Credit Suisse Sorgenbarometer 2012 - Was die Schweiz bewegt. Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung seit 1976.
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Credit Suisse
Sorgenbarometer 2012
Was die Schweiz bewegt.
Die grosse Umfrage unter der Stimmbevölkerung
seit 1976.
Sascha Flück, 37, Herbetswil SO, Servicemonteur
«Das schönste Vergnügen in der Schweiz ist es, dass
wir noch frei sind. Hier darf ich überall meinen
Segelfl ieger in die Höhe steigen lassen, ohne dass
gleich einer kommt und reklamiert.»
Fotos von Linus Bill Bulletin N° 6 / 2012 — 43
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1. Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach
die wichtigsten Sorgen der Schweiz?»
Arbeitslosigkeit 49% (−3)
Ausländer 37% (+1)
AHV/Altersvorsorge 36% (+9)
Asylfragen 32% (+11)
Gesundheitswesen 30% (+0)
Eurokrise 22% (neu)
Persönliche Sicherheit 21% (−6)
Europäische Integration 20% (+6)
Soziale Sicherheit 19% (−7)
Umweltschutz 18% (+2)
Neue Armut 17% (+0)
Energiefragen 16% (+1)
Finanzkrise 14% (−16)
Löhne 13% (−1)
Benzin-/Erdölpreis 13% (+8)
Erhebung 2012 (Veränderung zu 2011 in Prozentpunkten)
Anouck Hofmann, 20, Neuenburg,
Wirtschaftsstudentin
44 — Bulletin N° 6 / 2012
«Sorgen? Sorry, aber in Bezug auf mich und meine
Zukunft in der Schweiz habe ich keine.»
048_300_Bulletin_6_12_s42-80_d.indd 44 23.11.12 07:53Credit Suisse Sorgenbarometer 2012
Alles wird gut –
optimistische Schweizer
Bevölkerung
Traditionsgemäss nimmt die Arbeitslosigkeit beim Credit Suisse Sorgenbarometer
die Spitzenposition ein. Trotz Wirtschaftskrise sehen die Befragten aber
zuversichtlich in die Zukunft: Die Mehrheit schätzt die Lage stabil ein,
ein Fünftel ist von einer Verbesserung überzeugt.
Die Schweizer Bevölkerung beurteilt und lässt sich wohl am ehesten erklä- Die Umfrage
die aktuelle wirtschaftliche Situation ren durch die relativ robuste Binnen-
Im Auftrag und in Zusammenarbeit mit
optimistisch (Grafi k 3). 59 Prozent be- wirtschaft mit einem starken Privat-
der Credit Suisse hat das Forschungsinstitut
zeichnen jedenfalls die eigene Lage als konsum in der Schweiz. Im Sorgen- gfs.bern zwischen dem 30. Juli und dem
«gut» oder «sehr gut». Spürbar ent- barometer schlug sich dieser Optimis- 31. August 2012 eine repräsentative Umfrage
schärft hat sich die Situation vor allem mus sehr deutlich bei der zentralen bei 1003 Stimmberechtigten mit Wohnsitz
in der Schweiz durchgeführt.
bei den tieferen Einkommen. Auch die Frage nach den fünf Hauptsorgen nie- Der statistische Stichprobenfehler liegt bei
Aussichten sind erfreulich: Wie im der (Seite 44). ± 3,2 Prozent. Die wissenschaftliche
Vorjahr gehen 92 Prozent davon aus, Die konjunkturellen Sorgen sind Auswertung in den zwei Studien «Abstrakte
Wirtschaftssorgen konkretisieren sich im
dass es ihnen im kommenden Jahr zu- wieder in den Hintergrund getreten: EU-Raum» und «Schweiz: Dem Sturm
mindest gleich gut wie jetzt gehen Die Finanzkrise landet mit 14 Prozent getrotzt, aber Planken müssen verstärkt
wird. 18 Prozent glauben sogar an eine (− 16 Prozentpunkte) auf Platz 13 von werden» erfolgte durch ein Projektteam mit
Claude Longchamp, Lukas Golder, Martina
Verbesserung; nur einmal – vor fünf 34 vorgegebenen Begriffen, die Wirt- Imfeld, Cindy Beer, Stephan Tschöpe und
Jahren – waren es etwas mehr gewesen. schaftskrise mit 9 Prozent (− 26 pp) auf Sarah Deller.
In Bezug auf die allgemeine wirt- Platz 20 und die Sorgen rund um die
Die Studien sowie weiterführende Grafi ken
schaftliche Situation ist der gleiche Börsen mit 7 Prozent (− 5 pp) auf Platz fi ndet man unter:
Trend zu erkennen. Beinahe drei Vier- 24. Erstmals befragt wurde die Euro- www.credit-suisse.com/sorgenbarometer
tel der Stimmbürger stufen die aktuel- krise, die mit 22 Prozent auf Anhieb
Die Auswertung für das Bulletin erfolgte
le Lage als zumindest gleich gut wie im auf Rang 6 kam. Die insgesamt positi- durch Andreas Schiendorfer.
Vorjahr ein, fast gleich viele sehen das ve Einschätzung der wirtschaftlichen
auch für die kommenden zwölf Mo- Entwicklung lässt indes darauf schlies-
nate so. Dabei ist mehr als ein Fünftel sen, dass ein Grossteil der Bevölke-
sogar von einer Verbesserung der Kon- rung an die Robustheit der Schweizer
junktur überzeugt. Wirtschaft glaubt und nicht davon
ausgeht, dass die Eurokrise sich stark
Relativ geringe Konjunktursorgen und nachhaltig auf unser Land auswir-
Dieser Wirtschaftsoptimismus mag ken wird.
angesichts der akuten Probleme in Trotzdem bleibt mit 49 Prozent
Griechenland, Spanien und anderen die Arbeitslosigkeit – nun bereits zum
europäischen Ländern überraschen zehnten Mal in Folge – die Hauptsorge
Bulletin N° 6 / 2012 — 45
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der Schweizerinnen und Schweizer
2. Zeitliche Veränderung der Hauptsorgen (Grafi k 2). Dies kann eigentlich nur
Seit dem Jahr 2003 wird die Arbeitslosigkeit als Hauptproblem der Schweiz wahrgenommen. dahin gehend gedeutet werden, dass
Davor war es das Gesundheitswesen gewesen, das heute nur noch auf Platz 5 rangiert. Über
die Beschäftigung möglichst aller
die letzten drei Jahre haben einzig «Auslä nder/Personenfreizügigkeit» und «Flüchtlinge/
Asylfragen» zugenommen. Landesbewohner als der entscheiden-
de Schlüsselfaktor für das Funktionie-
ren der Schweiz angesehen wird. In
60
dieser Hinsicht reagiert man anschei-
50
49
nend lieber nicht erst auf reale Notsitu-
40 37 ationen, sondern sorgt sich gewisser-
36
30 32 massen proaktiv. Allerdings stellt man
30
20 doch einen Rückgang von 3 Prozent-
21
10
punkten gegenüber dem Vorjahr und
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 sogar um 27 Prozentpunkte gegenüber
ARBEITSLOSIGKEIT/JUGENDARBEITSLOSIGKEIT
2010 fest.
Die Eurokrise wurde 2012 erstmals AUSLÄNDER/PERSONENFREIZÜGIGKEIT
befragt, und auf Anhieb von AHV/ALTERSVORSORGE
FLÜCHTLINGE/ASYLFRAGEN Sorgenpalette ist breiter geworden
22 Prozent der Schweizer als eine GESUNDHEITSFRAGEN/KRANKENKASSE/PRÄMIEN
Hauptsorge bezeichnet. PERSÖNLICHE SICHERHEIT Neben der Arbeitslosigkeit landeten in
den Jahren 2003 bis 2010 ausnahmslos
Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach die wichtigsten Sorgen der Schweiz?» die Sorgen um die Altersvorsorge so-
wie das Gesundheitswesen auf den
3. Einschätzung der Wirtschaftslage beiden weiteren Podestplätzen. Diese
Hierarchie wurde nun zum zweiten
Die Zahl der Schweizer, die ihre eigene wirtschaftliche Situation als sehr gut einstufen, hat zwar
um 11 Prozentpunkte abgenommen, dafür gehen doppelt so viele wie im letzten Jahr von einer Mal nacheinander durchbrochen,
Verbesserung in der Zukunft aus. Die allgemeine Wirtschaftslage wird noch positiver eingeschätzt: ohne dass diese «Traditionssorgen»
18 Prozent (+ 11 pp) erkennen eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr, 21 Prozent (+ 12 pp) deswegen an Relevanz verloren hätten.
glauben an eine weitere Verbesserung in Zukunft.
Insgesamt ist aber doch eine Nivellie-
Aktuelle individuelle wirtschaftliche Lage Kommende individuelle wirtschaftliche Lage rung des Sorgenkanons mit entspre-
8 2 20 3
chend tieferen Werten feststellbar:
5 5 20
18 Heute brennen den Schweizern also
12
12
20 20
7 9 7 viel mehr verschiedene Sorgen unter
11
19
11
1
1 1 den Nägeln als früher, die von den
37
34 Entscheidungsträgern in Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft gleicher-
35
51 massen ernst genommen werden müs-
83
sen. In erster Linie ist hier die Immig-
74 rationsdebatte zu nennen. Dabei sind
KEINE ANTWORT RECHT
KEINE ANTWORT GLEICH
die Ausländer, die regulär in der
SEHR SCHLECHT GUT
SCHLECHT SEHR GUT SCHLECHTER BESSER Schweiz leben und arbeiten, momen-
tan stärker im Fokus als die Flüchtlin-
Aktuelle allgemeine wirtschaftliche Lage Kommende allgemeine wirtschaftliche Lage ge, die hier Asyl suchen (siehe auch
20 7 20
Grafik 14).
18 1 Die Sicherung der Altersvorsor-
12
12
21
20 20
7 9 4 ge ist nach wie vor eine zentrale Sorge
11
11
1 27 22
der Schweizer. Nach einem Rückgang
36
41 im Vorjahr befindet sich die AHV mit
56
36 Prozent wieder im (unteren) Be-
46 reich des langjährigen Trends. Dabei
54
50
sind es aber nicht etwa die Jungen, wel-
che die grössten Bedenken äussern,
KEINE ANTWORT GLEICH GEBLIEBEN KEINE ANTWORT
sondern die aktuellen Bezüger, die of-
GLEICH BLEIBEN
VERSCHLECHTERT VERBESSERT VERSCHLECHTERN VERBESSERN fensichtlich Angst vor einschneiden-
Fragen: «Wie schätzen Sie Ihre persönliche und wie die allgemeine wirtschaftliche Situation ein, den Kürzungen haben. Darüber hin-
und wie wird sie sich in den kommenden zwölf Monaten verändern?» aus ist die Sorge bei den Frauen stärker
46 — Bulletin N° 6 / 2012
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erkennbar als bei den Männern und
vor allem in der Stadt viel deutlicher als 4. Wem Schweizerinnen und Schweizer vertrauen
auf dem Land. Dementsprechend gilt Das grösste Vertrauen geniesst derzeit die Polizei, gefolgt von Bundesgericht und Bundesrat. Vor
einem Jahr hatte das Bundesgericht die Vertrauensrangliste vor den Arbeitnehmerorganisationen
für 95 Prozent die Sicherung der Al-
sowie den Arbeitgeberorganisationen und den bezahlten Zeitungen angeführt. 2010 lagen Radio,
tersvorsorge als sehr wichtiges aktuel- Fernsehen sowie Bundesgericht und Polizei an der Spitze.
les Ziel, das die Politiker verfolgen
sollten (Grafi k 6). Das Problem Ge- Politik
2012
sundheitswesen hingegen hat, wohl 61
Bundesrat 58
wegen des verlangsamten Anstiegs der 64
Krankenkassenprämien, auf dem im 60
2011
Nationalrat 55
Vergleich zu früher relativ tiefen Ni- 64
veau von 30 Prozent stagniert.
60
2010
Ständerat 52
62
Umweltbewusstsein nimmt zu
49
Die Sorgen um die persönliche Sicher- Staatliche Verwaltung 46
heit und soziale Sicherheit, die in den 51
letzten Jahren kontinuierlich zuge- 34
Politische Parteien 37
nommen hatten, sind wieder etwas 45
zurückgefallen. Als nächstes Prob- 19
lempaket folgen die Umwelt- und die Europäische Union 20
34
Energieprobleme. Der Fukushima-
Effekt mag zwar bei einem Grossteil
der Bevölkerung bereits wieder verflo- Medien
2012
51
gen sein, aber dank dem diesjährigen Fernsehen 61
76
Umweltgipfel Rio +20 und vor allem
50
2011
der Debatte um den Ausstieg aus der Radio 59
Atomenergie sind Umweltthemen 77
nach wie vor präsent. 41
2010
Bezahlte Zeitungen 62
Das allgemeine Umweltbe- 66
wusstsein hat gegenüber dem Vorjahr 35
leicht zugenommen auf heute 18 Pro- Gratiszeitungen 47
61
zent. Von einem Wert wie in den Jah-
29
ren 1988 bis 1995, im Durchschnitt 56 Internet 54
60
Prozent, sind die Schweizer aber noch
weit entfernt. Immerhin ist in Zukunft
eine weitere Zunahme zu erwarten. Übrige Institutionen
2012
69
Hinter den Antworten auf die Frage, Polizei 60
70
worunter die zukünftigen Generatio-
nen am meisten zu leiden haben, befin- 64
2011
Bundesgericht 66
den sich jedenfalls Umwelt und Klima 72
gemeinsam mit Arbeitsmangel an der 50
Arbeitnehmer-
2010
Spitze. organisationen 53
64
Seit 1995 will das Sorgenbaro-
48
meter wissen, ob die Wirtschaftsfüh- Banken 51
60
rer beziehungsweise die Exponenten
in Regierung und Verwaltung in ent- 45
Armee 49
scheidenden Dingen oft oder selten 56
versagen (Grafik 5). Im Langzeittrend 41
schneidet die Wirtschaft dabei klar Kirchen 55
57
besser ab als die Politik. In diesem Jahr
Arbeitgeber- 39
spricht jedoch mehr als die Hälfte der 62
organisationen 46
Bevölkerung der Politik indirekt ihr
Vertrauen aus, indem sie ihr attestiert, Frage: «Wie gross ist Ihr persönliches Vertrauen in jede der Ihnen vorgelegten Institutionen
nur selten zu versagen; das war bis (Vertrauen – weder/noch – kein Vertrauen – keine Antwort)?»
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jetzt einzig 1998 der Fall. Auch der letzten Jahren zu konstatieren. Betrug verbände sowie für die Gewerkschaf-
Wirtschaft wird zwar immer noch von das Vertrauen in die zur Auswahl ste- ten und Arbeitgeberorganisationen.
48 Prozent «seltenes Versagen» be- henden Akteure im Jahr 2010 noch Die Banken liegen mit 48 Prozent im-
scheinigt, aber die Werte sind weitaus durchschnittlich 60 Prozent, so waren mer noch knapp über dem Durch-
tiefer als im Langzeitdurchschnitt. es letztes Jahr 53 und dieses Mal sogar schnitt der letzten 18 Jahre. Die Wirt-
Bei der konkret gestellten Ver- nur noch 47 Prozent. Hauptursache schaftsverbände haben zunächst seit
trauensfrage (Grafi k 4) ist ein generel- dafür sind die tieferen Umfragewerte 2006 einen kontinuierlichen Vertrau-
ler Vertrauensschwund in den beiden für die Medien, Banken, Wirtschafts- enszuwachs erfahren, der 2011 in ab-
soluten Traumwerten gipfelte mit 64
Prozent für die Arbeitnehmerorgani-
sationen sowie 62 Prozent für die
5. Leistung von Politik und Wirtschaft Arbeitgeberorganisationen. Nun ist
aber eine spürbare Ernüchterung ein-
Stellen die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft für die mittel- und langfristige Entwick-
lung des Landes die richtigen Weichen? Treffen sie im richtigen Moment die korrekten Entschei-
getreten, bei den Gewerkschaften
dungen? Trotz der Krise hält sich die Kritik der Bevölkerung in Grenzen. (− 14 pp) etwas weniger ausgeprägt als
bei den Arbeitgebern (− 23 pp).
6 6
2 20 20
5 Wenig Vertrauen in die EU
12
12
20 20 Sehr volatil und vorerst nur bedingt er-
11
11
21 21 35
klärbar sind die Werte bei den Medien.
35
44 38 Hatte man beispielsweise 2009 noch
3 3
WIRTSCHAFT POLITIK über die Spitzenposition und den gros-
sen Vertrauensbonus der Gratiszeitun-
48
gen gestaunt, so sehen sich die Medien
41 54 38 nach 2010 mit einem durchschnittli-
chen Vertrauensentzug von 27 Pro-
zentpunkten konfrontiert. Möglicher-
weise hat sich nun wenigstens die
OFT SELTEN NIE WEISS NICHT
Vertrauenshierarchie eingependelt:
Frage: «Haben Sie das Gefühl, die Politik von Regierung und Verwaltung beziehungsweise die Die Reihenfolge Fernsehen, Radio,
Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen? Ist dies oft, selten oder nie der Fall?» bezahlte Zeitungen, Gratiszeitungen,
Internet könnte Bestand haben.
Wie in den Vorjahren ist am
Schluss die Europäische Union anzu-
6. Welche Ziele die Politiker sofort verfolgen müssen treffen, wobei das Rekordtief gut zur
gestiegenen Ausländerskepsis in der
Die wichtigsten politischen Ziele sind derzeit die langfristige finanzielle Sicherung der Vorsorgeleis- Schweiz passt. Ebenfalls weit unten
tungen, die Förderung der Bildung sowie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Den mit
Abstand tiefsten Wert verzeichnet die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (55 Prozent). rangieren stets die Parteien. Bessere
Werte erzielen – jeweils in dieser auf-
steigenden Reihenfolge – die staatliche
95 94
(+1) (+3)
93
90
Verwaltung, der Nationalrat, der Stän-
(±0)
(–6) derat und der Bundesrat. Die Vertrau-
81 81
(–11) (–7) 78 ensspitze zieren nach wie vor Polizei
Wirtschaftliches Wachstum
Kosten Gesundheitswesen
(–8)
und Bundesgericht.
Jugendarbeitslosigkeit
Treibhausgasemission
Bildung fördern
Familie/Beruf
AHV/IV
2012 2011
Frage: «Wie wichtig ist für Sie das Erreichen der genannten politischen Ziele?» In der Grafi k sind
die Antworten «sehr wichtig» und «wichtig» zusammengezählt. Weitere zur Auswahl stehende
Antworten: «eher unwichtig», «sehr unwichtig», «weiss nicht».
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Spezialauswertung 1
«Ich bin optimistisch für die Schweiz»
Fünf Fragen an Pascal Gentinetta, Direktor Economiesuisse Andere Sprache,
andere Probleme
1. Was sind für Sie die drei grössten Stärken der Schweizer
Wirtschaft?
An erster Stelle steht die Innovationskraft unserer Unternehmen, die im Tiefer Nationalstolz in
internationalen Vergleich hervorragend ist. Ebenfalls eine grosse Stärke
ist die Flexibilität, mit der sich unsere Wirtschaft immer wieder an verän-
der Westschweiz, Sorgen
derte Rahmenbedingungen anpassen konnte – nicht zuletzt ein Ergebnis um Ausländer in der
einer langfristig starken Währung. Und drittens sind wir dank unserer Deutschschweiz – markante
wirtschaftlichen Diversität hinsichtlich Branchenmix, der Symbiose von Unterschiede zwischen
KMU und Konzernen sowie verschiedenen regionalen Motoren sehr gut
aufgestellt. den Sprachregionen.
2. Werden uns diese durch die aktuelle EU-Krise bringen?
Allein schon unsere geografische Lage verhindert, dass wir von der
Krise vieler Euroländer unberührt bleiben. Wenn wichtige Handelspart-
Das Sorgenbarometer zeigt signifi-
kante Unterschiede der Problem-
wahrnehmung in den drei Sprachregi-
ner den Gürtel enger schnallen müssen, triff t das unweigerlich auch onen auf. Trotzdem kann nur bedingt
unsere exportorientierte Wirtschaft. Doch die genannten Stärken, eine von einem Rösti- oder Polentagraben
liberale Wirtschaftspolitik und eine bewusst offene Freihandelspolitik, gesprochen werden, da ein Konsens
insbesondere mit aufstrebenden Wachstumsmärkten, helfen uns tatsäch- betreffend das funktionierende Zu-
lich, diese Herausforderung besser als andere zu meistern. sammenleben der Kulturen herrscht.
Die Arbeitslosigkeit ist die
3. Welche weiteren Gefährdungsmomente sehen Sie?
Erfolg kann zu Trägheit führen. Es besteht die Gefahr, dass die
Schweiz vergisst, worauf ihr Erfolg beruht. Innovationskraft und Flexibi-
Hauptsorge der Schweizer. In der
Deutschschweiz sehen dies 41 Prozent
so, deutlich mehr sind es jedoch in der
lität lassen sich nicht politisch steuern. Sie gedeihen nur dort, wo gute Westschweiz (67 %) und im Tessin
Rahmenbedingungen und unternehmerische Freiräume bestehen. Leider (72 %). Die Ausländerfrage kommt in
liegt es politisch im Trend, solche Freiräume durch immer neue Regulie- der Deutschschweiz ebenfalls auf 41
rungen einzuschränken. Dem müssen wir entschieden entgegentreten Prozent, in der Südschweiz liegt der
und uns gleichzeitig für einen weiterhin attraktiven Standort einsetzen. Wert sogar noch höher (46 %), in der
Romandie (23 %) hingegen sind ande-
4. Die Arbeitslosigkeit bereitet den Schweizern grosse Sorgen.
Erwarten Sie eine Zunahme?
Die Auswirkungen der EU-Wirtschaftskrise sind auf unserem Arbeits-
re Sorgen weiter verbreitet.
Die deutschsprachige Mehrheit
bestimmt in der Regel den gesamt-
markt 2013 vielleicht noch ein bisschen stärker zu spüren als heute, insbe- schweizerischen Stellenwert eines
sondere im Tourismus oder in Teilen der Exportindustrie. Die Binnen- Problems – mit zwei Ausnahmen: Die
konjunktur wirkt aber nach wie vor stabilisierend. Insgesamt erwarte ich Altersvorsorge wird dank West-
keine markante Zunahme der Arbeitslosigkeit. Es zeigt sich wieder ein- schweiz (43 %) und Tessin (40 %) an die
mal, dass unser duales Bildungssystem und unsere vergleichsweise flexib- dritte Stelle gehoben, allerdings nur,
le Arbeitsmarktordnung für einen viel besseren Ausgleich sorgen, sodass weil sie auch in der Deutschschweiz
die Arbeitslosigkeit selbst in einer schwierigen Situation moderat bleibt. (33 %) von vergleichbarer Bedeutung
ist. Die persönliche Sicherheit hinge-
5. Teilen Sie den Optimismus der Stimmberechtigten bezüglich
der Wirtschaftsentwicklung?
Ja. Obwohl in einigen westlichen Ländern zurzeit schwarze Wolken auf-
gen schaff t es in der Deutschschweiz
(18 %) nur auf Platz 10, in der West-
schweiz (25 %) und im Tessin (36 %)
gezogen sind, bin ich für unser Land grundsätzlich optimistisch. aber auf Platz 5 und somit insgesamt
an die siebte Stelle.
Pascal Gentinetta studierte Wirtschaft und Recht an der Universität St. Gallen.
Seit 2007 ist er Direktor von Economiesuisse. Dem Wirtschaftsdachverband sind Neue Armut bleibt Problem
hundert Branchenverbände angeschlossen. Insgesamt vertritt Economiesuisse Die französischsprachigen Schweizer
100 000 Schweizer Unternehmen mit rund zwei Millionen Arbeitsplätzen. betonen zwei Probleme, die gesamt-
schweizerisch nicht in die Top Ten ge-
Foto: economiesuisse Bulletin N° 6 / 2012 — 49
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langen: das Bankkundengeheimnis nur mit grösster Vorsicht interpretiert deutlich weniger als in der Deutsch-
(19 %) und die neue Armut (18 %). Da- werden. schweiz und im Tessin (je 42 %). Das
für werden die Europäische Union und Forschungsinstitut gfs.bern hat diesen
die Umweltbelastung (je 12 %) als we- Zusammenleben bleibt Stärke ausgeprägten Nationalstolz für die
niger gravierend angesehen und lan- Ein Fünftel der Schweizer (19 %) be- Jahre 2007 – 2012 auf die einzelnen
den sogar noch hinter Finanzkrise trachtet das Zusammenleben der Kul- Kantone hinuntergebrochen: An der
(16 %) sowie Kernenergie und Benzin- turen als eine Hauptstärke des Landes. Spitze des Patriotismus stehen Obwal-
preis (je 15 %). Davon sind die Westschweizer (31%) den (70 %), Zug und Thurgau (62 %),
Bei den italienischsprachigen wesentlich überzeugter als die am Ende findet man die Westschwei-
Schweizern sind die Unterschiede Deutschschweizer (14 %); die Tessiner zer Kantone Neuenburg (22 %), Genf
noch augenfälliger: Unmittelbar hin- (20 %) liegen in der Mitte. Umgekehrt (17 %), Waadt (14 %) und Jura (1 %).
ter der Arbeitslosigkeit folgt das Ge- wird das Zusammenleben nur von je- Die Akzentuierung verschiede-
sundheitswesen (68 %). Anstelle von dem zwanzigsten Bewohner als Belas- ner Probleme und die unterschiedliche
Europäischer Union, Flüchtlingen, tung wahrgenommen (5 %); sprachre- Befindlichkeit in den Sprachregionen
sozialer Sicherheit, Umweltbelastung gional betrachtet liegt die Differenz betreffend Nationalstolz haben mitt-
kommt ebenfalls die neue Armut innerhalb der statistischen Fehlerquo- lerweile ein Ausmass erreicht, das es
(16 %) hinzu, vor allem aber die Wirt- te. Daran wird sich – gemäss einer wei- ernst zu nehmen gilt, auch wenn gera-
schaftskrise (28 %) sowie Drogen und teren Frage – auch in zehn Jahren nicht de die französischsprachige Minder-
Rassismus (je 26 %). Die Aussagen viel ändern. Fragt man aber, ob man heit das Zusammenleben verschiede-
verdienen Beachtung, dürfen aber we- sehr stolz ist, Schweizer zu sein, dann ner Kulturen nicht grundsätzlich in
gen der kleinen Stichprobe im Tessin bejahen dies in der Westschweiz (18 %) Frage stellt.
7. Welche Themen in den Sprachregionen am meisten Sorgen bereiten
Die Unterschiede in der Gewichtung der einzelnen Problemfelder zwischen der Westschweiz und der Deutschschweiz
werden in der Tendenz immer grösser (Angaben in Prozent aller Nennungen).
2008 2009 2010 2011 2012
Arbeitslosigkeit 49 51 64 69 72 76 54 52 67 41
AHV/Altersvorsorge 51 33 44 34 48 42 35 23 43 33
AusländerInnen 22 24 20 25 24 33 39 36 23 41
Flüchtlinge/Asyl 37 27 25 13 25
13 16 25 19 29 34
EU/Integration 15 17 13 11 35 19 12 14 12 23
2008 2009 2010 2011 2012
FRANZÖSISCHE SCHWEIZ DEUTSCHSCHWEIZ
Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach die wichtigsten Sorgen der Schweiz?»
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Spezialauswertung 2
8. Zeitliche Veränderung der Sorgen mit Ausländern
Debatte um In den letzten vier Jahren haben die Sorgen im Zusammenhang mit den Ausländern und Auslän-
derinnen nach einer ebenso langen Phase der Beruhigung wieder deutlich zugenommen.
Zuwanderung EU/BILATERALE/PERSONENFREIZÜGIGKEIT/
INTEGRATION
45 45
43 AUSLÄNDER/INTEGRATION
Ein Drittel der Bevölkerung 41 FLÜCHTLINGE /ASYL
39 37
sieht den Themenkomplex 34 36
35
36
31 32
«Ausländerfragen» als 32
30 30
28
wichtigstes Problem der 22 22
24 27 26 23
23
21 24
20 20
Schweiz. Tendenz: zunehmend. 19
18 18 19
19
21
18 17 17
15 14
12
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Gegenwärtig leben in der Schweiz gut
1,7 Millionen Ausländerinnen und Frage: «Welches sind heute Ihrer Meinung nach die wichtigsten Sorgen der Schweiz?»
Ausländer, was einem Bevölkerungs-
anteil von 22 Prozent entspricht. In
den letzten zehn Jahren stieg die An-
zahl im Jahresdurchschnitt um etwas 9. Künftiges Zusammenleben mit Ausländern
mehr als 30 000 Personen bei gleich-
zeitig gegen 40 000 Einbürgerungen. Zwar befürchtet eine Mehrheit der Schweizer, das Verhältnis zu den Ausländern werde sich
verschlechtern; die positive Einschätzung ist aber verbreiteter als in den Jahren zuvor.
Seit 2007 hat sich die Zunahme im
Zeichen der Personenfreizügigkeit
59 58 58 56
also rasant beschleunigt. 55
52
Die verstärkte Zuwanderung hat 40
37
Auswirkungen auf die Sorgenbarome- 34 33
30 31
2007
2008
2009
2010
2011
2012
ter-Resultate. Diese legen den Schluss
nahe, dass die Schweizer Bevölkerung VIEL BESSER/EHER BESSER VIEL SCHLECHTER/EHER SCHLECHTER
bei der Personenfreizügigkeit offen- Frage: «Wie geht es der Schweiz bezüglich des Zusammenlebens mit Ausländern in zehn Jahren?»
sichtlich nicht nur positive Aspekte
sieht. Das Thema «Ausländerfragen»
(Anzahl / Integration / Personenfrei-
zügigkeit) gewinnt im Sorgenbarome- wieder zugenommen haben, und den AHV von 95 und die Förderung der
ter bereits seit 2003 (Grafi k 2) konti- dadurch ausgelösten politischen De- Bildung von 94 Prozent als wichtig
nuierlich an Bedeutung, 2012 erreicht batten setzen. eingestuft werden.
es nun mit 37 Prozent (+ 1 Prozent- Die Einwanderung wird derzeit Um die aktuelle Situation besser
punkt) eine absolute Höchstmarke und von 77 Prozent (− 2 pp) als ein Element einschätzen zu können, ist ein Blick in
belegt zum zweiten Mal in Folge den wahrgenommen, welches die Schwei- die Zukunft aufschlussreich. Nur 3
zweiten Platz hinter der Arbeitslosig- zer Identität gefährdet (Grafi k 14). Prozent der Stimmbürger glauben, die
keit bei den Problemen der Schweiz. Trotzdem glaubt nur gerade ein Zehn- folgenden Generationen hätten am
Interessanterweise zeigt der The- tel, dass daraus eine Fremdenfeind- meisten unter der Überfremdung zu
menkomplex «Asyl/Flüchtlinge» in lichkeit resultiert, die ein Problem dar- leiden, Arbeitsmangel und Umwelt/
den letzten Jahren einen anderen Ver- stellt. Bei den 18- bis 19-Jährigen ist Klima werden als die grossen Proble-
lauf als «Ausländerfragen»: Ausge- allerdings ein leicht erhöhter Wert me der Zukunft angesehen.
hend von der absoluten Höchstmarke (14 %), bei den politisch Linksstehen- Das Zusammenleben mit den
von 56 Prozent im Jahr 1999 ging die den ein signifikant höherer Wert Ausländern in zehn Jahren wird ziem-
Kurve im Zickzackkurs bis auf 17 Pro- (21 %) erkennbar. Gilt es die aktuellen lich neutral bewertet: 40 Prozent glau-
zent (2009) hinunter. Dann stieg sie in politischen Ziele zu bewerten, wird die ben, dass es besser wird, 52 Prozent ge-
den letzten drei Jahren wieder an, zu- Integration der Ausländerinnen und hen von einer Verschlechterung aus.
nächst leicht, im laufenden Jahr Ausländer von einer knappen Mehr- Im Vorjahr war die Differenz noch um
sprunghaft von 21 auf 32 Prozent. heit als wichtig bezeichnet. Diese 55 13 Prozentpunkte höher gewesen.
Dies lässt sich in Korrelation zur An- Prozent sind wenig, wenn man be-
zahl der Asylgesuche, die zuletzt denkt, dass die Sicherstellung der
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10. Frage: «Sagen Sie mir bitte drei Dinge, wofür
die Schweiz für Sie persönlich steht.»
Sicherheit/Frieden 20% (+5)
Neutralität 20% (+6)
Landschaft 15% (−6)
Uhren 10% (+1)
Patriotismus 10% (+4)
Ordnungsbewusstsein 9% (−12)
Schokolade 9% (+0)
Banken 8% (+4)
Heimat 8% (−2)
Wohlstand 8% (+6)
Freiheit, Meinungsfreiheit 7% (−2)
Selbstständigkeit 7% (+5)
Sauberkeit 7% (+1)
Schulsystem 7% (+2)
Qualitätsbewusstsein 7% (+4)
Erhebung 2012
(Veränderung zu 2011 in Prozentpunkten)
Aline Koller, 33, mit Sohn Ian Balthazar, 11 Monate,
Lausanne VD, Psychotherapeutin
«14 Wochen Mutterschaftsschutz sind einfach zu kurz
für ein solch tiefgreifendes Lebensereignis. Es ist
widersprüchlich, wie oft erwähnt wird, dass Kinder
wichtig sind für das Land – und trotzdem eine Schweiz
mit einem familienfreundlichen Elternschaftsurlaub
52 — Bulletin N° 6 / 2012 noch immer in weiter Ferne liegt.»
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Die Schweiz definiert sich
wieder als Sonderfall
Die Schweizerinnen und Schweizer sind so stolz auf ihr Land wie noch nie.
Das geht so weit, dass sie sich stärker mit der Nation als mit der eigenen
Wohngemeinde identifizieren. Der Patriotismus ist politisch schwer verortbar;
die Linke ist stolzer auf die Schweiz als die Mitte.
86 Prozent der Stimmberechtigten sind wenn sie sich nach wie vor auf einem
stolz auf die Schweiz (Grafi k 11). Der sehr hohen Niveau bewegen (Grafi k 11. Schweizer
Rekordwert von 2007 wird damit ega- 16). Zuoberst rangieren nun dicht hin- Nationalstolz
lisiert; lediglich 11 Prozent der Bevöl- tereinander die Uhrenindustrie, der Erst einmal, im Jahre 2007, war der National-
kerung sind nicht stolz auf ihr Land, so internationale Qualitätsruf, die star- stolz insgesamt so verbreitet wie heute. Aller-
wenige wie nie zuvor. Zu diesem Resul- ken KMU, die starken Marken und die dings sind die «Sehr stolz»-Antworten um
einige Prozentpunkte tiefer als im letzten Jahr.
tat tragen die politisch eher Rechtsste- Maschinenindustrie. Den stärksten
henden am meisten bei, von denen 58 Einbruch verzeichneten die Service-
3
Prozent sehr stolz auf die Schweiz sind. public-Unternehmen (− 16 Prozent- 8 20
12
In der politischen Mitte hingegen punkte) sowie das Bankkundenge- 3
6 20
scheint sich zunehmend Ernüchterung heimnis (− 10 pp). 36
11
15
breitzumachen; seit mittlerweile fünf Bei den fünf wichtigsten Stärken 40
1
Jahren geht es leicht abwärts. Interes- des Landes ergeben sich gegenüber
sant ist, dass gleichzeitig ein Gegen- dem Vorjahr ebenfalls leichte Ver-
trend am linken Spektrum feststellbar schiebungen zugunsten der Politik
ist: Seit 2005 stieg hier der National- (Grafi k 12). An der Spitze liegen die 38
50
stolz um 24 Prozentpunkte und er- Neutralität (+ 4 pp) und die Bildung
reicht nun erstmals einen höheren Wert (+ 6 pp), deren Wert sich seit 2006 fast
als bei den Mittewählern (Grafi k 11). verdoppelt hat. Hoch gewichtet wer-
SEHR STOLZ WEISS NICHT
den auch die Mitspracherechte (+ 5 pp). EHER STOLZ EHER NICHT STOLZ
ÜBERHAUPT NICHT
Politik mit mehr Gewicht Demgegenüber erleidet die Schweizer STOLZ
Dieser Nationalstolz gründet 2012 Qualität, während Jahren ganz zu-
weit stärker als im Vorjahr auf politi- oberst platziert, einen massiven Wert- La Suisse existe. Der Nationalstolz bei der
schen Komponenten (Grafi k 15). Zu- schätzungseinbruch (− 17 pp). Es fol- politischen Linken hat kontinuierlich zuge-
nommen. Ob er wirklich verbreiteter ist als
oberst stehen dabei Neutralität und Ei- gen Frieden (+ 2 pp) sowie Ordnung in der Mitte, wird erst die Zukunft weisen.
genständigkeit. Die Volksrechte und und Sauberkeit (+ 11 pp), ein Begriffs-
64
die Mitsprachemöglichkeiten erzielen paar, das nach einem kontinuierlichen 59 58 58
ebenfalls hohe Werte. Betrachtet man Bedeutungsverlust nun wieder einen 53
allein die Zuwachsrate, so stechen ei- Sprung nach oben macht. Zu den mas-
nem die Bundesverfassung einerseits siv abgewerteten Stärken zählen auch 41
39
und das Milizsystem anderseits ins die Stabilität (− 10 pp) und vor allem 36 37
34 34
Auge. Alles in allem sind sich die das Zusammenleben der Kulturen 29 33
Schweizer wieder vermehrt und mit (− 17 pp), während nun plötzlich auch 31 25
Stolz der politischen Sonderlösungen das Gesundheitswesen (+ 9 pp) zu den
2008 2009 2010 2011 2012
ihres Landes bewusst. wichtigsten Stärken des Landes ge-
LINKS MITTE RECHTS
Lagen in den letzten Jahren die zählt wird. Noch letztes Jahr haben die
wirtschaftlichen Werte eher höher als Schweizer das zu komplizierte und Frage: «Sind Sie stolz, Schweizer oder
Schweizerin zu sein?» In der unteren Grafi k
die politischen, so sind sie 2012 fast zu teure Gesundheitswesen als die ist der Anteil «Sehr stolz»-Antworten
ausnahmslos zurückgegangen, auch Hauptschwäche der Schweiz geortet. dargestellt.
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Wie aber defi niert der Souverän im
Jahr 2012 die Schweiz? Als Bollwerk 12. Die Stärken der Schweiz
in der Brandung, könnte man viel- Neben der Neutralität wird neu die Bildung als wichtigste Stärke der Schweiz angesehen. Seit
leicht sagen, als Sonderfall, wo Sicher- 2003 (23%) hat sich ihr Anteil fast verdoppelt. Demgegenüber erlitt die Schweizer Qualität,
2009–2011 deutlicher Spitzenreiter, einen massiven Einbruch.
heit, Frieden und Neutralität nach wie
vor eine Selbstverständlichkeit sind, Neutralität 41 (+4)
während sonst in allzu vielen Ländern Bildung 41 (+6)
Unruhe und Unsicherheit vorherr-
Mitspracherecht 38 (+5)
schen (Seite 52). Dies schliesst keines-
wegs aus, dass man nicht Schwächen Schweizer Qualität 33 (–17)
ausmerzen muss; aber Hilfe ist nicht Frieden 30 (+2)
von aussen, von der kriselnden EU
oder den USA zu erwarten, sondern Ordnung und Sauberkeit 30 (+11)
muss letztlich selbst geleistet werden. Stabilität 25 (–10)
Sicherheit/Frieden (+ 5 pp) und Gesundheitswesen 25 (+9)
Neutralität (+ 6 pp), im Vorjahr auf den
2012 2011 VERÄNDERUNG ZUM VORJAHR IN KLAMMERN (IN PROZENTPUNKTEN)
Plätzen 4 und 5, sind nun also gemein-
sam an der Spitze. Die Landschaftsas- Frage: «Welches sind für Sie die fünf wichtigsten Stärken der Schweiz?»
soziationen sind dementsprechend et-
was in den Hintergrund getreten: Die
Landschaft (− 6 pp) wird zwar noch 13. Wo sich die Schweizer zugehörig fühlen
weit vorne eingereiht, der verwandte
Begriff Berge/Alpen (− 10 pp) figuriert Erstmals fühlen sich mehr Stimmbürgerinnen 6 20
und Stimmbürger der Schweiz zugehörig als 6
jedoch unter ferner liefen. Uhren und
12
ihrer Wohngemeinde. Von einem Trend der 20
22 32
Schokolade hingegen verkörpern nach Entfremdung gegenüber dem Wohnort kann
20
11
man aber nicht sprechen.
14
wie vor die traditionellen Schweizer 13
Spezialitäten. Der Patriotismus (+ 4 pp) Frage: «Zu welcher geografischen Einheit
hat die etwas neutraleren Begriffe fühlen Sie sich in erster Linie zugehörig?»
18
Heimat (− 2 pp) und Tradition (− 3 pp)
überholt. SCHWEIZ WELT
WOHNGEMEINDE EUROPA 18 44
WOHNKANTON
Gemeinde unter Druck SPRACHREGION
25
Die Schweizerinnen und Schweizer
haben sich noch nie in erster Linie als
Weltbürger oder als Europäer gefühlt. 14. Gefährdung der Schweizer Identität
Trotz einem kleinen Anstieg gegen-
über dem Vorjahr bleiben die Werte Der Schweizer Identität droht, nicht überraschend, vor allem von aussen Gefahr: Einwanderung
und internationale Öffnung. Eine Mehrheit des Souveräns stellt aber auch einen übertriebenen
sehr tief. Beim Heimatstolz hat sich Egoismus fest, und auch die politischen Reformen müssen schneller vorangetrieben werden.
hingegen eine bemerkenswerte Ver- 79
78 77
schiebung ergeben (Grafi k 13). Erst- 76
mals identifiziert man sich nicht in ers- 71 71
ter Linie mit der Wohngemeinde, 67
sondern mit dem Land als Ganzes. 65
64
In den letzten Jahren hat der 61
58 58
Druck auf die Gemeinden, aus finanzi- 57
57
ellen und verwaltungstechnischen 52 53
54 51
Gründen eine Fusion ernsthaft in Er- 49 50
48
47
wägung zu ziehen, laufend zugenom- 44
men. Seit 1990 hat die Zahl der Ge- 42
40
meinden bereits um 526 auf knapp
2008 2009 2010 2011 2012
2500 abgenommen. Dies könnte das
EINWANDERUNG INTERNATIONALE ÖFFNUNG EGOISMUS
Identifi kationsgefühl genauso verrin- REFORMSTAU POLARISIERUNG
gern wie die verstärkte Mobilität in Frage: «Durch welche Ursache sehen Sie die Schweizer Identität gefährdet (sehr/eher gefährdet
Bezug auf Wohnsitz und Arbeitsplatz. – keine Antwort – eher/überhaupt nicht gefährdet)?»
54 — Bulletin N° 6 / 2012
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Dennoch hatte sich der Absturz um 19 Schweizer Politik gegenüber dem Aus- Blickt man zehn Jahre voraus, so ge-
Prozentpunkte auf den bislang tiefsten land mehrheitlich eine offensivere Po- hen die Schweizerinnen und Schwei-
Wert nicht abgezeichnet. Profitiert hat litik wünschen (72%), während nur ein zer davon aus, dass sich die Zusam-
davon vor allem die Schweiz (+ 12 pp). knappes Viertel (22%) zu mehr Vor- menarbeit der wichtigsten politischen
Die selbstbewusste Haltung der sicht rät. Im Vergleich zum Vorjahr hat Parteien und auch die Umweltbelas-
Schweizer widerspiegelt sich in der sich diese Schere um 6 weitere Pro- tung verbessern werden. Das Zusam-
Beurteilung des eigenen Ansehens im zentpunkte geöffnet. menleben mit der ausländischen Be-
Ausland sowie bei der Frage, wie die Die schweizerische Identität völkerung bleibt einigermassen
Schweizer Politik gegenüber dem Aus- wird, wie bereits die letzten Umfragen konstant (leicht negativer Wert), hin-
land auftreten sollte. Insgesamt 83 aufgezeigt haben, vor allem von aussen gegen wird bei der Altersstruktur der
Prozent der Stimmbürger sind der An- bedroht (Grafi k 14). Als weniger gra- Gesellschaft und bei der Verbreitung
sicht, dass im Ausland das Image der vierend wird dabei die internationale der Armut von einer Verschlechte-
Schweiz gut oder sogar sehr gut ist Öffnung angesehen, die man aktiv rung ausgegangen. Die Frage, woran
(Grafi k 17). Diese Werte entsprechen steuern kann, während man den Prob- die kommenden Generationen zu lei-
ziemlich genau jenen der letzten drei lemen der EU und vor allem auch der den hätten, ergibt ein leicht anderes
Jahre. Dementsprechend fällt die Ant- Einwanderung – trotz dem positiven Bild: Arbeitsmangel und Umweltbe-
wort darauf, ob sich das Image verbes- Aspekt des Zuzugs von Fachkräften – lastung, mit einigem Abstand gefolgt
sert oder verschlechtert habe, neutral weitgehend passiv ausgeliefert ist. Den von Armut und Sicherung der Alters-
aus (35% Verbesserung, 36% Ver- innenpolitischen Faktoren wird seit vorsorge. Die restlichen Faktoren wie
schlechterung). Kritischen Medienbe- zwei Jahren wieder höheres Gefähr- Überfremdung, soziale Ungleichheit,
richten wird offensichtlich weniger dungspotenzial zugemessen: Am Überalterung oder Finanzen fallen
Gewicht beigemessen als der real er- schlimmsten wird der Egoismus hingegen kaum ins Gewicht.
lebten Situation, welche die Attrakti- (+ 10 pp) beurteilt, doch nach wie vor
vität der Schweiz zum Beispiel als Ein- sieht die Hälfte der Bevölkerung auch
wanderungsland bezeugt. Und weil im politischen Reformstau und in der
dem so ist, würde man sich von der Polarisierung ein Problem.
15. Stolz auf Merkmale 16. Stolz auf Merkmale 17. Hohes Ansehen im
der Politik der Wirtschaft Ausland
Die Neutralität hat seit 2006 (82%) laufend an Trotz leichten Einbussen werden die wirtschaft- 83 Prozent der Bevölkerung gehen davon aus,
Akzeptanz gewonnen. Klare Veränderungen lichen Merkmale weiterhin höher als die politi- dass das Image der Schweiz im Ausland sehr
gibt es auch bei Bundesverfassung (+ 10 pp) und schen eingestuft. Vorne hat die Uhrenindustrie oder zumindest eher gut ist. Dieser Wert hat
Zusammenleben der Sprachregionen (− 16 pp). den internationalen Qualitätsruf abgelöst. sich in den letzten vier Jahren nicht verändert.
Neutralität 94 (+1) Uhrenindustrie 93 (–5)
1
13 20
Eigenständigkeit 92 (–3) Internationaler Qualitätsruf 91 (–8) 22
12
8 20
3 20
11
Volksrechte (u.a. Referendum) 88 (–4) Erfolgreiche KMU 91 (–7) 8 1
Bundesverfassung 88 (+10) Starke Schweizer Marken 90 (–7)
Föderalismus 87 (+2) Maschinenindustrie 89 (–2)
63
Zusammenleben Sprachgruppen 79 (–16) Forschung 84 (–2)
61
Regierung, in der alle grossen Innovationskraft
Parteien vertreten sind 77 (+1) 82 (–4) SEHR GUT WEISS NICHT/
EHER GUT KEINE ANTWORT
EHER SCHLECHT
Sozialpartnerschaft zwischen Pharmaindustrie 82 (–2) SEHR SCHLECHT
Unternehmern und Gewerkschaften 71 (+3)
2012 2011 VERÄNDERUNG ZUM VORJAHR IN KLAMMERN (IN PROZENTPUNKTEN)
Frage: «Gibt es Dinge der schweizerischen Frage: «Gibt es Dinge der Schweizer Wirtschaft, Frage: «Wie ist Ihrer Meinung nach das Ansehen
Politik, auf die Sie besonders stolz sind (sehr/ auf die Sie besonders stolz sind (sehr/ziemlich der Schweiz im Ausland?»
ziemlich stolz)?» stolz)?»
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«Ich will das Ansehen der Politik und der
Parteien stärken»
Die kommende Nationalratspräsidentin und höchste Schweizerin Maya Graf freut
sich über das kostengünstigste und effizienteste Parlament der Welt. Jetzt will die
grüne Politikerin den havarierten Ruf der demokratischen Institutionen verbessern.
Interview: Urs Reich, Andreas Schiendorfer
Frau Graf, mit Ihnen bekleidet bereits Regelungen sollen für Investitionssi- men in ganz Europa. Grundsätzlich
zum dritten Mal in Folge ein Vertreter cherheit sorgen, für die Unterneh- ist es mir ein Anliegen, dass wir
des Bauernstandes das höchste politische men, aber auch für Privatpersonen, der Berufslehre das nötige Gewicht
Amt der Schweiz. Sind Landwirte für die mit Gebäudesanierungen und beimessen. Wir müssen nicht nur
eine politische Führungsrolle besonders Solaranlagen einen Beitrag zum im akademischen Bereich eigene
geeignet? Umweltschutz leisten möchten. Bei Fachkräfte ausbilden. Wenn uns
MAYA GR AF: Vorausschicken muss ich, den Finanz- und Steuerfragen gilt es, das gelingt, sind wir auch nicht im
dass ich gelernte Sozialarbeiterin bin endlich reinen Tisch zu machen, gleichen Ausmass auf den Zuzug
und auch auf diesem Beruf gearbeitet Weissgeldstrategie und Steuergerech- qualifizierter Arbeitskräfte aus dem
habe. Seit 12 Jahren bewirtschaften tigkeit müssen die Schweiz in Zu- Ausland angewiesen. Dass die Al-
wir nun in einer Hofgemeinschaft tersvorsorge mit Besorgnis betrachtet
den elterlichen Hof. Doch zur eigent- wird, ist psychologisch zwar ver-
lichen Frage: Die bäuerliche Basis ist «Ich finde es sehr ständlich, aber zum Glück im Mo-
seit je sehr politisch und zudem gut ment relativ unbegründet.
organisiert. Das hat sicher auch damit
erfreulich, dass
zu tun, dass die Agrarpolitik ein wir die Heimatliebe Die Unterschiede in der Problemwahr-
wichtiger Teil der Bundespolitik ist nehmung in den Sprachregionen sind
und die Landwirtschaft damit direkt
nicht einfach der gross. Gibt es den Röstigraben doch?
von dem betroffen ist, was in Bern Rechten überlassen.» MAYA GR AF: Nein. Die französische
entschieden wird. Hinzu kommt, und italienische Schweiz und die
dass die Landwirtschaft ein hohes Deutschschweiz ergänzen sich auf
Ansehen und Vertrauen geniesst. kunft auszeichnen. Besonders wichtig ideale Weise. Die Romands verlangen
Vielleicht traut man uns auch des- ist für mich die Raumplanung und vom Staat ein grösseres Engagement.
wegen zu, das Parlament über die die geordnete Siedlungsentwicklung. Diese Sensibilität für soziale Fragen
Parteigrenzen hinweg zu vertreten. In Wir haben zu lange der Zersiedelung schaff t einen guten Ausgleich zu den
der Herkunft meiner beiden Vorgän- der Landschaft durch Wohn- und manchmal extremen Privatisierungs-
ger und mir spiegelt sich übrigens Infrastrukturbauten zugeschaut. Es forderungen aus der Deutschschweiz.
die grosse Vielfalt in der heutigen gilt, verdichtet zu bauen, die Städte Wenn wir aber von einem Rösti-
Landwirtschaft wider: Jean-René zu attraktiven Wohn- und Arbeits- graben sprechen, dann verläuft dieser
Germanier (FDP) ist der West- welten aufzuwerten und das Kultur- mitten durch meine Heimat. In
schweizer Weinbauer, Hansjörg land und unsere einzigartigen Natur- der Region Basel stimmen wir meist
Walter (SVP) der Vertreter des eher landschaften um jeden Preis zu ähnlich wie die Westschweiz.
klassischen Bauernstandes aus der schützen.
Ostschweiz, und ich bin die Bio- Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass
bäuerin der Grünen aus dem Jura. Das Sorgenbarometer zeigt aber, dass die politische Linke erstmals mehr
die Bevölkerungsmehrheit die Akzente Nationalstolz zeigt als die Mitte?
Welches sind für Sie die drei Haupt- anders setzt. MAYA GR AF: Ich fi nde es sehr erfreulich,
sorgen der Schweiz? MAYA GR AF: Die Arbeitslosigkeit ist dass wir die Heimatliebe nicht
MAYA GR AF: Im nächsten Jahr müssen ein Dauerthema, obwohl die Situati- einfach der Rechten überlassen. Wir
die Weichen für die Energiewende on in der Schweiz sehr stabil ist. Aber haben verschiedene politische Errun-
gestellt werden. Klare gesetzliche wir wissen natürlich von den Proble- genschaften in der Schweiz, auf die
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Schweiz zur EU klären, die bilatera-
len Verträge analysieren und mögli-
che Verbesserungen und weitere
Verträge gezielt anstreben, ohne uns
unter Druck setzen zu lassen.
Die Ausländerfrage ist, auch wegen des
Zuzugs hochqualifizierter Arbeitskräf-
te, von zunehmender Problematik.
MAYA GR AF: Wir wollten, dass sie
kommen. Jetzt sind sie da. Das ist
ein Dilemma, mit dem wir leben
müssen. Wichtig dabei ist, dass die
flankierenden Massnahmen zur
Personenfreizügigkeit eingehalten
werden. Schwarzarbeit in all ihren
Formen muss systematisch bekämpft,
Gesamtarbeitsverträge müssen
eingehalten werden. Ich bin über-
zeugt, dass die Schweiz, die seit über
100 Jahren ein Einwanderungsland
ist, die nötige Integrationskraft
besitzt und davon wirtschaftlich und
gesellschaftlich profitiert. Schauen
Maya Graf (1962), Sozialarbeiterin und Biobäuerin, wurde 2001 für wir nur unsere junge Fussballnatio-
die Grünen Baselland in den Nationalrat gewählt, den sie im Jahr 2013 nalmannschaft an, in der viele Spieler
präsidiert. Sie gehört der Kommission für Wissenschaft, Bildung und
Kultur an sowie den parlamentarischen Gruppen Tierschutz, Tibet mit Migrationshintergrund eine
und Sport (Damen). Darüber hinaus engagiert sie sich bei Swissaid, Schlüsselposition einnehmen und für
Hochstamm Suisse sowie in der Schweizerischen Greina-Stiftung unsere Schweiz erfolgreich kämpfen.
zur Erhaltung der alpinen Fliessgewässer und in der Stiftung Basel-
Olsberg für Menschen mit Behinderung. www.mayagraf.ch
Ihr Hauptziel als Nationalrats-
präsidentin?
MAYA GR AF: Nach über 20 Jahren reiner
wir alle, unabhängig von unserer die Arbeitgeberorganisationen hatten Parteipolitik finde ich es bereichernd,
politischen Einstellung, sehr stolz in den letzten Jahren an Vertrauen als Vertreterin einer Nicht-
sein dürfen. Wir Linke sind ebenfalls gewonnen. Deshalb würde ich den Regierungspartei die Vielfalt unseres
sehr stolz auf unsere Demokratie aktuellen Einbruch nicht überbewer- politischen Systems und den Konsens
mit ihrem System des Ausgleichs ten. Generell ist es natürlich so, aller repräsentieren zu dürfen. Es ist
und nicht des Ausschlusses. dass man Vertrauen verliert, wenn mir ein zentrales Anliegen, das
man die Erwartungen nicht erfüllt. Ansehen der Politik und der Parteien
Die Entscheidungsträger – dieses Jahr zu stärken. Die Bevölkerung soll
vor allem die Medien und die Wirt- Warum stehen die Schweizer der Vertrauen haben können in ihre
schaftsverbände – leiden unter einem Europäischen Union und dem Euro so demokratischen Institutionen. Wir
Vertrauensverlust. skeptisch gegenüber? haben einen gut funktionierenden
MAYA GR AF: Die Medienvielfalt ist ein MAYA GR AF: Ich denke, dass wir Bundesrat, und wir haben ein gutes
hohes Gut, das zuletzt immer mehr in Politikerinnen und Politiker in dieser Parlament, übrigens das kosten-
Frage gestellt wurde. Letztlich Frage in zweifacher Hinsicht gefor- günstigste und effizienteste der Welt.
bestimmen nur noch wenige Medien- dert sind. Einerseits darf es einfach Ich erlebe sehr viele engagierte
konzerne den Kurs, wobei die Ver- nicht sein, dass wir Schweizer uns Politikerinnen und Politiker unter der
mischung von Informations- und nicht als Europäer fühlen, obwohl Bundeshauskuppel, die Lösungen für
Unterhaltungskonzern ganz beson- wir mitten in Europa leben und die Probleme unseres Landes suchen
ders heikel ist. Hinzu kommt die existenziell davon abhängig sind, wie wollen und nicht nur das Schein-
zunehmende Gefahr der Oberfläch- es diesem Europa geht. Anderseits werferlicht der Medien, wie das gerne
lichkeit. Die Gewerkschaften und müssen wir das Verhältnis der gegen aussen dargestellt wird.
Foto: Jürg Waldmeier Bulletin N° 6 / 2012 — 57
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