DIE GUTE ALTE ZEIT - 2 Euro - Arge für Obdachlose
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Arge für Obdachlose Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten MÄRZ 2021 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis 2 Euro DIE GUTE ALTE ZEIT
IMPRESSUM der Salzburgerstraße. Nach schwierigen Zeiten als Obdachloser hörte er vor fast 20 Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur Jahren mit dem Trinken auf, erhielt über Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich die »Arge für Obdachlose« eine Wohnung als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen. und lebte dort mit seiner Katze recht zu- Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben frieden. Im Volksgarten war er als Spieler dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge- schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene am großen Schachbrett aktiv und im Win- bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach- ter war er gerne bei unseren Eisstock-Tur- lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion. nieren dabei. Obwohl ihn vorher schon gesundheitliche Probleme mit dem Herzen Redaktion Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020 über Jahre begleiteten, war das Jahr der Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob- Pandemie für seine Gesundheit zu viel. So dachlose.at, www.kupfermuckn.at kam eines zum anderen und auch ein Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos: Rückfall in die Alkoholsucht – nach so Heinz Zauner (hz), Chefredakteur vielen Jahren der Abstinenz – kam noch Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion dazu. Im 66. Lebensjahr verstarb Reinhard Daniel Egger (de), Redaktion Im Gedenken an Reinhard Dorninger Katharina Krizsanits (kk), Layout, Vertrieb schließlich am Corona-Virus, mit Vorer- Walter Hartl (wh), Technik Reinhard war noch am Dezemberblatt des krankungen, wie es so heißt. Es bleibt uns Kupfermuckn-Kalenders an der Linzer die Erinnerung an die vielen schönen Plau- Redakteure: Anna Maria, August, Christine, Claudia, Helmut, Heinz, Hermann, Johannes, Leo, Manfred F., Donaulände abgebildet. Er war über viele dereien bei deinen Besuchen im Verkäu- Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, Walter; Jahre unser Verkäufer beim Interspar in fercafé. Wir werden dich vermissen. (hz) Titelfoto Anton im Arge Trödlerladen: hz Auflage: 25.000 Exemplare Eine »salomonische« Spende ger und schwieriger wurde, bemühten sich Bankverbindung und Spendenkonto beide Seiten, die jahrelange Wertschätzung Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L Wir sind aus unserer Wohnung ausgezogen. aufrecht zu erhalten. Das war sicher eine Wir haben viel Zeit und Geld reingesteckt, wichtige und gar nicht selbstverständliche Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck weil wir uns wohl fühlen wollten. Manch ei- Grundlage, damit folgende salomonische Ei- Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel- punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis ner würde wohl fragen, ob das vernünftig sei, nigung überhaupt möglich war: Als der Ver- Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen wenn man ohnehin beim nächsten Auszug al- mieter anmerkte, dass die Zeit und Energie, melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro- les hinter sich lässt? Das stimmt, aber wir las- die wir in dieses Gespräch steckten diese 100 zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern. sen es nicht nur hinter uns, sondern wir hinter- Euro vielleicht gar nicht wert sei, stimmte ich Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel., lassen es auch – nämlich der Nachmieterin. ihm zu. Darüber hinaus brauchte ich diese 100 0732/770805-19 Nur unser Vermieter war nicht ganz zufrieden Euro nicht wirklich und er wahrscheinlich Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46, 4600 Wels, Tel. 07242/290663 mit der Verarbeitung einer Rigipswand, die auch nicht. Da kam mir eine Idee, dass es ei- Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr, wir eingezogen hatten. Er ließ sie verspach- gentlich genug Leute gibt, die wirklich drin- Tel. 07252/50 211 teln und wollte die Kosten von 100 Euro dafür gend 100 Euro brauchen: »Wenn niemand von Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße 102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145 von unserer Kaution abziehen. Wir waren uns beiden das Geld so dringend benötigt, überrascht, denn er bekam die Wand ja zum warum spenden wir es dann nicht einfach an Medieninhaber und Herausgeber Nulltarif. Lange diskutierten wir mit ihm, die ARGE für Obdachlose?«, schlug ich vor. Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit- zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11, doch er ließ sich nicht von seiner Meinung Dem stimmte er spontan zu! Leserbrief von 4020 Linz, www.arge-obdachlose.at abbringen und wir auch nicht von der unseren. Florian Kaltseis; Der Verein Arge für Ob- Obwohl es im Lauf des Gesprächs schwieri- dachlose bedankt sich herzlich. International Die Kupfermuckn ist Mitglied beim »International Network of Street Papers« INSP Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis www.street-papers.com Liebe Leserinnen und Leser! Bitte kaufen Sie die Kupfermuckn ausschließlich bei Verkäuferinnen und Verkäufern mit sichtbar getrage- nem und aktuellem Ausweis. Nur so können Sie sicher sein, dass auch wirklich die Hälfte des Ertrages der Zielgruppe zu Gute kommt: Woh- nungslosen und Menschen, die in Ar- mut leben und ihren Lebensmittel- punkt in Oberösterreich haben. 2 03/2021
Wenn die Seele schmerzt Betroffene erinnern sich daran, als sich Hilflosigkeit und Verzweiflung breit machten Acht Selbstmordversuche über- schwankungen und konnte zu niemandem dafür sorgen, dass ich nicht wieder in ein tie- eine Beziehung aufbauen. Jahrelang hatte ich fes Loch falle. Man muss lange üben, damit lebt. Nun lebe ich wieder gerne! schwere Depressionen. So ist es für mich auch sie greifen. Ich habe auch einen Igelball zu im Nachhinein nicht verwunderlich, dass ich Hause, der mir sehr gut tut. Spazierengehen Bereits nach meinem 13. Lebensjahr habe ich bereits acht Selbstmordversuche hinter mir hilft auch. In der Natur kann ich mich beson- die Diagnose »Borderline« bekommen. In den habe. Sterben war für mich ein großes Thema. ders gut erholen. Die Therapie war sehr er- späteren Jahren litt ich dann auch an einer Mein Leben hatte für mich wenig Sinn. Es gab folgreich. So brauche ich seit 2012 keine Me- »posttraumatischen Belastungsstörung«. Ich kaum einen Lichtblick. Freuden gab es so gut dikamente mehr. Ab und zu merke ich, dass wurde jahrelang nur auf »Borderline« behan- wie keine. Doch dann lernte ich einen Mann meine Stimmung kippt. Da möchte ich dann delt. Diese Erkrankung zeigte sich vor allem kennen, der mich so akzeptieren konnte, wie nur weinen, ohne Grund. Auch dagegen habe darin, dass ich mich immer wieder ritzte. ich war. Er konnte sich in mich hineinfühlen. ich ein gutes Mittel für mich gefunden: sobald Manches Mal schlug ich auch mit dem Kopf Zum ersten Mal durfte ich mich jemandem negative Gedanken aufkommen, lenke ich oder mit den Füßen gegen die Wände. Vor al- wirklich anvertrauen. Dank seiner Unterstüt- mich mit Musikhören oder Malen ab. Wenn lem dann, wenn ich Stress hatte und sich in- zung war ich dann auch soweit, dass ich im das nicht hilft, nehme ich meinen Igelball, nerlich ein großer Druck aufbaute, musste ich Jahr 2012 eine 14-wöchige Trauma-Therapie knete ihn und gehe damit auch spazieren. das irgendwie loswerden. Damals kannte ich in Enns gemacht habe. Da lernte ich auch Mein Mann merkt es sofort, wenn mit mir et- noch keine alternative Lösung. Ich litt unter »Skills« kennen, die mir ein gutes Überleben was nicht stimmt. Er fragt dann immer gleich, einer großen Instabilität, hatte Stimmungs- sichern. »Skills«, das sind Fertigkeiten, die ob alles in Ordnung ist, ob er etwas für mich 03/2021 3
viele Tage dabei, an denen ich kaum aus dem Bett komme. Anita Sorge um meine Tochter, die sich ritzt und sehr instabil ist Meine Tochter hat psychische Probleme. Mit ihren 16 Jahre hat sie in ihrem Leben schon einiges hinter sich. Erst die Diagnose »Bor- derline«, dann wurde in ihrem Kopf auch ein Tumor entdeckt. Durch ihre Wesensänderung hat sie teilweise Probleme, sich der Umge- bung anzupassen. Sie ist bei Pflegeeltern auf- gewachsen, und es häuften sich mit zuneh- menden Alter und der beginnenden Pubertät die Sorgen. Anfangs ritzte sie sich, in weiterer Folge schluckte sie immer wieder Gegen- stände. Zudem spielt sie auch oftmals mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist sie stabil genug, um ar- beiten zu gehen. Für mich als Vater ist es sehr traurig, dass meine Tochter in solchen Schwie- rigkeiten ist. Oftmals fühle ich mich sehr schwach, dann kann ich ihr nicht einmal mehr helfen. Aufgrund meiner körperlichen Erkran- kung – ich leide seit zwei Jahren an Parkinson – habe ich auch oft Sorgen und Spannungen. Trotzdem versuche ich, eine Stütze für meine Tochter zu sein. Hoffentlich werde ich auch in tun kann. Wenn ich ihm sage, dass ich alleine auf die Kunst der Ärzte angewiesen. Ich Zukunft viel Kraft haben, damit sie gut wei- sein möchte, akzeptiert er das. Seit meiner wusste nicht, wie es weitergehen wird. Das terleben kann. Walter Trauma-Therapie kann ich gut mit mir selbst trübte meine Stimmung noch mehr. Nachdem umgehen. Ich arbeite auch heute noch an mir, ich den Krebs halbwegs überwunden hatte, damit ich für meinen Mann und meine Kinder legten die Ärzte mir nahe, einen Psychologen Der Selbstmord meines Sohnes da sein kann. Ich möchte nicht mehr in so ein aufzusuchen. Es gab Tage, an denen ich mich brach mir fast das Genick großes Loch fallen. Und ich hoffe, dass ich zwingen musste, überhaupt aufzustehen. Mir niemals wieder ins Krankenhaus muss und blieb nichts über. Ich hatte ja die Kinder. Er Als meine Mutter 1998 meinte, ich hätte Medikamente bekomme. Claudia kümmerte sich kaum noch um uns. Als mein schwere Depressionen, fühlte ich mich im Lebensgefährte dann auch noch ins Gefängnis Grunde genommen nicht krank. Heute bin ich musste, trennte ich mich von ihm. Ich hoffte mir nicht mehr so sicher, ob ich damals nicht Es gab Tage, an denen ich mich nun, dass alles besser würde. Doch noch sei- doch welche hatte. Es gab in meinem Leben zwingen musste, aufzustehen ner Entlassung stritten wir uns ständig wegen jedenfalls einige Zeiten, wo ich an Selbstmord der Kinder. Die Große hetzte er ständig gegen dachte. Es gab mehrere – auch für andere In jungen Jahren musste ich mich nie mit so mich auf. Irgendwann zog ich weg und hoffte, durchaus nachvollziehbare – Gründe dafür. schlimmen Gedanken beschäftigen wie jetzt. es würde alles besser werden. Die zweite Als ich beispielsweise schon im jungen Er- Im Grunde genommen fing alles mit meinem Krebs-Diagnose stürzte mich noch tiefer in wachsenenalter auf der Straße stand und keine damaligen Lebensgefährten an. Wir hatten die Depression. Ich hatte Angst zu sterben. Zukunftsperspektive hatte, dachte ich mir: schon ein gemeinsames Kind und sollten ei- Nach der Genesung meinte man bei der Kran- »Mich wird ohnehin keiner vermissen.« Jah- gentlich glücklich sein. Da ich damals sehr kenkasse, ich solle doch wieder psychologi- relang hatte ich dann keine solchen Gedanken naiv war, glaubte ich ihm alles. Wir wechsel- sche Hilfe in Anspruch nehmen. Das mache mehr, obwohl mein Leben alles andere als ten ständig unsere Wohnung, weil wir Prob- ich auch weiterhin. Deswegen habe ich Prob- normal – beziehungsweise gut – verlief. Dann leme mit den Vermietern hatten. Heute weiß leme mit dem AMS, weil das nicht akzeptiert kamen zwei Schicksalsjahre: 2007 und 2008. ich warum. Mein Partner zahlte die Miete so wird. Meine Tochter lebt mittlerweile bei ih- Damals war ich knapp 29 Jahre alt und wurde gut wie nie. Als sich dann das zweite Kind rem Vater, der Sohn bei mir. Der Psychologe, schon Witwe. Mein Mann, der ebenfalls aus anmeldete, sollte ich es abtreiben lassen. Ich bei dem ich in Behandlung bin, kann mir keine dem Obdachlosen-Milieu stammte, war weigerte mich. Irgendwann landeten wir in genaue Diagnose stellen, denn sonst muss ich schwer krank und starb dann ziemlich plötz- Linz. Alles ging weiter wie bisher. Er betrog fürchten, dass mir der Sohn vom Jugendamt lich. So stand ich praktisch alleine da. Freilich mich und war auch kein guter Vater. Kurz weggenommen wird. Ich bin zuversichtlich, hatte ich Bekannte und auch den einen oder nach meinem 40. Geburtstag merkte ich, dass dass sich meine Situation verbessern wird, anderen Freund, aber wie es mir zu dieser Zeit etwas nicht stimmt. Bei mir wurde Krebs fest- spätestens dann, wenn meine Existenz-Ängste wirklich ging, ahnte niemand. Ich konnte gestellt. Mein Leben war mit einem Schlag weg sind. Dann sind hoffentlich nicht mehr so mich niemandem anvertrauen und über das 4 03/2021
sprechen, was sich in mir abspielte. Ich war in ging ich noch regelmäßig zum Psychologen davon. Die Frage ist: »Wie kommt es dazu? tiefster Trauer. Und dann überkam mich die und ließ mich ambulant behandeln. Heute Wie kommt es so weit, dass ein Gehirn so et- Ahnung, dass mit meinem Körper ebenfalls komme ich mit diesem Schicksal einigerma- was produziert?« Ein Jahr später kippte ich in etwas nicht stimmt. Die Krebs-Diagnose be- ßen zurecht, doch immer wieder, wenn ich zu die Manie, nachdem ich zuvor seit meiner stätigte dann meine Befürchtungen. Ich dachte sehr darüber nachdenke, lassen sich die Trä- Kindheit depressiv gewesen war. Da kommen dann wieder daran, mein Leben zu beenden. nen in meinen Augen nicht verhindern. Das jetzt meine Eltern ins Spiel. Die Mutter war Gott sei Dank konnte ich dieses seelische Tief zweite Mal versuchte ich, mir vor zwölf Jah- selber depressiv, der Vater kriegstraumati- überwinden. Auch Dank der professionellen ren am Bahnhof in Linz das Leben zu nehmen, siert. Misshandelt haben sie mich beide. Aber Hilfe der Ärzte, die alles Mögliche dafür ta- das ist dann auch schon alles, was ich dazu ten, damit ich wieder gesund wurde. Und dann sagen möchte, da es nach wie vor mit einem kam der Tag, der mir wirklich fast das Genick »Meine Mutter war selber Tabu belegt ist, die eigenen Eltern in die brach. Ich erfuhr vom Selbstmord meines depressiv, mein Vater kriegs- Pflicht zu nehmen und das noch dazu wo- 16-jährigen Sohnes, zu dem ich bis zu diesem traumatisiert. Misshandelt möglich ein Leben lang. Also, die Manie ist Zeitpunkt nur noch wenig Kontakt hatte. Die nun einmal das genaue Gegenteil von der Schuldgefühle und die seelische Qual fraßen haben sie mich beide.« »Depri«. In der Manie werden eine Menge mich fast auf. Es dauerte sehr lange, bis ich Dopamine im Gehirn produziert. Man ist ge- über diesen Verlust hinwegkommen konnte. radezu überschwänglich drauf, sehr eupho- Heute lebe ich wieder mit einem lieben Mann indem ich mich auf die Gleise legte, kurz be- risch. Alles ist um ein Vielfaches intensiver, zusammen und hoffe, dass wir beide noch ei- vor ein Zug den Bahnhof passierte. Doch zu überwältigende Gefühle treiben einen um. nige glückliche Jahre haben. Sonja meinem Glück fuhr er auf Gleis sechs ein, ich Unsere Gefühle gehören angeblich in den lag auf Gleis fünf. Von der Rettung wurde ich vorsprachlichen Bereich und dienen der sozi- in Polizeibegleitung wiederum ins »Wagner- alen Kommunikation. Ist man in der Depres- Doch zum Glück fuhr er auf Gleis Jauregg« eingeliefert, von wo ich nach fünf sion mit heftigen Schmerzen, Trauer, Hilf- sechs ein, ich lag auf Gleis fünf Tagen entlassen wurde, da ich dem Gericht und Hoffnungslosigkeit konfrontiert, so er- klar machen konnte, dass ich keine Suizid- scheint einem die Welt in der Manie so frisch Bevor ich in die Obdachlosigkeit rutschte, Absicht mehr hatte und alles im Vollrausch und unmittelbar, als ob man gerade erst gebo- führte ich ein halbwegs gutbürgerliches Le- passiert sei. Wenn ich heute über diese Sache ren wäre. Die Ursachen für eine psychische ben. Doch eines Tages verlor ich meine kleine nachdenke, bin ich froh, dass alles so gut ge- Erkrankung liegen dann auch oft in der frü- Tochter. Ich war sogar Zeuge des Unfalls, als endet hat. Heute genieße ich mein Leben so hen Kindheit und im Säuglingsalter. Das ein LKW mein Kind überfuhr. Damals fiel ich gut es geht, auch wenn es immer wieder mal Thema des Wahns entsteht nicht zufällig, son- in eine ganz tiefes dunkles Loch. Zum ersten mit dem Geld etwas enger wird. Aber Geld ist dern hat mit der Lebensgeschichte zu tun. Mal in meinem Leben dachte ich an Selbst- nicht alles. Ich bin froh, dass ich noch am Le- Kinder verdrängen frühzeitig Konflikte – aus mord, da der Schmerz unerträglich wurde, ben bin – das ist doch viel wichtiger! Leo unbefriedigten Bedürfnissen und Traumata und ich die Bilder nicht aus dem Kopf bekam. heraus – ins Unbewusste. Hier nun ein kurzer So versuchte ich mich am Dachboden meines Abriss aus meiner Geschichte: Ich war circa Elternhauses zu erhängen, was meine Mutter Ein Jahr später kippte ich in die 18 Monate alt, also eineinhalb Jahre. Nach aber Gott sei Dank verhindern konnte. Ich Manie, nachdem ich depressiv war den ersten paar Schlägen dachte ich noch, wurde dann für drei Wochen ins damalige dass er jetzt hoffentlich bald aufhören würde, »Wagner-Jauregg-Krankenhaus« (Nervenkli- Wenn es weh tut, bin ich der, der lacht. Als da der Schmerz kaum noch zu ertragen war. nik, Anm.) auf die geschlossene Abteilung die Misere mit meiner psychischen Krankheit Ich wusste nicht mehr wohin. Ich brannte eingeliefert, wo ich sehr gute Ärzte und Psy- begann, war ich 19 Jahre alt. Eines Nachts lichterloh. Nach einer gefühlten Ewigkeit chologen um mich hatte, die mit meinen Prob- hatte ich eine Nahtod-Erfahrung, wie sich brach ich dann zusammen. Hatte ich mich lemen umgehen konnten. Auch der Besuch später herausstellen sollte. Vielleicht war es anfangs noch verkrampft, so verlor ich ur- meiner Eltern und Freunde war für mich in auch ein epileptischer Anfall, so mit »Im- plötzlich die Körperspannung. Der Fachaus- dieser Zeit sehr wichtig. Wer weiß, ob ich es Licht-Sein« und dem ganzen Programm. Die druck dafür heißt »Totstell-Reflex«. Erst ab ohne sie geschafft hätte? Nach der Entlassung meisten kennen irgendwelche Erzählungen da ließ der Vaer von mir ab, als er nur noch 03/2021 5
geblieben sind. Es gibt immer wieder einmal schwierige Phasen im Leben – die gehören nun mal leider dazu. Margarethe Meine Energie ist aufgebraucht. Irgendwas bremst mich An manchen Tagen will ich gar nicht aus dem Bett steigen. Das Gefühl, der Tag könnte gar nichts Gutes für mich parat halten, ist über- mächtig stark. Dieses Gefühl lähmt mich. Keine Ahnung, was die Ursache ist! Ist es Angst? Erschöpfung? Sind es Depressionen? Wenn ich mich im Bett hin und her wälze, mich dazu zwingen muss, in die Gänge zu kommen, etwas zu erledigen, dann ist meine ganze Energie aufgebraucht. Irgendetwas bremst mich ständig. Ich würde es gerne än- dern, doch wenn ich es mal schaffe, meinen inneren Schweinehund zu überwinden, geht es mir am nächsten Tag wieder genauso wie an den Tagen davor! Ein ständiger Kampf. Ein Patentrezept gibt es nicht. Soviel weiß ich jetzt auch! Mit Antidepressiva ging es mir mal eine Zeit lang echt nicht so schlecht. Ich brauchte zwar morgens ein bisschen Zeit, um in die Gänge zu kommen. dafür war ich den restlichen Tag über voll motiviert, meinen Er- Bild von Helga Fürlinger-Nagl ledigungen nachzukommen! Nach meinem Umzug nach Wels musste ich den Arzt wech- auf einen Fetzen eindrosch. Es hat gar nicht Kind zur Adoption freigeben soll. Das wollte seln. Dieser neue Arzt wollte mir partout mehr viel gefehlt, und ich wäre daran fast ich aber nicht, ich wollte es behalten. Spurlos keine Antidepressiva verschreiben. Er verord- gestorben. Heikü ging das alles nicht an mir vorüber. Meine nete mir stattdessen ein anderes Medikament, Mutter bearbeitete mich Tag und Nacht. So das nicht die gewünschte Wirkung brachte. nahm ich wahllos irgendwelche Tabletten von Auch nach langem Hin und Her weigerte er So nahm ich wahllos irgendwelche zu Hause mit in die Hauswirtschaftsschule. sich strikt, die Medikamente zu verschreiben. Tabletten mit in die Schule Vor dem Schlafengehen nahm ich einige Tab- letten in dem Glauben, nicht mehr aufzuwa- Als ich 17 Jahre alt war, arbeitete ich auf Sai- chen zu müssen. Anscheinend waren es aber »So nahm ich wahllos Tablet- son in Bad Schallerbach. Dort lernte ich je- nicht die stärksten Medikamente. Als ich mor- ten und vor dem Schlafen- manden kennen, als ich in meiner Freizeit ge- gens nicht im Unterricht erschien, wurde eine Gehen, in der Hoffnung, nicht rade spazieren war. Er sprach mich an, weil er Schülerin von der Lehrerin auf mein Zimmer das Lied kannte, das ich gerade in meinem geschickt, um nachzusehen, was denn mit mir mehr aufwachen zu müssen.« Walkman hörte. Anscheinend ziemlich laut. los sei. Diese entdeckte die Tabletten und So lernten wir uns etwas näher kennen. Ich Schachteln und schlug sofort Alarm. Ich nahm ihn insgesamt dreimal mit auf mein wurde ins »Wagner-Jauregg« gebracht, wo ich Er meinte nur, dass dies nicht die richtige Be- Zimmer, was meine Chefin natürlich nicht zu dem Vorfall befragt und weiter beobachtet handlungsstrategie sei. Ich wusste mir nicht mitbekommen durfte. Ich hatte mein erstes wurde. Auf Intervention einer Mitarbeiterin anders zu helfen, als mir vom vorherigen Arzt Mal mit ihm und wurde auch gleich schwan- landete ich kurze Zeit später im »Notburga- das Rezept zu holen. Das hat zweimal funkti- ger. Ich freute mich auf das Kind. Eine Abtrei- Haus«, einer betreuten Wohneinrichtung in oniert. Dann erklärte er mir, ich dürfe nicht zu bung wäre für mich nie in Frage gekommen. Linz. Dort hat man sich gut um mich geküm- verschiedenen Ärzten gehen, um meine Als die Saisonarbeit zu Ende war, steckte mert und geschaut, dass ich einen Platz im Wunsch-Behandlung zu bekommen. Sie wä- mich meine Mutter in eine Hauswirtschafts- »Mutter-Kind-Haus« bekäme, was dann auch ren die Ärzte, nicht ich. Das war es also. Ich schule in Linz, damit sie mich nicht versorgen gelang. Dort konnte ich in aller Ruhe und mit habe auch Probleme damit, mir etwas zu mer- musste und ich einer Arbeit nachging. Als sich Unterstützung der Mitarbeiterinnen mein ken. Schon eine Zeit lang beschäftigt mich meine Schwangerschaft schon fast nicht mehr Kind bekommen und danach noch circa ein dieses Thema. Wahrscheinlich hat es etwas verheimlichen ließ, berichtete ich meiner halbes Jahr bleiben. Daraufhin suchte ich mir mit meinem Lebenswandel zu tun, dass mein Mutter davon. Sie ging fast an die Decke und eine eigene Wohnung und startete ein Leben Gedächtnis darunter leidet. Wenn ich in mei- meinte, ich müsse das Kind unbedingt abtrei- mit eigener Familie. Im Nachhinein gesehen ner Freizeit etwas vergesse, ist das das eine. ben. Dafür war es bereits zu spät. Deshalb bin ich heilfroh, dass weder meiner Tochter Aber wenn ich AMS-Termine vergeige, dann drangsalierte sie mich ständig, dass ich das noch mir bleibende Schäden von dem Vorfall ist das nicht gerade positiv. Vor allem, weil ich 6 03/2021
es den Betreuern nicht klar machen kann – zu- mindest nicht glaubwürdig, dass dies nicht mit Absicht geschieht. Ich habe angefangen eine »To-Do« Liste zu machen, da ich viele wich- tige Termine versäumte. Absichtlich habe ich sie nur selten verpasst. Doch irgendwie stehe ich auf Kriegsfuß mit meinen Vereinbarungen. Die eine Minute denke ich noch daran, im nächsten Moment vergessen, wie ausgelöscht! Ärgerlich, denn meine Termine sind ja meist an meinen monatlichen Bezug gekoppelt. Und dann fehlt mir das Geld. Gerade läuft bei mir der Reha-Antrag aufgrund meiner schlechten gesundheitlichen Verfassung. Wahrscheinlich wird er bewilligt werden. Dadurch hätte ich die Chance, mein Leben zu ordnen und mei- ner Probleme Herr zu werden. Ich hoffe, dass ich bald gesund werde. Josi (Steyr) Meine Lieblingsdroge führte schließlich in eine Psychose »Krisenzimmer« für die Not Ich hatte nach der Scheidung meiner Eltern etwas Narrenfreiheit. Ich war immer bei mei- Eine psychische Krise kann jeden tref- nicht ausreichend bewältigbar ist, klären nem Nachbarn, der mein bester Freund war. fen, unabhängig von Alter, Bildung, Be- wir vorab die weiteren Möglichkeiten wie Sein Bruder rauchte oftmals Marihuana. Von ruf, Herkunft und sozialem Status. Je- etwa die Einweisung in den Neuromed- ihm bekamen wir immer etwas für ein paar nen Menschen, die sich in Krisensituati- Campus ab«, konstatiert Adelsmair. Aus- Euro. Zwei Jahre waren wir dann wieder auf onen oder schwierigen Lebensphasen schließungs-Gründe gibt es nur bei aktuel- Partys. Dort waren andere Drogen ziemlich befinden, stehen in Urfahr die Krisen- ler Suchterkrankung, bei Gewaltbereit- leicht zu bekommen. So kam es auch dazu, zimmer des Vereins »EXIT-Sozial« als schaft oder Obdachlosigkeit. Das Krisen- dass wir sämtliche Drogen ausprobierten. Mit kostenloses Angebot zur Verfügung. zimmer betreut hauptsächlich Menschen, der Zeit hatte ich meine Lieblingsdroge. Diese die Unterstützung brauchen, älter als 18 kaufte ich mir auch dann in der Freizeit. Dann Vier Einzelzimmer, Aufenthaltsräume mit Jahre sind, ihr Leben aber trotzdem noch habe ich mich dabei erwischt, dass ich das Küche sowie ein Therapie-Raum dienen als selbstbestimmt meistern können. Den Zeug immer mehr brauchte, um überhaupt Rückzugs- und Erholungsort und bieten meisten gelinge es danach aus eigener meinen Alltag meistern zu können. Das führte Hilfesuchenden die Möglichkeit und die Kraft, wieder einen Weg aus der Krise zu dazu, dass ich 2011 eine Psychose erlitt. Das Perspektive, eine Krise ohne stationären finden. In schwierigen Fällen werde weiter- war das schrecklichste Jahr für mich. Nach Aufenthalt im Krankenhaus zu bewältigen. vermittelt, so Adelsmair. einem halben Jahr Aufenthalt in der Psychiat- Eines möchte der Leiter Alfred Adelsmair rie bekam ich endlich ein Medikament, das vorweg gleich klarstellen: »Wir sind eine Fehlende Sozialkontakte wirklich gut wirkte. Zum Glück, denn ich Kriseninterventionsstelle mit stationärem glaubte schon, dass ich ein Leben lang gestört Angebot, jedoch keine Notunterkunft.« Während der Corona-Zeit habe sich die Art bliebe. Dieser Zustand wird mit etwas Aufput- Das Krisenzimmer bietet Menschen in der Krisen merkbar verändert. »Unser Kli- schendem hervorgerufen. Seitdem habe ich es Akutsituationen einen geschützten Rah- entel leidet an fehlenden Sozialkontakten. – aus mehreren Gründen – einfach nicht ge- men, wo sie sich entlasten können. Ein pro- Die Isolation nimmt zu«, sagt der Leiter des schafft, die eigentliche Sucht zu bekämpfen. fessionelles Team steht den Hilfesuchenden Krisenzimmers. In 200 Fällen musste letz- Ich weiß nur, dass ich nicht zu viel von den zur Seite. Bei Bedarf – und wenn entspre- tes Jahr wegen Voll-Belegung abgesagt Drogen nehmen darf. Weil ich sofort wieder chend Spendengelder zur Verfügung stehen werden. Bei vorhandenen Ressourcen einen psychotischen Schub erleiden würde. – werden auch andere therapeutische Maß- könnte man durchaus mehr Betten belegen. Das würde für mich bedeuten, dass ich eine nahmen wie etwa Qi Gong als wichtige Wartesuchenden werden Überbrückungs- chronische Schizophrenie erleide. Ich will ler- Bausteine für das Wiedererlangen des hilfen angeboten, bevor wieder ein Zimmer nen, meinen Beikonsum in den Griff zu be- Wohlbefindens angeboten. frei wird. »Wenn die coronabedingten kommen und vielleicht einmal einen Teil-Ent- Maßnahmen zu Ende sind«, fügt Adelsmair zug zu machen. Ich lebe derzeit auf der Straße. Wege aus der Krise hinzu, »möchten wir wieder körperorien- Demnächst muss ich ins Gefängnis, weil ich tierte Leistungen anbieten.« Dazu müssen Essen gestohlen habe. Seither bete ich regel- Die maximale Aufenthaltsdauer beträgt jedoch Spender gefunden werden. Er per- mäßig und sehe meine Krankheit als die Auf- zwei Wochen. Den Notleidenden werden sönlich würde sich gerne in die tiergestützte gabe an, die mir in diesem Leben zugeteilt zwei längere Gespräche pro Tag angeboten, Arbeit vertiefen. Mit einer Therapie-Hün- wurde. In der Überwindung meines Leides eines zur Tagesplanung, eines zur Refle- din habe er bereits gute Erfahrungen ge- liegt der Sinn meines Lebens. (Autor der Re- xion. »Zeichnet sich während des Aufent- macht. Doch auch dazu brauche es mehr daktion bekannt) haltes ab, dass die Krise nach dieser Zeit Ressourcen. Foto: Exit-Sozial, Text: dw 03/2021 7
Erinnerungen an die gute alte Zeit Es ist kein Wunder, dass wir uns in Corona-Zeiten so viele Gedan- Meine Haare schnitt die Nachbarin, ken darüber machen, was nun alles nicht mehr möglich ist. Von der frisch gezapften Halbe Bier im Gastgarten bis zum Opern-Abend sie setzte mir einfach einen alten Topf auf im Musiktheater ist uns nichts mehr vergönnt. Die Gedanken an die gute alte Zeit gab es aber immer schon. Als es beispielsweiese In meiner Jugendzeit konnten wir uns nicht viel leisten, obwohl meine Selbstversorgung mit frischen Radieschen und Vogerlsalat aus dem Eltern beide arbeiteten. Wir hatten keinen Fernseher und auch keine eigenen Gemüsegarten gab. Gegen übermäßiges Telefonieren gab Luxus-Sachen. Mittwochs durfte ich zu meinen Nachbarn, um mir den es in vielen Haushalten ein Schloss an der Drehscheibe beim Tele- Kasperl anzuschauen. Dann musste ich wieder nach Hause gehen. Mein fon. Wäre doch schön, wenn es das auch für Handys gäbe, oder größerer Bruder musste immer auf mich aufpassen. Wir hatten auch noch Schaffner in der Straßenbahn und Politiker vom Format ei- wenig Spielsachen. Ich hatte eine kleine Puppe und da ich keinen Pup- nes Bruno Kreisky. Nostalgie ist in und man richtet sich im Vin- penwagen hatte, habe ich mir einen aus einer Schuhschachtel gebastelt. tage-Stil ein: Mit Antiquitäten, Kleidung, Gebrauchsgegenständen, Beim Deckel machte ich zwei Löcher, fädelte ein Schuhband durch und die alt sind oder alt und gebraucht aussehen. So hat auch der zog meine Puppe hinterher. Einmal in der Woche, am Sonntag, durfte »Trödlerladen« der »Arge für Obdachlose« mit tollen Recycling- ich Radio hören, da meine Eltern Karten spielten. Mit unseren Freun- Produkten Saison. Nebenbei finden dort viele Wohnungslose Arbeit den spielten mein Bruder und ich Federball, Murmeln und Tempel- bei Wohnungsräumungen, dem Recycling und dem Verkauf. Hüpfen. Auch beim Essen gab es Hausmannskost. Das war genug und 8 03/2021
lecker. Obwohl nicht viel Geld vorhanden war, durfte ich die Handels- schule besuchen. In dieser Zeit ging ich in den Ferien arbeiten und verdiente mir ein wenig Taschengeld. Ich konnte von diesem Geld dann auch einmal ins Kino gehen. Die Haare wurden mir von unserer Nach- barin geschnitten, die mir immer einen alten Topf aufsetzte und rundhe- rum schnitt. Mit Fünfzehn bekamen wir den ersten Schwarz-Weiß- Fernseher. Es war sehr schön, denn endlich konnten wir auch am Nachmittag das Kinderprogramm schauen. Auch wenn wir nicht viel hatten, war es trotzdem eine schöne Zeit, die ich nie missen möchte. Anna Maria Als ich mit dem Schaffner noch im Zugabteil rauchte Wenn ich zurückdenke, dann fehlen mir heutzutage in den Nahver- kehrszügen die Zugbegleiter – früher Schaffner genannt – sehr. Als ich früher in die Arbeit fuhr oder am Abend nach Hause, hatte ich immer wieder ein nettes Gespräch mit ihnen. Wir rauchten eine Zigarette zu- sammen, als das noch erlaubt war. Heute wurde das freundliche, hilfs- bereite Personal von Fahrscheinautomaten (von mir »Blechtrottel« ge- nannt) ersetzt, der nichts sagt, wenn man ihn bedient, nicht einmal ein »Hallo«. Heute gibt es nur noch ab und zu einen Kontrolleur der gleich eine saftige Strafe verlangt, wenn man ohne Ticket erwischt wird, egal ob man sich bei dem »Blechtrottel«, die auch schon oft im Zug montiert sind kein Ticket gekauft hat, da man mit der Bedienung nicht zurecht- kam, oder man von Haus aus schwarzfährt. Ein Zugbegleiter erklärte mir mal das komische Ding, als ich mich nicht auskannte. Seither habe ich keine Probleme mehr damit. Auch wenn es zu wenig Personal bei der ÖBB gibt, bin und bleibe ich ein treuer Fahrgast, da Zugfahren eine meiner liebsten Freizeitaktivitäten ist. Leo Nach langen Telefonaten gab es bei uns Zuhause ein Schloss auf der Drehscheibe Als wir »Fanta« noch aus der braunen gerippten Pfandflasche sowie die grüne kultige »Schartner Bombe« genossen, dazu heimlich »Hobby Extra« rauchten, um anschließend ein »Cornetto Heidelbeere« zu es- sen. Sonntags gab es immer einen Pflichttermin im Radio: Udo Huber und die großen Zehn, wo wir immer die neuesten Hits auf Kassetten aufnahmen, um sie jederzeit auf einem Walkman abspielen zu können. Ein anderes Highlight waren Nachmittagsanrufe bei unseren Freunden, um über alles Mögliche zu reden oder uns Verabredungen auszuma- chen, bis meiner Mutter die monatlichen Telefonrechnungen zu hoch wurden und sie ein Schloss auf der Drehscheibe anbrachte. Also was tun, damit wir wieder telefonieren konnten? Da hatte ich eine Idee. Wir brauchten nur eine Drehscheibe damit wir die mit dem Schloss herun- ternehmen und die andere draufschrauben konnten. Manfred F. An Gemüse gab es das was im Garten wuchs Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir Gemüse nicht viel zukaufen mussten. Da die Großeltern einen Bauernhof hatten, bekamen wir immer genug von denen. Mein Vater baute in unserem Keller extra ein Regal, wo wir das in Erde eingelagerte Gemüse aufgewahrten. Kar- toffeln und Karotten hatten wir immer. Mit Schweinefleisch und Speck waren wir praktisch ziemlich gut versorgt. Und all das frisch vom Bau- ern. Salat, Tomaten und dergleichen waren sogenannte Saison Ware. Wenn es keine gab, ja dann war das so. Freilich kaufte die Mutter auch im Supermarkt ein, denn so ganz ohne ging es halt auch nicht. Ab und zu war ja mal Rindfleisch angesagt, und da hatten wir nicht so viel 03/2021 9
Glück. Wir Kinder mochten gerne mal ein Brot mit Honig, da war es praktisch, dass der Opa Imker war. Als sich die Eltern dann ein Haus kauften, war es praktisch, dass es auch einen Garten gab. So konnten wir Gemüse selbst anbauen. Alles, was so gebraucht wurde. Mein Vater baute auch Kräuter an. Beim Schnittlauch und der Petersilie machte er sich immer gerne die Arbeit, diese ab-, dann klein zu schneiden und schließlich einzufrieren. So hatten wir das Glück, von allem das ganze Jahr über etwas zu haben. So konnten die Eltern einiges an Geld sparen und wir bekamen Biogemüse und Fleisch, was zwar nicht gekennzeich- net war, jedoch gut schmeckte. Muss es denn wirklich sein, dass man gewisses Obst und Gemüse ein ganzes Jahr bekommt? Vor allem dann, wenn es meist schon sehr viele Flugkilometer hinter sich hat? Heute bin ich leider keine Selbstversorgerin mehr. Eigentlich schade. Sonja Vom Pferde-Milchwagen und von Straßenbahnen mit Schaffner Pferde-Milchwagen auf der (noch) gepflasterten Straße: In meiner ganz frühen Kindheit kann ich mich erinnern, dass wir Kinder in der Früh zum Teil durch das Rattern des pferde-gezogenen Milchwagens über die damals noch gepflasterte Martinstraße den Berg hinauf geweckt wurden. Straßenbahnen mit Schaffnern, zum Teil Straßenbahnen mit offener Plattform: Ab 1973 ging ich dann ins Schottengymnasium im ersten Bezirk. Dazu musste ich täglich die Straßenbahn, den 41er, – die Währingerstraße hinunter – benützen. Am Anfang saß noch immer hin- ten im Wagen ein Schaffner – in einem eigenen Kobel. Erst dann wur- den langsam die Trams mit der Aufschrift »Schaffnerlos« eingeführt, wo man selber »zwicken« musste. Bei der Linie 5, die ich in der wär- meren Jahreszeit benützte, um in den Augarten zum Nachmittags-Tur- nen zu kommen, habe ich auch tatsächlich die offenen Wagen mit den offenen Plattformen erlebt. (Diese kommen auch in alten Liedern und Kabaretts vor, wo der Schaffner dann immer noch die Aufgabe hatte, den Zug mit seinem Pfeiferl »abzufertigen«.) Johannes Bei uns zu Hause war jedes Zimmer mit einem Öl-Ofen ausgestattet Öl-Tank im Keller, Öl-Holen mit Kanistern, Öl-Öfen in der Wohnung: Unsere Wohnung war mit Öl-Öfen ausgestattet (in jedem Zimmer ei- ner). In unserem Keller-Abteil hatten wir dann einen Öl-Tank mit – ich glaube – 200 Litern. Vom Kohlen- und Öl-Händler ein paar hundert Meter unterhalb in der Martinstraße mussten wir dann im Herbst immer mit Kanistern das Öl heraufschleppen und dann im Keller in den Tank leeren. Von dort holten wir dann den ganzen Winter lang das Öl in die Wohnung hinauf und mussten dann jeden Ofen einzeln wieder befüllen. Sehr gut kann ich mich auch an den Klang, des in der Nacht langsam dahinbrennenden Öls (es war so ein »Wummern«) sowie an den Licht- schein, der durch das kleine Loch oben an die Decke ging, und an den Geruch des Öls erinnern. Das alles gehört zu meinen prägendsten Erin- nerungen meiner frühen Kindheit. Seufz! Johannes Wir teilten unser Telefon mit Drehscheibe mit drei anderen Haushalten Viertel-Telefon: Handys gab‘s natürlich noch keine, nur Festnetz-Tele- fone mir runden, ratternden Drehscheiben, wie halt früher die Telefone ausgeschaut haben. Wir hatten in unserer Wohnung nicht einmal einen »ganzen«, sondern nur einen Viertel-Anschluss, also einen, den wir uns mit drei anderen Haushalten teilen mussten (war damals in den Städten 10 03/2021
durchaus üblich): Man drückte auf den Knopf, und nur, wenn sonst gerade niemand den Anschluss benutzte, bekam man eine Freileitung und konnte telefonieren. Johannes Wir haben das Wunschkonzert mit Kassetten aufgenommen Wir haben damals das Wunschkonzert mit Kassetten aufgenommen: Es war schon etwas später, in meiner Jugend-Zeit. Mein Bruder und ich hatten am anderen Ende des Ganges ein eigenes Zimmer bekommen. Dort verbrachten wir die Nachmittage – neben dem notwendigen Auf- gaben-Machen – unter anderem mit dem Aufnehmen des Wunschkon- zertes, das immer auf Ö2 lief. Das war damals ein beliebter Regional- sender. Dazu benutzten wir immer einen Kassetten-Rekorder und leere Kassetten. Johannes Zu Bruno Kreiskys Zeiten gab es tatsächlich noch Wirtschaftswachstum Schon als Kleinkind nahm mich mein Vater am ersten Mai zum traditi- onellen Aufmarsch der Sozialdemokraten mit. Der erste Mai war nicht nur Pflichttermin, ich genoss es auch, mit meinem Vater dabei zu sein. Alles war gut in Österreich, die Wirtschaft boomte, die Menschen hat- ten Arbeit und Bruno Kreisky hatte Handschlagqualität, einer der ech- ten Sozialdemokraten halt. Es war ihm von Herzen wichtig, dass es den meisten Leuten gut ging. Dass er an Zwentendorf scheiterte, war für mich absehbar. Ich stimmte mit »Nein«. Es war eine Zeit des Um- bruchs. Überall auf der Welt gingen die Menschen auf die Straße um friedlich für Freiheit und Weltfrieden zu demonstrieren. Vietnam-Sol- daten, die vom Krieg heimkamen, wurden nicht mehr als Helden gefei- ert, sondern wider Erwarten – fast könnte man sagen – geächtet. Die Hippie-Bewegung boomte. Lange Haare und ein buntes Leben, aber leider auch Drogen. Das Spektakel von Woodstock, die Bilder davon gingen um die ganze Welt. Es war eine Zeit der Idealisten. Auch ich war ein spätes Blumenkind, die Welt stand mir offen. Dass es zahlreiche Drogentote gab, ist Realität. Das ist die Kehrseite der Medaille in dieser Zeit. Die Menschen wollten Verantwortung im positiven Sinn und gin- gen auf die Straße. Es war eine schöne Zeit. Ursula, Fotos: de, hz Aus der guten alten Zeit – im Arge Trödlerladen Unter dem Motto »Wiederverwerten statt Wegwerfen«, sammelt der Trödlerladen bei jährlich mehr als 100 Wohnungsräumungen eine große Menge an Geschirr, Kleidung, Hausrat, Schallplatten, Bücher, Bilder und schöne Raritäten. 250 wohnungslose Menschen finden jedes Jahr eine sinnvolle Beschäftigung. Viele Waren werden sortiert, teilweise bearbeitet und in den Verkaufsstellen wieder in Umlauf gebracht. Geschäft für Raritäten – Bischofstraße 7 – Antike und ausgefallene Möbel, Lampen, Bilder, Bücher, Schallplatten, Textilien, schönes Ge- schirr und vieles mehr. Öffnungszeiten: Di– Fr: 12:00 –18:00 Sa: 10:00–13:00 Uhr, Tel: 0732/78 19 86 Verkauf ab Lager – Dauerflohmarkt – Mobiliar, überprüfte Elektro geräte, Hausrat, Gewand, Bücher und vieles mehr werden zu günstigen Preisen abgegeben. Öffnungszeiten: Di und Do: 10:00–17:00 Goethestraße 93, 4020 Linz 03/2021 11
Hemmungslos dem »Teufel« Alkohol gefrönt Betroffene berichten über ihre stationäre Alkohol-Therapie und den Kampf, trocken zu bleiben Ich lebe nun schon zehn Jahre »ALOA«, was soviel heißt wie: »Aktives Le- peutin namens Brigitte zugewiesen. Gleich ben ohne Alkohol«. Zuvor war ich – bedingt bei unserem ersten Treffen hat sie meine Bier- alkoholabstinent durch meine Haft in Garsten – vier Jahre alko- fahne angesprochen und mir nahegelegt, eine holabstinent. Als ich in die Wohngemeinschaft Entgiftungskur im »Wagner-Jauregg-Spital« Beim Konsum berauschender Substanzen war Wienerstraße übersiedelte, stellte mir eine Be- zu machen. Gesagt, getan. Nach zwei Wochen ich nie ein Kostverächter. Ich habe so ziem- kannte von früher ein Begrüßungsbier vor die bekam ich einen Therapieplatz im »90er- lich alles ausprobiert, was Gott verboten hat. Nase. Ich dachte noch: »Ein Bier kann ich ru- Haus« in Salzburg-Lehen zugewiesen. Dort Dabei spielte der Konsum von Alkohol über hig trinken, das kann mir nicht schaden.« Weit verbrachte ich zwölf Wochen. Dabei habe ich mehrere Jahre hinweg eine dominante Rolle. gefehlt. Zwei Tage später kaufte ich mir be- viel über das Thema Alkohol gelernt, zum In meinem Elternhaus habe ich sogar mehr- reits einige Dosen im Geschäft, zum Selbst- Beispiel, dass Alkoholismus eine unheilbare mals selber Schnaps gebrannt. Als ich vor 17 verzehr. Im Laufe der Zeit steigerte sich mein Krankheit ist, die einen bis zum Lebensende Jahren meinen Lebensmittelpunkt nach Linz Bierkonsum sukzessive auf acht Dosen pro begleitet. Man kann sie nur zum Stillstand verlegte, wohnte ich die ersten 18 Monate im Tag. Zum Glück bekam ich eine Psychothera- bringen, indem man auf jeglichen Alkohol- 12 03/2021
konsum verzichtet und völlig trocken bleibt. Und dies habe ich bis heute beherzigt. Seither habe ich eine neue und um vieles bessere Le- bensqualität. Wenn ich weiter gesoffen hätte wie ein Loch, dann würde ich vermutlich noch keine eigene Wohnung haben und nach wie vor in einer Wohngemeinschaft mehr schlecht als recht dahinvegetieren. Laut Statistik schafft nur ein Drittel aller therapierten Perso- nen den endgültigen Absprung vom Alkohol. Mit etwas Stolz kann ich nun behaupten, dass ich jetzt bereits zehn Jahre völlig alkoholabs- tinent lebe. Falls jemand Alkoholprobleme haben sollte, so kann ich nur raten, es eben- falls mit einer Therapie zu versuchen, um vom teuflischen Alkohol wegzukommen. Ein Ver- such lohnt sich auf alle Fälle. August Mein Beschluss, dem Alkohol zu entsagen, war fehlgeschlagen. Wieder einmal machte ich in einer Nervenkli- nik »Urlaub« vom Alkohol. Aber der Sucht- druck und das Verlangen wollten nicht ver- schwinden, was ich auch den Ärzten mitteilte. Ich wurde viel zu bald entlassen. Ich war ein- fach noch nicht bereit, mein Leben radikal zu Nach einer erfolgreichen stationären Therapie ist Claudia schon viele Jahre trocken. (Foto: dw, Foto links: wh) ändern. Man schickte mich in die Tagesklinik. Das Nichtstun zwischen den Therapien zehrte an meinen Nerven, aber ich ging gerne dort- war erst den dritten Tag auf Entzug. Ich musste warten, bis man den ersten Schluck Alkohol hin. Ich war mir nicht bewusst, dass ich zwi- meine Sachen packen – viel zu früh! Frustriert trinken darf. Ich wurde auch schon von Ärzten schen 7:30 und 18 Uhr Anwesenheitspflicht über meine Dummheit machte ich mit dem gelobt, weil ich nach Rückfällen sofort alles hatte. Auf dem Therapieplan stand »8:30«. Trinken gleich weiter. Das war mir aber eine unternehme, um wieder in ein alkoholfreies Also war ich, wie ich meinte, pünktlich da – Lehre. Das nächste Mal gehe ich nur mit Ni- Leben zurückzukommen. Ich mache in den und wurde einfach aus der Therapie geschmis- kotin-Spray ins Krankenhaus. Ursula letzten Jahren viel an Nachsorge. Das hilft sen. In meinem Frust ging ich – kaum zu mir, längere Zeit trocken zu bleiben. Man Hause – zu meinem Nachbarn. Er sagte nur: kann über alles reden und erfährt viel Neues. »Ursi, du musst wissen, was du tust.« Und So kam es nach fast einem Jahr Es gibt auch den »GEA-Club« und die »Ano- schon stand ein Glas Rotwein auf dem Tisch, des Trocken-Seins zum Rückfall nymen Alkoholiker« und das »ABS« des So- das ich fast auf einen Schluck austrank. Mein zialvereins »B37«, wo man zur Nachsorge Vohaben, dem Alkohol ganz und gar zu entsa- Ich habe 2010 meine erste Alkoholtherapie hingehen kann. Ich bin zur Zeit trocken. Hof- gen, musste ich auf Eis legen. Ich gebe zu, gemacht. Zuerst war ich vierzehn Tage am fentlich bleibt es so, denn Alkohol macht die dass ich ab dem ersten Tag nachmittags zu »Neuromed Campus« zum Entgiften. Dann halbe Menschheit hin. Helmut meinem Nachbar ging. Er ist ein ganz lieber ging es gleich danach zur Therapie nach Bad Mensch und vor allem ein fröhlicher Kumpel. Hall, wo ich sechs Wochen verbrachte. Es war Stets lacht er und macht Späße. Ich habe ihn eine sehr schöne und lehrreiche Zeit. Wir ha- Ohne Alkohol drückt man das nie grantig gesehen. Das tut der Seele gut. ben sehr viel über Alkohol und seine Folgen Leben auf der Straße nicht durch Und – Gott sei's geklagt – auch der Alkohol. gelernt. Auch über Rückfälle wurden wir sehr Es war meine Entscheidung zu trinken, und gut informiert. Ich hatte damals die Nachsorge Ich bin nun 57 Jahre alt und war in meinem nicht die meines Nachbarn. Ein paar Wochen nicht so ernst genommen. So kam es nach fast Leben lange Zeit obdachlos. Von Anfang der später konnte ich mich dann zu einem neuerli- einem Jahr zu einen Rückfall. Ich tat, was ich 90er Jahre bis 2008. Ohne Alkohol drückt chen Anlauf motivieren. Leider war es zu die- in meiner Therapie gelernt hatte und ging so- man das Leben auf der Straße nicht durch. sem Zeitpunkt draußen schon eisig kalt. Es fort wieder ins Spital. Ja, ich habe auch ge- Doch gesoffen habe ich schon viel früher. Be- gab kein Raucherzimmer. Ich hatte aber gro- lernt, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, gonnen hat es in meiner Lehrzeit als Fliesenle- ßen Gusto auf eine Zigarette. Nach langem die einen immer wieder erwischen kann. ger. Schon damals habe ich gerne und viel Hin und Her beschloss ich, auf der Toilette zu Wenn man gleich wieder ins Krankenhaus getrunken, wann immer es möglich war. Ich rauchen. Eine wenigstens! Ich dachte mir, der geht, ist man nach zwei Wochen wieder tro- habe dann in unterschiedlichen Firmen gear- Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht. cken. Ich nehme auch die Antabus-Tabletten, beitet. Als ich Schausteller war, begann meine Und tatsächlich roch es ein Pfleger, dass ich wo man keinen Tropfen trinken darf, weil es Alkohol-Karriere dann so richtig. Da begann geraucht hatte. Ich wurde zum Oberarzt zi- einem sonst ganz schlecht geht. Wenn man sie ich schon um 8 Uhr in der Früh mit Bier, da- tiert, der mich rauswarf. Alles umsonst, ich absetzt, muss man mindestens eine Woche mit der »Flattermann« (Zittern) ruhiger wurde. 03/2021 13
sen. Während meines Aufenthaltes entschloss ich mich aufgrund des Zuredens meiner Ärz- tin zu einer sechswöchigen Entwöhnungsthe- rapie in Bad Hall. Es handelte sich um meine bereits dritte Entwöhnung. Zwischen Entlas- sung aus dem Krankenhaus und der Aufnahme in den Sonnenpark in Bad Hall lagen zwei ewig lange Wochen. Ich durfte auf gar keinen Fall rückfällig werden, sonst hätte ich meinen Therapieplatz verloren. Ich schaffte es. Die sechs Wochen in Bad Hall taten mir sichtlich gut. Ich war körperlich und seelisch wieder auf einem anderen Level. Ich verließ die Ein- richtung topmotiviert mit dem Ziel, mich nie wieder im Leben vom Alkohol leiten zu las- sen. Doch ich bin ein Alkoholiker, ob trocken oder nicht. Ich werde es immer bleiben. Es ist ein stetiger Kampf, Tag für Tag, um ja nicht rückfällig zu werden. Nach etwa einem halben Jahr verlor ich wieder einmal die Kontrolle Symbolfoto: Suchtberatung über mein Leben. Anfangs war mir dies sehr peinlich, doch dieses Schamgefühl schwand Am Abend kam dann schon eine ordentliche sechs weitere Wochen stationär in der Klinik mit der Zeit. Mein Stimmungshoch während Summe zusammen, so zwischen 20 und 25 in Bad Hall. Seither bin ich trocken. Ich habe und kurz nach der Therapie war nur mehr ge- Halbe. Im Winter war ich dann immer arbeits- heute kein Verlangen mehr. Es gab während danklich präsent und das auch nur, wenn ich los und trank mit meinen Straßenfreunden vor des Lockdowns trotzdem Momente, wo ich allem im Volksgarten. Damals konnten wir mir dachte, es wäre feiner, wieder einmal ei- das noch relativ ungestört machen. Es gab nen Rausch zu haben. Doch ich habe mich in »Doch ich bin ein Alkoholiker, noch keine Stadtwache, die Polzisten kannten solchen Momenten zum Glück im Griff. ob trocken oder nicht. Ich uns bereits und wussten, dass wir harmlos Meine Bekannten helfen mir immer wieder. werde es immer bleiben. Es ist waren. Sie brachten uns sogar die Post, die So bleibe ich nun hoffentlich trocken. Gandhi »blauen Briefe« vorbei. Lauter Strafen wegen ein stetiger Kampf.« Schwarzfahrens und anderen harmlosen Sa- chen. Ich wurde älter und der Alkohol setzte Noch überwiegt die Scham darü- mir zu. Immer mehr griff ich zur Schnapsfla- ber, so oft versagt zu haben einigermaßen nüchtern war. Und das war ich sche. Die Ration erhöhte sich auch noch. Dank kaum. Ich war wieder Teil der trinkenden Ge- einer Streetworkerin kehrte eine glückliche Mein letztes Hoch begann mit einer gesunden sellschaft. Durch Schnaps und Co hatte ich Wende ein. Sie vermittelte mir ein Zimmer in Portion Enthaltsamkeit. Was ich damit meine jegliche Kontrolle über mich und mein Leben der »MOWO« (Mobiles Wohnen des Sozial- ist Abstinenz. Ein freiwilliger Verzicht auf Al- verloren. Ich ließ mein Leben schleifen. Mir vereins »B37«). Da hatte ich zum ersten Mal kohol. Damals, vor ungefähr eineinhalb Jah- war alles egal. Mittlerweile trinke ich seit ei- seit langer Zeit einen privaten Rückzugsraum ren, war der Wille, es zu schaffen, größer als nem Jahr wieder. Kürzlich wäre ich beinahe und weniger Stress. So konnte ich mich dann die Angst vor den Qualen, die so ein Alkohol- delogiert worden. Dabei war mir diese Woh- auch zu einem Alkoholentzug durchringen. Im entzug oder auch Entgiftung genannt, mit sich nung, die ich im Anschluss an meine Zeit in Jahr 2009 machte ich zuerst zwei Wochen bringt. Zu dieser Zeit trank ich so durch- der Notschlafstelle bekommen habe, doch im- Entzug in der Nervenklinik in Linz und dann schnittlich sechs Liter Wein, täglich! Umso mer sehr wichtig gewesen. Wenn man aber fuhr ich nach Kärnten auf die Saualpe, wo ich schwerer fielen mir die ersten Tage der Absti- aufhört, die Miete zu bezahlen, ist dies nur die ein ganzes Jahr Therapie hatte. Jeder Tag war nenz. Aber es wurde von Tag zu Tag leichter logische Konsequenz. Dank einem Sozialver- gut durchstrukturiert: am Morgen lange Spa- und besser. Der Dank, dass ich durchgehalten ein konnte diese Apokalypse gerade noch ab- ziergänge, Frühstücken, Therapiesitzungen, habe, gilt meiner damaligen Betreuerin. Sie gewendet werden. Nun bin ich wieder dabei, gemeinsame Aktivitäten, Krippen-Bauen zu sprach mit mir über die Möglichkeit eines die Orte zu meiden, an denen hemmungslos Weihnachten, Tischtennis-Spiele, viele Ge- stationären Entzuges und meinte, ich solle dem »Teufel« Alkohol gefrönt wird. Ich spiele spräche. Ich blieb trocken. Auch danach. Bis mich mit diesem Hinweis auseinandersetzen. mit dem Gedanken, noch einmal einen Entzug 2013. Es gab eigentlich keinen Grund. Ich Außerdem erinnerte sie mich immer wieder zu wagen. Noch überwiegt die Scham darü- stand im BILLA vor der Kassa und starrte auf an meine Tochter. Sie ist nämlich ein Anker in ber, versagt zu haben. Immer wieder hat der den Leibwächter. Und da überkam es mich. meinem Leben und hat mich schon vor vielen Teufel es geschafft, die Vormachtstellung in Ich kaufte ihn und trank ihn in einem Schluck Schwierigkeiten bewahrt. Im Krankenhaus meinem Leben zu beziehen. Dennoch bin ich runter. Drei Monate lang hatte ich dann hefti- wurde ich auf Herz und Nieren durchgecheckt. bereit, ihm den Kampf anzusagen. Dieses Mal ges Verlangen nach Alkohol. Ich trank heim- Meine Leber hatte sich schon zur Fettleber werde ich langfristig der Sieger sein. Ich bin lich und leider unheimlich viel. Von selbst umgewandelt. In meinem Fall nicht nur durch fest entschlossen, wieder ich selbst zu werden. ging ich dann in meiner Hilflosigkeit noch- übermäßigen Alkoholkonsum, sondern auch Wobei mir auch bewusst ist, dass es ein steini- mals in die Nervenklinik und ließ mich zwei aufgrund meiner ungesunden Ernährung. ger Weg werden wird. (Autor der Redaktion Wochen behandeln. Danach blieb ich noch Nach 15 Tagen wurde ich vom Spital entlas- bekannt) 14 03/2021
Alkohol in Zeiten der Corona-Pandemie Im Gespräch mit Christoph Lagemann, dem Leiter des Instituts Suchtprävention der pro mente OÖ Alkohol ist ein omnipräsentes Thema in un- nur wenige Menschen, die nach einer Entwöh- serer Gesellschaft. Natürlich auch in Zeiten nung dauerhaft abstinent sind. Insofern sollte der Corona-Pandemie. der Rückfall nicht dramatisiert werden. Man sollte diesen Personen stattdessen Mut zuspre- Wir haben einige Klienten, die während chen: was sie schon ein- oder mehrmals ge- der Corona-Pandemie rückfällig geworden schafft haben, können sie wieder schaffen. sind – teilweise nach jahrelanger Alkohol- Allerdings ist »Trocken-Sein« zu wenig. Ne- Abstinenz. Lässt sich dieser Trend generell ben dem Verzicht auf Alkohol ist der Erwerb bestätigen? der erwähnten Resilienz von wesentlicher Be- Die Fähigkeit, belastende Momente wie deutung, wenn die Abstinenz länger anhalten Krankheit, Stress oder Krisen so zu bewälti- soll. Denn die nächste Krise kommt bestimmt. gen, dass man psychisch gesund bleibt, nennt man Resilienz. Damit sind verschiedene Per- Wie kann man es schaffen, nach einer The- sönlichkeitsmerkmale und Haltungen ge- rapie möglichst dauerhaft abstinent zu meint, die es dem Einzelnen ermöglichen, bleiben? Oder muss man das gar nicht – schwierige Lebensereignisse unbeschadet zu wäre vielleicht auch ein kontrollierter Kon- überstehen. Vertrauen in sich selbst, Zuver- sum möglich? sicht, Mut, Humor, Unabhängigkeit und Eine dauerhafte Abstinenz ist ohne Zweifel Selbstständigkeit sind einige der Grundpfei- ein anzustrebender Zustand. Dauerhafte Abs- kranken helfen sollen, auf den Alkohol zu ver- ler. Diese Resilienz sollte bereits von frühester tinenz braucht aber genügend Schönes, Erstre- zichten oder ihn zu reduzieren. Bei stationären Kindheit auf von Seiten der Erzieher sowie benswertes und Freudvolles im Leben, um Angeboten bleiben die Patienten längere Zeit des gesamten Umfelds bei den Kindern entwi- dem Lockruf des Alkohols widerstehen zu – zum Teil viele Monate – in geschlossenen ckelt werden. Die Förderung von Resilienz ist können. Sucht ist aber nicht gleich Sucht. Therapiestationen und werden dort betreut be- aber auch im Erwachsenenalter noch möglich Diese Erkrankung tritt in unterschiedlichen ziehungsweise in therapeutischen Sitzungen und sinnvoll. Süchtige Menschen sind in der Schweregraden auf und sollte auch möglichst unterstützt. Diese geschlossenen Einrichtun- Regel wenig resilient. Schwierige Lebens- individuell und multiprofessionell behandelt gen sind für manche Suchtkranke vorteilhaft, ereignisse haben sie mangels Widerstands- werden. Es gibt schwer Suchtkranke, für die weil sie von der Außenwelt, in der der Alkohol kraft in die Sucht befördert. Die aktuelle Pan- eine dauerhafte Abstinenz angesichts ihrer Le- sehr präsent ist, getrennt sind. Die Qualität demie wird als bedrohlich erlebt und die Re- bensumstände eine Überforderung darstellt. einer Therapie hängt aber nicht so sehr von aktion darauf heißt dann wie so oft in ihrem Ein Merkmal der Sucht ist der Kontrollver- der Form ab als viel mehr von der Qualität der Leben: Selbstbehandlung durch Betäubung. lust. Das bedeutet, dass der Betroffene seinen Beziehung zwischen dem Patienten und dem Mit Substanzen oder aber auch mit bestimm- Alkoholkonsum nicht kontrollieren kann; also Behandler. Diese ist von entscheidender Be- ten Verhaltensweisen. Insofern handelt es sich Selbstkontrolle, kontrolliertes Trinken viel- deutung für den Therapie-Erfolg. nicht um einen Trend, sondern um eine für fach nicht möglich ist. Tagesstrukturen, Re- Suchtkranke typische, erlernte und immer geln in Betreuungseinrichtungen et cetera Von wie vielen alkoholabhängigen Perso- wieder angewandte »Bewältigungsstrategie«. können jedoch die Alkoholmenge oder den nen sprechen wir in Österreich? Zeitpunkt für den ersten Schluck am Tag oder Aufgrund diverser Studien gehen die Experten Ist man als alkoholabhängiger Mensch ge- die tägliche Alkoholmenge beeinflussen. davon aus, dass etwa fünf Prozent der Bevöl- fährdeter als bei anderen Substanzen, ei- Auch weniger Trinken ist ein Fortschritt und kerung über 15 Jahren von Alkoholismus be- nen Rückfall zu erleiden? erhöht die Lebensqualität. Die Abstinenz als troffen sind. Im Moment spricht die Fachwelt Ja, weil die Verfügbarkeit von Alkohol in un- alleiniges Ziel von Behandlung ist abzuleh- von etwa 380.000 Alkoholkranken in Öster- seren Breiten sehr hoch ist. Es gibt wenige nen. Auch Menschen, die das nicht schaffen, reich. Rechnet man diejenigen dazu, die einen Produkte, die rund um die Uhr – Lockdown brauchen unsere Hilfe. problematischen, die Gesundheit gefährden- hin oder her – erhältlich sind. Alkohol und den Alkoholkonsum (Männer, die mehr als 60 Tabak können jederzeit erworben werden. Zu- Welche verschiedenen Therapie-Angebote Gramm Alkohol pro Tag und Frauen, die mehr dem ist der Alkohol im Alltag omnipräsent. gibt es für Betroffene? als 40 Gramm Alkohol täglich konsumieren; Grundsätzlich muss zwischen ambulanten und 20 g = ½ l Bier oder ¼ l Wein) zeigen, so spre- Was raten Sie einer Person, die rückfällig stationären Angeboten unterschieden werden. chen wir in Österreich von 1,1 Mio. Männern geworden ist? Bei ambulanten Angeboten finden Sitzungen und Frauen. Davon sind zwei Drittel Männer. Der Rückfall ist Teil der Erkrankung. Es gibt in bestimmten Abständen statt, die dem Sucht- Foto: privat, Text :de 03/2021 15
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