Die strafrechtliche - JKU ePUB
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Eingereicht von Teresa Kliemstein Angefertigt am Institut für Strafrechtswis- senschaften Beurteiler Ass.-Prof. Dr. Stefan Schumann Dezember 2020 Die strafrechtliche „Bürgermeisterhaftung“ Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument iden- tisch. Linz, 30.12.2020 Teresa Kliemstein 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 2/44
Vorwort Schlagzeilen wie „Nach Unfall auf Spielplatz: Anzeige gegen Bönningstedter Bürgermeister“1, „Vorwurf lautet fahrlässige Tötung: Nach Drama um drei ertrunkene Geschwister: Anklage gegen Neukirchens Bürgermeister“2 oder „Fahrlässige Tötung?: Warten auf Prozess nach Geschwister-Tod im Dorfteich“3 sind schon längst kein Einzelfall mehr. Der letztgenannte Fall ereignete sich in Deutschland in Neukirchen in der Schwalm, bei dem drei Kinder im Alter von fünf, acht und neun Jahren in einem Löschteich ertrunken sind. Anklage wurde von der Staatsanwaltschaft Marburg gegen den Bürgermeister4 als Verantwortlichen für Sicherungsmaßnahmen mit der Begründung erhoben, dieser habe den Teich als potenzielle Gefahrenquelle nicht abgesichert und eingezäunt.5 Das Handeln bzw im konkreten Fall das Unterlassen des Bürgermeisters als Gemeindeor- gan iZm seiner strafrechtlichen Verantwortung spielt bei einem solchen Sachverhalt eine große Rolle. Die Gesellschaft strebt nach Antworten und sucht in Unglücksfällen den Schul- digen. In den oben genannten Fällen würde der Bürgermeister als Schuldiger herangezo- gen werden. In Frage steht allerdings, ob der Bürgermeister in solchen Fällen tatsächlich haftet. Diesen Fall nahm ich zum Anlass, um in meiner Diplomarbeit die strafrechtliche Verantwor- tung des Bürgermeisters zu durchleuchten. Nicht nur vor dem Hintergrund, dass dieses Thema viele Gemeinden6, insbesonders deren Bürgermeister als Letztverantwortlichen be- treffen wird, sondern eine mögliche Verurteilung auch große Auswirkungen haben kann. Ein langwieriges Verfahren kann nicht nur zu einer hohen Kostenbelastung für den Betroffe- nen werden, sondern führt im Falle von Personen des öffentlichen Lebens, wie bei einem Bürgermeister einer Gemeinde, oft zu einer negativen Berichterstattung über die eigene Person und zu psychischen Beschwerden. 1 Uts, Nach Unfall auf Spielplatz: Anzeige gegen Bönningstedter Bürgermeister, https://www.shz.de/4311831 (abgefragt am 15.10.2019). 2 Quehl, Vorwurf lautet fahrlässige Tötung: Nach Drama um drei ertrunkene Geschwister: Anklage gegen Neukirchens Bürgermeister, https://www.hna.de/lokales/schwalmstadt/neukirchen-knuell-ort305288/drei-er- trunkene-geschwister-im-loeschteich-anklage-gegen-buergermeister-von-neukirchen-9639723.html (abgefragt am 15.10.2019). 3 https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/tod-im-dorfteich-warten-auf-den-prozess-16238993.html (abgefragt am 15.10.2019). 4 Der Begriff „Bürgermeister“ sowie alle übrigen Gemeindefunktionäre bzw Berufsbezeichnungen werden im Rahmen dieser Arbeit geschlechtsneutral verwendet und meinen auch die weibliche Form. 5 https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/tod-im-dorfteich-warten-auf-den-prozess-16238993.html (abgefragt am 15.10.2019). 6 Als juristische Person könnte der Gemeinde als Verband eine Strafbarkeit iSd VbVG angelastet werden. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 3/44
Inhaltsverzeichnis Vorwort .............................................................................................................................................. 3 Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................................... 6 I. Einleitung .................................................................................................................................. 8 A. Zum Begriff Verantwortung und Haftung ................................................................................ 8 B. Aufbau der Arbeit.................................................................................................................... 9 II. Das Gemeinderecht ................................................................................................................ 10 A. Allgemeines .......................................................................................................................... 10 1. Die Gemeinde als Gebietskörperschaft............................................................................ 10 2. Die Gemeinde als Selbstverwaltungskörper .................................................................... 10 3. Die Gemeinde als Verwaltungssprengel .......................................................................... 11 B. Organisation der Gemeinde – Gemeindeorgane ................................................................. 11 1. Organwalter ...................................................................................................................... 12 2. Aufgaben der Gemeindeorgane ....................................................................................... 12 a) Aufgabenvielfalt ............................................................................................................ 12 b) Differenzierung der Aufgaben zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung .... 13 c) Aufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungsbereich .......................................... 13 d) Stellung der Organe zueinander sowie Aufgabenverteilung ........................................ 14 C. Zum Begriff des Bürgermeisters ........................................................................................... 15 1. Rechtliche Stellung des Bürgermeisters .......................................................................... 16 2. Die verschiedenen Verantwortlichkeiten des Bürgermeisters .......................................... 16 3. Aufgaben des Bürgermeisters .......................................................................................... 17 4. Haftungsrisiken des Bürgermeisters ................................................................................ 18 III. Praxisrelevante Straftatbestände für die Bürgermeisterhaftung .................................. 20 A. Fahrlässigkeitsdelikte ........................................................................................................... 20 1. Allgemeines ...................................................................................................................... 20 2. Elemente des Fahrlässigkeitsdeliktes .............................................................................. 20 a) Objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung.................................................................. 21 (1) Grenzen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit.......................................................... 21 (a) Erlaubtes Risiko und eigenverantwortliche Selbstgefährdung ......................... 21 (b) Vertrauensgrundsatz und arbeitsteiliges Zusammenwirken ............................ 23 b) Subjektive Sorgfaltswidrigkeit ....................................................................................... 24 c) Objektive Voraussehbarkeit des Erfolges .................................................................... 24 d) Subjektive Voraussehbarkeit ........................................................................................ 24 3. Objektive Zurechnung des Erfolges ................................................................................. 25 a) Adäquanzzusammenhang ............................................................................................ 25 b) Risikozusammenhang .................................................................................................. 25 (1) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung .............................................................. 25 (2) Nachträgliches Fehlverhalten des Verletzten ...................................................... 25 (3) Nachträgliches Fehlverhalten eines Dritten ......................................................... 25 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 4/44
(4) Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigen Alternativverhalten ............................ 26 4. Fahrlässigkeitsschuld ....................................................................................................... 26 B. Unterlassungsdelikte ............................................................................................................ 27 1. Allgemeines ...................................................................................................................... 27 2. Strafbarkeitsvoraussetzungen des unechten Unterlassungsdeliktes ............................... 27 a) Garantenstellung .......................................................................................................... 28 b) Einzelne Garantenpflichten im Überblick ..................................................................... 28 (1) Rechtsvorschrift ................................................................................................... 28 (2) Freiwillige Pflichtübernahme ................................................................................ 29 (3) Gefahrenbegründendes Vorverhalten (Prinzip der Ingerenz) .............................. 29 (4) Eröffnung und Überwachung von Gefahrenquellen ............................................. 29 C. Verbotsirrtum nach § 9 StGB ............................................................................................... 31 IV. Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bürgermeisters iZm Sorgfaltswidrigkeiten .... 32 A. Allgemeines .......................................................................................................................... 32 1. Fehlende parlamentarische Immunität auf Gemeindeebene ........................................... 32 B. Gründe für das Entstehen der Bürgermeisterhaftung .......................................................... 32 1. Überschätzung der eigenen Fähigkeiten ......................................................................... 33 2. Fehler bei der Auswahl und Überwachung ...................................................................... 33 a) Auswahlverschulden ..................................................................................................... 34 b) Überwachungsverschulden .......................................................................................... 34 3. Fehler bei der Organisation .............................................................................................. 35 V. Schutz und Versicherbarkeit im Falle einer Haftung .......................................................... 37 1. Gemeindehaftpflichtversicherung ..................................................................................... 37 2. Managerhaftpflichtversicherung (D&O) ............................................................................ 37 3. Strafrechtsschutzversicherung ......................................................................................... 37 VI. Fazit ..................................................................................................................................... 39 Literaturverzeichnis ....................................................................................................................... 41 Internetquellen ................................................................................................................................ 44 Rechtsprechungsverzeichnis ....................................................................................................... 44 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 5/44
Abkürzungsverzeichnis ABGB ............... Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch JGS 1811/946 idgF Abs ................... Absatz Art ..................... Artikel AT ..................... Allgemeiner Teil des Strafrechts BGBl .................. Bundesgesetzblatt BGH .................. Bundesgerichtshof B-VG ................. Bundesverfassungsgesetz BGBl 1930/1 idF BGBl I 1999/194 idgF bspw ................. beispielsweise BT ..................... Besonderer Teil des Strafrechts bzw ................... beziehungsweise dh ..................... das heißt etc ..................... et cetera EUR .................. Euro f ........................ folgend ff ....................... fortfolgend gem .................. gemäß H ....................... Heft Hrsg .................. Herausgeber idgF .................. in der geltenden Fassung insb ................... insbesondere iSd .................... im Sinne des iVm ................... in Verbindung mit iZm ................... im Zusammenhang mit KV ..................... Körperverletzung KWG ................. Kommunalwissenschaftliche Gesellschaft LGBl ................. Landesgesetzblatt leg cit ................ legis citatae (=die zitierte Gesetzesstelle) NJW .................. Neue Juristische Wochenschrift OGH ................. Oberster Gerichtshof OÖ .................... Oberösterreich Oö GemO ......... oberösterreichische Gemeindeordnung 1990 LGBl 1990/91 idgF ÖGZ .................. Österreichische Gemeinde-Zeitung ÖJZ ................... Österreichische Juristen-Zeitung PR .................... Public Relations (=Öffentlichkeitsarbeit) RdM .................. Zeitschrift Recht der Medizin RFG .................. Schriftenreihe Recht & Finanzen für Gemeinden 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 6/44
Rspr .................. Rechtsprechung Rz ..................... Randziffer S ....................... Seite sog .................... sogenannt StGB ................. Strafgesetzbuch BGBl 1974/60 idgF StPO ................. Strafprozessordnung BGBl 1975/631 idgF StVO ................. Straßenverkehrsordnung 1960 BGBl 1960/159 idgF Tb ...................... Tatbestand usw ................... und so weiter uvm ................... und vieles mehr VbVG ................. Verbandsverantwortlichkeitsgesetz BGBl I 2005/151 idgF VRV .................. Voranschlags- und Rechnungsabschlussverordnung 2015 .......................... BGBl II 2015/313 idgF VStG ................. Verwaltungsstrafgesetz 1991 BGBl 1991/52 idgF wbl .................... Zeitschrift wirtschaftsrechtliche blätter WK .................... Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch Z ....................... Ziffer zB ..................... zum Beispiel ZVR .................. Zeitschrift für Verkehrsrecht 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 7/44
I. Einleitung Bürgermeister sind immer öfter mit Anzeigen gegen deren Person wegen Amtsmissbrau- ches, Bestechung, Betruges, etc konfrontiert.7 Diese Anzeigen beschränken sich nicht nur auf die Amts- und Korruptionsdelikte, sondern reichen hin bis zu den Fahrlässigkeitsdelik- ten, insbesondere zu Strafbarkeiten wegen fahrlässiger Körperverletzung gem § 88 StGB oder im schlimmsten Fall zur Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gem § 80 StGB. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den letztgenannten Delikten. Auf die Amts- bzw Kor- ruptionsdelikte wird im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen. Die Liste der Vorwürfe gegen den Bürgermeister kann aufgrund seiner vielfältigen Aufga- bengebiete und der daraus entstehenden Verantwortung immens lang werden. Es stellt sich somit die Frage, ob der Bürgermeister in den unten genannten Unfällen für die Folgen strafrechtlich verantwortlich ist, • wenn sich Kinder auf einem öffentlichen Kinderspielplatz verletzen, • wenn Kinder in einem in der Gemeinde befindlichen Teich ertrinken, • wenn ein Wanderer bei der Benutzung eines Wanderweges auf einer Brücke auf- grund des morschen Geländes ausrutscht, drei Meter hinunterfällt und sich dabei verletzt oder • wenn der Bürgermeister für keine ausreichende Sicherheit bei Großveranstaltun- gen sorgt und aufgrund dessen eine große Anzahl von Menschen verletzt bzw ge- tötet worden sind (Loveparade 2010).8 Bevor man sich um die Beantwortung dieser Fragen bemüht, sich also dem eigentlichen Thema der Arbeit – der strafrechtlichen Bürgermeisterhaftung bzw der strafrechtlichen Ver- antwortung – widmet, werden zunächst die Begriffe „Verantwortung“ und „Haftung“ erläu- tert. A. Zum Begriff Verantwortung und Haftung „Verantwortung tragen heiße – so spricht sich das Katholische Soziallexikon aus – Rechen- schaft über ein bestimmtes Handeln und dessen Folgen ablegen zu müssen“. Mit der Über- nahme einer bestimmten Funktion geht die Verpflichtung, seine Tätigkeit der Beurteilung unterziehen zu lassen und sich für ein mögliches Fehlverhalten der normierten Sanktion zu unterwerfen, einher.9 Der Duden beschreibt die Verantwortung als eine, mit einer bestimmten Aufgabe oder einer bestimmten Stellung verbundene, Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass (innerhalb eines be- stimmten Rahmens) alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige 7 Mann, Anzeigen gegen Bürgermeister nehmen zu! https://www.kommunalnet.at/news/einzelansicht/anzei- gen-gegen-buergermeister-nehmen-zu/news/detail.html (abgefragt am 15.10.2019). 8 Reindl-Krauskopf, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Gemeindeorganen am Beispiel des Bürgermeisters, in KWG (Hrsg), Haftung von Bürgermeistern und Gemeindeorganen (2010), 24. 9 Gallent, Verantwortlichkeit der Gemeinde im gerichtlichen und im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren (Nach StGB und VStG) (1995), 13. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 8/44
und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht, bzw als eine Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen.10 Wenn im Zusammenhang mit Bürgermeistern von „Verantwortlichkeit“ die Rede ist, so un- terscheidet man vor allem zwischen der (straf-) rechtlichen und der politischen Verantwor- tung (siehe genauer Seite 16 Punkt 2 „Die verschiedenen Verantwortlichkeiten des Bürger- meisters). Letzteres hat politisches Handeln zum Inhalt. Im Hinblick auf die Gemeinde, ist der Bürgermeister bei der Erfüllung seiner Aufgaben dem Gemeinderat politisch verantwort- lich. Im Folgenden wird hauptsächlich auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit Bezug ge- nommen. Dieser Verantwortlichkeit liegt das Schuldprinzip zugrunde. Nach § 4 StGB ist nur der strafbar, der schuldhaft handelt.11 Die Begriffe „Verantwortung“ und „Haftung“ werden oft als Synonyme verwendet.12 So heißt der Titel der Arbeit „die strafrechtliche Bürgermeisterhaftung“ und meint aber damit den strafrechtlichen Aspekt bzw die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bürgermeisters. B. Aufbau der Arbeit Um die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bürgermeisters zu erfassen, werden zunächst allgemeine Informationen über die Gemeinden, den Begriff Gemeinde, die Gemeindeor- gane, aber insbesondere über den Begriff des Bürgermeisters, dessen Aufgabenvielfalt, etc benötigt. Danach folgt ein Überblick über die, für den Bürgermeister, relevanten Straftatbestände. Dazu zählen die Fahrlässigkeitsdelikte nach § 6 StGB, die Unterlassungsdelikte nach § 2 StGB, sowie das Rechtsinstitut des Verbotsirrtums nach § 9 StGB. Im Punkt III („Pra- xisrelevante Straftatbestände für die Bürgermeisterhaftung“) wird auf die Grenzen einer Strafbarkeit des Bürgermeisters eingegangen. Die Gründe für das Entstehen einer möglichen strafrechtlichen Bürgermeisterhaftung kön- nen vielseitig sein. Die Ursachen, vor allem die Fehler bei der Auswahl bzw Überwachung von Personal oder Fehler bei der Organisation, werden im Rahmen dieser Diplomarbeit aufgezeigt. Zugleich werden auch die Lösungen für die Verhinderung einer strafrechtlichen Verantwortung vorgeschlagen. Am Ende der Diplomarbeit wird – für den tatsächlichen Fall einer strafrechtlichen Haftung – auf den Schutz und die Versicherung eingegangen. 10 https://www.duden.de/rechtschreibung/Verantwortung (abgefragt am 05.11.2019). 11 Gallent, Verantwortlichkeit der Gemeinde im gerichtlichen und im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren (Nach StGB und VStG), 16. 12 Gallent, Verantwortlichkeit der Gemeinde im gerichtlichen und im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren (Nach StGB und VStG), 16. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 9/44
II. Das Gemeinderecht A. Allgemeines Jedes Land ist in Gemeinden unterteilt. Die Gemeinden stellen die unterste territoriale Or- ganisationsstufe des Staatsgebietes dar. Ein gemeindefreies Gebiet gibt es gem Art 116 Abs 1 B-VG nicht.13 1. Die Gemeinde als Gebietskörperschaft Die Gemeinden als Gebietskörperschaften wurden als dritte Ebene des Bundesstaates ge- schaffen, um das erhebliche Übergewicht des Bundes hinsichtlich der Rechtsstellung und Kompetenzen gegenüber den Ländern auszugleichen. Die Stellung der Gemeinden ist den- noch eingeschränkt. Sie haben keinen Anteil an der Gesetzgebung oder an der Gerichts- barkeit, sondern sind lediglich Träger der Verwaltung. Die Aufgaben werden vom Bund und Land abgeleitet, sind diesen zurechenbar und stehen je nach Zuordnung unter deren Aufsicht.14 2. Die Gemeinde als Selbstverwaltungskörper Die Gemeinde als Selbstverwaltungskörper besitzt einen eigenen Wirkungsbereich. In die- sem Bereich ist die Gemeinde weisungsfrei, besorgt also ihre Aufgaben eigenverantwort- lich. Die Gemeinde untersteht allerdings dabei der staatlichen Aufsicht.15 Nach Art 118 Abs 2 B-VG umfasst der eigene Wirkungsbereich alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten Ge- meinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinde innerhalb ihrer örtlichen Gren- zen besorgt zu werden. Für die Beurteilung des eigenen Wirkungsbereiches wird als Maß- stab die „abstrakte Einheitsgemeinde“ herangezogen. Jede Gemeinde besitzt daher unab- hängig von ihrer Größe den gleichen eigenen Wirkungsbereich. Art 118 Abs 3 B-VG enthält eine demonstrative Aufzählung, welche Angelegenheiten je- denfalls zum eigenen Wirkungsbereich gehören, wie etwa nach Z 3 die örtliche Sicherheits- polizei oder die örtliche Baupolizei nach Z 9. Diese Angelegenheiten müssen ausdrücklich vom Gesetzgeber angeordnet und als solche des eigenen Wirkungsbereiches bezeichnet werden.16 Die Gemeinde hat in diesem Bereich das Recht ortspolizeiliche Verordnungen zur Abwehr von unmittelbar bevorstehenden oder zur Beseitigung von bereits bestehenden Missstän- den, die das örtliche Gemeinschaftsleben stören, zu erlassen (siehe Art 118 Abs 6 B-VG). Diese Verordnungen dürfen allerdings nicht gegen bereits bestehende Gesetze oder Ver- ordnungen des Bundes bzw Landes verstoßen. Sie haben somit nur gesetzesergänzenden Charakter.17 13 Leitl-Staudinger, Einführung ins öffentliche Recht6 (2018) Rz 18/10. 14 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 (2019) Rz 540. 15 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 543. 16 Leitl-Staudinger, Einführung ins öffentliche Recht 6 Rz 18/33 – 18/37. 17 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 547. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 10/44
Als Ausgleich zur Weisungsfreiheit der Gemeinde erhalten der Bund oder die Länder ein Aufsichtsrecht nach Art 119a B-VG. Diese Gemeindeaufsicht kommt je nach der Kompe- tenzverteilung dem Bund oder den Ländern zu. Diese Aufsicht ist eine Rechtsaufsicht und beschränkt sich auf die Rechtmäßigkeit der Gemeindeakte. Darüber hinaus kann das Land gem Abs 2 leg cit die Akte der Gemeinde auf ihre Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit überprüfen.18 3. Die Gemeinde als Verwaltungssprengel Während die Gemeinde als Selbstverwaltungsträger die Aufgaben im eigenen Wirkungs- bereich besorgt, ist sie als Verwaltungssprengel mit den Aufgaben des übertragenen Wir- kungsbereiches betraut. Hier wird die Gemeinde unter den Weisungen von Bundes- oder Landesorganen funktionell als Bundes- oder Landesbehörde tätig.19 Welche Aufgaben in den übertragenen Wirkungsbereich fallen, bestimmen die Bundes- und Landesgesetze. Der Bürgermeister wurde als Organ des übertragenen Wirkungsberei- ches eingerichtet. Dieser wird funktionell entweder als Bundes- oder als Landesbehörde tätig.20 B. Organisation der Gemeinde – Gemeindeorgane Die Organisation der Gemeinden wird durch die Oö GemO geregelt. Die Bundesverfassung sieht in Art 117 Abs 1 B-VG jedenfalls folgende Gemeindeorgane vor: Zunächst setzt das Gesetz die Bildung eines Gemeinderates voraus. Dieser wird direkt von den Gemeindebürgern als allgemeiner Vertretungskörper gewählt. Die vom Gemeinderat gewählten Mitglieder bilden den Gemeindevorstand, welcher bei Stadtgemeinden als Stadtrat und bei Statutarstädten als Stadtsenat bezeichnet wird. Der Bürgermeister als weiteres gesetzlich vorgeschriebenes Pflichtorgan einer Gemeinde wird nach der Bundesverfassung vom Gemeinderat gem Art 117 Abs 6 B-VG gewählt. Eine Direktwahl durch die wahlberechtigten Bewohner ist nach den Landesverfassungen aller- dings möglich.21 So findet in Wien, in Niederösterreich und in der Steiermark die Wahl des Bürgermeisters durch den Gemeinderat statt. Alle anderen Bundesländer wählen den Bürgermeister di- rekt.22 Als gemeinsame Dienststelle für alle Gemeindeorgane sieht die Bundesverfassung in Art 117 B-VG das Gemeindeamt (Stadtamt bei Stadtgemeinden, Magistrat bei Statutarstäd- ten) vor. Dieses ist mit der Führung der Geschäfte der Gemeinde betraut.23 Ergänzend zu den eben erwähnten Organen findet sich in der Oö GemO die Möglichkeit, diverse Ausschüsse als Gemeindeorgan einzurichten.24 18 Leitl-Staudinger, Einführung ins öffentliche Recht6 Rz 18/41 – 18/44. 19 Leitl-Staudinger, Einführung ins öffentliche Recht6 Rz 18/17. 20 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 551. 21 Leitl-Staudinger, Einführung ins öffentliche Recht 6 Rz 18/22 – 18/27. 22 https://gemeindebund.at/unsere-buergermeister-innen/ (abgefragt am 20.02.2020). 23 Leitl-Staudinger, Einführung ins öffentliche Recht 6 Rz 18/22 – 18/27. 24 Eckschlager, Rechte und Pflichten der Gemeindevertreter, RFG 2013, 15. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 11/44
Das Modell der Gemeinden folgt dem Muster der demokratischen Republiken, mit einem Parlament (dem Gemeinderat), einer Regierung (dem Gemeindevorstand) und einem Prä- sidenten (dem Bürgermeister). Für die Ausübung der Aufgaben im eigenen Wirkungsbe- reich sind der Bürgermeister, der Gemeindevorstand, sowie alle anderen bestellten Organe dem Gemeinderat (politisch) verantwortlich.25 1. Organwalter Zur Herstellung der Handlungsfähigkeit der Organe sowie zur Erfüllung ihrer Aufgaben be- darf es physischer Personen. Diese Personen werden als Organwalter bezeichnet und kön- nen entweder als Mitglied eines Kollegialorgans, wie bspw des Gemeinderates, oder auch als Einzelorgan fungieren, wie bspw die Funktion des Bürgermeisters. Der Begriff „Organ- walter“ wird meist dem Begriff „Organ“ gleichgesetzt. Im Hinblick auf die Erfüllung der Aufgaben unterscheidet man zwischen Organen mit und ohne selbstständiger Entscheidungsbefugnis. Organe mit selbstständiger Entscheidungs- befugnis werden auch als selbstständige Organe bezeichnet. Darunter fällt auch das Amt des Bürgermeisters, sowie der Gemeinderat und der Gemeindevorstand. Ihre selbststän- dige Entscheidungsbefugnis wird vor allem durch die Kompetenz, Bescheide und Verord- nungen erlassen zu können, ersichtlich. Das Gemeindeamt, sowie die Ausschüsse sind als unselbstständige Organe ohne Entscheidungsbefugnis zu verstehen. Sie haben aus- schließlich die Funktion als Hilfsapparat inne, in dem sie die selbstständigen Organe unter- stützen. Dabei haben sie für die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse und Ent- scheidungen zu sorgen.26 2. Aufgaben der Gemeindeorgane a) Aufgabenvielfalt Zu den Aufgaben der Gemeindeorganen zählen ausschließlich Verwaltungsaufgaben, da den Gemeinden kein Anteil an der Gesetzgebung und der Gerichtsbarkeit zukommt. Die Bandbreite der Verwaltungsaufgaben ist in der VRV 1997 nach funktionellen Kriterien er- sichtlich. Die Gemeinde übernimmt neben der allgemeinen Verwaltung noch Aufgaben im Bereich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, des Unterrichts, der Erziehung und des Sports, sowie im Bereich der Straßenverwaltung. Die kommunalen Dienstleistungen, wie die Verwaltung der Müllbeseitigung, der Friedhöfe, der Frei- und Hallenbädern, der Grund- stücke und Liegenschaften, stellen einen weiteren großen Aufgabenbereich der Gemein- den dar.27 25 Funk, Die rechtliche Situation der Bürgermeister und Amtsleiter, RFG 2008/24. 26 Eckschlager, RFG 2013, 15. 27 Leitl-Staudinger, Aufgaben der Gemeindeorgane in Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung, in KWG (Hrsg), Haftung von Bürgermeistern und Gemeindeorganen (2010), 3. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 12/44
b) Differenzierung der Aufgaben zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwal- tung Die Gemeinde hat ihre Aufgaben entweder im Rahmen der Hoheitsverwaltung durch das Setzen von Hoheitsakten oder im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung durch Hand- lungsformen, die auch jeden Privaten offenstehen, zu erledigen. Die Differenzierung spielt im Strafrecht bzw bei strafrechtlichen Haftungsfragen eine wichtige Rolle, da gewisse Straf- normen einen Akt der Hoheitsverwaltung voraussetzen, so zB der Amtsmissbrauch nach § 302 StGB. Andersrum verlangt das VbVG nach § 1 Abs 3 Z 2 leg cit für eine Strafbarkeit der Gemeinde als Verband, dass diese nicht in Vollziehung der Gesetze, sprich nicht ho- heitlich gehandelt hat.28 Die schadensverursachende Handlung ist somit entweder der Ho- heits- oder der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen. Es kommt nicht auf den Zweck und Inhalt der Tätigkeit an, sondern primär darauf, ob das Handeln „in Vollziehung der Gesetze“ erfolgt. Werden somit hoheitliche Mittel eingesetzt, ist die Zuteilung zur Hoheitsverwaltung unproblematisch.29 Die Vielzahl der Angelegenheiten, die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung zu erle- digen sind, findet man in den unterschiedlichen Gemeindeordnungen und Stadtrechten. Zu nennen sind: der Erwerb und die Veräußerung von Grundstücken, die Vergabe von Lie- ferungen und Arbeiten, der Abschluss und die Auflösung von Dienstverhältnissen, die Er- richtung von Neu- und Umbau von Gemeindebauten, der Abschluss oder die Auflösung von allgemeinen privatrechtlichen Verträgen, uvm. Die privatwirtschaftlichen Tätigkeiten, wie zB die Errichtung und die Betreibung von Kinder- gärten und Krankenhäuser, sind ebenso der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen.30 Die Gemeinden sind somit iSd Art 17 B-VG und Art 116 Abs 2 B-VG Träger von Privatrech- ten. Sie können demnach auch Eigentümer von Sachen, Grund und Boden sein. Diese Grundflächen können und sollen iSd öffentlichen Interesses der Allgemeinheit zur Verfü- gung gestellt werden, sei es als Wanderwege, als Schwimmteiche oder als Spielplätze. Dieses sog „öffentliche Gut“ kann von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den vorgesehenen Zweck benutzt werden. Es besteht ein „Gemeingebrauch“. Das öffentliche Gut liegt im Privateigentum der Gemeinde und stellt demnach Privatwirtschafverwaltung dar.31 Nicht zu vergessen ist daher, dass die Erhaltung und die Verwaltung des öffentlichen Gutes (zB Straßen, Wege, Plätze, Brücken, Wasserwege, etc) eine Angelegenheit der Privatwirt- schaftsverwaltung ist. Die Beschaffung der für die Gemeindeorganisation notwendigen Sachmittel wird ebenso zur Privatwirtschaftsverwaltung gezählt.32 c) Aufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungsbereich Wie bereits unter Punkt II „Das Gemeinderecht“ erläutert, teilen sich die Aufgaben der Ge- meinde ebenso in einen eigenen und übertragenen Wirkungsbereich. 28 Lehmkuhl/Zeder in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 1 VbVG Rz 23. 29 Leitl-Staudinger in KWG, 3 f. 30 Eypeltauer/Strasser, Die Haftung der Organe und der Bediensteten der Gemeinden (1987), 14. 31 Trauner, Benutzbarkeit von Wanderwegen für die Allgemeinheit (2003), 12. 32 Eypeltauer/Strasser, Die Haftung der Organe und der Bediensteten der Gemeinden, 14. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 13/44
Die im übertragenen Wirkungsbereich zu erledigenden Aufgaben sind immens vielfältig. Sie beinhalten aufgrund der strengen Bindung an das Legalitätsprinzip gem Art 18 B-VG hin- sichtlich der Art und Weise der Aufgabenerfüllung nur einen kleinen Gestaltungsspielraum für die Gemeinden. Die staatlichen Behörden können das Verwaltungshandeln durch Wei- sungen auch vollständig determinieren und so den Spielraum gänzlich ausschließen. Die Aufgaben des übertragenen Wirkungsbereiches sind ausschließlich hoheitlicher Natur. Demnach ist die Übertragung von Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes bzw der Länder in den übertragenen Wirkungsbereich ausgeschlossen. Die haftungsrecht- lichen Konsequenzen ergeben sich beim übertragenen Wirkungsbereich daraus, dass der Bürgermeister bzw die von ihm mit Aufgaben beauftragten Organe nicht nur zum Rücker- satz an den Bund oder die Länder verpflichtet sein können, sondern auch bei einem vor- sätzlichen oder grob fahrlässigen Verstoß gegen Gesetze, Verordnungen oder Weisungen ihres Amtes enthoben werden können (Art 119 Abs 4 B-VG).33 Zusätzlich zu der gerade genannten rechtlichen Verantwortlichkeit kann noch eine straf- rechtliche Haftung des Bürgermeisters und/oder der von ihm beauftragten Organe hinzu- treten.34 Der eigene Wirkungsbereich umfasst neben den oben genannten Angelegenheiten (Punkt II „Das Gemeinderecht“) auch Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung. Die Aufzählung, der in den eigenen Wirkungsbereich fallenden Angelegenheiten, nach Art 118 B-VG ist bloß demonstrativ, somit nicht abschließend. Der Gesetzgeber wollte dadurch die Entwicklungsmöglichkeiten des eigenen Wirkungsbereiches einer Gemeinde nicht einschränken, sondern vielmehr auf soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Ver- änderungen Rücksicht nehmen. Durch die Generalklausel soll die Funktion der Gemeinde als „primäre Anlaufstelle des öffentlichen Lebens“ beibehalten werden. Den größten Spielraum hat die Gemeinde im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung. Hier kann die Gemeinde auf die Bedürfnisse der Gemeindebewohner und die Veränderungen eingehen.35 d) Stellung der Organe zueinander sowie Aufgabenverteilung Das Amt des Bürgermeisters, der Gemeinderat und der Gemeindevorstand gehören zur Mindestausstattung der Gemeinde. Bezüglich der Stellung zueinander legt die Bundesver- fassung folgende Grundsätze fest: Der Gemeinderat hat die Funktion als allgemeiner Ver- tretungskörper inne. Bestimmte Aufgaben des Gemeinderates werden bereits durch die Verfassung abgeleitet. So hat der Gemeinderat nach Art 118 Abs 4 B-VG den Beschluss über den Voranschlag und den Rechnungsabschluss zu fassen. Die zentrale Rolle, die der Gemeinderat einnimmt, ergibt sich aber vor allem durch die politische Verantwortlichkeit des Bürgermeisters und der Mitglieder des Gemeindevorstandes gegenüber dem Gemein- derat (Art 118 Abs 5 B-VG). Die Mitglieder des Gemeindevorstandes setzen sich aus den im Gemeinderat vertretenen Parteien nach Maßgabe ihrer Stärke zusammen. Der Bürgermeister kann einzelnen Mit- gliedern des Gemeindevorstandes Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches 33 Leitl-Staudinger in KWG, 6. 34 Neuhofer, Gemeinderecht2 (1998), 323. 35 Leitl-Staudinger in KWG, 7. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 14/44
übertragen. Die Aufgabenerfüllung erfolgt dabei im Namen des Bürgermeisters. Die Mitglie- der sind an dessen Weisungen gebunden und diesem gegenüber verantwortlich. Bezüglich des Bürgermeisters regelt die Bundesverfassung bloß die Zuständigkeit für An- gelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches (Art 119 Abs 2 B-VG). Die Verfassung sieht nur diese Grundsätze vor. Der Landesgesetzgeber hat somit eine genaue Aufgabenverteilung vorzunehmen, die Verhältnisse der Gemeindeorgane zueinan- der zu bestimmen und die Kräfteverhältnisse festzulegen.36 Eine Aufgabenteilung ist im Gemeindebereich unvermeidbar. Die Aufteilung sollte nach sachspezifischen Gesichtspunkten auf die verschiedenen Organe zur Erreichung der zu verfolgenden Ziele vorgenommen werden und dabei vor allem gewährleisten, dass eine schnellere Entscheidung getroffen, die Effektivität sichergestellt und eine bessere Kontrolle der Organe garantiert werden kann.37 Die Aufgabenverteilung an einzelne Organe der Gemeinde bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Dies ist zunächst bereits aus Art 18 Abs 1 B-VG ersichtlich, wonach die Aus- übung der gesamten staatlichen Verwaltung nur auf Grund der Gesetze erfolgen darf. Dar- über hinaus würde auch die Inanspruchnahme einer Zuständigkeit durch ein Gemeindeor- gan ohne die entsprechende gesetzliche Ermächtigung gegen den Grundsatz des gesetz- lichen Richters nach Art 83 Abs 2 B-VG verstoßen.38 C. Zum Begriff des Bürgermeisters Der Bürgermeister ist in einer Gemeinde die Zentralfigur. Nicht nur durch die Politik, son- dern auch durch die Medien und die Augen der Gemeindebewohner wird der Bürgermeister in diese Rolle gedrängt. Er steht meist stellvertretend für alles Geschehene in der Ge- meinde und zwar unabhängig davon, ob er darauf Einfluss nehmen kann.39 Vor allem in der Wahrnehmung der Gemeindebürger kommt dem Bürgermeister eine gera- dezu herausragende Position zu. Denn durch den Bürgermeister wird die Gemeindeverwal- tung „physisch greifbar“. Er ist Vermittler sowohl zwischen Gemeindeverwaltung und Bür- ger, als auch zwischen Gemeinde und staatlicher Verwaltung.40 Die Ausübung des Bürgermeisteramtes ist schon lange keine Aufgabe von bloßer Reprä- sentation mehr. Die Belastung des Bürgermeisters wird immer größer. Ein Grund dafür ist, dass immer mehr Klagen gegen die Bürgermeister bei Gericht erhoben werden. Diese werden in ihrer Funktion als Baubehörde, Sicherheitsverantwortliche oder als Veran- staltungsbehörde privatrechtlich und/oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.41 36 Hattenberger, Die Rechtsstellung des Bürgermeisters, in Rebhan (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Gemeinde- recht (1998), 95 f. 37 Steiner, Rechtsstellung und Aufgaben der Gemeindeorgane, in Klug/Oberndorfer/Wolny (Hrsg), Das öster- reichische Gemeinderecht (2008) Rz 10. 38 Neuhofer, Gemeinderecht2, 146 f. 39 Haidvogl/Hallbauer, Gemeinderecht für Praktiker verständlich erklärt 2 (2017), 72. 40 Hattenberger in Rebhan, Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht, 84. 41 Gastinger, Herausforderung Bürgermeisteramt, Kommunal, Ausgabe 7/8 (2011), 11 ff. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 15/44
Die politischen Tätigkeiten werden somit immer riskanter. Dies zeigt auch jener Fall in Ös- terreich, bei dem zwei Bürgermeister in erster Instanz strafrechtlich wegen fahrlässiger Kör- perverletzung verurteilt worden sind. Wird diese bezirksgerichtliche Entscheidung42 zur Leit- linie aller österreichischen Gerichte, so steht eine Gemeinde zukünftig vor der großen Her- ausforderung, Personen, die sich noch für das Amt des Bürgermeisters zur Verfügung stel- len, zu finden.43 Die steigende Anzeigebereitschaft gegen Bürgermeister hat auch eine fatale Auswirkung in Bezug auf die Gemeindebewohner und deren Freizeit sowie auf den Tourismus, denn es kann zu Schließungen von Bädern, Wegen uvm kommen, um so den Bürgermeister als Verantwortlichen vor strafrechtlicher Verurteilung zu schützen.44 1. Rechtliche Stellung des Bürgermeisters Wie bereits unter Punkt II „Das Gemeinderecht“ erläutert, ist die Gemeinde einerseits ein Selbstverwaltungskörper und andererseits ein Verwaltungssprengel. Diese Doppelrolle spielt auch bei der Rechtsstellung des Bürgermeisters eine wichtige Rolle. Im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde ergibt sich die Rechtsstellung des Bürgermeis- ters zum einen durch die ihm zukommenden Aufgaben und zum anderen durch das Ver- hältnis zu den anderen Gemeindeorganen. Es bestehen Über- und Unterordnungsbezie- hungen aufgrund instanzenmäßiger Überordnung und der Befugnis, Weisungen oder Auf- träge an andere Gemeindeorgane zu erteilen. Dieses Beziehungsgefüge ist gerade ein Charakteristikum der Gemeinde, denn der Gemeinderat, der Bürgermeister und der Ge- meindevorstand sind organisatorisch besonders eng miteinander verflochten.45 So übernimmt der Bürgermeister die Rolle des Vorsitzenden im Gemeinderat sowie auch im Gemeindevorstand. Er beruft die Sitzungen des Gemeinderates und des -vorstandes ein, ist für die Bestimmung der Tagesordnung, der Eröffnung und Leitung der Sitzung sowie der Durchführung der gefassten Beschlüsse zuständig. Weiters ist der Bürgermeister auch Vorstand des Gemeindeamtes und Vorgesetzter der Gemeindebediensteten.46 Im übertragenen Wirkungsbereich kommt dem Bürgermeister die Position des Trägers der Verwaltung zu. Hier ist er ausschließlich den Behörden der staatlichen Verwaltung gegen- über verantwortlich und weisungsgebunden.47 2. Die verschiedenen Verantwortlichkeiten des Bürgermeisters Dem Bürgermeister können im Rahmen seiner Dienstausübung mehrere Verantwortlichkei- ten treffen. Zu nennen sind hier vor allem die politische, die rechtliche, die strafrechtliche und die finanzielle Verantwortung.48 42 BG Thalgau 20.05.2009, 9 U 38/08t. 43 Huber, Müssen Bürgermeister wegen morscher Geländer bluten? Kommunal 10/2009, 8 ff. 44 Huber, Kommunal 10/2009, 8 ff. 45 Hattenberger in Rebhan, Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht, 85 f. 46 Neuhofer, Gemeinderecht2, 164 f. 47 Hattenberger in Rebhan, Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht, 85 f. 48 Trauner, Der direkt gewählte Bürgermeister (2001), 125. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 16/44
Die politische Verantwortung hat den Entzug des politischen Vertrauens, zugleich auch meist den Verlust des Amtes, zur Folge. Diese Konsequenzen treten unabhängig davon ein, ob der Bürgermeister ein Gesetz verletzt hat. Wie bereits erwähnt, ist der Bürgermeister gegenüber dem Gemeinderat politisch verantwortlich. Der Gemeinderat kann demnach den Bürgermeister das Vertrauen entziehen und ihn somit abberufen.49 Anders gestaltet sich dies bei der rechtlichen Verantwortung. Hier verletzt der Bürgermeis- ter eine Rechtsvorschrift, indem er sich pflichtwidrig verhält. Ob ein schuldhaftes Verhalten als Voraussetzung für den Amtsverlust hinzutreten muss, steht der Rechtsordnung frei. So kann der Bürgermeister vom Landeshauptmann gem Art 119 Abs 4 B-VG wegen einer Verletzung eines Gesetzes bei der Ausübung der Angelegenheiten des übertragenen Wir- kungsbereiches seines Amtes enthoben werden (=schuldhaftes Verhalten). Die Aufgabe des Wohnsitzes in der Gemeinde kann ebenso unter Umständen ein Grund für das Auslö- sen einer rechtlichen Verantwortung sein (=kein schuldhaftes Verhalten).50 Die wohl bedeutsamste Verantwortung ist die strafrechtliche Verantwortung, da hier die Sanktionen das Leben am meisten beeinflussen. Es kann zu Verurteilungen von hohen Geldstrafen oder im äußersten Fall zu Freiheitsstrafen kommen.51 Neben den bereits genannten Verantwortungen kann auch noch eine finanzielle Verantwor- tung in Frage kommen. Hier haftet der Bürgermeister für den Ausgleich von Vermögens- schäden, die bei dritten Personen durch die rechtswidrigen und schuldhaften hoheitlichen Handlungen von Verwaltungsorganen entstanden sind (=Amts- und Organhaftung). 52 3. Aufgaben des Bürgermeisters Eine erschöpfende Aufzählung der Aufgaben des Bürgermeisters ist beinahe unmöglich. Ein Grund dafür ist vor allem der Umfang des Aufgabenspektrums, aber auch die Art der Kompetenzzuweisung, da die Kompetenzen des Bürgermeisters durch viele verschiedene Landesmateriengesetze festgelegt werden.53 Die Aufgaben des Bürgermeisters sind demnach immens vielfältig. Zunächst ist der Bür- germeister nach § 58 Abs 1 Oö GemO 1990 mit der Vertretung der Gemeinde nach außen betraut.54 Diese unbeschränkte Außenvertretungsbefugnis entbindet allerdings den Bürger- meister nicht, die erforderlichenfalls benötigte gemeindeinterne Zustimmung einzuholen.55 Abs 2 leg cit normiert noch weitere Aufgaben des Bürgermeisters im eigenen Wirkungsbe- reich. Hervorzuheben sind folgende Aufgaben: Nach Z 1 ist der Bürgermeister für die Besorgung der behördlichen Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, einschließlich der Handhabung der Ortspolizei, zustän- dig. Z 2 normiert das Recht des Bürgermeisters Notanordnungen iSd § 60 leg cit zu erlas- sen. Der Bürgermeister verwaltet nach Z 4 das Gemeindeeigentum, veräußert nach Z 7 49 Trauner, Der direkt gewählte Bürgermeister, 125. 50 Trauner, Der direkt gewählte Bürgermeister, 125 f. 51 Trauner, Der direkt gewählte Bürgermeister, 126. 52 Trauner, Der direkt gewählte Bürgermeister, 126 f. 53 Hattenberger in Rebhan, Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht, 101 f. 54 Neger, Kompetenz des Bürgermeisters in Ausübung der laufenden Verwaltung der Gemeinde – Was darf der Bürgermeister – was darf er nicht? RFG 2018/14, 76. 55 Leitl-Staudinger in KWG, 8. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 17/44
bewegliche Sachen und vergibt Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge bis zu einem Ge- samtbetrag von EUR 2.000,-. Der Bürgermeister hat aufgrund des geringen Mindestbetrages für die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nur einen geringen Gestaltungsspielraum und benötigt daher für große Investitionen (zB Teicheinzäunungen über EUR 2.000,-) einen Beschluss bzw die Zustimmung des Gemeinderates.56 So hätte der Bürgermeister in dem im Vorwort genannten Ausgangsfall in Deutschland die Entscheidung über die Einzäunung des Teiches nicht alleine treffen können. Dafür hätte ein Beschluss des Magistrates (in Österreich des Gemeinderates) eingeholt werden müs- sen.57 Viele Aufgaben im Bereich der öffentlichen Sicherheit, des Unterrichts, des Sports, der Stra- ßenverwaltung und des Verkehrswesens werden unter der Leitung des Bürgermeisters aus- geübt. Der Bereich der kommunalen Dienstleistungen übernimmt einen großen Teil der Aufgabenvielfalt des Bürgermeisters. Dazu zählt vor allem die Wasserversorgung, die Müll- beseitigung, die Friedhofsverwaltung, die Verwaltung von Gemeindebädern, Grundstücken und Liegenschaften.58 Daraus ergibt sich, dass nicht nur die Liste der Vorwürfe gegen den Bürgermeister (siehe Einleitung) lang werden kann, sondern auch, dass die Liste der Kompetenzen des Bürger- meisters einen großen Teil zur Unübersichtlichkeit der strafrechtlichen Verantwortung bei- trägt. 4. Haftungsrisiken des Bürgermeisters Der Bürgermeister wird als Vertreter der Bewohner einer Gemeinde gewählt. Er genießt in diesem Zusammenhang ein hohes Maß an Vertrauen, was zugleich eine große Verantwor- tung, für sein Handeln oder sein Nicht-Handeln einzustehen, mit sich bringt. Diese Verantwortung zeigt sich nicht nur in der Form des Rede- und Antwortstehens, son- dern reicht hin bis zu Sanktionen, wie dem Mandatsverlust oder strafrechtlichen Verurtei- lungen.59 Um die Vielfalt der Aufgaben bewältigen zu können, muss der Bürgermeister mit einer gro- ßen Anzahl von Kenntnissen ausgestattet sein. Er muss sich über alle seine Kompetenzen und seine Aufgaben genauestens informieren. Bürgermeister kommen daher mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Rechtsmeinungen, Gesetzen, Verordnungen, uvm in Kontakt.60 Dem Bürgermeister können daher folgende unterschiedliche Haftungen treffen: Die in der Praxis wohl relevanteste Haftung stellt die zivilrechtliche dar. Das Hauptaugen- merk der Haftung im Zivilrecht ist das Schadenersatzrecht nach dem ABGB. Für den Be- reich der Hoheitsverwaltung findet man diesbezüglich auch Vorschriften im Amtshaftungs- bzw im Organhaftpflichtgesetz.61 56 Neger, RFG 2018/14, 76. 57 https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/tod-im-dorfteich-warten-auf-den-prozess-16238993.html (abgefragt am 15.10.2019). 58 Gastinger, Kommunal, Ausgabe 7/8, 11 ff. 59 Eckschlager, RFG 2013, 36. 60 Gastinger, Kommunal, Ausgabe 7/8, 13 f. 61 Gastinger, Kommunal, Ausgabe 7/8, 13 f. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 18/44
Ebenso kommt eine öffentlich-rechtliche Haftung in Betracht. Es besteht hierbei zB eine Verantwortlichkeit des Bürgermeisters gegenüber dem Gemeindevolk. Dieses ist zur Ab- wahl des Bürgermeisters befugt. Dem Bürgermeister trifft auch eine Haftung für Angelegen- heiten des materiellen Verwaltungsrechts. Er hat sich für die Gefahren bei umstrittenen Bauvorhaben oder für Angelegenheiten des Sozialrechts bzw Sozialversicherungsrechts zu verantworten. Für Letzteres ist der Bürgermeister als Vorgesetzter für alle Gemeindemitar- beiter zuständig. Er hat dafür zu sorgen, dass alle arbeitsrechtlichen und arbeitsschutz- rechtlichen Vorschriften eingehalten werden.62 Die letzte Haftung, die den Bürgermeister treffen kann, ist die strafrechtliche. Eine straf- rechtliche Haftung setzt immer ein persönliches Fehlverhalten voraus. Ausgangspunkt ist das Erfüllen eines Tatbestandes einer gesetzlich strafrechtlichen Norm und das Verletzen von Sorgfaltspflichten.63 So verpflichten viele Gesetze den Bürgermeister zu einem bestimmten Tun oder Unterlas- sen, zB hat die Gemeinde nach den Straßengesetzen für eine Schneeräumung der Straßen und für einen Streudienst zu sorgen. Kommt der Bürgermeister dieser Sorgfaltspflicht nicht nach bzw unterlässt er diese, so kann es unter Umständen zu einer strafgerichtlichen Ver- urteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 StGB kommen, wenn eine Person aufgrund der fehlenden Kiesstreuung auf dem Glatteis der Straße ausrutscht und sich dabei verletzt (zur Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen siehe unten bei Punkt III „pra- xisrelevante Straftatbestände für die Bürgermeisterhaftung“, genauer unter B „Unterlas- sungsdelikte“).64 Die genannten Haftungen schließen einander nicht aus. Um diese Haftungsrisiken zu mini- mieren, empfiehlt es sich für den Bürgermeister Aus- und Weiterbildungen, sowie rechtliche Schulungen zu besuchen. Weiters ist für eine Haftungsbegrenzung eine eventuelle Umge- staltung der Aufbau- und Ablauforganisation in der Gemeinde von Vorteil. Dies könnte zB durch die Einführung von internen Kontrollsystemen geschaffen werden.65 Im Folgenden wird ausschließlich auf die strafrechtliche Haftung Bezug genommen (siehe unten bei Punkt IV „Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bürgermeisters“). 62 Weber, Die Haftung des Bürgermeisters: Öffentlichrechtliche Aspekte, in KWG (Hrsg), Haftung von Bürger- meistern und Gemeindeorgane (2010), 64; 69 f; 72. 63 Gastinger, Kommunal, Ausgabe 7/8, 14. 64 Neuhofer, Gemeinderecht2, 206 f. 65 Gastinger, Kommunal, Ausgabe 7/8, 11 ff. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 19/44
III. Praxisrelevante Straftatbestände für die Bürgermeisterhaftung A. Fahrlässigkeitsdelikte In dieser Arbeit wird ausschließlich auf Fahrlässigkeitsdelikte und fahrlässig begangene Unterlassungsdelikte Bezug genommen. Vorsätzliches Handeln der Organe wird ausge- schlossen, da sich die in der Einleitung genannten Fälle hauptsächlich auf sorgfaltswidrige Handlungen beziehen und Wissentlichkeit oder sogar Absicht den Organen nicht unterstellt wird. Im StGB finden sich nur wenige Fahrlässigkeitsdelikte. Die in der Praxis relevantesten De- likte, darunter zählt vor allem die fahrlässige Tötung gem § 80 StGB und die fahrlässig Kör- perverletzung gem § 88 StGB, befinden sich im ersten Abschnitt des StGB.66 Bei beiden Delikten handelt es sich um strafbare Handlungen gegen Leib und Leben. Das geschützte Rechtsgut bei der fahrlässigen Tötung ist das menschliche Leben, bei der fahrlässigen Kör- perverletzung die körperliche Integrität.67 Bei § 88 StGB handelt es sich – wie auch bei § 80 StGB – um ein Allgemeindelikt. Dieses kann somit von jedermann, der fahrlässig iSd § 6 StGB handelt und durch sein fahrlässiges Verhalten einen Erfolg (Körperverletzung bzw Tod) in zurechenbarer Weise herbeiführt, be- gangen werden.68 1. Allgemeines Die Legaldefinition von „fahrlässigem Handeln“ ist in § 6 Abs 1 StGB zu finden: „Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen ver- pflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tat- bild entspricht.“ Bei Fahrlässigkeitsdelikten bedroht das Gesetz fahrlässiges Handeln mit Strafe.69 2. Elemente des Fahrlässigkeitsdeliktes Das Fahrlässigkeitsdelikt besteht aus vier Elementen. Zunächst aus einer objektiv sowie subjektiv sorgfaltswidrigen Handlung und aus einem objektiv sowie subjektiv voraussehba- ren Erfolg.70 66 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016) Z 25 Rz 2. 67 Birklbauer/Hilf/Tipold, BT I4 (2017) § 80 Rz 5; § 88 Rz 3. 68 Tipold, Nadelstichverordnung und gerichtliches Strafrecht – Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Führungs- kräften bei mangelnder Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen, RdM 2015/4, 13. 69 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 Z 9 Rz 17. 70 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 Z 25 Rz 6 ff. 30. Dezember 2020 Teresa Kliemstein 20/44
Sie können auch lesen