Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London - Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele
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Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London von Klaus Grewe London setzt mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 neue Maßstäbe: Ziel ist es, das Olympische Gelände als dauerhaftes Zentrum für die sozial schwächsten Stadteile Londons zu etablieren und alle Beteiligten von Beginn an in die Planungs- und Ausführungsprozesse einzubeziehen. Entscheidendes Glied zur Umsetzung dieser politischen Vorgaben ist die Projektsteuerung. Sie ermöglicht es, sowohl alle Vorhabengruppen zu koordinieren und einzubeziehen, als auch die Termine und Kosten zu kontrollieren und die entsprechenden Informationen öffentlich bereitzustellen.Im Dezember 2011 sind die Vorbereitungen der Olympischen Spiele zu 99% abgeschlossen, 4 Monate vor Zeitplan, die Kosten liegen unter Budget, Rückstellungen werden daher nicht angegriffen. Die Bürgerakzeptanz liegt der Tageszeitung "The Times" zufolge bei 87% (The Times, 9. April 2011). Die bei der Projektsteuerung angewandten Methoden und Prozesse orientieren sich an bekannten Standards der Öl- und Verfahrensindustrie. Für staatliche Projekte und in der Bauindustrie sind diese Methoden allerdings noch Entwicklungsgebiet. Bild 1: Computeranimation des Olympischen Parks in Ost-London. Londons Versprechen gegenüber dem IOC London hat am 5. Juli 2005 den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2012 erhalten. Mit den folgenden Versprechen konnte es sich gegenüber Paris, New York, aber auch Leipzig durchsetzen: Einen Olympischen Park als Mittelpunkt für die sozial schwächsten Stadtteile Londons und ihrer multikulturellen Bevölkerung zu hinterlassen. Bürger und Vorhabenstrategen von Beginn an in den Planungs- und Entscheidungsprozess einzubeziehen. Gleichberechtigung der Paralympischen Spiele und der Olympischen Spiele Effiziente Sportstätten und eine Infrastruktur bereitzustellen, die höchsten umweltverträglichen und ökonomischen Maßstäben standhalten. Die verbleibenden Sportstätten als Mittelpunkt der englischen Sportkultur zu erhalten. 1/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Ausschlaggebend für den Zuschlag war letztendlich der zentrale stadtplanerische Ansatz, den Osten Londons um ein attraktives neues Zentrum zu bereichern und damit langfristig eine positive Stadtentwicklung einzuleiten. Mit diesem Ziel hob sich die Bewerbung Londons deutlich von den Geboten der Mitbewerber ab. Zudem hatte die Vergangenheit gezeigt, dass alle Olympischen Gelände mit Ausnahme von München und Atlanta entweder nicht mehr genutzt werden, hohe Instandhaltungskosten verursachen oder dem Verfall preisgegeben sind. Dies sind Realitäten, die bei Investitionskosten von mehreren Milliarden Pfund berücksichtigt werden müssen, um Akzeptanz bei den Bürgern zu finden. Der Standort Sehr bewusst wurde der Standort im Osten Londons gewählt. Das zukünftige Olympische Gelände umfasst ein ehemaliges, brachliegendes, viktorianisches Industriegebiet, das bedingt durch die frühe Industrialisierung und damit verbundene unzureichende Verkehrsanbindung isoliert von den umgebenden Stadtteilen war. Mehrere viktorianische Kanäle, zwei Eisen- und zwei U-Bahnlinien sowie eine Autobahn begrenzen das Gelände. Bedingt durch die wechselnde industrielle Nutzung der letzen 150 Jahre – im Durchschnitt blieb dort kein Unternehmen länger als fünf Jahre – war das Gelände hochgradig mit Schadstoffen belastet. Die an das Olympische Gelände angrenzenden Stadtteile Tower Hamlets, Hackney, Walthon Forest und Leyton waren früher Zentrum für Einwanderungswellen aus Irland, Schottland aber auch für die erste große Zuwanderung aus dem damals noch existierenden Empire. In der 1898 von Charles Booths erstellten "Deprivation Map of London" wiesen diese Stadtteile die höchsten Kriminalitäts-, Arbeitslosigkeits- und Armutsraten in ganz England auf. Auch heute zählen diese immer noch zu den ärmsten Regionen Englands, nur die Struktur der Zuwanderung hat sich verschoben. Dominierend sind nun Gruppen aus Osteuropa, Ostasien und dem Mitteleren Osten sowie interessanterweise Gruppen aus ehemaligen französischen Kolonien. Ein Erbe für das 21. Jahrhundert ("Legacy-Maßnahmen") Ziel der Stadtplanung ist es, die Lebensbedingungen in den Stadteilen, die an das Olympische Gelände angrenzen, nachhaltig zu beeinflussen sowie ein neues Zentrum und einen Park als Mittelpunkt für die Stadtteile Ostlondons zu etablieren. 80% des 9,1 Milliarden Pfund umfassenden Gesamtbudgets der Olympischen Spiele werden bereits heute ausschließlich für Infrastrukturmaßnahmen nach den Spielen investiert. Für die Umwandlung des Olympischen Geländes zum zentralen Mittelpunkt Ostlondons sind zusätzlich eine Milliarde Pfund verbindlich zurückgestellt. Die Stadtplanung und die damit verbunden Planfeststellungsbeschlüsse basieren auf der Entwicklung und Vereinbarung von zwei rechtsgültigen Masterplänen (Bild 1). Der Masterplan 1 definiert alle Baumaßnahmen für die Spiele aber auch schon die Infrastruktur für die Zeit danach. Masterplan 2 bezieht sich auf die Transformationsperiode und bestimmt das endgültige Aussehen des dann ehemaligen Olympischen Geländes. 2/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Bild 2 Masterpläne für 2012 (links) und ab 2013 (rechts) Herausforderung für die Planung war, dass ein Großereignis und das Schaffen eines lebenswerten Zentrums grundsätzlich konträre Anforderungen stellen. Die Gestaltung des Parks während der Spiele wird hauptsächlich von der größtmöglichen Besucherzahl am Spitzentag – im Falle Londons 250.000 – und deren Bedarf an Fluchtwegen und Aufenthaltsmöglichkeiten diktiert, während für eine spätere Nutzung derart große Wege und Flächen für Bürger und Investoren abschreckend sind. Diese Spitzentag-Anforderung zeigt deutlich das Dilemma von Großveranstaltungen: Gewaltige Investitionen über Jahre werden gewissermaßen für einen Tag bereitgehalten. Im Masterplan 1 sind weite Plätze und Zuwege, erweiterte Brücken, Fluchtzonen und eine Vielzahl temporärer Stadien und Gebäude vorgesehen. Alle temporären Maßnahmen, auch die Stadien und Brücken, sind einfach, kostengünstig und sachlich gestaltet und mit Materialen ausgestattet, die sich nach Gebrauch verkaufen oder für einen anderen Zweck verwenden lassen. Alle temporären Strukturen werden sofort nach den Spielen zurückgebaut, das Olympiastadium wird von 80.000 auf 25.000 Plätze reduziert, die Basketballarena andernorts weitergenutzt. 60 temporäre Brücken sind in ihren Dimensionen und Verbindungen konform zum Eurocode entworfen, so dass sie europaweit als Hilfsbrücken oder als permanente Brücken wieder eingesetzt werden können. Eine intensive Landschaftsgestaltung – 3.000 Bäume sind gepflanzt – gleicht architektonische Schwächen der temporären Strukturen auf kostengünstige Weise aus. Im Masterplan 2 ist die Zeit nach 2012 vereinbart. Breite Zuwege und Plätze sowie einige der Stadien verschwinden, der Landschaftspark wird noch einmal vergrößert und die Fluchtzonen werden bebaut. Erschließung, Infrastrukturmaßnahmen, Anbindung an die öffentlichen Versorgungsnetze sind bereits während der Vorbereitung zu den Spielen errichtet worden. Für 92% der Flächen sind bereits Kaufverträge mit Investoren unterzeichnet. Das Olympische Dorf mit 6.000 Wohnungen wurde von Beginn an von einem privaten Investor errichtet und für die Spiele an die Stadt vermietet. Um 18.000 Athleten und Betreuer unterzubringen, verzichteten die Planer auf den Einbau von Küchen. Sofort nach den Paralympischen Spielen werden die Wohnungen bezugsfähig gemacht – ab Dezember 2012 sollen sie bewohnbar sein. 87% der Wohnungen sind bereits verkauft. 3/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Vorhabensträger und Budget Ausrichter und Vorhabensträger für die Olympischen Spiele 2012 ist die Stadt London. Aufgrund der immens hohen Kosten verlangt das IOC jedoch seit 1998, dass die jeweilige Landesregierung für das Vorhaben bürgt. Die Mittel zur Ausrichtung wurden größtenteils durch die staatliche Lotterie bereitgestellt – allerdings zu Lasten der Finanzierung anderer gemeinnütziger Projekte. Zur Kontrolle des Gesamtvorhabens haben Vertreter der Stadt, des Innenministeriums und der Sportorganisationen ein Aufsichtsgremium geschaffen, das die Vorbereitung und Ausführung der Spiele an zwei speziell zu diesem Zweck gegründete staatliche Organisationen vergeben hat: Für die Durchführung der Spiele selbst wurde das Locog (London Organsiation Commity Olympic Games) mit einen Budget von 2 Mrd. Pfund neu geschaffen. Aufgaben sind die Durchführung der Wettbewerbe, Dopingkontrollen etc., aber auch die wichtige Betreuung der Sponsorengäste und der Verkauf der Eintrittskarten. Das Budget von 2 Mrd. Pfund wird zu 100% mit anteiligen Fernsehgebühren, Eintrittskarten und Sponsorengeldern refinanziert. Planung, Vorbereitung sowie Erstellung der Infrastruktur – besonders der Legacy Maßnahmen – ist Aufgabe des ODA (Olympic Delivery Authority), das über ein Budget von 9,1 Mrd. Pfund verfügt. Dieses Budget umfasst Rückstellungen in Höhe von 2,8 Mrd. Pfund, hauptsächlich als Inflationsausgleich. Bedingt durch die anhaltende Wirtschaftskrise in England wurden diese Rückstellungen nicht angegriffen und gehen in voller Höhe zurück an das Finanzministerium. Die verbleibenden 6,3 Mrd. Pfund werden zu 80% für Legacy Maßnahmen verwendet, zu 20% für die direkt den Spielen zugeordneten Infrastrukturmaßnahmen und die Umwandlung des Parks. Bürgerbeteiligung Mit staatlichen Mitteln finanzierte Großvorhaben stehen unter strenger Beobachtung der Öffentlichkeit und haben unzählige Schnittstellen mit anderen staatlichen Vorhabensträgern und privaten Interessen. Werden Bürger und Vorhabensträger nicht ausreichend eingebunden, führt das im Allgemeinen zu erheblichen Terminverzögerungen und damit verbunden zu hohen Folgekosten. Solche Entwicklungen erschweren wiederum politische Entscheidungen zu zukünftigen Projekte sowie deren Planung. London 2012 hat sich daher bereits in der Angebotsphase zum Ziel gesetzt, eine größtmögliche Transparenz zu schaffen. Alle staatlichen Vorhabensträger sowie die Öffentlichkeit waren von Anfang an sehr detailliert über die Ziele, die Vorteile aber auch die Risiken des Projekts informiert. Ein wichtiger Baustein war die Offenlegung des Budgets und der weiter unten beschriebenen Basivereinbarung vor Planungsbeginn. Auf diese Weise ließen sich frühzeitig Synergieeffekte aber auch unnötige Maßnahmen identifizieren. Da bereits zu einem frühen Zeitpunkt Entscheidungsprozesse vereinbart worden waren, war es somit möglich, schnell und unter Beteiligung aller Betroffenen über Änderungen zu entscheiden, noch bevor die Planungs- und Baumaßnahmen begannen. 4/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Als sich Großbritannien und London im Jahr 2002 für eine Bewerbung zu den Olympischen Spiele 2012 entschieden, begann die Regierung sich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man die Bürger effizient in die Planung und Ausführung einbinden könne. Dies geschah aus folgenden Überlegungen heraus: Bürgergruppen hatte in Großbritannien eine Vielzahl von Infrastukturprojekten behindert und um Jahre verzögert, wodurch erheblichen Mehrkosten entstanden. Prominentes Beispiel ist "High Speed 1", die Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen London und dem Ärmelkanal, die erst zehn Jahre nach der französischen Anbindung eröffnet wurde. Im Gegensatz zu Deutschland haben in England auch kleinere Oppositionsgruppen über Ihren lokalen Abgeordneten erheblichen Einfluss. Daher ist es erforderlich, in einer Beteiligung möglichst alle Gruppen zu erfassen. Die Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen mit ihrem fixen Endtermin und dem hohen öffentlichen Interesse erschien der Regierung als ideales Pilotprojekt, um neue Ansätze zu entwickeln und einzuführen. Die Bewerbung Londons sollte sich wesentlich von der anderer Mitbewerber unterscheiden. Anstatt mit Superlativen hinsichtlich der Architektur und einem High Glamor Eventmanagement zu werben, setzte London bewusst – und wie sich zeigte mit Erfolg – auf das Thema "Bürgerbeteiligung", also die Einbindung der betroffenen Bürger aus den Ost-Londoner Stadteilen. Politische Initiativen im Vorfeld des Projekts Politische Initiativen, die ab 2002 ins Leben gerufen wurden, sollten sicherstellen, dass Interessengruppen und die Öffentlichkeit bei solchen Projekten früh in den Planungs- und Ausführungsprozess einbezogen werden. Zu diesen Initiativen gehörten: Die Verpflichtung der Regierung, Bürgerbeteiligung für staatliche und für privat finanzierte Projekte festzuschreiben und die entsprechenden Bürgerbeteiligungsverfahren zu überwachen. Anpassungen im Planfeststellungsverfahren, die gewährleisten sollen, dass die Bürger in den frühen Phasen der Projektentwicklung beteiligt werden. Da englische Planfeststellungsverfahren den deutschen sehr ähneln, waren dazu keine wesentlichen (und damit zeitaufwändigen) gesetzlichen Änderungen nötig. Der Planfeststellungsprozess bietet genügend Möglichkeiten, um bürgernahe Entscheidungsprozesse zu etablieren. Die Verpflichtung der Regierung, die Projektkosten während des gesamten Projektzyklus transparent offenzulegen . Im Rahmen der Projektkalkulation werden bereits in der Planungsphase die Gesamtkosten und vor allem die Risken ermittelt und in den weiteren Planungsphasen weiter detailliert. Die Bürger sollten sowohl über Kostenschwankungen zwischen den einzelnen Phasen informiert werden, als auch über Maßnahmen zur Reduktion evtl. gestiegener Kosten – oder alternativ darüber, warum es ggf. sinnvoll ist, höhere Kosten in Kauf zu nehmen. Auch das Verhältnis der Kosten einer Bürgerbeteiligung zu den Kosten einer Projektverzögerungen durch Projektgegner müssen kommuniziert werden. Die Kosten für die Bürgerbeteiligung sind als Maßnahme zur Risikominderung von Beginn an Bestandteil des Projektbudgets. Die Verpflichtung der Regierung, die in der Planfeststellungsphase eines Projekts die erreichten Ergebnisse der proaktive Bürgerbeteiligung in die Vertragsbedingungen für die folgende Ausführungsplanung und die Bauausführung mit aufzunehmen Verankerung einer Roadmap in den Vertragsbedingungen für Ausführungsplanung und Ausführung. Die Roadmap umfasst den gesamten Projektzyklus und definiert detailliert den Ablauf der Bürgerbeteiligung – von den Vorarbeiten in den Ministerien, den Entscheidungen im Kabinett bis hin zu den einzelnen Prozessen für die Umsetzung der Bürgerbeteiligung. Auch die Methoden, wie Bürger- sowie Stakeholderbeteiligung implementiert werden und wer, was, wie und wann letztendlich (transparent) entscheidet, sind Bestandteil der Roadmap. Damit waren die Grundlagen für eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung gelegt. Die Stadt London und die Englische Regierung beauftragten das ODA, die Umsetzung dieser Initiativen in Ihren Richtlinien und Vertragswerken aufzunehmen. Darüber hinaus hat der Bürgermeister von London öffentlich das Versprechen abgegeben, persönlich für eine detaillierte Umsetzung zu bürgen. 5/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Bürgerbeteiligung während des Projekts Dem ODA gelang es durch folgende Methoden und Maßnahmen, die Bürger während des gesamten Projektverlaufs einzubeziehen: Erklaerung des ODA Aufsichtsrates und ODA Chairmans persoenlich fuer die Durchfuehrung einer Buergerbeteiligung zu buergen Zielgerichtete Aufklärungsmaßnahmen (Scouting-Maßnahmen) des ODA, um betroffene Bürger für das Projekt zu interessieren. Eine eigens gebildete Gruppe innerhalb des ODA hatte die Aufgabe, in den betroffenen Stadteilen, aber auch im ganzen Land aktiv nach Mitbürgern und Gruppierungen zu suchen, die von den Vorbereitungen zu den Spielen, von den Spielen selber und ganz entscheidend von den Legacy- Maßnahmen betroffen sein könnten. Nach Identifizierung solcher Gruppen gingen Mitglieder der Scouting- Gruppe aber auch Board-Mitglieder des ODA persönlich auf diese zu. Regelmäßige Veranstaltungen, wie z.B. Informations- und Diskussionsforen vor Ort, um das im ersten Schritt (siehe vorheriger Punkt) geweckte Interesse aufrechtzuerhalten und neue Gruppen einzubinden. Das ODA protokollierte konsequent alle aus den Scouting-Maßnahmen resultierenden Bürgermeinungen sowie schriftlich eingereichte Bürgersorgen und veröffentlichte diese auf der ODA- Homepage und in Prospekten. Somit war gewährleistet, dass Befürworter wie auch Gegner des Projekts ein gemeinsames Forum hatten. Aufnahme von Bürgermeinungen und -wünschen in die Projektentscheidungsprozesse. Alle Wünsche und Meinungen, unabhängig von ihrer Realisierbarkeit, wurden als eigene Punkte im Planungsprozess aufgenommen. (Ein Wunsch war z.B., einen "verwunschenen" Zugang zu einer bestehenden Brücke zu schaffen.) Mit Abschluss der jeweiligen Planungsphase informierte das ODA nicht nur die Genehmigungsbehörden über den resultierenden Entwurf, sondern auch die Bürger, die Wünsche eingereicht hatten. Für den Fall, dass diese mit dem Entwurf nicht einverstanden waren, regelte ein Prozess detailliert, wie mit dem "Veto" verfahren wird und wer im Falle eines Konflikts letztendlich entscheidet. Diese formale Einbindungen der Bürger funktionierte sehr gut, das ODA war in der Lage, strittige Prozesse innerhalb von zwei Wochen abzuschließen. Zielgerichtete Unterstützung und Schulung von Bürgergruppen, die unerfahren im Engagement für die eigene Rechte waren ("capacity building and hand holding"). Im Rahmen der oben beschriebenen Scouting- Maßnahmen identifizierte das ODA auch Gruppen, die mit demokratischen Bürgerrechten unerfahren sind. Diese Gruppen wurden vom ODA persönlich zu Veranstaltungen eingeladen, um sie über Bürgerrechte und Beteiligungsprozesse aufzuklären. Im Nachhinein stellte sich diese Maßnahme als einer der größten Erfolge der Bürgerbeteiligung heraus, da auf diesem Weg eine mögliche Ablehnung, basierend auf Unwissenheit über die eigenen Rechte, in sehr positive Unterstützung umgewandelt werden konnte. Wichtig für die Bürger der angrenzenden Stadtteile waren außerdem unzählige Frage- und Antwort-Abende mit Vertretern des Olympiadirektoriums (Lord Sebastian Coe, David Beckham etc) sowie die finanzielle Unterstützung lokaler Einrichtungen, wie z.B. Gemeindezentren und Schulen, bei Projekten zur Olympiade. Eine sehr offene Pressearbeit unterstützte die Bestrebungen, möglichst alle Beteiligten einzubeziehen. Die intensive Beteiligung der Bürger zahlte sich aus: 89% aller Ostlondoner (2% über Landesdurchschnitt) identifizieren sich inzwischen mit ihren Spielen (Quelle: monatliche ODA Befragung). Die englische Regierung hat daher beschlossen, die angewandten Prozesse zur Bürgerbeteiligung und zum Stakeholdermanagement in die Planung und Ausführung zukünftiger öffentlicher Projekte zu etablieren 6/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Die Projektsteuerung Die Herausforderung bei einer Bewerbung für die Olympischen Spiele ist, dass Umfang und Kosten des Gesamtprojektes nur grob ermittelt werden können. Erst mit eigentlicher Vergabe kann die notwendige Detailarbeit über Leistungsumfang und Budget beginnen. Denselben Aufwand in der Bieterphase zu leisten, sprengt jedes Bewerbungsbudget. Im Falle Londons kam zum IOC Forderungskatalog für die Spiele noch das zentrale Ziel, das Olympische Gelände für die Legacy zu erhalten. Erste Aufgabe war es daher, in einem 600-seitigen Basisbericht Aufgaben, Kosten, Risiken, Chancen und Termine im Detail auszuarbeiten und diesen Report als Grundlage der Beziehung zwischen dem ODA und der Stadt London zu vereinbaren. Auf Basis dieses Berichtes werden Kosten und Zeitplan kontrolliert sowie Anforderungen für Änderungen erkannt und vereinbart. Der Bericht regelt Verantwortlichkeiten bis ins Detail, klärt das Budget, die Zahlungszeiträume und den Umgang mit allen Arten von Rückstellungen. Das ODA hat sich für die Erstellung des Berichts eine dreimonatige "Auszeit" genommen und damit in Kauf genommen, dass laufende Planungsprozesse für diese Zeit verlangsamt wurden, aber gleichzeitig verhindert, dass laufende Verfahren von vornherein den Bericht und das Budget unterminieren. Mit Abschluss und Unterzeichnung des Basisberichts war das ODA zu 100% handlungsfähig, da die benötigten Informationen, um Entscheidungsprozesse effektiv voranzutreiben, vollständig zur Verfügung standen. Als besonders erfolgreich ist hervorzuheben, dass es möglich war, mit allen Beteiligten, Vorhabensträgern und der Öffentlichkeit (Bürgerbeteiligung) Prozesse zu vereinbaren, wer, wann, wie lange und was entscheidet, bevor die Planung abgeschlossen wird und die Vorbereitungsmaßnahmen anfangen. Kosten und Zeitkontrolle Grundlage für die Kosten- und Zeitkontrolle sind die Daten der Basisvereinbarung, die in Controlling-Tools übernommen worden sind. Das ODA verwendete als Werkzeug für die Terminsteuerung Primavera P6, in dem jeder Vorgang mit Kosten unterlegt ist. Alle Veränderungen werden ausschließlich gegenüber diesem Basisprogramm berichtet. Die Planzeiten und die damit verknüpften Kosten sind detailliert aufgeschlüsselt, damit alle Beteiligten sofort auf Änderungen und mögliche Auswirkungen auf andere Projekte reagieren und Kostenüberschreitungen entgegen wirken können. Das Programm wird monatlich zu einem Stichtag abgeglichen. Die Folgeprozesse nach dem Abgleich müssen innerhalb einer Woche abgeschlossen sein. Kritisch anzumerken ist, dass die Pflege des Programms einen erheblichen Personalaufwand erforderte und es im Falle von Primavera einen Engpass an qualifizierten Bearbeitern gab. Berichtswesen Das Gesamtprojekt ist in über 100 Einzelprojekte unterteilt, von der Erstellung des Olympiastadiums über die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit. Jedes Projekt ist in P6 als Unterprogramm angelegt, hat sein eigenes Budget und liefert monatlich einen internen Bericht. Die einzelnen Projektdaten sind mit dem P6 Gesamtprogramm verknüpft und werden für drei Kontrollebenen aufgearbeitet. Innerhalb einer Woche erfolgen Kontrollsitzungen auf Projektebene, dann auf Gesamtprojektebene und danach auf ODA-Ebene. Das Berichtswesen ist standardisiert und einfach zu erfassen. Der gemeinsame Bericht für das ODA und die Stadt London sind auf einer Seite zusammengefasst. In dieser Zusammenfassung sind die Basisdaten detailliert erfasst; "Grauzonen" bei der Darstellung großer Zahlen sind somit weitgehend ausgeschlossen. Die angewandten Prozesse stammen aus der Automobil- und Ölindustrie und sind für staatliche Projekte in dieser Größenordnung noch Neuland. Die Berichte sind monatlich für die Öffentlichkeit einsehbar. Zudem erscheint jährlich ein Bericht, der die realen Zahlen zum Stand und zu Entwicklungen sowie zu Verlusten aber auch Gewinnen offenlegt. Durch größtmögliche Transparenz soll so das Vertrauen der Öffentlichkeit gewonnen werden. 7/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Risiko und Änderungsmanagement Zentrales Element des Berichtswesens und der Projektsteuerung sind das Risiko- und Änderungsmanagement. Mit nur sieben Jahren Planungs- und Ausführungszeit für ein 9,1 Mrd. Pfund Großprojekt mit einem keinesfalls verschiebbaren Endtermin sind Änderungen unausweichlich; das gesamte Projekt unterliegt einem hohen Risiko. Um zu verhindern, dass Änderungen zu strittigen Nachträgen führen, die das Risiko einer späteren Kostenexplosion mit sich bringen würden, wurden Prozesse vereinbart, um risikobehaftete Änderungen rechtzeitig zu erkennen und zu steuern. Basis für das Änderungsmanagement ist die Riskobetrachtung im Basisprogramm und die Fortschreibung der Risiken während der Ausführung. Das Basisprogramm P6 ist in ca. 6.000 Vorgänge unterteilt. Jeder Vorgang wurde auf seine Risiken untersucht, es wurden Maßnahmen ermittelt, um die Eintrittswahrscheinlichkeit zu senken, Parallelitäten zu anderen Vorgängen gesucht und die letztendlich resultierenden Risikokosten ermittelt. Die Risikokosten werden mit den Rückstellungen gleichgestellt. Rückstellungen sind für die Projekte, das Gesamtprogramm sowie für den Sponsor (2,8 Mrd. Pfund Inflationsausgleich) verbindlich festgeschrieben. Mit Ablauf des Projekts sinken die Risiken und somit auch die zur Verfügung stehenden Rückstellungen. Jedes Projekt muss Änderungen unverzüglich melden ("Early Warnings"). Entstehende Kosten und Folgekosten für andere Projekte werden anhand des Basisprogramms bestimmt. Zeitauswirkungen, Notwendigkeit, Vor- und Nachteile werden ermittelt und in einem vorher festgelegten Entscheidungsprozess unter Einbeziehung der Projektleitung, des ODA Sponsors und eventueller weiterer Verfahrensträger entschieden. Dieser Prozess wird innerhalb von 14 Tagen abgeschlossen, die Änderung muss verbindlich angeordnet werden. Das Änderungsvolumen liegt bei ca. 1 Mrd. Pfund ohne das Gesamtbudget zu beeinflussen. Programme Delivery Management System Damit die beschriebenen Prozesse für allen Beteiligten leicht zugänglich sind, wurde ein einfach zu bedienendes Portal entwickelt. Über dieses Portal haben Anwender Zugriff auf alle vereinbarten Prozesse zwischen allen Beteiligten. So erfahren sie zuverlässig, wer, wann und wie etwas entscheidet bzw. wer, wann, wo etwas beantragt, und welche Unterlagen er dazu braucht. Der Anwender klickt einfach das gewünschte Thema auf der entsprechenden Ebene an (Bild 3). Alle Aufgaben in den Unterprozessen sind mit den notwendigen Vorschriften, Unterlagen oder Formblättern verknüpft. Das System ist einfach in der Anwendung, verständlich für jeden Beteiligten aber beinhaltet fundiert alle Projektinformationen. Kommunikation, Datenbanken, elektronische Hilfsmittel Kommunikation zwischen allen Projektbeteiligten findet, wenn Schriftform erforderlich ist, elektronisch statt. Nur Verträge und besondere Anordnungen bedürfen der Papierform und einer Unterschrift. Zur Gewährleistung vertragsrechtlicher Ansprüche sind besondere Autorisierungsbefehle in den E-Mail-Programmen integriert. Jeder vertragliche Schriftverkehr wird in einer Datenbank gesammelt und gesondert von Mitarbeitern gepflegt. Planfeststellungsbeschlüsse und die gesamte Ausführungsplanung mit über 120.000 Plänen sind in einer zentralen Datenbank gesammelt, auf die alle Beteiligten zugreifen können. Zur effektiven Unterstützung von Planungsentscheidungen oder zur Lösung von Planungskonflikten werden geografische Informationssysteme (GIS) eingesetzt. Luftaufnahmen, die in dreimonatigem Rhythmus erstellt werden, lassen sich mit der aktuellen Planung vergleichen. Dies ermöglicht, Konflikte schnell zu erkennen bzw. hilft Drittparteien, schnelle Entscheidungen auf fundierten Grundlagen zu treffen. Die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander erfolgt über ein internes Netz, das den Zugang zu allen Unterlagen sowie zu allen allgemeinen Informationen, die die Spiele betreffen, ermöglicht. Ausschreibung der Leistungen Die Ausschreibung und Vergabe von Leistungen erfolgt ebenfalls ausschließlich auf elektronischer Basis. Sollte ein Unternehmen nicht in der Lage sein, sich elektronisch zu bewerben, wird ihm diese Technik zur Verfügung gestellt. Ein Ausschreibungsportal enthält alle Informationen zum Projekt und ist die einzige Quelle, um sich für 8/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London ein Projekt zu bewerben. Die darüber verfügbaren Ausschreibungsunterlagen geben Auskunft über den Termin und enthalten vertragliche und technische Dokumente, einen detaillierten Fragenkatalog mit projektspezifischen Fragen sowie Fragen zur Leistungsfähigkeit des Unternehmens, basierend auf dem englischen NEC6 Vertrag. Die technischen Antworten sowie die Unternehmensdaten werden auf Basis vorher festgelegter Parameter von Fachgutachtern anhand eines Punktesystems bewertet. Das Unternehmen mit der höchsten Punktzahl erhält den Auftrag, wobei der Preis nur mit 45% in die Bewertung eingeht. Nebenangebote und Sondervorschläge können nicht eingereicht werden, sie lassen sich als Änderung nach Vertragsvergabe einbringen. Koordination der Baumaßnahmen Die Baumaßnahmen für den Olympischen Park sind in den vier Jahren Bauzeit in 164 Projekte unterteilt. Jedes Projekt, wie z.B. das Olympiastadium, die Basketballarena, der Landschaftsbau oder die sechs Projekte, um die insgesamt 84 Brücken zu errichten, haben ihre eigene Projektleitung, sowie ein eigenes Budget und einen eigenen Hauptunternehmer. Jedes Projekt erhält für die Erstellung seiner Leistung den Standort mit zusätzlichem Arbeitsraum, der mit Baufortschritt formell an das Folgeunternehmen übergeben wird. Schnittstellenkonflikte besonders im Bauablauf mit Auswirkungen auf die Gesamtfertigstellung werden von einem zentralen Team mit eigenem Budget und Weisungsrecht koordiniert. Logistik Der Park ist ein abgeschlossenes Gelände, in dem jedes Projekt seine eigenen Flächen erhält, für die es selbst in vollem Umfang verantwortlich ist. Diese Flächen sind mit einem System variierender Baustraßen verbunden. Einlass auf die Baustelle erfolgt nur durch zwei Schleusen, alle Anlieferungen werden von der Logistik gesteuert. Die Logistik liefert Beton und andere Schüttgüter und sie entsorgt per Eisenbahn und Schiff nicht wieder verwendbaren Boden. Die über 10.000 Beschäftigten werden mit einem internen Bussystem transportiert. Sicherheit Einen Tag nach Vergabe der Olympiade im Jahre 2005 wurden Terroranschläge auf das Londoner U- Bahnsystem verübt. Zudem ist England aktiver Teilnehmer im Kampf gegen den Terror. Die Olympischen Spiele 2012 gelten daher als Hauptziel für eventuelle Anschläge. Dies spiegeln auch die Sicherheitsmaßnahmen wider: Bereits während der Baumaßnahmen ist das Gelände von einem 6 Meter hohen Zaun mit Elektrodraht und Videoüberwachung umgeben. Einlass erfolgt nur durch flughafenähnliche Sperren mit einem gesonderten Ausweis und biometrischer Ablesung des Handabdruckes. Kontrollmethoden wechseln in unregelmäßigen Abständen. Kurzübersicht Projekte Die Projekte lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: Maßnahmen für die Legacy und temporäre Maßnahmen für die Spiele. Für die Legacy verbleibende Strukturen, für die 80% des Budgets aufgewandt werden, sind: Regenerationsarbeiten (Bodenaustausch und Reinigung) als größtes Projekt mit einem Budget von 2 Mrd. Pfund, Aquatics Centre, Velodrom, Medienzentrum, Olympisches Dorf, zwei Kraftwerke, Versorgungsleitungen aller Art, 52 permanente Brücken, Straßen, Beleuchtung, Landschaftsbau und mehr. Strukturen für die Spiele: Olympiastadium (Rückbau auf 25.000 Sitze), Basketballarena, Handballarena, Hockeyfelder, Wasserballarena und 32 temporäre Brücken. 9/10
Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele. Die Planung der Olympischen Spiele 2012 in London Zusammenfassung Die Infrastrukturarbeiten sind Weihnachten 2011 zu 99% fertiggestellt, Die verbleibenden Arbeiten (1%) werden aus gestalterischen Gründen erst zwei Wochen vor den Spielen durchgeführt. Die konsequent offene Gestaltung des Projektmanagements, die Einbeziehung der Vorhabenträger und der Öffentlichkeit von Beginn an haben neue Maßstäbe für die Durchführung von Großprojekten gesetzt. Es ist Wunsch des englischen Parlaments, diese positiven Erfahrungen für staatliche Projekte verbindlich einzuführen. Offene Kommunikation, basierend auf soliden und vorher vereinbarten Prozessen, wirkt sich positiv auf Lösungsentwicklungen und somit Kostenersparnisse auf. Die Olympischen Spiele 2012 in London sind "on time and under budget". Klaus Grewe Klaus Grewe, Senior Project Manager, lebt mit seiner fünfköpfigen Familie seit 2005 in England und arbeitet dort seit 2007 für das Olympic Delivery Authority in London. Er ist verantwortlich für die Gesamtkoordination aller Projekte der Olympischen Spiele 2012. Davor leitete er erfolgreich das Angebot von Balfour Beatty's für die Ausstattung des St. Gotthard Basis Tunnels. In Deutschland arbeitete er für die Strabag AG als stellvertretender Projektleiter des Projekts "Hauptbahnhof Berlin". Sie erreichen den Autor unter folgender E-Mailadresse: Klaus.grewe@virgin.net 10/10
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