Chr. in Transdanubien, und Viehzüchter zwischen 5500–5400 v. Chr. im heutigen Ungarn, die sogenannte Kultur Während die erste Besiedlungswelle der Ältes- der Linienbandkeramik. Die Komplexität und ten Bandkeramik nur spärlich vertreten ist, Vollständigkeit dieses Paketes, die große über- verdichteten sich die Besiedlungsspuren in der wundene Distanz, gepaart mit der Schnellig- folgenden Zeit in den drei fruchtbarsten Regi- keit, mit der die Linienbandkeramische Kultur onen Sachsens: dem Dresdner Elbtal, das als ganz Mitteleuropa erfasste, lassen keine Zwei- einzige Region mit rund 200 km2 einen recht Archæo | 8 · 2011 5
forschung 3: Kartierung der während der letzten 15 Jahre neu entdeckten bandkeramischen Fundstellen auf Grundlage der Karte von Hans Quitta aus dem Jahr 1970. Nun- mehr sind auf Ausgrabungen mit zusammen über 70 ha Fläche Spu- Zschernitz ren von rund 530 Hausgrundrissen und zahllosen Gruben der Linien- Kyhna und Stichbandkeramik untersucht worden. Brodau Altscherbitz Legende Plaußig Landesgrenze Leipzig, Stadt _ ^ Brunnen LBK BK Grabungen seit 1993 / " LBK Y SBK X ) " BK Grabung Eythra Kartierung Quitta 1970 J Linienbandkeramik " Stichbandkeramik ) Linien- und Stichbandkeramik " Zuweisung Bandkeramik unsicher * mehrere bandkeramische Steinwerkzeuge # ze Depotfunde Auenlehmablagerungen Eythra Zwenkau-Harth Braunkohlentagebau abgebaut geplant Höhenschichten (mNN) Zauschwitz > 340 331 - 340 321 - 330 311 - 320 301 - 310 291 - 300 281 - 290 Droßdorf 271 - 280 261 - 270 251 - 260 241 - 250 231 - 240 221 - 230 211 - 220 201 - 210 Rehmsdorf-Rumsdorf 191 - 200 181 - 190 Zipsendorf Zipsendorf 171 - 180 Kolka 161 - 170 151 - 160 141 - 150 131 - 140 121 - 130 111 - 120 101 - 110 91 - 100 < 90 0 2 4 6 8 10 km 6 Archæo | 8 · 2011
forschung 4: Gut erhaltene Brunnenfunde: ein polierter Kumpf und ein flaschenförmiges Gefäß mit Resten einer Schnuraufhängung. 1 2 geschlossenen Eindruck vermittelt, dem mit- gen aus aufgesiedelt wurde. Eine Route führte telsächsischen Lösshügelland (ca. 1000 km2) vom Böhmischen Becken ins Dresdner Elbtal. und Nordwestsachsen (ca. 1400 km2), das nur Die Fundstellen aus Nordwestsachsen schei- ein Bruchteil des noch viel größeren mittel- nen dagegen eher die östliche Randbesiedlung deutschen Lösshügellandes umfasst (Abb. 2). einer von Südwesten her beeinflussten Sied- 3 Das in Sachsen vorgefundene Besiedlungs- lungszone zu sein. In welche Tradition sich die muster lässt sich nicht nur anhand einzelner Besiedlung des mittelsächsischen Lösshügel Gunstfaktoren – Lössböden, milde Tempera- landes einreiht, bedarf dagegen noch weiterer turen und geringe Niederschläge – erklären; Klärung. Erste Hinweise erbrachte die Analyse wichtig scheint vielmehr das Zusammenspiel der Hausausrichtung. Diese spricht für einen mehrerer Elemente. Bei der Platzwahl wurden engeren kulturellen Kontakt mit dem Leipzi- genauso lokale Windrichtungen oder die Nähe ger Raum, der nordwest-südöstlich orientierte 4 zu Fließgewässern berücksichtigt. Dagegen Häuser aufweist, während sie in Dresden – wie blieben weite Teile Sachsens, wie das Erzge- auch in Tschechien – nord-süd-ausgerichtet birgsvorland, ein breiter Streifen zwischen der sind. Mulde im Osten und dem Pleiße-/Elsterland im Westen sowie, mit einzelnen Ausnahmen, die Wichtige Grabungen und gesamte Lausitz siedlungsfrei. Möglicherweise Befunde der letzten Jahre 5 dienten diese Gebiete den mittelsteinzeitli- Die Belegungsdichte in den drei genannten chen Jägern und Sammlerinnen als Rückzugs- Regionen, die mit zusammen rund 2600 km2 gebiet. Trotz der Schwierigkeit, Spuren nicht- nur etwa 14 % der Fläche Sachsens einnehmen sesshafter Kulturen überhaupt nachweisen zu (Abb. 2), ist sehr hoch. Zwar beruhen viele können (s. Beitrag Liebermann), zeigt sich eine bandkeramische Fundstellen nur auf Ober- recht klare geographische Trennung der Fund- flächenfunden, aber es gibt auch detaillierte 6 punkte. Dafür, dass die beiden verschiedenen Ergebnisse zur Siedlungsstruktur. Diese wur- Lebensweisen nur ausnahmsweise in Kontakt den durch einzelne größere denkmalpflegeri- 5: Linienbandkera- traten, sprechen auch die unterschiedlichen sche Projekte in den 1950–70er Jahren, wie zum mische (1–3) und stichbandkeramische Erwartungen und Ansprüche, die sie an die Beispiel in Zwenkau-Harth durch Hans Quitta, Gefäße (4–6) in Sach- Naturlandschaft gehabt haben dürften. in Zauschwitz durch Alfred Neugebauer und sen. Vgl. auch die Sachsen ist, bedingt durch seine zentrale in Dresden-Nickern durch Wilfried Baumann Abbildung auf Seite 3 und Abbildung 11. Lage in Europa, ein typisches Durchgangsland, gewonnen. Damit legten sie den Grundstein das eventuell von unterschiedlichen Richtun- für die großflächigen Grabungen nach 1990 Archæo | 8 · 2011 7
forschung Kreispalisadenanlage Erdwerk Kreisgrabenanlage LBK LBK, doppelte Wand SBK Datierung unklar 0 50 100m 200m 300m 400m 500m LBK-Brunnen 6: Allein im Tagebau (Abb. 3), wie zum Beispiel der Siedlung Eythra Leipzig und wird mit Hilfe der Deutschen For- Zwenkau konnten im Tagebau Zwenkau, südlich von Leipzig. schungsgemeinschaft finanziert. Dadurch hat innerhalb der linien- und stichbandkera- Bei dieser Fundstelle handelt es sich um eine Phase der wissenschaftlichen Auswertung mischen Besiedlung die mit rund 30 ha weitaus größte zusammen- begonnen, die nunmehr etwa ein Dutzend wei- Eythra auf rund 30 ha hängende Fläche, die jemals in einer band terer Fundstellen im Umfeld einschließt. In Grabungsfläche etwa 300 Hausgrundrisse keramischen Siedlung ausgegraben wurde. Eythra kann nicht nur die Entwicklung einer nachgewiesen werden. Trotz der rund 300 Hausgrundrisse, die sowohl Siedlung aufgeschlüsselt, sondern es können der Linien- als auch der nachfolgenden Stich- auch Spuren kommunaler „Sonderbauten“ bandkeramik zuzuordnen sind, konnte die in ihrem Umfeld erschlossen werden: für die Gesamtausdehnung der besiedelten Fläche Linienbandkeramik zwei Brunnen und ein nicht erfasst werden (Abb. 6). Die Ausgrabun- Grabenwerk, für die Stichbandkeramik eine gen in Eythra bieten die Möglichkeit, eine dreifache Kreisgrabenanlage. annähernd 800 Jahre lange Besiedlungsge- Auch aus anderen großflächig gegrabenen schichte nachzuvollziehen. Die Aufarbeitung Siedlungen, wie Leipzig-Plaußig, Schkeuditz- des zahlreichen Fund- und Befundmaterials Altscherbitz (Archæo 5, 12–17; Archæo 7, 23–27), erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl und Brodau (Archæo 3, 16–21) haben sich für Vor- und Frühgeschichte der Universität frühneolithische Brunnen erhalten (Abb. 2). 8 Archæo | 8 · 2011
forschung Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine derar- Einblick in das Verhältnis zwischen dem Men- 7: Eines der unteren tige Konzentration. In den zumeist in Blockbau- schen und seiner Umwelt erlauben. Insgesamt Zwischenplana des Brunnens von Altscher- weise gezimmerten Kästen sind auch zahlrei- kann man sagen, dass die Entdeckung und bitz mit einem unten che Sonderfunde aus organischen Materialien Untersuchung der bandkeramischen Brunnen geknickten Rinden- geborgen worden (Abb. 7). Durch die Jahrring- dazu beiträgt, dass sich unser bislang bekann- bastgefäß, das seitlich mit Spaltstäben befes- untersuchung der Brunnenhölzer sind nun- tes Bild bezüglich des damaligen Lebens gewan- tigt wurde. mehr jahrgenaue Datierungen möglich. Zusätz- delt und erweitert hat. lich erschließt sich uns durch die besonders Während der letzten 15 Jahre wurden guten Erhaltungsbedingungen ein vollständig in der Region um Leipzig insgesamt 38 neue neues Fundspektrum der bandkeramischen Siedlungsplätze entdeckt, auf denen über 500 Kultur. Darunter fallen beispielsweise Beutel Hausgrundrisse der Linien- und Stichband- aus Rindenbast (Abb. 8), Schnüre und einzelne keramik ausgegraben wurden (Abb. 3). Dabei Holzgeräte. Weiterhin erwähnenswert sind die liegt der Wert dieser neuen Fundstellen nicht zahlreichen Biofakte, die einen einzigartigen nur in ihrer großen Zahl, sondern auch in der Archæo | 8 · 2011 9
forschung Tatsache, dass einige davon in Gegenden ange- den fünf Körpergräbern, die schon Ende der troffen wurden, die man aus verschiedenen 1950er Jahre in Dresden-Nickern untersucht Gründen bislang von der bandkeramischen wurden, kamen weitere 20 jung- bis jüngst- Aufsiedlung ausgeschlossen hatte. Als Beispiel linienbandkeramische Bestattungen hinzu können die Fundstellen zwischen Geithain (Abb. 9,6). Die Skelette waren schon vollstän- und Penig genannt werden, die im Vorfeld des dig vergangen. Die ost-west-ausgerichteten Autobahnbaus zwischen Chemnitz und Leipzig Grabgruben enthielten nur wenige Beigaben. ausgegraben wurden (Archæo 4, 14–19). Dazu Hervorzuheben sind zwei gelochte Graphit- zählt auch die Fundstelle Droßdorf im künfti- stücke. Zusammen mit einem Gefäß aus der gen Abbaufeld Peres des Braunkohlentagebaus benachbarten Siedlung, das mit einer Paste Schleenhain, die erst 2011 völlig überraschend aus zerstoßenem Hämatit gefüllt war, unter- zwischen Weißer Elster und Pleiße entdeckt streichen sie, dass wir uns das Leben der Band 8: 3D-Scan des seitlich geknickten Rindenbast- wurde und in den nächsten Jahren vollständig keramiker nicht grau vorzustellen haben. Auf- gefäßes mit Knickhen- untersucht werden wird (Abb. 3). grund fehlender Belege können wir allerdings kel aus Brunnen 21 in Die Entdeckung einer Vielzahl stichband- nur vermuten, dass neben den gelegentlichen Eythra, das unten und seitlich mit Bastschnur keramischer Kreisgrabenanlagen (um 4800– Farbresten in den Ritzlinien und Stichreihen genäht wurde. 4600 v. Chr.) ist ebenfalls von großer Bedeutung der Tongefäße auch noch andere Objekte oder für die Forschung, besonders wenn ihr zuge- vielleicht sogar die Häuser bemalt waren. höriges Siedlungsumfeld untersucht werden Bedeutend für die Bandkeramik-Forschung kann. Auf zwei Kreisgrabenanlagenfeldern in des Elbtals ist des Weiteren auch eine unlängst Kyhna (Archæo 4, 12 f.) und Dresden-Nickern gegrabene Fundstelle bei Clieben, rund 20 km (Archæo 1, 30–33) wurden im Luftbild bezie- nordwestlich von Dresden, die auf einem insel- 9: Die Grabungsflä- hungsweise durch Ausgrabungen, jeweils auf artig erhaltenen Terrassenrest erhalten blieb. chen am Geberbach einer relativ kleinen zusammenhängenden Dort wurden über ein halbes Dutzend Haus- in Dresden-Nickern Siedlungsfläche, gleich mehrere solcher monu- grundrisse untersucht. Zwei davon stachen mit herausgestell- ten linien- und mentaler Erdwerke mit einer unterschiedli- durch ihre Länge von mehr als 50 m besonders stichbandkeramischen chen Anzahl von ein bis vier konzentrischen hervor. Grabenwerken (1–4), Gräben entdeckt (Abb. 9,1.2.4). Zu guter Letzt sind die ersten großflächigen Hausgrundrissen (5) und dem kleinen Im Dresdner Elbtal liegt auch eines der Ausgrabungen mehrerer linien- und stichband- Gräberfeld (6). bislang immer noch seltenen Gräberfelder. Zu keramischer Siedlungen im bislang lediglich 16 0 0 25 50 100m 1 2 5 17 3 0 6 150 h rbac 4 Gebe 10 Archæo | 8 · 2011
forschung durch Oberflächenfunde gekennzeichneten Gebiet Mittelsachsens zu nennen. Die 2011 beim Neubau einer Umgehungsstraße um Mügeln entdeckten Fundstellen füllen nunmehr die große Lücke, die zwischen den beiden besser untersuchten Gebieten Nordwestsachsens und des Dresdner Elbtals bestand. Einzelne herausragende Funde der letzten Jahre Bislang wurde der Schwerpunkt dieses Beitrags vor allem auf die Siedlungen und die soge- nannten Befunde gelegt. Selbstverständlich sind bei den zahlreichen großflächigen Aus- grabungen auch eine Vielzahl von Artefakten geborgen worden: geschliffene und geschla- gene Steingeräte, Tongefäße und verbrannte Lehmfragmente. Für die Wissenschaft sind sie alle bedeutend, dennoch sind einzelne Objekte nicht zuletzt aufgrund ihrer Seltenheit hervor- zuheben. Darunter fallen beispielsweise Depot- funde mit Steingeräten (u. a. Zwenkau-Harth, Dresden-Nickern), die oftmals den gesamten Herstellungsprozess spiegeln. Neben einer Analyse der Nutzungsspuren steht dabei vor allem die Frage nach dem Herkunftsgebiet des Rohstoffs im Vordergrund. Um diese Fra- gen zu klären, hat sich in den letzten Jahren eine rege Kooperation mit Mineralogen entwi- ckelt. Weiterhin gehören Funde in diese Rub- rik, die offensichtlich nicht in den Rahmen des alltäglichen Lebens gehören. Sie heben sich durch ihre besondere Herstellungsart, umzudrehen ist und somit eher als Tischlein 10: Neben den Bestat- ihre Seltenheit oder auch durch die besondere bzw. Altärchen betrachtet werden muss. Wenn- tungen aus Dresden- Nickern liegen von Behandlung, die ihnen die damaligen Men- gleich das Objekt dadurch aus der Reihe der dem Flughafengelände schen zuteil werden ließen ab, beispielsweise üblichen viereckigen Fußaltärchen sticht, so Leipzig/Halle in die in bandkeramischer Manier verzierten wird es doch mit großer Wahrscheinlichkeit zu Schkeuditz 28 Körper- gräber und drei Brand- „Altärchen“, meist auf Beinchen stehende, einem dieser ungewöhnlichen Funde zu zäh- gräber vor. Die Skelette rechteckige Plattformen aus Ton. Sie werden len sein. Wie hoch der Zylinderfuß tatsächlich zeigen hier die für die Bandkeramik typische dem kultischen Kontext zugewiesen. Von der war, ist uns jedoch nicht bekannt, da der Rand Hockerstellung. Fundstelle in Clieben stammen Scherben, die an keiner Stelle vollständig erhalten geblieben sich nicht zu den üblichen Gefäßformen, wie ist (Abb. 12). Kümpfe, Schalen oder Flaschen, zusammen- Auch kleine menschen- und tiergestaltige setzen ließen. Dafür konnte man ein zylin- Tonfiguren, die in Siedlungsgruben vorkom- derförmiges Tongefäß rekonstruieren, das mit men und als Idole, das heißt im Sinne von großer Wahrscheinlichkeit nicht als solches Vorbildern oder Ahnen gedeutet werden, sind genutzt wurde. Der leicht aufgewölbte Rand zwar selten, aber doch regelmäßig in Siedlun- des zunächst vermuteten Bodens wie auch gen anzutreffen. Von den in den letzten Jahren zwei Leisten, die dessen Oberfläche untertei- neu gefundenen Objekten ist vor allem der soge- len, erlauben keine sichere Auflage. Bald kam nannte „Adonis von Zschernitz“ aus einer Sied- man zur Schlussfolgerung, dass das Tongefäß lung der mittleren Bandkeramik zu n ennen, Archæo | 8 · 2011 11
forschung 11: Beigaben aus einem stichbandkeramischen Grab 12: Tonaltar aus Clieben mit einer durch zwei Leisten von Dresden-Nickern. unterteilten Fläche, Durchmesser 20 cm, Höhe des zylinderförmigen Hohlfußes mindestens 20 cm. der bislang einzige eindeutig männliche Torso Regionen durchaus meist als S teckfiguren oder seiner Zeit (Abb. 13; 14) (Archaeo 1, 4–10). Im sitzend in Hausmodellen häufiger vorkommen. Unterschied zu anderen Statuetten, wie der Allerdings werden Idole der Linienbandkera- etwa 300–500 Jahre jüngeren „Venus von mik meist auch nur einzeln gefunden, wes- Zauschwitz“, die in den 1970er Jahren gefun- halb solche Zusammenhänge wie in Zschernitz den wurde, ist die Zschernitzer Tonfigur etwas besonderes darstellen. zudem weniger symbolhaft, sondern sehr rea- 2012 bringt das Landesamt für Archäologie listisch geformt. Ob die typisch bandkerami- einen Tagungsband heraus, der die Beiträge sche Dreiecksverzierung, die lediglich auf das einer internationalen Konferenz in Leipzig Hinterteil beschränkt ist, auf eine Bekleidung, im September 2010 beinhaltet. Im Februar auf Bemalung oder gar Tätowierung hinweist, gleichen Jahres fand anlässlich der Eröffnung oder ob sie, ähnlich wie manche Tierplastiken, der Leipziger Brunnenausstellung „Funde die vielleicht auch nur ein symbolisches Zugehö- es nicht geben dürfte. Linienbandkeramische rigkeitszeichen der „bandkeramischen Welt“ Brunnen in Sachsen“ eine weitere Fachtagung repräsentieren, ist schwer zu entscheiden. statt. Sie hatte sich den für die Bandkeramik Interessant ist, dass zum Torso aus Z schernitz gewissermaßen neu entdeckten „Rohstoff noch ein weiteres, jedoch unverziertes Frag- Baum“ zum Thema gemacht. Darüber hinaus ment des Brustbereichs gehören dürfte. Arme soll die Ende der 1950er Jahre abgeschlossene und Kopf sind am Ansatz abgebrochen, die Dissertation von Hans Quitta zu der bekannten Bruchstelle zum Torso passt nicht unmittelbar Siedlung Zwenkau-Harth nach über 50 Jahren an. Aufgrund der Form und Größe des Quer- gedruckt werden. Mit diesen und vielen Arbei- schnitts kann man das fehlende Fragment ten mehr wollen wir an die wichtigen Arbeiten auf etwa einen Zentimeter schätzen. Gleich- der Altvorderen anknüpfen und die in Sachsen zeitig wurde in der unmittelbaren Nähe eine noch bestehende Lücke in der Erforschung die- weibliche Tonfigur gleicher Machart gefunden ser europäischen Kultur schließen. (Abb. 13). Möglicherweise gehören diese beiden Die Ausgrabungen und Forschungspro- Figuren zu einem Ensemble und repräsentie- jekte gehen somit weiter, denn bei jeder neuen ren damit eine szenische Darstellung. Solche Bearbeitung können Funde auftauchen, die sind im bandkeramischen Kulturkreis aller- neue Fragen aufwerfen, die das Publikum oder dings nicht üblich, während sie in jüngeren auch uns Archäologen jeweils neu überraschen Epochen (wie z. B. der Lengyel-Kultur oder – aber das ist das Spannende an den Bandkera- der Cucuteni-Tripolje-Kultur) und in anderen mikern: Sie werden nie langweilig! 12 Archæo | 8 · 2011
forschung 14: Bei dem 8 cm hohen männlichen Torso, den wir „Adonis von Zschernitz“ genannt haben, wurde noch ein weiteres Brust/Schulter-Frag- ment gefunden, das ausweislich der Form und der Tonzusammen- setzung wohl dazu gehört. literatur R. Bartels/W. Brestrich/P. de Vries/H. Stäuble, Ein neolithisches Siedlungsareal mit Kreisgraben- anlagen bei Dresden-Nickern. Eine Übersicht. Arbeits- u. Forschber. sächs. Bodendenkmal- pflege 45, 2003, 97–133. M. Cladders/H. Stäuble/T. Tischendorf/S. W olfram, Zur linien- und stichbandkeramischen Besied- lung von Eythra, Lkr. Leipzig. In: Siedlungs- struktur und Kulturwandel in der Band keramik. Beiträge der Internationalen Tagung „Neue Fragen zur Bandkeramik oder Alles beim Alten?!“, Leipzig 23.–24. September 2010. Arbeits- u. Forschber. sächs. Bodendenkmalpfl. Beih. 24 (Dresden 2012) in Vorb. A. Kinne/B. Schneider/H. Stäuble/C. Tinapp, Ein zweiter Schnitt durch Kyhna. Untersuchun- gen an der vierfachen Kreisgrabenanlage. In: R. Smolnik (Hrsg.), Ausgrabungen in Sachsen 3. Arbeits- u. Forschber. sächs. Bodendenkmalpfl. Beih. 24 (Dresden 2012) 26–32. 13: Erstmalig neben- einandergestellt: die H. Stäuble/P. de Vries, Frühneolithikum. In: Umzeichnungen der R. Heynowski/R. Reiß (Red.), Ur- und Frühge- wohl weiblichen und schichte Sachsens. Atlas zur Geschichte und der männlichen Ton figurfragmente aus Landeskunde von Sachsen. Beih. B I 1–5 (Leip- Zschernitz. zig, Dresden 2010) 24–46. Archæo | 8 · 2011 13
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