Joop Snep Erinnerungen - Aufgezeichnet von Willem Peeters
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Amsterdam, im Januar 2013. Dieses Lebensbuch ist auf Initiative des ehrenamtlichen Amsterdamer Vereins Vrijwilligers Centrale und der OsiraGroep entstanden. Übersetzt von Diete Oudesluijs. Text und Layout in LibreOffice. © W.Peeters 2
Inhalt Vorwort 4 Jugend 5 Tischlern, Sport und Tanzen 10 Krieg, Widerstand und Verhaftung 14 Sachsenhausen 19 Untertauchen in Amsterdam 23 Befreiung und Nachkriegsjahre 27 Familie, Arbeit, Kirche und Reisen 33 Zurück nach Sachsenhausen 41 Im Barbarahuis 45 3
Vorwort Montagmorgen, 11.00 Uhr. Ich betrete das Gebäude von St. Jacob und laufe nach rechts Richtung Barbarahuis. Beim Fahrstuhl angekommen, drehe ich mich um und sehe, wie ein alter Mann im Rollstuhl näher kommt. Mit Mühe zieht er sich an den Metallrohren, die gegen die Wände montiert sind, vorwärts. 'Kommen Sie mit?' Ich schiebe den Rollstuhl in den Fahrstuhl und drücke auf den Knopf zum fünften Stock. Der Mann wohnt einige Apartments vor dem von Joop. Ich rolle ihn bis zur Tür seines Zimmers und fahre ihn herein. 'Danke', klingt es leise und ich laufe weiter zu Nummer 540. Ich klingele und höre, wie immer, Joop rufen dass die Tür offen ist. Joop sitzt an seinem Tisch und ist mit seinen Unterlagen beschäftigt. Ich reiche ihm die Hand. 'Hallo Junge', sagt er. Ich lächele, weil ich mit Junge angesprochen werde, als ich schon auf die siebzig zugehe. Aber nun gut, Joop ist gut zwanzig Jahre älter und dann darf man so etwas natürlich sagen. Ich leg meinen Mantel auf sein Bett, auf dem ein altes Florett liegt, irgendwann Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts beim Auflösen der Wohnung der adligen Familie Schaumburg-Lippe in Bonn in den Besitz von Joops Vater gekommen. Wir schieben einiges zur Seite und ich setze mich ihm gegenüber, an der Ecke des Tisches. Notizblock und Kugelschreiber parat. Joop macht den Fernseher aus und wir fangen an. Joop ist ein guter Erzähler, der sich die Zeit nimmt, meine Fragen zu beantworten. Ich schreibe schnell weiter und er gönnt mir gelegentlich eine Pause, damit ich nicht allzu sehr ins Hintertreffen zu gelangen. Er zeigt mir ein Bild einer Handballmannschaft, die am Anfang des Krieges gemacht worden ist. Joop weist auf das Bild, seine Hand zittert als Folge der Parkinsonsche Krankheit. 'Das bin ich. Siehst du meine Turnerbizeps? Ich konnte mal sehr hart werfen!' Ich frage ihn, ob ich das Bild mitnehmen darf, um es ein zu scannen. Gar kein Problem. Joop gibt mir alles mit, von dem ich denke, es wäre nützlich. Es wird geklopft. Der Arzt kommt herein und ich warte auf dem Flur. Nach zehn Minuten ruft mich Joop, er entschuldigt sich. 'Ich kann den Arzt doch nicht einfach weg schicken?' Wir machen weiter. Joop konzentriert sich und reibt über sein Gesicht. 'Mal kurz rekapitulieren'. Einiges, wie seine Kriegserinnerungen, steht natürlich in seinem Gedächtnis geätzt, aber manchmal muss er über Daten nachdenken. Joop seufzt. 'Ich habe so vieles zum Thema Krieg aufgehoben, aber ich muss es für dich nachsehen'. Nach etwa einer Stunde höre ich auf. Joop könnte problemlos weitermachen, aber ich habe genügend Material für die kommende Woche. Ich stehe auf, ziehe meinen Mantel an und verabschiede mich. Joop steht auf aus seinem Stuhl und gibt mir die Hand. Danach begleitet er mich zur Tür. 'Bis nächste Woche Joop, mach's gut' sage ich und er verabschiedet mich mit 'Saludos'. Während der Monate März bis August 2012 habe ich mit Joop einige Gespräche geführt. Dieses Buch ist das Ergebnis. Es war mir ein Vergnügen, Joop kennen zu lernen. Amsterdam, im Januar 2013. Willem Peeters 4
Kapitel 1 Jugend Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts zog Peter Snep - der Vater von Joop - über die niederländischen Grenze nach Deutschland, auf der Suche nach Arbeit: die Gesellenwanderschaft. Es wurde eine jahrelanger Reise. Er hielt sich in vielen deutschen, schweizer und italienischen Städten auf, um dort das Handwerk eines Schreiners von der Pike auf zu lernen, als Ergänzung auf seine Lehrschule. Diese Methode, den heißbegehrten Meistertitel zu erwerben, gab es bereits seit einigen Jahrhunderten und bildete in Deutschland das Rückgrat der handwerklichen Ausbildung. Peter Snep hat dies zwar auf eigene Faust getan, wusste sich jedoch vom St. Jozef Gesellenverein, dessen Mitglied er war, unterstützt. Das war eine 1868 in Amsterdam gegründete katholische Jugendbewegung, die Teil des riesigen deutschen Kolpingnetzwerkes war. Der St. Jozef Gesellenverein bekam 1876 Räume im sogenannten Van Nispenhaus an der Stadhouders- kade, das den Namen des ersten Direktor des Vereins trägt: Pastor Jhr. van Nispen tot Sevenaer. Van Nispenhaus Zweck des Vereins war: 'Durch individuelles und soziales Leben unter väterlicher priesterlicher Aufsicht das Streben nach Fachwissen, Frommheit und Wohlfahrt zu fördern.' 1968 wurde der Verein aufgelöst. Das monumentale Van Nispenhaus wurde 1977 durch Brand verwüstet und abgerissen. Peter Snep reiste gut zwölf Jahre durch Europa herum, bekam seinen Meistertitel und arbeitete in einer Anzahl von Städten als Meister- knecht. In Duisburg lernte er seine Frau kennen, Gertrud Scheeren, die er 1907 heiratete. Gertrud war genau wie Peter Frühwaise und von einer Tante, die ein Restaurant hatte, erzogen worden. So wurde sie eine hervorragende Köchin, der die Familie später immer nachsagte, sie könne aus Straßensteinen noch etwas Leckeres zubereiten. Im gleichen Jahr wurde ihre erste Tochter geboren, es folgten noch sieben Kinder. Joop war das jüngste und sah das Lebenslicht am 24. September 1921 in Bonn, wo Familie Snep sich niedergelassen hatte, nachdem man u.a. in Brüssel gewohnt hatte. Zwei seiner Brüder, Peter und Henk, hat er leider nicht gekannt. Peter wurde 1910 in Brüssel geboren, wo er fünf Jahr später verstarb. Henk war von 1916 (Brüssel) und starb 1918 in Göttingen. 5
Peter Snep war ein guter Fachmann, der nach seiner Ehe für die Schreinerei Onder de Sint Maarten arbeitete. Dieses Familienunternehmen aus Zaltbommel stammte aus 1899 und wuchs zu einem der größten Inneneinrichtungsfirmen in den Niederlanden heraus, mit Sitz in Haarlem. Peter Snep arbeitete an der Holzverkleidung eines des Räume des 1913 fertiggestellte Friedenspalasts in Den Haag mit. Ein Gedenkmünze mit dem Bildnis von Königin Wilhelmina zeugt davon. Auch fertigte er Mobiliar für den Palast des Gouverneurs von Niederländisch Indien. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen die Sneps wieder nach Deutschland, Gertrud konnte in den Niederlanden nicht heimisch werden. Erwähnenswert ist auch das Lob, das Peter Snep für den Bau eines Karnavalwagens in Bonn bekam. Darauf war eine Szene zu sehen, in der ein reicher Geldgeber Präsident Ebert seine Hilfe anbietet. Eine Geste, die von manchen Deutschen argwöhnisch beschnuppert wurde und Anlass zu karnevalesker Spott bot. In den zwanziger Jahren hatte Vater Peter eine eigene Möbelwerkstatt samt Laden am Stiftsplatz in Bonn. Auf dem Stiftsplatz kam es regelmäßig zu einem Schlägereien zwischen den Schlägertrupps der SA und den Mitgliedern von RotFront (Roter Frontkämpferbund). Von ihrer Wohnung aus hatten die Sneps darauf eine gute Sicht und die Kinder durften sich am Samstag nach dem Bad den spannenden Schlägereien immer kurz angucken. Es war eine schwierige Zeit und die Hyperinflation tat seine vernichtende Arbeit. Dennoch konnte sich die Familie über Wasser halten. Joop weiß von seinem Vater, dass bestellte Möbel in Kisten zu den Kunden transportiert wurden, die anschließend voller Banknoten wieder zurück kamen. Geld, das schnell ausgegeben werden musste, denn es verlor jede Minute an Wert. Das wertlose Geld diente später als Spielzeug. Mit Banknoten, aber auch mit Münzen haben die Sneps gespielt. 'Münzen' war eines. Münzen, oft aus Aluminium, wurden in Pyramidenform für jeden Spieler auf den Tisch gelegt. Top 1, Basis 6. Ein Wurf mit dem Würfel bestimmte, welche Reihe weggenommen werden konnte. Wer 50 Pfennig Münze aus 1921, mit der Aufschrift: Sich regen bringt Segen all seine Münzen reingebracht hatte, durfte anschließend bei anderen räubern; derjenige, der zum Schluss die meisten Münzen hatte, war der Gewinner. Joop spielte dieses Spiel als Junge mit seiner Familie und später auch mit den eigenen Kindern und Enkelkindern. 6
Als Joop etwa fünf Jahre alt war, zog die Familie in die Koblenzerstraße um, wo sie im oberen Stockwerk wohnten, mit der Werkstatt um die Ecke. Obwohl die Zeit der Hyperinflation vorbei war, ging es wirtschaftlich weiterhin schlecht. Dennoch kamen Aufträge herein. Ein Sonderauftrag war die Räumung der ebenfalls an der Koblenzerstraße gelegenen Wohnung der Familie Schaumburg- Lippe. Als Andenken hat Peter Snep ein Florett der adligen Familie behalten, das noch immer in Joops Besitz ist. Als Joop sechs wurde, bekam er seine erste Laubsägeausrüstung zum Spielen, von dem Augenblick an war er oft in der Werkstatt seines Vaters zu finden. Als Zimmerlehrjunge oder um Einkäufe zu erledigen. Allmählich lernte er die Kniffe des Schreinerfaches. Auch ging er zur Schule, zur Hindenburgerschule (einer Jungensschule), wo sich herausstellte, dass er ein ausgezeichneter Schüler war. Joop erinnert sich, dass er auf dem Weg zur Schule manchmal französischen Soldaten begegnet ist. Westlich des Rheins war Deutschland damals in der Folge des Erste Weltkrieges immer noch besetzt. Viele dieser Soldaten waren Marokkaner aus der Fremdenlegion. Mohren, so wusste Joop, da macht man besser einen Umweg. Als Kind hatte Joop eine schwache Gesundheit, zweimal hatte er eine Lungenentzündung. 1930 - er war damals noch keine zehn Jahre alt - entschieden sich seine Eltern, es Hindenburgschule in Bonn. wäre an der Zeit, wieder in die Unterste Reihe zweiter von rechts: Joop Snep Niederlande zurück zu kehren. Sie fürchteten den Aufstieg des Nationalsozialismus, aber die wirtschaftliche Not war hoch gestiegen und Peter und Gertrud hielten es für klug, in die Niederlande umzuziehen. Während Joops Vater in die Schweiz ging, wo er vielleicht eine Anstellung finden könnte, reiste seine Familie nach Amsterdam. Joop, der Gürtelrose hatte, wurde vom Krankenhaus zum Bahnhof gebracht. In Amsterdam angekommen, konnten sie vorübergehend bei einer Schwester von Joop in der Cabralstraat wohnen, aber nicht lang danach - aus der Anstellung in der Schweiz wurde nichts - ließ sich die Familie Snep in der Bestevâerstraat nieder, genau wie die Cabralstraat im heutigen Bezirk Amsterdam-West. Joop sprach damals noch kein Wort Niederländisch, denn zuhause in Bonn wurde Deutsch gesprochen. Er hat die Sprache jedoch schnell aufgegriffen und weil er sie vor allem auf der Straße hörte, führte das in der Klasse gelegentlich zu peinlichen Momenten. So hat er einmal den Finger gehoben um zu fragen, ob er zur Toilette gehen durfte: 'Meister, darf ich scheißen?' Das brachte ihm einen Rüffel ein. Seine Eltern wurden in die Schule zitiert und wurden gerügt. Die Schule war die römisch- katholische Boomschule (Maria School) am Ende des Admiraal de Ruijterweg, eine Distanz von gut einem Kilometer, die Joop täglich viermal laufen musste. 7
Die Boomschule lag genau neben der Boomkirche, die aus 1911 stammte und nach einem bereits im sechzehnten Jahrhundert genutzte Schlupfkirche in der Kalverstraat benannt worden ist. Diese versteckte Kirche befand sich in einem Gebäude, in dem vorher die Brauerei 't Boompje untergebracht war. 1915 bekam die Pfarrgemeinde Franciscus von Assisi De Boom, die bischöfliche Genehmigung für den Bau der Boomschule, die 1916 fertiggestellt wurde. In der Schule wurde Joop oft Mof geschimpft, den Schimpfnamen für Deutsche. Nicht angenehm, aber einer seiner Klassenkameraden, Hans Donk, der die deutsche Nationalität hatte und schon gut Die Boomkirche eingebürgert war, verteidigte Joop. Bis zum Tod von Hans haben sie den Kontakt gehalten. Joop konnte gut lernen und war in Bonn immer Klassenbester gewesen. Das gelang in den Niederlanden natürlich nicht sofort, aber in seinem letzten Jahr auf der Grundschule war er wieder die Nummer eins. Eine Ehrenkarte zeugt von Joops Fortschritte. Es war kein Wunder, dass sowohl der Hauptschullehrer wie der Pastor darauf drängte, dass Joop weiter lernen sollte. Aber das war nicht drin, denn seine Eltern konnten das schlicht und ergreifend nicht bezahlen. Sie entschieden, dass Joop zur römisch-katholische Handwerksschule gehen sollte. Das wurde die Don Bosco- schule, die jedoch erst noch fertiggestellt werden musste. Somit war Joop gezwungen, sich noch ein weiteres Jahr in der siebten Klasse der Boomschule zu langweilen. Die Don Boscoschule, gebaut auf dem ehemalige Gelände der Oostergasfabrik, ist 2004 aufgrund von Problemen mit dem verunreinigten Boden abgerissen. Dass Joop niemals weiter lernen konnte, tut ihn nicht weiter leid: 'Es war halt so, wie es war.' Anfang der dreißiger Jahre wohnte Familie Snep in der Reinier Claeszenstraat, nicht weit vom alten Haus, wo sein Vater im Keller eine Werkstatt hatte. Im Garten stand eine Reckstange, mit dem Joop und sein zwei Jahre älterer Bruder Wim Übungen machten. Das blieb nicht unbemerkt. Herr Van de Wetering, Schatzmeister des Gymnastikvereins Jong Leven hat die Jungs spitz Roothaanhaus gekriegt und lud sie ein, Mitglied im Verein zu werden. Zu teuer für die Eltern. 'Macht nichts,' sagte Van de Wetering und zahlte für sie den Beitrag. So kamen beide Brüder zum Roothaanhaus an der Rozengracht, wo im dritten Stock alle Arten Turngeräte aufgestellt waren. 8
Das römisch-katholische Vereinsgebäude Joannes Roothaan bzw. Roothaanhaus wurde 1929 eingeweiht und verdankt sein Name Pater Johannes Philip Roothaan, der 1785 im Jordaanviertel in Amsterdam das Lebenslicht erblickte und 1829 zum General-Oberst des Jesuitenordens aufstieg; er war der mächtigste Jesuit der ganzen Welt. Das Gebäude bietet jetzt Platz für trendy Gastronomie und Feste. Roothaan würde sich in seinem Grab umdrehen. Joop turnte auf allen Geräten, war jedoch am besten an der Brücke. Er trainierte unter der Leitung von Piet Olthof, Vorsitzender von Jong Leven und Gymnastik-lehrer der Boomschule. Joops kleine Gestalt - er maß 1.68 m und war stark wie ein Bär - war vorteilhaft; fast alle guten Turner sind klein. Er hat sich bei den Junioren so gut gemacht, dass er bei den großen Jungs eingeteilt wurde, wo sein Bruder, der immerhin 1.90 m lang war, bereits turnte. Das geschah einige Wochen, bevor in dieser Gruppe Wettkämpfe abgehalten wurden. Die ältere Jungs übersahen Joop und versuchten, sich gegenseitig zu übertrümpfen; aber halbwegs rief der Kamporganisator Joops Mutter zu sich und flüsterte ihr ins Ohr, dass Joop bereits oben auf der Liste stand. Er gewann seine erste Medaille und sollte noch zahlreiche weitere Preise heimbringen. Wie schon erwähnt, konnte Joop gut lernen. In der Werkstatt seines Vaters er hatte er so viel Erfahrung gesammelt, dass er die Handwerksschule mühelos schaffte. In Handzeichnen war er ein As. Auch jetzt ging Joop zweimal am Tag - auf dem Fahrrad - zur Schule, weil der Groschen für die Schulpause für seine Eltern zu teuer war. Ihm war die Schule sogar so wenig anstrengend, dass Joop es überhaupt nicht schwerfiel, regelmäßig zu schwänzen. Die Familie war umgezogen und wohnte damals auf Leliegracht Nr. 7 in einem Haus, das teilweise einem Deutschen, Fred Klenne, einem Dreißiger, der in Amerika gewohnt hatte und gut Baseball spielen konnte, vermietet war. Während der Zeiten in der Joop die Schule schwänzte, brachte Fred dem lerngierigen Joop auf der Gracht die Kunst des Werfens bei. Auch nahm Fred ihn mit ins Ajaxstadion, wo Joop zusammen mit den Ajaxspielern üben durfte. Erst später stellte sich heraus, dass Fred Klenne Mitglied einer Bande von Autodieben war; das hat die angenehme Erinnerung am Baseball jedoch nicht verdorben. Während des Sommerurlaubs der Handwerksschule war das Roothaanhaus für Turnen geschlossen, Joop spielte dann auf dem Feld des Fußballvereins The Unity allerhand Ballspiele. Handball gehörte dazu, das war ein Sport, der gerade aus Deutschland rüber gekommen war. Es fiel auf, dass Joop sehr hart werfen konnte und er wurde in ein Team von Spielern von Jong Leven, die im Schnitt etwa zehn Jahre älter waren, aufgenommen Joop hat noch lange Handball für Jong Leven gespielt. 9
Kapitel 2 Tischlern, Sport und Tanzen Noch während seiner Zeit in der Handwerksschule lernte Joop einen Nachbarn, Herrn Jacobs, kennen, einem Postboten, der zum Spaß Kasten für Lautsprecherboxen des Drahtsenders fertigte. Joop half ihm dabei, und als Jacobs 1937 eine Werkstatt begann, wurde Joop von ihm eingestellt. Ein Wunsch seines Vaters, der Joop nach dem Abschluss der Handwerksschule Erfahrung sammeln lassen wollte. Das Geschäft lief gut und Joop hatte als Meisterknecht mit seinen sechzehn Jahren im Grunde die Führung über Jacobs und dessen Söhne, die noch wenig Ahnung vom Schreinerhandwerk hatten. Neben Lautsprecherboxen ging das Unternehmen dazu über, kompliziertere Produkte wie Schallplattenschrank aus die Jahre 30 Schallplattenschränke anfertigen. Für diese Schränke sägte Joop Furnier, das er auf die Vorderseite klebte. Das machte er abends auf dem Dachboden nach dem Sport. Für jedes Teil bekam er fünf Cent bis einen Groschen dazu und so verdiente er jede Woche zwanzig bis fünfundzwanzig Gulden dazu - sein Lohn, das übrigens nicht mehr als zehn Gulden betrug. Diesen Zehner gab er seinen Eltern, den Rest durfte er behalten. Während in Deutschland die Juden in die Enge getrieben wurden, lief es Mitte der dreißiger Jahre mit der Schreinerei von Vater Snep nicht so gut. Das Geschäft drohte in Konkurs zu gehen, als ein großer Kunde ohne zu zahlen auf Nimmerwiedersehen verschwand. Ein Onkel von Joop, Alois Snep, der - wie sich später herausstellte - für den englischen Geheimdienst arbeitete und damit viel Geld verdient hatte, konnte glücklicherweise aushelfen. Dieser Alois war 1914 schon einmal für Spionage verhaftet worden. Joops Vater riss das Ruder teilweise um, indem er sich bei einem Busunter- nehmen, das Reisen nach Deutschland Utrechts Nieuwsblad, 9 Juli 1914 organisierte, bewarb. Eine Form von Freizeitbeschäftigung, die damals im Kommen war. Peter Snep wurde sofort als Reiseleiter engagiert aufgrund seiner großen Kenntnisse von Europa und seines perfekten Deutsch: 'Er sprach die Sprache besser als Niederländisch.' 10
Im August 1939 fuhr die Familie Snep in die Schweiz für einen Urlaub von drei Wochen. Das war damals eine Ausnahme, aber sie konnten sich das leisten, weil Joops Vater durch seine Funktion als Reiseleiter gute Beziehungen zu Schweizer Hotels hatte; sie konnten dort umsonst übernachten. Joop hatte im Voraus ordentlich zugepackt, so dass er den ganzen Urlaub mitfahren konnte. Sein Bruder Wim kam eine Woche später; dessen Verlobte fuhr auch mit, zusammen mit ihrer Schwester, Hetty Millenaar. Hetty war sechs Jahr älter als Joop, mit dem sie eine innige Freundschaft schloss; die besteht noch immer, auch wenn sie sich lange Zeit nicht begegneten. Hetty arbeitete damals in Amsterdam und zusammen Schaffhausen, Urlaub 1939. Vlnr: Joop, Hetty, machten sie oft einen Spaziergang Ria, Gertrud, Peter, Wim in der Mittagspause. Im Urlaub reiste die Familie durch die ganze Schweiz und Joop genoss in vollen Zügen. Während die Eltern noch kurz in der Schweiz blieben, reisten die anderen am 1. September 1939 mit dem Zug zurück, völlig in Unkenntnis der Tatsache, dass die Deutschen genau an dem Tag in Polen einmarschiert waren und der Zweite Weltkrieg angefangen hatte. In Köln musste die Familie umsteigen, das war jedoch bei dem großen Gedränge nicht einfach und sie hatten große Angst, dass sie nicht mehr in Niederlande zurückkehren konnten. Joop wusste in ein Abteil einzudringen und schob das Fenster herunter, damals war das im Zug noch möglich. Sein Bruder hob die Frauen dann hinein und drängte sich wie Joop in den Zug. Sie kamen sicher in Amsterdam an. Vor dem Urlaub hatte sich Joop bereits bei der Tanzschule Sandman an der Ecke Ferdinand Bolstraat/Van Hillegaertstraat angemeldet. Es stellte sich heraus, dass er gut tanzen konnte. Manchmal besuchte Joop seinen Patenonkel Joop Snep in Eindhoven, der ein Tanzinstitut hatte. Beabsichtigt war, dass Joop diese Schule später übernehmen würde. Leider ging es schief; Joops Onkel wurde 1943 wegen Spionage verhaftet und nach Berlin überstellt, ins Gefängnis gesteckt und zum Tode verurteilt. Genau wie seine 185 Mithäftlinge haben ihn die Deutschen in der Nacht vom 3. zum 4. September aufgehängt. Diese Mordpartie an Häftlinge, die auf die Antwort auf ihr Gnadengesuch warteten - eine der Blutnächte von Plötzensee - wurde vollzogen, nachdem die Alliierten das Tanzinstitut Snep in Eindhoven Gefängnis bombardiert hatten. 11
Von dem Geld, das er mit dem Schneiden der Vorderseiten der Boxen verdient hatte, kaufte Joop einen Smoking, damit er schick auf der Tanzfläche erscheinen konnte. Es war Mode, in der Westentasche des Smokings ein silbernes Zigarettenetui zu tragen, dessen Rand klar sichtbar war. Obwohl Joop sein ganzes Leben nie geraucht hat, hat er dieses Ritual mitgemacht. Nachdem er einer Zigarette angeboten hatte, zündete er selbst eine an, oder tat so, als ob. Dann verschwand er sofort zur Toilette und warf die Weihnachtsball1939. Vorne vlnr: Hetty, Zigarette weg. Es Joop, Wiesje. waren übrigens teure Zigaretten, ägyptische, von der Marke Dubec. Joop hatte eine feste Tanzpartnerin: Wiesje van Tilburg. Mit ihr und mit seiner Freundin Hetty, die auch gerne tanzte, ging Joop zu seinem ersten Weihnachtsball im Wintergarten des Grandhotels Krasnapolsky. Joop war in dieser Zeit sehr beschäftigt. Tagsüber arbeitete er in der Schreinerei, nach dem Essen gab es Sport und meistens anschließend noch Furniersägen. Am Montag von halb sechs bis halb elf Turnen beim Verein ODIN (Onze Daad ist Nodig: Unsere Tat ist erforderlich) wo er unterrichtete. Das tat er in der Gymnastikhalle an der Passeerdersstraat, heute bekannt als Jugendtheater De Krakeling, das sein Name der nahegelegenen Koekjesbrücke verdankt. De Krakeling stammt aus 1887 und ist gebaut, nachdem der Gymnastikunterricht ODIN Früstück. Hinten Joop Snep für Jungen und Mädchen der Grund- schulen Pflichtfach geworden war. Für den Entwurf haben deutsche Turngebäude Pate gestanden. Bei ODIN war Joop bereits mit achtzehn Vorsitzender der technischen Kommission, er organisierte dort das traditionelle jährliche Frühstück. 12
Am Dienstag spielte Joop abends Tennis beim Verein Gold Star, ein vornehmer Club, wo er als angehender Architekt introduziert wurde, weil er als Schreiner vermutlich nicht akzeptiert worden wäre. Tischtennis am Mittwoch, den ganzen Abend bei Jong Leven, aber auch für die Liga an andere Orten. Wieder Tennis am Donnerstag und am Freitagabend Vorturnen im Roothaanhaus für Jungen und Herren. Am Samstagnachmittag trainierte Joop mit seinem Handballteam, abends ging er tanzen. Der Sonntag stand im Zeichen des Kirchen- besuchs und das Spielen von Handballturnieren. Genau wie Tennis wurde das draußen gespielt, auf einem Fußballplatz mit zwei Mannschaften. Um die Zeit erfolgten in der Sportwelt Fusionen zwischen katholischen und neutralen Sportvereinen. Beim Fußball hatte dies dazu geführt, dass die Handballteam Amsterdam vom Katholischen Turnbunde. katholischen Vereine am Auf den Knien zweiter von links: Joop Snep. Sonntagmorgen spielen Aufrecht im weissen Trikot: Wim Snep; 1941 mussten, aber dieses Irrtum wurde vermieden, als im Handball fusioniert wurde. Joops Bruder Wim spielte dabei als Mitglied der Kommission, die den Zusammenschluss des Katholische Turnbundes und des Niederländischen Handballverbandes vorbereitete, eine wichtige Rolle. Es wurde festgelegt, dass Wettkämpfe von katholischen Vereinen am Sonntag nicht vor 12.00 Uhr anfangen durften. Somit hatten die römisch-katholischen Spieler genügend Zeit, zur Messe zu gehen. Durch diese Sportarten hatte Joop in dem Moment, als der Krieg die Niederlande erreichte, eine eiserne Kondition. Es sollte ihm das Leben retten. 13
Kapitel 3 Krieg, Widerstand und Verhaftung Auf seinen Reisen nach Deutschland für das Reiseunternehmen besuchte Joops Vater in seiner Freizeit zahlreiche alte Bekannte aus der Zeit, als er in Bonn seine Firma hatte. Es waren ehemalige Lieferanten von Materialien wie Leim, Lack und Eisenwaren - unter ihnen viele Menschen jüdischer Herkunft. Um diese Juden in die Niederlande zu bringen entwickelte Peter Snep ein schlaues System, das funktionierte, weil die Grenzkontrollen damals noch nicht von SSlern, sondern von Grenzbeamten durchgeführt wurden. Die waren nicht unbedingt darauf aus, Juden festzunehmen. Beim Grenzübergang nutzte Peter einen Kollektivpass, d.h., von allen Insassen eines Touringcars waren die Personendaten auf einer Liste notiert, die jedoch kaum kontrolliert wurde. Wenn ein Bus nicht voll besetzt war, ergänzte Peter die Liste - die maximal vierzig Namen enthalten konnte - auf dem Rückweg mit den Daten der Juden, die auf dem Rückweg in die Niederlande mitfuhren. Peter Snep war bekannt und populär. Wenn er mit seinem Bus an die Grenze kam, klang es oft: 'Ah, der Peter, weiter fahren!' Wie viele Juden auf diese Weise in die Niederlande einreisen konnten, ist kaum zu schätzen, es muss sich jedoch um eine erhebliche Anzahl gehandelt haben. Von dieser Aktivität seines Vaters wusste die Familie nichts, auch Joop hat das erst nach dem Krieg erfahren. Das Reich überfiel die Niederlande am 10. Mai 1940. Am Tag darauf - die Familie wohnte damals auf der Blauwburgwal genau an der Ecke mit der Herengracht - sammelte Joop seine erste Kriegs- erfahrung. Er erinnert es sich wie der Tag von Der Bombenangriff nauf dem Blauwburgwal, gestern. Er lief auf der 11. Mai 1940. Prinsengracht und sah, wie ein Flugzeug einige Bomben fallen ließ; er fragte sich, wo die herunter kommen würden. Er rannte nach Hause und sah zu seinem Erschrecken, dass die Bomben das Eckhaus Herengracht 105 völlig zerstört hatten. Das Dachgeschoss im Haus der Familie Snep, das einige Häuser weiter lag, war verschwunden und auch das Stockwerk darunter hatte großen Schäden. Als er ins Wohnzimmer trat, fand er dort zu seiner großen Erleichterung seine Mutter und Schwester von einigen leichten Schrammen abgesehen unverletzt vor. Das Radio auf dem Tisch vor dem Fenster spielte einfach weiter, trotz der Tatsache, dass ein durch den Luftdruck reingedrückte Holztür den Apparat an der Vorderseite getroffen hatte und dort stehengeblieben war, ein bizarrer Anblick. 14
Diese Bombe war keine Folge eines gezielten Bombenangriffs. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ein vermutlich englischer Bomber in Not seine Bomben abgeworfen hat um Höhe zu gewinnen; eine traf dabei genau die Stelle, wo Joop wohnte. Die Familie Snep hat Glück gehabt, sie überlebte die Bombe, aber es gab viele Tote. In den Geschichtsbüchern ist von etwa vierzig die Rede, aber Joop, der bei der Beseitigung der Schäden behilflich war, hat viel mehr Tote gezählt. Das Abräumen des Schütts war übrigens gar nicht so einfach. Die Konstruktionen hoch oben an der Giebel der getroffenen Häusern, die zum Hochziehen dienten, waren zerstört und der ganze Schütt musste somit die Treppen hinunter getragen werden. 1952 wurde an der Stelle der verwüsteten Wohnungen von der Kaffee- handelsgesellschaft Matagalpa ein neues Gebäude errichtet. Vierzig Jahre später enthüllte der Amsterdamer Bürgermeister Van Thijn an der Seite des Herengracht dann ein Giebelstein: die Papiermühle. Dabei war Joop als einziger derjenigen, die den Bombenangriff gesehen bzw. überlebt hatten, anwesend. Der Stein kommt aus der Fassade des Hauses des Papierhändlers Pieter Haack am Damrak und stammt aus 1649. Im Gebäude hatte 1992 das Werbebüro Wunderman World- Giebelstein die Papiermühle wide seinen Sitz, der Stein kam somit wieder zur Papierverarbeitung zurück. Unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges baute Joops Vater eine neue Fluchtlinie für Juden auf, diesmal handelte es sich jedoch um den Transport von Juden aus den Niederlanden über Belgien und Frankreich in die Schweiz; es musste für falsche Papiere gesorgt werden. Er besuchte Juden, die in Gruppen im Apollobezirk zusammen kamen und die über die Grenze wollten, notierte ihre Daten, die er dann beim Widerstand bracht. Innerhalb einiger Wochen waren die falsche Papiere fertig. Weil dies viel Zeit in Anspruch nahm, bat Vater Snep seinen Sohn Joop, ihm dabei zu helfen. Auch wurde Joop dabei eingesetzt, die Juden zur belgischen Grenze zu begleiten. Drei oder vier Menschen reisten gleichzeitig mit Joop per Zug nach Eijsden in Limburg, wo auf der Grenze ein Bauernhof lag - mit der Vordertür in den Niederlanden und die Hintertür in Belgien. Vor dem Bauernhof lag ein Stück Land auf niederländischem Gebiet, das an einem Weg grenzte, an dem eine Kneipe stand. Für die Flüchtlinge war es eine Art Haltestelle; sie warteten dort, bis es dunkel Büro Jüdische Angelegenheiten wurde. Anschließend brachte Joop sie einzeln zum Bauernhof, wo sie auf der anderen Seite abgeholt werden sollten. Von wem und wie wusste Joop nicht. Bei seiner Arbeitsstelle in der Firma Jacobs wusste keiner etwas davon. Seine Abwesenheit - Joop war manchmal zwei bis drei Tage in der Woche unterwegs - rief keine Verwunderung hervor. Denn Joop war sehr mit seinem Sport beschäftigt, zudem war er im Grunde der Chef des Unternehmens. Dennoch ging es schief. 15
Im Juni 1942 meldete sich jemand bei Joop, der es sehr eilig hatte und sagte, er brauche nicht auf falsche Papieren zu warten. Der Mann gab an, er kenne zwei Agenten der Amsterdamer Polizei, die mit ihm nach Eijsden reisen konnten und bei einer Kontrolle sagen würden, sie hätten einen Häftling dabei. Während der Reise versuchten die Polizisten, Joop darüber aus zu horchen, wie alles vor sich ging, aber er reagierte nicht und erzählte ihnen nichts Wichtiges. Nachdem alle Flüchtlinge in der Kneipe abgeliefert waren, reisten die beiden ab Richtung Amsterdam, Joop brachte seine 'Kunden' zum Bauernhof. Am nächsten Morgen warteten die Polizisten Joop am Zentralbahnhof in Amsterdam auf und spazierten ein Stück mit ihm zusammen. Als sie den Polizeipost am Bahnhof passierten, griffen sie Joop und zerrten ihn herein. Das war schlau, denn eine Verhaftung im übervollen Bahnhof wäre wahrscheinlich nicht gelungen. Joop: 'Ich bin davon überzeugt, dass es mir gelungen wäre, mich loszureißen und in der Menge zu entkommen.' Einmal in der Wache musste sich Joop völlig nackt ausziehen. Er wurde mit einem Knüppel verprügelt und vernommen, sagte jedoch nichts. Danach kam er ins Bureau Jüdische Angelegenheiten an der Nieuwe Doelenstraat 13. Bei Ankunft sah Joop von der Vordertür aus, wie am Ende eines langen Flures eine Tür geöffnet wurde; zu seinem Erschrecken sah er, dass im Zimmer dahinter seine Mutter und Schwester saßen. Ob das nun Zufall war oder Absicht - Joop glaubt, es war beabsichtigt; die Idee, dass die Deutschen seine Familie in der Gewalt hatte, ließ ihn das Allerschlimmste vermuten. Andere waren für vergleichbare Vergehen erschossen worden. Es folgte eine zweite Vernehmung und erneut Dresche, und wieder hielt er den Mund. Einige Tage verbrachte Joop auf der Polizeiwache an der Elandsgracht. Eingesperrt in einer kleinen Zelle mit noch vier anderen Häftlingen hing er ein bisschen gegen die Wand. Völlig lahm geschlagen, konnte er nicht einmal sitzen. Offensichtlich war es den Deutschen klar geworden, dass Joop ihre Sprache perfekt beherrschte. Das war der Grund, dass er im Gebäude des Sicherheitsdienstes in der damaligen Euterpestraat dem Leiter der Gebäude des Sicherheitsdienstes SD, Willy Lages, vorgeführt wurde. Lages war freundlich, entschuldigte sich für das brutale Vorgehen der Polizei und bot ihm ein Glas Wein und eine Zigarette an, die Joop nicht akzeptierte - um seinen Häftling dann ein Kompliment mit seiner Kenntnis der deutschen Sprache zu machen und ihn zu fragen, ob er nicht für die Deutschen arbeiten wollte. Natürlich hat Joop sich geweigert. 'Abführen', war Lages' Reaktion. Danach wurde Joop zum Gefängnis an der Havenstraat überführt, wo er eine Zelle mit vier Mithäftlingen teilte - unter ihnen ein Einbrecher, ein Anwalt und ein Seemann. Der Seemann brachte den anderen bei, wie man aufwischen musste damit die Zelle sauber blieb. 16
Zusammen mit seinem Vater, der ebenfalls verhaftet worden war, wurde Joop dann ins Polizeiliches Durchgangslager Amersfoort bzw. PDA überführt. Das fungierte nicht nur als Durchgangslager zur Weitertransport nach Deutschland, sondern war auch ein Arbeits- und Straflager, wo verhaftete Untertaucher arbeiten mussten bis zum Transport in ein Durchgangslager Amersfoort anderes Lager oder zum Arbeitseinsatz im Reich. Bei Ankunft im Lager musste man alles ausziehen und wurden uralte Uniformen der niederländischen Armee verteilt. 'Mit einer Tondöse schoren sie eine Haarbahn mitten auf dem Kopf. Von dem Augenblick an war man eine Nummer und bekam man ein Stofffetzen, den man auf die Uniform nähen musste.' Juden trugen den bekannten gelben Davidstern, Joop bekam als politischer Gefangene ein rote Dreieck, Schwarz- geldhändler ein schwarzes, Einbrecher ein grünes, Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas ein lila und Schwule eine rosa Dreieck. Wer zum Tode verurteilt worden war, trug einen roten Zirkel oder Ball auf dem Rücken, im Grunde eine Art Schießscheibe. Wenn einer dieser Häftlinge zu nah an die Absperrung kam, wurde ohne weiteres erschossen. Schiessbahn Amersfoort In Gruppen von 20 bis 40 Mann wurde außerhalb des Lagers marschiert, auch mussten die Häftlinge Steine von der einen auf die andere Seite der Straße schleppen, um sie am nächsten Tag wieder zurückzutragen: das Steine- kommando, ausschließlich dazu erdacht, die Gefangenen zu ermüden und zu zermürben. Von diesem Weg, dem späteren Loes van Overeemlaan, ging 1943 eine Schiessbahn von 320 Meter Länge ab, zwischen Erdwallen vom ausgegrabenen Sand. Der Stellvertreter des Lager- kommandanten war der gefürchtete Joseph Kotälla. Das Schleppen mit den Steinen fiel Joop nicht sonderlich schwer, aber für viele der ausgemergelten Häftlinge war es unmöglich. Einer von ihnen war der damals schon 67- jährige Monne de Miranda, ehemaliger Beigeordneter der Stadt Amsterdam, der genau wie Joop beim Steinekommando eingeteilt worden war. 'Ich sah, dass Menschen wie De Miranda das nicht schafften, nach meinem Monne de Miranda Abtransport ist er dann auch zusammengebrochen und von 1875-1942 den SSlern von Kotälla unheimlich getreten worden. Sie hievten ihn in einen Schubkarren und kippten ihn vor dem Hang der Schiessbahn. Am Ende des Tages holten ihn Mithäftlinge zum Appell, danach haben ihn die Bewachern im Waschlokal nochmal zusammengeschlagen. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass er gestorben war.' 17
Einige Tage nach Ankunft von De Miranda gingen Vater und Sohn Snep wieder auf Transport. Alle Häftlinge bekamen ein Brot für unterwegs. Joop ging klug vor und aß jedes Mal nur eine oder zwei Schnitte, aber es gab Häftlinge, die dermaßen ausgehungert waren, dass sie all ihr Brot sofort aufaßen. Das haben sie bereut, denn der Transport sollte noch Tage andauern. De erste Tag ging es mit dem Zug (ein ganz normaler Zug, keine Viehwaggons), zum Gefängnis in Düsseldorf, wo sie in mit Holzpritschen ausgestatteten Zellen für einige Nächte untergebracht wurden. Der nächste Abschnitt war per Lastwagen. Die Häftlinge wurden einfach rein gepfercht, beim Zuschlagen der Hintertüren achteten die Deutschen nicht darauf, ob ein Hand oder Fuß eingeklemmt wurde. Joop: 'Das Krachen der Knochen klingt mir noch Berlin Alexanderplatz, 1941 immer in den Ohren.' Schließlich ging es weiter nach Berlin, wo der Zug auf dem Alexanderplatz anhielt. Die Häftlinge wurden von einigen Hunderten Schupos, Beamte der Schutz- polizei, die mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den deutschen Großstädten beauftragt waren, bewacht. Gefesselt an den Handgelenken der Schupos bildeten die Häftlinge lange Menschenketten, die sich zur anderen Häftlinge unterwegs nach Sachsenhausen Seite des Platzes in Bewegung setzten, wo das Polizeipräsidium stand. Dort wurden sie in einen fürchterlich heißen Keller geschoben, wo es vor Läuse nur so wimmelte. Auf Straßenhöhe waren schmale Fenster. Es gelang Joop, mit seinem in einem Handtuch gewickelten Kopf - er hatte eins dabei - eines dieser Fenster einzuschlagen. So konnte etwas frische Luft herein kommen. Mit der Straßenbahn ging es dann zum Bahnhof von Oranienburg, von dort liefen die Häftlinge zum Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort kamen sie am 28. Oktober 1942 an. Joop hatte die lange Reise aus den Niederlanden überlebt und hatte am letzten Reisetag noch ein einziges Stückchen Brot übrig. Aber viele seiner Konzentrationslager Mithäftlinge starben während der furchtbaren Sachsenhausen Fahrt. 'Sie starben wie die Fliegen.' 18
Kapitel 4 Sachsenhausen Nach Ankunft in Sachsenhausen wurden alle Häftlinge vollständig kahlrasiert. Danach mussten sie sich in einem Zebra-Anzug hüllen, auf dem - genau wie in Amersfoort - zusätzlich zur Personsnummer auch ein Dreieck genäht werden musste. Das zeigte, zu welcher Kategorie ein Häftling gehörte. Am zweiten Tag wurden Joop und sein Vater im Schuhläuferkommando eingeteilt, was beinhaltete, dass sie jeden Tag von sechs Uhr morgens bis fünf Uhr abends auf allen Häftlinge in Sachsenhausen möglichen Schuhen marschieren mussten. Diese Schuhe waren u.a. von der Salamanderfabrik in Kornwestheim produziert. Die testeten ihre Schuhe zwar auch in ihrem Fabrikgelände, ließen das jedoch auch gerne von Häftlingen in Sachsenhausen tun. Im Schuhkammer befanden sich Regale mit Militärschuhen, normale Schuhe, Stiefel, Sandalen usw. Die Häftlinge mussten ihre Schuhgröße angeben und bekamen dann von einem Mithäftling jeder ein Paar für sich auf den Tisch geschmissen. Wer sich traute zu sagen, dass ein Paar Schuhe ihm nicht gefiel oder nicht passte, kriegte sofort einen Tritt oder einen Schlag von einem SSler. Joop erinnert sich, dass die Häftlinge beim Fehlen von Socken Lappen um ihre Füße wanden oder die Schuhe über ihren nackten Füssen anzogen. Anschließend Abmarsch zum Appellplatz, wo sie sich in Reihen von etwa zwanzig Mann aufstellten, dann konnte das Zählen seinen Anfang nehmen. Nummer eins der ersten Reihe fing an zu zählen: 'Eins', bis das Ende der Reihe erreicht war. Dann die zweite Reihe, usw. Die Summen der Reihen wurden notiert und zusammengezählt, danach begannen die Häftlinge an ihre endlose Märsche. Sie marschierten über einer speziell dazu angelegte Schuhprüfstrecke, einem Streifen von 700 Meter Länge rund um den Appellplatz, mit verschiedenen Arten Belag wie Beton (58%), Schlacken (10%), Sand (12%), Lehm, (8%), Schotter (4%), Kies (4%) und Pflastersteine (4%). Es war ein Durchschnitt aller europäischen Straßen, die die deutschen Soldaten bei ihren Salamanderfabrik Eroberungen nutzen sollten. Durch Wind und Wetter liefen die ausgemergelten Männer in Marschtempo an die 40 Kilometer pro Tag, dabei mussten sie deutsche Lieder singen. 'Der heutige Vier-Tages-Lauf der Stadt Nijmegen ist im Vergleich dazu Kinderspiel', so Joop, der hinzufügt, dass manchen Häftlinge auch noch einen mit Steinen gefüllten Rucksack umgehängt wurde. In Joops Zeit liefen 120 Häftlinge auf diese Weise täglich etwa 4.000 Km. Jeden Tag bekamen die Häftlinge andere Schuhe, um individuelle Effekte auf den Zerschleiß aus zu schalten. Teils verschlissene Sohlen wurden repariert und erneut genutzt, bis sie völlig verbraucht waren. So konnten die Deutschen für jede Art von Material berechnen, wievielte Kilometer damit gelaufen werden konnte. 19
Die Einteilung zum Schuhkommando bedeutete eigentlich ein verkapptes Todesurteil. Täglich fielen dabei 10 bis 20 Häftlinge um, sie wurden zusammengeschlagen oder direkt mit einem Nackenschuss erledigt. Mithäftlinge mussten die Leichen auf einen Holzkarren laden und zum Krematorium bringen. Täglich kontrollierten die Bewachern, ob niemand entflohen war. Wenn sich herausstellte, dass es einem Häftling gelungen war, zu fliehen, dann mussten die anderen genau so lange warten, bis die SSler ihn gefasst hatten. 'Wir mussten einmal stundenlang in der Kälte und im Regen auf dem Appellplatz stehen, weil sich der Flüchtling gut versteckt hatte.' Das Essen war sehr schlecht und bestand aus Joop auf die Schuhprüfstrecke, 2010 nicht mehr als zwei Schnitten Brot und einer Schale wässriger Kohlsuppe. Kein Wunder, dass Joop rasch an Gewicht verlor; bei Ankunft wog er 72 Kilo, nach einigen Monaten nur noch 49. Vier Wochen später wurden Fachleute gesucht, die sich für die Erledigung von allerhand Reparationsarbeiten melden sollten, denn zu der Zeit wurde Berlin ordentlich bombardiert. Joop und sein Vater landeten im Lager Lichterfelde an der Wismarer Straße in Berlin, einem Außenlager von Sachsenhausen, das streng bewacht wurde. Erst bauten sie dort Baracken, aber danach mussten sie außerhalb des Lagers auf einem Bauplatz an der Brahmsstraße arbeiten. Dieses Werksgelände war nicht umzäunt, und das bedeutete, dass sich drumherum ein Ring von SS-Bewachern befand, der nicht durchbrochen werden durfte. Vater und Sohn Snep mussten in einer gesonderten Werkstatt Werkzeug reparieren: kaputte hölzerne Stielen von Hammern oder Barakkenlager Lichterfelde Spaten ersetzen und dergleichen. Mit primitiven Mitteln sägten sie diese aus Holz, das von Deichseln von Pferdenkarren stammte. 'Wir hatten eben mazzel, eine gehörige Portion Glück, erzählt Joop, 'denn wir konnten drinnen arbeiten, geschützt gegen Kälte und zudem durften die SSler nicht herein' - denn dann wäre der Bewachungszirkel durchbrochen worden. Die Werkstatt hatte ein Fenster, davor ständig SSler, die Wache standen. Eines Tages klopfte ein Bewacher auf das Fenster. Joop öffnete die Tür, woraufhin der Deutsche zu Joops Erstaunen bat, das Spielzeugwägelchen seines Sohnes zu reparieren. Es war ein Rad abgebrochen; so eine Reparatur war für Joop natürlich einfach. Als Belohnung bekam er etwas Brot. 'Nicht alle SSler waren Schuften', sagt Joop. 'Manche hatten sich aus Idealismus zur SS gemeldet, fühlten sich dann im nachhinein schwer enttäuscht und benahmen sich nicht allzu sehr daneben.' Auf den Lastern, mit denen die Häftlinge im Stehen zur Arbeit gebracht wurden wie Heringe in einer Tonne, saßen die Bewachern auf einer Holzbank. Das brachte Joop auf eine tolle Idee. 20
Der Holzvorrat im Lager Lichterfelde war durch einen Zaun gesichert, aber Joop hatte den Schlüssel und es gab niemals Kontrollen. Er klaute ein Brett aus dem Vorrat, sägte es passgenau und nagelte es auf der Bank in den Lastern. Ob die Bewachern nun auf einem oder auf zwei Brettern saßen, bemerkten sie nicht. Am nächsten Tag wiederholte Joop dies und in der Barak zimmerte er die Bretter zu einer Bank. Also mehr Bequemlichkeit für die Häftlinge, denn Banken fehlten an allen Ecken und Enden. Die nächste Arbeitsstelle für Joop und seinen Vater gab es im Sanitätshauptamt an de Knesebeckstraße, dem medizinischen Haupt- quartier der SS, wo sie mit Hilfe von zwei russischen jungen Männern Reparaturen an Türen und Fenstern ausführten. Ihre Bewachern waren zwei junge Österreicher, Transport Häftlinge in Lastwagen 'die schon in Ordnung waren'. Es entstand sogar eine gewisse Beziehung zwischen den Häftlingen und den Bewachern, 'Wie verrückt das vielleicht auch klingen mag', sagt Joop, 'sie waren wirklich nicht böse'. Eines Tages saßen die Österreicher im Keller, in dem Joop und sein Vater bei der Arbeit waren, entspannt auf einer Kiste und hatten ihre Gewehre an die Wand gelehnt. Durch das Fenster auf Straßenhöhe sah Joop plötzlich die glänzenden Stiefel von SSlern, die offensichtlich auf Kontrollgang waren. Schnell schob Joop den dösenden Österreichern ihr Gewehr in die Hände, gerade noch rechtzeitig. Die SSler die reinkamen, stellten fest, alles sei in Ordnung und verschwanden wieder. Wenn die Österreicher bei Nachlässigkeit ertappt worden, dann hätte das für sie selbst, aber auch für die Häftlinge zweifellos böse Folgen gehabt. Joop kam so gut mit seinen Bewachern aus, dass sie ihn losschickten, an der anderen Straßenseite in der Küche des Sanitäts- hauptamtes Essen für sie zu holen. Das war Ehemalig SS-Sanitätshauptamt kein Problem, denn Joop konnte in seiner Gefängniskleidung und mit seinem kahlrasierten Kopf sowieso nicht fliehen. Joop ließ einen kleinen Kessel mit den Resten die in den großen Kesseln zurückgeblieben waren, auffüllen. 'Das Beste vom Essen gab es unten in den Kesseln, es sackte nach unten.' Später ließ er einfach einen großen Kessel füllen: 'Ich habe mich vollgefressen.' Bevor die Häftlinge von Lichterfelde aus zu ihrer Werkstatt gebracht wurden, gab es natürlich Appel, genau wie in Amersfoort und Sachsenhausen. Joop hat sich total erschrocken, als eines Tages beim Appell seine Nummer ausgerufen wurde. Das hieß zum Rapport kommen. 'Ich dachte, dass sie den Holzdiebstal entdeckt hatten, dafür konnte man Stockschläge bekommen.' Zum Rapportführer: 'Häftling Nummer 52058 meldet sich.' Zu seiner enormen Überraschung hörte Joop, dass er nach Sachsenhausen gehen sollte um seine Sachen abzuholen und dass er sich in Amsterdam für den Arbeitseinsatz anzumelden hatte. 21
Bereits 1942 war allen Kommandanten der Konzentrationslager den schriftlichen Befehl der SS erteilt, Häftlinge, die im Lager nicht strikt erforderlich waren, in die Heimat zurück zu schicken. Joops erste Reaktion auf den Befehl, nach Amsterdam zurück zu kehren, war: 'Und wie geht es jetzt weiter mit meinem Vater?' Daraufhin bekam er sofort einen schweren Tritt eines Bewachers. 'Man hatte nichts zu fragen, nur Befehle zu gehorchen.' Am 7. Mai 1943 verließ Joop das KZ. 22
Kapitel 5 Untertauchen in Amsterdam Nachdem die Niederlande von den Deutschen besetzt worden war, übten die Geschäftsgruppe Sozialverwaltung des Reichskommissariats und das Sozialministerium immer mehr Druck auf Arbeitslose aus, Arbeit in Deutschland zu akzeptieren, unter Androhung einer Sperre des Arbeitslosengeldes. 1941/42 wurden Betriebe 'ausgekämmt', d.h. sie mussten einen Teil des Personals für den Arbeitseinsatz zur Verfügung stellen. Im Mai 1943 wurde die Einziehung der Jahrklassen 1920-1924 für den Arbeitseinsatz verkündet; auch Studenten, die nicht die Loyalitätserklärung unterschrieben hatten, galten als arbeitslos und mussten nach Deutschland gehen. In Deutschland bestand bereits seit Beginn des Hitlerregimes der Reichsarbeitsdienst, ein Pflichthalbjahr im Arbeitsdienst für Männer zwischen 18 und 25 Jahren, für Frauen war es freiwillig. Unter dem Motto 'Mit Spaten und Ähre' zogen diese jungen Menschen durch Deutschland um Sümpfe trocken zu legen, Bauland zu erschließen oder beim Bau des Autobanen und des Westwalls zu helfen. Diese Maßnahme war ursprünglich dafür gedacht, die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, entwickelte sich jedoch schon bald zu einer Instanz zur Förderung von nationalsozialistischen Erziehungs- idealen, zum 'Ehrendienst am deutschen Volke'. Ab 1939 war der Arbeitsdienst auch für Frauen Pflicht; sie arbeiteten als Haushaltshilfe, in der Landwirtschaft oder machten ehrenamtliche Arbeit: die Arbeitsmaiden. Die Männer wurden mehr und mehr zur Unterstützung der Wehrmacht eingesetzt. Bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, hat der deutsche Arbeitsmarkt bereits Niederländer angezogen, die im eigenen Lande keine Arbeit finden konnten - es war Krise und es gab sehr viele Arbeitslose, und die hatten es außerordentlich schwer, ihre Familie durchzubringen. Passende Arbeit war eben auch Arbeit über der Grenze. Und so ging Joop nach Hause, übrigens ohne Bewachung. 'Von al dem Essen hatte ich einfach ein dicken Kopf bekommen.' Ganz alleine mit Straßenbahn und Zug in die Niederlande - als er sich dann in Berlin auf dem Weg machte, wurde er sich schon bald bewusst, wie scharf die Bewachung geworden war. Weil er warten musste bis der Zug abfahren würde, spazierte Joop im Bahnhof ein wenig herum. Die Gestapo hielt ihn sofort an; 'Das war nicht unlogisch, denn was macht ein junger Mann in einem ordentlichen Kostüm an der Stelle?' Joop wusste jedoch zu erklären, was es damit auf sich hatte und stieg in den Zug. Einmal zuhause, musste er sich sofort melden und wurde dann zur Handwerksschule an der Meeuwenlaan in Amsterdam-Nord geschickt. Er sollte in einem Schnellkurs von einigen Wochen zum Metallarbeiter ausgebildet werden. Der Direktor der Handwerksschule hatte die Angewohnheit, die Schüler zu informieren, wann sie vom Besatzer nach Deutschland geschickt werden sollten. Als Joop hörte, dass er an der Reihe war, berief er sich auf medizinische Gründe und zwar mit einem Brief, den Joop von einem Arzt des Wilhelmina Gasthuis bekommen hatte: Er sollte an der Nase operiert werden, weil er ständig erkältet war. 23
Die im Atlanta-Gebäude an der Stadhouderskade ansässige deutsche Kommission, die mit der Aussendung von Arbeitern beauftragt war, zeigte sich jedoch nicht beeindruckt: 'Mit diesem Brief kannst du genauso gut nach Deutschland' und Joop wurde aufgerufen, los zu fahren. Das hat er jedoch nicht gemacht. Die Gestapo stand schon sehr bald vor der Tür des Elternhauses, um ihn fest zu nehmen. In dem Moment warnte ein Nachbarmädchen Joop. Er ließ sich umgehend im Weesperpleinkrankenhaus aufnehmen um dort operiert zu werden, mit Unterstützung des Leiters der GGD, Professor Tuntler. Dieser Operation hat Joop seine Boxernase zu verdanken, denn die Nasenscheidewand wurde entfernt und nicht, wie heute üblich, durch eine von Kunststoff ersetzt. De Gestapo ließ nicht locker, nach einem zweiten Aufruf, sich zu melden tauchte Joop unter. Vor dem Krieg hatte Joops Vater ein Lager an der Prinsengracht 204 gemietet. Das war ein geeigneter Tauchplatz. Zudem konnte Joop dort seine Arbeit als Schreiner weiter ausführen. Es gab dort noch zwei andere Untertaucher, John Wagenaar und Henk Ottenga. Henk war Zeichner, John Konditor. Henk war mit Annie, einer Nichte von Joop, verlobt. Nach dem Krieg wurde John Chef in der Konditorei der Familie Schäfer. 'Die Familie Schäfer wohnte bei uns um die Ecke und ich habe Jan (den späteren Beigeordnete und Staatssekretär) aufwachsen sehen.' Die drei Untertaucher kamen gut miteinander aus. Wenn Gefahr drohte, versteckten sie sich unter dem Boden. 'In der Mitte der Arbeitsräume gab es eine kleine Treppe nach unten, die entfernt werden konnte; wenn man unter den Boden gekrochen war, zog man sie wieder an seine Stelle und sicherte man sie mit einigen großen Riegeln.' Joops Schwester brachte ihnen immer das Essen. Zum Erstaunen der Familie kehrte Vater Snep Weihnachten 1943 nach Amsterdam zurück. Wie das passieren konnte, ist niemals klar geworden. Vielleicht hat ein hoher Offizier des Sanitätshauptamtes, mit dem sich Peter Snep während der Arbeit gut verstanden hatte, nachgeholfen. Dieser Offizier war möglicherweise ein Sym- pathisant von Von Stauffenberg, dem Mann, der am 20. Juli 1944 ein (gescheitertes) Attentat auf Hitler verübte. Gefängnis an der Weteringschans Joops Vater meldete sich wieder beim Widerstand, wurde jedoch als zu alt für aktive Teilnahme betrachtet. Er war jedoch involviert beim Überfall auf das Gefängnis, das Huis van Bewaring an der Weteringschans zu Amsterdam in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1944. Peter Snep wusste, dass im Gefängnis ein niederländischer SSler als Gefängniswärter arbeitete, der vermutlich etwas für den Widerstand tun wollte. 24
Es handelte sich dabei um Jan Boogaard, der nach einer Verwundung an der Ostfront in die Niederlande zurückgeschickt worden war. Peter gab diese Informationen an die Widerstandsgruppe weiter, es schien ein goldener Tipp zu sein. Man zögerte zunächst noch, dann wurde jedoch entschieden, es mit Boogaard zu versuchen. Nach dem Überfall sollten sich die neunzehn Widerstandskämpfer in der Werkstatt der Sneps melden. Sie hatten alle einen Schlüssel bekommen. Der Angriff wurde ausgeführt, aber Boogaard hatte alles Willy Lages verraten, dessen Mannschaften die Widerstandskämpfer mit Maschinengewehren erwarteten. Der ungleiche Kampf war schnell zu Ende. Fast alle Teilnehmer am Überfall wurden verhaftet und hingerichtet. Nur einer von ihnen, Jaap Haarsma, wusste mit einer Schusswunde im Bein die Werkstatt zu erreichen. Boogaard ist nach dem Krieg zum Tode verurteilt. Prinsengracht 204 diente auch als Lager für die illegale Zeitung Je Maintiendrai und Lebensmittel und Kohle, die für die Teilnehmer am Bahnstreik, der von September 1944 bis zur Befreiung gedauert hat, bestimmt waren. Joops Vater organisierte die Verteilung im Auftrag von Je Maintiendrai. Die Werkstatt wurde durch Schiffe, die in der Gracht fuhren, beliefert, danach sorgten Kuriere für die Distribution. Joop arbeitete vom Anfang seiner Untertauchperiode bis zum Ende des Krieges einfach weiter in der Schreinerei seines Vaters und verdiente gutes Geld. Ein Bekannter der Familie Snep aus der Zeit, in der sie auf der Blauwburgwal wohnten, hatte einen riesigen Vorrat Lampenhalterungen aufgekauft und bat Joop, in den Holzarmen ein Kanal für die Bedrahtung anzubringen und die Lampen fertig zu stellen. Pro Lampe brachte das Joop 10 Gulden ein, so verdiente er bis zu 100 Gulden pro Woche zusätzlich - damals eine Riesensumme. Manchmal war es ungeheuer spannend. Joop erinnert sich an einen außerordent- lich heißen Tag, an dem die Fenster weit offen standen, d.h. sie wurden hoch geschoben bis sie sich verklemmten; die Gegengewichte fehlten. Nachts kühlte es ein wenig ab und dann kam mit einem fürchterlichen Krach ein Fenster herunter. Die drei Untertaucher flogen aus ihren Betten, aus Angst vor einen Bombenangriff. Auch weiß Joop noch gut, wie sie im Winter von 1943 zu Dritt den Baum gegenüber der Werkstatt umsägten, um Brennholz zu bekommen. Mitten in der Nacht gelang es ihnen, im Erdedunkeln den Baum um zu sägen. Sie zogen ihn mit dem Stamm nach vorne in die Werkstatt. 'Wir dachten, dass die Krone schon durch die Tür passen würde, aber auf einmal blieb alles stecken'. Und dann geschah, vor dem sie Angst gehabt hatten: Es nahte ein Streifen weißes Fahrradlampe aus dem Zweiten Weltkrieg Licht von einer Fahrradlampe. 25
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