Die neue Europäische Union : im vitalen Interesse Deutschlands?
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Die neue Europäische Union : im vitalen Interesse Deutschlands? Die neue Europäische Union : im vitalen Interesse Deutschlands? Studie zu Kosten und Nutzen der Europäischen Union für die Bundesrepublik Deutschland Wolfgang Wessels / Udo Diedrichs (Hrsg.), Januar 2006 Wessels / Diedrichs (Hrsg.) www.europaeische-bewegung.de europa-union deutschland Mitwirken am Europa der Bürger www.europa-union.de
Die Initiatoren Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland Europa-Union Deutschland Die Herausgeber Prof. Dr. Wolfgang Wessels Dr. Udo Diedrichs Netzwerk Die Autoren Europäische Bewegung Deutschland Jean-Monnet-Haus Prof. Dr. Wolfgang Wessels Bundesallee 22 Inhaber eines Jean Monnet Lehrstuhls am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität zu Köln D – 10717 Berlin Dr. Udo Diedrichs Tel.: +49 - 30 - 88 41 22 45 Senior Fellow am Jean Monnet Lehrstuhl am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität zu Köln Fax: +49 - 30 - 88 41 22 47 Prof. Dr. Rolf Sternberg netzwerk@europaeische-bewegung.de Professor am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Universität Hannover www.europaeische-bewegung.de Prof. Dr. Thomas Straubhaar Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) Dr. Günter Weinert Europa-Union Deutschland Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA) Jean-Monnet-Haus Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt Bundesallee 22 Professor am Seminar für Sozialpolitik der Universität zu Köln D – 10717 Berlin Tel.: +49 - 30 - 88 67 66 20 Prof. Dr. Werner Sesselmeier Fax: +49 - 30 - 88 41 22 47 Professor am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Koblenz-Landau info@europa-union.de Prof. Dr. Lars P. Feld www.europa-union.de Professor für Volkswirtschaftslehre (Finanzwissenschaft) an der Philipps-Universität Marburg IMPRESSUM Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Mit freundlicher Unterstützung von ISBN 3–00–018119–9 1. Auflage 2006 Redaktionsschluss: 30. November 2005 Copyright: Europäische Bewegung Deutschland e.V., Europa-Union Deutschland e.V. Druck: druckpunkt GmbH, Berlin Verband der Metall- und Elektro-Unternehmen Hessen e.V. Grafik: Wiebke Pöpel, Nina Trautsch
Die neue Europäische Union : im vitalen Interesse Deutschlands? Studie zu Kosten und Nutzen der Europäischen Union für die Bundesrepublik Deutschland
Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland Das Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland ist der überparteiliche Zusam- menschluss der organisierten Zivilgesellschaft im Bereich Europapolitik. Es fördert die europäische Integration und die Europäisierung Deutschlands. Seine rund 120 Mitgliedsorganisationen repräsentieren nahezu alle gesellschaftlichen Gruppen: Dr. Monika Wulf-Mathies Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften, Bildungsträger, Wissenschaft- Präsidentin des Netzwerks liche Institute, Stiftungen, Parteien und andere. Die europapolitischen Expertisen, Europäische Bewegung Deutschland Informationen und Aktivitäten der Mitgliedsorganisationen werden im Netzwerk Mitglied der Europäischen Kommission a.D. EBD gebündelt, vernetzt und verstärkt. Ziel ist es, in enger Kooperation mit den politischen Institutionen die Europa-Kommunikation, die Europäische Vorausschau und die europapolitische Koordinierung in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Deutschland und Europa Europa-Union Deutschland Die Europa-Union Deutschland ist „die“ Bürgerinitiative für Europa in Deutschland. – das ist eine Verbindung, die seit über 50 Jahren Bestand hat und beiden, Deutschland Sie ist lokal, regional und national aktiv und vereint Vertreterinnen und Vertreter und Europa, Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand gebracht hat. aller gesellschaftlichen Gruppen. Die Europa-Union tritt seit 60 Jahren für eine Deutschland in Europa – das ist das bevölkerungsreichste und eines der wirtschafts- weitreichende europäische Integration ein – überparteilich und unabhängig. stärksten Länder in der heutigen Europäischen Union. Entsprechend hat Deutschland in Als Mittlerin zwischen Bürgerinnen und Bürgern und den Institutionen auf allen Ebenen der europäischen Politik engagiert sie sich für ein „Europa der Bürger“, all den Jahren bei den großen Projekten der europäischen Integration eine zentrale Rolle das von einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Die gespielt. Ob bei der Schaffung des EU-Binnenmarktes, der Einführung der gemeinsamen Europa-Union ist der deutsche Zweig der Union Europäischer Föderalisten (UEF) Währung und nicht zuletzt – ausgelöst durch die eigene deutsche Wiedervereinigung und mit ihrem Jugendverband Junge Europäische Föderalisten (JEF) Mitglied des – bei der EU-Erweiterung im Mai 2004. Diese europäischen Errungenschaften sind alle im Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland. vitalen Interesse Deutschlands: gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch. Auch im abgelaufenen Jahr 2005 hat Deutschland sein vitales Interesse an einer funkti- onierenden Europäischen Union vielfach demonstriert – zuletzt bei der Einigung auf eine gemeinsame Finanzverfassung für den Zeitraum 2007 bis 2013 auf dem EU-Gipfel im Dezember 2005 in Brüssel. Betrachtet man die Kommentierungen der Gipfelergebnisse, die sich völlig unbeeindruckt durch den Gewinn an politischem Kapital reflexartig allein auf Nettosalden konzentrierte, dann ist es dringend an der Zeit, eine ehrliche Kosten- Nutzen-Analyse vorzunehmen, die nicht nur mit wirtschaftlichen Kennzahlen operiert, sondern gesellschaftliche und politische Kosten einbezieht. Die letzte größere Analyse dazu datiert aus dem Jahre 1984 – ebenfalls herausgegeben von Prof. Wolfgang Wessels, damals gemeinsam mit Prof. Rudolf Hrbek. Die nun im Jahre 2006 vorliegende Studie macht deutlich: Die neue EU ist im vitalen Interesse Deutschlands! Das belegen zum einen die in der Studie dargelegten Zahlen wie auch die Analyse der politischen Vorteile. In beiden Feldern bietet die Studie einen großen Mehrwert für die europapolitische Diskussion in Deutschland: Denn sie zeigt nicht nur den dringenden Reformbedarf in Deutschland in Sachen Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch das enorme Defizit an europapolitischer Koordinierung, dessen Beseitigung das Netzwerk Europäische Bewegung bereits seit Sommer 2005 anmahnt. www.europaeische-bewegung.de Wolfgang Wessels spricht darüber hinaus in seinem Beitrag davon, dass die Europafä- higkeit Deutschlands einer breiten nationalen Debatte bedarf – unter Einbeziehung der www.europa-union.de
Zivilgesellschaft. Das Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland und seine Mitglieds- organisation Europa-Union Deutschland wollen mit dieser Studie eine Grundlage für diese offene Debatte zur Europafähigkeit Deutschlands schaffen. Das Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland bietet eine Plattform für eine bessere Europa-Kommunikation und eine bessere Europäische Vorausschau. Sie sorgt dafür, Elmar Brok dass die politischen Akteure frühzeitig in einen europapolitischen Dialog mit den Betrof- Präsident der Europa-Union Deutschland fenen europäischer Entscheidungen – Vertretern der Wirtschaft, der Arbeitnehmer und Mitglied des Europäischen Parlaments der organisierten Zivilgesellschaft – eingebunden werden. Nur so ist es möglich, einen breiten gesellschaftlichen Schulterschluss zu bilden und eine gemeinsame Basis für die Rolle Europas in der Welt und Deutschlands in Europa zu formulieren. Ein erster Schulterschluss unterschiedlicher Akteure ist bereits geglückt: Denn diese Europa nützt uns ! Studie wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung der METRO AG sowie den Verbänden Südwestmetall, Hessen Metall und Metall NRW. Dafür möchten wir herzlich Europa befindet sich derzeit in einer paradoxen Situation. Einerseits verlangen die Bürger danken! Unser besonderer Dank gilt Prof. Wolfgang Wessels und Dr. Udo Diedrichs vom Lösungen für die großen Probleme der heutigen Zeit von der EU. Andererseits besteht Jean Monnet Lehrstuhl der Universität zu Köln sowie den Autoren. Sie alle formulieren ein zunehmendes Misstrauen gegenüber den Europäischen Institutionen und der europä- klare Handlungsoptionen für Politik und Wirtschaft, die die nötige Diskussion im Lande ischen Politik, teilweise auch ein regelrechtes Desinteresse. Viele Bürger glauben nicht anregen sollen. mehr daran, dass das als komplex und undurchschaubar empfundene System „EU“ wirk- Im ersten Halbjahr 2007 wird Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. In lich die Politik liefern kann, die sich die Menschen wünschen. Das „Nein“ zur Verfassung diese Zeit fallen voraussichtlich Richtung weisende Weichenstellungen für die Zukunft für Europa in Frankreich und in den Niederlanden hat dies besonders deutlich gemacht. Europas. Deutschland sollte das Jahr 2006 dazu nutzen, sich darüber klar zu werden, In der aktuellen Debatte um die politische Gestaltung von Wirtschafts- und Sozialsys- dass Fortschritte im europäischen Integrationsprozess im vitalen deutschen Interesse temen wird auch in Deutschland die Frage nach Kosten und Nutzen der EU laut. „Rechnet“ liegen und klare Prioritäten für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, aber auch für sich Europa für Deutschland überhaupt? Zu den zentralen Sorgen der Bürger gehört unter eine weitere Demokratisierung der EU zu setzen. Die Rolle Europas in der Welt und die anderem die Frage nach dem Sinn der EU-Erweiterung, die im Europa der 25 zunehmend Sicherung des europäischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells hängen ab von der für Angst vor der Konkurrenz durch billigere Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern sorgt. Handlungsfähigkeit der EU. Es liegt in unserer Hand, sie zu stärken und damit deutschen Aber auch der Euro, der bereits bei seiner Einführung als „Teuro“ Negativschlagzeilen Interessen eine größere Durchsetzungschance zu geben – für eine aktive und gestaltende gemacht hatte, steht ebenso in der Kritik wie die viel zitierte Rolle Deutschlands als EU-Ratspräsidentschaft 2007 und für ein europäisches Deutschland der Zukunft. größter Nettozahler der EU. Vor dem Hintergrund dieser und einiger anderer Zweifel an der Zweckmäßigkeit der EU ist die vorliegende Studie besonders wertvoll. Sie greift die zentralsten Sorgen der Bürger auf und zeigt, dass das Projekt Europa für Deutschland unverzichtbar ist. Mehr noch: Europa rechnet sich für Deutschland! Die Studie bietet aber nicht nur eine Kosten- Nutzen-Analyse der deutschen EU-Mitgliedschaft, sondern zeigt auch Handlungsoptionen und Visionen auf, die teilweise bis weit über das nächste Jahrzehnt hinaus reichen. Es verwundert, dass seit Mitte der achtziger Jahre keine in Tiefe und Größe vergleichbare Untersuchung mehr angestellt wurde. Durch die enorme Weiterentwicklung der Union seit dieser Zeit gewinnt die aktuelle Studie somit zusätzlich an Relevanz. Die EU spielt heute in so gut wie allen politischen Bereichen eine zentrale Rolle für Deutsch- land. Aus wirtschaftlicher Sicht ist Europa für Deutschland unentbehrlich. Für Deutsch- land als Exportnation stellt nicht nur der Euro, sondern vor allem auch der Binnenmarkt inklusive EU-Osterweiterung einen kaum zu überschätzenden Pluspunkt dar. Über die
Hälfte der deutschen Ausfuhren gehen in die Partnerländer der EU. Und wiederum mehr Die Studie untermauert: Nur in Europa findet Deutschland auch in Zukunft Wohlstand und als drei Viertel davon gehen in die Eurozone. Von den 15 wichtigsten Handelspartnern Sicherheit. Mit der Osterweiterung der Europäischen Union hat Europa, das Jahrzehnte Deutschlands sind 10 EU-Länder. Laut Statistischem Bundesamt wurden beispielsweise lang von der Grenze zwischen Ost und West zerschnitten wurde, heute seine Mitte wieder im Jahr 2004 Waren im Wert von 733,5 Mrd. EUR ausgeführt, wovon Waren im Wert von gefunden. Deutschland, mit Europas größter Einwohnerzahl und der größten Volkwirt- 407,2 Mrd. EUR ihre Abnehmer in EU-Ländern fanden. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs schaft, liegt mitten in Europa. Ein friedliches und stark machendes Verhältnis zu den die Zahl der deutschen Versendungen in EU-Länder um 10,1 %. Im Rückblick ist fest- neuen Mitgliedern und den alten Freunden und Partnern, die alle in derselben Union mit zuhalten, dass der durch die EU-Mitgliedschaft zusätzlich erwirtschaftete Handelsbilanz- derselben Rechtsordnung leben, ist Deutschlands großes Glück. Dass sich Deutschland überschuss die Kosten für die EU-Mitgliedschaft längst wieder kompensiert hat. nach Jahrhunderten voller Kriege heute in Frieden mit seinen europäischen Nachbarn und Freunden zu einer Union der 450 Millionen zusammenschließen kann, ist eine einmalige Kritiker bemühen gerne Deutschlands Rolle als größter Nettobeitragszahler der EU. Aber und historische Situation. nur selten wird dabei erwähnt, dass dies für die absoluten Beiträge zum EU-Haushalt zwar stimmen mag, der Nettobeitrag pro Kopf im Jahre 2004 jedoch beispielsweise nur Bei der Frage nach dem Nutzen der EU wird nicht selten folgendes übersehen. Ohne die bei 87 Euro lag. Deutschland befindet sich somit auf Platz 3, hinter den Niederlanden EU und Schweden. Angesichts der ernormen wirtschaftlichen und politischen Vorteile, die n wären Kriege in unserer Nähe viel wahrscheinlicher, Deutschland aus der EU-Mitgliedschaft erwachsen, ist dies eine Summe, die Europas n wäre jedes Land allein im Kampf gegen den Terrorismus, Umweltverschmutzung größte Volkswirtschaft verkraften kann. In den oft oberflächlichen Debatten, etwa auch und Armut, um die Zuwanderung billiger Arbeitskräfte aus den neuen Beitrittsländern, werden nicht n wären unsere Werte außerhalb von Deutschland nichts wert, selten solche entscheidenden Details unterschlagen. Die vorliegende Studie dagegen geht wissenschaftlich und doch verständlich an die Thematik heran, was ihren besonderen n könnten Jung und Alt nicht frei in 25 Länder reisen und in heute 12 Ländern mit dem Euro zahlen, Wert ausmacht. n würden nicht - wie heute - mehr als die Hälfte unserer Exporte in die EU gehen Auch deutsche Außenpolitik ist heute ohne den europäischen Kontext gar nicht mehr und unseren Wohlstand sichern. machbar. Für Deutschland ist Europa politisch von existenzieller Bedeutung: In unserer Einige der größten Erfolge Europas werden in Deutschland täglich und ganz selbstver- zunehmend komplexeren Welt kann sich kein Staat mehr den klassischen Aufgaben der ständlich beansprucht, oftmals ohne dass wir uns wirklich darüber im Klaren sind: Dauer- Außen- und Sicherheitspolitik erfolgreich alleine stellen oder gar entziehen. Besonders in hafter Frieden, eine starke Partnerschaft mit unseren Nachbarn und der Erhalt unserer Bezug auf Kriminalität, Terrorismus, Umwelteinflüsse oder humanitäre Katastrophen sieht Werte in einer globalisierten Welt. Diese Verdienste der EU dürfen nicht vergessen werden, Deutschland sich einer Reihe von Bedrohungen gegenüber, denen es nur gemeinsam mit wenn man nach ihren Kosten fragt. Kurzum: Die Europäische Union ist für Deutschland seinen europäischen und transatlantischen Partnern erfolgreich begegnen kann. unverzichtbar. Ihr Nutzen aber, der nicht für jeden immer greifbar und offensichtlich ist, Auch in so unterschiedlichen Bereichen wie etwa Umweltverschmutzung oder Forschung muss ein ums andere Mal erklärt werden. gilt das Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Ob Deutschland mit seinen 83 Millionen Es war deshalb ein wichtiger Schritt, dass die Europa-Union Deutschland und das Netz- Einwohnern und zaghaftem Wirtschaftswachstum seine wirtschaftlichen und politischen werk Europäische Bewegung die Initiative für diese Studie ergriffen haben. Ohne die Interessen in der Welt dauerhaft alleine behaupten könnte, erscheint in diesem Zusam- Unterstützung der Metro AG sowie der Verbände Südwestmetall, Hessen Metall und Metall menhang mehr als fraglich. Daher ist es wichtig, dass wir im Verbund mit den anderen NRW wäre sie nicht realisierbar gewesen. Auch Herrn Prof. Wessels gebührt besonderer Mitgliedstaaten der EU die Vorteile eines gemeinsamen Marktes mit immerhin 450 Milli- Dank für die Bereitschaft, seine Expertise einzubringen und die wissenschaftliche Koor- onen Verbrauchern nutzen können. Durch die enge Zusammenarbeit in verschiedensten dination dieser Arbeit zu übernehmen. Mit ihrer Hilfe wird hoffentlich eines wieder klar: politischen Angelegenheiten wird sich somit auch dauerhaft Deutschlands Einfluss in der Deutschland hat ein vitales Interesse an der Europäischen Union. Wie überall auf allen internationalen Politik sichern lassen. Ebenen gibt es auch kritikwürdige Mängel. Aber was wäre die Alternative zur EU? Darüber hinaus hat Europa in Gestalt der EU allerdings noch weit mehr als ein System politischer Kooperation oder eine Freihandelszone hervorgebracht. Die europäische Idee von friedlichem Zusammenleben unter der Ägide von Menschenrechten und Demokratie kann der Welt als Modell dienen, entwicklungsoffen und anpassungsfähig, aber mit einer klaren Absage an Extremismus, Hass und Gewalt.
Wolfgang Wessels / Udo Diedrichs (Hrsg.) Die neue Europäische Union : im vitalen Interesse Deutschlands? Studie zu Kosten und Nutzen der Europäischen Union für die Bundesrepublik Deutschland
Inhalt Inhalt Seite Seite Wolfgang Wessels / Udo Diedrichs Deutschland in der Europäischen Union: vitale Interessen in einer EU der 25 13 4. Finanzpolitik im Euroraum 63 4.1 Erhöhte finanzpolitische Disziplin 63 1. Interessen und Integration 14 4.2 Weniger antizyklische Finanzpolitik 67 2. Befunde der Studie im Überblick: Die EU lohnt sich für Deutschland 15 5. Perspektiven 70 3. Zehn Punkte zur deutschen Europapolitik 18 Literatur 71 Rolf Sternberg Frank Schulz-Nieswandt / Werner Sesselmeier Wirtschaftsstandort Deutschland: Arbeitsmarkt Deutschland: Effekte der EU-Mitgliedschaft 73 Auswirkungen des EU-Binnenmarktes auf die deutsche Wirtschaft 21 1. Einleitung: Die Ziele der EU und die Verortung 1. Die Standortdebatte – zur aktuellen Positionierung Deutschlands 22 der Fragestellung im Lichte der normativ-rechtlichen Vorgaben 74 2. Theorie – Ökonomische Wirkungen 2. Welche Auswirkungen hat die EU-Mitgliedschaft wirtschaftlicher Integrationsprozesse auf Volks- und Regionalwirtschaften 24 auf den deutschen Arbeitsmarkt? Methodische Vorbemerkungen 76 3. Hoffnungen der Politik – Der Cecchini-Bericht 26 3. Die verschiedenen Wirkungskanäle 79 4. Empirie I – Die Effekte des Binnenmarktes 3.1 Der makroökonomische Zusammenhang 79 für Wachstum und Beschäftigung in der deutschen Volkswirtschaft 28 3.2 Europäische Beschäftigungspolitik und Benchmarking 80 3.3 Wanderungsbewegungen in der EU 83 5. Empirie II – Die Effekte der 3.4 Auswirkungen auf die Entwicklung der Dienstleistungssektoren 84 EU-Osterweiterung für den Arbeitsmarkt in der deutschen Volkswirtschaft 31 3.5 Eine zusammenführende Bewertung 85 6. Empirie III – Die Effekte des 4. Handlungsempfehlungen für die deutsche Europapolitik 86 EU-Binnenmarktes in den deutschen Regionalwirtschaften 39 7. Bilanz – Deutschlands Volks- und Literatur 88 Regionalwirtschaften als Gewinner oder Verlierer des EU-Binnenmarktes? 42 Literatur 43 Lars P. Feld Nettozahler Deutschland? Eine ehrliche Kosten-Nutzen-Rechnung 93 Thomas Straubhaar / Günter Weinert 1. Einleitung 94 Deutschland und der Euro: 2. Die Berechnung von Die Bedeutung des einheitlichen Währungsraumes 45 Nettozahler- und -empfängerpositionen aus Ausgaben und Einnahmen 96 2.1 Ausgaben- und Einnahmenstruktur 96 1. Positive gesamtwirtschaftliche Performance 46 2.2 Der deutsche Anteil an den EU-Eigenmitteln und -Ausgaben 98 2. Vorteile der einheitlichen Währung 51 2.3 Die Nettopositionen der EU-Mitgliedsländer 102 2.1 Deutlicher Handelseffekt 52 2.4 Vorschlag der Europäischen Kommission 2.2 Effekte auf die Finanzmärkte 54 für die Finanzielle Vorausschau 2007–2013 103 3. Gemeinsame Geldpolitik bei anhaltenden Wachstums- und Inflationsdifferenzen 54 3. Wirtschaftsintegration, Währungsunion und wirtschaftliche Entwicklung: 3.1 Gründe für Inflationsdifferenzen 56 Die wahren Vor- und Nachteile der EU 107 3.2 Unterschiedliche Realzinsen 58 4. Saldierte Vor- und Nachteile der deutschen EU-Mitgliedschaft: Ein Versuch 111 3.3 Divergierende reale Wechselkurse 59 3.4 Unterschiedliche Preisentwicklung bei Wohnimmobilien 61 Literatur 112
Inhalt Seite Udo Diedrichs Deutschland in der EU und in der Welt: Von den Kosten und Nutzen einer europäisierten Außenpolitik 115 Wolfgang Wessels / Udo Diedrichs 1. Von der Mühsal außenpolitischer Kosten- und Nutzenanalyse 116 2. Frieden, Sicherheit und Wohlstand in einer zusammenwachsenden Welt: Wo liegt der Hindukusch? 117 Deutschland in der Europäischen Union: 3. Deutschlands europäisierte Außenpolitik in der EG/EU 118 vitale Interessen in einer EU der 25 3.1 Die Entstehung und Entwicklung einer europäisierten Außenpolitik 118 3.2 Deutschland als Stabilitätsgewinner: Europäische Außenpolitik als dauerhafte präventive Krisenpolitik 120 3.3 Deutschland als Kooperationspartner: gemeinsame Außenpolitik als sozialer Prozess 125 3.4 Deutschland als Zivil- und Zivilisierungsmacht: Vom Wandel eines Leitbildes 126 4. Legitimationsgewinne einer europäischen Außenpolitik 129 5. Kosten für die deutsche Außenpolitik: Investitionen in eine europäische Außenpolitik 131 6. Kosten und Nutzen einer europäisierten Außenpolitik: Deutschland in der EU und in der Welt 132 Literatur 133 Wolfgang Wessels Deutsche Europapolitik – Strategien für einen Wegweiser: Verstärkter Nutzen durch verbesserte Integration? 135 1. Plädoyer für eine umfassende und gründliche Besinnung – gegen Fehleinschätzungen 136 1.1 Zur Lage: Unsicherheiten und Ungewissheiten 136 1.2 Risiken für die Reflexionsphase – ein Elf-Punkte-Katalog an Merkposten für Diagnose, Prognose und Therapie 138 2. Ziele und Maßstäbe: Die EU als Ordnungs-, Gestaltungs- und Handlungsrahmen 141 2.1 Mehr als ein Zweckbündnis: Die EU als Problemverarbeitungs- und Krisengemeinschaft 141 2.2 Der Ordnungsrahmen: Die EU als Wertegemeinschaft 142 2.3 Gestaltungs- und Handlungsrahmen: die Sicherheitsgemeinschaft 143 2.4 Gestaltungs- und Handlungsrahmen: die Wirtschaftsgemeinschaft 144 3. Deutsche Strategien 145 3.1 Erhaltung und Steigerung der Europafähigkeit: breites Engagement – keine organisatorische Zauberformel 145 3.2 Strategien: Ein Menü – in der Kosten-Nutzen-Bilanz 147 4. Bilanz und Ausblick 158 Literatur 159 13
Insofern ist es legitim danach zu fragen, welchen Mehrwert eine Mitgliedschaft in der Europäi- Wolfgang Wessels1 / Udo Diedrichs2 schen Union für die Bundesrepublik Deutschland mit sich bringt, und wie Kosten und Nutzen der Deutschland in der Europäischen Union: EU-Mitgliedschaft ausgewogen abgeschätzt und taxiert werden können, um dann eine grund- vitale Interessen in einer EU der 25 sätzliche Einschätzung darüber vorzunehmen, ob sich Europa für Deutschland ‚lohnt’. In der öffentlichen Meinung mag sich mittlerweile eine Grundstimmung verbreitet haben, die davon ausgeht, dass dies nicht mehr der Fall sei. Fest eingespielte Rituale und liebgewordene Stere- otype gehören seit Jahrzehnten zur Begleitmusik deutscher EU-Mitgliedschaft. Angesichts der 1. Interessen und Integration jüngsten Referenden in Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag scheint sich auch in der Bundesrepublik zunehmend eine euroskeptische Grundstimmung zu sedimentieren. Angesichts der gewaltigen und beeindruckenden Veränderungen, die sich im Zuge der Erweite- Unter den politischen Parteien und wesentlichen gesellschaftlichen Kräften und Organisationen rung der EU und der Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden im Lande dagegen würde die Frage mit übergroßer Mehrheit positiv beantwortet. Eine solche ergeben haben, erscheint eine schärfere öffentliche Wahrnehmung der Rolle und der Interessen Diskrepanz wäre auf Dauer aber politisch nicht tragbar. Deutschlands in der EU gebotener denn je. Die aktuelle Debatte um die Zukunft der Verfassung, aber auch die kontroversen Verhandlungen um die mittelfristige Finanzplanung machen deut- Ohne alle wichtigen Politik- und Handlungsfelder auch nur annähernd abdecken zu können, lich, wie schwierig es ist, eindeutige Maßstäbe und Orientierungspunkte hierfür zu gewinnen. Die versucht diese Studie in einigen zentralen Themenbereichen eine seriöse und soweit möglich mediale Auseinandersetzung um die deutsche EU-Mitgliedschaft wird häufig mit Schlagworten wissenschaftlich abgesicherte Einschätzung über Kosten und Nutzen der deutschen EU-Mitglied- und Etiketten geführt, zu denen die wohlbekannte Formel des „Zahlmeisters“ gehört, und auch schaft zu liefern. Sie behandelt dabei den Standort Deutschland und die Bedeutung des EU- die jüngste Kritik am Euro verdeutlicht, wie umstritten die Kernprojekte der EU in der Bevölke- Binnenmarktes, die Auswirkungen der einheitlichen Währung, die Effekte der EU auf den deut- rung sind. Umso mehr tut eine sachliche und methodisch fundierte Untersuchung der Sachzu- schen Arbeitsmarkt, die Frage des deutschen Beitrags in den EG-Haushalt und die Rolle der sammenhänge Not. europäischen Außenpolitik für die Bundesrepublik. Zum Abschluss werden Strategien präsen- tiert, die angesichts der aktuellen Herausforderungen und vor dem Hintergrund der jüngsten Über die Interessen Deutschlands in der EU zu sprechen und zu diskutieren gehört traditionell Erfahrungen versuchen, das mittlerweile unübersichtliche Feld an Lösungsvorschlägen zu filtern nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen deutscher Europapolitik. Der Begriff des Interesses wurde und zu ordnen und eine pragmatische Vision deutscher Europapolitik zu präsentieren. vielerorts als zu heikel und zu befrachtet empfunden. So ist die mit dem Luxemburger Kompro- miss vom Januar 1966 assoziierte Formel von den „vitalen Interessen“ eines Mitgliedstaates lange Zeit für das Festhalten an der Einstimmigkeit im Rat und damit für die Unbeweglichkeit 2. Befunde der Studie im Überblick: Die EU lohnt sich für Deutschland der europäischen Integration der siebziger und frühen achtziger Jahre verantwortlich gemacht worden.3 Interessen sind aber keine Fremdkörper des Integrationsprozesses, sondern gehören Um gleich einen wesentlichen Befund zu präsentieren: Die EU lohnt sich für Deutschland. immanent dazu und lassen sich nicht schlichtweg herauskürzen. So schreiben Rudolf Hrbek und Alle Beiträge kommen in unterschiedlicher Weise und mit sehr variantenreichen Argumenta- Wolfgang Wessels 1984: „Es wäre ein großes Missverständnis davon auszugehen, nationale tions- und Untersuchungsansätzen zu einer generell positiven Einschätzung der deutschen EU- Interessen dürften und würden in einem Integrationsprozess keine Rolle spielen […]. Integra- Mitgliedschaft. Gleichzeitig muss aber auch festgehalten werden: Die EU kostet Deutschland tion, so könnte man sagen, zielt auf die Ausbalancierung verschiedener Interessen“.4 Diese etwas, sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Dass die Kosten oft stärker im Zentrum des öffent- Ausbalancierung wird dann gelingen, wenn jeder Mitgliedstaat einen ausreichenden Nutzen und lichen Interesses stehen als der Nutzen, stellt dabei ein eigenes Problem dar. Verschwiegen Gewinn aus seiner Mitwirkung in der EU ziehen kann. Integration sollte dabei nicht ausschließ- werden dürfen sie nicht. Es kann aber noch mehr gesagt werden. So ergeben sich Kosten oft lich als Kosten-Nutzen-Ausgleich verstanden werden, dennoch bleibt ebenso richtig: ohne einen aus der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands oder einer nur schwach ausgeprägten ausreichenden Nutzen wird ein Mitgliedstaat auf Dauer nicht bereit sein, die Europäische Union Anpassung an europäische und internationale Realitäten. Die EU übernimmt dabei häufig die mitzutragen und zu unterstützen. Dies gilt auch für Deutschland. Rolle eines Indikators für Probleme, die auf nationaler Ebene angelegt sind und auch dort gelöst werden können. Die Unfähigkeit, eigene hausgemachte Defizite nachhaltig zu beseitigen, wird nicht selten terminologisch umgemünzt, um als europäisch verursachter Kostenfaktor wieder- zuerscheinen. Andere Kosten sind bedingt durch eine schlichte Veränderung von Rahmenbe- dingungen, die in Kauf zu nehmen aber die Option für neuen Nutzen eröffnet. Sicher stellt eine 1 Prof. Dr. Wolfgang Wessels ist Inhaber eines Jean Monnet Lehrstuhls am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität zu Köln und Vorsitzender der Coelner Monnet Vereinigung für EU-Studien e.V. (COMOS). autonome Geldpolitik einen Vorteil für ein Land dar, aber erst die Aufgabe einer solchen eröff- 2 Dr. Udo Diedrichs ist Senior Fellow am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität zu Köln und Mitarbeiter am dortigen Jean nete die Perspektive der Währungsunion. In den meisten Fällen kommen die Beiträge dieser Monnet Lehrstuhl sowie Vorstandsmitglied der Coelner Monnet Vereinigung für EU-Studien e.V. (COMOS). Studie zu dem Befund, dass die Höhe der Kosten einer EU-Mitgliedschaft durch Deutschland zu 3 Anzumerken sei hier, dass der Text des Luxemburger Kompromisses überhaupt nicht von „vitalen Interessen“ spricht, sondern von einem erheblichen Teil mitbestimmt und beeinflusst werden kann und nicht gleichsam schick- „sehr wichtigen Interessen“ („des intérêts très importants“); allerdings stand der Begriff der vitalen Interessen seinerzeit im Kern der Debatte im Zuge der französischen Politik des leeren Stuhls, die der damalige Außenminister Couve de Murville stets mit den vitalen salhaft bestimmt ist. Interessen seines Landes begründete, die es zu schützen und zu verteidigen gelte. Nutzen und Kosten sind damit zugleich veränderbar, kein Mitgliedstaat kann sich dauerhaft als 4 Hrbek, Rudolf/ Wessels, Wolfgang (1984): Nationale Interessen der Bundesrepublik Deutschland und der Integrationsprozess, in: Rudolf Hrbek/ Wolfgang Wessels (Hg.), EG-Mitgliedschaft: ein vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland?, Bonn, S. 29-69, hier Gewinner der europäischen Integration gefallen oder seiner Position und Vorteile sicher sein. S. 31-32. Diese Studie blickt zwar deutlich über den Tellerrand tagespolitischer Erwägungen hinaus, macht 14 Wessels / Diedrichs: Deutschland in der Europäischen Union 15
aber zugleich deutlich, dass die Frage von Kosten und Nutzen in einer dynamischen Perspektive Lars P. Feld erinnert in seinem Beitrag über die Finanzierung der EU und die Nettozahlerposition analysiert werden muss, in der sich Gewichte und Prioritäten verschieben können. Deutschlands daran, dass eine umfassende Kosten- und Nutzenanalyse der EU-Mitgliedschaft Deutschlands nicht bei der Erfassung der Finanzströme stehen bleiben kann. Nicht zuletzt die Der Standort Deutschland hat vom europäischen Binnenmarkt grundlegend profitiert, wenngleich Stabilisierung einer friedlichen Nachkriegsordnung habe sich ökonomisch für die EU und für der Effekt in relativen Größen gering bleibt und sich unter einem Prozent des Bruttoinlandspro- Deutschland in hohem Maße als nützlich und vorteilhaft erwiesen. dukts bewegt, wie Rolf Sternberg in seiner Analyse festhält. Aus den handels- wie den migrati- onsinduzierten Wirkungen des Binnenmarktes und der Osterweiterung werde aber mindestens Ausgehend von einer Analyse der Finanzströme, die Deutschland auch nach der Wiedervereini- mittelfristig ein positiver Nettonutzen für Deutschland erwachsen. Sternberg empfiehlt, dass gung als Nettozahler ausweisen, lotet er die Vorteile aus dem gemeinsamen europäischen Markt sich die deutsche Volkswirtschaft noch stärker im Handel mit den mittel- und osteuropäischen für Deutschland aus. Dabei wirft er einen Blick auf die Wirtschaftspolitik in anderen Nicht-EU Länder engagieren sollte, da die Nachfrage in den Transformationsländern sich positiv insbe- Mitgliedsländern, um zu eruieren, wie beispielsweise die Subventionierung der Landwirtschaft sondere auf deutsches Humankapital und kapitalintensive Produkte, bei denen die deutsche sich darstellen würde, wenn Deutschland nicht Mitglied der EU wäre. Andererseits wird auf Basis Wirtschaft komparative Kostenvorteile aufweise, auswirke. Auf die Risiken einer Umlenkung einer Übersicht über vorhandene empirische Studien versucht, den Wohlfahrtseffekt der Markt- ausländischer Direktinvestitionen in Richtung der mittel- und osteuropäischen Länder sollte die integration zu ermitteln. Feld kommt zu dem Schluss, dass die Teilnahme an der Europäischen deutsche Europapolitik reagieren, indem sie stärker als bisher die komparativen Vorteile des Union zu erheblichen Wettbewerbsimpulsen, einer Steigerung des Handels und letztlich auch Standortes Deutschland bei wissens- und technologieintensiven Produkten und Dienstleistungen einer Stärkung des Wirtschaftswachstums geführt haben dürfte. Deutschland wird an diesen nutzt. Dazu gehöre auch die Investition in Aus- und Weiterbildung, angewandte und Grundla- positiven ökonomischen Effekten der europäischen Integration einen beachtlichen Anteil haben. genforschung in allen damit befassten Organisationen. Die europäische Integration sei somit eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Die Haushaltspolitik der EU lasse sich vor diesem Kontext als eine Kompensation der durch die Marktöffnung auftre- Thomas Straubhaar und Günter Weinert sehen auch den Euro für Deutschland grundsätzlich als tenden ‚Verlierer’ in den verschiedenen Ländern begreifen. einen Erfolg an. So sei es gelungen, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik zu betreiben, die in der Tradition der Bundesbank stehe und auch international erhebliche Glaubwürdigkeit erzielt Allerdings seien die beschriebenen Vorteile für Deutschland keineswegs als Freibrief für fehlende habe. Deutschland profitiere von einem preis- und wechselkursstabilen Umfeld. Die aktuelle Reformen auf EU-Ebene zu betrachten. Vielmehr bleibe insbesondere im Hinblick auf die Wachstumsschwäche im Euroraum und insbesondere in Deutschland sei nicht unmittelbar auf laufende Welthandelsrunde die Reform des Agrarsektors in der EU voranzutreiben; auch die von den Euro zurückzuführen. der Kommission anvisierte Konzentration und Fokussierung der Strukturfonds in der Finanziellen Vorausschau 2007 – 2013 enthalte richtige Ansätze; und angesichts der Engpässe der öffent- Die einheitliche Währung schaffe zwar kein Wachstum, könne aber zu einem Impulsgeber für lichen Hand müsse die Bundesrepublik auf eine strikte Begrenzung der Eigenmittelobergrenze eine Dynamisierung der deutschen Volkswirtschaft werden, in dem ordnungspolitische Reformen, der EU insistieren. Deregulierung und eine höhere Flexibilität durchgesetzt werden, stellen Straubhaar und Weinert weiter fest. Da das Grundproblem in einem schwachen Wachstum des Produktionspotenzials Die EU-Mitgliedschaft ist schließlich auch in außenpolitischer Hinsicht von hohem Nutzen für besteht, wären vor allem Maßnahmen auf der Steuer- und auf der Ausgabenseite erforderlich, Deutschland, wie Udo Diedrichs in seinem Beitrag herausarbeitet. So habe die Politik der EU, die die Angebotsbedingungen verbessern. Der Euro und der Stabilitäts- und Wachstumspakt insbesondere in Ost- und Südosteuropa, nach den dramatischen Verwerfungen der neunziger erhöhen den Druck auf marktwirtschaftlich ausgerichtete Reformen in Deutschland und zwingen Jahre zu einer Stabilisierung und schrittweisen Demokratisierung der Region geführt, was im die Politik, die Lösungen selbst in die Hand zu nehmen. genuinen deutschen Interesse lag. Der Erweiterungsprozess könne als grandioses Konsolidie- rungs- und Anreizprogramm für die Länder Mittel- und Osteuropas gesehen werden, das nicht Bei der Analyse der Effekte der EU auf den deutschen Arbeitsmarkt kommen Frank Schulz- zuletzt auch ökonomisch der Bundesrepublik erhebliche Vorteile gebracht habe, und die jüngste Nieswandt und Werner Sesselmeier zu dem Ergebnis, dass sich zahlreiche Befürchtungen, mit Initiative einer Europäischen Nachbarschaftspolitik versuche, in einem breiteren Umkreis die der EU-Osterweiterung würde eine massive Abwanderung von Unternehmen in die mittel- und Anrainer der EU nachhaltig zu fördern und dadurch Frieden und Wohlstand zu generieren. osteuropäischen Länder einhergehen, während umgekehrt Arbeitskräfte aus diesen Ländern Zugleich sei Deutschland in der Lage, sein Gewicht in der internationalen Politik durch Teilhabe nach Deutschland einströmen, nicht bewahrheiteten. Ersteres sei bereits vor der Osterweiterung an der Europäischen Union deutlich zu potenzieren und zusätzlichen Einfluss auf das internati- der Fall gewesen und seither nicht beschleunigt worden. Letzteres sei eingetreten, aber eher in onale Geschehen zu gewinnen. Die Kosten einer europäischen Außenpolitik liegen für Deutsch- Form von temporärer statt permanenter Zuwanderung. Es sei im Gegenteil die Einschätzung zu land in einer solidarischen, kooperativen und partnerschaftlichen Vorgehensweise, die auch finden, dass das Ausbleiben eines Zustroms von Arbeitskräften für schädlich gehalten werde, die Belange und Interessen der vermeintlich kleineren EU-Partner einbezieht, in zusätzlichen da so Deregulierungsprozesse in der deutschen Arbeitsmarktverfassung blockiert blieben und Koordinierungs- und Konsultationsschleifen in den relevanten EU-Gremien, sicher auch in der zugleich Anreize für produktionsverlagernde Direktinvestitionen nach Osteuropa entstünden. Bereitschaft zur Übernahme einer größeren internationalen Verantwortung sowie in der Fähig- Insgesamt sehen Schulz-Nieswandt und Sesselmeier die Einflüsse der EU auf den deutschen keit, sich finanziell wie militärisch an Krisenmanagementoperationen zu beteiligen und hierfür Arbeitsmarkt eher in mittel- bis langfristiger Perspektive und mehr in qualitativer denn in quan- seine Streitkräfte zu modernisieren. Schließlich müsse sich Deutschland in einer langfristigen titativer Hinsicht. Zudem sei die Europäisierung nur ein Teil des umfassenderen Prozesses der Perspektive fragen, inwieweit es zu einem wirklichen außenpolitischen Souveränitätsverzicht Globalisierung, in deren Zuge Unternehmen weniger durch Exporte als vielmehr durch Produk- bereit wäre, in dem es nämlich eines Tages Mehrheitsentscheidungen zu Fragen der europäi- tion vor Ort neue Märkte erschließen. schen Außenpolitik akzeptiert. 16 Wessels / Diedrichs: Deutschland in der Europäischen Union Wessels / Diedrichs: Deutschland in der Europäischen Union 17
Abschließend eruiert Wolfgang Wessels verschiedene Strategien für die deutsche Europa- politik. Grundlegend sieht er dabei drei wesentliche Voraussetzungen, für die politisch gesorgt Abstimmungen, womöglich unter Leitung des Bundeskanzleramtes, zu erhöhen. Zu werden müsse; die Europafähigkeit der deutschen Politik sei zu bewahren und zu verbessern; erwägen wäre ebenso die Schaffung einer parlamentarisch und zivilgesellschaftlich zu die Möglichkeiten des bestehenden EU-Vertragswerks seien intensiv zu nutzen und wo möglich besetzenden Europakonferenz / eines Europakonvents sowie eines Sachverständigen- weiterzuentwickeln; und schließlich gehe es darum, mittelfristige Visionen und Angebote für rats auf nationaler Ebene. ein neues Verhandlungspaket anzuvisieren, wobei Deutschland als Vorreiter dienen könne, um n Die weitere Entwicklung der Europäischen Union darf aus deutscher Sicht nicht durch neuen Anläufen den Weg zu bahnen. die jüngsten Entwicklungen blockiert werden; nach den Referenden in Frankreich und Die Ratifizierung des Verfassungsvertrags kann dabei laut Wessels als Vorgabe der deutschen den Niederlanden scheint die Ratifizierung des Verfassungsvertrags zunächst auf Eis Europapolitik dienen, diese sollte aber nicht einseitig darauf fixiert sein, sondern ausreichend gelegt – die institutionelle Entwicklung der EU muss aber weitergehen. offen und flexibel für mögliche Alternativen bleiben. So könne es notwendig sein, weiter nach n Deutschland kann dabei durchaus die weitere Ratifizierung des Verfassungsvertrags den angemessenen politischen Formen zu suchen, in denen sich eine grundlegende Weiterent- verfechten, sollte sich aber zugleich auch alternative Optionen freihalten. Als Vorreiter wicklung des europäischen Integrationsprozesses vollzieht. Eine ‚Vision mittlerer Reichweite’ und Wegbereiter einer dynamisierten Europäischen Union sollte Deutschland versu- wäre dabei hilfreich. Dabei muss dieser Prozess in verschiedene Richtungen offen bleiben. Eine chen, eine mittelfristige, pragmatische Vision zu entwickeln, die in der Lage ist, in konstruktive Mehrdeutigkeit über die letztlich erstrebenswerte politische und rechtliche Qualität konkreten Schritten die EU weiterzuentwickeln und damit einen – von manchen viel- der Europäischen Union kann für eine deutsche Strategie äußerst nützlich sein. leicht gewollten – Stillstand des Integrationsprozesses zu vermeiden. 3. Zehn Punkte zur deutschen Europapolitik Aus den einzelnen Beiträgen und ihren Befunden lassen sich einige zentrale und relevante Rück- schlüsse und Ergebnisse ableiten. In zehn Punkten sollen diese zusammengefasst und zugespitzt präsentiert werden: n Die deutsche EU-Mitgliedschaft ist von Nutzen für Deutschland und zahlt sich politisch wie ökonomisch aus. Die Mitgliedschaft Deutschlands in der EU liegt im vitalen Interesse des Landes. n Die Kosten der deutschen EU-Mitgliedschaft ergeben sich in zahlreichen Fällen aus einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit, strukturellen Reformdefiziten und Anpassungspro- blemen der Bundesrepublik. Diese sind aber nicht schicksalsbestimmt, sondern können durch Reformen gelöst werden. Deutschland bestimmte die Höhe der Kosten seiner EU- Mitgliedschaft selbst mit. n Auch dort, wo Deutschland komparative Vorteile aufweist, sollten Stärken ausge- baut werden, etwa im Bereich von Aus- und Weiterbildung oder in der Forschung, um Deutschland in der EU wettbewerbsfähiger und wachstumsorientierter zu machen. n Die Erweiterung um Ost- und Mitteleuropa bietet insgesamt weitaus mehr Chancen und Möglichkeiten als Gefahren und Risiken; Deutschland muss noch offensiver als bisher diese Möglichkeiten nutzen. n Es liegt in deutschem Interesse, auch die Länder des europäischen Umfeldes zu stabi- lisieren, zu fördern und zu Partnern aufzubauen. Hier sind insbesondere die Länder Südosteuropas, des Mittelmeerraums und Osteuropas von Belang. Die Politik der EU gegenüber diesen Ländern liegt im ureigenen deutschen Interesse. n Deutschland braucht eine starke Europäische Union auf der internationalen Bühne, um mit seinen Partnern Einfluss auf das Weltgeschehen nehmen zu können und Ziele zu verwirklichen. n Die europapolitische Koordinierung der Bundesrepublik sollte gestärkt und gestrafft werden, um einer Zerfaserung vorzubeugen. Hierzu wären die interministeriellen 18 Wessels / Diedrichs: Deutschland in der Europäischen Union Wessels / Diedrichs: Deutschland in der Europäischen Union 19
Rolf Sternberg Wirtschaftsstandort Deutschland: Auswirkungen des EU-Binnenmarktes auf die deutsche Wirtschaft 20 21
Rolf Sternberg1 Ränge der globalen Lohnkostenhierarchie weit dichter besetzt als die Spitze der Pyramide. Wie Müller/Kornmeier (2001: 11) zeigen, üben die Arbeitskosten keinen direkten Einfluss auf die Wirtschaftsstandort Deutschland: Auswirkungen Wettbewerbsfähigkeit aus. Daraus resultierend stehen auch nicht die Nationen mit den nied- des EU-Binnenmarktes auf die deutsche Wirtschaft2 rigsten Arbeitskosten an der Spitze der Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit. Beleg für diese These sind die im Widerspruch zu der hohen Kostenbelastung stehenden unbestrittenen deut- schen Erfolge im Exportgeschäft. Die große Nachfrage nach deutschen Produkten kann als Beleg für eine immer noch vorhandene hohe Wettbewerbsfähigkeit gewertet werden (Müller/Kornmeier 1. Die Standortdebatte – zur aktuellen Positionierung Deutschlands 2001: 8). Der Exportsektor spielt für viele Arbeitsplätze in Deutschland eine sehr wichtige Rolle, so dass für den Standort Deutschland viel davon abhängen wird, ob sich die Waren und Dienst- Debatten um den „Standort Deutschland“ sind ebenso beliebt wie widersprüchlich. Der Begriff leistungen auch weiterhin auf den Weltmärkten absetzen lassen werden (Walter 2004: 35). „Standort“ assoziiert die inhaltliche Nähe zur betrieblichen Standortlehre, obgleich sich ein Unternehmen bei der Wahl seiner Standorte für Zweigbetriebe oder (viel seltener) für den Unter- Für die deutsche Wirtschaft bietet sich die Chance, über temporäre Monopolgewinne aus inno- nehmenssitz nicht an Ländern orientiert, sondern an einzelnen Städten (oder gar Stadtteilen) vativen Produkten und Produktionsverfahren, die an der Spitze des Strukturwandels erzielt innerhalb dieses Landes. So gesehen ist die Anwendung des Begriffes „Standort“ auf einen werden, einen Vorteil im Qualitäts- und Innovationswettbewerb zu erlangen (Müller/Kornmeier ganzen Staat zumindest zweifelhaft, denn die einzelnen Regionen innerhalb Deutschlands – wie 2001:9f). Um zur Steigerung der Wertschöpfung beizutragen, bedarf es also keinesfalls eines auch jener aller anderen Staaten – unterscheiden sich nicht unwesentlich hinsichtlich wichtiger, konkurrierenden Verhaltens mit weniger entwickelten Volkswirtschaften auf der Lohnkostene- für die Standortentscheidung von Unternehmen relevanter Faktoren. Wenn im vorliegenden bene. Es sollte stattdessen verstärkt versucht werden, von internationalen Kooperationen und Beitrag gleichwohl dieser Titel gewählt wird, dann ist dies zum einen der großen Popularität des von der konkurrierenden Arbeitsteilung zu profitieren. Dies würde die wichtigsten Standortfak- Themas „Standort Deutschland“ geschuldet und zum anderen der Tatsache, dass im Vergleich toren Deutschlands, die Quantität und Qualität des heimischen Humankapitals mit der daraus der führenden Industrieländer die interregionalen Unterschiede innerhalb Deutschlands relativ resultierenden Produktivität und Innovationsfähigkeit, besser in Wert setzen. Investitionen in gering – wenngleich nicht vernachlässigbar – sind. diesem Bereich sollten daher auch auf der Politikagenda ganz oben stehen (Walter 2004: 37). Die Mehrzahl der Analysen zum Standort Deutschland sieht eine sukzessive Schwächung des Der Beitrag verfolgt das Ziel, die Wirkungen des EU-Binnenmarktes auf den Standort Deutsch- Standorts Deutschland während der vergangenen Jahre. Als Ursachen für die geschwächte Posi- land theoriegeleitet und empirisch fundiert zu bewerten. Zwar existiert der EU-Binnenmarkt tion Deutschlands im internationalen Standortwettbewerb werden häufig die Globalisierung, der schon seit geraumer Zeit. Aber durch die Osterweiterung der EU im Mai 2004 hat er sich signi- europäische Binnenmarkt sowie die EU-Osterweiterung genannt. Vorliegender Beitrag analysiert fikant vergrößert, weshalb auch seine Wirkung auf ein einzelnes Mitgliedsland wie Deutsch- diese These bzgl. der beiden letztgenannten Determinanten theoretisch und empirisch. land möglicherweise eine signifikant andere ist. Kapitel 2 fasst die wesentlichen Aussagen der einschlägigen Theorien zu den ökonomischen Wirkungen wirtschaftlicher Integrationsprozesse Deutschland befindet sich in einem Prozess der abnehmenden Binnennachfrage und des für Volkswirtschaften in der gebotenen Kürze zusammen. Da der EU-Integrationsprozess ein zunehmenden Wettbewerbdrucks (Müller/Kornmeier 2001: 6f). In diesem Zusammenhang explizit politisch gewollter war und ist, macht es Sinn sich in Erinnerung zu rufen, welche Hoff- leidet Deutschland insbesondere unter den hohen Lohnkosten und einer übermäßigen Steu- nungen die EG als Vorgängerinstitution selbst mit dem Binnenmarkt verknüpfte – daher der in erbelastung. Strukturelle Schwachstellen werden dagegen zu selten angesprochen. Zu den Kapitel 3 vorgenommene Rückblick auf den einst so heftig diskutierten Cecchini-Bericht. Im unterschätzen Standortfaktoren zählen Motive, die Unternehmen von einem Engagement in Kern des Beitrages steht die Empirie. Die Kapitel 4 bis 6 präsentieren wesentliche empirische Deutschland abhalten. Bei den weichen Standortfaktoren, die etwa die Ansprüche hochqualifi- Ergebnisse zu den Wirkungen des EU-Binnenmarkts auf bestimmte ökonomische Zielgrößen und zierter Arbeitskräfte an ihren Arbeitsort betreffen (Lebensqualität, Freizeitmöglichkeiten, kultu- verschiedene räumliche Bezugsgrößen. Kapitel 4 quantifiziert die Effekte des Binnenmarktes für relle Werte und soziale Normen) handelt es sich größtenteils um grundlegende, nur langfristig Wachstum und Beschäftigung in der deutschen Volkswirtschaft. Kapitel 5 hat die Effekte der und von der Politik nur bedingt zu beeinflussende Faktoren. Andere in internationalen Verglei- EU-Osterweiterung für den Arbeitsmarkt in Deutschland zum Gegenstand. Kapitel 6 thematisiert chen als komparative Schwächen Deutschlands ermittelte Charakteristika wären zumindest die Wirkungen des EU-Binnenmarktes und der EU-Osterweiterung in den Regionalwirtschaften potenziell kurzfristig änderbar, wie z.B. die Art und Intensität von Vorschriften und Auflagen, Deutschlands, ausgehend von der Prämisse, dass diese Wirkungen sich zwischen den deutschen Genehmigungsverfahren, Arbeitszeitregelungen, Bürokratiekosten. Weitere Bereiche, in denen Regionen unterscheiden und diese Unterschiede den „Standort Deutschland“ insgesamt beein- die Politik aktiver werden könnte, um den Standort Deutschland zu stärken, sind die Rechts- flussen. Schließlich versucht Kapitel 7 eine Bilanzierung der ökonomischen Nutzen und Kosten sicherheit und Toleranz in Deutschland (Müller/Kornmeier 2001: 12). des EU-Binnenmarktes für den Standort Deutschland. Die genannten Determinanten haben dazu beigetragen, dass der Wettbewerbsdruck auf den Standort zugenommen hat – und wahrscheinlich weiter zunehmen wird. Fraglich ist allerdings, ob sich dieser Druck über Lohnkostensenkungen vermindern lässt. Schließlich sind die unteren 1 Prof. Dr. Rolf Sternberg ist am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Universität Hannover tätig und dort für die Geschäftsführung der Abteilung Wirtschaftsgeographie zuständig. 2 Der Autor dankt Herrn Dennis Stockinger für wesentliche Vorarbeiten zu einer früheren Fassung des Beitrages. 22 Sternberg: Wirtschaftsstandort Deutschland 23
2. Theorie – Ökonomische Wirkungen wirtschaftlicher n Neuere Ansätze gehen davon aus, dass an Integrationsprozessen teilnehmende Volks- Integrationsprozesse auf Volks- und Regionalwirtschaften wirtschaften von einem anhaltenden „Wachstumsbonus“ (growth bonus) profitieren. Insbesondere gemäß jener neueren Integrationstheorien, die auf der endogenen Wachs- Die frühe Integrationstheorie befasst sich fast ausschließlich mit handelssteigernden und tumstheorie im Sinne von Romer und Lucas beruhen, haben Prozesse der Wissensge- handelsumlenkenden Effekten regionaler Handelsabkommen. Sie differenziert zwischen stati- nerierung und -diffusion eine entscheidende Bedeutung (Kooperation in Forschung und schen Effekten (kurzfristig wirkende Handelssteigerung abzüglich der Handelsumlenkung) und Entwicklung, Technologietransfer etc.). Integration verbessert und erweitert demnach dynamischen Effekten (mittel- und längerfristige Skalen- und Wettbewerbseffekte) (Ziltener die Wissensgenerierung, und sie ermöglicht die schnellere Verbreitung von Wissen über 2001: 13f). Ein beträchtlicher Anteil des Welthandels wird heute von Ländern bestritten, die technologische und/oder Wissens-Spillover. an formalen Zusammenschlüssen in supranationalen Integrationsräumen beteiligt sind und sich in diesem Rahmen gegenseitige handelspolitische Präferenzen einräumen. Die Motiva- n Die wirtschaftlichen Effekte politischer Steuerung und supranational organisierter mone- tion der Einzelstaaten liegt in der Hoffnung, infolge des zunehmenden grenzüberschreitenden tärer Transfers haben dagegen bisher kaum Eingang in ökonomische Integrationstheo- Austauschs von Waren und Dienstleistungen ihren Wohlstand zu mehren – so wie es für die rien gefunden (Ziltener 2001: 11). Weltwirtschaft insgesamt für die vergangenen Dekaden zu beobachten ist. Außenhandel wird in der klassischen Außenhandelstheorie mit Unterschieden zwischen Ländern hinsichtlich der Ein zentraler (wenn auch nur partiell intendierter) Integrationseffekt ist die zunehmende Mobi- Verfügbarkeit bzw. einer effizienteren Ressourcenallokation und der Realisierung von economies lität von Produktionsfaktoren. Die meisten ökonomischen Theorien fokussieren diesbezüglich of scale aufgrund größerer Märkte erklärt. Dies führt zur Arbeitsteilung und Spezialisierung die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, während der zumindest teilweise ebenfalls mobile auf die Güter und Dienstleistungen, die im Vergleich zu anderen Ländern günstiger angeboten Produktionsfaktor Wissen / technischer Fortschritt in der ökonomischen Theorie eher selten werden können. Unter diesen Umständen führt Handel zu einer Verbesserung der Konsum- thematisiert wird. Besonderen politischen Zündstoff bieten die Auswirkungen der Arbeitskräf- versorgung und zu Spezialisierungsgewinnen bzw. komparativen Kostenvorteilen (Walter tewanderungen in Ziel- und Quellgebieten (Möller 2002). Aus theoretischer Sicht hängen die 2004: 30f). Die Kostenvorteile lassen sich in relative Nachfrageunterschiede und komparative Effekte der Wanderung von den Annahmen über die Anpassungsmechanismen ab. Grundsätzlich Angebotsunterschiede unterteilen. Als bedeutsame Ursachen für komparative Kostendiffe- kann Migration zu einer verbesserten Faktorallokation und damit zu Wohlfahrtsgewinnen für den renzen können sowohl Unterschiede in der Faktorausstattung, als auch relative Produktivitäts- Gesamtraum führen, solange das Grenzprodukt der Arbeit in der Einwanderungsregion größer differenzen identifiziert werden (Walter 2004: 32). als in der Herkunftsregion ist. „Der Effizienzgewinn der Migration entsteht durch die Wanderung von Arbeitskräften von einem Ort, an dem sie weniger produktiv eingesetzt werden, zu einem anderen Ort, an dem sie produktiver eingesetzt werden.“ (Brücker 2003: 580). Wanderungs- Die aktuellen Integrationstheorien postulieren folgende wirtschaftliche Effekte regionaler Inte- gewinne aufgrund von Lohnunterschieden führen grundsätzlich zu einem effizienteren Einsatz gration: des Produktionsfaktors Arbeit und somit zu einem Anstieg des Sozialprodukts. Beachtenswert n Integration führt zu einer Zunahme des Handels zwischen den teilnehmenden Ländern ist allerdings, dass die Wanderungsgewinne nicht gleichmäßig auf die Ziel- und Herkunftsländer (trade creation). Zwischen den Ländern des Integrationsraumes wird sich die Nach- sowie die einzelnen Produktionsfaktoren verteilt sind. Zudem ist natürlich zu beachten, dass frage auf die Produkte des effizientesten Produzenten verlagern. Integration in Form Lohnunterschiede nicht die einzige Ursache für Migrationen darstellen, wie dies die neoklassi- einer Zollunion kann dann zu einer Handelsumlenkung (trade diversion) führen, wenn sche Wachstumstheorie postuliert. der effizienteste Produzent auf dem Weltmarkt ausgeschlossen wird und sich die Nach- Im einfachen (und im Binnenmarkt unrealistischen) Fall von Volkswirtschaften, die keinen frage auf die Produkte des effizientesten Produzenten in der Zollunion verlagert. In Handel miteinander betreiben, führt die Migration von Arbeitskräften dazu, dass diejenigen der älteren Integrationstheorie werden die Effekte auf den Handel als statische Effekte Produktionsfaktoren, die komplementär sind, gewinnen, während die Produktionsfaktoren, die bezeichnet und als kurzfristig wirkend verstanden (short term static effects). substituiert werden, verlieren. Über die Migration kann möglicherweise ein Mangel an Arbeits- n Unter dynamischen Effekten werden die mittel- und längerfristig wirkenden Integra- kräften im Zuwanderungsland beseitigt werden. Das gilt insbesondere für hochqualifizierte tionsinduzierten Effekte verstanden, die die Produktion in den beteiligten Nationen Arbeitskräfte. Ein Arbeitskräftebedarf kann aber auch im Niedriglohnsektor entstehen, wenn effizienter machen. Dies geschieht über mehrere Wirkungskanäle: Der Abbau von heimische Arbeitskräfte nicht zur Verfügung stehen, etwa wegen eines zu geringen Abstands tarifären und nichttarifären Schranken wird den Wettbewerb zwischen den Produzenten zwischen Niedriglohnvergütung und Sozialleistungen. Für Einheimische ergibt sich per saldo verstärken („cold shower of competition“), die Effizienz und Innovationstätigkeit stei- ein – wenn auch geringer – Einkommensanstieg, während in den Auswanderungsländern die gern und zu zusätzlichen Investitionen in diesem Raum führen, sowohl intern wie aus Einkommen der einheimischen Produktionsfaktoren geringfügig sinken. Diese Verluste können Nichtmitgliedsländern. Der Binnenmarkt ermöglicht den Produzenten die Produktion von durch Rücküberweisungen der Migranten ausgeglichen werden. Zuwanderung kann demnach mehr und mehr unterschiedlichen Gütern zu geringeren Kosten (economies of scale, also auch im Auswanderungsland positive Auswirkungen nach sich ziehen und so eine Möglich- economies of scope). Daraus resultiert eine zunehmende Spezialisierung und internati- keit darstellen, internationale Differenzen in den Einkommen und Beschäftigungsmöglichkeiten onale Arbeitsteilung. Wachstumseffekte und Wohlfahrtsgewinne sind die Ergebnisse des abzubauen (Brücker 2003: 587). Integrationsprozesses – Effekte, die die ältere Integrationstheorie als vorübergehend Sobald allerdings zuwandernde Arbeitskräfte nicht komplementär, sondern in Konkurrenz auf den einschätzt. Arbeitsmarkt treten, entsteht ein Druck auf die Löhne im jeweiligen Segment des Arbeitsmarktes 24 Sternberg: Wirtschaftsstandort Deutschland Sternberg: Wirtschaftsstandort Deutschland 25
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