Die Marktstruktur der Restab-fallentsorgung in Nordrhein-Westfalen - Rhein-Ruhr-Institut ...
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RISP Policy Paper Die Marktstruktur der Restab- fallentsorgung in Nordrhein- Westfalen Eine Bestandsaufnahme Policy Paper des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung e.V. (RISP) an der Universität Duisburg-Essen Prof. Dr. Nicolai Dose/Matthias Reintjes, M.A. 01/2018
Autoren: Prof. Dr. Nicolai Dose Matthias Reintjes, M.A. Impressum: Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung e.V. (RISP) Heinrich-Lersch-Str. 15 D-47057 Duisburg www.risp-duisburg.de ISBN 978-3-9810056-8-4 Das hiermit vorgelegte Policy Paper ist im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Wettbewerbsentwicklung des Ent- sorgungssektors in Nordrhein-Westfalen – Chancen und Risiken für den Gebührenzahler“ in Zusammenarbeit des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung e.V. (www.risp-duisburg.de) mit der Schönmackers Um- weltdienste GmbH & Co. KG (www.schoenmackers.de) entstanden.
Zusammenfassung Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen Eine Bestandsaufnahme Die Kreislaufwirtschaft ist mittlerweile ein hochregulierter Wirtschaftsbereich, der vielfältigen Spannungsfeldern ausgesetzt ist. Er soll ökologischen wie ökonomischen Anforderungen genü- gen und bewegt sich zwischen privater und öffentlicher Leistungserbringung. In dem vorliegen- den Beitrag argumentieren wir in weitgehender Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur, dass die derzeitige Marktsituation durch eine Schieflage zugunsten kommunaler Entsorger ge- kennzeichnet ist. Dabei ist die Entsorgung in kommunaler Eigenregie nicht immer die kosten- günstigste Lösung. Da die Kommunen die Kosten jedoch auf den Gebührenzahler überwälzen können, ist der Anreiz gering, über Veränderungen nachzudenken. Allerdings stehen diese auch unter Druck, einmal aufgebaute Verbrennungskapazitäten weiterhin auszulasten. Wir legen dar, dass es in manchen Fällen kostengünstiger sein könnte, von den mittlerweile am Markt stark gefallenen Verbrennungsentgelten zu profitieren. Hierzu müssten die Kommunen als Entsor- gungsträger entsprechende Verträge mit privaten Entsorgern abschließen. Auch die Bürger könn- ten hiervon profitieren, sofern die Kostenvorteile in Form von niedrigeren Müllgebühren weiter- gegeben würden. Abstract The Market Structure of Waste Management in North Rhine-Westphalia: A Stocktaking The recycling economy is a highly regulated sector underlying multiple tensions. Not only has it to meet ecological and economic requirements, but it is also denoted by both private and public supply of service. In this paper, we argue in line with a wide section of the literature that the market situation is characterized by an unbalance in favour of the public disposer. However, pub- lic waste management is not always the most cost-efficient business. Since public disposers can pass the costs to the fee-paying citizen, they do not have any incentives to consider new solu- tions. Moreover, they are under pressure to make full use of their capacities for waste incinera- tion, which they have developed some time ago. We show that in some cases it is better to ben- efit from the low costs that can be drawn on the market for waste incineration. To this end, the local authorities have to make use of the possibility to enter a preferable contract with one of the private disposers. Also, citizens as fee-payers could benefit if the cost advantages are passed to them in the form of lower charges.
1. Inhalt 1. Einführung in die Kreislaufwirtschaft ....................................................................................... 1 1.1. Spannungsfelder der deutschen Kreislaufwirtschaft.................................................................. 4 1.2. Institutioneller Rahmen der Kreislaufwirtschaft und die Folgen ................................................. 8 1.3. Allgemeine Entwicklung des Marktes für kommunale Restabfälle ............................................ 10 1.3.1. Schieflage bei der Verteilung des Marktes zwischen kommunalen und privaten Erbringern .... 14 1.3.2. Entwicklung der thermischen Behandlungskapazitäten und der Verbrennungsentgelte ......... 16 1.3.3. Neuvergaben als Chance für den Gebührenzahler................................................................ 20 2. Die Kreislaufwirtschaft in Nordrhein-Westfalen...................................................................... 23 2.1. Positionierung Nordrhein-Westfalens im Bundesländervergleich............................................. 24 2.2. Die Marktverteilung zwischen kommunalen und privaten Erbringern in Deutschland und Nordrhein-Westfalen............................................................................................................ 26 2.3. Entsorgungsrhythmen und Preisstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen ..... 28 3. Zusammenfassung und Fazit ................................................................................................. 32 Literatur .......................................................................................................................................... 35
Abbildungen Abbildung 1: Zuständigkeiten der Kreislaufwirtschaft ........................................................................... 2 Abbildung 2: Geschätzte Anzahl künftiger Ausschreibungen der Restabfallentsorgung ......................... 10 Abbildung 3: MVA-Standorte in Deutschland ..................................................................................... 16 Abbildung 4: Behandlungskapazitäten in Deutschland ........................................................................ 17 Abbildung 5: Preisentwicklung der Verbrennungsentgelte .................................................................. 18 Abbildung 6: Umsatz der Kreislaufwirtschaft in 2014 .......................................................................... 24 Abbildung 7: Entsorgungsrhythmen und Gebühren in 2016 ................................................................ 28
Abkürzungen BDE Bundesverband der Kreislauf- und Ressourcenwirtschaft BdSt NRW Bund der Steuerzahler NRW BImSchV Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen DICE Düsseldorf Institute for Competition Economics EBS-Kraftwerk Ersatzbrennstoffkraftwerk EU Europäische Union KrWG Kreislaufwirtschaftsgesetz MBA Mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlage MBS Mechanisch-biologische Stabilisierungsverfahren MPS Mechanisch-physikalische Stabilisierung MVA Müllverbrennungsanlage MHKW Müllheizkraftwerk NRW Nordrhein-Westfalen PPP Public-Private-Partnership WDR Westdeutscher Rundfunk örE öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger
1 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen die Erfassung und der Transport als auch die 1. Einführung in die Kreislaufwirtschaft Verwertung der Abfälle grundlegend verän- Die deutsche Kreislaufwirtschaft ist heute dert und weiterentwickelt (BDE et al. 2016: eine hochregulierte sowie technisch ausdif- 1). ferenzierte Branche, die sich in den letzten Neben den politischen Zielvorgaben prägen Jahrzehnten von der klassischen Müllabfuhr aber auch die konjunkturellen und sozio- hin zu einer modernen Wertstoffmanage- ökonomischen Entwicklungen das Konsum- ment- und Kreislaufwirtschaft entwickelt und Entsorgungsverhalten der Bevölkerung hat. Dabei durchlebte die deutsche Kreis- sowie ein europäisch vernetzter Entsor- laufwirtschaft in den letzten Dekaden meh- gungsmarkt die deutsche Kreislaufwirt- rere Paradigmenwechsel. Maßgeblich für schaft. Dazu formuliert beispielhaft Laufs: diese Entwicklung waren vorrangig rechtli- che Vorgaben sowie gesellschaftliche Ent- „Die Abfallverwertung ist ein dynami- wicklungen (Gäde-Butzlaff 2013: 118). scher Prozess, der neben den abfallrecht- lichen Rahmenbedingungen von unbe- Seit Mitte der 1970er Jahre dominiert in ständigen Einflussgrößen wie Rohstoff- Deutschland der vorsorgende Umwelt- und Energiepreisen, Abnehmer- und schutz die Branche und das gesamte Politik- Konsumentenverhalten sowie Technolo- feld. Die Vermeidung und die angemessene gieentwicklungen gesteuert wird“ (Laufs Verwertung von Abfall – zum Schutz der Ge- 2010: 4). sundheit von Menschen und Naturgütern – sind die vorherrschenden politischen Ziele Die deutsche Kreislaufwirtschaft umfasst jeder regulierenden Gesetzgebung des Be- alle mittelbaren und unmittelbaren Tätig- reichs (Laufs 2010: 1). Die hohe Entwick- keiten, die mit dem Vermeiden, Verringern lungsdynamik der Kreislaufwirtschaft wurde und Verwerten von Abfällen jeglicher Art zu dabei ganz maßgeblich durch die politischen tun haben. Ziele des Gesetzgebers erzeugt und geprägt Wie in Abbildung 1 verdeutlicht, sind we- (Kranert/Cord-Landwehr 2010: VI-VII). sentliche Zuständigkeiten der Kreislaufwirt- Durch politische Vorgaben sowie moderne schaft auf die abfallentsorgenden Unter- technische und ökologische Anforderungen nehmen, den Verbraucher und die Industrie hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl als Abfallverursacher sowie verschiedene
2 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen staatliche Stellen als Gesetzgeber und öf- gesamte technische Bereich der Kreislauf- fentlich-rechtliche Entsorgungsträger ver- wirtschaft wie Anlagen- und Fahrzeugtech- teilt. Der Verbraucher ist verpflichtet, die nik etc. sind ebenso wichtige, wenngleich häuslichen Restabfälle den öffentlich-recht- nicht immer im Fokus stehende Bereiche lichen Entsorgungsträgern (zumeist Städte der Kreislaufwirtschaft (BDE et al. 2016: 14). und Gemeinden) zu überlassen, während Auf staatlicher Seite lassen sich grob drei die Industrie zur eigenständigen Entsorgung Zuständigkeitsbereiche identifizieren. Auf nach dem Verursacherprinzip verpflichtet der einen Seite sind hier die supranationa- ist. Die Abfallwirtschaft, welche sich in pri- len und nationalen staatlichen Stellen zu vate und kommunale Anbieter aufteilt, ist nennen: Die Europäische Union (EU), wel- für das ordnungsgemäße Sammeln und Be- che insbesondere durch die Abfallrahmen- fördern der Abfälle, das anschließende Re- richtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) und die cycling zur Gewinnung von Sekundärroh- damit implementierte fünfstufige Abfallhie- stoffen oder die energetische Verwertung rarchie die strategischen abfallpolitischen des Abfalls durch Müllverbrennungsanlagen Ziele bestimmt. Dann Bund und Länder, (MVA), Müllheizkraftwerke (MHKW) oder welche diese Vorgaben durch umfangreiche Biogasanlagen zuständig (Ba- Abfallgesetze weiter konkretisieren, sowie taille/Steinmetz 2014: 2). Der Großhandel zuletzt die Landkreise und Kommunen, wel- mit Abfällen und Altmaterialien sowie der Abbildung 1: Zuständigkeiten der Kreislaufwirtschaft Quel le: Prognos AG, zi tiert nach BDE et al. 2016: 4.
3 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen che als öffentlich-rechtliche Entsorgungs- träger für die Entsorgung privater Hausab- fälle verantwortlich sind. In der jüngsten Vergangenheit verschwim- men zunehmend die Grenzen zwischen der Entsorgung von Abfällen und der Energie- versorgung (insbesondere Strom und Wärme), so z. B. im Bereich der Biogasanla- gen oder der Müllheizkraftwerke (Kuhn 2017: 5).
4 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 1.1 Spannungsfelder der deutschen Kreis- stärkt (Laufs 2010: 2). Das Spannungsver- laufwirtschaft hältnis zwischen Ökologie und Ökonomie Die deutsche Kreislaufwirtschaft entwickelt wird also maßgeblich durch einen gesetzli- sich innerhalb zweier Spannungsfelder, die chen Regelungsrahmen aus EU-, Bundes- insbesondere durch die rechtlichen Institu- und Landesvorschriften austariert, der zum tionen auf der einen und das Spiel der heutigen Stand als durchaus umfangreich zu Marktkräfte auf der anderen Seite beein- beschreiben ist. So umfassen die aktuellen flusst werden: Abfallgesetzgebungen der Bundesebene Spannungsfeld Ökonomie und Ökologie. (die jeweiligen Landesgesetze nicht berück- sichtigt) samt amtlichen Begründungen be- Die ökologisch sinnvollste Entsorgung von reits fast 900 Textseiten.1 Abfällen ist nicht zwangsweise diejenige, welche die geringsten Kosten verursacht. Spannungsfeld private oder öffentliche Leis- Ein Beispiel: Die Ablagerung unbehandelter tungserbringung? Abfälle auf Deponien verursacht zuerst ein- Das Spannungsverhältnis rund um die mal (aufwendige Nachbehandlungen ausge- Frage, ob die Abfallentsorgung durch pri- schlossen) die geringsten Kosten, sodass vate oder kommunale Firmen erbracht wer- diese umweltschädliche Art der Entsorgung den sollte, ist ein historisch gewachsenes, nach Marktgesichtspunkten am attraktivs- da die Abfallentsorgung grundsätzlich zur ten erscheint. In Reaktion auf den Markt- öffentlichen Daseinsvorsorge gezählt wer- druck sah es der Gesetzgeber in den letzten den kann und diese auch historisch betrach- Jahrzehnten als seine Aufgabe an, einen sich tet2 stets ein strittiges Betätigungsfeld zwi- bis heute stets weiterentwickelnden Rah- schen öffentlichem und privatem Sektor men aus Rechtsvorschriften zu schaffen, der war (Halmer/Hauenschild 2014: 183). Viele, ökologische Aspekte der Abfallverwertung insbesondere große Kommunen unterhal- 1 Vgl. dazu beispielhaft: Abfallgesetze 2017. 2Vgl. exemplarisch zur historischen Entwicklung der Daseinsvorsorge in Deutschland auch Halmer/Hau- enschild 2014: 13–15; Libbe 2012: 21; Böckers et al. 2016: 8.
5 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen ten eigene Entsorgungsbetriebe in Form ei- ren ein gegenläufiger Trend [zur Privatisie- nes Kommunalunternehmens, und dies oft- rung] beobachten. Das wirtschaftliche Enga- mals seit mehr als hundert Jahren. gement der Kommunen steigt wieder deut- lich“. In den 1980er und 1990er Jahren kam es im Zuge der New-Public-Management-Bewe- Belegen lässt sich diese Einschätzung durch gung allerdings zu einer zunehmenden Pri- den in den letzten Jahren steigenden Anteil vatisierung und Liberalisierung der Kreis- von 36 % auf 46 % der durch kommunale laufwirtschaft, sodass vermehrt auch ge- Entsorger bedienten Gebietskörperschaf- werbliche Entsorger an der Abfallentsor- ten (Kassebohm 2017: 93). Da mehr als 80 % gung beteiligt wurden (Bundeskartellamt der Kommunen mit über 100.000 Einwoh- 2014: 14). nern in Eigenregie entsorgen, ist der Anteil In jüngster Vergangenheit ist hingegen ein der kommunal bedienten Privathaushalte sich verstärkender Trend hin zu einer Re- mit rund 62 % sogar noch deutlich höher Kommunalisierung der Abfallentsorgung und steigt nicht zuletzt aufgrund der positi- durch die Rückübertragung der Entsorgung ven demografischen Entwicklung der deut- auf bestehende kommunale Entsorgungs- schen Agglomerationsräume tendenziell unternehmen bzw. Zweckverbände oder entsprechende Neugründungen zu be- weiter an. Die kommunal erbrachten Ent- obachten. Der Privatisierungstrend ver- sorgungsleistungen sind infolgedessen zu- kehrte sich also in den vergangenen Deka- meist dauerhaft dem Markt entzogen (Kuhn den aus verschiedenen Gründen in sein Ge- 2017: 1). Für Bataille und Steinmetz (2014: genteil (Sack 2014: 341–343). Eine zuneh- 1) stellt sich die Lage weder ökonomisch ef- mende Zahl an Kommunen geht (erneut) fizient noch ökologisch vorteilhaft dar: dazu über, abfallwirtschaftliche Tätigkeiten in Eigenregie durchzuführen (Kuhn 2017: 1). „In Teilen der Entsorgungswirtschaft ist der Wettbewerb noch schwach ausge- In der Wahrnehmung des Bundeskartell- prägt. Im Bereich der Entsorgung von amts (2014: 4) lässt sich „insbesondere auf Haushaltsmüll dominieren oftmals ge- kommunaler Ebene […] in den letzten Jah-
6 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen bührenfinanzierte kommunale Unter- sche Debatte Staat vs. Markt alt und viel- nehmen den Markt. Die Rolle der Kom- schichtig ist (Schöneich 2007) und es ab munen als alleinige Leistungserbringer dem 19. Jahrhundert immer wieder Zyklen wurde zuletzt auch durch allgemeine Re- von Kommunalisierung und Privatisierung kommunalisierungstendenzen weiter ge- gegeben hat (Röber 2012: 82), so ist der ak- stärkt. Eine ökonomische Betrachtung tuelle Trend zur Rekommunalisierung in der lässt jedoch deutlich werden, dass die Al- Abfallwirtschaft unbestreitbar (Böckers et leinbedienung vieler Märkte durch kom- al. 2016: 17). Mögliche Ursachen beschrei- munale Unternehmen weder effizient, ben Libbe sowie auch Bauer: noch ökologisch vorzugswürdig ist“. „Das Thema ‚Rekommunalisierung‘ hat Der „Megatrend Rekommunalisierung“ Konjunktur. Zunächst im politischen (Bauer 2012: 11) ist dabei allerdings kein Raum artikuliert und durch Stellungnah- rein deutsches, sondern vielmehr ein euro- men aus Kommunen und Kommunalwirt- paweites Phänomen und betrifft neben der schaft immer merkbarer auf die Agenda Abfallwirtschaft stärker noch die Bereiche gehoben, erfährt die ‚Rückkehr‘ der kom- der Energie- und Wasserversorgung (Woll- munalwirtschaftlichen Betätigung in der mann 2013; Hans-Böckler-Stiftung 2013: 7; jüngeren Zeit insbesondere auch im poli- Halmer/Hauenschild 2014: 50; Lichter tik- und verwaltungswissenschaftlichen 2015). Raum mehr und mehr Aufmerksamkeit“ Angetrieben wird dieser Trend auch durch (Libbe 2012: 21). grundsätzlich veränderte politische Vorstel- „Neben diesen Veränderungen im poli- lungen über die Trägerschaft der Erbringung tisch-sozialen Großklima und dem Stim- von Leistungen zur Daseinsvorsorge. Es hat mungsumschwung in den psychologi- vielerorts eine Abkehr vom Königsweg der schen Grundbefindlichkeiten haben Privatisierung hin zu einem kritischeren Misserfolge bei der Privatisierung Marktverständnis stattgefunden (Bauer ebenso wie Fälle privatwirtschaftlicher 2012: 12). Auch wenn die ordnungspoliti- Schlechterfüllung in After Privatization-
7 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen Szenarien wichtige Impulse für die uner- wartete Renaissance der Kommunalwirt- schaft gegeben“ (Bauer 2012: 23).
8 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 1.2 Institutioneller Rahmen der Kreislauf- giert und daher eine besondere Doppel- wirtschaft und die Folgen funktion erfüllt. Das Kreislaufwirtschaftsge- Während bei gewerblichen Abfällen das setz (KrWG) – als das zentrale Bundesgesetz Verursacherprinzip gilt und diese somit des deutschen Abfallrechts – normiert, dass durch die Betriebe eigenständig zu entsor- Siedlungsabfälle, aber insbesondere Abfälle gen sind, sind die privaten Haushalte, wie aus privaten Haushaltungen vom Bürger ei- bereits dargelegt, dazu verpflichtet, die Ab- nem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ- fälle dem kommunalen öffentlich-rechtli- ger zu überlassen sind. Während gewerbli- chen Entsorgungsträger im Rahmen der che Abfälle oft direkt durch private Entsor- kommunalen Daseinsvorsorge zur weiteren ger verwertet werden, unterliegen die pri- Verwertung zu überlassen. Dem Bürger vaten Siedlungsabfälle in erster Instanz dem kommt damit als Verbraucher, Abfallprodu- Zwang der Überlassung an den öffentlich- zent und Gebührenzahler in Personalunion rechtlichen Entsorgungsträger. eine bedeutende Rolle für die Kreislaufwirt- Die Bestimmung des öffentlich-rechtlichen schaft zu, da dieser zum einen durch sein Entsorgungsträgers bleibt den Ländern vor- Konsumverhalten die Art, Zusammenset- behalten. Dies sind in Deutschland nach zung und Menge des Siedlungsabfalls und § 17 KrWG in Verbindung mit § 20 KrWG damit mittelbar die Marktbeschaffenheit und den jeweiligen Landesabfallgesetzen mitbestimmt, aber eben auch die Entsor- zumeist die Kommunen und Landkreise (so gungskosten zu tragen hat. Diese werden auch in NRW), welche dazu verpflichtet unmittelbar durch strategische Entschei- werden, im Gebiet ihrer eigenen Zuständig- dungen des örtlichen öffentlich-rechtlichen keit die anfallenden und zu überlassenden Entsorgungsträgers beeinflusst. Abfälle entsprechend den gesetzlichen Vor- Die Entscheidung für eine private oder öf- schriften und Landesabfallwirtschaftsplä- fentliche Leistungserbringung unterliegt po- nen zu verwerten und zu beseitigen. litischen Kalkülen der kommunalen Gebiets- Dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ- körperschaft, die zum einen als öffentlich- ger stehen grundsätzlich drei Optionen zur rechtlicher Entsorgungsträger und zum an- Verfügung, um dieser gesetzlichen Ver- deren als potenzieller Marktteilnehmer fun- pflichtung nachzukommen:
9 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 1. Die Beauftragung privater Dritter nach Behandlung von Abfällen in räumlicher § 22 KrWG, die abhängig von der Auf- Nähe zum Entstehungsort, beinhalten und tragssumme durch ein offenes europa- dadurch eine freie Erbringung am Markt weites oder nationales Vergabeverfah- weiter erschweren (Kuhn 2017: 7). Beck- ren zu erfolgen hat. mann (2012: 28) schreibt dazu: 2. Die Eigenerbringung durch ein eigenes „Gesetzliche Überlassungspflichten, lan- Kommunalunternehmen samt eigenem desrechtliche Andienungs- und Überlas- Personal, Fuhrpark und Infrastruktur. sungspflichten für gefährliche Abfälle Hier ist der öffentlich-rechtliche Entsor- und Bestrebungen nach kleinräumiger gungsträger an keine spezielle Rechts- Entsorgungsautarkie verhindern ökono- form des Kommunalunternehmens ge- mische Effizienz. […] Zutreffend wird da- bunden. rauf hingewiesen, dass als Monopolrecht ausgestaltete Überlassungspflichten zur 3. Es sind auch Kooperationsmodelle Verdrängung der Wettbewerber, zu Inef- möglich, zum einen angelegt als PPP-Mo- fizienzen, unnötig hohen Abfallgebühren delle in Kooperation mit der Wirtschaft oder als öffentlich-rechtliche Kooperati- und zu einer Einschränkung des Dienst- onen in Form eines Zweckverbandes leistungsangebots führen“. (Kuhn 2017: 8–11). Damit sind im Spannungsfeld zwischen pri- Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger vater versus öffentlicher Leistungserbrin- ist also bei den großen Massenfraktionen gung insbesondere die Kommunalpolitik wie den Siedlungsabfällen sowie den Grün- und die Stakeholder des Entsorgungsträgers und Gartenabfällen gesetzlich dazu ver- jene Akteure, die samt ihrer eigenen Funkti- pflichtet, die Entsorgungssicherheit zu ge- onslogiken, Interessen und Vorstellungen währleisten. Dazu werden durch die Länder durch einen politischen Beschluss grundle- zumeist ergänzend landesspezifische Abfall- genden Einfluss auf die strategischen Ent- wirtschaftskonzepte und -pläne erstellt, die scheidungen in der kommunalen Abfallent- zumeist das Näheprinzip, also das Gebot der sorgung nehmen (Kuhn 2017: 20).
10 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 1.3 Allgemeine Entwicklung des Marktes für Jahr 2015 endete (Döing 2016: 51–52). Et- kommunale Restabfälle waige vertragliche Verlängerungsoptionen, Der Markt für kommunale Restabfälle ist in zumeist jahresweise, führten zuletzt zu ei- den letzten Jahren deutlich in Bewegung ge- ner zeitlich versetzten Entwicklung der Aus- raten, da viele Vergabeverträge an private schreibungen. Auslaufende Vergaben sind Entsorger zwischen den Jahren 2015 und somit für den öffentlich-rechtlichen Entsor- 2020 auslaufen und die öffentlich-rechtli- gungsträger immer auch als Zeitpunkt für chen Entsorgungsträger daher erneut vor eine Evaluation und ggf. Neuorientierung der grundlegenden Entscheidung zwischen (window of opportunity) Richtung Eigener- Vergabe und Eigenerbringung stehen bringung bzw. Insourcing zu verstehen (Döing 2016: 43). Döing prognostiziert da- (Wollmann 2013: 23). bei, wie in Abbildung 2 dargelegt, insbeson- Abbildung 2: Geschätzte Anzahl künftiger Ausschreibungen der Restabfallentsorgung dere für das Jahr 2021 einen sprunghaften Anstieg der Neu- ausschreibungen. Diese kön- nen insbesondere durch das im Jahr 2005 in Kraft getretene Deponieverbot für unbehan- delte Siedlungsabfälle erklärt Quel le: Döing 2016: 51. werden. Infolge des Deponie- verbots stieg der Bedarf an thermischen Es wird deutlich, dass die Entscheidungen Entsorgungskapazitäten deutlich an, was der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ- sich in zahlreichen zeitgleichen Ausschrei- ger langfristige und teilweise auch irrever- bungen niederschlug. sible Auswirkungen auf die Marktstruktur haben, von der wiederum ökonomische und Aufgrund von üblichen Vertragslaufzeiten gesellschaftliche Implikationen und Folge- von zumeist zehn oder 15 Jahren folgte ein wirkungen ausgehen. natürliches Vergabetief, welches erst im
11 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen Folglich wird in der Branche „zum Teil sehr kostenrechnende gebührenfinanzierte Ein- kräftig darüber gestritten, ob Entsorgungs- richtung zu organisieren. Das bedeutet, aktivitäten besser in privater oder in öffent- dass alle Kosten für die rechtskonforme Be- licher Hand aufgehoben sind“ (Kassebohm seitigung der Abfälle durch Gebührenzah- 2017: 94). Es steht der Vorwurf des Markt- lungen der Bürger zu decken sind (Kuhn verschlusses im Raum, da die öffentlich- 2017: 17). Näheres regeln in den Ländern rechtlichen Entsorgungsträger frei darüber zumeist die Gemeindeordnungen und Haus- entscheiden können, private Anbieter zuzu- halts- und Abgabenordnungen der Länder. lassen oder nicht. Dieser Marktverschluss Jenseits der ordnungspolitischen Debatte durch die einseitige Bevorzugung kommu- über den zunehmenden Marktverschluss naler Unternehmen sowie die zunehmen- sowie die zunehmende Konzentration auf den rechtlichen, technischen und finanziel- wenige Marktteilnehmer werfen die sehr len Anforderungen und eine dadurch be- unterschiedlichen Gebührenhöhen in Nord- dingte hohe Komplexität der Entsorgung rhein-Westfalen die Frage auf, ob aus Sicht führten in den letzten Jahren zu einer Welle des Bürgers (bzw. Gebührenzahlers) eine an Konsolidierungen im Bereich der priva- kommunale oder private Erbringung vorteil- ten Entsorgungswirtschaft und einer zuneh- haft ist (WDR 2017: 1). menden Marktkonzentration zu Lasten klei- ner privater Entsorgungsbetriebe (Kuhn Die oftmals mangelnde Transparenz und da- 2017: 2). mit Vergleichbarkeit der kommunalen Ab- fallgebühren wird seit Jahren immer wieder Eine weitere Besonderheit stellt auch die kritisiert und veranlasste zuletzt u. a. die laufende Finanzierung der Entsorgung kom- EU-Kommission3, das Bundeskartellamt so- munaler Abfälle dar. Diese ist unabhängig von der Erbringungsart durch den öffent- lich-rechtlichen Entsorgungsträger stets als 3 Siehe dazu den Bericht der Europäischen Kommis- detail/-/publication/999dcc69-e2cc-11e6-ad7c- sion „Legal assistance on the application of public 01aa75ed71a1 procurment rules in the wast sector“, abrufbar un- ter: www.publications.europa.eu/en/publication-
12 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen wie Verbände wie den Bund der Steuerzah- hen bisweilen haushaltspolitische Erwä- ler NRW zu weitergehenden Untersuchun- gungen in ihre Entscheidungen ein“ gen (WDR 2017: 3–4; BdSt NRW 2016: 1). (Bundeskartellamt 2014: 4). Im Vergleich zu anderen Branchen scheint Stakeholder der kommunalen Entsorger das Interesse der Bürger für den Bereich der entgegnen, dass diese anders als private Abfallentsorgung nur schwach ausgeprägt. Entsorger ohne Gewinnabsicht passgenauer auf lokale Bedürfnisse reagieren können, Die Frage, ob den kommunalen Entsor- ökologische und arbeitsrechtliche Stan- gungsgebühren eine effiziente und ange- dards besser erfüllen und kommunale Ar- messene Leistung gegenübersteht, wird oft- beitsplätze sichern. Des Weiteren sei ein mals nicht gestellt (Bataille/Steinmetz 2014: Controlling im Rahmen einer Eigenerbrin- 2). Dies kann theoretisch dazu führen, dass gung deutlich besser zu gewährleisten und der Gebührenzahler unbemerkt ineffiziente aufwendige Vergabeverfahren4 vermeidba- und überteuerte Erbringungen finanziert rer als im Rahmen einer privaten Erbringung (Haucap 2007: 712; 714). Das Bundeskar- durch Ausschreibung (Mühlenkamp 2007: tellamt sieht hier insbesondere die kommu- 707 ff.; Libbe 2012: 22; Verbücheln 2009: nale Erbringung als potenziell nachteilig für 13–14; Kraemer et al. 2016: 1; Kuhn 2017: 30–31; Terzic 2017). den Gebührenzahler an. Dazu das Bundes- kartellamt: Kritiker einer kommunalen Erbringung ent- gegnen, dass es aufseiten des öffentlich- „Staatliche Wirtschaftstätigkeit kann für rechtlichen Entsorgungsträgers ebenso zu die Bürger/Verbraucher mit unmittelba- begrenzter Rationalität, Fehlentscheidun- ren Kosten verbunden sein. Im Vergleich gen sowie schwerfälligen Entscheidungs- zu Privaten unterliegen öffentliche Un- prozessen oder gar politischer Instrumenta- ternehmen oftmals geringeren Anreizen lisierung kommen kann. Darüber hinaus las- für effizientes Wirtschaften und bezie- sen sich aufwendige Vergabeverfahren durch eine Eigenerbringung oftmals nicht 4 Vgl. dazu gesondert: Sack 2014: 346–347.
13 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen vermeiden, da hohe kommunale Investitio- empirische Belege für die oftmals ausführ- nen in Infrastruktur, Fuhrparke, Gerätschaf- lich ausgebreiten Argumentationsketten ten etc. getätigt werden müssen. Zudem beigebracht werden. nutzen viele Kommunen die eigene Wirt- In Teilen entsteht daher der Eindruck, dass schaftstätigkeit zur Generierung von Gewin- die Pro-Contra-Debatte kommunaler Leis- nen für den kommunalen Kernhaushalt. tungserbringung in einer ordnungspoliti- Auch bestehen wenig Anreize, potenzielle schen oder gar ideologischen Argumenta- Effizienzgewinne und Kostenvorteile an die tion verhaftet bleibt, die einer Analyse der Gebührenzahler weiterzugeben (Verbü- tatsächlichen institutionellen und politi- cheln 2009: 3; Röber 2012: 81; Bundeskar- schen Rahmenbedingungen, der Motivla- tellamt 2014: 4; Kraemer et al. 2016: 11; gen der einzelnen Steakholder sowie einer Kuhn 2017: 43). Gerade im Bereich der kom- systematischen Analyse der Marktgegeben- munalen Stadtwerke lässt sich beobachten, heiten im Wege steht. dass diese einem Preisvergleich mit priva- ten Anbieter oftmals nicht standhalten (Lichter 2015: 34). Ferner ist es gerade für kleinere Kommunen schwer, im Bereich der Entsorgung notwen- dige Größeneffekte für eine effektive Leis- tungserbringung zu generieren und das not- wendige Know-how hierfür vorzuhalten. Dies kann ineffiziente Leistungserbringun- gen zur Folge haben (Bardt/Fuest 2007: 9; Bauer 2012: 23; Halmer/Hauenschild 2014: 41-43; Kraemer et al. 2016: 34–36). Trotz der umfassend geführten Pro-Contra- Debatte einer kommunalen oder privaten Leistungserbringung im Entsorgungsbereich verweist u.a. Kassebohm (2017: 97) darauf, dass von beiden Seiten nur sehr spärlich
14 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 1.3.1 Schieflage bei der Verteilung des Mark- eigenen Kommunalbetriebe beauftragen tes zwischen kommunalen und priva- können. Das europäische Vergaberecht ten Erbringern greift in diesen Fällen also nicht. In urbanen Räumen mit mehr als 100.000 Lediglich in Flächenkreisen wird die Mög- Einwohnern haben die kommunalen Entsor- lichkeit der Vergabe im Rahmen einer wett- ger einen Marktanteil von 80 % und domi- bewerblichen Ausschreibung zur Fremd- nieren den urbanen Markt. Private Entsor- vergabe an Dritte verstärkt genutzt. ger dominieren hingegen vor allem im länd- Wegen des vor allem in urbanen Räumen lichen Raum. Diese Befunde deuten in der eingeschränkten Wettbewerbs mahnten Wahrnehmung einiger Beobachter auf eine das Bundeskartellamt und die EU-Kommis- Rosinenpickerei der Kommunen hin, die sion bereits mehrfach die wettbewerbs - sich insbesondere die dicht besiedelten, hemmende Gesetzgebung des KrWG an profitablen Gebiete herausgesucht haben (Bundeskartellamt 2014: 5; Böckers et al. (Böckers et al. 2016: 1; BDE et al. 2016: 9). 2016: 5). Dies steht ihnen durchaus frei, zeigt aber Insbesondere die Doppelfunktion der kom- auch eine gewisse Schieflage im Markt. munalen Gebietskörperschaften – als po- tenzieller Marktteilnehmer und Abfallbe- Einem ausgedehnten Wettbewerb im Ent- hörde zugleich – führe zu strukturellen An- sorgungssektor steht also oftmals der öf- reizen, welche einen Wettbewerb ungüns- fentlich-rechtliche Entsorgungsträger samt tig beeinflussten. Die Pflicht der Privaten, seiner kommunal(politischen) Stakeholdern ihren Hausmüll den Kommunen zu überlas- entgegen, der sein eigenes Entsorgungsun- sen, die wiederum die freihändige Inhouse- ternehmen im Rahmen der sogenannten In- Vergabe an das eigene kommunale Entsor- house-Vergabe als Quasi-Monopolist mit gungsunternehmen möglich macht, bedingt Sammlung, Transport, Behandlung, Verwer- einen fortschreitenden Marktverschluss für tung und Beseitigung des im eigenen Zu- private Anbieter, der nicht zuletzt aufgrund ständigkeitsbereich anfallenden Abfalls be- hoher Investitionskosten oder einer weiter- auftragt. Im Rahmen der Inhouse-Vergabe wird somit keine Vergabe durch Ausschrei- bung durchgeführt, da die Kommunen die
15 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen gehenden interkommunalen Institutionali- denkbar, dass regional spezifische Entsor- sierung durch einen Zweckverband irrever- gungsbedingungen die starke Spreizung der sibel ist (Verbücheln 2009: 15). Dazu Kuhn: Gebühren rechtfertigen. „In der Regel ist die Gründung eines Zweckverbandes irreversibel. […] Gerade im Bereich der Müllverbrennung gibt es deutschlandweit viele Zweckverbände. Auch Abfuhrzweckverbände, die gemein- sam die Durchführung der Abfuhrleistun- gen organisieren, erfreuen sich wachsen- der Beliebtheit. […] Wettbewerbsrecht- lich sind diese Aufgaben dauerhaft dem Markt entzogen […] Der Preismechanis- mus von Angebot und Nachfrage wird durch bi- oder multilaterale Preisfindun- gen zwischen den Beteiligten [Gebiets- körperschaften des Zweckverbandes] er- setzt“ (Kuhn 2017: 9–10). Ob eine kommunale Leistungserbringung ohne den effizienzfordernden Marktdruck für den Gebührenzahler von Vor- oder Nachteil ist, bleibt umstritten. Differenzen von bis zu 340 % prägen die Gebührenland- schaft in Nordrhein-Westfalen und sind zu- mindest ein Indikator für gewisse Leistungs- unterschiede und ggf. Marktungleichge- wichte, welche in Kapitel 2 weiter behandelt werden sollen. Rein theoretisch ist auch
16 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 1.3.2 Entwicklung der thermischen Behand- Obwohl dies eine grundsätzlich positive Ent- lungskapazitäten und der Verbren- wicklung wäre, müssen auch die Auswirkun- nungsentgelte gen auf die Abfallwirtschaft betrachtet wer- Der Steuerzahlerbund sowie verschiedene den. Denn eine tragende Säule der Abfall- Verbraucherschutzstellen beklagen eine wirtschaft steht damit vor großen Heraus- hohe Intransparenz bei der kommunalen forderungen. Wie Abbildung 3 veranschau- Gebührenkalkulation, insbesondere bei der licht, konkurrieren bundesweit 66 Abfallver- kommunalen Inhouse-Vergabe sowie bei brennungsanlagen mit einer Gesamtkapazi- den sogenannten Verbrennungsentgelten, tät von 19,7 Mio. Tonnen im Jahr um abseh- welche für die Entsorgung von Hausmüll in bar sinkende Abfallmengen (BDE et al. 2016: den Müllverbrennungsanlagen (MVAs) zu 8). zahlen sind (BdSt NRW 2016: 1). Abbildung 3: MVA-Standorte in Deutsch- Die Abfallverbrennung übernimmt dabei land insbesondere die Funktion, Abfälle und Schadstoffe sicher zu entsor- gen (Dehoust/Möck 2015: 139). Wie Dehoust und Möck verdeutlichen, werden die zu- nehmenden Anstrengungen des Gesetzgebers und der Kreislaufwirtschaft zur Res- sourcenschonung, Wert- stofftrennung und Recycling dazu führen, dass sich die in MVAs zu behandelnden Abfall- mengen je nach Berechnung mehr als halbieren werden (Dehoust/Möck 2015: 150– 152). Quel le: Prognos AG, zi tiert nach BDE et al. 2016: 8.
17 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen Diese Entwicklung stellt insbesondere die In den letzten Jahrzehnten wurden die Ka- Betreiber von Verbrennungsanlagen vor pazitäten der MVAs insbesondere auch als neue Herausforderungen, da am Markt be- umweltschonendere Alternative zur Depo- reits jetzt Überkapazitäten vorhanden sind, nierung massiv ausgebaut. Wie Abbildung 4 die einzelnen Anlagen aber zumeist für ei- verdeutlicht, haben die sich stets weiterent- nen reibungslosen technischen sowie öko- wickelnden rechtlichen Rahmenbedingun- nomischen Betrieb auf gewisse Mindestab- gen, insbesondere der TA Siedlungsabfall fallmengen angewiesen sind. Dehoust und aus dem Jahr 1993, zu einem sukzessiven Möck prognostizieren daher für die kom- Ausbau der thermischen Behandlungskapa- menden Jahrzehnte „erhebliche Marktver- zitäten bis in das Jahr 2009 hinein geführt. schiebungen“ (Dehoust/Möck 2015: 150) Abbildung 4: Behandlungskapazitäten in und die Notwendigkeit zur Re- Deutschland duktion von Verbrennungska- pazitäten. Sollten, so Kurth et al., keine neuen (Abfall-)Märkte er- schlossen werden, ist eine Ka- pazitätsreduktion unumgäng- lich (Kurth et al. 2015: 131). Gerade für größere kommu- nale Entsorgungsbetriebe, die oft auch eigene MVAs betrei- Quel le: Prognos AG 2014, zi ti ert nach Kurth et al. 2015: 128 ben, führt die zunehmende Fo- Wegen der stark steigenden Abfallmengen kussierung auf eine Abfallvermeidung und und der zunehmenden Belastung von Um- Recycling zu wirtschaftlichen Problemen welt, Grundwasser und Luft durch Methan- (Bataille/Steinmetz 2014: 7). gase implementierte die Bundesregierung mit der TA Siedlungsabfall als Verwaltungs- vorschrift zum Abfallgesetz das 2005 in
18 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen Kraft getretene allgemeine Deponierungs- weitgehend gleichen Verbrennungskapazi- verbot. täten beständig (Kurth et al. 2015: 127; Dehoust/Möck 2015: 151). Dieses hatte das Verbot der Deponierung unbehandelter Hausabfälle zum Gegen- Die Folge des Überangebots an thermischen stand und führte zu einer Schließung zahl- Behandlungskapazitäten sind, wie Abbil- reicher Deponien in Deutschland. Die TA dung 5 aufzeigt, Entsorgungspreise, die in Siedlungsabfall induzierte somit einen deut- den letzten Jahren kontinuierlich gesunken lichen Ausbau der thermischen Behand- sind und zuletzt bundesweit zwischen 35 lungskapazitäten in Deutschland (Kurth et und 100 € je Tonne lagen (Kurth et al. 2015: al. 2015: 127). 128). Entsprechend hat sich in der Zeit von 1993 Abbildung 5: Preisentwicklung der Verbren- nungsentgelte bis 2005 die thermi- sche Behandlungs- kapazität zur Abfall- verwertung von 8,1 Mio. Tonnen im Jahr auf 17,1 Mio. Ton- nen mehr als ver- doppelt. Quel le: Döing 2016: 54. Dunkelrot: a lle Annahmegebühren ohne Unterscheidung nach Einzel- mä rkten, hellrot: kommunale Annahmegebühren, blau: gewerbliche Annahmegebühren, hell- Infolge der Implemen- bl a u: Spotmarkt. Vor diesem Hintergrund überrascht es tierung der europäischen Abfallrahmen- richtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) und in- nicht, dass eine zufriedenstellende Auslas- folge des KrWG sowie der in der Konse- tung vieler Anlagen heute nur noch durch quenzansteigenden Recyclingquoten sowie Abfallimporte aus z. B. Großbritannien, Ita- der nunmehr vorgeschriebenen Getrenn- lien sowie weiteren EU-Staaten sicherge- terfassung von Papier-, Metall-, Kunststoff-, stellt werden kann, wenngleich in diesen Glas- und Bioabfällen sinkt die Menge der zu Ländern momentan neue Behandlungska- behandelnden Restabfälle nun jedoch bei pazitäten geplant oder erbaut werden, so- dass von einem stetigen Abfallimport nicht
19 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen dauerhaft ausgegangen werden kann (Kurth neu vergeben wurde, was eine Anpas- et al. 2015: 129). sung an die neuen Rahmenbedingungen verhinderte (Döing 2016: 52–54). Aufgrund der aufgezeigten Entwicklung u.a. in der deutschen Abfallpolitik wird der öko- Es lässt sich infolgedessen als deutlicher nomische Druck auf die MVA-Betreiber wei- Trend feststellen, dass zumindest im Be- ter steigen (Brunner 2014: 47). Döing be- reich der Verbrennungsentgelte für kom- munale Restabfälle im Rahmen von Neu- schreibt die Marktentwicklung der letzten vergaben deutliche Preisnachlässe durch Jahre dabei zusammenfassend wie folgt: den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ- 1. Aufgrund fehlender Behandlungskapa- ger realisiert werden können (Döing 2016: zitäten kam es in der Vergangenheit zu 55). Eine weitere Herausforderung für einen deutlichen Preissteigerungen sowohl bei kostendeckenden Betrieb der Anlagen stel- den privaten Siedlungsabfällen als auch len bestehende Emissionsrichtlinien sowie bei den gewerblichen Abfällen. die mittel- bis langfristige Klimaschutzpla- nung der Bundesregierung dar, welche ei- 2. Dem Entsorgungsengpass wurde in nem Weiter so der thermischen Abfallbe- den folgenden Jahren mit zahlreichen In- handlung entgegenstehen, da auch in die- vestitionen in neue MVAs begegnet, die sem Bereich anfallende Emissionen weiter überwiegend vor dem Marktkollaps im reduziert werden sollen (Dehoust/Möck Jahr 2008/2009 in Bau gingen. 2015: 139–142). In den letzten Jahren sind folglich viele MVAs anlässlichpolitisch gefor- 3. Bedingt durch die konjunkturelle derter Umweltvorgaben, aufgrund daraus Flaute während der Finanz- und Wirt- folgender Investitions- und Betriebskosten, schaftskrise und aufgrund gesteigerter der vorherrschenden Überkapazitäten am Kapazitäten trat ein signifikanter Preis- Markt und des daraus resultierenden Preis- verfall insbesondere bei gewerblichen verfalls auch bei der Berücksichtigung der Verträgen ein, da die Entsorgung kom- erzeugten Energieerlöse nicht mehr kosten- munaler Restabfälle in dieser Zeit kaum neutral oder gewinnbringend zu betreiben (Brunner 2013: 167–169).
20 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 1.3.3 Neuvergaben als Chance für den Ge- Zweitens kann sich der Mengen- und Preis- bührenzahler verfall gerade dann für den kommunalen Aufgrund des sich verstetigten Preisverfalls Gebührenzahler negativ auswirken, wenn und weiter abnehmender Abfallmengen die MVA durch den örtlichen öffentlich- wird eine Reduzierung der MVA-Kapazitä- rechtlichen Entsorgungsträger, also in kom- ten aktuell kontrovers diskutiert munaler Hand betrieben wird und Investiti- (Dehoust/Möck 2015: 139; Becker 2014: ons- und Betriebskosten größtenteils oder 128; BdSt NRW 2013: 1). teilweise über die kommunalen Abfallge- bühren abgedeckt werden müssen. In einer Die Marktsituation für Verbrennungsent- solchen Konstellation ist mit gleichbleiben- gelte ist auf der einen Seite durch langfris- den oder gar steigenden Abfallgebühren zu tige hohe Investitionen (und sunk costs) in rechnen. eine teure Entsorgungsinfrastruktur sowie auf der anderen Seite durch verringerte Ab- Aus der einst sehr stabilen Marktsituation fallmengen und sich stetig weiterentwi- heraus ist für kommunal getragene Abfall- ckelnde politische Rahmenbedingungen verwertungsanlagen ein mehrfaches Di- und sinkende Marktpreise gekennzeichnet. lemma entstanden: Zum einen soll jederzeit Entsorgungssicherheit bei hohen ökologi- Da die Verbrennungsentgelte ein wesentli- schen Standards garantiert werden, zum an- cher Bestandteil der kommunalen Abfallge- deren aber ökonomisch auskömmlich auf bühr sind, kann diese Situation für den kom- die sinkenden Siedlungsabfallmengen durch munalen Gebührenzahler zweierlei Auswir- Kapazitätsrückbau und mehr Wettbewerb kungen haben. Erstens ist es den öffentlich- reagiert werden (Becker 2014: 128). Ge- rechtlichen Entsorgungsträgern durch eine schieht dies bei einer Vermischung von Kos- Neuausschreibung oftmals möglich, deutli- ten der abgabepflichtigen Siedlungsabfälle che Preisnachlässe bei den Verbrennungs - der Gebührenzahler in Kombination mit den entgelten zu realisieren, welche unmittel- Preisen einer sehr volatilen Gewerbeab- bar gebührenrelevant werden, also zu sin- fallentsorgung, so kann vermutet werden, kenden Abfallgebühren führen. dass die Preisgestaltung zumeist zu Lasten
21 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen der abgabepflichtigen Siedlungsabfallent- Während Halmer und Hauenschild in gene- sorgung geht. reller Perspektive keine empirischen Belege für eine ineffiziente kommunale Erbringung Dies führt zu einer deutlichen regionalen feststellen konnten und sogar tendenziell Ausdifferenzierung der Verbrennungsent- Nachteile bei den Privaten sehen (Hal- gelte, die nur teilweise über einen wettbe- mer/Hauenschild 2014: 124), finden sich in werblichen Preismechanismus bestimmt Nordrhein-Westfalen auch prominente Bei- werden. Davon profitieren insbesondere spiele kommunaler Leistungserbringungen, jene öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ- welche für den Gebührenzahler deutliche ger, die keine eigene MVA vorhalten und Mehrbelastungen zur Folge hatten. über Ausschreibungen aktuelle Marktpreis e erzielen können. So steht die durch den Kreis Wesel betrie- bene Kreis Weseler Abfallgesellschaft samt Aufgrund nicht absehbarer Kapazitätsre- der MVA Asdonkshof seit Jahren aufgrund duktionen sowie weiterhin sinkender Ab- der auffällig hohen Gebühren für die Ge- fallmengen lässt der Markt zumindest für bührenzahler des Kreises Wesel in der Kritik jene Landkreise und kreisfreien Städte, die (Schäfer 2012; BdSt NRW 2016: 1; Kasse- an keine eigene Entsorgungsinfrastruktur bohm 2017: 105; WDR 2017: 1). gebunden sind, auch in den kommenden Jahren eine durchaus dynamische Entwick- Ebenso gilt die Rekommunalisierung der Ab- lung mit Preisnachlässen erwarten. fallentsorgung in Bergkamen als ein Bei- spiel, bei dem trotz anderslautender Ankün- Ob allerdings eine kommunale oder private digungen der Gebührenzahler keine Entlas- Leistungserbringung für den Gebührenzah- tung erfuhr und sogar mittelbar höhere Be- ler von Vorteil ist, bleibt zumindest für jene lastungen im Vergleich zu einer privaten öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger Leistungserbringung zu tragen hatte. So ohne eigene Verbrennungsanlage weiterhin konnte für Bergkamen folgender Trend aus- offen, da sowohl kommunale als auch pri- gemacht werden: Kurzfristig (und politisch vate Entsorger von fallenden Verbren- nungsentgelten profitieren können.
22 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen gewollt) kam es nach der Rekommunalisie- rung der Abfallentsorgung zu einer Gebüh- rensenkung (welche zumeist am Markt durch eine Neuausschreibung auch erziel- bar gewesen wäre). Die Gebührensenkung hielt aber nur wenige Jahre an. „Die anfäng- liche Preissenkung bei der Restmülltonne (120 l) konnte nicht auf Dauer gehalten wer- den und so entspricht der Preis hierfür seit dem Jahr 2010 wieder dem Preis vor der Re- kommunalisierung“ (Halmer/Hauenschild 2014: 132; Schäfer 2012). Es zeigt sich also an diesem Beispiel, dass der fehlende An- trieb marktlichen Wettbewerbs mittelfristig zu Preissteigerungen führen kann.
23 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 2. Die Kreislaufwirtschaft in Nord- rhein-Westfalen Der Gesamt-Branchenumsatz der deut- schen Kreislaufwirtschaft betrug 2014 ca. 71 Mrd. €; die Branche umfasste mehr als 260.000 Beschäftigte, die sich auf etwa 6.000 private sowie öffentlich-kommunale Unternehmen aufteilten (Jaron/Walter 2016: 5; BDE et al. 2016: 1; Kraemer et al. 2016: 7; Kassebohm 2017: 94). Die für die Gebührenzahler entscheidenden Leistungen der Abfallsammlung von Sied- lungsabfällen sowie deren Transport er- zeugten in Deutschland im Jahr 2014 ein Umsatzvolumen von 14,5 Mrd. €. Damit stellen sie nach der Abfallbehandlung und -verwertung das zweitgrößte Marktseg- ment der Abfallwirtschaft mit etwa 77.000 Erwerbstätigen dar (BDE et al. 2016: 15).
24 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 2.1 Positionierung Nordrhein-Westfalens im und Recyclinganlagen (27 %) als auch bei Bundesländervergleich den Anlagen zur thermischen Verwertung (33 %) (Kassebohm 2017: 104–105). Die Verteilung bzw. Präsenz der Abfallwirt- schaft ist in den deutschen Ländern sehr un- Zugleich hat die Kreislaufwirtschaft in Nord- terschiedlich ausgeprägt. Nordrhein-Wes t- rhein-Westfalen mit Abstand die höchste Zahl der Beschäftigten und die weitrei- falen kann nach Berechnungen des Bundes- chendste Spezialisierung aller Bundeslän- verbandes deutscher Entsorger (BDE) so- der. wohl in den Bereichen Beschäftigung wie Abbildung 6: Umsatz der Kreislaufwirtschaft auch der technologischen Spezialisierung in 2014 bundesweit den Spitzenplatz einnehmen und ist damit, neben der nominalen Größe des lokalen Marktes, für die deutsche Abfallwirt- schaft bundesweit die mit Abstand bedeu- tendste Region (BDE et al. 2016: 15). Insgesamt ist Nord- rhein-Westfalen in allen Bereichen der Kreislauf- wirtschaft überdurch- schnittlich gut aufge- stellt und daher für die gesamtdeutsche Bran- Quel le: Prognos AG, zi tiert nach BDE et al. 2016: 27. che von herausgehobe- ner Bedeutung. Insbesondere die Behand- Abbildung 6 verdeutlicht, dass die Kreislauf- lungs- und Entsorgungskapazitäten in Nord- wirtschaft in Nordrhein-Westfalen – auch rhein-Westfalen sind im Bundesvergleich im Vergleich zu den ökonomisch erfolgrei- herausragend, dies sowohl bei den Sortier-
25 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen cheren Ländern Bayern und Baden-Würt- temberg – mit einem Umsatz von 24,5 Mrd. € deutlich hervortritt und in allen Teil- bereichen der Abfallsammlung und des Transportes, der Abfallbehandlung und Ver- wertung sowie im Großhandel und der Technik der Abfallwirtschaft führend ist. Somit fokussiert sich gut ein Drittel des Ge- samtmarktes auf Nordrhein-Westfalen, welches daher oft auch als das Kreislauf- wirtschaftsland der Republik bezeichnet wird (BDE et al. 2016: 15). Nordrhein-Wes t- falen profitiert von historisch gewachsenen Strukturen, da hier gleich mehrere private und kommunale überregional aktive Abfall- wirtschaftsbetriebe ihren Ursprung und Sitz haben (BDE et al. 2016: 15). In den letzten Jahren hat sich die Kreislauf- wirtschaft in Nordrhein-Westfalen dabei auch im Hinblick auf die Erwerbstätigenent- wicklung und den Gesamtumsatz bundes- weit überdurchschnittlich positiv entwi- ckelt, fällt von der Dynamik aber etwas hin- ter die nominal kleineren Länder Bayern, Hessen und Niedersachsen zurück (BDE et al. 2016: 26).
26 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen 2.2 Die Marktverteilung zwischen kommu- Transportieren von Abfällen und Wertstof- nalen und privaten Erbringern in fen zu ihrer Domäne (Kraemer et al. 2016: Deutschland und Nordrhein-Westfalen 8–9). Die Abfallwirtschaft in Deutschland ist in der Wie das Düsseldorfer Institut für Wettbe- Fläche sehr heterogen strukturiert, wenn- werbsökonomie (DICE) in einer jüngsten gleich diese in den Großstädten fast aus- schließlich durch kommunale Entsorger und Untersuchung feststellte, wird in 33,59 % darüber hinaus durch wenige bundes- oder der Gebietskörperschaften5 Deutschlands europaweit agierende Großunternehme n der Restmüll durch kommunale Unterneh- (u. a. Remondis, Sita, Veolia, Alba) domi- men entsorgt (Böckers et al. 2016). Dieser niert wird. Dennoch findet sich gerade auf Befund wirkt zuerst einmal unspektakulär, privater Seite eine „Vielzahl kleiner bis wird in seiner Tragweite aber deutlich, kleinster Unternehmen […] und etwa zehn wenn die untersuchten Fälle nach Einwoh- bis 20 familiengeführte, auf definierte Regi- nerzahl gewichtet werden. Dann werden onen konzentrierte, mittelgroße Betriebe. nach Berechnungen des DICE 61,73 % der Letztgenannte konnten durch ihre Konzent- Einwohner im Bundesgebiet von kommuna- ration auf ausgewählte Regionen eine gute Marktposition einschließlich einer funktio- len Entsorgern bedient. Das DICE unter- nierenden Kooperation mit den Kommunen streicht in seiner Untersuchung damit das aufbauen“ (Kraemer et al. 2016: 8–9). bereits für das Bundesgebiet beschriebene Stadt-Land-Gefälle in der Restmüllentsor- Wie Kramer et al. argumentieren, leiden ins- besondere die auf einen engen geografi- gung. Demnach sind gerade in den kleinen schen Raum konzentrierten Klein- und Gemeinden oder Landkreisen (nur 37,61 % Kleinstbetriebe unter einer zunehmenden kommunale Entsorger) die privaten Entsor- Marktkonzentration sowie steigenden An- ger führend, in den Städten über 100.000 forderungen an die Abfallentsorgung. Daher Einwohner mit 94 % und kreisfreien Städten entwickelte sich auch aufgrund geringer mit 89 % hingegen sehr deutlich die kom- Margen zunehmend das reine Sammeln und munalen Entsorger (Böckers et al. 2016: 13). 5 Untersucht wurden alle Gemeinden, Städte, kreis- freien Städte und Landkreise in allen sechzehn Län- dern.
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