DIE LINKE und Europa - realistisch - Sozialistische Linke
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rea l i s t i s c h und ra d i k a l Das Debattenheft n Linken der Sozialistische 1 014 Nr. 3 – 1.Quartal 2 I E L I N K E E u ro p a D und Mit Beiträgen von Fabio de Masi, Özlem Alev Demirel, Klaus Dräger, Jules El-Khatib, Ulrike Herrmann, Daniel. Kerekeš, Costas Lapavitsas, Steffen Lehndorff, Susanne Kramer-Druzycka, Jasper Prigge, Alban Werner, Sabine Wils Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
realistisch und radikal Das Debattenheft Linken Inhalt der Sozialistischen itik tierenden EU-Pol at Fabio de M asi Kritik der real exis tie un d S oz ia ls ta dE P) geht um Demokra Sabine Wils (M 06 Interview: Es tigte n in E ur op a arität mit Beschäf Klaus Dräger 08 Konkrete Solid de s Fi na nz ka pi ta ls at ib , D. Kerekeš, J. P rigge re gi er un g J. E l- K h 10 Wirtschafts gendarbeitslosigk eit st an d ge ge n Ju 12 Wider ? Linke Debatte e Steffen Lehn dorff W ie weiter mit Europa un d di e E ur ok ris kschaften, Linke Paul Boccara u .a. 14 Interview: Gewer n E ur o! sa s nen andere Costas Lapavit 18 Kämpfen wir für ei Linke Ulrike Herrmann 20 Der Euro und die r Eurokrise In te rv ie w : Z u den Ursachen de 22 2 in der EU po lit is ch e un d soziale Rechte Özlem Alev Dem irel . Kämpfe um S icht -Druzycka nspolitischer Susanne Kramer 26 E U aus migratio mpfe in Polen en! Alban Werner 28 Die Klassenkä re ih an de ls ab ko mm SA -F 32 Nein zum E U-U Sonstiges ndenaufruf 03 Vorwort en , U nt er st üt zu ngserklärung, Spe Link zur Sozialistischen 04 Informationen d Autoren 34 Autorinnen un Impressum realistisch und radikal - das Debattenheft der Sozialistischen Linken Redaktion: Juliane Pfeiffer, Felix Syrovatka, Alban Werner V.i.S.d.P.: Alban Werner, c/o DIE LINKE - Sozialistische Linke, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Fotos: Ilona Herrmann | R-Mediabase (S.11,15,16), Hans-Dieter Hey | R-Mediabase (S.19, 24); . S.Schuh C.Martischius | R-Mediabase (S.23); Susanne Kramer-Druzycka (S. 29-31), SL, privat Druck: Laserline, Berlin realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
Liebe Genossin, lieber Genosse, am 25. Mai wird nicht nur das Europäische Parlament papolitik der LINKEN beitragen. Es kann leider nicht oft gewählt, sondern zeitgleich stehen auch kommuna- genug gesagt werden, dass es nicht um „für oder wider le Parlamente in insgesamt zehn Bundesländern zur den Nationalstaat oder die EU“ geht, sondern um die Wahl. Für die meisten Bürgerinnen und Bürger gibt es politischen Inhalte und Strukturen auf beiden Ebenen. einen unerfreulichen Zusammenhang zwischen beiden Dazu schreiben die beiden Europawahl-BewerberInnen Wahlgängen: Es geht nur um eine geschrumpfte Versi- Sabine Wils (MdEP) und Fabio de Masi sowie der EU- on von Demokratie. Experte Klaus Dräger. Zweitens wollen wir einen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus ermöglichen. So hat das Europäische Parlament zwar mit den Jah- Eine AutorInnengruppe der französischen Kommunist- ren an Kompetenzen gewonnen. Aber ganz wesentli- Innen einerseits und Costas Lapavitsas aus London che Bereiche kann es nach wie vor nicht entscheiden: andererseits debattieren, ob ein sozialer Kurswechsel die Außen- und Sicherheitspolitik, die Währungspolitik, in Europa mit oder ohne Beibehaltung des Euro in den noch nicht einmal über den EU-Haushalt und seinen „Krisenstaaten“ möglich ist. Diese Debatte ergänzen In- Umfang. Selbst wenn es fleißige ParlamentarierInnen terviews mit dem Sozialforscher Steffen Lehndorff und geschafft hatten, Mehrheiten gegen die katastrophalen der taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, deren Stimmen Kürzungsdiktate in der EU-Krisenpolitik zu erreichen, im Mainstream der deutschen Diskussion viel zu wenig wurden ihre Beschlüsse durch fehlende Verbindlichkeit Gehör finden. Schließlich wollen wir Themen stärker in gegenstandslos. Schon lange beklagten politische Lin- die Diskussion rücken, die oft vernachlässigt werden. ke und soziale Bewegungen das Demokratiedefizit der Die DIDF-Vorsitzende Özlem Alev Demirel kritisiert EU. Nicht nur dieser Demokratiemangel wurde durch die Migrationspolitik der EU, die selbst nach tausen- die Krisenpolitik verschärft. Auch in den Mitgliedstaaten den Todesfällen von Geflüchteten nicht geändert wird. 3 besiegelte die Politik durch Troika-Auflagen, Entmach- Susanne Kramer-Druzycka berichtet über Auseinan- tung der Parlamente durch immer neue „Rettungspa- dersetzungen um soziale Rechte in Polen. Ihr Beitrag kete“, durch Fiskalpakt und „Economic Governance“ macht deutlich, dass Linke der Politik in Osteuropa unterm Strich größere politische Ohnmacht. mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen EU und USA schreibt Auch in vielen Kommunen schrumpft die Demokratie, Alban Werner, warum es als Bedrohung der Demokra- weil sie durch Abwälzung zahlreicher Aufgaben, v.a. im tie verhindert werden muss. sozialpolitischen Bereich, auch durch unbewältigten wirtschaftlichen Strukturwandel und fehlende Mittel Wir hoffen, dass unser Heft Diskussionen anstößt und finanziell ausgetrocknet sind. Kein Wunder eigentlich, bereichert. Herzlicher Dank gilt den Redaktionsmitglie- dass außerhalb der „bildungsnahen Schichten“ immer dern Juliane Pfeiffer und Felix Syrovatka und Elke The- weniger Menschen an europäischen oder kommunalen isinger-Hinkel, Harald Siepmann und Martin Thomas Wahlen teilnehmen. DIE LINKE darf sich damit nicht Horsch für Korrekturen. abfinden, sondern muss Demokratie und Sozialstaat offensiv verteidigen und Menschen für Politik zurück- Weitere Exemplare dieses Heftes können einfach unter gewinnen. Die politische Linke in Deutschland hat eine info@sozialistische-linke.de kostenlos bestellt werden. besondere Verantwortung, denn in den Kernländern der EU liegt machtpolitisch der Schlüssel, um die herr- Uns allen ein erfolgreiches (Wahl-)Jahr! schende Kürzungspolitik zu beenden. Deswegen hat- ten in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien viele Menschen auf eine Abwahl von Angela Merkel gehofft. Eure Sozialistische Linke Mit diesem Heft möchten wir deswegen dreierlei errei- chen. Zum einen möchten wir zur Debatte um die Euro- Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
WER sind wir? Die SL ist die gewerkschaftlich orientierte Strömung der Partei DIE LINKE. Wir knüpfen an linkssozia- listische, links-sozialdemokratische und reformkommunistische Traditionen an. Klassenorientierung: Der Widerspruch zwi- schen Kapital und Arbeit und die gemeinsamen Interessen der lohnabhängigen Mehrheit (Beschäftigte, Erwerbslose, Rent- ner/innen, lernende Jugend) sind der Anker unserer Politik. Die Gründer/innen der SL kamen überwiegend aus der Wahlalter- native Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), jedoch auch aus der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS). Wir haben heute über 800 Mitglieder in Ost wie West. Ein Schwer- punkt unserer Arbeit ist politische Bildung (z.B. die jährliche Sommerakademie). WAS wollen wir? Wir streiten für gute Arbeit, Löhne und Renten; eine Ausweitung des öffentlichen Eigentums, öffent- liche Investitionen und des Sozialstaats sowie Frieden. Wir wollen die Lebensverhältnisse der Mehrheit verbessern, die Macht des Kapitals brechen und den sozial-ökologischen Um- bau der Wirtschaft verwirklichen. Die SL will eine kampagnen- fähige Mitgliederpartei, die sich auf gemeinsame Interessen von Lohnabhängigen konzentriert und eine starke Verankerung in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sucht. Gewerk- schaftliche Orientierung bedeutet kein unkritisches Verhältnis zu Gewerkschaften. Wir wollen unabhängige und kämpferi- sche Gewerkschaften, die sich aus der Umklammerung der SPD lösen. WARUM gewerkschaftliche Orientierung? Gewerkschaf- ten sind die Interessenorganisationen der Lohnabhängigen. Sie können – z.B. über Streiks – dem Kapital direkt in die Spei- chen greifen. 4 WARUM Politik der Arbeit? Arbeit schafft den Reichtum der Gesellschaft und ist Voraussetzung für die Finanzierung des Sozialstaats. Wir brauchen gemeinsame Kämpfe: Hartz IV ist zum Beispiel nicht nur Armut per Gesetz, sondern auch Lohndrückerei. Wir wollen uns nicht in den Verhältnissen ein- richten. Wir wollen den Kapitalismus überwinden. Es bringt aber nichts, nur radikale Sprüche zu klopfen oder Wünsch- Dir-Was-Forderungen zu erheben. Die LINKE muss realistisch und radikal sein, wenn sie Massen mobilisieren und Kräftever- hältnisse nach links bewegen will. Strömungen: Machtkämpfe und Strömungen gibt es in allen Parteien. Anders als Seilschaften, die vor allem für persönliche Interessen streiten, wollen wir offen und demokratisch für un- sere Ziele werben. Unser Ziel ist eine starke LINKE. info@sozialistische-linke.de www.sozialistische-linke.de www.facebook.com/sozialistischelinke realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
Erklärung der UNTERSTÜTZUNG Hiermit erkläre ich meine Zugehörigkeit zum Zusammenschluss Sozialistische Linke gemäß der Bundessatzung der Partei DIE LINKE. Ich bin Mitglied der Partei DIE LINKE: ja O nein O Sollte ich zu irgendeinem Zeitpunkt die Partei verlassen, so werde ich die Landes- und die Bundesgremien des Zusammenschlusses Sozialistische Linke darüber umgehend in Kenntnis setzen. Name: ......................................................... Vorname: ........................................................ Straße: .................................................................................. PLZ und Ort: .......................................................................... Landesverband: .................................................................. Kreis-/Bezirksverband: ......................................................... ggf. Parteifunktionen: ........................................................ aktiv, ggf. Funktion in weiteren Organisationen: ........................................................................................................................... Telefonnummern: ................................................................ E-Mail: ....................................................................................... Geburtsdatum: .................................................................... Ort, Datum: ................................. Unterschrift: .................................................................... Bitte abtrennen und schicken an: Sozialistische Linke, DIE LINKE, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin ----------%----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Mit SPENDEN die Arbeit aktiv unterstützen 5 DIE LINKE erhält keine Großspenden von Lobbyisten und Konzernen. Darauf sind wir stolz. Unabhängige Politik braucht unabhängige Spender. Liebe Kollegin, lieber Kollege, liebe Genossin, lieber Genosse, politische Arbeit kostet auch Geld. Ob Publikationen, Reisekosten oder Veranstaltungen: Oft heißt es „Ohne Moos nichts los!“. Deswegen bitten wir dich, die Sozialistische Linke finanziell zu unterstützen. Dies geht am besten mit der Überweisung einer Spende oder per Dauerauftrag. Einzelspenden bitte an: Parteivorstand DIE LINKE Konto-Nr. 132 257 31 BLZ 100 500 00 Berliner Sparkasse WICHTIG: Stichwort SPENDE Sozialistische Linke Einzugsermächtigung Mit dieser Einzugsermächtigung ist die Partei DIE LINKE bis auf Widerruf berechtigt, meinen ab fälligen monatlichen Mitglieds- beitrag für DIE LINKE in Höhe von ______ Euro von unten stehendem Konto abzubuchen. Einzugsrhythmus (Zutreffendes bitte deutlich markieren): monatlich/ vierteljährlich/ halbjährlich/ jährlich Bankleitzahl: ________________ Geldinstitut: _______________________________________________________ Kontonummer: __________________________________________________________ Kontoinhaber/in: __________________________________________________________ Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
Kritik der real existierenden EU-Politik Interview „Es geht um Demokratie und Sozialstaat!“ Ein Gespräch über die Eurokrise, Rechtspopulismus und LINKE Europa-Positionen mit Fabio de Masi r+r: Vor welchen Herausforderungen steht DIE sich dafür aus, Rentnern und Arbeitslosen das Wahl- LINKE bei den Europawahlen 2014? recht zu entziehen. 6 Fabio De Masi: Menschen mit geringem Einkommen und Arbeitnehmer meiden die Europa-Wahl. Wir müs- Der LINKEN wird oft vorgeworfen, sie sei anti- sen daher Flagge zeigen und Oppositionsführer gegen europäisch. Was entgegnest Du? die Zerstörung von Demokratie und Sozialstaat sein. Wer ist Europa? Nicht DIE LINKE ist anti-europäisch, Die Chancen stehen nicht schlecht: DIE LINKE hat als sondern die Politik gegen die Mehrheit in der EU. Etwa einzige Partei im Deutschen Bundestag den giftigen jeder zweite Jugendliche in den Krisenstaaten ist ohne Cocktail aus Bankenrettung und Kürzungspaketen ab- Arbeit. Die EU schafft eine verlorene Generation. Das gelehnt. Zudem steht sie einer Großen Koalition gegen- zerstört die europäische Idee. Wir könnten mit einer über. EU-weiten Vermögensabgabe sofort ein Investitions- programm gegen Jugendarbeitslosigkeit finanzieren. Wo lauern Gefahren? Allein das Geldvermögen der europäischen Millionäre Ich nehme den Aufstieg der sogenannten Alternative für übertrifft mit etwa 14 Billionen Euro die gesamte Staats- Deutschland (AfD) sehr ernst. Die AfD setzt sich ge- verschuldung der EU-Staaten. Der Merkel-Wahlverein schickt in Szene: Im Bundestags-Wahlkampf plakatier- SPD hat auf seinem Leipziger Parteitag eine Koalition te die AfD: „Die Griechen leiden, die Deutschen zahlen mit der LINKEN an eine „verantwortungsvolle Europa- und die Banken kassieren.“ politik“ geknüpft.. Wer das ernst meint, darf mit Merkel nicht regieren. Wir haben im Bundestagswahlkampf über 300.000 Stimmen an die AfD verloren. Wie sollten Brauchen wir mehr Europa? wir auf die AfD reagieren? Es geht nicht um mehr oder weniger Europa, sondern Wir dürfen unsere Kritik an der Euro-Rettung nicht ver- um Demokratie und Sozialstaat. Wenn mehr Europa stecken. Der ehemalige Vorsitzende der US-Zentralbank Steuerdumping unterbindet, dann will ich mehr Euro- Paul Volcker meinte einmal, die einzige sinnvolle Finan- pa. Wenn die EU das Streikrecht und Tarifverträge be- zinnovation der letzten Jahre war der Geldautomat. Wir kämpft, die Parlamente beim Staatshaushalt entmachtet wollen Zombie-Banken schrumpfen. Daher müsse wir oder über die EU-Battle-Groups der Parlamentsvorbe- auch die vermeintlichen Rettungspakte angreifen: Ge- halt bei Militäreinsätzen zerstört, verteidige ich die De- rettet werden nicht Menschen oder Staatshaushalte, mokratie. sondern Banken und Vermögende. Etwa 95 Prozent der Hilfen an Griechenland flossen an den Finanzsektor. Brauchen wir mehr europäische Öffentlichkeit? Aber wir müssen auch deutlich sagen: Die AfD ist eine Sicher. Wenn Abgeordnete anderer nationaler Parla- Partei, die die kleinen Leute verachtet. AfD-Vorstands- mente der EU auf dem Ticket einer Fraktion im Bun- mitglied und Ex-WELT-Kolumnist Konrad Adam sprach destag sprechen dürften, gäbe es tatsächlich mehr realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
Kritik der real existierenden EU-Politik europäische Öffentlichkeit. Dann könnte Alexis Tsipras der Massenkunden sowie das gewerbliche Kreditge- den Deutschen erklären, dass sie nicht Griechen retten, schäft sind abzusichern. In Schweden hat man in den sondern die Banken. 1990er Jahren zu den Banken gesagt: Wenn ihr die Hand aufhaltet, bringt die Aktien gleich mit. Das ist die Stichwort Bankenunion. Sollten deutsche Ban- billigste Lösung. Denn in Bankenkrisen explodieren die ken für spanische Banken bürgen, damit der Ban- Zinsen am Interbankenmarkt, nur der Staat kann den kensektor stabiler wird? Teufelskreis durchbrechen. Wir brauchen aber keine Die Wahrheit ist immer konkret. Der Steuerzahler bürgt: privaten Staatsbanken wie die Commerzbank – die wei- Und zwar nicht für das seriöse Kreditgeschäft sondern terhin Geschäfte mit Steueroasen macht. Wir brauchen für Wettbuden. Laut der Abwicklungsrichtlinie können öffentliche „Good Banks“ sowie Sparkassen- und Ge- bis einen Tag vor Abwicklung einer Schrott-Bank Ak- nossenschaftsbanken. Darüber hinaus sollte die EZB tionäre und Gläubiger jenseits der sogenannten Haf- öffentliche Investitionen statt den Deutschen Aktienin- tungskaskade mit Steuergeldern raus gekauft werden. dex finanzieren. Wir brauchen vor allem eine Stärkung Die Banken-Union ist daher eine Lebensversicherung der Binnennachfrage in Deutschland durch höhere Löh- für „Zombie-Banken“: Der Finanzsektor – insbesonde- ne, sichere Renten, öffentliche Investitionen und eine re das Investmentbanking – wird nicht geschrumpft. In Ausweitung des Sozialstaats. den Bankbilanzen stecken laut Schätzungen noch eine Billion Euro fauler Papiere, der gemeinsame Abwick- Was möchtest Du persönlich als Europa-Abge- lungsfonds soll erst in zehn Jahren einsatzbereits sein ordneter erreichen? und nur 55 Milliarden Euro umfassen. Die Europäische Ein Mandat ist ein Privileg. Ich will vor allem einen gu- Zentralbank (EZB) ist überdies für die Aufsicht völlig ten Job machen und durch meine internationalen Kon- ungeeignet. Sie unterliegt als Kreditgeber der letzten takte zu fortschrittlichen Ökonomen die Positionen der Instanz permanenten Interessenkonflikten und ist kei- LINKEN in der Wirtschaftspolitik bekannter machen. ner effektiven parlamentarischen Kontrolle unterworfen. Da geht noch mehr. Wir sollten zudem neben der Eu- Die SPD hatte in ihrem Regierungsprogramm „Das ro-Krise und den klassischen, nationalen Themen das Wir entscheidet“ versprochen, dass Steuerzahlerinnen Freihandelsabkommen der EU mit den USA in den und Steuerzahler nie wieder in Geiselhaft der Banken Mittelpunkt des Wahlkampfes rücken. Ich möchte mich und Spekulanten genommen werden. Sie sollte beim selbstverständlich auch mit Migranten und den Fischern nächsten Mal daher plakatieren „Die Deutsche Bank von Lampedusa gegen die humanitäre Katastrophe im entscheidet“ und „Das Wir bezahlt“. Mittelmeer engagieren. FRONTEX ist eine Schande. DIE LINKE lebt vom Leiharbeiter oder der Rentnerin, Was sind die Alternativen der LINKEN? die bei Regen und Sturm für unsere Ziele kämpfen. Da- 7 DIE LINKE fordert die Haftung der Aktionäre und Gläu- her möchte ich den Parteiaufbau unterstützen. Dafür biger von Banken. Das Investmentbanking ist nicht sys- bleibt uns nicht mehr viel Zeit. temrelevant und daher abzuwickeln. Nur die Einlagen Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
Kritik der real existierenden EU-Politik Konkrete Solidarität mit Beschäftigten in Europa Einblicke in ihre Tätigkeit im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments gibt Sabine Wils (MdEP) Seit 2008 wütet die Krise. Ein Ende ist nicht in Sicht. wir auch eigene Veranstaltungen gemeinsam mit Initi- Für die Tiefe der Krise ist die Fehlkonstruktion der Eu- ativen an mehreren Orten. Diese Auseinandersetzung ropäischen Union verantwortlich. Trotzdem wird der Lis- bestimmte die Arbeit im Umweltausschuss. 8 sabon-Vertrag, werden Standortwettbewerb und Spar- Das Flughafenpaket stellte einen schweren Angriff auf diktate von den anderen Parteien nicht in Frage gestellt. die Beschäftigten an den Flughäfen dar. Seit 1996 sind Die neoliberale Medizin hat soziales Elend in Europa die Bodendienste EU-weit liberalisiert. Seitdem sind verschärft. Trotzdem wird sie nicht abgesetzt, im Ge- die Löhne in diesem Bereich um 20% gesunken. Die genteil soll ihre Dosis erhöht werden. EU-Kommission plante weitere Liberalisierungsschrit- Die Wettbewerbsorientierung der Europäischen Union te. Durch größere Anbieterkonkurrenz an den großen wirkt in alle EU-Staaten hinein. Bei meiner Tätigkeit im Verkehrsflughäfen in der Bodenabfertigung wären dann Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit die Löhne noch mehr unter Druck geraten. Unsere Frak- und Lebensmittelsicherheit sowie im Verkehrsaus- tion hat hierzu gemeinsam mit ver.di eine Anhörung schuss des Europäischen Parlaments (EP) habe ich durchgeführt, an der die Betriebsratsvorsitzenden al- dies hautnah erlebt und bekämpft. ler großen deutschen Flughäfen teilnahmen. Das war Der Linksfraktion im EP GUE/NGL war es wichtig, den ein wichtiger Baustein zur Mobilisierung der Kollegin- Betroffenen, den Umweltverbänden und zuständigen nen und Kollegen. In Brüssel und in Straßburg haben Gewerkschaften ETF, ver.di und EVG zu all diesen EU- jeweils tausende Flughafenbeschäftigte demonstriert, Projekten über Anhörungen ein Forum zu geben, damit Bernd Riexinger und ich sprachen zu den Protestieren- ihre Argumente mehr Gehör finden. den. Dank des außerparlamentarischen Drucks wurde die Richtlinie im Verkehrsausschuss abgelehnt. Mit Druck gegen neoliberale Projekte Leider hat das Parlamentsplenum die Richtlinie nicht Mit Liberalisierung will die EU im Verkehrsbereich den abschließend zurückgewiesen, und es kam zu Neu- Wettbewerb fördern: Sei es bei der Post, der Bahn verhandlungen im Verkehrsausschuss. ver.di, Sozi- oder auf den Flughäfen. Das Ergebnis ist aber nicht aldemokraten und Konservative verhandelten einen mehr Wohlstand für alle, sondern Dumping bei Löhnen Kompromiss. Nun müssen Flughäfen mit mindestens und Arbeitsbedingungen zu Lasten der Beschäftigten 15 Millionen Passagieren pro Jahr zumindest drei ver- und Qualitätsverschlechterungen öffentlicher Dienst- schiedene Anbieter bei den Bodenverkehrsdiensten zu- leistungen. Darunter leiden besonders diejenigen, die lassen. Diese Marktöffnung wird zu schwerwiegenden dringend auf sie angewiesen sind. Verschlechterungen für die Beschäftigten bei Einkom- menssituation und Arbeitsbedingungen zur Folge ha- Das Flughafenpaket – ben, aber auch bei Qualität und Sicherheit. Fluglärm und Bodendienste Das Flughafenpaket hat viele Facetten. Selbstverständ- Flugzeiten der Piloten lich engagieren wir uns gegen den Fluglärm, in Hessen Die Europäische Kommission hatte eine Verordnung gemeinsam mit der Landtagsfraktion. Dazu machten vorgelegt, in der sie willkürlich die Flugzeiten für Pi- realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
Kritik der real existierenden EU-Politik loten auf bis zu 12,5 Stunden ausweiten wollte. Ver- stand organisiert wird, was aber noch nicht erkennbar schiedene Studien und Gutachten hatten jedoch be- ist. Nach den erfolgreichen Kämpfen gegen Port Packa- legt, dass eine Dienstzeit von mehr als zehn Stunden ge I und II durch die Beschäftigten ist jedoch ein großes ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt. Auch wurde Widerstandspotenzial vorhanden. der Vorschlag von den europäischen Pilotenverbänden Neben den genannten Beispielen mache ich auch im scharf kritisiert. Der Kommissionsvorschlag wurde im Umweltausschuss Druck von links, insbesondere wenn Verkehrsausschuss abgelehnt. In der Parlamentsdebat- Profitinteressen gegen die Interessen von Mensch und te deutete der zuständige EU-Kommissar Kallas vage Umwelt stehen. Vom Klimawandel sind besonders die Zugeständnisse an. Daraufhin votierte eine Mehrheit im Menschen in den Entwicklungsländern betroffen. Die Europäischen Parlament gegen den alternativen Vor- Weltklimakonferenzen können zurzeit daran nichts än- schlag des Verkehrsausschusses, der eine Flugdienst- dern. zeiten-Verlängerung ablehnte. Die Abgeordneten ver- Ob es um Agrotreibstoffe, Fracking, Tiefseebohren trauten mehrheitlich schwammigen Beteuerungen der nach Öl in der Arktis oder um den Klimawandel geht, Kommission mehr als wissenschaftlichen Gutachten eine satte Mehrheit der Allparteienkoalition setzt auf der Flugsicherheitsbehörde EASA. Gewinne der Konzerne statt auf die Zukunftsinteressen der Menschheit. Port Package III Im Sinne der Profitmaximierung der Atomkonzerne wird Ein anderes Beispiel neoliberaler EU-Politik ist der Ent- an der Sicherheit gespart. Im Vertrag zur Gründung der wurf der EU-Kommission zur „Verordnung zur Schaf- Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) sind fung eines Rahmens für den Zugang zum Markt für Ha- zwar Sicherheitsstandards festgelegt, diese wurden fendienste“. jedoch von der Atomlobby selbst gemeinsam mit der Die Verordnung soll die sog. Konzessionsrichtlinie auf EU-Kommission geschrieben. die Hafenbetriebe anwenden und stellt damit für die Be- Gemeinsam mit den Umweltbewegungen und den Be- schäftigten in den Häfen eine Bedrohung dar. Weltweit troffenen müssen wir in Zukunft noch mehr Druck entfal- agierende Konzerne werden den Zuschlag für die Arbeit ten um dies zu ändern. in den Häfen erhalten können. Sie werden niedrigere Löhne zahlen und die Arbeitsbedingungen verschlech- tern, wie z.B. im Hafen von Piräus. Weitere Informationen gibt es hierzu unter: Auch hier wird sich nur dann etwas bewegen, wenn in www.sabine-wils.eu den Hafenbetrieben durch die Gewerkschaften Wider- 9 Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
Kritik der real existierenden EU-Politik Klassenkampf von oben. Die Wirtschaftsregierung des Finanzkapitals Die Economic Governance der EU macht das soziale Europa tot meint Klaus Dräger „Wir brauchen eine europäische Wirtschaftsregierung. Kollaps bewahrte. An den daraufhin explodierenden Wir brauchen eine Instanz, die jetzt die Finanzpolitik Staatsschulden verdienen nun dieselben Banken, die koordiniert, die jetzt die Steuerpolitik koordiniert, die zuvor vor den Folgen ihrer Fehlspekulationen gerettet jetzt vor allem die Lohnpolitik koordiniert, sonst bricht wurden. Die gelockerte Geldpolitik der EZB erlaubt den der Euro auseinander.“1 Banken, sich zu niedrigen Zinsen Geld bei der EZB zu leihen und Staatsanleihen der EU-Krisenländer zu kau- 10 Ein Geflecht aus neu geschaffenen Verfahren, Institu- fen, die ihnen weit höhere Zinsen bringen. tionen und Politiken gestaltet die wirtschaftspolitische Steuerung (Economic Governance) in der EU. Die Die Konsolidierung der Staatsfinanzen soll vorange- Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank trieben werden, indem die Überschreitung der Maas- (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF); die tricht-Obergrenzen zu Haushaltsdefiziten (3 % des BIP) Eurorettungsschirme EFSF und ESM; Europa 2020 als und staatlicher Gesamtverschuldung (60 % des BIP) Nachfolge der gescheiterten Lissabonstrategie der EU mit schärferen und automatischen Sanktionen belegt (2000 – 2010); der verschärfte Stabilitätspakt für den wurden und die Mitgliedstaaten eine Schuldenbremse Euro; ein neues EU-Verfahren zur Bekämpfung wirt- nach deutschem Vorbild einführen. Damit wurde die schaftlicher Ungleichgewichte; der EuroPlusPakt; neue Politik der Ausgabenkürzungen (Austerität) verschärft EU-Gesetze zu all dem (Six-Pack und Two-Pack) sowie und verstetigt. Dies ließ Kaufkraft und Binnennachfrage ein neues Verfahren zur Koordinierung und Überprüfung rapide einbrechen. So verlor z.B. Griechenland im Zeit- der damit verbunden Politiken von EU und Mitglied- raum 2008 – 2012 knapp ein Fünftel (18,5 %) seines staaten (Europäisches Semester); der zwischen 25 Bruttoinlandsprodukts (BIP), Portugal rund 8 %. Ge- Mitgliedstaaten (ohne Großbritannien und Tschechien) gen die dadurch entstehenden neuen Haushaltslöcher außerhalb der EU-Verträge vereinbarte Fiskalpakt; die muss nach den EU-Regeln mit erneuten Kürzungen EZB-Politik einer geldpolitischen Lockerung, Pläne für angespart werden. Kurzfristig sinken so zwar die jährli- eine Bankenunion, die im ersten schon beschlossenen chen Haushaltsdefizite. Weil das BIP schrumpft, steigt Schritt der EZB die Aufgabe übertrugen, „systemrele- aber der Anteil der öffentlichen Gesamtverschuldung vante Banken“ in der Eurozone zu überwachen und not- (z.B. 2008 – 2012 von 110,7 % auf 153,2 % des BIP falls abzuwickeln. in Griechenland, von 71,6 % auf 112,4 % des BIP in Portugal). Die Krise der Staatsfinanzen wird so weiter Mit Wirtschaftsregierung im Sinne Oskar Lafontaines angeheizt. hat der von der EU eingeschlagene Weg nichts zu tun. Die EU Economic Governance ist eine „stille Re- Neoliberale Strukturreformen sollen die EU-Wirtschaft volution“ (Kommissionspräsident Barroso) – eine Wirt- wieder dynamischer machen und Wachstum bringen. schaftsregierung für abermals verschärfte neoliberale Weitere Reformen des EU-Binnenmarkts sollen vor Reformen. allem die Dienstleistungen noch mehr liberalisieren und Vorschriften für Unternehmen abbauen. Die Re- Finanzielle Stabilität wurde aus Sicht der EU wieder gierungen verlängern Arbeitszeiten, kürzen Renten, hergestellt, indem man private Unternehmen und Ban- Bildungsetats und Sozialleistungen, erhöhen das Ren- ken durch Milliardenhilfen aus Steuermitteln vor dem teneintrittsalter, verkleinern den öffentlichen Dienst und realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
Kritik der real existierenden EU-Politik das Gesundheitswesen und privatisieren fast alles, was genzug für Kreditzusagen verpflichten, detaillierte Auf- nicht niet- und nagelfest ist. Entsprechende Politikem- lagen zur Strukturanpassung umzusetzen. Ihre Parla- pfehlungen der EU finden sich zuhauf in den Leitlinien mente verloren dabei weitgehend ihre demokratische zur Europa-2020-Strategie, im EuroPlusPakt, den län- Souveränität in Fragen der Fiskal-, Wirtschafts- und derspezifischen Empfehlungen des Rats im Rahmen Sozialpolitik. des Europäischen Semesters usw. Sie werden von der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten auch umgesetzt. Wo solche direkten Eingriffsmöglichkeiten noch fehlen, hilft der Appell an das „ständige Plebiszit der globalen Fragen des Entgelts und der Tarifverhandlungen sind Märkte“ (Bundesbankchef Tietmeyer 1998). EU-Kom- zwar explizit vom Anwendungsbereich der EU-Verträge mission, EZB, die deutsche Regierung usw. stellten die ausgenommen. Die EU Economic Governance macht Wirtschafts- und Finanzpolitik einiger Mitgliedstaaten aber Vorgaben dazu. Lohnfindungsprozesse sollen stär- öffentlich an den Pranger. So erzwang z.B. die Reak- ker dezentralisiert, d.h. Tarifverhandlungen z.B. mehr tion der Finanzmärkte Expertenregierungen ohne de- auf die betriebliche Ebene verlagert werden. In den mokratische Neuwahlen in Griechenland (Papademos) EU-Ländern unter Kontrolle der Troika wurden Mindest- und Italien (Monti). Demokratische Wahlen (siehe zuvor löhne gekürzt, Tarifverträge komplett ausgehebelt und z.B. Irland, Portugal, Spanien und später z.B. Griechen- neue Regelungen eingeführt, die es z.B. Betriebsräten land, Italien, Slowenien, Frankreich) bringen keine Ab- (Spanien, Portugal) oder „Vereinigungen von mehr als kehr vom Austeritätskurs, denn die Parteien sowohl des 20 Arbeitnehmern“ (Griechenland) ermöglichen, Tarif- Mitte-Rechts wie des Mitte-Links-Spektrums vertreten verträge zu schließen.2 wirtschaftspolitisch im Prinzip das gleiche Programm. Egal wird, welcher Block am Ende regiert. EZB-Chef Die EU Economic Governance organisiert so in erster Mario Draghi hat daher im Grunde Recht: Das soziale Linie ein Programm des „Klassenkampfs von oben“: Europa ist mausetot. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Bevölke- rungsgruppen, die auf sozialstaatliche Leistungen an- gewiesen sind, werden enteignet und vormaliger so- ___ zialstaatlicher Rechte beraubt, um Finanzmärkte und 1 Oskar Lafontaine in seiner Rede auf dem 2. Bundesparteitag der Unternehmen wieder aufzupäppeln. LINKEN in Rostock am 15. Mai 2010. 2 Das Europäische Gewerkschaftsinstitut hat hierzu Studien und Dies bedeutet auch das Ende der Demokratie wie wir Länderberichte erstellt. Sie können unter folgenden Link im Internet sie kannten. Offensichtlich ist dies bei den EU-Ländern abgerufen werden: www.etui.org/Publications2/Working-Papers/ unter Kuratel der Troika (z.B. Lettland, Ungarn, Rumä- The-crisis-and-national-labour-law-reforms-a-mapping-exercise. 11 nien, Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Zypern, demnächst wohl Slowenien). Sie mussten sich im Ge- Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
Kritik der real existierenden EU-Politik Widerstand gegen Jugendarbeitslosigkeit Für eine Perspektive für Jugendliche in Europa plädieren Jules El-Khatib, Daniel Kerekeš, Jasper Prigge Seit Beginn der Krise des Kapitalismus 2008 spitzt Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern ge- sich die Situation auf den Arbeitsmärkten Europas ins- gen die Peripherieländer. Dieses Auseinanderdriften besondere im Süden des Kontinents immer weiter zu. In bedeutet eine Gefahr für die an sich gute Idee eines Griechenland und Spanien haben mehr als 50 Prozent geeinten Europas, die mit der EU nur unzureichend um- der Bevölkerung unter 25 Jahren keinen Job - in zehn gesetzt wird. Die Folgen sind politische Ohnmachtsge- weiteren europäischen Ländern wie Italien, Portugal, fühle und das Erstarken neofaschistischer Kräfte, die Zypern und Slowenien sind mehr als 20 Prozent der mit ihrer pseudo-antikapitalistischen Kritik vor allem ver- Jugendlichen und jungen Erwachsenen erwerbslos. Die suchen Jugendliche anzusprechen. 12 hohe Jugendarbeitslosigkeit kostet die EU jährlich 75 Milliarden Euro; hinzu kommt ein Vermögensverlust von Antikapitalistischer Widerstand 223 Milliarden Euro bei den Betroffenen. Während die Menschen im Süden der EU und in Irland auch als Antwort auf die neofaschistische Gefahr auf Vor kurzem wurde durch die EU-Kommission ein Hilfs- die Straße gehen, Gewerkschaften zu Generalstreiks paket für Jugendliche geschnürt. Doch die verspro- aufrufen und linke Parteien die Spardiktate ablösen chenen 45 Milliarden Euro sind wie schon der 2012 wollen, ist es Zeit, dass deutsche Aktivist*innen auch verabredete „Wachstumspakt“ nur eine Mogelpackung. mit Aktionen deutlich machen, dass sie die Troika-Poli- Um genug Arbeit für alle jungen Menschen zu schaf- tik ablehnen. Die Blockupy-Proteste stellen auch 2014 fen, muss die Kürzungspolitik gestoppt werden. Nötig den entscheidenden Aktionstagen in Deutschland für ist zudem ein massives Investitionsprogramm, das zu- antikapitalistischen Widerstand gegen die Kürzungspo- kunftsfähige Arbeitsplätze in den jetzigen Krisenländern litik dar. Die Linksjugend [‘solid] wird Blockupy 2014 schafft. Ohne einen radikalen Kurswechsel bleibt die erneut bestmöglich unterstützen. Auch die Solidarisie- EU ein Projekt, das für die Jugend Europas vor allem rung mit den Generalstreiks in den Krisen-Staaten bie- Verarmung und Perspektivlosigkeit bedeutet. Politisch tet die Möglichkeit zu internationaler Zusammenarbeit steht ein wirtschaftliches und politisches Zentrum mit und einer gemeinsamen linken Perspektive. Die Wahl von Alexis Tsipras zum Spitzenkandidaten der Europäischen Linken (EL) ist ein wichtiger Schritt zu einer gemeinsamen linken Kampagne gegen die Troika-Politik. Sie kann der Startpunkt für eine breite- re Bewegung für einen Neustart eines gemeinsamen Europa sein. Ein Neustart, der mit der Kürzungspolitik bricht, alle Maßnahmen der Troika zurücknimmt und die Eigentumsfrage als einen zentralen Punkt der Ausein- andersetzung erkennt. Eine solche Europäische Linke kann im Bündnis mit Gewerkschaften und sozialen Be- wegung deutlich machen, dass nationalistische Parolen keine Alternative bieten, ein Bruch mit dem Kapitalis- mus notwendig und internationalistische Solidarität un- erlässlich ist, um der Jugend Europas eine Perspektive zu geben. realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
Kritik der real existierenden EU-Politik eIntrIttserKlärung Hiermit erkläre ich meinen Eintritt in die Linksjugend ['solid] e.V.. Ich er- kenne die Satzung und die politischen Grundsätze des Jugendverbandes an. In meinem Mitgliedsbeitrag ist der Bezug der Verbandszeitung und regelmäßiger Infos enthalten. Der monatliche Mindestbeitrag der aktiven Mitglieder von Linksjugend ['solid] beträgt grundsätzlich 1 € als Mindestbeitrag für Nichtver- dienerInnen und 2 € als Mindestbeitrag für Nettoeinkommen bis 500 €. Bei Nettoeinkommen bis 1.000 € beträgt der Mindestbeitrag 4 €. Bei Nettoeinkommen bis 1.500 € beträgt der Mindestbeitrag 10 €. Bei höheren Einkommen beträgt der Mindestbeitrag 15 €. Aktive Mitglieder, die MandatsträgerInnen auf Landes-, Bundes- oder Europaebene sind, zahlen mindestens 25 € angaBen zur PersOn m Herr m Frau Vorname* Name* Geburtsdatum* Straße und Hausnummer* PLZ und Wohnort* Bundesland* Ich BIn MItglIed der ParteI dIe lInKe. Telefonnummer* Email* m ja m nein Ort, Datum und Unterschrift* 13 Ich Möchte aKtIv werden BeI: Ich zahle m bequem per Lastschrift meinen Mitgliedsbeitrag in Höhe von € (nach Selbsteinschätzung; Mindestbeitrag: 1,00 €) m Hiermit ermächtige ich die Linksjugend ['solid] bis auf Widerruf, die von mir zu entrichtenden Mitgliedsbeiträge monatlich zu Lasten des oben genannten Kontos per Lastschrift einzuziehen. m Meinen Mitgliedsbeitrag zahle ich bar bzw. per Dauerauftrag KleIngedrucKtes Die Angaben dienen der Nach- weisführung und der statistischen Auswertung der Mitgliederent- wicklung sowie der Verbesserung der Kommunikation. Sie werden Kontoinhaber* in der Bundesgeschäftsstelle, den Landesverbänden und in den Glie- derungen des Vereins Linksjugend ['solid] e.V. entsprechend den Be- stimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) gespeichert, Kontonummer* Bankleitzahl* verarbeitet, übermittelt und aufbewahrt. Geldinstitut* m Ich erkläre dazu mein Einverständnis. *Felder müssen ausgefüllt werden Ort, Datum und Unterschrift* (für Erteilung der Einzugsermächtigung bis auf Widerruf) KOntaKt& Fragen Linksjugend ['solid] Bundesgeschäftsstelle | Mitgliederbetreuung | Kleine Alexanderstr. 28 | 10178 Berlin tel: 030 - 24 009 132 | fax: 030 -24 009 326 | mail: mitglieder@linksjugend-solid.de oder info@linksjugend-solid.de Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
Wie weiter mit Europa? Linke Debatte Interview „SYRIZA als Vorbild: Konsequent an den politischen Alternativen arbeiten“ Über politische Strategien von Parteien und Gewerkschaften in der Eurokrise sprachen wir mit dem Gewerkschafts- und Arbeitsmarktforscher Steffen Lehndorff . 14 r+r: Wie wird die Eurokrise in den Mitgliedslän- sich diese nationalen Eliten genau anschauen. In Spa- dern diskutiert? Was erwartet man? Ein weiteres nien z.B. regiert jetzt die Volkspartei (Partido Popular, „sich Durchwurschteln“ durch die Krise, einen PP), deren Wurzeln teilweise noch in die Franco-Zeit Kollaps, ein Kerneuropa oder eine „vervollstän- zurückreichen. Die PP setzt ein in jeder Hinsicht reak- digte“ Fiskalunion? tionäres Programm durch, für das sie unter „normalen“ Steffen Lehndorff: Ich denke, dass auf EU-Ebene ge- Umständen niemals eine Mehrheit gefunden hätte. Das- genwärtig ein „Durchlavieren“ stattfindet, allerdings auf selbe Grundmuster findet sich in Griechenland und der Basis eines knallharten neoliberalen Programms, Portugal. Es gibt sicherlich große Unterschiede in der also der Schwächung des Sozialstaats und der Dere- jeweiligen Rolle von Sozialdemokratie und radikaleren gulierung von Arbeits- und Produktmärkten. Auf den na- Linken zum Beispiel zwischen Spanien und Griechen- tionalen Ebenen gibt es zum einen die klare Dominanz land, aber das Verhalten der Eliten ist sehr ähnlich. Was des neoliberalen Kurses in den „Programmländern“, die den Umbruch der Strukturen angeht, ist Spanien sogar unter Kuratel der Troika stehen, sowie in Spanien, aber bemerkenswerter als Griechenland, weil dort jahrzehn- auch (gewissermaßen aus freien Stücken) in Großbri- telang etablierte soziale Kompromissstrukturen aufge- tannien. In den anderen Ländern ist der Einfluss eher brochen werden - mit unabsehbaren sozialen Folgen. mittelbar und macht sich durch die „Europa 2020“-Stra- tegie, das sogenannte Europäische Semester und den Gibt es denn auch Widersprüche im „bürgerli- Fiskalpakt, bemerkbar. Aber vor allem die Krisenländer chen Lager“ der Krisenländer? In Deutschland ähneln sich im Grundmuster. erleben wir mit dem Rausflug der FDP aus dem Bundestag und der AfD-Gründung gerade eine Welches Muster meinst Du? „Neusortierung“ bürgerlicher Parteien. Die herrschenden Eliten dort sind selbst politisch zu Es gibt durchaus auch Gegensätze. In Portugal etwa schwach für einen knallharten neoliberalen Kurs und treten sie auf zwischen dem Präsidenten Silva und dem nutzen die Troika, um eine Politik zu machen, die sie Ministerpräsidenten Coelho, die beide der konservati- alleine nie durchsetzen könnten. Allerdings werden sie ven PSD (Partido Social Democrata) angehören, weil dadurch selbst zum Instrument der Troika, was ihnen der Präsident stärker auf die Wahrung des sozialen bei Protestdemonstrationen deutlich gemacht wird. Sie Friedens bedacht ist. In Spanien treten Spannungen im sind sozusagen „Treiber und Getriebene“. Man muss Hinblick auf die Autonomiebestrebungen der Regionen realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
Wie weiter mit Europa? Linke Debatte auf, vor allem bei der katalanischen Bourgeoisie. Ange- einem Notprogramm. Doch nach der Räumung durch la Merkel sagte bei einem der letzten Weltwirtschafts- die Polizei am 7. November blieb es offenbar erstaunlich gipfel in Davos, dass für „Strukturreformen“ Druck ge- ruhig. braucht werde. Was das bedeutet, können wir heute in den Krisenländern sehen. Durch seine Konstruktion Einen vergleichbaren kometenhaften Aufstieg wirkt der Euro für jedes Mitgliedsland wie eine Fremd- hat sonst nur die „Fünf Sterne“-Bewegung von währung und die Staaten konkurrieren miteinander, als Beppe Grillo in Italien hingelegt. Manche speku- ob es Unternehmen wären. Politischer Druck wird so lieren schon, ob sie sich im Europäischen Parla- durch vermeintliche Marktzwänge untermauert. Aber ment der Linksfraktion GUE/NGL anschließen. hier können Widersprüche auftreten, denn Akteure wie Wie schätzt Du sie ein? die spanische PP möchten sich nicht auf Dauer durch Ich denke, dass die Eurokrise auch eine Rolle bei ihrem die EU-Kommission oder die deutsche Bundesregie- schnellen Aufstieg gespielt haben mag. Aber in erster rung „hineinregieren“ lassen. Linie ist diese Bewegung ein Ausdruck der tiefen Kri- se des politischen System Italiens. Die Ära Berlusconi Wie siehst Du die politische Linke aufgestellt? (2001-2006, 2008-2011) war gleichbedeutend mit ei- Kann sie allgemein davon profitieren? ner erheblichen Entpolitisierung und einer beschleunig- Die kapitalismuskritische Linke in Europa ist bislang mit ten Zerrüttung des politischen Systems. Beppe Grillo Ausnahme Griechenlands nicht stärker geworden, da- besetzt mit seiner „Anti-Politik“ eine Lücke, die auch die her können die Risse im bürgerlichen Lager in diesen politische Linke hinterlassen hat. Es hat so viele Spal- Ländern wahrscheinlich erfolgreich gekittet werden. In tungen, Verrenkungen und Eitelkeiten gegeben von den Griechenland finden die Abspaltungen eher bei den Ko- Gruppen, die aus der Erbmasse der kommunistischen alitionspartnern der konservativen ND (Nea Dimokratia) Partei (PCI, Partito Comunista Italiano) entstanden statt, also der Partei von Ministerpräsident Samaras. Vor sind. Zwischenzeitlich hat die Fünf Sterne-Bewegung allem die sozialdemokratische PASOK ist inzwischen in auch wieder Niederlagen eingefahren. Geschadet hat der Wählergunst fast marginalisiert. SYRIZA ist die ein- ihnen wahrscheinlich auch ihr widersprüchliches Auf- zige linke Partei in Europa, die es geschafft hat, in den treten. Sie geben sich einerseits „netzdemokratisch“, Umfragen und Wahlergebnissen an die Mainstream- tatsächlich werden sie aber autoritär von Beppe Grillo Parteien heranzukommen. Der Zuspruch zu SYRIZA kontrolliert. Zudem sind die „Fünf Sterne“ weit entfernt ist sicherlich nicht allein Zustimmung zu ihrem linken davon, politische Alternativen zu formulieren. Sie sind Programm, sondern auch Ausdruck von Protest, Ver- zwar Ausdruck von Protest, aber wenn sie es dabei be- zweiflung und nackter Not angesichts der dramatisch lassen, wird sie das nicht weit bringen, ähnlich wie die verschlechterten Zustände in Griechenland. Sicherlich PIRATEN in Deutschland. 15 wird in einer solchen Situation selbst das beste linke Programm nur unvollständig zur Kenntnis genommen. Kann man überhaupt von einem gemeinschaftli- Das ist natürlich auch problematisch, denn Verzweiflung chen Auftreten, von einer „Strategie“ der kapita- kann sehr schnell in Resignation umschlagen, und das lismuskritischen Linken in Europa sprechen? wäre das Aus für die politische Linke in Griechenland. Bei den wichtigen linken Parteien gibt es durchaus star- Das lässt sich anhand des abgeschalteten früheren ke Gemeinsamkeiten, vor allem in der Bewertung der staatlichen Rundfunksenders ERT (Elliniki Radiofonia Krisenpolitik. Spannender wird es hinsichtlich der Alter- Tileorasi) beobachten. Zuerst gab es einen heftigen Widerstand mit Besetzung gegen die Schließung mit Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
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Wie weiter mit Europa? Linke Debatte nativen: Geht die Gemeinsamkeit über Verlautbarungen Du hast die Gewerkschaften als wichtige Akteu- hinaus? Das in Arbeit befindliche Regierungsprogramm rinnen angesprochen. Viele Linke beklagen, dass von SYRIZA tut das meines Wissens tatsächlich und es kein abgestimmtes Vorgehen europäischer versucht ernsthaft Voraussetzungen für einen neuen, Gewerkschaften in der Lohnpolitik gegeben hat. sozialen und ökologischen Entwicklungspfad für Grie- Die Diskussion um Koordinationsschwierigkeiten unter chenland zu formulieren. Das betone ich, weil es auch europäischen Gewerkschaften ist sicherlich berech- für uns relevant ist. Denn: Im „Marshallplan für Europa“- tigt, sie hat aber auch etwas künstliches. Der größte Vorschlag des DGB wird richtigerweise sinngemäß „Ausreißer“ bei der Lohnentwicklung war eindeutig gesagt: „Wir können nicht FÜR EUCH (d.h., die Politik Deutschland. Allerdings nicht, weil die Gewerkschaften in den jeweiligen Mitgliedstaaten) Pläne für Investitions- das gewollt hätten. Ursächlich war vielmehr, dass das programme für Eure Länder ausarbeiten. Das könnt Ihr traditionellen „Geleitzug“-Prinzip bei Tarifverhandlungen nur selbst“. wegen der Blockade der Allgemeinverbindlichkeitser- Soweit ich weiß, hat bislang nur der italienische Ge- klärung von Tarifverträgen durch die deutschen Arbeit- werkschaftsbund CGIL (Confederazione Generale Ita- geberverbände ausgehebelt wurde. Zugleich haben die liana del Lavoro ) diese Frage (implizit) mit ihrem wirt- Steuersenkungen die Tarifentwicklung im öffentlichen schaftspolitischen Entwurf für „Arbeit in Italien“, der Dienst schwer belastet. Vor allem aber haben die sog. sich auch mit solch großen Problemen wie Korruption Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 diese Effekte und Ineffizienz des Staatsapparats auseinandersetzt, verschärft, so dass die Effektivlöhne weit hinter den Ta- beantwortet. Zudem hat das Forschungsinstitut der riflöhnen zurückgeblieben sind. Solange es in Deutsch- griechischen Gewerkschaften die Perspektivlosigkeit land diesen riesigen Niedriglohnsektor gibt, kann nicht des griechischen Wachstumsmodells der Vorkrisenzeit mehr ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass Tarif- schon kritisiert, als dieses noch von der EU-Kommission lohnerhöhungen tatsächlich zu höheren Effektivlöhnen bejubelt wurde, und arbeitet heute z.B. an regionalen führen. Entwicklungskonzepten. In Osteuropa ist die Situation noch viel schwieriger, dort Von den Parteien allerdings ist mir nur SYRIZA bekannt, haben die Gewerkschaften nur sehr geringen Einfluss. die sich mit dieser Ernsthaftigkeit auf die Gestaltungs- Sie leiden an einer geringen Tarifbindung und einem frage einlässt. Ich finde, es ist immer noch ein Defizit niedrigen Organisationsgrad. In Ungarn findet derzeit linker Parteien, dass sie nicht konsequent genug al- ein Frontalangriff der Regierung auf die Gewerkschaf- ternative wirtschaftliche, soziale und ökologische Ent- ten statt, in Rumänien geschieht Ähnliches schon län- wicklungspfade (um das Wort „Wachstumsmodelle“ zu ger. Diese Konstellationen sind noch immer Spätfolgen vermeiden) ausarbeiten und diskutieren. Meine spani- der Ablösung des Staatssozialismus nach 1989 und schen Kollegen zum Beispiel kritisieren in ihrem Beitrag der neoliberalen „Schockstrategien“, die darauf folgten. 17 zu meinem Buch dieses Manko mit Blick auf ihr Land Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung in Polen mit ausdrücklich. Nur wenn es konsequente Arbeit an alter- dem gemeinsamen Protest beider Gewerkschaftsver- nativen Entwicklungspfaden in den Krisenländern (und bände im September 2013 bemerkenswert und ermu- darüber hinaus) gibt, hat eine linke Reformstrategie auf tigend. EU-Ebene eine Chance. Man wüsste ja gar nicht, wo- Für mich zeigen diese sehr unterschiedlichen Entwick- hin die mit Hilfe von Eurobonds, Investitionsfonds u.ä. lungen, dass eine Fokussierung auf europäische Tarif- mobilisierten Mittel sinnvollerweise gehen sollten. Auf politik-Koordinierung zu eng ist. Genauso wichtig ist dieses Problem sollten Linke mehr Hirnschmalz verwen- die Auseinandersetzung um elementare institutionelle den, finde ich. Zum Beispiel gehen wichtige Anregun- Rahmenbedingungen für aktive Tarifpolitik in den ein- gen in diese Richtung von der europäischen Stiftung zelnen Ländern und die Durchsetzung eines europäi- transform!europe aus, die der Linken auf EU-Ebene na- schen Mindestlohns — natürlich nicht in gleicher Höhe hesteht. Aber ich bin mir nicht sicher, wie intensiv diese für alle Länder, sondern nach einer gemeinsamen For- Überlegungen in den Parteien der europäischen Linken mel. Ich halte es für wichtig, dass solche Fragen in der wahrgenommen werden. deutschen Linken ernster genommen werden. Denn Deutschland ist jetzt definitiv eine vorherrschende Kraft Aber waren nicht die Linken und kritische Wirt- in Europa, aber die Herrschenden in Deutschland wer- schaftwissenschaftlerInnen immer wieder in sol- den der damit verbundenen Verantwortung überhaupt chen Fragen Vorreiter? nicht gerecht. Für Linke ist der Blick über den Tellerrand Nach meinem vielleicht oberflächlichen Eindruck ist die deshalb unverzichtbar. Kritik an der herrschenden Politik in den meisten Län- dern deutlich stärker entwickelt als die Erarbeitung von Wir danken für das Gespräch. Alternativen, selbst dort, wo — wie in Frankreich — fort- schrittliche Ökonomen eine weitaus größere Rolle in der Öffentlichkeit spielen als insbesondere in Deutschland. Ich fände es gut, wenn in der europäischen Linken an einer Kultur gearbeitet würde, die es ermöglicht, lände- rübergreifend solche Schwächen offen anzusprechen, damit sie schneller überwunden werden können. Denn Hinweis: Im April 2014 erscheint im VSA-Verlag der die wechselseitige Abhängigkeit von Gewerkschaften Sammelband „Europa vor einem verlorenen Jahrzehnt?“ und Linken hat durch den Euro und die Dynamik der von Steffen Lehndorff mit zehn Länderstudien zu den Krise enorm zugenommen. Auswirkungen der Eurokrise. Das Debattenheft der Sozialistischen Linken
Wie weiter mit Europa? Linke Debatte Gegen die Austerität in Europa – kämpfen wir für einen anderen Euro! Die Forderung nach einem EURO-Ausstieg ist eine Flucht vor einer Neuausrichtung der Politik der EZB sagen Paul Boccara, Frédéric Boccara, Yves Dimicoli, Denis Durand, Jean- Marc Durand und Catherine Mills Die Wut gegen die Austerität wächst überall in Europa hen. Aus fünf gewichtigen Gründen handelt es sich da- und klagt das Versagen der politischen Entscheidungs- bei um eine demagogische und gefährliche Illusion. träger an, die nacheinander die Unterordnung unter die Forderungen der Finanzmärkte fordern. Die Arbeitslo- 1. Der Außenhandel Frankreichs leidet unter einem 18 sigkeit wütet und trifft auf brutale und massive Weise jährlichen Defizit von 60 bis 70 Milliarden Euro. Die junge Menschen. Rückkehr zum Franc, die mit einer Abwertung in einer Das schreckliche gesellschaftliche Leid gibt Illusionen Größenordnung von 25% im Verhältnis zum Euro ein- von trügerischer Radikalität Nahrung. Einerseits ist herginge, würde automatisch eine Verteuerung unserer steht eine Mehrheit dagegen, aus dem Euro auszustei- Importe in gleicher Höhe nach sich ziehen. gen, wie es die Griechen selbst bestätigt haben. Es geht nicht darum, sich vereinzelt den Finanzmärkten und 2. Das sei nicht so schlimm, sagt man uns daraufhin, der entfesselten Spekulation auszusetzen. Andererseits weil dank Abwertung des Franc unsere Exporte schlag- dröhnt der Protest gegen die Anwendung des Euro, die artig zunähmen. Aber das ist kaum abzusehen, wo doch so deutlich zugunsten der Herrschaft der Finanzmärkte überall auf absehbare Zeit das Wachstum gedrosselt und der großen Banken ausfällt. Daraus folgt für einige bleiben wird. Man übersieht dabei, wie der davon er- der Vorschlag, aus dem Euro auszusteigen. hoffte Anstieg preislicher Wettbewerbsfähigkeit franzö- François Hollande betont wiederholt, die Eurokrise sei sischer Exporte auf Kosten unserer südeuropäischen beendet. Diese Einschätzung ist genauso fehlgeleitet Nachbarländer ginge. Deutschland hingegen sähe sei- und trügerisch wie das Versprechen, bis Ende 2013 bei nen Außenhandelsüberschuss erhöht, weil die Abwer- der Arbeitslosigkeit in Frankreich die Wende zu schaf- tung der französischen Erzeugnisse die Importe seines fen. wichtigsten Handelspartners verbilligt. Und all dies in Bei ihm, der schließlich versprochen hatte, dass er „im einem Umfeld entfesselter Spekulation. Kurz: Es wäre Falle (seiner) Wahl zum Präsidenten“ den Fiskalpakt das schlimme Überbietungsszenario von Abwertungs- von Merkozy „nachverhandeln“, „die EZB neu ausrich- wettläufen und Vergeltungszöllen, in dem sich die eu- ten“, die Finanzmärkte als seinen „Gegner“ angehen ropäischen Länder gegenseitig zerreißen. Stattdessen und „das Wachstum verteidigen“ wollte, ist die Verleug- muss die Austeritätspolitik infrage gestellt werden, mit nung all dessen umso schädlicher, als Frankreich, zu- einem Kampf um eine fortschrittlich, soziale Wachstum- gleich herrschend und beherrscht, ein Weichensteller spolitik, die ein anderer Euro und eine andere, solidari- ist, um die Eurozone zu verwandeln. Hollande beugt sche Anwendung der EZB ermöglichen würden. sich den Forderungen Angela Merkels und der deut- schen Finanzwelt und beteuert zugleich, französischen 3. Unsere Staatsschuld wurde seit den 1980ern stark Interessen zu vertreten. internationalisiert. Heute wird sie zu 60% von nicht hier Angesichts dieser Hindernisse bemühen einige den ansässigen Marktteilnehmern gehalten sowie Banken, Vorschlag, aus dem Euro auszusteigen. Das bedeutete Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds…. Die aber letztlich, sich dem entscheidenden Kampf um eine Rückkehr zum Franc zöge automatisch eine Verteu- anderen Anwendung des Euro und der EZB zu entzie- erung von 25% der 1140 Milliarden Euro Schuldtitel realistisch und radikal - Nr.3 - 1. Quartal 2014
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