Die Skeptiker kommen Kroatien nach den Wahlen und vor dem EU-Referendum
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INTERNATIONALE POLITIKANALYSE Die Skeptiker kommen Kroatien nach den Wahlen und vor dem EU-Referendum DIETMAR DIRMOSER Januar 2012 n Der EU-Beitritt war in Kroatien immer ein Elitenprojekt. Ein großer Teil der Bevölke- rung sieht ihm mit gemischten Gefühlen entgegen; einem noch größeren Teil ist er schlicht gleichgültig. Bei dem Volksentscheid am 22. Januar wird der Beitritt wohl durchgewunken. Doch bis er am 1. Juli 2013 wirksam wird steht den Verantwort- lichen viel Überzeugungsarbeit bevor. n Auf der politisch-diplomatischen und rechtlichen Ebene ist die Integration Kroatiens in das EU-Gefüge weitgehend abgeschlossen. Doch die Wirtschaft laboriert an einer Strukturkrise, aus der die EU dem Land nicht heraushelfen kann. Trotz der schwie- rigen weltwirtschaftlichen Lage muss es ein neues Wachstumsmodell entwickeln, sonst wird es von seiner Schuldenlast erdrückt. n Die Wahlen im Dezember brachten einen langersehnten Machtwechsel. Eine sozial- demokratisch geführte Mitte-Links-Koalition brach die Hegemonie der nationalkon- servativen HDZ. Die Erwartungen an die neuen Machthaber sind groß. Beigetragen hat zum Wahlausgang auch der Wunsch vieler, endlich eine nicht von Korruptions- skandalen belastete Regierung zu bekommen.
DIETMAR DIRMOSER | DIE SKEPTIKER KOMMEN Seit den Kriegen, die den Zerfall der jugoslawischen Indifferenten, für die die EU-Mitgliedschaft weder gut Föderation in der ersten Hälfte der 1990er Jahre be- noch schlecht ist, mit 35 Prozent weiterhin das größte gleiteten, geschah in Kroatien wenig, das im Rest Eu- Kontingent. ropas Nachrichtenwert gehabt hätte. Die Einführung von Demokratie und Marktwirtschaft sowie die Öff- Bei der Antwort auf die Sonntagsfrage (»Wenn am kom- nung des Landes für ausländische Investoren verliefen menden Sonntag ein Referendum über den EU-Beitritt unspektakulär. Das 4,5 Millionen-Einwohner-Land an stattfinden würde … «) überwogen gegen Ende vergan- der europäischen Peripherie machte allenfalls durch genen Jahres mit 62 Prozent ebenfalls die Unentschiede- seine Tourismusangebote von sich reden. Doch im Jahr nen. Addiert man jedoch die 16 Prozent, die unbedingt 2011 gab es zwei Entwicklungen, die in der engeren für den Beitritt stimmen wollen und die Unentschiede- und weiteren Nachbarschaft intensiv wahrgenommen nen, die sich vorstellen können, mit Ja zu stimmen, so wurden. Beide kulminierten im Dezember: am 4. De- ergibt sich ein Übergewicht der Ja-Stimmen (44 % vs. zember setzte sich bei den Parlamentswahlen eine so- 37 %). Hinzu kommt, dass die Mobilisierungsfähigkeit zialdemokratisch geführte Parteienkoalition durch und der Beitrittsbefürworter deutlich größer ist als die der löste die nationalkonservative HDZ ab, die das Land Beitrittsgegner. Von den ersteren wollen sich 96 Prozent während 16 ½ der 20 Jahre seit der Unabhängigkeit an einer Volksabstimmung beteiligen, von letzteren nur regiert und mit Hilfe von Klientelnetzen unter strikter 68 Prozent. Kroatien ist übrigens das einzige Land unter Kontrolle gehalten hatte. Wenige Tage später brachte den ex-jugoslawischen Beitrittsaspiranten, in dem weni- Kroatien seinen Beitrittsprozess zur EU zu einem gu- ger als die Hälfte der Wahlberechtigten den EU-Beitritt ten Ende, der in den 1990er Jahren mit ersten Son- wollen. dierungen begonnen hatte. Am 9. Dezember wurde der Beitrittsvertrag im Rahmen des europäischen Ra- Damit ist es höchst unwahrscheinlich, dass Kroatien in tes in Brüssel unterzeichnet. Jetzt sind die Wähler am seinem Beitrittsreferendum Werte wie die 84-Prozent- Zug: am 22. Januar wird in einem Referendum darüber Zustimmung von Ungarn im Jahr 2003 erreicht oder gar entschieden, ob der Beitritt am 1. Juli 2013 vollzogen die 94-Prozent-Zustimmung der slowakischen Volksab- werden kann. stimmung. Während es in Ungarn und der Slowakei eine Europaeuphorie gab, fehlt in Kroatien jeglicher Enthusi- asmus; die von einigen Politikern gefeierte »Heimkehr Der EU-Beitritt: ein Projekt der Eliten nach Europa« lässt die meisten Kroaten kalt. Mehr als zwei Drittel sind überzeugt, ihr Land habe die Beitritts- Zahlreiche Umfragen belegen, dass das Gros der kroa- verhandlungen aus einer Position der Schwäche geführt tischen Bevölkerung nie viel von Europa gehalten oder und es gibt es eine verbreitete Besorgnis, die Erfüllung erwartet hat. Seit einem knappen Jahrzehnt messen der von der EU aufgezwungenen Anforderungen werde Demoskopen ein hohes Niveau von Vorbehalten gegen- dem Land mehr Nachteile als Vorteile bringen. Mit über der EU. Dies zeigte im Jahr 2011 einmal mehr die dem beitrittsbedingten Souveränitätsverlust wird nicht Eurobarometer-Erhebung; Europaskepsis allenthalben. nur der Verlust der Eigenständigkeit sondern auch die Die erhobenen Werte für die Akzeptanz des Integra- Schwächung der kulturellen Identität assoziiert. tionsprozesses und für die Erwartungen an die EU-Mit- gliedschaft sind in Kroatien mit die niedrigsten in der Glücklicherweise gibt es in Kroatien keinen politischen gesamten EU27 und im Beitrittsaspirantenfeld. Akteur, der die verbreitete Mischung aus Skepsis, Indif- ferenz und Ablehnung gegenüber der EU zu nutzen ver- Nach den Erhebungen des Gallup Balkan Monitor, die stände. Abgesehen von einigen kleinen rechtsnationalis- seit 2006 durchgeführt werden, oszillierte die Zahl tischen Gruppen mit antiquiertem Diskurs ist niemand in derer, die eine EU-Mitgliedschaft für eine »schlechte der Lage, die Vorbehalte gegen die EU auf den Begriff Sache« halten, in Kroatien um 30 Prozent; von 2010 auf zu bringen und ihnen Gesicht und Stimme zu geben. Die 2011 ist ein deutlicher Rückgang auf 25 Prozent zu ver- öffentliche Debatte, soweit sie überhaupt stattfindet, zeichnen. Die Gruppe jener, die eine Mitgliedschaft in der ist arm an Argumenten. In den Wahlprogrammen der EU für eine »gute Sache« halten ist von 2010 auf 2011 Parteien spielte das Thema Europa eine untergeordnete auf 30 Prozent angewachsen, doch stellten 2011 die Rolle und im Wahlkampf tauchte es kaum auf. 2
DIETMAR DIRMOSER | DIE SKEPTIKER KOMMEN Im Gegensatz zum Gros der Bevölkerung bekennt sich Anfang 2009 wurden die Verhandlungen kurz vor Beginn die politische Elite fast uneingeschränkt zu Europa. Die- der Schlussetappe von Slowenien wegen Differenzen ser Elitenkonsens begann sich bereits in den 1990er Jah- über den Grenzverlauf im Golf von Piran blockiert. Im ren herauszubilden und Teil davon wurde nach dem Tod Herbst einigten sich die beiden Länder auf ein Schieds- ihres Caudillos und Gründungspräsidenten, Franjo Tudj- verfahren. Ein Jahr später konnten die Verhandlungen man (1990–1999), auch die nationalkonservative HDZ. abgeschlossen werden, die EU-Kommission gab grünes Für den neuen Europakurs der HDZ stand Ivo Sanader, Licht für den Beitritt und das europäische Parlament be- der 2002 die nationalistischen Hardliner seiner Partei fürwortete ihn mit 564 gegen 38 Stimmen. Am 9. De- marginalisierte, und ab 2003 als Premierminister den zember 2011 fand im Rahmen des europäischen Rates Beitrittsprozess entschlossen vorantrieb. Dafür wurde er die Unterzeichnung des Beitrittsvertrages statt. Nach unter anderem vom Economist als der kroatische »Mr. einem positiven Votum im Referendum am 22. Januar, Europa« gefeiert. Doch obwohl die HDZ die Federfüh- beginnt der Ratifizierungsprozess in den 27 EU-Staaten rung in Sachen Europa übernahm, stand der parteien- und wenn alles glatt geht, wird die Mitgliedschaft am überspannende Europakonsens nie ernsthaft in Frage. 1. Juli 2013 wirksam. Für die anderen Nachfolgestaaten der Jugoslawischen Föderation, die ebenfalls einen Beitritt Auch in anderen Beitrittsprozessen zeigte sich eine ähn- anstreben, wird dies eine wichtige Signalwirkung haben. liche Kluft zwischen Elite und Bevölkerung wie in Kroa- tien. Doch gab es dort über längere Zeiträume, in eini- Insgesamt wurden im kroatischen Beitrittsprozess gen Fällen über mehrere Jahre, intensive Bemühungen, striktere Kriterien für die Öffnung und Schließung von die Bürger über Europa zu informieren und sie für Europa Verhandlungskapiteln angelegt als in früheren Beitritts- zu gewinnen. Die kroatische Mobilisierungskampagne, verfahren. Anders als im Fall von Rumänien und Bulga- wenn man überhaupt davon sprechen kann, begann ex- rien musste die Umsetzung der adaptierten EU-Bestim- trem spät, nämlich nach der Weihnachtspause von 2011; mungen durch das Erreichen von »Benchmarks« und bis dahin absorbierten die Wahlen die gesamte öffent- durch »track records« nachgewiesen werden. Überdies liche Aufmerksamkeit. In den wenigen Wochen bis zum war Kroatien das erste Land, das die Bedingungen des Referendum geschah wenig, um die verbreitete Befürch- Verhandlungskapitels XXIII Justiz und Grundrechte zu tung zu zerstreuen, Kroatien werde durch den Beitritt erfüllen hatte. Doch wurde im kroatischen Fall auf ein in die Krise der Europäischen Union hineingezogen, und Post-Beitritts-Überwachungssystem bewusst verzichtet. ebensowenig, um der Vorstellung etwas entgegenzuset- Das stattdessen eingeführte Monitoring-Verfahren gibt zen, durch den Beitritt werde Kroatien von einer über- der Kommission nur in Grenzen die Möglichkeit, Druck mächtigen Assimilationsmaschinerie aufgesogen. Auch auszuüben. nach einem erfolgreichen Beitrittsreferendum benötigt die kroatische Elite deshalb dringend eine längerfristige Der Beitrittsprozess hat in Kroatien unbestreitbar einen Kommunikationsstrategie, um die Angst der Bürger vor bemerkenswerten Reformschub ausgelöst. Dieser Re- Europa abzubauen und ihnen zu helfen, ihre Fremdheit formschub ist ein weiterer Beleg für die Kraft der Union, gegenüber Europa zu überwinden. Länder zu einer freiwilligen Transformation in Richtung auf mehr Rechtsstaat und Demokratie zu bewegen. Ob Zeit für eine intensive Mobilisierung für Europa hat Kro- die Reformdynamik andauern wird oder erlahmt wird atien gewiss nicht gefehlt. Bereits vor 7 ½ Jahren erhielt nun weit mehr von Kroatien als von seinen EU-Partnern das Land den Status eines Beitrittskandidaten. Über ein abhängen. Vor allem seine wirtschaftlichen Probleme Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen wurde wird das Land weitgehend aus eigener Kraft überwin- schon in den 1990er Jahren verhandelt, unterzeichnet den müssen. Denn zum einen hält die EU keine Blau- wurde es erst im Jahr 2001. Die formellen Beitrittsver- pause bereit, wie ein obsoletes Wachstumsmodell in ein handlungen begannen im Oktober 2005 – mit Verspä- tragfähiges transformiert werden kann. Und zum ande- tung, weil sich die kroatische Regierung bei der von der ren werden die finanziellen Nettozuflüsse aus Brüssel zu- EU geforderten »konstruktiven Kooperation« mit dem nächst gering sein, schlechtestenfalls sogar geringfügig Haager Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Ju- negativ, wie kürzlich eine Studie der Zagreber Privredna goslawien schwer tat. Banka zeigte. 3
DIETMAR DIRMOSER | DIE SKEPTIKER KOMMEN Die Wirtschaft: ein obsoletes BIP; als ohne Schaden verkraftbar gelten 40 Prozent. Der Wachstumsmodell und ungünstige Schuldendienst verschlingt bereits 42 Prozent der Ein- Rahmenbedingungen nahmen aus dem Güter- und Dienstleistungsexport (lt. Weltbank sogar über 50 Prozent, über 15 Prozent gelten Die SDP geführte Mitte-Links-Regierung, die aus den als »ungesund«). Der öffentliche Schuldenstand liegt bei Dezemberwahlen hervorging, übernimmt das Land 42 Prozent des BIP (Stand Juni 2011). Der IWF riet Kroa- inmitten einer Wirtschaftskrise, die seit 2008 andau- tien kürzlich nachdrücklich zu einer Verringerung, denn ert. Sie sieht sich den Auswirkungen der europäischen die Schuldenindikatoren erreichen Werte, die sich denen Schuldenkrise gegenüber und sie erbt ein obsoletes der europäischen Krisenstaaten und internationaler Pro- Wachstumsmodell. Damit wurden aber immerhin von blemfälle annähern. der Jahrtausendwende bis zum Ausbruch der internatio- nalen Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 Wachs- Mit Beginn der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008 tumsraten zwischen 2,9 Prozent und 5,6 Prozent erzielt. hörten die Wachstumstreiber auf zu wirken. Die auslän- dischen Direktinvestitionen brachen ein, Auslandskredite Als Wachstumstreiber wirkten ausländische Direktinves- zu günstigen Konditionen sind seitdem nicht mehr ohne titionen, billige Auslandskredite und die Überweisungen weiteres zu bekommen und die Familienangehörigen im der Auslandskroaten. Positiv schlug auch die prosperie- Ausland schicken weniger Geld. Hinzu kommt: Die Ex- rende Tourismusindustrie zu Buche, nicht zuletzt, weil porte verarbeiteter Produkte litten unter dem Nachfrage- die von ihr eingespielten Devisen in der Größenordnung rückgang in den Abnehmerländern. von 10 Mrd. EUR mithelfen, die explodierenden Nega- tivsalden in der Warenhandelsbilanz zu finanzieren. Solange der Wachstumsmotor nicht anspringt (Noten- Kroatische Industrieprodukte stoßen zwar im Ausland bankchef Rohatinski erwartet für 2011 eine Zunahme durchaus auf eine Nachfrage, ein Wachstumstreiber war des Sozialprodukts von nur 0,5 Prozent; für 2012 der Industriesektor seit der Unabhängigkeit indes nie. werden bestenfalls geringfügig höhere Produktions- Bis heute hat die Industrieproduktion nicht wieder das zuwächse prognostiziert), bewegt sich Kroatien ziel- Produktionsvolumen von 1990 erreicht; die Beschäftig- strebig auf eine Schuldenfalle zu. Die Vertiefung und tenzahlen pendelten sich bei 40 Prozent der Werte des Generalisierung von Konsummustern, die nicht mit der Jahres 1990 ein. Wirtschaftsleistung kongruent sind und nur auf Pump aufrechterhalten werden können, fand insbesondere in Die hohen Wachstumsraten in den Jahren bis 2008 er- der Regierungszeit von Sanader nach 2003 statt. Die gaben sich gleichsam von selbst. Sie sind das Resultat Boomeuphorie jener Zeit ermöglichte der Regierung ihre einer Laissez-faire-Politik, zufälliger interner Konstella- Legitimationsbasis zu verbreitern, doch führte der »Tanz tionen und günstiger internationaler Rahmenbedingun- auf dem Vulkan« zu einer gefährlichen Schieflage. Als gen. Inzwischen ist evident, dass die Zeiten mühelos das Modell 2008 in die Krise geriet, fiel der Regierung erzielbarer hoher Produktionszuwächse vorüber sind. außer abzuwarten nichts ein. Sie setzte sich mit der Not- Doch sind dafür nicht ausschließlich die ungünstigeren wendigkeit von Strukturreformen nicht einmal ernsthaft internationalen Kontextbedingungen verantwortlich. auseinander, denn dies hätte bedeutet, Besitzstände Der Boom hat intern »Kosten« verursacht, die sich das ihrer Klientelgruppen anzutasten. Die Regierung unter Land auf Dauer nicht leisten kann. Zum einen dienten Jadranka Kosor hat ab 2009 die Krise lediglich verwal- die ausländischen Direktinvestitionen großenteils der tet. Ihr umfassender Sanierungsplan vom April 2010 ver- Übernahme bestehender Unternehmen (in den Sekto- schwand alsbald in der Schublade; nur ein Bruchteil der ren Banken, Telekommunikation, Energie, Pharmazie vorgesehen Maßnahmen wurde implementiert. u. a.) und nicht der Schaffung neuer Kapazitäten oder der Anhebung des technologischen Niveaus der Pro- So lange die kroatische Wirtschaftsstruktur weiter von duktion; die ökonomischen Filetstücke sind mittlerweile der rohstoff- und arbeitsintensiven Produktion von Wa- längst veräußert. Zum anderen bewirkt das Wachstums- ren mit geringem Wertzuwachs dominiert wird, dürfte modell eine Schuldenexplosion. Die Außenverschuldung es dem Land selbst unter günstigen internationalen Rah- betrug 2001 gerade 13,6 Milliarden EUR; mittlerweile menbedingungen schwerfallen, seine Probleme durch liegt sie bei 46,4 Milliarden. Das sind 101 Prozent des Wachstum zu überwinden. Daraus folgt, die aktive po- 4
DIETMAR DIRMOSER | DIE SKEPTIKER KOMMEN litische Gestaltung der wirtschaftlichen Zukunft tut not. nische Finanzinstitute kontrollieren 45 Prozent des kro- Darüber sind sich im Grunde alle Akteure – interne wie atischen Kreditmarktes. Wenn das Land nicht bald auf externe – seit langem einig, angefangen beim IWF über einen Wachstumspfad gelangt, könnte es in eine ähn- die Unternehmerorganisationen, die Gewerkschaften liche Abwärtsspirale geraten wie Slowenien. Denn ohne bis zu den Parteien. Doch fehlte bislang nicht nur ein Wachstum sind die steigenden Zinsen für die internen schlüssiges Konzept; es gab es auch keine öffentliche und externen Schulden nicht lange zu schultern. Debatte, in der die Probleme benannt und Lösungsmög- lichkeiten ventiliert würden. Machtwechsel in schwerer Zeit Die SDP und ihre Bündnispartner vermieden vor den Wahlen klare Aussagen. Deutlich wurde immerhin, dass Bei den Wahlen am 4. Dezember setzte sich ein sozial- Einschnitte, auch schmerzhafte, auf der Ausgabenseite demokratisch geführtes Parteienbündnis durch und er- unvermeidlich sind, und dass die Staatseinnahmen v. a. zwang einen Machtwechsel. Der entscheidende Schritt durch eine aktive Wachstumspolitik vermittels der Ver- zur Ablösung der nationalkonservativen Kroatischen besserung der Investitionsbedingungen und der Förde- Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), die Kroatien wäh- rung ausländischer Direktinvestitionen gesteigert wer- rend 16 ½ der 20 Jahre seit der Unabhängigkeit regierte, den sollen. In den ersten Monaten soll ein ökonomischer war ein Restaurantbesuch der Spitzen von vier Opposi- Schub durch die unbürokratische Implementierung eini- tionsparteien im Jahr 2009. Dabei wurde beschlossen, ger größerer Investitionsvorhaben erzielt werden, die zur nächsten Parlamentswahl gemeinsam anzutreten. unterschriftsreif sind, deren Beginn jedoch bislang durch Kukuriku, der Name der Gaststätte in Kastav bei Rijeka, Blockaden der Verwaltung verzögert wurde. Ein neuer wurde in der Folgezeit zum offiziellen Emblem und Ton kam auch dadurch in die Debatte, dass die neue Kampfruf des Bündnisses aus Sozialdemokraten (SDP), Regierung in der Diskussion über Einschnitte und Belas- der liberalen Volkspartei (HNS-LD), der Regionalpartei tungen immer gleich die Frage stellt, was getan werden Istrische Demokratische Versammlung (IDS) und der kann, um eine anvisierte Maßnahme sozialverträglich zu Rentnerunion (HSU). Ende 2010 meldeten die Vier in gestalten. dem Dokument »Allianz für den Wandel« in aller Form ihren Anspruch auf die Macht an. Ein Wahlprogramm Um die Gestaltungsspielräume zu nutzen und Resultate präsentierte die Koalition mit dem »Plan 21«, dem um- zu erzielen, bleibt der neuen Regierung möglicherweise fangreichsten Wahlmanifest seit der Unabhängigkeit, wenig Zeit. Der IWF konstatiert einen hohen Grad an aber erst im September 2011, lange nach der Ankün- Verletzlichkeit wegen dem hohen externen Finanzie- digung, mit gemeinsamen Kandidatenlisten zur Wahl rungsbedarf Kroatiens, der 2011 bei 33 Prozent des BIP anzutreten. lag und 2012 noch ansteigen dürfte. Im Jahr 2012 müs- sen 15 Mrd. EUR im Ausland mobilisiert werden, allein Ein gemeinsamer Wahlvorschlag wurde von SDP und für den öffentlichen und privaten Schuldendienst wer- HNS bereits vor den Wahlen von 2007 erwogen, kam den knapp 10 Mrd. Euro fällig.1 Noch gibt es ein Pols- aber nicht zustande. Damals verspielte die Opposition ter von Währungsreserven, die für 70 Tage die kurzfris- auf der Zielgeraden einen Umfragen-Vorsprung von tigen Verbindlichkeiten decken, und noch werden die fünf Prozent und verlor die Wahl, nicht zuletzt auch Refinanzierungsperspektiven, also die Kreditwürdigkeit wegen ihrem ungeschickten Umgang mit Reizthemen. des Landes als positiv eingeschätzt; die Erwartung, den Gleichwohl erzielte die SDP 2007 mit 32,5 Prozent ihr Finanzierungsbedarf durch Kapitalzuflüsse, neue Direkt- bis dahin bestes Ergebnis. Zum Erfolg im Jahr 2011 hat investitionen sowie ein Rollover fälliger Kredite zu de- beigetragen, dass sich die vier Oppositionsparteien cken ist nicht unrealistisch. Doch dies muss angesichts schon lange vor der Wahl als solider Verbund mit Syner- der düsteren Konjunkturprognose nicht dauerhaft so gien präsentierten und sich als Alternative zur Regierung bleiben. Gefahren drohen auch durch ein eventuelles profilierten. Überschwappen der europäischen Finanzkrise; italie- Die siegreiche Parteienkoalition erreichte mit 41 Prozent der Stimmen 80 von 151 Parlamentssitzen; mit 60 Ab- 1. International Monetary Fund: Republic of Croatia: 2011 Article IV Con- sultation – Staff Report; IMF Country Report No. 11/159; 2011; S. 9 u. 36. geordneten verfügt die SDP erstmals über die größte 5
DIETMAR DIRMOSER | DIE SKEPTIKER KOMMEN Parlamentsfraktion; Unterstützung erwarten kann Ku- Entscheidend ist, dass in keinem der beiden Lager die kuriku überdies von mehreren der acht Abgeordneten stärkste Partei alleine Wahlen gewinnen kann; beide sind der Sonderwahleinheit der ethnischen Minderheiten. auf Bündnispartner aus der Riege der kleineren Parteien Die drei Abgeordnetenmandate der Sonderwahleinheit angewiesen. Der HDZ wurde bei den Dezemberwahlen der Diaspora fielen an die HDZ. zum Verhängnis, dass sie jene beiden Parteien, die als Bündnispartner in Frage gekommen wären in den letz- Um die Wahlen von 2011 zu gewinnen genügten dem ten Jahren nicht nur als lästige Konkurrenz bekämpfte Viererverbund 50.000 Stimmen weniger als die 1,1 Mil- sondern sie nahezu zerstört hat. Die Traditionspartei der lionen Stimmen (45,4 %), die die ihm angehörenden Bauern (HSS), die 2003 und 2007 um sieben Prozent der Parteien im Jahr 2007 auf sich vereinigen konnten; die Stimmen erhalten hatte, holte mit 3,1 Prozent nur noch Wahlbeteiligung lag 2007 bei 63,4 Prozent und 2011 bei einen Parlamentssitz, die Sozialliberalen (HSLS) blieben 62 Prozent. Der Erfolg von 2011 basiert also weder auf trotz ihrer ebenfalls 3,1 Prozent der Stimmen ohne Sitz dem Zugewinn von Wählern noch auf einer stärkeren in der Volksvertretung (Um im Parlament vertreten zu Mobilisierung. Vielmehr profitierten die Wahlsieger von sein muss eine Partei in einem der zehn Wahlbezirke die der Zersplitterung auf der rechten Seite des politischen Fünfprozenthürde überwinden). Das Fehlen von Bünd- Spektrums, von der Schwäche der HDZ, die ein ähnlich nispartnern, die stark genug sind, um Abgeordnete ins mageres Ergebnis erzielte wie im Jahr 2000, kurz nach Parlament zu entsenden, dürfte der HDZ mittelfristig er- dem Tod ihres Caudillos Franjo Tudjman, sowie vom hebliche Kopfschmerzen bereiten. kroatischen Wahlrecht, das die stärkste Kraft begüns- tigt. Bei den Wahlen von 2007 erhielt die HDZ mit 35 Bemerkenswert ist, dass sowohl der rechte als auch der Prozent der Stimmen 44 Prozent der Mandate; diesmal linke Rand des Parteienspektrums durch die Wahlen reichten Kukuriku 41 Prozent der Stimmen um 53 Pro- von 2011 eine klarere Ausprägung erfahren hat. Erst- zent der Mandate auf sich zu vereinigen. Von Vorteil für mals im Parlament vertreten sind die Laburisti, die 2010 die Wahlsieger war außerdem, dass die Wähler ein Herz gegründete Partei des linkspopulistischen ehemaligen für wenig aussichtsreiche Wahlvorschläge hatten und Gewerkschaftsfunktionärs Dragutin Lesar, die mit 5,2 jede achte Stimme für Listen abgaben, die kein Mandat Prozent der Stimmen sechs Mandate gewann. Zur Lin- gewannen. ken zu rechnen sind außerdem die beiden Mandate (2,8 Prozent der Stimmen) der unabhängigen Liste des pen- Manifestiert hat sich bei dieser Wahl einmal mehr die sionierten katholischen Priesters und Soziologen Ivan traditionelle wahlgeographische Zweiteilung des Landes. Grubisic, der von der Amtskirche wegen seinem politi- Im weniger entwickelten agrarisch geprägten Osten und schen Engagement heftig angefeindet wird. Zwei Listen Süden und in weiten Teilen Dalmatiens sind die HDZ und von SDP-Dissidenten konnten zur Freude der SDP nur andere Parteien der Rechten nach wie vor dominant. Im wenige Wähler mobilisieren. Der mit seiner ehemaligen entwickelteren Norden und Westen haben die Kukuriku- Partei über Kreuz liegende mächtige Bürgermeister von Parteien die Nase vorn. Eine Machtverschiebung gab es Zagreb, Milan Bandic, landete mit nur einem Prozent der in den urbanen Regionen; die HDZ verlor alle wichtigen Stimmen unter »ferner liefen«, und auch die Liste des Städte mit Ausnahme von Gospic. Ex-Wirtschaftsministers und SDP-Spitzenkandidaten von 2007, Ljubo Jurcic, errang mit – immerhin – 2,8 Prozent Der geographischen Zweiteilung entspricht eine poli- der Stimmen kein Mandat. tisch ideologische Spaltung des Landes in zwei Lager, ein nationalistisch-konservatives und ein kosmopo- Am rechten Rand des politischen Spektrums konnte die litisch-modernes. Im nationalistischen Lager, dessen HDSSB, die vor allem in Ostslawonien verankerte Par- stärkste politische Kraft die HDZ ist, hat die katholische tei des verurteilten, in Bosnien im Gefängnis sitzenden Kirche großen Einfluss, die nie ein Hehl aus ihrer Anti- Kriegsverbrechers Branimir Glavas ihre Wählerschaft pathie gegen die toleranten »häretischen« Kosmopo- verdoppeln und vier Parlamentssitze erringen. Die ande- liten und deren wichtigsten politischen Exponenten, ren rechtsnationalistischen Parteien erhielten zwar acht die SDP, gemacht hat. Auch die im Krieg der 1990er Prozent der Stimmen. Wegen ihrer Zersplitterung errang Jahre entstandenen Brüche wirken in dieser Polarisie- aber nur die »HSP Dr. Ante Starcevic« mit 2,9 Prozent der rung fort. Stimmen ein Mandat. 6
DIETMAR DIRMOSER | DIE SKEPTIKER KOMMEN Im Parlament kam es durch die Wahlen zu einem deut- Gegen den Ex-Premier sind fünf Ermittlungsverfahren lichen Linksruck. Es gibt nun eine klare strukturelle anhängig. In zweien wurde Anklage erhoben, danach Mehrheit der Linken, die mit dem demoskopisch mess- wurden die Verfahren zusammengelegt. In dem Prozess baren Meinungsklima kongruent ist. Ob dies der SDP- geht es um eine Provision in Höhe von 3,7 Millionen Kn geführten Koalition das Regieren erleichtern wird, ist (500.000 EUR), die Sanader im Jahr 1995 als Vizeaußen- ungewiss; die Laburisti haben bereits ihre entschlossene minister für die Vermittlung eines Kreditgeschäfts von Opposition gegen sozialpolitische Einschnitte jeder Art der kärntner Hypo-Bank erhalten haben soll, sowie um angekündigt. Insgesamt ist in dem voranschreitenden zehn Millionen Euro, die Sanader angeblich vom ungari- politischen Differenzierungsprozess das Parteienspekt- schen Energiekonzern MOL bei der Teilprivatisierung der rum breiter geworden und reicht nun nun von links au- kroatischen Ölfirma INA als Handsalbung bekam. MOL ßen bis rechts außen; nur eine grüne Partei fehlt noch. kontrolliert INA (das mit Abstand größte kroatische Un- Die Annäherung an das für die alten EU-Staaten charak- ternehmen, das ein Zehntel des BIP repräsentiert) seit- teristische Parteienschema schreitet voran. dem über eine Verwaltungsratsmehrheit, obwohl der Aktienanteil unter 50 Prozent liegt. Mitteleuropäische Normalität signalisieren auch die ru- hige und korrekte Durchführung des Wahlaktes (sieht In weiteren Ermittlungsverfahren wird das Verschieben man davon ab, dass es wegen der im Land gemeldeten öffentlicher Gelder in Reptilienfonds der HDZ untersucht, Auslandskroaten bei 4,3 Millionen Einwohnern 4,1 Milli- aus denen u. a. Wahlkämpfe finanziert wurden. Die auf- onen Wahlberechtigte gibt), sowie die nahezu sachliche wändige Kampagne von 2007 sowie die Wahlwerbung Art und Weise, auf die sich der Machtwechsel vollzog. der HDZ-Kandidatin Jadranka Kosor im Präsidentschafts- Immerhin hat die HDZ in ihrer langen Phase als hege- wahlkampf des Jahres 2005 stehen unter dem Verdacht, moniale Partei ein privateigentümliches Verhältnis zum mit illegal privatisierten öffentlichen Mitteln finanziert Staat und seinen Institutionen entwickelt und das Land worden zu sein. Kurz vor den Wahlen im vergangenen mit klientelistischen Gefolgschaftsnetzwerken überzo- Dezember setzte Generalstaatsanwalt Mladen Bajic ein gen. Doch hat der in der Architektur des politischen Sys- Ermittlungsverfahren gegen die HDZ als juristische Per- tems verankerte Mechanismus von Checks and Balances son in Gang, das die Partei zu großer Zurückhaltung bei – verstärkt durch den Beitrittsprozess zur EU – offenkun- der Wahlkampffinanzierung zwang. dige Auswüchse der Vermachtung sowie Mafia- und Pa- tronagestrukturen allmählich geschwächt, wenngleich Nach dem, was bislang aus den Ermittlungen bekannt von der Überwindung dieser Demokratiedefekte längst wurde, scheint Sanader der Drahtzieher eines verzweig- nicht die Rede sein kann. In den Monaten vor den Wah- ten Korruptionsnetzwerkes gewesen zu sein. Gegen len soll die HDZ noch rasch zahlreiche Gefolgsleute mit eine Reihe weiterer ehemaliger Regierungsmitglieder Posten im öffentlichen Sektor versorgt haben. und Spitzenfunktionäre, darunter der Ex-Wirtschafts- minister und Vizepremier Polancec, wird ebenfalls er- mittelt, einige Chargen aus den hinteren Reihen sitzen Wie die Korruptionsbekämpfung bereits Gefängnisstrafen ab. Je mehr über die korrupten den Wahlausgang beeinflusste Verflechtungen bekannt wird, desto mehr sieht sich die Führungsriege der Partei einem Generalverdacht ausge- Mit Strippenzieherei und der privaten Aneignung staat- setzt. Zusätzliches Material lieferten der ehemalige Chef licher Gelder auf höchster Regierungsebene beschäftigt des Zolls und Ex-HDZ-Schatzmeister Mladen Barisic so- sich seit geraumer Zeit die Staatsanwaltschaft. Schlüssel- wie die Ex-Buchhalterin der HDZ, Branka Pavosevic, ge- figur ist der ehemalige HDZ-Premier Ivo Sanader, der am gen die ebenfalls ein Ermittlungsverfahren läuft. Um sich 1. Juli 2009 aus bis heute ungeklärten Gründen zurück- zu entlasten breitete sie Details des Systems der schwar- trat, und dessen parlamentarische Immunität Ende 2010 zen Parteikassen in der Presse aus. auf Antrag der Antikorruptionsbehörde aufgehoben wurde. Sanader floh über die Grenze, wurde in Öster- Gegen eine derartige Indizienlast konnte die HDZ-Wahl- reich verhaftet und im Juli 2011 an Kroatien ausgeliefert, kampfstrategie wenig ausrichten. Das Argument, in den wo er bis zu seiner Freilassung im Dezember gegen eine publik gewordenen Korruptionsfällen gehe es lediglich Millionenkaution in Untersuchungshaft saß. um einige wenige schwarze Schafe, verfing ebenso we- 7
DIETMAR DIRMOSER | DIE SKEPTIKER KOMMEN nig wie die Behauptung, in Wirklichkeit sei die HDZ der Veteranen gegen die Regierung, weil sie ihre Belange eigentliche – und einzige – Promotor der Korruptions- durch die HDZ-Regierung nur noch unzureichend ver- bekämfung, und mache nicht einmal vor eigenen Spit- treten sahen. Gegen die Verfolgung des Veteranen Pur- zenleuten Halt. Die Glaubwürdigkeit der Partei ist offen- da durch die serbischen Behörden gingen im Februar bar schwer beschädigt. Dies bestätigen auch die letzten 15.000 Menschen in Zagreb auf die Straße. Die Proteste Gallup-Erhebungen, nach denen die meisten Kroaten gegen die im April erfolgte Verurteilung der Generäle Korruption im Regierungsapparat (89 Prozent) und in der Gotovina und Makac durch das Haager Kriegsverbre- Wirtschaft (93 Prozent) für »vorherrschend« halten; selbst chertribunal (wegen ethnischer Säuberungen bei der für den allenthalben korruptionsgeplagten Balkan sind Rückeroberung der Krajina im Jahr 1995), fielen erheb- das Spitzenwerte. Im internationalen Vergleich nimmt lich kleiner aus. Ebenfalls fünfstellige Teilnehmerzahlen Kroatien mit dem Rang 66 des Transparency-Korrup- erreichten aber zeitweise die Mobilisierungsaktionen tionswahrnehmungsidex einen guten Mittelfeldplatz ein. der linksalternativen Basisorganisationen und der Akti- vistengruppen junger Leute. Gefordert wurde bei die- Die Korruptionsbekämpfung erreichte nach dem Abgang sen Aktionen vielerlei, auch der Rücktritt der Regierung von Premier Sanader eine neue Qualität. Ob dies geschah, und Neuwahlen. Die vielen beteiligten Kleingruppen weil seine Nachfolgerin und ihre Crew dies aktiv voran- koordinierten ihre Aktionen über soziale Netzwerke; sie trieben, oder weil sie es nicht verhindern konnten werden hielten die Hauptstadt viele Wochen lang in Atem und eines Tages die Historiker klären. Sicher ist, dass der Druck begannen sich über das Land auszubreiten. Phasenweise der EU in den Beitrittsverhandlungen mitgeholfen hat, schlossen sich den gewaltlosen Aktionen zahlreiche Pas- den Handlungsspielraum der Anti-Korruptionsbehörde santen an. Doch bald war klar, dass die Bewegung der USKOK zu erweitern, und dass diese ihre Chancen zu nut- Regierung politisch nicht gefährlich zu werden vermoch- zen verstand. Doch der Kampf gegen die Korruption ist te; sie ignorierte die Protestierenden und wartete ab. noch längst nicht gewonnen, noch ist sein Ausgang un- Und tatsächlich flauten die Aktionen ab, pünktlich zu gewiss, denn noch wurde niemand aus den höheren Rän- Beginn der Sommerferien hörten sie ganz auf. gen rechtskräftig verurteilt, noch musste kein Prominen- ter unrechtmäßig erworbene Vermögenswerte abliefern. Zum Erlahmen der Protestenergien hat aber gewiss auch beigetragen, dass allmählich ins Bewusstsein rückte, Im politischen Prozess wird das Thema der Korruption dass es bei den kurz bevorstehenden Wahlen eine re- ein wichtiger Faktor bleiben. Die Sensibilisierung der Öf- ale Machtalternative gab. Wozu weiter auf die Straße fentlichkeit ist nicht rückgängig zu machen und die auf- gehen, wenn man seinen Unmut bald im Wahllokal wür- keimende Hoffnung, Abhilfe sei möglich, darf nicht ent- de manifestieren können? täuscht werden. Die Opposition konnte bei den Wahlen auch deshalb punkten, weil sie einen untadeligen Leu- Die Protestaktionen des Jahres 2010 (gegen ein Ein- mund vorzuweisen hat. Der neue Premier, Zoran Milano- kaufszentrum in der City von Zagreb, gegen die Ver- vic, wurde im Wahlkampf nicht müde zu wiederholen, nichtung der Arbeitsplätzen in einer Textilfirma durch die Kukuriku-Koalition stehe auch für eine saubere und betrügerischen Bankrott), die Sammlung von 800.000 redliche Regierungsführung. Sollten irgendwann Zwei- Unterschriften durch die Gewerkschaftsverbände für ein fel aufkommen, dass die neuen Machthaber dazu in der Referendum gegen die Novellierung des Arbeitsgesetzes Lage sind, ist mit schweren politischen Erschütterungen sowie die Protestwelle von 2011 waren für Kroatien neu zu rechnen. und ungewöhnlich. In Zukunft dürfte vermehrt damit zu rechnen sein, dass die Bürger auch außerparlamenta- Hinweise darauf, dass sich der Unmut unzufriedener und rische Kanäle nutzen, wenn sie mit ihren demokratisch enttäuschter Bürger auch auf der Straße Luft machen gewählten Volksvertretern unzufrieden sind. In den kann, gab eine Welle von Protestaktionen in der ersten Worten eines Leitartiklers: »Sie sind aufgewacht und Hälfte des vergangenen Jahres. Mehrfach protestierten wissen jetzt wie's geht«. 8
Über den Autor Impressum Dietmar Dirmoser ist Landesvertreter der Friedrich-Ebert- Friedrich-Ebert-Stiftung | Referat Mittel- und Osteuropa Stiftung in Kroatien und Slowenien. Hiroshimastr. 28 | 10785 Berlin | Deutschland Verantwortlich: Dr. Ernst Hillebrand, Leiter, Referat Mittel- und Osteuropa Tel.: ++49-30-269-35-7726 | Fax: ++49-30-269-35-9250 http://www.fes.de/international/moe Bestellungen / Kontakt: info.moe@fes.de Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten ISBN 978-3-86498-037-4 sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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