Die Marktstruktur der Restab-fallentsorgung in Nordrhein-Westfalen - Rhein-Ruhr-Institut ...

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Die Marktstruktur der Restab-fallentsorgung in Nordrhein-Westfalen - Rhein-Ruhr-Institut ...
RISP Policy Paper
  Die Marktstruktur der Restab-
  fallentsorgung in Nordrhein-
  Westfalen
 Eine Bestandsaufnahme

  Policy Paper des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und
  Politikberatung e.V. (RISP) an der Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Nicolai Dose/Matthias Reintjes, M.A.

01/2018
Die Marktstruktur der Restab-fallentsorgung in Nordrhein-Westfalen - Rhein-Ruhr-Institut ...
Autoren:
Prof. Dr. Nicolai Dose
Matthias Reintjes, M.A.

Impressum:

Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung e.V. (RISP)
Heinrich-Lersch-Str. 15
D-47057 Duisburg
www.risp-duisburg.de

ISBN 978-3-9810056-8-4

Das hiermit vorgelegte Policy Paper ist im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Wettbewerbsentwicklung des Ent-
sorgungssektors in Nordrhein-Westfalen – Chancen und Risiken für den Gebührenzahler“ in Zusammenarbeit des
Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung e.V. (www.risp-duisburg.de) mit der Schönmackers Um-
weltdienste GmbH & Co. KG (www.schoenmackers.de) entstanden.
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Zusammenfassung
Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen
Eine Bestandsaufnahme

Die Kreislaufwirtschaft ist mittlerweile ein hochregulierter Wirtschaftsbereich, der vielfältigen
Spannungsfeldern ausgesetzt ist. Er soll ökologischen wie ökonomischen Anforderungen genü-
gen und bewegt sich zwischen privater und öffentlicher Leistungserbringung. In dem vorliegen-
den Beitrag argumentieren wir in weitgehender Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur,
dass die derzeitige Marktsituation durch eine Schieflage zugunsten kommunaler Entsorger ge-
kennzeichnet ist. Dabei ist die Entsorgung in kommunaler Eigenregie nicht immer die kosten-
günstigste Lösung. Da die Kommunen die Kosten jedoch auf den Gebührenzahler überwälzen
können, ist der Anreiz gering, über Veränderungen nachzudenken. Allerdings stehen diese auch
unter Druck, einmal aufgebaute Verbrennungskapazitäten weiterhin auszulasten. Wir legen dar,
dass es in manchen Fällen kostengünstiger sein könnte, von den mittlerweile am Markt stark
gefallenen Verbrennungsentgelten zu profitieren. Hierzu müssten die Kommunen als Entsor-
gungsträger entsprechende Verträge mit privaten Entsorgern abschließen. Auch die Bürger könn-
ten hiervon profitieren, sofern die Kostenvorteile in Form von niedrigeren Müllgebühren weiter-
gegeben würden.

Abstract
The Market Structure of Waste Management in North Rhine-Westphalia: A Stocktaking
The recycling economy is a highly regulated sector underlying multiple tensions. Not only has it
to meet ecological and economic requirements, but it is also denoted by both private and public
supply of service. In this paper, we argue in line with a wide section of the literature that the
market situation is characterized by an unbalance in favour of the public disposer. However, pub-
lic waste management is not always the most cost-efficient business. Since public disposers can
pass the costs to the fee-paying citizen, they do not have any incentives to consider new solu-
tions. Moreover, they are under pressure to make full use of their capacities for waste incinera-
tion, which they have developed some time ago. We show that in some cases it is better to ben-
efit from the low costs that can be drawn on the market for waste incineration. To this end, the
local authorities have to make use of the possibility to enter a preferable contract with one of
the private disposers. Also, citizens as fee-payers could benefit if the cost advantages are passed
to them in the form of lower charges.
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Die Marktstruktur der Restab-fallentsorgung in Nordrhein-Westfalen - Rhein-Ruhr-Institut ...
1. Inhalt

1.         Einführung in die Kreislaufwirtschaft ....................................................................................... 1

  1.1.     Spannungsfelder der deutschen Kreislaufwirtschaft.................................................................. 4

  1.2.     Institutioneller Rahmen der Kreislaufwirtschaft und die Folgen ................................................. 8

  1.3.     Allgemeine Entwicklung des Marktes für kommunale Restabfälle ............................................ 10

     1.3.1. Schieflage bei der Verteilung des Marktes zwischen kommunalen und privaten Erbringern .... 14

     1.3.2. Entwicklung der thermischen Behandlungskapazitäten und der Verbrennungsentgelte ......... 16

     1.3.3. Neuvergaben als Chance für den Gebührenzahler................................................................ 20

2.         Die Kreislaufwirtschaft in Nordrhein-Westfalen...................................................................... 23

  2.1.     Positionierung Nordrhein-Westfalens im Bundesländervergleich............................................. 24

  2.2.     Die Marktverteilung zwischen kommunalen und privaten Erbringern in Deutschland und
           Nordrhein-Westfalen............................................................................................................ 26

  2.3.     Entsorgungsrhythmen und Preisstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen ..... 28

3.         Zusammenfassung und Fazit ................................................................................................. 32

Literatur .......................................................................................................................................... 35
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Abbildungen
Abbildung 1: Zuständigkeiten der Kreislaufwirtschaft ........................................................................... 2

Abbildung 2: Geschätzte Anzahl künftiger Ausschreibungen der Restabfallentsorgung ......................... 10
Abbildung 3: MVA-Standorte in Deutschland ..................................................................................... 16

Abbildung 4: Behandlungskapazitäten in Deutschland ........................................................................ 17
Abbildung 5: Preisentwicklung der Verbrennungsentgelte .................................................................. 18

Abbildung 6: Umsatz der Kreislaufwirtschaft in 2014 .......................................................................... 24
Abbildung 7: Entsorgungsrhythmen und Gebühren in 2016 ................................................................ 28
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Abkürzungen
BDE             Bundesverband der Kreislauf- und Ressourcenwirtschaft

BdSt NRW        Bund der Steuerzahler NRW
BImSchV         Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen

DICE            Düsseldorf Institute for Competition Economics
EBS-Kraftwerk   Ersatzbrennstoffkraftwerk

EU              Europäische Union
KrWG            Kreislaufwirtschaftsgesetz

MBA             Mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlage
MBS             Mechanisch-biologische Stabilisierungsverfahren

MPS             Mechanisch-physikalische Stabilisierung

MVA             Müllverbrennungsanlage
MHKW            Müllheizkraftwerk

NRW             Nordrhein-Westfalen
PPP             Public-Private-Partnership

WDR             Westdeutscher Rundfunk
örE             öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger
1
              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

                                                         die Erfassung und der Transport als auch die
1. Einführung in die Kreislaufwirtschaft
                                                         Verwertung der Abfälle grundlegend verän-

Die deutsche Kreislaufwirtschaft ist heute               dert und weiterentwickelt (BDE et al. 2016:

eine hochregulierte sowie technisch ausdif-              1).

ferenzierte Branche, die sich in den letzten
                                                         Neben den politischen Zielvorgaben prägen
Jahrzehnten von der klassischen Müllabfuhr
                                                         aber auch die konjunkturellen und sozio-
hin zu einer modernen Wertstoffmanage-
                                                         ökonomischen Entwicklungen das Konsum-
ment- und Kreislaufwirtschaft entwickelt
                                                         und Entsorgungsverhalten der Bevölkerung
hat. Dabei durchlebte die deutsche Kreis-
                                                         sowie ein europäisch vernetzter Entsor-
laufwirtschaft in den letzten Dekaden meh-
                                                         gungsmarkt die deutsche Kreislaufwirt-
rere Paradigmenwechsel. Maßgeblich für
                                                         schaft. Dazu formuliert beispielhaft Laufs:
diese Entwicklung waren vorrangig rechtli-
che Vorgaben sowie gesellschaftliche Ent-                      „Die Abfallverwertung ist ein dynami-
wicklungen (Gäde-Butzlaff 2013: 118).                          scher Prozess, der neben den abfallrecht-
                                                               lichen Rahmenbedingungen von unbe-
Seit Mitte der 1970er Jahre dominiert in
                                                               ständigen Einflussgrößen wie Rohstoff-
Deutschland der vorsorgende          Umwelt-
                                                               und Energiepreisen, Abnehmer- und
schutz die Branche und das gesamte Politik-
                                                               Konsumentenverhalten sowie Technolo-
feld. Die Vermeidung und die angemessene
                                                               gieentwicklungen gesteuert wird“ (Laufs
Verwertung von Abfall – zum Schutz der Ge-
                                                               2010: 4).
sundheit von Menschen und Naturgütern –
sind die vorherrschenden politischen Ziele               Die deutsche Kreislaufwirtschaft umfasst

jeder regulierenden Gesetzgebung des Be-                 alle mittelbaren und unmittelbaren Tätig-

reichs (Laufs 2010: 1). Die hohe Entwick-                keiten, die mit dem Vermeiden, Verringern
lungsdynamik der Kreislaufwirtschaft wurde               und Verwerten von Abfällen jeglicher Art zu

dabei ganz maßgeblich durch die politischen              tun haben.

Ziele des Gesetzgebers erzeugt und geprägt
                                                         Wie in Abbildung 1 verdeutlicht, sind we-
(Kranert/Cord-Landwehr 2010: VI-VII).
                                                         sentliche Zuständigkeiten der Kreislaufwirt-
Durch politische Vorgaben sowie moderne                  schaft auf die abfallentsorgenden Unter-

technische und ökologische Anforderungen                 nehmen, den Verbraucher und die Industrie

hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl               als Abfallverursacher sowie verschiedene
2
                Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

staatliche Stellen als Gesetzgeber und öf-                      gesamte technische Bereich der Kreislauf-
fentlich-rechtliche Entsorgungsträger ver-                      wirtschaft wie Anlagen- und Fahrzeugtech-
teilt. Der Verbraucher ist verpflichtet, die                    nik etc. sind ebenso wichtige, wenngleich
häuslichen Restabfälle den öffentlich-recht-                    nicht immer im Fokus stehende Bereiche
lichen Entsorgungsträgern (zumeist Städte                       der Kreislaufwirtschaft (BDE et al. 2016: 14).
und Gemeinden) zu überlassen, während
                                                                Auf staatlicher Seite lassen sich grob drei
die Industrie zur eigenständigen Entsorgung
                                                                Zuständigkeitsbereiche identifizieren. Auf
nach dem Verursacherprinzip verpflichtet
                                                                der einen Seite sind hier die supranationa-
ist. Die Abfallwirtschaft, welche sich in pri-
                                                                len und nationalen staatlichen Stellen zu
vate und kommunale Anbieter aufteilt, ist
                                                                nennen: Die Europäische Union (EU), wel-
für das ordnungsgemäße Sammeln und Be-
                                                                che insbesondere durch die Abfallrahmen-
fördern der Abfälle, das anschließende Re-
                                                                richtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) und die
cycling zur Gewinnung von Sekundärroh-
                                                                damit implementierte fünfstufige Abfallhie-
stoffen oder die energetische Verwertung
                                                                rarchie die strategischen abfallpolitischen
des Abfalls durch Müllverbrennungsanlagen
                                                                Ziele bestimmt. Dann Bund und Länder,
(MVA), Müllheizkraftwerke (MHKW) oder
                                                                welche diese Vorgaben durch umfangreiche
Biogasanlagen                 zuständig                  (Ba-
                                                                Abfallgesetze weiter konkretisieren, sowie
taille/Steinmetz 2014: 2). Der Großhandel
                                                                zuletzt die Landkreise und Kommunen, wel-
mit Abfällen und Altmaterialien sowie der

Abbildung 1: Zuständigkeiten der Kreislaufwirtschaft

Quel le: Prognos AG, zi tiert nach BDE et al. 2016: 4.
3
               Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

che als öffentlich-rechtliche Entsorgungs-
träger für die Entsorgung privater Hausab-
fälle verantwortlich sind.

In der jüngsten Vergangenheit verschwim-
men zunehmend die Grenzen zwischen der
Entsorgung von Abfällen und der Energie-
versorgung    (insbesondere      Strom      und
Wärme), so z. B. im Bereich der Biogasanla-
gen oder der Müllheizkraftwerke (Kuhn
2017: 5).
4
                 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

1.1 Spannungsfelder der deutschen Kreis-                       stärkt (Laufs 2010: 2). Das Spannungsver-
        laufwirtschaft                                         hältnis zwischen Ökologie und Ökonomie
Die deutsche Kreislaufwirtschaft entwickelt                    wird also maßgeblich durch einen gesetzli-
sich innerhalb zweier Spannungsfelder, die                     chen Regelungsrahmen aus EU-, Bundes-
insbesondere durch die rechtlichen Institu-                    und Landesvorschriften austariert, der zum
tionen auf der einen und das Spiel der                         heutigen Stand als durchaus umfangreich zu
Marktkräfte auf der anderen Seite beein-                       beschreiben ist. So umfassen die aktuellen
flusst werden:                                                 Abfallgesetzgebungen der Bundesebene

Spannungsfeld Ökonomie und Ökologie.                           (die jeweiligen Landesgesetze nicht berück-

                                                               sichtigt) samt amtlichen Begründungen be-
Die ökologisch sinnvollste Entsorgung von
                                                               reits fast 900 Textseiten.1
Abfällen ist nicht zwangsweise diejenige,

welche die geringsten Kosten verursacht.                       Spannungsfeld private oder öffentliche Leis-

Ein Beispiel: Die Ablagerung unbehandelter                     tungserbringung?

Abfälle auf Deponien verursacht zuerst ein-                    Das Spannungsverhältnis rund um die
mal (aufwendige Nachbehandlungen ausge-                        Frage, ob die Abfallentsorgung durch pri-
schlossen) die geringsten Kosten, sodass                       vate oder kommunale Firmen erbracht wer-
diese umweltschädliche Art der Entsorgung                      den sollte, ist ein historisch gewachsenes,
nach Marktgesichtspunkten am attraktivs-                       da die Abfallentsorgung grundsätzlich zur
ten erscheint. In Reaktion auf den Markt-                      öffentlichen Daseinsvorsorge gezählt wer-
druck sah es der Gesetzgeber in den letzten                    den kann und diese auch historisch betrach-
Jahrzehnten als seine Aufgabe an, einen sich                   tet2 stets ein strittiges Betätigungsfeld zwi-
bis heute stets weiterentwickelnden Rah-                       schen öffentlichem und privatem Sektor
men aus Rechtsvorschriften zu schaffen, der                    war (Halmer/Hauenschild 2014: 183). Viele,
ökologische Aspekte der Abfallverwertung                       insbesondere große Kommunen unterhal-

1   Vgl. dazu beispielhaft: Abfallgesetze 2017.                2Vgl. exemplarisch zur historischen Entwicklung der
                                                               Daseinsvorsorge in Deutschland auch Halmer/Hau-
                                                               enschild 2014: 13–15; Libbe 2012: 21; Böckers et al.
                                                               2016: 8.
5
              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

ten eigene Entsorgungsbetriebe in Form ei-               ren ein gegenläufiger Trend [zur Privatisie-

nes Kommunalunternehmens, und dies oft-                  rung] beobachten. Das wirtschaftliche Enga-
mals seit mehr als hundert Jahren.                       gement der Kommunen steigt wieder deut-

                                                         lich“.
In den 1980er und 1990er Jahren kam es im
Zuge der New-Public-Management-Bewe-                     Belegen lässt sich diese Einschätzung durch
gung allerdings zu einer zunehmenden Pri-                den in den letzten Jahren steigenden Anteil
vatisierung und Liberalisierung der Kreis-
                                                         von 36 % auf 46 % der durch kommunale
laufwirtschaft, sodass vermehrt auch ge-
                                                         Entsorger bedienten Gebietskörperschaf-
werbliche Entsorger an der Abfallentsor-
                                                         ten (Kassebohm 2017: 93). Da mehr als 80 %
gung beteiligt wurden (Bundeskartellamt
                                                         der Kommunen mit über 100.000 Einwoh-
2014: 14).
                                                         nern in Eigenregie entsorgen, ist der Anteil
In jüngster Vergangenheit ist hingegen ein               der kommunal bedienten Privathaushalte
sich verstärkender Trend hin zu einer Re-
                                                         mit rund 62 % sogar noch deutlich höher
Kommunalisierung     der Abfallentsorgung
                                                         und steigt nicht zuletzt aufgrund der positi-
durch die Rückübertragung der Entsorgung
                                                         ven demografischen Entwicklung der deut-
auf bestehende kommunale Entsorgungs-
                                                         schen Agglomerationsräume             tendenziell
unternehmen bzw. Zweckverbände oder
entsprechende    Neugründungen        zu be-             weiter an. Die kommunal erbrachten Ent-

obachten. Der Privatisierungstrend ver-                  sorgungsleistungen sind infolgedessen zu-

kehrte sich also in den vergangenen Deka-                meist dauerhaft dem Markt entzogen (Kuhn
den aus verschiedenen Gründen in sein Ge-                2017: 1). Für Bataille und Steinmetz (2014:
genteil (Sack 2014: 341–343). Eine zuneh-                1) stellt sich die Lage weder ökonomisch ef-
mende Zahl an Kommunen geht (erneut)                     fizient noch ökologisch vorteilhaft dar:
dazu über, abfallwirtschaftliche Tätigkeiten
in Eigenregie durchzuführen (Kuhn 2017: 1).                  „In Teilen der Entsorgungswirtschaft ist

                                                             der Wettbewerb noch schwach ausge-
In der Wahrnehmung des Bundeskartell-
                                                             prägt. Im Bereich der Entsorgung von
amts (2014: 4) lässt sich „insbesondere auf
                                                             Haushaltsmüll dominieren oftmals ge-
kommunaler Ebene […] in den letzten Jah-
6
             Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

  bührenfinanzierte      kommunale       Unter-            sche Debatte Staat vs. Markt alt und viel-

  nehmen den Markt. Die Rolle der Kom-                     schichtig ist (Schöneich 2007) und es ab

  munen als alleinige Leistungserbringer                   dem 19. Jahrhundert immer wieder Zyklen

  wurde zuletzt auch durch allgemeine Re-                  von Kommunalisierung und Privatisierung

  kommunalisierungstendenzen weiter ge-                    gegeben hat (Röber 2012: 82), so ist der ak-

  stärkt. Eine ökonomische Betrachtung                     tuelle Trend zur Rekommunalisierung in der

  lässt jedoch deutlich werden, dass die Al-               Abfallwirtschaft unbestreitbar (Böckers et

  leinbedienung vieler Märkte durch kom-                   al. 2016: 17). Mögliche Ursachen beschrei-

  munale Unternehmen weder effizient,                      ben Libbe sowie auch Bauer:

  noch ökologisch vorzugswürdig ist“.
                                                               „Das Thema ‚Rekommunalisierung‘ hat

Der      „Megatrend    Rekommunalisierung“                    Konjunktur.     Zunächst im politischen

(Bauer 2012: 11) ist dabei allerdings kein                    Raum artikuliert und durch Stellungnah-

rein deutsches, sondern vielmehr ein euro-                    men aus Kommunen und Kommunalwirt-
paweites Phänomen und betrifft neben der                      schaft immer merkbarer auf die Agenda
Abfallwirtschaft stärker noch die Bereiche                    gehoben, erfährt die ‚Rückkehr‘ der kom-
der Energie- und Wasserversorgung (Woll-
                                                              munalwirtschaftlichen Betätigung in der
mann 2013; Hans-Böckler-Stiftung 2013: 7;
                                                              jüngeren Zeit insbesondere auch im poli-
Halmer/Hauenschild       2014:    50; Lichter
                                                              tik- und verwaltungswissenschaftlichen
2015).
                                                              Raum mehr und mehr Aufmerksamkeit“
Angetrieben wird dieser Trend auch durch                      (Libbe 2012: 21).
grundsätzlich veränderte politische Vorstel-
                                                              „Neben diesen Veränderungen im poli-
lungen über die Trägerschaft der Erbringung
                                                              tisch-sozialen Großklima und dem Stim-
von Leistungen zur Daseinsvorsorge. Es hat
                                                              mungsumschwung in den psychologi-
vielerorts eine Abkehr vom Königsweg der
                                                              schen     Grundbefindlichkeiten       haben
Privatisierung hin zu einem kritischeren
                                                              Misserfolge      bei    der    Privatisierung
Marktverständnis      stattgefunden      (Bauer
                                                              ebenso wie Fälle privatwirtschaftlicher
2012: 12). Auch wenn die ordnungspoliti-
                                                              Schlechterfüllung in After Privatization-
7
           Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

Szenarien wichtige Impulse für die uner-

wartete Renaissance der Kommunalwirt-
schaft gegeben“ (Bauer 2012: 23).
8
            Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

1.2 Institutioneller Rahmen der Kreislauf-                giert und daher eine besondere Doppel-
    wirtschaft und die Folgen                             funktion erfüllt. Das Kreislaufwirtschaftsge-
Während bei gewerblichen Abfällen das                     setz (KrWG) – als das zentrale Bundesgesetz
Verursacherprinzip gilt und diese somit                   des deutschen Abfallrechts – normiert, dass
durch die Betriebe eigenständig zu entsor-                Siedlungsabfälle, aber insbesondere Abfälle
gen sind, sind die privaten Haushalte, wie                aus privaten Haushaltungen vom Bürger ei-
bereits dargelegt, dazu verpflichtet, die Ab-             nem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ-
fälle dem kommunalen öffentlich-rechtli-                  ger zu überlassen sind. Während gewerbli-
chen Entsorgungsträger im Rahmen der                      che Abfälle oft direkt durch private Entsor-
kommunalen Daseinsvorsorge zur weiteren                   ger verwertet werden, unterliegen die pri-
Verwertung zu überlassen. Dem Bürger                      vaten Siedlungsabfälle in erster Instanz dem
kommt damit als Verbraucher, Abfallprodu-                 Zwang der Überlassung an den öffentlich-
zent und Gebührenzahler in Personalunion                  rechtlichen Entsorgungsträger.

eine bedeutende Rolle für die Kreislaufwirt-
                                                          Die Bestimmung des öffentlich-rechtlichen
schaft zu, da dieser zum einen durch sein
                                                          Entsorgungsträgers bleibt den Ländern vor-
Konsumverhalten die Art, Zusammenset-
                                                          behalten. Dies sind in Deutschland nach
zung und Menge des Siedlungsabfalls und
                                                          § 17 KrWG in Verbindung mit § 20 KrWG
damit mittelbar die Marktbeschaffenheit
                                                          und den jeweiligen Landesabfallgesetzen
mitbestimmt, aber eben auch die Entsor-
                                                          zumeist die Kommunen und Landkreise (so
gungskosten zu tragen hat. Diese werden
                                                          auch in NRW), welche dazu verpflichtet
unmittelbar durch strategische Entschei-
                                                          werden, im Gebiet ihrer eigenen Zuständig-
dungen des örtlichen öffentlich-rechtlichen
                                                          keit die anfallenden und zu überlassenden
Entsorgungsträgers beeinflusst.
                                                          Abfälle entsprechend den gesetzlichen Vor-
Die Entscheidung für eine private oder öf-                schriften und Landesabfallwirtschaftsplä-
fentliche Leistungserbringung unterliegt po-              nen zu verwerten und zu beseitigen.
litischen Kalkülen der kommunalen Gebiets-
                                                          Dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ-
körperschaft, die zum einen als öffentlich-
                                                          ger stehen grundsätzlich drei Optionen zur
rechtlicher Entsorgungsträger und zum an-
                                                          Verfügung, um dieser gesetzlichen Ver-
deren als potenzieller Marktteilnehmer fun-
                                                          pflichtung nachzukommen:
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              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

  1. Die Beauftragung privater Dritter nach              Behandlung von Abfällen in räumlicher

  § 22 KrWG, die abhängig von der Auf-                   Nähe zum Entstehungsort, beinhalten und

  tragssumme durch ein offenes europa-                   dadurch eine freie Erbringung am Markt

  weites oder nationales Vergabeverfah-                  weiter erschweren (Kuhn 2017: 7). Beck-
  ren zu erfolgen hat.                                   mann (2012: 28) schreibt dazu:

  2. Die Eigenerbringung durch ein eigenes                   „Gesetzliche Überlassungspflichten, lan-

  Kommunalunternehmen samt eigenem                           desrechtliche Andienungs- und Überlas-

  Personal, Fuhrpark und Infrastruktur.                      sungspflichten für gefährliche Abfälle

  Hier ist der öffentlich-rechtliche Entsor-                 und Bestrebungen nach kleinräumiger

  gungsträger an keine spezielle Rechts-                     Entsorgungsautarkie verhindern ökono-

  form des Kommunalunternehmens ge-                          mische Effizienz. […] Zutreffend wird da-
  bunden.                                                    rauf hingewiesen, dass als Monopolrecht

                                                             ausgestaltete Überlassungspflichten zur
  3. Es sind auch Kooperationsmodelle
                                                             Verdrängung der Wettbewerber, zu Inef-
  möglich, zum einen angelegt als PPP-Mo-
                                                             fizienzen, unnötig hohen Abfallgebühren
  delle in Kooperation mit der Wirtschaft
  oder als öffentlich-rechtliche Kooperati-                  und zu einer Einschränkung des Dienst-

  onen in Form eines Zweckverbandes                          leistungsangebots führen“.

  (Kuhn 2017: 8–11).
                                                         Damit sind im Spannungsfeld zwischen pri-
Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger              vater versus öffentlicher Leistungserbrin-
ist also bei den großen Massenfraktionen                 gung insbesondere die Kommunalpolitik
wie den Siedlungsabfällen sowie den Grün-                und die Stakeholder des Entsorgungsträgers
und Gartenabfällen gesetzlich dazu ver-                  jene Akteure, die samt ihrer eigenen Funkti-
pflichtet, die Entsorgungssicherheit zu ge-              onslogiken, Interessen und Vorstellungen
währleisten. Dazu werden durch die Länder                durch einen politischen Beschluss grundle-
zumeist ergänzend landesspezifische Abfall-              genden Einfluss auf die strategischen Ent-
wirtschaftskonzepte und -pläne erstellt, die             scheidungen in der kommunalen Abfallent-
zumeist das Näheprinzip, also das Gebot der              sorgung nehmen (Kuhn 2017: 20).
10
            Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

1.3 Allgemeine Entwicklung des Marktes für                     Jahr 2015 endete (Döing 2016: 51–52). Et-
    kommunale Restabfälle                                      waige vertragliche Verlängerungsoptionen,

Der Markt für kommunale Restabfälle ist in                     zumeist jahresweise, führten zuletzt zu ei-

den letzten Jahren deutlich in Bewegung ge-                    ner zeitlich versetzten Entwicklung der Aus-

raten, da viele Vergabeverträge an private                     schreibungen. Auslaufende Vergaben sind

Entsorger zwischen den Jahren 2015 und                         somit für den öffentlich-rechtlichen Entsor-

2020 auslaufen und die öffentlich-rechtli-                     gungsträger immer auch als Zeitpunkt für

chen Entsorgungsträger daher erneut vor                        eine Evaluation und ggf. Neuorientierung

der grundlegenden Entscheidung zwischen                        (window of opportunity) Richtung Eigener-

Vergabe    und    Eigenerbringung       stehen                 bringung bzw. Insourcing zu verstehen

(Döing 2016: 43). Döing prognostiziert da-                     (Wollmann 2013: 23).

bei, wie in Abbildung 2 dargelegt, insbeson-                   Abbildung 2: Geschätzte Anzahl künftiger
                                                               Ausschreibungen der Restabfallentsorgung
dere für das Jahr 2021 einen

sprunghaften Anstieg der Neu-

ausschreibungen. Diese kön-

nen insbesondere durch das

im Jahr 2005 in Kraft getretene

Deponieverbot für unbehan-

delte Siedlungsabfälle erklärt
                                    Quel le: Döing 2016: 51.
werden. Infolge des Deponie-

verbots stieg der Bedarf an thermischen
                                                               Es wird deutlich, dass die Entscheidungen
Entsorgungskapazitäten deutlich an, was                        der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ-
sich in zahlreichen zeitgleichen Ausschrei-                    ger langfristige und teilweise auch irrever-
bungen niederschlug.
                                                               sible Auswirkungen auf die Marktstruktur

                                                               haben, von der wiederum ökonomische und
Aufgrund von üblichen Vertragslaufzeiten
                                                               gesellschaftliche Implikationen und Folge-
von zumeist zehn oder 15 Jahren folgte ein
                                                               wirkungen ausgehen.
natürliches Vergabetief, welches erst im
11
                Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

Folglich wird in der Branche „zum Teil sehr                kostenrechnende gebührenfinanzierte Ein-

kräftig darüber gestritten, ob Entsorgungs-                richtung zu organisieren. Das bedeutet,

aktivitäten besser in privater oder in öffent-             dass alle Kosten für die rechtskonforme Be-

licher Hand aufgehoben sind“ (Kassebohm                    seitigung der Abfälle durch Gebührenzah-

2017: 94). Es steht der Vorwurf des Markt-                 lungen der Bürger zu decken sind (Kuhn

verschlusses im Raum, da die öffentlich-                   2017: 17). Näheres regeln in den Ländern

rechtlichen Entsorgungsträger frei darüber                 zumeist die Gemeindeordnungen und Haus-

entscheiden können, private Anbieter zuzu-                 halts- und Abgabenordnungen der Länder.

lassen oder nicht. Dieser Marktverschluss
                                                           Jenseits der ordnungspolitischen Debatte
durch die einseitige Bevorzugung kommu-
                                                           über den zunehmenden Marktverschluss
naler Unternehmen sowie die zunehmen-
                                                           sowie die zunehmende Konzentration auf
den rechtlichen, technischen und finanziel-
                                                           wenige Marktteilnehmer werfen die sehr
len Anforderungen und eine dadurch be-
                                                           unterschiedlichen Gebührenhöhen in Nord-
dingte hohe Komplexität der Entsorgung
                                                           rhein-Westfalen die Frage auf, ob aus Sicht
führten in den letzten Jahren zu einer Welle
                                                           des Bürgers (bzw. Gebührenzahlers) eine
an Konsolidierungen im Bereich der priva-
                                                           kommunale oder private Erbringung vorteil-
ten Entsorgungswirtschaft und einer zuneh-
                                                           haft ist (WDR 2017: 1).
menden Marktkonzentration zu Lasten klei-

ner privater Entsorgungsbetriebe (Kuhn                     Die oftmals mangelnde Transparenz und da-

2017: 2).                                                  mit Vergleichbarkeit der kommunalen Ab-

                                                           fallgebühren wird seit Jahren immer wieder
Eine weitere Besonderheit stellt auch die
                                                           kritisiert und veranlasste zuletzt u. a. die
laufende Finanzierung der Entsorgung kom-
                                                           EU-Kommission3, das Bundeskartellamt so-
munaler Abfälle dar. Diese ist unabhängig

von der Erbringungsart durch den öffent-

lich-rechtlichen Entsorgungsträger stets als

3 Siehe dazu den Bericht der Europäischen Kommis-          detail/-/publication/999dcc69-e2cc-11e6-ad7c-
sion „Legal assistance on the application of public        01aa75ed71a1
procurment rules in the wast sector“, abrufbar un-
ter:   www.publications.europa.eu/en/publication-
12
                Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

wie Verbände wie den Bund der Steuerzah-                         hen bisweilen haushaltspolitische Erwä-

ler NRW zu weitergehenden Untersuchun-                           gungen in ihre Entscheidungen ein“
gen (WDR 2017: 3–4; BdSt NRW 2016: 1).                           (Bundeskartellamt 2014: 4).

Im Vergleich zu anderen Branchen scheint                      Stakeholder der kommunalen Entsorger

das Interesse der Bürger für den Bereich der                  entgegnen, dass diese anders als private

Abfallentsorgung nur schwach ausgeprägt.                      Entsorger ohne Gewinnabsicht passgenauer
                                                              auf lokale Bedürfnisse reagieren können,
Die Frage, ob den kommunalen Entsor-
                                                              ökologische und arbeitsrechtliche Stan-
gungsgebühren eine effiziente und ange-
                                                              dards besser erfüllen und kommunale Ar-
messene Leistung gegenübersteht, wird oft-
                                                              beitsplätze sichern. Des Weiteren sei ein
mals nicht gestellt (Bataille/Steinmetz 2014:
                                                              Controlling im Rahmen einer Eigenerbrin-
2). Dies kann theoretisch dazu führen, dass
                                                              gung deutlich besser zu gewährleisten und
der Gebührenzahler unbemerkt ineffiziente                     aufwendige Vergabeverfahren4 vermeidba-
und überteuerte Erbringungen finanziert                       rer als im Rahmen einer privaten Erbringung
(Haucap 2007: 712; 714). Das Bundeskar-                       durch Ausschreibung (Mühlenkamp 2007:

tellamt sieht hier insbesondere die kommu-                    707 ff.; Libbe 2012: 22; Verbücheln 2009:

nale Erbringung als potenziell nachteilig für                 13–14; Kraemer et al. 2016: 1; Kuhn 2017:
                                                              30–31; Terzic 2017).
den Gebührenzahler an. Dazu das Bundes-
kartellamt:                                                   Kritiker einer kommunalen Erbringung ent-
                                                              gegnen, dass es aufseiten des öffentlich-
     „Staatliche Wirtschaftstätigkeit kann für
                                                              rechtlichen Entsorgungsträgers ebenso zu
     die Bürger/Verbraucher mit unmittelba-
                                                              begrenzter Rationalität, Fehlentscheidun-
     ren Kosten verbunden sein. Im Vergleich
                                                              gen sowie schwerfälligen Entscheidungs-
     zu Privaten unterliegen öffentliche Un-                  prozessen oder gar politischer Instrumenta-
     ternehmen oftmals geringeren Anreizen                    lisierung kommen kann. Darüber hinaus las-
     für effizientes Wirtschaften und bezie-                  sen sich aufwendige Vergabeverfahren
                                                              durch eine Eigenerbringung oftmals nicht

4   Vgl. dazu gesondert: Sack 2014: 346–347.
13
               Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

vermeiden, da hohe kommunale Investitio-                  empirische Belege für die oftmals ausführ-
nen in Infrastruktur, Fuhrparke, Gerätschaf-              lich ausgebreiten Argumentationsketten
ten etc. getätigt werden müssen. Zudem                    beigebracht werden.
nutzen viele Kommunen die eigene Wirt-
                                                          In Teilen entsteht daher der Eindruck, dass
schaftstätigkeit zur Generierung von Gewin-
                                                          die Pro-Contra-Debatte kommunaler Leis-
nen für den kommunalen Kernhaushalt.
                                                          tungserbringung in einer ordnungspoliti-
Auch bestehen wenig Anreize, potenzielle
                                                          schen oder gar ideologischen Argumenta-
Effizienzgewinne und Kostenvorteile an die
                                                          tion verhaftet bleibt, die einer Analyse der
Gebührenzahler        weiterzugeben    (Verbü-
                                                          tatsächlichen institutionellen und politi-
cheln 2009: 3; Röber 2012: 81; Bundeskar-
                                                          schen Rahmenbedingungen, der Motivla-
tellamt 2014: 4; Kraemer et al. 2016: 11;
                                                          gen der einzelnen Steakholder sowie einer
Kuhn 2017: 43). Gerade im Bereich der kom-
                                                          systematischen Analyse der Marktgegeben-
munalen Stadtwerke lässt sich beobachten,
                                                          heiten im Wege steht.
dass diese einem Preisvergleich mit priva-
ten Anbieter oftmals nicht standhalten
(Lichter 2015: 34).

Ferner ist es gerade für kleinere Kommunen
schwer, im Bereich der Entsorgung notwen-
dige Größeneffekte für eine effektive Leis-
tungserbringung zu generieren und das not-
wendige Know-how hierfür vorzuhalten.
Dies kann ineffiziente Leistungserbringun-
gen zur Folge haben (Bardt/Fuest 2007: 9;
Bauer 2012: 23; Halmer/Hauenschild 2014:
41-43; Kraemer et al. 2016: 34–36).

Trotz der umfassend geführten Pro-Contra-
Debatte einer kommunalen oder privaten
Leistungserbringung im Entsorgungsbereich
verweist u.a. Kassebohm (2017: 97) darauf,
dass von beiden Seiten nur sehr spärlich
14
            Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

1.3.1 Schieflage bei der Verteilung des Mark-             eigenen Kommunalbetriebe               beauftragen
      tes zwischen kommunalen und priva-                  können. Das europäische Vergaberecht
      ten Erbringern                                      greift in diesen Fällen also nicht.

In urbanen Räumen mit mehr als 100.000
                                                          Lediglich in Flächenkreisen wird die Mög-
Einwohnern haben die kommunalen Entsor-
                                                          lichkeit der Vergabe im Rahmen einer wett-
ger einen Marktanteil von 80 % und domi-                  bewerblichen Ausschreibung zur Fremd-
nieren den urbanen Markt. Private Entsor-                 vergabe an Dritte verstärkt genutzt.
ger dominieren hingegen vor allem im länd-
                                                          Wegen des vor allem in urbanen Räumen
lichen Raum. Diese Befunde deuten in der
                                                          eingeschränkten Wettbewerbs              mahnten
Wahrnehmung einiger Beobachter auf eine
                                                          das Bundeskartellamt und die EU-Kommis-
Rosinenpickerei der Kommunen hin, die
                                                          sion bereits mehrfach die wettbewerbs -
sich insbesondere die dicht besiedelten,                  hemmende Gesetzgebung des KrWG an
profitablen Gebiete herausgesucht haben                   (Bundeskartellamt 2014: 5; Böckers et al.
(Böckers et al. 2016: 1; BDE et al. 2016: 9).             2016: 5).

Dies steht ihnen durchaus frei, zeigt aber
                                                          Insbesondere die Doppelfunktion der kom-
auch eine gewisse Schieflage im Markt.
                                                          munalen Gebietskörperschaften – als po-
                                                          tenzieller Marktteilnehmer und Abfallbe-
Einem ausgedehnten Wettbewerb im Ent-
                                                          hörde zugleich – führe zu strukturellen An-
sorgungssektor steht also oftmals der öf-
                                                          reizen, welche einen Wettbewerb ungüns-
fentlich-rechtliche Entsorgungsträger samt
                                                          tig beeinflussten. Die Pflicht der Privaten,
seiner kommunal(politischen) Stakeholdern
                                                          ihren Hausmüll den Kommunen zu überlas-
entgegen, der sein eigenes Entsorgungsun-
                                                          sen, die wiederum die freihändige Inhouse-
ternehmen im Rahmen der sogenannten In-
                                                          Vergabe an das eigene kommunale Entsor-
house-Vergabe als Quasi-Monopolist mit
                                                          gungsunternehmen möglich macht, bedingt
Sammlung, Transport, Behandlung, Verwer-
                                                          einen fortschreitenden Marktverschluss für
tung und Beseitigung des im eigenen Zu-
                                                          private Anbieter, der nicht zuletzt aufgrund
ständigkeitsbereich anfallenden Abfalls be-
                                                          hoher Investitionskosten oder einer weiter-
auftragt. Im Rahmen der Inhouse-Vergabe
wird somit keine Vergabe durch Ausschrei-
bung durchgeführt, da die Kommunen die
15
              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

gehenden interkommunalen Institutionali-                 denkbar, dass regional spezifische Entsor-
sierung durch einen Zweckverband irrever-                gungsbedingungen die starke Spreizung der
sibel ist (Verbücheln 2009: 15). Dazu Kuhn:              Gebühren rechtfertigen.

  „In der Regel ist die Gründung eines
  Zweckverbandes irreversibel. […] Gerade
  im Bereich der Müllverbrennung gibt es
  deutschlandweit viele Zweckverbände.
  Auch Abfuhrzweckverbände, die gemein-
  sam die Durchführung der Abfuhrleistun-
  gen organisieren, erfreuen sich wachsen-
  der Beliebtheit. […] Wettbewerbsrecht-
  lich sind diese Aufgaben dauerhaft dem
  Markt entzogen […] Der Preismechanis-
  mus von Angebot und Nachfrage wird
  durch bi- oder multilaterale Preisfindun-
  gen zwischen den Beteiligten [Gebiets-
  körperschaften des Zweckverbandes] er-
  setzt“ (Kuhn 2017: 9–10).

Ob eine kommunale Leistungserbringung
ohne den effizienzfordernden Marktdruck
für den Gebührenzahler von Vor- oder
Nachteil ist, bleibt umstritten. Differenzen
von bis zu 340 % prägen die Gebührenland-
schaft in Nordrhein-Westfalen und sind zu-
mindest ein Indikator für gewisse Leistungs-
unterschiede und ggf. Marktungleichge-
wichte, welche in Kapitel 2 weiter behandelt
werden sollen. Rein theoretisch ist auch
16
             Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

1.3.2 Entwicklung der thermischen Behand-                     Obwohl dies eine grundsätzlich positive Ent-
        lungskapazitäten und der Verbren-                     wicklung wäre, müssen auch die Auswirkun-
        nungsentgelte
                                                              gen auf die Abfallwirtschaft betrachtet wer-

Der Steuerzahlerbund sowie verschiedene                       den. Denn eine tragende Säule der Abfall-
Verbraucherschutzstellen      beklagen eine                   wirtschaft steht damit vor großen Heraus-
hohe Intransparenz bei der kommunalen                         forderungen. Wie Abbildung 3 veranschau-
Gebührenkalkulation, insbesondere bei der                     licht, konkurrieren bundesweit 66 Abfallver-
kommunalen Inhouse-Vergabe sowie bei
                                                              brennungsanlagen mit einer Gesamtkapazi-
den sogenannten Verbrennungsentgelten,
                                                              tät von 19,7 Mio. Tonnen im Jahr um abseh-
welche für die Entsorgung von Hausmüll in
                                                              bar sinkende Abfallmengen (BDE et al. 2016:
den Müllverbrennungsanlagen (MVAs) zu
                                                              8).
zahlen sind (BdSt NRW 2016: 1).

                                                              Abbildung 3: MVA-Standorte in Deutsch-
Die Abfallverbrennung übernimmt dabei
                                                              land
insbesondere die Funktion, Abfälle und
Schadstoffe sicher zu entsor-
gen     (Dehoust/Möck      2015:
139). Wie Dehoust und Möck
verdeutlichen, werden die zu-
nehmenden       Anstrengungen
des Gesetzgebers und der
Kreislaufwirtschaft zur Res-
sourcenschonung,           Wert-
stofftrennung und Recycling
dazu führen, dass sich die in
MVAs zu behandelnden Abfall-
mengen je nach Berechnung
mehr als halbieren werden
(Dehoust/Möck 2015: 150–
152).
                                      Quel le: Prognos AG, zi tiert nach BDE et al. 2016: 8.
17
              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

Diese Entwicklung stellt insbesondere die                    In den letzten Jahrzehnten wurden die Ka-

Betreiber von Verbrennungsanlagen vor                        pazitäten der MVAs insbesondere auch als

neue Herausforderungen, da am Markt be-                      umweltschonendere Alternative zur Depo-

reits jetzt Überkapazitäten vorhanden sind,                  nierung massiv ausgebaut. Wie Abbildung 4

die einzelnen Anlagen aber zumeist für ei-                   verdeutlicht, haben die sich stets weiterent-

nen reibungslosen technischen sowie öko-                     wickelnden rechtlichen Rahmenbedingun-

nomischen Betrieb auf gewisse Mindestab-                     gen, insbesondere der TA Siedlungsabfall

fallmengen angewiesen sind. Dehoust und                      aus dem Jahr 1993, zu einem sukzessiven

Möck prognostizieren daher für die kom-                      Ausbau der thermischen Behandlungskapa-

menden Jahrzehnte „erhebliche Marktver-                      zitäten bis in das Jahr 2009 hinein geführt.

schiebungen“ (Dehoust/Möck 2015: 150)
                                                             Abbildung 4: Behandlungskapazitäten in
und die Notwendigkeit zur Re-                                Deutschland

duktion von Verbrennungska-
pazitäten.

Sollten, so Kurth et al., keine

neuen    (Abfall-)Märkte     er-

schlossen werden, ist eine Ka-

pazitätsreduktion unumgäng-

lich (Kurth et al. 2015: 131).

Gerade für größere kommu-

nale Entsorgungsbetriebe, die

oft auch eigene MVAs betrei-
                                   Quel le: Prognos AG 2014, zi ti ert nach Kurth et al. 2015: 128
ben, führt die zunehmende Fo-
                                                             Wegen der stark steigenden Abfallmengen
kussierung auf eine Abfallvermeidung und
                                                             und der zunehmenden Belastung von Um-
Recycling zu wirtschaftlichen Problemen
                                                             welt, Grundwasser und Luft durch Methan-
(Bataille/Steinmetz 2014: 7).
                                                             gase implementierte die Bundesregierung
                                                             mit der TA Siedlungsabfall als Verwaltungs-
                                                             vorschrift zum Abfallgesetz das 2005 in
18
             Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

Kraft getretene allgemeine Deponierungs-                     weitgehend gleichen Verbrennungskapazi-
verbot.                                                      täten beständig (Kurth et al. 2015: 127;
                                                             Dehoust/Möck 2015: 151).
Dieses hatte das Verbot der Deponierung
unbehandelter Hausabfälle zum Gegen-                         Die Folge des Überangebots an thermischen
stand und führte zu einer Schließung zahl-                   Behandlungskapazitäten sind, wie Abbil-
reicher Deponien in Deutschland. Die TA                      dung 5 aufzeigt, Entsorgungspreise, die in
Siedlungsabfall induzierte somit einen deut-                 den letzten Jahren kontinuierlich gesunken
lichen Ausbau der thermischen Behand-                        sind und zuletzt bundesweit zwischen 35
lungskapazitäten in Deutschland (Kurth et                    und 100 € je Tonne lagen (Kurth et al. 2015:
al. 2015: 127).                                              128).

Entsprechend hat sich in der Zeit von 1993                   Abbildung 5: Preisentwicklung der Verbren-
                                                             nungsentgelte
bis 2005 die thermi-
sche Behandlungs-
kapazität zur Abfall-
verwertung von 8,1
Mio. Tonnen im Jahr
auf 17,1 Mio. Ton-
nen mehr als ver-
doppelt.
                          Quel le: Döing 2016: 54. Dunkelrot: a lle Annahmegebühren ohne Unterscheidung nach Einzel-
                          mä rkten, hellrot: kommunale Annahmegebühren, blau: gewerbliche Annahmegebühren, hell-
Infolge der Implemen-     bl a u: Spotmarkt.
                                                             Vor diesem Hintergrund überrascht es
tierung der europäischen Abfallrahmen-
richtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) und in-                   nicht, dass eine zufriedenstellende Auslas-

folge des KrWG sowie der in der Konse-                       tung vieler Anlagen heute nur noch durch

quenzansteigenden Recyclingquoten sowie                      Abfallimporte aus z. B. Großbritannien, Ita-
der nunmehr vorgeschriebenen Getrenn-                        lien sowie weiteren EU-Staaten sicherge-
terfassung von Papier-, Metall-, Kunststoff-,                stellt werden kann, wenngleich in diesen
Glas- und Bioabfällen sinkt die Menge der zu
                                                             Ländern momentan neue Behandlungska-
behandelnden Restabfälle nun jedoch bei
                                                             pazitäten geplant oder erbaut werden, so-

                                                             dass von einem stetigen Abfallimport nicht
19
               Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

dauerhaft ausgegangen werden kann (Kurth                      neu vergeben wurde, was eine Anpas-

et al. 2015: 129).                                            sung an die neuen Rahmenbedingungen
                                                              verhinderte (Döing 2016: 52–54).
Aufgrund der aufgezeigten Entwicklung u.a.

in der deutschen Abfallpolitik wird der öko-              Es lässt sich infolgedessen als deutlicher

nomische Druck auf die MVA-Betreiber wei-                 Trend feststellen, dass zumindest im Be-

ter steigen (Brunner 2014: 47). Döing be-                 reich der Verbrennungsentgelte für kom-
                                                          munale Restabfälle im Rahmen von Neu-
schreibt die Marktentwicklung der letzten
                                                          vergaben deutliche Preisnachlässe durch
Jahre dabei zusammenfassend wie folgt:
                                                          den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ-
   1. Aufgrund fehlender Behandlungskapa-                 ger realisiert werden können (Döing 2016:
   zitäten kam es in der Vergangenheit zu                 55). Eine weitere Herausforderung für einen
   deutlichen Preissteigerungen sowohl bei                kostendeckenden Betrieb der Anlagen stel-

   den privaten Siedlungsabfällen als auch                len bestehende Emissionsrichtlinien sowie

   bei den gewerblichen Abfällen.                         die mittel- bis langfristige Klimaschutzpla-
                                                          nung der Bundesregierung dar, welche ei-
   2. Dem Entsorgungsengpass wurde in                     nem Weiter so der thermischen Abfallbe-
   den folgenden Jahren mit zahlreichen In-               handlung entgegenstehen, da auch in die-
   vestitionen in neue MVAs begegnet, die                 sem Bereich anfallende Emissionen weiter
   überwiegend vor dem Marktkollaps im                    reduziert werden sollen (Dehoust/Möck
   Jahr 2008/2009 in Bau gingen.                          2015: 139–142). In den letzten Jahren sind
                                                          folglich viele MVAs anlässlichpolitisch gefor-
   3. Bedingt durch die konjunkturelle
                                                          derter Umweltvorgaben, aufgrund daraus
   Flaute während der Finanz- und Wirt-
                                                          folgender Investitions- und Betriebskosten,
   schaftskrise und aufgrund gesteigerter                 der vorherrschenden Überkapazitäten am
   Kapazitäten trat ein signifikanter Preis-              Markt und des daraus resultierenden Preis-
   verfall insbesondere bei gewerblichen                  verfalls auch bei der Berücksichtigung der

   Verträgen ein, da die Entsorgung kom-                  erzeugten Energieerlöse nicht mehr kosten-

   munaler Restabfälle in dieser Zeit kaum                neutral oder gewinnbringend zu betreiben
                                                          (Brunner 2013: 167–169).
20
              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

1.3.3 Neuvergaben als Chance für den Ge-                    Zweitens kann sich der Mengen- und Preis-
      bührenzahler                                          verfall gerade dann für den kommunalen
Aufgrund des sich verstetigten Preisverfalls                Gebührenzahler negativ auswirken, wenn
und weiter abnehmender Abfallmengen                         die MVA durch den örtlichen öffentlich-
wird eine Reduzierung der MVA-Kapazitä-                     rechtlichen Entsorgungsträger, also in kom-
ten       aktuell    kontrovers       diskutiert            munaler Hand betrieben wird und Investiti-
(Dehoust/Möck 2015: 139; Becker 2014:                       ons- und Betriebskosten größtenteils oder
128; BdSt NRW 2013: 1).                                     teilweise über die kommunalen Abfallge-

                                                            bühren abgedeckt werden müssen. In einer
Die Marktsituation für Verbrennungsent-
                                                            solchen Konstellation ist mit gleichbleiben-
gelte ist auf der einen Seite durch langfris-
                                                            den oder gar steigenden Abfallgebühren zu
tige hohe Investitionen (und sunk costs) in
                                                            rechnen.
eine teure Entsorgungsinfrastruktur sowie

auf der anderen Seite durch verringerte Ab-                 Aus der einst sehr stabilen Marktsituation
fallmengen und sich stetig weiterentwi-                     heraus ist für kommunal getragene Abfall-
ckelnde     politische   Rahmenbedingungen                  verwertungsanlagen ein mehrfaches Di-
und sinkende Marktpreise gekennzeichnet.                    lemma entstanden: Zum einen soll jederzeit

                                                            Entsorgungssicherheit bei hohen ökologi-
Da die Verbrennungsentgelte ein wesentli-
                                                            schen Standards garantiert werden, zum an-
cher Bestandteil der kommunalen Abfallge-
                                                            deren aber ökonomisch auskömmlich auf
bühr sind, kann diese Situation für den kom-
                                                            die sinkenden Siedlungsabfallmengen durch
munalen Gebührenzahler zweierlei Auswir-
                                                            Kapazitätsrückbau und mehr Wettbewerb
kungen haben. Erstens ist es den öffentlich-
                                                            reagiert werden (Becker 2014: 128). Ge-
rechtlichen Entsorgungsträgern durch eine
                                                            schieht dies bei einer Vermischung von Kos-
Neuausschreibung oftmals möglich, deutli-
                                                            ten der abgabepflichtigen Siedlungsabfälle
che Preisnachlässe bei den Verbrennungs -
                                                            der Gebührenzahler in Kombination mit den
entgelten zu realisieren, welche unmittel-
                                                            Preisen einer sehr volatilen Gewerbeab-
bar gebührenrelevant werden, also zu sin-
                                                            fallentsorgung, so kann vermutet werden,
kenden Abfallgebühren führen.
                                                            dass die Preisgestaltung zumeist zu Lasten
21
                Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

der abgabepflichtigen Siedlungsabfallent-                  Während Halmer und Hauenschild in gene-

sorgung geht.                                              reller Perspektive keine empirischen Belege

                                                           für eine ineffiziente kommunale Erbringung
Dies führt zu einer deutlichen regionalen
                                                           feststellen konnten und sogar tendenziell
Ausdifferenzierung der Verbrennungsent-
                                                           Nachteile bei den Privaten sehen (Hal-
gelte, die nur teilweise über einen wettbe-
                                                           mer/Hauenschild 2014: 124), finden sich in
werblichen Preismechanismus bestimmt
                                                           Nordrhein-Westfalen auch prominente Bei-
werden. Davon profitieren insbesondere
                                                           spiele kommunaler Leistungserbringungen,
jene öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ-
                                                           welche für den Gebührenzahler deutliche
ger, die keine eigene MVA vorhalten und
                                                           Mehrbelastungen zur Folge hatten.
über Ausschreibungen aktuelle Marktpreis e
erzielen können.                                           So steht die durch den Kreis Wesel betrie-

                                                           bene Kreis Weseler Abfallgesellschaft samt
Aufgrund nicht absehbarer Kapazitätsre-
                                                           der MVA Asdonkshof seit Jahren aufgrund
duktionen sowie weiterhin sinkender Ab-
                                                           der auffällig hohen Gebühren für die Ge-
fallmengen lässt der Markt zumindest für
                                                           bührenzahler des Kreises Wesel in der Kritik
jene Landkreise und kreisfreien Städte, die
                                                           (Schäfer 2012; BdSt NRW 2016: 1; Kasse-
an keine eigene Entsorgungsinfrastruktur
                                                           bohm 2017: 105; WDR 2017: 1).
gebunden sind, auch in den kommenden

Jahren eine durchaus dynamische Entwick-                   Ebenso gilt die Rekommunalisierung der Ab-
lung mit Preisnachlässen erwarten.                         fallentsorgung in Bergkamen als ein Bei-

                                                           spiel, bei dem trotz anderslautender Ankün-
Ob allerdings eine kommunale oder private
                                                           digungen der Gebührenzahler keine Entlas-
Leistungserbringung für den Gebührenzah-
                                                           tung erfuhr und sogar mittelbar höhere Be-
ler von Vorteil ist, bleibt zumindest für jene
                                                           lastungen im Vergleich zu einer privaten
öffentlich-rechtlichen      Entsorgungsträger
                                                           Leistungserbringung zu tragen hatte. So
ohne eigene Verbrennungsanlage weiterhin
                                                           konnte für Bergkamen folgender Trend aus-
offen, da sowohl kommunale als auch pri-
                                                           gemacht werden: Kurzfristig (und politisch
vate Entsorger von fallenden Verbren-
nungsentgelten profitieren können.
22
            Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

gewollt) kam es nach der Rekommunalisie-

rung der Abfallentsorgung zu einer Gebüh-

rensenkung (welche zumeist am Markt

durch eine Neuausschreibung auch erziel-

bar gewesen wäre). Die Gebührensenkung

hielt aber nur wenige Jahre an. „Die anfäng-

liche Preissenkung bei der Restmülltonne

(120 l) konnte nicht auf Dauer gehalten wer-

den und so entspricht der Preis hierfür seit

dem Jahr 2010 wieder dem Preis vor der Re-

kommunalisierung“      (Halmer/Hauenschild

2014: 132; Schäfer 2012). Es zeigt sich also

an diesem Beispiel, dass der fehlende An-

trieb marktlichen Wettbewerbs mittelfristig

zu Preissteigerungen führen kann.
23
              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

2. Die Kreislaufwirtschaft in Nord-
   rhein-Westfalen

Der Gesamt-Branchenumsatz der deut-
schen Kreislaufwirtschaft betrug 2014 ca. 71
Mrd. €; die Branche umfasste mehr als
260.000 Beschäftigte, die sich auf etwa
6.000 private sowie öffentlich-kommunale
Unternehmen      aufteilten    (Jaron/Walter
2016: 5; BDE et al. 2016: 1; Kraemer et al.
2016: 7; Kassebohm 2017: 94).

Die für die Gebührenzahler entscheidenden

Leistungen der Abfallsammlung von Sied-

lungsabfällen sowie deren Transport er-

zeugten in Deutschland im Jahr 2014 ein

Umsatzvolumen von 14,5 Mrd. €. Damit

stellen sie nach der Abfallbehandlung

und -verwertung das zweitgrößte Marktseg-

ment der Abfallwirtschaft mit etwa 77.000
Erwerbstätigen dar (BDE et al. 2016: 15).
24
             Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

2.1 Positionierung Nordrhein-Westfalens im                       und Recyclinganlagen (27 %) als auch bei
      Bundesländervergleich                                      den Anlagen zur thermischen Verwertung
                                                                 (33 %) (Kassebohm 2017: 104–105).
Die Verteilung bzw. Präsenz der Abfallwirt-

schaft ist in den deutschen Ländern sehr un-                     Zugleich hat die Kreislaufwirtschaft in Nord-

terschiedlich ausgeprägt. Nordrhein-Wes t-                       rhein-Westfalen mit Abstand die höchste
                                                                 Zahl der Beschäftigten und die weitrei-
falen kann nach Berechnungen des Bundes-
                                                                 chendste Spezialisierung aller Bundeslän-
verbandes deutscher Entsorger (BDE) so-
                                                                 der.
wohl in den Bereichen Beschäftigung wie
                                                                 Abbildung 6: Umsatz der Kreislaufwirtschaft
auch der technologischen Spezialisierung
                                                                 in 2014
bundesweit den Spitzenplatz einnehmen

und ist damit, neben der nominalen Größe

des lokalen Marktes, für

die deutsche Abfallwirt-

schaft bundesweit die

mit    Abstand     bedeu-

tendste Region (BDE et
al. 2016: 15).

Insgesamt    ist    Nord-
rhein-Westfalen in allen
Bereichen der Kreislauf-
wirtschaft   überdurch-
schnittlich gut aufge-
stellt und daher für die
gesamtdeutsche Bran-
                              Quel le: Prognos AG, zi tiert nach BDE et al. 2016: 27.
che von herausgehobe-
ner Bedeutung. Insbesondere die Behand-                          Abbildung 6 verdeutlicht, dass die Kreislauf-

lungs- und Entsorgungskapazitäten in Nord-                       wirtschaft in Nordrhein-Westfalen – auch
rhein-Westfalen sind im Bundesvergleich                          im Vergleich zu den ökonomisch erfolgrei-
herausragend, dies sowohl bei den Sortier-
25
                 Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

cheren Ländern Bayern und Baden-Würt-

temberg – mit einem Umsatz von 24,5

Mrd. € deutlich hervortritt und in allen Teil-

bereichen der Abfallsammlung und des

Transportes, der Abfallbehandlung und Ver-

wertung sowie im Großhandel und der

Technik der Abfallwirtschaft führend ist.

Somit fokussiert sich gut ein Drittel des Ge-
samtmarktes       auf    Nordrhein-Westfalen,
welches daher oft auch als das Kreislauf-
wirtschaftsland der Republik bezeichnet
wird (BDE et al. 2016: 15). Nordrhein-Wes t-
falen profitiert von historisch gewachsenen
Strukturen, da hier gleich mehrere private
und kommunale überregional aktive Abfall-
wirtschaftsbetriebe ihren Ursprung und Sitz
haben (BDE et al. 2016: 15).

In den letzten Jahren hat sich die Kreislauf-
wirtschaft in Nordrhein-Westfalen dabei
auch im Hinblick auf die Erwerbstätigenent-
wicklung und den Gesamtumsatz bundes-
weit überdurchschnittlich positiv entwi-
ckelt, fällt von der Dynamik aber etwas hin-
ter die nominal kleineren Länder Bayern,
Hessen und Niedersachsen zurück (BDE et
al. 2016: 26).
26
              Dose, Reintjes – Die Marktstruktur der Restabfallentsorgung in Nordrhein-Westfalen

2.2 Die Marktverteilung zwischen kommu-                     Transportieren von Abfällen und Wertstof-
     nalen und privaten Erbringern in                       fen zu ihrer Domäne (Kraemer et al. 2016:
     Deutschland und Nordrhein-Westfalen                    8–9).
Die Abfallwirtschaft in Deutschland ist in der
                                                            Wie das Düsseldorfer Institut für Wettbe-
Fläche sehr heterogen strukturiert, wenn-
                                                            werbsökonomie (DICE) in einer jüngsten
gleich diese in den Großstädten fast aus-
schließlich durch kommunale Entsorger und                   Untersuchung feststellte, wird in 33,59 %

darüber hinaus durch wenige bundes- oder                    der Gebietskörperschaften5 Deutschlands

europaweit agierende Großunternehme n                       der Restmüll durch kommunale Unterneh-
(u. a. Remondis, Sita, Veolia, Alba) domi-                  men entsorgt (Böckers et al. 2016). Dieser
niert wird. Dennoch findet sich gerade auf                  Befund wirkt zuerst einmal unspektakulär,
privater Seite eine „Vielzahl kleiner bis                   wird in seiner Tragweite aber deutlich,
kleinster Unternehmen […] und etwa zehn
                                                            wenn die untersuchten Fälle nach Einwoh-
bis 20 familiengeführte, auf definierte Regi-
                                                            nerzahl gewichtet werden. Dann werden
onen konzentrierte, mittelgroße Betriebe.
                                                            nach Berechnungen des DICE 61,73 % der
Letztgenannte konnten durch ihre Konzent-
                                                            Einwohner im Bundesgebiet von kommuna-
ration auf ausgewählte Regionen eine gute
Marktposition einschließlich einer funktio-                 len Entsorgern bedient. Das DICE unter-

nierenden Kooperation mit den Kommunen                      streicht in seiner Untersuchung damit das

aufbauen“ (Kraemer et al. 2016: 8–9).                       bereits für das Bundesgebiet beschriebene

                                                            Stadt-Land-Gefälle in der Restmüllentsor-
Wie Kramer et al. argumentieren, leiden ins-
besondere die auf einen engen geografi-                     gung. Demnach sind gerade in den kleinen

schen Raum konzentrierten Klein- und                        Gemeinden oder Landkreisen (nur 37,61 %

Kleinstbetriebe unter einer zunehmenden                     kommunale Entsorger) die privaten Entsor-
Marktkonzentration sowie steigenden An-                     ger führend, in den Städten über 100.000
forderungen an die Abfallentsorgung. Daher                  Einwohner mit 94 % und kreisfreien Städten
entwickelte sich auch aufgrund geringer
                                                            mit 89 % hingegen sehr deutlich die kom-
Margen zunehmend das reine Sammeln und
                                                            munalen Entsorger (Böckers et al. 2016: 13).

5 Untersucht wurden alle Gemeinden, Städte, kreis-
freien Städte und Landkreise in allen sechzehn Län-
dern.
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