Credit Suisse Sorgenbarometer 2012 - Was die Schweiz bewegt. Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung seit 1976.

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Credit Suisse Sorgenbarometer 2012 - Was die Schweiz bewegt. Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung seit 1976.
Credit Suisse
                                              Sorgenbarometer 2012
                                                           Was die Schweiz bewegt.
                                               Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung
                                                                  seit 1976.

           Sascha Flück, 37, Herbetswil SO, Servicemonteur
           «Das schönste Vergnügen in der Schweiz ist es, dass
           wir noch frei sind. Hier darf ich überall meinen
           Segelfl ieger in die Höhe steigen lassen, ohne dass
           gleich einer kommt und reklamiert.»

           Fotos von Linus Bill                                                                Bulletin N° 6 / 2012 — 43

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Credit Suisse Sorgenbarometer 2012 - Was die Schweiz bewegt. Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung seit 1976.
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   1. Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach
                   die wichtigsten Sorgen der Schweiz?»
                   Arbeitslosigkeit 49% (−3)

                   Ausländer 37% (+1)

                    AHV/Altersvorsorge 36% (+9)

                    Asylfragen 32% (+11)

                   Gesundheitswesen 30% (+0)

                   Eurokrise 22% (neu)

                   Persönliche Sicherheit 21% (−6)

                   Europäische Integration 20% (+6)

                   Soziale Sicherheit 19% (−7)

                   Umweltschutz 18% (+2)

                   Neue Armut 17% (+0)

                   Energiefragen 16% (+1)

                   Finanzkrise 14% (−16)

                   Löhne 13% (−1)

                   Benzin-/Erdölpreis 13% (+8)

                   Erhebung 2012 (Veränderung zu 2011 in Prozentpunkten)

                   Anouck Hofmann, 20, Neuenburg,
                   Wirtschaftsstudentin
                   44 — Bulletin N° 6 / 2012
                   «Sorgen? Sorry, aber in Bezug auf mich und meine
                   Zukunft in der Schweiz habe ich keine.»

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Credit Suisse Sorgenbarometer 2012 - Was die Schweiz bewegt. Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung seit 1976.
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   Alles wird gut –
                   optimistische Schweizer
                   Bevölkerung
                   Traditionsgemäss nimmt die Arbeitslosigkeit beim Credit Suisse Sorgenbarometer
                   die Spitzenposition ein. Trotz Wirtschaftskrise sehen die Befragten aber
                   zuversichtlich in die Zukunft: Die Mehrheit schätzt die Lage stabil ein,
                   ein Fünftel ist von einer Verbesserung überzeugt.

                   Die Schweizer Bevölkerung beurteilt        und lässt sich wohl am ehesten erklä-      Die Umfrage
                   die aktuelle wirtschaftliche Situation     ren durch die relativ robuste Binnen-
                                                                                                         Im Auftrag und in Zusammenarbeit mit
                   optimistisch (Grafi k 3). 59 Prozent be-   wirtschaft mit einem starken Privat-
                                                                                                         der Credit Suisse hat das Forschungsinstitut
                   zeichnen jedenfalls die eigene Lage als    konsum in der Schweiz. Im Sorgen-          gfs.bern zwischen dem 30. Juli und dem
                   «gut» oder «sehr gut». Spürbar ent-        barometer schlug sich dieser Optimis-      31. August 2012 eine repräsentative Umfrage
                   schärft hat sich die Situation vor allem   mus sehr deutlich bei der zentralen        bei 1003 Stimmberechtigten mit Wohnsitz
                                                                                                         in der Schweiz durchgeführt.
                   bei den tieferen Einkommen. Auch die       Frage nach den fünf Hauptsorgen nie-       Der statistische Stichprobenfehler liegt bei
                   Aussichten sind erfreulich: Wie im         der (Seite 44).                            ± 3,2 Prozent. Die wissenschaftliche
                   Vorjahr gehen 92 Prozent davon aus,              Die konjunkturellen Sorgen sind      Auswertung in den zwei Studien «Abstrakte
                                                                                                         Wirtschaftssorgen konkretisieren sich im
                   dass es ihnen im kommenden Jahr zu-        wieder in den Hintergrund getreten:        EU-Raum» und «Schweiz: Dem Sturm
                   mindest gleich gut wie jetzt gehen         Die Finanzkrise landet mit 14 Prozent      getrotzt, aber Planken müssen verstärkt
                   wird. 18 Prozent glauben sogar an eine     (− 16 Prozentpunkte) auf Platz 13 von      werden» erfolgte durch ein Projektteam mit
                                                                                                         Claude Longchamp, Lukas Golder, Martina
                   Verbesserung; nur einmal – vor fünf        34 vorgegebenen Begriffen, die Wirt-       Imfeld, Cindy Beer, Stephan Tschöpe und
                   Jahren – waren es etwas mehr gewesen.      schaftskrise mit 9 Prozent (− 26 pp) auf   Sarah Deller.
                   In Bezug auf die allgemeine wirt-          Platz 20 und die Sorgen rund um die
                                                                                                         Die Studien sowie weiterführende Grafi ken
                   schaftliche Situation ist der gleiche      Börsen mit 7 Prozent (− 5 pp) auf Platz    fi ndet man unter:
                   Trend zu erkennen. Beinahe drei Vier-      24. Erstmals befragt wurde die Euro-       www.credit-suisse.com/sorgenbarometer
                   tel der Stimmbürger stufen die aktuel-     krise, die mit 22 Prozent auf Anhieb
                                                                                                         Die Auswertung für das Bulletin erfolgte
                   le Lage als zumindest gleich gut wie im    auf Rang 6 kam. Die insgesamt positi-      durch Andreas Schiendorfer.
                   Vorjahr ein, fast gleich viele sehen das   ve Einschätzung der wirtschaftlichen
                   auch für die kommenden zwölf Mo-           Entwicklung lässt indes darauf schlies-
                   nate so. Dabei ist mehr als ein Fünftel    sen, dass ein Grossteil der Bevölke-
                   sogar von einer Verbesserung der Kon-      rung an die Robustheit der Schweizer
                   junktur überzeugt.                         Wirtschaft glaubt und nicht davon
                                                              ausgeht, dass die Eurokrise sich stark
                   Relativ geringe Konjunktursorgen           und nachhaltig auf unser Land auswir-
                   Dieser Wirtschaftsoptimismus mag           ken wird.
                   angesichts der akuten Probleme in                Trotzdem bleibt mit 49 Prozent
                   Griechenland, Spanien und anderen          die Arbeitslosigkeit – nun bereits zum
                   europäischen Ländern überraschen           zehnten Mal in Folge – die Hauptsorge

                                                                                                                           Bulletin N° 6 / 2012 — 45

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 45                                                                                                                  23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012 - Was die Schweiz bewegt. Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung seit 1976.
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                                                                                                                                                                       der Schweizerinnen und Schweizer
                   2. Zeitliche Veränderung der Hauptsorgen                                                                                                            (Grafi k 2). Dies kann eigentlich nur
                   Seit dem Jahr 2003 wird die Arbeitslosigkeit als Hauptproblem der Schweiz wahrgenommen.                                                             dahin gehend gedeutet werden, dass
                   Davor war es das Gesundheitswesen gewesen, das heute nur noch auf Platz 5 rangiert. Über
                                                                                                                                                                       die Beschäftigung möglichst aller
                   die letzten drei Jahre haben einzig «Auslä nder/Personenfreizügigkeit» und «Flüchtlinge/
                   Asylfragen» zugenommen.                                                                                                                             Landesbewohner als der entscheiden-
                                                                                                                                                                       de Schlüsselfaktor für das Funktionie-
                                                                                                                                                                       ren der Schweiz angesehen wird. In
                   60
                                                                                                                                                                       dieser Hinsicht reagiert man anschei-
                   50
                                                                                                                                                                49
                                                                                                                                                                       nend lieber nicht erst auf reale Notsitu-
                   40                                                                                                                                           37     ationen, sondern sorgt sich gewisser-
                                                                                                                                                                  36
                   30                                                                                                                                             32   massen proaktiv. Allerdings stellt man
                                                                                                                                                                30
                   20                                                                                                                                                  doch einen Rückgang von 3 Prozent-
                                                                                                                                                                21
                   10
                                                                                                                                                                       punkten gegenüber dem Vorjahr und
                    2000        2001         2002        2003          2004        2005   2006    2007    2008        2009               2010        2011      2012    sogar um 27 Prozentpunkte gegenüber
                                                                                          ARBEITSLOSIGKEIT/JUGENDARBEITSLOSIGKEIT
                                                                                                                                                                       2010 fest.
                   Die Eurokrise wurde 2012 erstmals                                      AUSLÄNDER/PERSONENFREIZÜGIGKEIT
                   befragt, und auf Anhieb von                                            AHV/ALTERSVORSORGE
                                                                                          FLÜCHTLINGE/ASYLFRAGEN                                                       Sorgenpalette ist breiter geworden
                   22 Prozent der Schweizer als eine                                      GESUNDHEITSFRAGEN/KRANKENKASSE/PRÄMIEN
                   Hauptsorge bezeichnet.                                                 PERSÖNLICHE SICHERHEIT                                                       Neben der Arbeitslosigkeit landeten in
                                                                                                                                                                       den Jahren 2003 bis 2010 ausnahmslos
                   Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach die wichtigsten Sorgen der Schweiz?»                                                                  die Sorgen um die Altersvorsorge so-
                                                                                                                                                                       wie das Gesundheitswesen auf den
                   3. Einschätzung der Wirtschaftslage                                                                                                                 beiden weiteren Podestplätzen. Diese
                                                                                                                                                                       Hierarchie wurde nun zum zweiten
                   Die Zahl der Schweizer, die ihre eigene wirtschaftliche Situation als sehr gut einstufen, hat zwar
                   um 11 Prozentpunkte abgenommen, dafür gehen doppelt so viele wie im letzten Jahr von einer                                                          Mal nacheinander durchbrochen,
                   Verbesserung in der Zukunft aus. Die allgemeine Wirtschaftslage wird noch positiver eingeschätzt:                                                   ohne dass diese «Traditionssorgen»
                   18 Prozent (+ 11 pp) erkennen eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr, 21 Prozent (+ 12 pp)                                                         deswegen an Relevanz verloren hätten.
                   glauben an eine weitere Verbesserung in Zukunft.
                                                                                                                                                                       Insgesamt ist aber doch eine Nivellie-
                   Aktuelle individuelle wirtschaftliche Lage                                    Kommende individuelle wirtschaftliche Lage                            rung des Sorgenkanons mit entspre-
                                             8       2                 20                                                        3
                                                                                                                                                                       chend tieferen Werten feststellbar:
                                                             5                                                                            5          20
                                                                                                            18                                                         Heute brennen den Schweizern also
                                                                        12

                                                                                                                                                      12

                                                                 20                                                                           20
                                                         7                                                             9             7                                 viel mehr verschiedene Sorgen unter
                                                                  11

                                            19
                                                                                                                                                11

                                                     1
                                                     1                                                                       1                                         den Nägeln als früher, die von den
                                                                  37
                                                                              34                                                                                       Entscheidungsträgern in Politik,
                                                                                                                                                                       Wirtschaft und Gesellschaft gleicher-
                                       35
                           51                                                                                                                                          massen ernst genommen werden müs-
                                                                                                                           83
                                                                                                                                                                       sen. In erster Linie ist hier die Immig-
                                                                                                                           74                                          rationsdebatte zu nennen. Dabei sind
                        KEINE ANTWORT                            RECHT
                                                                                                         KEINE ANTWORT                             GLEICH
                                                                                                                                                                       die Ausländer, die regulär in der
                        SEHR SCHLECHT                            GUT
                        SCHLECHT                                 SEHR GUT                                SCHLECHTER                                BESSER              Schweiz leben und arbeiten, momen-
                                                                                                                                                                       tan stärker im Fokus als die Flüchtlin-
                   Aktuelle allgemeine wirtschaftliche Lage                                      Kommende allgemeine wirtschaftliche Lage                              ge, die hier Asyl suchen (siehe auch
                                                                       20                                                            7               20
                                                                                                                                                                       Grafik 14).
                                  18                 1                                                                                                                        Die Sicherung der Altersvorsor-
                                                                        12

                                                                                                                                                      12

                                                                                                           21
                                                                 20                                                                           20
                                                 7                                                                    9      4                                         ge ist nach wie vor eine zentrale Sorge
                                                                  11

                                                                                                                                               11

                                                     1                      27                                                                            22
                                                                                                                                                                       der Schweizer. Nach einem Rückgang
                                                                  36
                                                                                                                                                41                     im Vorjahr befindet sich die AHV mit
                                       56
                                                                                                                                                                       36 Prozent wieder im (unteren) Be-
                                                                                                                 46                                                    reich des langjährigen Trends. Dabei
                            54

                                                                                                            50
                                                                                                                                                                       sind es aber nicht etwa die Jungen, wel-
                                                                                                                                                                       che die grössten Bedenken äussern,
                        KEINE ANTWORT                            GLEICH GEBLIEBEN                        KEINE ANTWORT
                                                                                                                                                                       sondern die aktuellen Bezüger, die of-
                                                                                                                                                   GLEICH BLEIBEN
                        VERSCHLECHTERT                           VERBESSERT                              VERSCHLECHTERN                            VERBESSERN          fensichtlich Angst vor einschneiden-
                   Fragen: «Wie schätzen Sie Ihre persönliche und wie die allgemeine wirtschaftliche Situation ein,                                                    den Kürzungen haben. Darüber hin-
                   und wie wird sie sich in den kommenden zwölf Monaten verändern?»                                                                                    aus ist die Sorge bei den Frauen stärker

                   46 — Bulletin N° 6 / 2012

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 46                                                                                                                                                                             23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   erkennbar als bei den Männern und
                   vor allem in der Stadt viel deutlicher als   4. Wem Schweizerinnen und Schweizer vertrauen
                   auf dem Land. Dementsprechend gilt           Das grösste Vertrauen geniesst derzeit die Polizei, gefolgt von Bundesgericht und Bundesrat. Vor
                                                                einem Jahr hatte das Bundesgericht die Vertrauensrangliste vor den Arbeitnehmerorganisationen
                   für 95 Prozent die Sicherung der Al-
                                                                sowie den Arbeitgeberorganisationen und den bezahlten Zeitungen angeführt. 2010 lagen Radio,
                   tersvorsorge als sehr wichtiges aktuel-      Fernsehen sowie Bundesgericht und Polizei an der Spitze.
                   les Ziel, das die Politiker verfolgen
                   sollten (Grafi k 6). Das Problem Ge-                                        Politik

                                                                2012
                   sundheitswesen hingegen hat, wohl                                                                                                             61
                                                                                 Bundesrat                                                                  58
                   wegen des verlangsamten Anstiegs der                                                                                                               64

                   Krankenkassenprämien, auf dem im                                                                                                           60

                                                                2011
                                                                               Nationalrat                                                             55
                   Vergleich zu früher relativ tiefen Ni-                                                                                                             64
                   veau von 30 Prozent stagniert.
                                                                                                                                                              60

                                                                2010
                                                                                 Ständerat                                                        52
                                                                                                                                                                  62
                   Umweltbewusstsein nimmt zu
                                                                                                                                             49
                   Die Sorgen um die persönliche Sicher-         Staatliche Verwaltung                                                  46
                   heit und soziale Sicherheit, die in den                                                                                        51

                   letzten Jahren kontinuierlich zuge-                                                                   34
                                                                        Politische Parteien                                   37
                   nommen hatten, sind wieder etwas                                                                                     45
                   zurückgefallen. Als nächstes Prob-                                                       19
                   lempaket folgen die Umwelt- und die                 Europäische Union                     20
                                                                                                                         34
                   Energieprobleme. Der Fukushima-
                   Effekt mag zwar bei einem Grossteil
                   der Bevölkerung bereits wieder verflo-                                      Medien
                                                                2012

                                                                                                                                                  51
                   gen sein, aber dank dem diesjährigen                          Fernsehen                                                                       61
                                                                                                                                                                             76
                   Umweltgipfel Rio +20 und vor allem
                                                                                                                                              50
                                                                2011

                   der Debatte um den Ausstieg aus der                               Radio                                                                   59
                   Atomenergie sind Umweltthemen                                                                                                                                       77

                   nach wie vor präsent.                                                                                           41
                                                                2010

                                                                       Bezahlte Zeitungen                                                                         62
                         Das allgemeine Umweltbe-                                                                                                                      66
                   wusstsein hat gegenüber dem Vorjahr                                                                    35
                   leicht zugenommen auf heute 18 Pro-                    Gratiszeitungen                                                47
                                                                                                                                                                 61
                   zent. Von einem Wert wie in den Jah-
                                                                                                                    29
                   ren 1988 bis 1995, im Durchschnitt 56                           Internet                                                            54
                                                                                                                                                              60
                   Prozent, sind die Schweizer aber noch
                   weit entfernt. Immerhin ist in Zukunft
                   eine weitere Zunahme zu erwarten.                                           Übrige Institutionen
                                                                2012

                                                                                                                                                                             69
                   Hinter den Antworten auf die Frage,                               Polizei                                                                  60
                                                                                                                                                                             70
                   worunter die zukünftigen Generatio-
                   nen am meisten zu leiden haben, befin-                                                                                                             64
                                                                2011

                                                                             Bundesgericht                                                                              66
                   den sich jedenfalls Umwelt und Klima                                                                                                                           72
                   gemeinsam mit Arbeitsmangel an der                                                                                         50
                                                                            Arbeitnehmer-
                                                                2010

                   Spitze.                                                  organisationen                                                         53
                                                                                                                                                                      64

                         Seit 1995 will das Sorgenbaro-
                                                                                                                                             48
                   meter wissen, ob die Wirtschaftsfüh-                             Banken                                                        51
                                                                                                                                                              60
                   rer beziehungsweise die Exponenten
                   in Regierung und Verwaltung in ent-                                                                                  45
                                                                                     Armee                                                   49
                   scheidenden Dingen oft oder selten                                                                                                   56
                   versagen (Grafik 5). Im Langzeittrend                                                                           41
                   schneidet die Wirtschaft dabei klar                              Kirchen                                                            55
                                                                                                                                                         57
                   besser ab als die Politik. In diesem Jahr
                                                                              Arbeitgeber-                                     39
                   spricht jedoch mehr als die Hälfte der                                                                                                         62
                                                                            organisationen                                              46
                   Bevölkerung der Politik indirekt ihr
                   Vertrauen aus, indem sie ihr attestiert,     Frage: «Wie gross ist Ihr persönliches Vertrauen in jede der Ihnen vorgelegten Institutionen
                   nur selten zu versagen; das war bis          (Vertrauen – weder/noch – kein Vertrauen – keine Antwort)?»

                                                                                                                                                  Bulletin N° 6 / 2012 — 47

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 47                                                                                                                                                      23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   jetzt einzig 1998 der Fall. Auch der                                                                                              letzten Jahren zu konstatieren. Betrug                                                                    verbände sowie für die Gewerkschaf-
                   Wirtschaft wird zwar immer noch von                                                                                               das Vertrauen in die zur Auswahl ste-                                                                     ten und Arbeitgeberorganisationen.
                   48 Prozent «seltenes Versagen» be-                                                                                                henden Akteure im Jahr 2010 noch                                                                          Die Banken liegen mit 48 Prozent im-
                   scheinigt, aber die Werte sind weitaus                                                                                            durchschnittlich 60 Prozent, so waren                                                                     mer noch knapp über dem Durch-
                   tiefer als im Langzeitdurchschnitt.                                                                                               es letztes Jahr 53 und dieses Mal sogar                                                                   schnitt der letzten 18 Jahre. Die Wirt-
                          Bei der konkret gestellten Ver-                                                                                            nur noch 47 Prozent. Hauptursache                                                                         schaftsverbände haben zunächst seit
                   trauensfrage (Grafi k 4) ist ein generel-                                                                                         dafür sind die tieferen Umfragewerte                                                                      2006 einen kontinuierlichen Vertrau-
                   ler Vertrauensschwund in den beiden                                                                                               für die Medien, Banken, Wirtschafts-                                                                      enszuwachs erfahren, der 2011 in ab-
                                                                                                                                                                                                                                                               soluten Traumwerten gipfelte mit 64
                                                                                                                                                                                                                                                               Prozent für die Arbeitnehmerorgani-
                                                                                                                                                                                                                                                               sationen sowie 62 Prozent für die
                   5. Leistung von Politik und Wirtschaft                                                                                                                                                                                                      Arbeitgeberorganisationen. Nun ist
                                                                                                                                                                                                                                                               aber eine spürbare Ernüchterung ein-
                   Stellen die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft für die mittel- und langfristige Entwick-
                   lung des Landes die richtigen Weichen? Treffen sie im richtigen Moment die korrekten Entschei-
                                                                                                                                                                                                                                                               getreten, bei den Gewerkschaften
                   dungen? Trotz der Krise hält sich die Kritik der Bevölkerung in Grenzen.                                                                                                                                                                    (− 14 pp) etwas weniger ausgeprägt als
                                                                                                                                                                                                                                                               bei den Arbeitgebern (− 23 pp).
                                                            6                                                                                                                      6
                                         2                                                                20                                                                                                                            20
                                                                                                                                                                         5                                                                                     Wenig Vertrauen in die EU
                                                                                                            12

                                                                                                                                                                                                                                                 12
                                                                                                20                                                                                                                   20                                        Sehr volatil und vorerst nur bedingt er-
                                                                                                 11

                                                                                                                                                                                                                      11
                                         21                                                                                                                                  21                                                                      35
                                                                                                                                                                                                                                                               klärbar sind die Werte bei den Medien.
                                                                                                 35
                                                                                                                 44                                                                                                       38                                   Hatte man beispielsweise 2009 noch
                                     3                                                                                                                              3
                                         WIRTSCHAFT                                                                                                                                POLITIK                                                                     über die Spitzenposition und den gros-
                                                                                                                                                                                                                                                               sen Vertrauensbonus der Gratiszeitun-
                         48
                                                                                                                                                                                                                                                               gen gestaunt, so sehen sich die Medien
                                                41                                                                                                      54                    38                                                                               nach 2010 mit einem durchschnittli-
                                                                                                                                                                                                                                                               chen Vertrauensentzug von 27 Pro-
                                                                                                                                                                                                                                                               zentpunkten konfrontiert. Möglicher-
                                                                                                                                                                                                                                                               weise hat sich nun wenigstens die
                             OFT                    SELTEN                                       NIE                                WEISS NICHT
                                                                                                                                                                                                                                                               Vertrauenshierarchie eingependelt:
                   Frage: «Haben Sie das Gefühl, die Politik von Regierung und Verwaltung beziehungsweise die                                                                                                                                                  Die Reihenfolge Fernsehen, Radio,
                   Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen? Ist dies oft, selten oder nie der Fall?»                                                                                                                                                       bezahlte Zeitungen, Gratiszeitungen,
                                                                                                                                                                                                                                                               Internet könnte Bestand haben.
                                                                                                                                                                                                                                                                     Wie in den Vorjahren ist am
                                                                                                                                                                                                                                                               Schluss die Europäische Union anzu-
                   6. Welche Ziele die Politiker sofort verfolgen müssen                                                                                                                                                                                       treffen, wobei das Rekordtief gut zur
                                                                                                                                                                                                                                                               gestiegenen Ausländerskepsis in der
                   Die wichtigsten politischen Ziele sind derzeit die langfristige finanzielle Sicherung der Vorsorgeleis-                                                                                                                                     Schweiz passt. Ebenfalls weit unten
                   tungen, die Förderung der Bildung sowie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Den mit
                   Abstand tiefsten Wert verzeichnet die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (55 Prozent).                                                                                                                                           rangieren stets die Parteien. Bessere
                                                                                                                                                                                                                                                               Werte erzielen – jeweils in dieser auf-
                                                                                                                                                                                                                                                               steigenden Reihenfolge – die staatliche
                              95                                94
                              (+1)                              (+3)
                                                                                                     93
                                                                                                                                              90
                                                                                                                                                                                                                                                               Verwaltung, der Nationalrat, der Stän-
                                                                                                     (±0)
                                                                                                                                              (–6)                                                                                                             derat und der Bundesrat. Die Vertrau-
                                                                                                                                                                         81                                   81
                                                                                                                                                                         (–11)                                (–7)                                        78   ensspitze zieren nach wie vor Polizei
                                                                                                                  Wirtschaftliches Wachstum

                                                                                                                                                                                                                           Kosten Gesundheitswesen

                                                                                                                                                                                                                                                      (–8)
                                                                                                                                                                                                                                                               und Bundesgericht.
                                                                       Jugendarbeitslosigkeit

                                                                                                                                                                                       Treibhausgasemission
                                         Bildung fördern

                                                                                                                                                         Familie/Beruf
                    AHV/IV

                             2012                          2011

                   Frage: «Wie wichtig ist für Sie das Erreichen der genannten politischen Ziele?» In der Grafi k sind
                   die Antworten «sehr wichtig» und «wichtig» zusammengezählt. Weitere zur Auswahl stehende
                   Antworten: «eher unwichtig», «sehr unwichtig», «weiss nicht».

                   48 — Bulletin N° 6 / 2012

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 48                                                                                                                                                                                                                                                                    23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                                                                                                                        Spezialauswertung 1
                        «Ich bin optimistisch für die Schweiz»
                        Fünf Fragen an Pascal Gentinetta, Direktor Economiesuisse                                       Andere Sprache,
                                                                                                                        andere Probleme
                        1.    Was sind für Sie die drei grössten Stärken der Schweizer
                              Wirtschaft?
                        An erster Stelle steht die Innovationskraft unserer Unternehmen, die im                         Tiefer Nationalstolz in
                        internationalen Vergleich hervorragend ist. Ebenfalls eine grosse Stärke
                        ist die Flexibilität, mit der sich unsere Wirtschaft immer wieder an verän-
                                                                                                                        der Westschweiz, Sorgen
                        derte Rahmenbedingungen anpassen konnte – nicht zuletzt ein Ergebnis                            um Ausländer in der
                        einer langfristig starken Währung. Und drittens sind wir dank unserer                           Deutschschweiz – markante
                        wirtschaftlichen Diversität hinsichtlich Branchenmix, der Symbiose von                          Unterschiede zwischen
                        KMU und Konzernen sowie verschiedenen regionalen Motoren sehr gut
                        aufgestellt.                                                                                    den Sprachregionen.

                        2.    Werden uns diese durch die aktuelle EU-Krise bringen?
                              Allein schon unsere geografische Lage verhindert, dass wir von der
                        Krise vieler Euroländer unberührt bleiben. Wenn wichtige Handelspart-
                                                                                                                        Das Sorgenbarometer zeigt signifi-
                                                                                                                        kante Unterschiede der Problem-
                                                                                                                        wahrnehmung in den drei Sprachregi-
                        ner den Gürtel enger schnallen müssen, triff t das unweigerlich auch                            onen auf. Trotzdem kann nur bedingt
                        unsere exportorientierte Wirtschaft. Doch die genannten Stärken, eine                           von einem Rösti- oder Polentagraben
                        liberale Wirtschaftspolitik und eine bewusst offene Freihandelspolitik,                         gesprochen werden, da ein Konsens
                        insbesondere mit aufstrebenden Wachstumsmärkten, helfen uns tatsäch-                            betreffend das funktionierende Zu-
                        lich, diese Herausforderung besser als andere zu meistern.                                      sammenleben der Kulturen herrscht.
                                                                                                                              Die Arbeitslosigkeit ist die

                        3.     Welche weiteren Gefährdungsmomente sehen Sie?
                               Erfolg kann zu Trägheit führen. Es besteht die Gefahr, dass die
                        Schweiz vergisst, worauf ihr Erfolg beruht. Innovationskraft und Flexibi-
                                                                                                                        Hauptsorge der Schweizer. In der
                                                                                                                        Deutschschweiz sehen dies 41 Prozent
                                                                                                                        so, deutlich mehr sind es jedoch in der
                        lität lassen sich nicht politisch steuern. Sie gedeihen nur dort, wo gute                       Westschweiz (67 %) und im Tessin
                        Rahmenbedingungen und unternehmerische Freiräume bestehen. Leider                               (72 %). Die Ausländerfrage kommt in
                        liegt es politisch im Trend, solche Freiräume durch immer neue Regulie-                         der Deutschschweiz ebenfalls auf 41
                        rungen einzuschränken. Dem müssen wir entschieden entgegentreten                                Prozent, in der Südschweiz liegt der
                        und uns gleichzeitig für einen weiterhin attraktiven Standort einsetzen.                        Wert sogar noch höher (46 %), in der
                                                                                                                        Romandie (23 %) hingegen sind ande-

                        4.   Die Arbeitslosigkeit bereitet den Schweizern grosse Sorgen.
                             Erwarten Sie eine Zunahme?
                        Die Auswirkungen der EU-Wirtschaftskrise sind auf unserem Arbeits-
                                                                                                                        re Sorgen weiter verbreitet.
                                                                                                                              Die deutschsprachige Mehrheit
                                                                                                                        bestimmt in der Regel den gesamt-
                        markt 2013 vielleicht noch ein bisschen stärker zu spüren als heute, insbe-                     schweizerischen Stellenwert eines
                        sondere im Tourismus oder in Teilen der Exportindustrie. Die Binnen-                            Problems – mit zwei Ausnahmen: Die
                        konjunktur wirkt aber nach wie vor stabilisierend. Insgesamt erwarte ich                        Altersvorsorge wird dank West-
                        keine markante Zunahme der Arbeitslosigkeit. Es zeigt sich wieder ein-                          schweiz (43 %) und Tessin (40 %) an die
                        mal, dass unser duales Bildungssystem und unsere vergleichsweise flexib-                        dritte Stelle gehoben, allerdings nur,
                        le Arbeitsmarktordnung für einen viel besseren Ausgleich sorgen, sodass                         weil sie auch in der Deutschschweiz
                        die Arbeitslosigkeit selbst in einer schwierigen Situation moderat bleibt.                      (33 %) von vergleichbarer Bedeutung
                                                                                                                        ist. Die persönliche Sicherheit hinge-

                        5.   Teilen Sie den Optimismus der Stimmberechtigten bezüglich
                             der Wirtschaftsentwicklung?
                        Ja. Obwohl in einigen westlichen Ländern zurzeit schwarze Wolken auf-
                                                                                                                        gen schaff t es in der Deutschschweiz
                                                                                                                        (18 %) nur auf Platz 10, in der West-
                                                                                                                        schweiz (25 %) und im Tessin (36 %)
                        gezogen sind, bin ich für unser Land grundsätzlich optimistisch.                                aber auf Platz 5 und somit insgesamt
                                                                                                                        an die siebte Stelle.
                                      Pascal Gentinetta studierte Wirtschaft und Recht an der Universität St. Gallen.
                                      Seit 2007 ist er Direktor von Economiesuisse. Dem Wirtschaftsdachverband sind     Neue Armut bleibt Problem
                                      hundert Branchenverbände angeschlossen. Insgesamt vertritt Economiesuisse         Die französischsprachigen Schweizer
                                      100 000 Schweizer Unternehmen mit rund zwei Millionen Arbeitsplätzen.             betonen zwei Probleme, die gesamt-
                                                                                                                        schweizerisch nicht in die Top Ten ge-

                   Foto: economiesuisse                                                                                                       Bulletin N° 6 / 2012 — 49

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 49                                                                                                                                    23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   langen: das Bankkundengeheimnis                       nur mit grösster Vorsicht interpretiert           deutlich weniger als in der Deutsch-
                   (19 %) und die neue Armut (18 %). Da-                 werden.                                           schweiz und im Tessin (je 42 %). Das
                   für werden die Europäische Union und                                                                    Forschungsinstitut gfs.bern hat diesen
                   die Umweltbelastung (je 12 %) als we-                 Zusammenleben bleibt Stärke                       ausgeprägten Nationalstolz für die
                   niger gravierend angesehen und lan-                   Ein Fünftel der Schweizer (19 %) be-              Jahre 2007 – 2012 auf die einzelnen
                   den sogar noch hinter Finanzkrise                     trachtet das Zusammenleben der Kul-               Kantone hinuntergebrochen: An der
                   (16 %) sowie Kernenergie und Benzin-                  turen als eine Hauptstärke des Landes.            Spitze des Patriotismus stehen Obwal-
                   preis (je 15 %).                                      Davon sind die Westschweizer (31%)                den (70 %), Zug und Thurgau (62 %),
                         Bei den italienischsprachigen                   wesentlich überzeugter als die                    am Ende findet man die Westschwei-
                   Schweizern sind die Unterschiede                      Deutschschweizer (14 %); die Tessiner             zer Kantone Neuenburg (22 %), Genf
                   noch augenfälliger: Unmittelbar hin-                  (20 %) liegen in der Mitte. Umgekehrt             (17 %), Waadt (14 %) und Jura (1 %).
                   ter der Arbeitslosigkeit folgt das Ge-                wird das Zusammenleben nur von je-                      Die Akzentuierung verschiede-
                   sundheitswesen (68 %). Anstelle von                   dem zwanzigsten Bewohner als Belas-               ner Probleme und die unterschiedliche
                   Europäischer Union, Flüchtlingen,                     tung wahrgenommen (5 %); sprachre-                Befindlichkeit in den Sprachregionen
                   sozialer Sicherheit, Umweltbelastung                  gional betrachtet liegt die Differenz             betreffend Nationalstolz haben mitt-
                   kommt ebenfalls die neue Armut                        innerhalb der statistischen Fehlerquo-            lerweile ein Ausmass erreicht, das es
                   (16 %) hinzu, vor allem aber die Wirt-                te. Daran wird sich – gemäss einer wei-           ernst zu nehmen gilt, auch wenn gera-
                   schaftskrise (28 %) sowie Drogen und                  teren Frage – auch in zehn Jahren nicht           de die französischsprachige Minder-
                   Rassismus (je 26 %). Die Aussagen                     viel ändern. Fragt man aber, ob man               heit das Zusammenleben verschiede-
                   verdienen Beachtung, dürfen aber we-                  sehr stolz ist, Schweizer zu sein, dann           ner Kulturen nicht grundsätzlich in
                   gen der kleinen Stichprobe im Tessin                  bejahen dies in der Westschweiz (18 %)            Frage stellt.

                   7. Welche Themen in den Sprachregionen am meisten Sorgen bereiten
                   Die Unterschiede in der Gewichtung der einzelnen Problemfelder zwischen der Westschweiz und der Deutschschweiz
                   werden in der Tendenz immer grösser (Angaben in Prozent aller Nennungen).

                                                           2008                      2009                      2010                  2011                 2012

                    Arbeitslosigkeit                  49       51              64         69            72            76        54      52           67      41

                    AHV/Altersvorsorge                  51     33                   44    34                 48       42          35    23            43     33

                    AusländerInnen                      22     24                   20    25                 24       33          39    36            23     41

                    Flüchtlinge/Asyl                    37     27                   25    13                 25
                                                                                                             13       16          25    19            29     34

                    EU/Integration                      15     17                   13    11                 35       19          12    14             12    23

                                                           2008                      2009                      2010                  2011                 2012

                       FRANZÖSISCHE SCHWEIZ             DEUTSCHSCHWEIZ

                   Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach die wichtigsten Sorgen der Schweiz?»

                   50 — Bulletin N° 6 / 2012

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 50                                                                                                                              23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   Spezialauswertung 2
                                                                 8. Zeitliche Veränderung der Sorgen mit Ausländern
                   Debatte um                                    In den letzten vier Jahren haben die Sorgen im Zusammenhang mit den Ausländern und Auslän-
                                                                 derinnen nach einer ebenso langen Phase der Beruhigung wieder deutlich zugenommen.
                   Zuwanderung                                                                                                                 EU/BILATERALE/PERSONENFREIZÜGIGKEIT/
                                                                                                                                               INTEGRATION
                                                                   45                                          45
                                                                                      43                                                       AUSLÄNDER/INTEGRATION
                   Ein Drittel der Bevölkerung                     41                                                                          FLÜCHTLINGE /ASYL
                                                                                                                                         39                                                                    37
                   sieht den Themenkomplex                                     34                   36
                                                                                                                                                       35
                                                                                                                                                                                                        36

                                                                                                                                                                                           31                 32
                   «Ausländerfragen» als                                       32
                                                                                                                                30                                 30

                                                                                                                                 28
                   wichtigstes Problem der                         22          22
                                                                                                              24                          27          26                        23
                                                                                                                                                                                            23
                                                                                          21                                                                       24
                                                                                                                                                           20                                                 20
                   Schweiz. Tendenz: zunehmend.                                      19
                                                                                                    18             18            19
                                                                                                                                                                                      19
                                                                                                                                                                                                         21
                                                                                                                                          18                            17 17
                                                                                                         15                                                                                              14
                                                                                                                                                                          12
                                                                  2000        2001   2002           2003      2004          2005        2006          2007        2008      2009          2010     2011       2012
                   Gegenwärtig leben in der Schweiz gut
                   1,7 Millionen Ausländerinnen und              Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach die wichtigsten Sorgen der Schweiz?»
                   Ausländer, was einem Bevölkerungs-
                   anteil von 22 Prozent entspricht. In
                   den letzten zehn Jahren stieg die An-
                   zahl im Jahresdurchschnitt um etwas           9. Künftiges Zusammenleben mit Ausländern
                   mehr als 30 000 Personen bei gleich-
                   zeitig gegen 40 000 Einbürgerungen.           Zwar befürchtet eine Mehrheit der Schweizer, das Verhältnis zu den Ausländern werde sich
                                                                 verschlechtern; die positive Einschätzung ist aber verbreiteter als in den Jahren zuvor.
                   Seit 2007 hat sich die Zunahme im
                   Zeichen der Personenfreizügigkeit
                                                                              59                                                 58                          58                      56
                   also rasant beschleunigt.                                                         55
                                                                                                                                                                                                              52
                         Die verstärkte Zuwanderung hat                                                                                                                                                  40
                                                                                               37
                   Auswirkungen auf die Sorgenbarome-                    34                                                33
                                                                                                                                                      30                        31
                                                                  2007

                                                                                       2008

                                                                                                                    2009

                                                                                                                                               2010

                                                                                                                                                                         2011

                                                                                                                                                                                                 2012
                   ter-Resultate. Diese legen den Schluss
                   nahe, dass die Schweizer Bevölkerung                  VIEL BESSER/EHER BESSER                                      VIEL SCHLECHTER/EHER SCHLECHTER
                   bei der Personenfreizügigkeit offen-          Frage: «Wie geht es der Schweiz bezüglich des Zusammenlebens mit Ausländern in zehn Jahren?»
                   sichtlich nicht nur positive Aspekte
                   sieht. Das Thema «Ausländerfragen»
                   (Anzahl / Integration / Personenfrei-
                   zügigkeit) gewinnt im Sorgenbarome-        wieder zugenommen haben, und den                                           AHV von 95 und die Förderung der
                   ter bereits seit 2003 (Grafi k 2) konti-   dadurch ausgelösten politischen De-                                        Bildung von 94 Prozent als wichtig
                   nuierlich an Bedeutung, 2012 erreicht      batten setzen.                                                             eingestuft werden.
                   es nun mit 37 Prozent (+ 1 Prozent-               Die Einwanderung wird derzeit                                             Um die aktuelle Situation besser
                   punkt) eine absolute Höchstmarke und       von 77 Prozent (− 2 pp) als ein Element                                    einschätzen zu können, ist ein Blick in
                   belegt zum zweiten Mal in Folge den        wahrgenommen, welches die Schwei-                                          die Zukunft aufschlussreich. Nur 3
                   zweiten Platz hinter der Arbeitslosig-     zer Identität gefährdet (Grafi k 14).                                      Prozent der Stimmbürger glauben, die
                   keit bei den Problemen der Schweiz.        Trotzdem glaubt nur gerade ein Zehn-                                       folgenden Generationen hätten am
                         Interessanterweise zeigt der The-    tel, dass daraus eine Fremdenfeind-                                        meisten unter der Überfremdung zu
                   menkomplex «Asyl/Flüchtlinge» in           lichkeit resultiert, die ein Problem dar-                                  leiden, Arbeitsmangel und Umwelt/
                   den letzten Jahren einen anderen Ver-      stellt. Bei den 18- bis 19-Jährigen ist                                    Klima werden als die grossen Proble-
                   lauf als «Ausländerfragen»: Ausge-         allerdings ein leicht erhöhter Wert                                        me der Zukunft angesehen.
                   hend von der absoluten Höchstmarke         (14 %), bei den politisch Linksstehen-                                           Das Zusammenleben mit den
                   von 56 Prozent im Jahr 1999 ging die       den ein signifikant höherer Wert                                           Ausländern in zehn Jahren wird ziem-
                   Kurve im Zickzackkurs bis auf 17 Pro-      (21 %) erkennbar. Gilt es die aktuellen                                    lich neutral bewertet: 40 Prozent glau-
                   zent (2009) hinunter. Dann stieg sie in    politischen Ziele zu bewerten, wird die                                    ben, dass es besser wird, 52 Prozent ge-
                   den letzten drei Jahren wieder an, zu-     Integration der Ausländerinnen und                                         hen von einer Verschlechterung aus.
                   nächst leicht, im laufenden Jahr           Ausländer von einer knappen Mehr-                                          Im Vorjahr war die Differenz noch um
                   sprunghaft von 21 auf 32 Prozent.          heit als wichtig bezeichnet. Diese 55                                      13 Prozentpunkte höher gewesen.
                   Dies lässt sich in Korrelation zur An-     Prozent sind wenig, wenn man be-
                   zahl der Asylgesuche, die zuletzt          denkt, dass die Sicherstellung der

                                                                                                                                                                                Bulletin N° 6 / 2012 — 51

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 51                                                                                                                                                                               23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   10. Frage: «Sagen Sie mir bitte drei Dinge, wofür
                   die Schweiz für Sie persönlich steht.»

                   Sicherheit/Frieden 20% (+5)

                   Neutralität 20% (+6)

                   Landschaft 15% (−6)

                   Uhren 10% (+1)

                   Patriotismus 10% (+4)

                   Ordnungsbewusstsein 9% (−12)

                   Schokolade 9% (+0)

                   Banken 8% (+4)

                   Heimat 8% (−2)

                   Wohlstand 8% (+6)

                   Freiheit, Meinungsfreiheit 7% (−2)

                   Selbstständigkeit 7% (+5)

                   Sauberkeit 7% (+1)

                   Schulsystem 7% (+2)

                   Qualitätsbewusstsein 7% (+4)

                   Erhebung 2012
                   (Veränderung zu 2011 in Prozentpunkten)

                                                                                                  Aline Koller, 33, mit Sohn Ian Balthazar, 11 Monate,
                                                                                                  Lausanne VD, Psychotherapeutin
                                                                                                  «14 Wochen Mutterschaftsschutz sind einfach zu kurz
                                                                                                  für ein solch tiefgreifendes Lebensereignis. Es ist
                                                                                                  widersprüchlich, wie oft erwähnt wird, dass Kinder
                                                                                                  wichtig sind für das Land – und trotzdem eine Schweiz
                                                                                                  mit einem familienfreundlichen Elternschaftsurlaub
                   52 — Bulletin N° 6 / 2012                                                      noch immer in weiter Ferne liegt.»

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 52                                                                                                       23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   Die Schweiz definiert sich
                   wieder als Sonderfall
                   Die Schweizerinnen und Schweizer sind so stolz auf ihr Land wie noch nie.
                   Das geht so weit, dass sie sich stärker mit der Nation als mit der eigenen
                   Wohngemeinde identifizieren. Der Patriotismus ist politisch schwer verortbar;
                   die Linke ist stolzer auf die Schweiz als die Mitte.

                   86 Prozent der Stimmberechtigten sind      wenn sie sich nach wie vor auf einem
                   stolz auf die Schweiz (Grafi k 11). Der    sehr hohen Niveau bewegen (Grafi k         11. Schweizer
                   Rekordwert von 2007 wird damit ega-        16). Zuoberst rangieren nun dicht hin-     Nationalstolz
                   lisiert; lediglich 11 Prozent der Bevöl-   tereinander die Uhrenindustrie, der        Erst einmal, im Jahre 2007, war der National-
                   kerung sind nicht stolz auf ihr Land, so   internationale Qualitätsruf, die star-     stolz insgesamt so verbreitet wie heute. Aller-
                   wenige wie nie zuvor. Zu diesem Resul-     ken KMU, die starken Marken und die        dings sind die «Sehr stolz»-Antworten um
                                                                                                         einige Prozentpunkte tiefer als im letzten Jahr.
                   tat tragen die politisch eher Rechtsste-   Maschinenindustrie. Den stärksten
                   henden am meisten bei, von denen 58        Einbruch verzeichneten die Service-
                                                                                                                                     3
                   Prozent sehr stolz auf die Schweiz sind.   public-Unternehmen (− 16 Prozent-                             8                              20

                                                                                                                                                            12
                   In der politischen Mitte hingegen          punkte) sowie das Bankkundenge-                     3
                                                                                                                                     6           20
                   scheint sich zunehmend Ernüchterung        heimnis (− 10 pp).                                                                                36

                                                                                                                                                  11
                                                                                                                           15
                   breitzumachen; seit mittlerweile fünf             Bei den fünf wichtigsten Stärken                                                 40
                                                                                                                       1
                   Jahren geht es leicht abwärts. Interes-    des Landes ergeben sich gegenüber
                   sant ist, dass gleichzeitig ein Gegen-     dem Vorjahr ebenfalls leichte Ver-
                   trend am linken Spektrum feststellbar      schiebungen zugunsten der Politik
                   ist: Seit 2005 stieg hier der National-    (Grafi k 12). An der Spitze liegen die                            38
                                                                                                                 50
                   stolz um 24 Prozentpunkte und er-          Neutralität (+ 4 pp) und die Bildung
                   reicht nun erstmals einen höheren Wert     (+ 6 pp), deren Wert sich seit 2006 fast
                   als bei den Mittewählern (Grafi k 11).     verdoppelt hat. Hoch gewichtet wer-
                                                                                                               SEHR STOLZ                  WEISS NICHT
                                                              den auch die Mitspracherechte (+ 5 pp).          EHER STOLZ                  EHER NICHT STOLZ
                                                                                                                                           ÜBERHAUPT NICHT
                   Politik mit mehr Gewicht                   Demgegenüber erleidet die Schweizer                                          STOLZ
                   Dieser Nationalstolz gründet 2012          Qualität, während Jahren ganz zu-
                   weit stärker als im Vorjahr auf politi-    oberst platziert, einen massiven Wert-     La Suisse existe. Der Nationalstolz bei der
                   schen Komponenten (Grafi k 15). Zu-        schätzungseinbruch (− 17 pp). Es fol-      politischen Linken hat kontinuierlich zuge-
                                                                                                         nommen. Ob er wirklich verbreiteter ist als
                   oberst stehen dabei Neutralität und Ei-    gen Frieden (+ 2 pp) sowie Ordnung         in der Mitte, wird erst die Zukunft weisen.
                   genständigkeit. Die Volksrechte und        und Sauberkeit (+ 11 pp), ein Begriffs-
                                                                                                                           64
                   die Mitsprachemöglichkeiten erzielen       paar, das nach einem kontinuierlichen       59                                      58                  58
                   ebenfalls hohe Werte. Betrachtet man       Bedeutungsverlust nun wieder einen                                          53
                   allein die Zuwachsrate, so stechen ei-     Sprung nach oben macht. Zu den mas-
                   nem die Bundesverfassung einerseits        siv abgewerteten Stärken zählen auch                         41
                                                                                                          39
                   und das Milizsystem anderseits ins         die Stabilität (− 10 pp) und vor allem                                              36                  37
                                                                                                                           34             34
                   Auge. Alles in allem sind sich die         das Zusammenleben der Kulturen              29                                                          33
                   Schweizer wieder vermehrt und mit          (− 17 pp), während nun plötzlich auch                                       31      25
                   Stolz der politischen Sonderlösungen       das Gesundheitswesen (+ 9 pp) zu den
                                                                                                         2008          2009              2010    2011                2012
                   ihres Landes bewusst.                      wichtigsten Stärken des Landes ge-
                                                                                                               LINKS            MITTE           RECHTS
                         Lagen in den letzten Jahren die      zählt wird. Noch letztes Jahr haben die
                   wirtschaftlichen Werte eher höher als      Schweizer das zu komplizierte und          Frage: «Sind Sie stolz, Schweizer oder
                                                                                                         Schweizerin zu sein?» In der unteren Grafi k
                   die politischen, so sind sie 2012 fast     zu teure Gesundheitswesen als die          ist der Anteil «Sehr stolz»-Antworten
                   ausnahmslos zurückgegangen, auch           Hauptschwäche der Schweiz geortet.         dargestellt.

                                                                                                                                     Bulletin N° 6 / 2012 — 53

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 53                                                                                                                                      23.11.12 14:02
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   Wie aber defi niert der Souverän im
                   Jahr 2012 die Schweiz? Als Bollwerk         12. Die Stärken der Schweiz
                   in der Brandung, könnte man viel-           Neben der Neutralität wird neu die Bildung als wichtigste Stärke der Schweiz angesehen. Seit
                   leicht sagen, als Sonderfall, wo Sicher-    2003 (23%) hat sich ihr Anteil fast verdoppelt. Demgegenüber erlitt die Schweizer Qualität,
                                                               2009–2011 deutlicher Spitzenreiter, einen massiven Einbruch.
                   heit, Frieden und Neutralität nach wie
                   vor eine Selbstverständlichkeit sind,       Neutralität                                                                             41 (+4)
                   während sonst in allzu vielen Ländern       Bildung                                                                                 41 (+6)
                   Unruhe und Unsicherheit vorherr-
                                                               Mitspracherecht                                                               38 (+5)
                   schen (Seite 52). Dies schliesst keines-
                   wegs aus, dass man nicht Schwächen          Schweizer Qualität                                            33 (–17)
                   ausmerzen muss; aber Hilfe ist nicht        Frieden                                                  30 (+2)
                   von aussen, von der kriselnden EU
                   oder den USA zu erwarten, sondern           Ordnung und Sauberkeit                                  30 (+11)
                   muss letztlich selbst geleistet werden.     Stabilität                                25 (–10)
                         Sicherheit/Frieden (+ 5 pp) und       Gesundheitswesen                              25 (+9)
                   Neutralität (+ 6 pp), im Vorjahr auf den
                                                                  2012          2011    VERÄNDERUNG ZUM VORJAHR IN KLAMMERN (IN PROZENTPUNKTEN)
                   Plätzen 4 und 5, sind nun also gemein-
                   sam an der Spitze. Die Landschaftsas-       Frage: «Welches sind für Sie die fünf wichtigsten Stärken der Schweiz?»
                   soziationen sind dementsprechend et-
                   was in den Hintergrund getreten: Die
                   Landschaft (− 6 pp) wird zwar noch          13. Wo sich die Schweizer zugehörig fühlen
                   weit vorne eingereiht, der verwandte
                   Begriff Berge/Alpen (− 10 pp) figuriert     Erstmals fühlen sich mehr Stimmbürgerinnen                                    6                         20
                                                               und Stimmbürger der Schweiz zugehörig als                            6
                   jedoch unter ferner liefen. Uhren und

                                                                                                                                                                        12
                                                               ihrer Wohngemeinde. Von einem Trend der                                                           20
                                                                                                                                               22                       32
                   Schokolade hingegen verkörpern nach         Entfremdung gegenüber dem Wohnort kann
                                                                                                                                                            20

                                                                                                                                                                  11
                                                               man aber nicht sprechen.
                                                                                                                                        14
                   wie vor die traditionellen Schweizer                                                                 13
                   Spezialitäten. Der Patriotismus (+ 4 pp)    Frage: «Zu welcher geografischen Einheit
                   hat die etwas neutraleren Begriffe          fühlen Sie sich in erster Linie zugehörig?»
                                                                                                                               18
                   Heimat (− 2 pp) und Tradition (− 3 pp)
                   überholt.                                      SCHWEIZ                     WELT
                                                                  WOHNGEMEINDE                EUROPA                      18                              44
                                                                  WOHNKANTON
                   Gemeinde unter Druck                           SPRACHREGION
                                                                                                                                                            25
                   Die Schweizerinnen und Schweizer
                   haben sich noch nie in erster Linie als
                   Weltbürger oder als Europäer gefühlt.       14. Gefährdung der Schweizer Identität
                   Trotz einem kleinen Anstieg gegen-
                   über dem Vorjahr bleiben die Werte          Der Schweizer Identität droht, nicht überraschend, vor allem von aussen Gefahr: Einwanderung
                                                               und internationale Öffnung. Eine Mehrheit des Souveräns stellt aber auch einen übertriebenen
                   sehr tief. Beim Heimatstolz hat sich        Egoismus fest, und auch die politischen Reformen müssen schneller vorangetrieben werden.
                   hingegen eine bemerkenswerte Ver-                                                                                             79
                                                                                                                  78                                                          77
                   schiebung ergeben (Grafi k 13). Erst-                                76
                   mals identifiziert man sich nicht in ers-    71                                                                                71
                   ter Linie mit der Wohngemeinde,                                                                67
                   sondern mit dem Land als Ganzes.                                                                                                                           65
                                                                                        64
                         In den letzten Jahren hat der           61
                                                                58                                                                                                            58
                   Druck auf die Gemeinden, aus finanzi-       57
                                                                                        57
                   ellen und verwaltungstechnischen                                     52                                                                                    53
                                                                54                                                                               51
                   Gründen eine Fusion ernsthaft in Er-                                                           49                                                          50
                                                                                                                                                 48
                                                                                        47
                   wägung zu ziehen, laufend zugenom-                                                             44
                   men. Seit 1990 hat die Zahl der Ge-                                                                                           42
                                                                                                                  40
                   meinden bereits um 526 auf knapp
                                                               2008                    2009                      2010                            2011                        2012
                   2500 abgenommen. Dies könnte das
                                                                     EINWANDERUNG            INTERNATIONALE ÖFFNUNG                     EGOISMUS
                   Identifi kationsgefühl genauso verrin-            REFORMSTAU              POLARISIERUNG
                   gern wie die verstärkte Mobilität in        Frage: «Durch welche Ursache sehen Sie die Schweizer Identität gefährdet (sehr/eher gefährdet
                   Bezug auf Wohnsitz und Arbeitsplatz.        – keine Antwort – eher/überhaupt nicht gefährdet)?»

                   54 — Bulletin N° 6 / 2012

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 54                                                                                                                                              23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   Dennoch hatte sich der Absturz um 19               Schweizer Politik gegenüber dem Aus-              Blickt man zehn Jahre voraus, so ge-
                   Prozentpunkte auf den bislang tiefsten             land mehrheitlich eine offensivere Po-            hen die Schweizerinnen und Schwei-
                   Wert nicht abgezeichnet. Profitiert hat            litik wünschen (72%), während nur ein             zer davon aus, dass sich die Zusam-
                   davon vor allem die Schweiz (+ 12 pp).             knappes Viertel (22%) zu mehr Vor-                menarbeit der wichtigsten politischen
                          Die selbstbewusste Haltung der              sicht rät. Im Vergleich zum Vorjahr hat           Parteien und auch die Umweltbelas-
                   Schweizer widerspiegelt sich in der                sich diese Schere um 6 weitere Pro-               tung verbessern werden. Das Zusam-
                   Beurteilung des eigenen Ansehens im                zentpunkte geöffnet.                              menleben mit der ausländischen Be-
                   Ausland sowie bei der Frage, wie die                      Die schweizerische Identität               völkerung bleibt einigermassen
                   Schweizer Politik gegenüber dem Aus-               wird, wie bereits die letzten Umfragen            konstant (leicht negativer Wert), hin-
                   land auftreten sollte. Insgesamt 83                aufgezeigt haben, vor allem von aussen            gegen wird bei der Altersstruktur der
                   Prozent der Stimmbürger sind der An-               bedroht (Grafi k 14). Als weniger gra-            Gesellschaft und bei der Verbreitung
                   sicht, dass im Ausland das Image der               vierend wird dabei die internationale             der Armut von einer Verschlechte-
                   Schweiz gut oder sogar sehr gut ist                Öffnung angesehen, die man aktiv                  rung ausgegangen. Die Frage, woran
                   (Grafi k 17). Diese Werte entsprechen              steuern kann, während man den Prob-               die kommenden Generationen zu lei-
                   ziemlich genau jenen der letzten drei              lemen der EU und vor allem auch der               den hätten, ergibt ein leicht anderes
                   Jahre. Dementsprechend fällt die Ant-              Einwanderung – trotz dem positiven                Bild: Arbeitsmangel und Umweltbe-
                   wort darauf, ob sich das Image verbes-             Aspekt des Zuzugs von Fachkräften –               lastung, mit einigem Abstand gefolgt
                   sert oder verschlechtert habe, neutral             weitgehend passiv ausgeliefert ist. Den           von Armut und Sicherung der Alters-
                   aus (35% Verbesserung, 36% Ver-                    innenpolitischen Faktoren wird seit               vorsorge. Die restlichen Faktoren wie
                   schlechterung). Kritischen Medienbe-               zwei Jahren wieder höheres Gefähr-                Überfremdung, soziale Ungleichheit,
                   richten wird offensichtlich weniger                dungspotenzial zugemessen: Am                     Überalterung oder Finanzen fallen
                   Gewicht beigemessen als der real er-               schlimmsten wird der Egoismus                     hingegen kaum ins Gewicht.
                   lebten Situation, welche die Attrakti-             (+ 10 pp) beurteilt, doch nach wie vor
                   vität der Schweiz zum Beispiel als Ein-            sieht die Hälfte der Bevölkerung auch
                   wanderungsland bezeugt. Und weil                   im politischen Reformstau und in der
                   dem so ist, würde man sich von der                 Polarisierung ein Problem.

                   15. Stolz auf Merkmale                             16. Stolz auf Merkmale                            17. Hohes Ansehen im
                   der Politik                                        der Wirtschaft                                    Ausland
                   Die Neutralität hat seit 2006 (82%) laufend an     Trotz leichten Einbussen werden die wirtschaft-   83 Prozent der Bevölkerung gehen davon aus,
                   Akzeptanz gewonnen. Klare Veränderungen            lichen Merkmale weiterhin höher als die politi-   dass das Image der Schweiz im Ausland sehr
                   gibt es auch bei Bundesverfassung (+ 10 pp) und    schen eingestuft. Vorne hat die Uhrenindustrie    oder zumindest eher gut ist. Dieser Wert hat
                   Zusammenleben der Sprachregionen (− 16 pp).        den internationalen Qualitätsruf abgelöst.        sich in den letzten vier Jahren nicht verändert.

                   Neutralität                             94 (+1)    Uhrenindustrie                     93 (–5)
                                                                                                                                                1
                                                                                                                                      13                            20
                   Eigenständigkeit                       92 (–3)     Internationaler Qualitätsruf         91 (–8)                                             22
                                                                                                                                                                     12

                                                                                                                                            8             20
                                                                                                                               3                        20
                                                                                                                                                             11

                   Volksrechte (u.a. Referendum)        88 (–4)       Erfolgreiche KMU                 91 (–7)                         8        1

                   Bundesverfassung                    88 (+10)       Starke Schweizer Marken          90 (–7)

                   Föderalismus                         87 (+2)       Maschinenindustrie             89 (–2)
                                                                                                                                                63
                   Zusammenleben Sprachgruppen             79 (–16)   Forschung                84 (–2)
                                                                                                                                                61
                   Regierung, in der alle grossen                     Innovationskraft
                   Parteien vertreten sind              77 (+1)                              82 (–4)                       SEHR GUT          WEISS NICHT/
                                                                                                                           EHER GUT          KEINE ANTWORT
                                                                                                                                             EHER SCHLECHT
                   Sozialpartnerschaft zwischen                       Pharmaindustrie        82 (–2)                                         SEHR SCHLECHT
                   Unternehmern und Gewerkschaften 71 (+3)

                       2012         2011     VERÄNDERUNG ZUM VORJAHR IN KLAMMERN (IN PROZENTPUNKTEN)

                   Frage: «Gibt es Dinge der schweizerischen          Frage: «Gibt es Dinge der Schweizer Wirtschaft,   Frage: «Wie ist Ihrer Meinung nach das Ansehen
                   Politik, auf die Sie besonders stolz sind (sehr/   auf die Sie besonders stolz sind (sehr/ziemlich   der Schweiz im Ausland?»
                   ziemlich stolz)?»                                  stolz)?»

                                                                                                                                                Bulletin N° 6 / 2012 — 55

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 55                                                                                                                                      23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                   «Ich will das Ansehen der Politik und der
                   Parteien stärken»
                   Die kommende Nationalratspräsidentin und höchste Schweizerin Maya Graf freut
                   sich über das kostengünstigste und effizienteste Parlament der Welt. Jetzt will die
                   grüne Politikerin den havarierten Ruf der demokratischen Institutionen verbessern.
                   Interview: Urs Reich, Andreas Schiendorfer

                   Frau Graf, mit Ihnen bekleidet bereits       Regelungen sollen für Investitionssi-      men in ganz Europa. Grundsätzlich
                   zum dritten Mal in Folge ein Vertreter       cherheit sorgen, für die Unterneh-         ist es mir ein Anliegen, dass wir
                   des Bauernstandes das höchste politische     men, aber auch für Privatpersonen,         der Berufslehre das nötige Gewicht
                   Amt der Schweiz. Sind Landwirte für          die mit Gebäudesanierungen und             beimessen. Wir müssen nicht nur
                   eine politische Führungsrolle besonders      Solaranlagen einen Beitrag zum             im akademischen Bereich eigene
                   geeignet?                                    Umweltschutz leisten möchten. Bei          Fachkräfte ausbilden. Wenn uns
                   MAYA GR AF: Vorausschicken muss ich,         den Finanz- und Steuerfragen gilt es,      das gelingt, sind wir auch nicht im
                   dass ich gelernte Sozialarbeiterin bin       endlich reinen Tisch zu machen,            gleichen Ausmass auf den Zuzug
                   und auch auf diesem Beruf gearbeitet         Weissgeldstrategie und Steuergerech-       qualifizierter Arbeitskräfte aus dem
                   habe. Seit 12 Jahren bewirtschaften          tigkeit müssen die Schweiz in Zu-          Ausland angewiesen. Dass die Al-
                   wir nun in einer Hofgemeinschaft                                                        tersvorsorge mit Besorgnis betrachtet
                   den elterlichen Hof. Doch zur eigent-                                                   wird, ist psychologisch zwar ver-
                   lichen Frage: Die bäuerliche Basis ist         «Ich finde es sehr                       ständlich, aber zum Glück im Mo-
                   seit je sehr politisch und zudem gut                                                    ment relativ unbegründet.
                   organisiert. Das hat sicher auch damit
                                                                  erfreulich, dass
                   zu tun, dass die Agrarpolitik ein              wir die Heimatliebe                      Die Unterschiede in der Problemwahr-
                   wichtiger Teil der Bundespolitik ist                                                    nehmung in den Sprachregionen sind
                   und die Landwirtschaft damit direkt
                                                                  nicht einfach der                        gross. Gibt es den Röstigraben doch?
                   von dem betroffen ist, was in Bern             Rechten überlassen.»                     MAYA GR AF: Nein. Die französische

                   entschieden wird. Hinzu kommt,                                                          und italienische Schweiz und die
                   dass die Landwirtschaft ein hohes                                                       Deutschschweiz ergänzen sich auf
                   Ansehen und Vertrauen geniesst.              kunft auszeichnen. Besonders wichtig       ideale Weise. Die Romands verlangen
                   Vielleicht traut man uns auch des-           ist für mich die Raumplanung und           vom Staat ein grösseres Engagement.
                   wegen zu, das Parlament über die             die geordnete Siedlungsentwicklung.        Diese Sensibilität für soziale Fragen
                   Parteigrenzen hinweg zu vertreten. In        Wir haben zu lange der Zersiedelung        schaff t einen guten Ausgleich zu den
                   der Herkunft meiner beiden Vorgän-           der Landschaft durch Wohn- und             manchmal extremen Privatisierungs-
                   ger und mir spiegelt sich übrigens           Infrastrukturbauten zugeschaut. Es         forderungen aus der Deutschschweiz.
                   die grosse Vielfalt in der heutigen          gilt, verdichtet zu bauen, die Städte      Wenn wir aber von einem Rösti-
                   Landwirtschaft wider: Jean-René              zu attraktiven Wohn- und Arbeits-          graben sprechen, dann verläuft dieser
                   Germanier (FDP) ist der West-                welten aufzuwerten und das Kultur-         mitten durch meine Heimat. In
                   schweizer Weinbauer, Hansjörg                land und unsere einzigartigen Natur-       der Region Basel stimmen wir meist
                   Walter (SVP) der Vertreter des eher          landschaften um jeden Preis zu             ähnlich wie die Westschweiz.
                   klassischen Bauernstandes aus der            schützen.
                   Ostschweiz, und ich bin die Bio-                                                        Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass
                   bäuerin der Grünen aus dem Jura.             Das Sorgenbarometer zeigt aber, dass       die politische Linke erstmals mehr
                                                                die Bevölkerungsmehrheit die Akzente       Nationalstolz zeigt als die Mitte?
                   Welches sind für Sie die drei Haupt-         anders setzt.                              MAYA GR AF: Ich fi nde es sehr erfreulich,

                   sorgen der Schweiz?                          MAYA GR AF: Die Arbeitslosigkeit ist       dass wir die Heimatliebe nicht
                   MAYA GR AF: Im nächsten Jahr müssen          ein Dauerthema, obwohl die Situati-        einfach der Rechten überlassen. Wir
                   die Weichen für die Energiewende             on in der Schweiz sehr stabil ist. Aber    haben verschiedene politische Errun-
                   gestellt werden. Klare gesetzliche           wir wissen natürlich von den Proble-       genschaften in der Schweiz, auf die

                   56 — Bulletin N° 6 / 2012

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 56                                                                                                                  23.11.12 07:53
Credit Suisse Sorgenbarometer 2012

                                                                                                                      Schweiz zur EU klären, die bilatera-
                                                                                                                      len Verträge analysieren und mögli-
                                                                                                                      che Verbesserungen und weitere
                                                                                                                      Verträge gezielt anstreben, ohne uns
                                                                                                                      unter Druck setzen zu lassen.

                                                                                                                      Die Ausländerfrage ist, auch wegen des
                                                                                                                      Zuzugs hochqualifizierter Arbeitskräf-
                                                                                                                      te, von zunehmender Problematik.
                                                                                                                      MAYA GR AF: Wir wollten, dass sie

                                                                                                                      kommen. Jetzt sind sie da. Das ist
                                                                                                                      ein Dilemma, mit dem wir leben
                                                                                                                      müssen. Wichtig dabei ist, dass die
                                                                                                                      flankierenden Massnahmen zur
                                                                                                                      Personenfreizügigkeit eingehalten
                                                                                                                      werden. Schwarzarbeit in all ihren
                                                                                                                      Formen muss systematisch bekämpft,
                                                                                                                      Gesamtarbeitsverträge müssen
                                                                                                                      eingehalten werden. Ich bin über-
                                                                                                                      zeugt, dass die Schweiz, die seit über
                                                                                                                      100 Jahren ein Einwanderungsland
                                                                                                                      ist, die nötige Integrationskraft
                                                                                                                      besitzt und davon wirtschaftlich und
                                                                                                                      gesellschaftlich profitiert. Schauen
                                     Maya Graf (1962), Sozialarbeiterin und Biobäuerin, wurde 2001 für                wir nur unsere junge Fussballnatio-
                                     die Grünen Baselland in den Nationalrat gewählt, den sie im Jahr 2013            nalmannschaft an, in der viele Spieler
                                     präsidiert. Sie gehört der Kommission für Wissenschaft, Bildung und
                                     Kultur an sowie den parlamentarischen Gruppen Tierschutz, Tibet                  mit Migrationshintergrund eine
                                     und Sport (Damen). Darüber hinaus engagiert sie sich bei Swissaid,               Schlüsselposition einnehmen und für
                                     Hochstamm Suisse sowie in der Schweizerischen Greina-Stiftung                    unsere Schweiz erfolgreich kämpfen.
                                     zur Erhaltung der alpinen Fliessgewässer und in der Stiftung Basel-
                                     Olsberg für Menschen mit Behinderung. www.mayagraf.ch
                                                                                                                      Ihr Hauptziel als Nationalrats-
                                                                                                                      präsidentin?
                                                                                                                      MAYA GR AF: Nach über 20 Jahren reiner

                   wir alle, unabhängig von unserer                       die Arbeitgeberorganisationen hatten        Parteipolitik finde ich es bereichernd,
                   politischen Einstellung, sehr stolz                    in den letzten Jahren an Vertrauen          als Vertreterin einer Nicht-
                   sein dürfen. Wir Linke sind ebenfalls                  gewonnen. Deshalb würde ich den             Regierungspartei die Vielfalt unseres
                   sehr stolz auf unsere Demokratie                       aktuellen Einbruch nicht überbewer-         politischen Systems und den Konsens
                   mit ihrem System des Ausgleichs                        ten. Generell ist es natürlich so,          aller repräsentieren zu dürfen. Es ist
                   und nicht des Ausschlusses.                            dass man Vertrauen verliert, wenn           mir ein zentrales Anliegen, das
                                                                          man die Erwartungen nicht erfüllt.          Ansehen der Politik und der Parteien
                   Die Entscheidungsträger – dieses Jahr                                                              zu stärken. Die Bevölkerung soll
                   vor allem die Medien und die Wirt-                     Warum stehen die Schweizer der              Vertrauen haben können in ihre
                   schaftsverbände – leiden unter einem                   Europäischen Union und dem Euro so          demokratischen Institutionen. Wir
                   Vertrauensverlust.                                     skeptisch gegenüber?                        haben einen gut funktionierenden
                   MAYA GR AF: Die Medienvielfalt ist ein                 MAYA GR AF: Ich denke, dass wir             Bundesrat, und wir haben ein gutes
                   hohes Gut, das zuletzt immer mehr in                   Politikerinnen und Politiker in dieser      Parlament, übrigens das kosten-
                   Frage gestellt wurde. Letztlich                        Frage in zweifacher Hinsicht gefor-         günstigste und effizienteste der Welt.
                   bestimmen nur noch wenige Medien-                      dert sind. Einerseits darf es einfach       Ich erlebe sehr viele engagierte
                   konzerne den Kurs, wobei die Ver-                      nicht sein, dass wir Schweizer uns          Politikerinnen und Politiker unter der
                   mischung von Informations- und                         nicht als Europäer fühlen, obwohl           Bundeshauskuppel, die Lösungen für
                   Unterhaltungskonzern ganz beson-                       wir mitten in Europa leben und              die Probleme unseres Landes suchen
                   ders heikel ist. Hinzu kommt die                       existenziell davon abhängig sind, wie       wollen und nicht nur das Schein-
                   zunehmende Gefahr der Oberfläch-                       es diesem Europa geht. Anderseits           werferlicht der Medien, wie das gerne
                   lichkeit. Die Gewerkschaften und                       müssen wir das Verhältnis der               gegen aussen dargestellt wird.

                   Foto: Jürg Waldmeier                                                                                                 Bulletin N° 6 / 2012 — 57

048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 57                                                                                                                              23.11.12 07:53
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