Digital + geschlechtergerecht - Digitaler Strukturwandel und Geschlechterverhältnisse - Katholische Sozialakademie ...

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Digital + geschlechtergerecht - Digitaler Strukturwandel und Geschlechterverhältnisse - Katholische Sozialakademie ...
01 | 2019

              digital +
         geschlechtergerecht

SCHWERPUNKT                    EINSCHÄTZUNG      PUNKT_GENAU

Digitaler Strukturwandel       Genderkompetenz   Digitale Technologien –
und Geschlechterverhältnisse   in Startups       Ethische Prinzipien
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    Herstellerin: Medienfabrik Graz GmbH,
    Dreihackengasse 20, 8020 Graz
    Herstellungsort: 8020 Graz
    Verlagsort: 1010 Wien
    Blattlinie:
    Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen
    Sozialakademie Österreichs zu Fragen des
    gesellschaftlichen Lebens entsprechend dem in
    ihrem Statut definierten Auftrag und den Kriterien
    der Sozialdokumente des kirchlichen Lehramtes.       Bildnachweis:
    Es werden keine Beteiligungen an Medienunter-        Titelbild: maximmmmum, shutterstock
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    Margit Appel, Gerlinde Schein                        S.13: © Heike Wiesner (Foto), © Elif Erol (Grafik)
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    Alle: Schottenring 35/DG, 1010 Wien                  S.19: pixel2013, pixabay
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ZUM DOSSIER                                       INHALT

digital +                                         4 gestaltungs_räume          16 Digitalisierung
                                                      Digitalisierung?            innovativ und gender-
geschlechter                                          Grundeinkommen!             gerecht gestalten
                                                      Frauenbranche?
gerecht                                               Männerbranche?           18 praxis_nah
                                                      Wohin geht die Reise?         Der AMS-Algorithmus
                                                                                    Algorithmen in der
                                                  6 Digitaler Struktur-             Personalauswahl
Anstöße und Anregungen, wie Entwick-                wandel und
lung und die Folgen der Digitalisierung             Geschlechter-              20 Gründen Frauen
so gestaltet werden können, dass                    verhältnisse                  anders?
Frauen nicht die Verlierinnen sind! Das
vorliegende Dossier will genau dafür             10 Digitale Souveräni-        22 Wie Gender-
einen Beitrag leisten. Der Blick auf                tät und Geschlecht -          kompetenz den
unterschiedlichste Orte der Digitalisie-            das geht uns alle an!         Erfolg von Startups
rung war uns dabei wichtig.                                                       erhöhen kann

Wir wünschen Ihnen eine anregende                12   Emanzipations-           24 freies_gut
Lektüre!                                              prozesse im Rück-             Digitalisierungsfonds
                                                      spiegel                       Robotik und Gender
                                                                                    Erasmus+ Projekt

                                                 14 Geschlechter-              26 punkt_genau
                                                    gerechtigkeit in der            Digitale Technologien -
                                                    digitalen Stadt                 Ethische Prinzipien

EDITORIAL

                               Dieses Dossier entstand im Rahmen        Für die ksoe erwuchs mit diesem
                               des Erasmus+ Projekts EQUAL              Projekt die Möglichkeit, sich in die
                               Digitalent, das sich dem Thema           Digitalisierungsdebatten verstärkt
                               „Gender Equality in Digital Entrepre-    einzumischen. Es gilt das Verständnis
                               neurship“ widmete. Die ksoe koope-       zu fördern, dass Technologiedebatten
                               rierte in diesem interdisziplinären      immer auch Auseinandersetzungen
                               Projekt mit WissenschafterInnen          über Gesellschafts-, Arbeits- und
                               der Universität Liechtenstein, der       Menschenbilder sind und zentral die
Gerlinde Schein                Wirtschaftsuniversität Wien sowie        Geschlechterverhältnisse betreffen.
                               der Hochschule für Wirtschaft und
                               Recht in Berlin.                         Denn: Technologie wird genauso
                                                                        durch und in der sozialen Praxis ge-
                               Die unterschiedliche Expertise und       macht wie die soziale Dimension von
                               die Erfahrungen der Projektpart-         Geschlecht.
                               nerInnen zeigen sich in einzelnen
                               Beiträgen dieses Hefts. Ergänzend
                               luden wir weitere AutorInnen ein, um
                               zusätzliche Perspektiven zu Digitali-
Margit Appel                   sierung abzubilden.

                                                                                                              3
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gestaltungs_räume

FRANKFURTER MANIFEST

Digitalisierung? Grundeinkommen!

                               Silicon Valley UnternehmerInnen, Manager von Tech-Konzernen und auch Wissen-
                               schafterInnen aus dem IT-Zusammenhang äußerten sich in letzter Zeit auffallend
                               positiv zur Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens. Im Vordergrund steht
                               dabei die Prognose des Wegfalls einer großen Zahl von Erwerbsarbeitsplätzen
                               durch die Digitalisierung. Im Hintergrund geht es wohl auch darum, Menschen nicht
                               als DatenproduzentInnen – der Form der Wertschöpfung im Datenkapitalismus
                               - zu verlieren, wenn sie aufgrund von Langzeiterwerbslosigkeit bzw. überhaupt
                               aufgrund des Misslingens der Integration in den Erwerbsarbeitsmarkt ihr Konsu-
                               mentInnenpotential (Shoppen im Internet) ebenso wie ihr gesellschaftliches Betei-
                               ligungspotential (Informationsbedarf, Nutzung sozialer Medien) einbüßen könnten.

                               Jedenfalls kam tagespolitischer Druck in die Debatte und die emanzipatori-
                               schen Kräfte der Grundeinkommensbewegung sahen sich veranlasst, Stellung
                               zu nehmen. Es entstand das sogenannte „Frankfurter Manifest“, darum herum
                               entwickelte sich die im Frühjahr 2019 beim Wiener Mandelbaum Verlag erschie-
                               nene Publikation „Digitalisierung? Grundeinkommen!“ herausgegeben von Wer-
                               ner Rätz, Dagmar Paternoga, Jörg Reiners, Gernot Reipen. Zu den Möglichkeiten
                               einer emanzipatorischen Gestaltung der Digitalisierung und der Bedeutung eines
                               Grundeinkommens mit emanzipatorischer Wirkung äußern sich im vorliegenden
                               Buch bekannte GrundeinkommensaktivistInnen ebenso, wie VertreterInnen von
                               Parteien und Gewerkschaft, sowie eine Reihe von WissenschafterInnen. Manche
                               der Beiträge sind dem Grundeinkommen gegenüber reserviert, aber alle Beiträ-
                               ge setzen an zentralen Punkten der Technologie und Gesellschaft-Debatte an:
                               Arbeitsbegriff, Wertschöpfung, Verteilung, sozial-ökologische Transformation,
                               Geschlechterverhältnis, Bildung, Gesundheit – um nur einige zu nennen.

ARBEIT

Wohin geht die Reise?

Eine Industriemechanikerin, die mit einer Augmented Reality Brille arbeitet und mit ihr sowohl reale als auch virtu-
elle Welt wahrnehmen kann. Ein Physiotherapeut, dessen Arbeit in der Reha-Klinik zum Teil von einem Roboter
übernommen wird. Dies sind nur zwei der Beispiele, die im Film vorkommen. Die 3sat-Dokumentation „Kollege
Roboter: Schöne neue Arbeitswelt?“ stellt technologische Innovationen vor und zeigt, wie sich Arbeit durch Ro-
botik und künstliche Intelligenz radikal verändern kann, könnte, wird. Ein Film von Angela Scheele, ca. 28 Minuten.

www.3sat.de/gesellschaft/makro/kollege-roboter-102.html

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GESCHICHTE

Frauenbranche? Männerbranche?

Blickt man in die Geschichte der Informatik zu-   warb vor allem um Programmierinnen und das
rück zeigt sich: in den Anfängen der Computer,    Cosmopolitan-Magazin schlagzeilte 1967 «Es ist
wie wir sie heute kennen – es ist die Zeit des    die Zeit der Computermädels». Bis in den Anfang
2. Weltkriegs - , waren Frauen als Program-       der 80er Jahre wuchs die Zahl der IT-Studentin-
miererinnen besonders begehrt. Das Prestige       nen stetig und schneller als die der Männer. In
war allerdings nicht sehr hoch. Zunächst          den USA lag der Anteil 1983 bei 37%. Heute sind
etablierten sich die Computerwissenschaf-         weniger als 20% der Informatik-AbsolventInnen
ten zu einem relativ populären Berufsweg für      in den USA weiblich. Eindeutige Erklärungen für
Frauen. Mittlerweile sind Informatikerinnen       diese Abwärtsspirale gibt es nicht. Viele bringen
wie Grace Hopper, die wesentlich an der           sie mit dem Aufstieg der Personal Computers
Entwicklung der ersten Programmiersprachen        (PC) und mit dem Aufstieg der Entwicklung von
mitarbeitete, Katherine Jones und Margaret        Videospielen in Verbindung.
Hamilton, die mit ihrer Programmierarbeit zur
Landung des ersten Menschen auf dem Mond
beitrugen, nicht mehr ganz unbekannt. IBM         Quelle: Der Standard, 7. März 2019, S. 18

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SCHWERPUNKT

       Digitaler Strukturwandel
                                         und
      Geschlechterverhältnisse

Digitalisierung ist in aller Munde, nicht aber ihre Auswirkungen auf Geschlechterverhältnisse.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Formen der Digitalisierung, und deren
durchaus gegensätzlichen Gender-Implikationen und stellt die Möglichkeiten wie Notwendig-
keiten der (politischen) Gestaltung von Digitalisierung dar.

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Der Begriff der Digitalisierung ist derzeit ein    schäftigung in der Landwirtschaft schon seit
häufig verwendeter und auch – hinsichtlich         Jahrzehnten abnehmend, folgt nun auch der
seiner Auswirkungen – heiß diskutierter            Beschäftigungsrückgang in der Industrie. Noch
Terminus.                                          sind Dienstleistungsbranchen weniger betrof-
                                                   fen, zu konstatieren ist aber eine Veränderung in
Was bedeutet „Digitalisierung“?                    Richtung „ArbeitskraftunternehmerIn“, und die
                                                   zunehmende Digitalisierung verstärkt auch eine
Keinesfalls so eindeutig fällt der Befund aus,     Auflösung der Arbeit-Freizeit-Unterscheidung.
was denn nun eigentlich unter Digitalisierung
zu verstehen sei: Von der Robotisierung der        Während der Befund, dass wir uns in Zeiten
Produktion, der Fabriken wird da oft gespro-       eines großen technologischer Wandels befinden,
chen, zunehmend auch im Zusammenhang mit           ein einheitlicher ist, fallen die Prognosen, wie
selbstlernenden Maschinen („Industrie 4.0“).       sich dies auf die Arbeitsmärkte und Beschäfti-
Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive ist         gungsstruktur auswirken wird, weniger eindeutig
hier die dahinterliegende Frage der Entwick-       aus. Während die einen von einem „Skill Bias“
lung von Arbeit zentral, verbunden mit der         sprechen, d.h. einer Verlagerung zugunsten gut
Befürchtung von Arbeitsplatzverlusten. Oft         geschulter Arbeitskräfte, sehen andere die Ge-
werden aber auch Fragen der Internetnutzung        fahr eines großflächigen Wegfalls von sowohl gut
unter dem Schlagwort der Digitalisierung sub-      Ausgebildeten als auch von Hilfstätigkeiten.
summiert: Wer nutzt die Vielzahl an Informa-
tionen in welcher Weise, und wer vermarktet        Entscheidend in einer volkswirtschaftlichen
sie? Wie kann gleicher Zugang hergestellt wer-     Betrachtung ist auch, wie die entstehende Wert-
den und eine Demokratisierung des Internets        schöpfung, der entstehende ökonomische Reich-
erreicht werden? In Diskussionen zu diesem         tum in einer Gesellschaft verteilt werden. Das
Themenkomplex fällt auch häufig der Begriff        „Laissez faire“ der Industrialisierung, dann die
„Digital Divide“ (bezeichnet ungleiche Chancen     regulierten Arbeits- und Sozialgesetze, später
beim physischen, technischen sowie sozialen        der Wohlfahrtsstaat und heute der Wettbewerbs-
Zugang zu Neuen Medien). Zuletzt, aber nicht       staat sind unterschiedliche Verteilungsformen,
weniger bedeutend, wird unter dem Stichwort        die mit unterschiedlichen politischen Maßnah-
der Digitalisierung über neue, oftmals derzeit     men, Besteuerungen und einem unterschiedli-
boomende, Branchen gesprochen – von der            chen Menschenbild einhergehen.
Telekom-Branche über den neuen Beruf des/r
WebdesignerIn zu neuen Großkonzernen wie           Digitalisierung und Gender
Google, Facebook oder Amazon, letzteres als
Synonym für Online-Handel. Im Gegensatz            Es steht außer Frage, dass Digitalisierung ein
zu Großunternehmen früherer Industriali-           wesentliches Element des derzeitigen und
sierungsschritte stellen diese Unternehmen         künftigen Strukturwandels darstellt. Nicht so
häufig kein eigenes Produkt mehr her und           häufig wird hingegen die Frage gestellt, ob dieser
besitzen auch nicht Produktionsmittel im klas-     digitale Strukturwandel Gender-Gerechtigkeit
sischen Sinne (eigene Fabriken, Maschinen          oder -Gleichheit herstellen kann. Im Gegenteil,
oder Fahrzeuge), sondern stellen spezialisierte    eine geschlechterbezogene Perspektive auf die
Plattformen dar, die selbst keine bzw. kaum        Prozesse der Digitalisierung von Wirtschaft und
eigene Inhalte erstellen, sondern „User Gene-      Arbeit fehlt bislang großteils – trotz omni-
rated Content“ nutzen, um diesen zu moneta-        präsenter Digitalisierungs-Debatten.
risieren, besonders auch über personalisierte
Werbung.                                           Betrachten wir nun den genderspezifischen
                                                   Digital Divide so sind durchaus hartnäckige
Strukturwandel                                     geschlechterspezifische Unterschiede festzu-
                                                   stellen. Die Wissenschaft führt diese auf die
Wie ist solch ein Strukturwandel in der histo-     unterschiedliche Sozialisierung von Männern und
rischen Perspektive zu sehen? Wurde früher         Frauen basierend auf gesellschaftlichen Normen
die Wertschöpfung vor allem in der Landwirt-       zurück, aber auch auf einen Teufelskreis sich
schaft generiert, später in der Massenproduk-      gegenseitig verschärfender geschlechtsspezifi-
tion industrieller Güter, so verschiebt sie sich   scher Beschränkungen, Bildungsrückstände und
nun in sogenannte immaterielle Bereiche: auf       Geschlechterstereotypen. Dies kann bereits in
Rechte und Patente, aber ebenso in die Ver-        jungen Jahren zu „Computer Anxiety“ bei Mäd-
marktung von Big Data, die über oben bereits       chen führen, die sich empirisch über alle Staaten
genannten User-generierten Inhalt entsteht.        und soziodemographischen Merkmale hinweg
Was und wie wird gearbeitet? Ist die Be-           beobachten lässt.

                                                                                                        7
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Geschlechterstereotype und Neue                      ist dort immer noch der Frauenanteil an den
    Technologien                                         Beschäftigten unter 40%, der weibliche Anteil
                                                         der Führungskräfte liegt bei mageren 6%. Dies
    Auf männliche Benutzer ausgerichtete Software        wird unter anderem damit erklärt, dass Frauen
    und genderunsensibler Informatikunterricht           in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik,
    leisten einen Beitrag dazu. Viele LehrerInnen        Naturwissenschaft und Technik) noch immer
    und Eltern perpetuieren bestehende geschlech-        stark unterrepräsentiert sind: In Europa liegt
    terspezifische Zuschreibungen und Stereotype         die Frauenquote bei MINT-Studienabschlüs-
    in Bezug auf neue Technologien, oft unwissent-       sen gerade einmal bei 25%.
    lich. Wenn unterschiedliche Dimensionen im
    Internetzugang definiert werden, so ist zwar ein     Die Rolle der Politik
    geschlechtsspezifischer Digital Divide festzu-
    stellen, allerdings weniger in der Dimension des     Die soeben beschriebenen Strukturverände-
    Zugangs per se, sondern vor allem in der Inter-      rungen erfordern ständige Anpassungspro-
    netnutzung, bzw. dem Selbstvertrauen hierbei. In     zesse und vorausschauende Maßnahmen der
    einer Studie zur Rolle von IKT (Informations- und    Politik. Das Ziel, digitale Talente gendersensi-
    Kommunikationstechnologien) und geschlech-           bel zu fördern, und somit zu einer verstärkten
    terspezifischen Unterschieden - in diesem Falle      Integration von Frauen in digitale Innovations-
    für Entwicklungsländer durchgeführt - wird klar      prozesse beizutragen, ist notwendig, um das
    ersichtlich, dass die Gründe für den geringeren      gesamte vorhandene Potenzial einer Gesell-
    Zugriff von Frauen auf IKT in ihren schlech-         schaft auszuschöpfen. Somit ist der „Blind
    teren Bedingungen bezüglich Beschäftigung,           Spot Gender“ explizit zu thematisieren, sind
                                                         sowohl Auswirkungen auf Arbeit und Beschäf-
                                                         tigung zentral, die digitale Entwicklungen po-
                                                         sitiv gestalten können. Die Maßnahmen hierzu

Technologien sind                                        sind mannigfaltig, es können hier nur einige
                                                         genannt werden: Von der Entwicklung gender-
                                                         neutraler Software, separaten Informatik-

immer umkämpft                                           unterricht für Mädchen/Frauen, welche noch
                                                         wenig Übung im Umgang mit Neuen Technolo-
                                                         gien haben, bis zur Aufklärung von Eltern und
                                                         LehrerInnen über Stereotype im Zusammen-
                                                         hang mit Gender und Neuen Technologien.
    Ausbildung und Einkommen zu suchen sind.
    Werden diese Unterschiede berücksichtigt, so         Es braucht jedenfalls politische Regelungen,
    sind Frauen sogar aktivere Nutzerinnen digitaler     damit sich Digitalisierung nicht zum Nachteil
    Gerätschaften als vergleichbar ausgebildete und      der Arbeitenden, oder besonders auch zum
    beschäftigte Männer.                                 Nachteil von Frauen, auswirkt. Denn Digi-
                                                         talisierung führt keineswegs automatisch
    Generell ist die politische und ökonomische          oder selbstverständlich zu einer stärkeren
    Position von Frauen in den letzten Jahrzehnten       Gendergerechtigkeit, sondern ist differenziert
    gleichermaßen von Stillstand wie von Bewegung        zu analysieren: Während von Industrie 4.0 ver-
    gekennzeichnet. Die Frauenerwerbsbeteiligung         stärkt männliche Arbeitskräfte betroffen sein
    hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zu-    werden, da der Männeranteil an Industrie-
    genommen, im weiblichen Bildungsniveau zeigte        beschäftigten höher ist, ist auch in vielen
    sich eine bemerkenswerte Verbesserung, es wur-       Digitalisierungsbranchen der Frauenanteil
    den rechtliche Diskriminierungen von Frauen auf-     eher gering. Die feststellbaren Unterschiede
    gehoben. Trotz Fortschritten bei der Repräsenta-     in der Beteiligung als KonsumentInnen oder
    tion von Frauen in Politik und Beschäftigung gibt    ProsumentInnen (VerbraucherInnen, die auch
    es wichtige Gründe, die immer noch bestehende        ProduzentInnen sind), sind den unterschied-
    Kluft zwischen den Geschlechtern zu bekämpfen.       lichen Lebensrealitäten von Frauen geschul-
    Während die stattfindende Verschiebung der Be-       det. Auch daher ist ein vorrangiges Ziel für
    schäftigung in den Dienstleistungsbereich Frau-      Geschlechtergerechtigkeit, die bestehenden
    en eher zu Gute kommen sollte - sind sie doch        ökonomischen und sozialen Ungerechtigkeiten
    überproportional in diesem Wirtschaftssektor tä-     egalitärer zu gestalten, sowohl was bezahlte,
    tig - so ist doch eine genauere Analyse notwen-      aber auch, was unbezahlte Arbeit betrifft. Dies
    dig. Betrachten wir z.B. spezifisch jene Branchen,   aus humanitären Gründen, aber auch, um die
    die mit dem Digitalisierungsprozess wachsen,         Gesamtheit der Potentiale in einer Gesell-
    zum Beispiel die Telekommunikationsbranche, so       schaft produktiv zu nutzen.

8
Digital + geschlechtergerecht - Digitaler Strukturwandel und Geschlechterverhältnisse - Katholische Sozialakademie ...
Neue Formen der Verteilung                          vorgegebene, von der Technologie determi-
                                                    nierte Richtung der Entwicklung, sondern
Vorsicht ist allerdings geboten bei manch           unterschiedliche Gruppierungen ringen um
positiver Zeichnung der Entwicklungen: Wenn         Dominanz. Daher müssen wir, neben den oben
Internet und neue Technologien als Chance           beschriebenen unmittelbaren Maßnahmen, auch
für Frauen angeführt werden, da damit die           eine Diskussion um neue Formen der Verteilung
Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und un-          führen. Und es werden ja auch bereits alterna-
bezahlter Care-Tätigkeit leichter bewältigbar       tive Ansätze wie eine Robotersteuer oder ein
wird, denn es werden doch zeitliche und räum-       bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert,
liche Restriktionen aufgebrochen, so muss           es wird nachgedacht über Faktoren, die die
hier klar sein, dass dadurch aber traditionelle     soziale Gerechtigkeit und den gesellschaftli-
Rollenbilder nur verfestigt werden.                 chen Zusammenhalt fördern. Ganz im Sinne des
                                                    großen Ökonomen John Maynard Keynes, der in
Es wird jedenfalls Zeit und Energie brauchen,       einem Artikel zu den „wirtschaftlichen Möglich-
eine nachhaltige Wirkung in Richtung Gender-        keiten für unsere Enkel“ bereits 1930 die Vision
diversität zu erreichen, sei es in MINT-            geäußert hat, dass in 100 Jahren aufgrund des
Fächern oder in IT-Branchen, aber die Poten-        technischen Fortschritts die Menschen nur
tiale, die sozialen wie ökonomischen Vorteile       mehr wenige Stunden am Tage werden arbeiten
einer stärker ausdifferenzierten Belegschaft        müssen, sind sowohl Arbeitszeitverkürzung als
sind diesen Aufwand sicher wert.                    auch Formen von Grundeinkommen für alle zu
                                                    diskutieren. Mit einer extrem ungleichen Vertei-
Abschließend ist festzuhalten, dass Techno-         lung von Einkommen und Vermögen wird dies
logien immer „umkämpft“ sind, es gibt keine         aber nicht zu bewerkstelligen sein.

                     Andrea Grisold, Universitätsprofessorin für Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien,
                     Institutsvorständin des Instituts für Heterodoxe Ökonomie. Arbeitsschwerpunkte: Gender und
                     Arbeitsmärkte, Strukturelle Veränderungen der Wirtschaftspolitik, Politische Ökonomie der
                     Medien.

                                                                                                                       9
Digital + geschlechtergerecht - Digitaler Strukturwandel und Geschlechterverhältnisse - Katholische Sozialakademie ...
Digitale Souveränität
und Geschlecht –
das geht uns alle an!
Digitale Souveränität setzt den selbstbestimmten Einsatz und die Gestaltung digitaler Techno-
logien voraus, unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen, Schichten und Altersklassen.
Doch wie kann diesem Vorsatz Rechnung getragen werden, wenn die Digitalisierungsbeteiligten
alles andere als divers, sondern tendenziell männlich, weiß und jung sind?

           Die Digitalisierung der Gesellschaft ist allgegen-   desagentur für Arbeit, 2019). Auch fällt der
           wärtig. Digitale Produkte, Instrumente und           Frauenanteil unter den IT-Beschäftigten mit
           Dienstleistungen durchdringen heute den Alltag       16% sehr niedrig aus.
           von VerbraucherInnen.
                                                                Zu der rein quantitativen Unterrepräsentation
           Die damit verbundene Politik steht vor der           von Frauen in Technikberufen kommt auch
           Herausforderung, die individuelle Souveräni-         eine qualitative Diskriminierung hinzu. So fin-
           tät bzw. digitale Selbstbestimmung innerhalb         den sich Frauen in Technikberufen in bestimm-
           wirtschaftlicher Mechanismen zu gewährleisten.       ten, dem weiblichen Geschlecht tendenziell
           (vgl. dazu u.a. Rau 2016, BITKOM 2015). Der          zugeschriebenen Rollen wieder. Softwareent-
           deutsche Sachverständigenrat für Verbraucher-        wicklerinnen zum Beispiel arbeiten oftmals in
           fragen (SVRV) identifiziert vier Dimensionen, die    Gebieten, die als sozialorientiert gelten, wie
           im engen Zusammenhang mit digitaler Souve-           z.B. dem Projektmanagement. Die technikna-
           ränität stehen: Wahlfreiheit, Selbstbestimmung,      hen Bereiche hingegen bleiben eher männ-
           Selbstkontrolle und Sicherheit. Unter digitaler      lichen Kollegen vorbehalten. Zudem ist der
           Souveränität werden Handlungsfähigkeit, aber         Frauenanteil im Topmanagement im IT-Bereich
           auch Entscheidungsfreiheit der VerbraucherIn-        von nur 6,3% verschwindend gering. Somit
           nen verstanden, in der digitalen Welt in verschie-   kommt zu dem Gender Pay Gap im Informa-
           denen Rollen (gleichzeitig) zu agieren, z.B. als     tions- und Kommunikationstechnikbereich
           MarktteilnehmerInnen, als KonsumentInnen aber        (IKT) auch noch das Problem der mangelnden
           auch als aktive ProduzentInnen in Netzwerken         Identifikationsmöglichkeit für weibliche Young
           (SVRV, 2017).                                        Professionals hinzu (Bisnode Studie 2016).

           Digitalisierung und Geschlecht                       Teufelskreis oder Hamsterrad? In jedem Fall
                                                                manifestieren und reproduzieren sich der-
           Seit dem Entstehen der industriellen Gesell-         zeit Geschlechterverhältnisse im IT-Bereich.
           schaft ist die Teilung des Arbeitsmarktes aktuell    Technische Produkte für Menschen werden
           immer noch stark „eingeschrieben“: Es existiert      von Menschen hergestellt. Doch werden diese
           nach wie vor eine deutliche Trennung zwischen        Produkte hauptsächlich von Männern her-
           sogenannten Frauen- und Männerberufen.               gestellt, fließen in erster Linie auch männlich
           Besonders augenfällig ist dies in den MINT-          geprägte Vorstellungen in die Produktgestal-
           Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissen-        tung ein. Dieses Wechselspiel wird im wissen-
           schaft und Technik) wo durch diverse Initia-         schaftlichen Diskurs auch als I-Methodology
           tiven in den letzten Jahren bereits sichtbare        bezeichnet: ihr liegt das Prinzip zugrunde,
           Fortschritte erzielt wurden, gleichzeitig ist man    dass Entscheidungen in Softwarewicklungs-
           jedoch immer noch von einer äquivalenten             prozessen auf Basis eigener individueller
           Geschlechterverteilung weit entfernt. So sind        Präferenzen getroffen werden (Oudshoorn
           beispielsweise auf die Informatik bezogen nur        u.a., 2004). Gibt es einen Ausweg aus der
           19% der StudienanfängerInnen weiblich (Bun-          I-Methodology?

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Partizipative Technikgestaltung                    Tools sind konfigurierbar, ob Kamera, Roboter-
                                                   arm oder Sensorik oder auch alles gleichzeitig.
Im Rahmen digitaler Transformation der             Der Vorteil dieser Technologie liegt in der Mög-
Gesellschaft stellt sich nun die Frage, wie Par-   lichkeit, dass Technik als Prozess verstanden und
tizipation erhöht und erlangt werden kann.         erfahrbar gemacht werden kann und nicht als
                                                   undurchdringbares Produkt unberührt bleibt.
Der Begriff „Partizipative Softwaregestaltung“
geht im deutschsprachigen Kontext wesent-          Die zweite Dimension ist der Inhalt (2). Die
lich auf die Arbeiten von Christiane Floyd         Aufgabenstellung bezieht sich auf den gesell-
– der ersten Informatik-Professorin Deutsch-       schaftlichen Anwendungsbereich Gesundheit
lands an der TU Berlin – zurück. Bekannt           und Pflege. Abbildung 2 stellt die Arbeit einer
wurde sie mit STEPS, der „Softwaretechnik          Studentin dar, die eine Programmieraufgabe in
für evolutionäre, partizipative Systement-         der häuslichen Pflege in enger Zusammenarbeit
wicklung“ (Floyd u.a. 1989). Dabei handelt es      mit einer pflegenden Angehörigen konzipiert und
sich um einen prozessorientierten Ansatz der       programmierseitig umsetzt. Der Roboter ersetzt
Softwaregestaltung, der die funktionale Rolle      hierbei nicht die Pflegekraft, sondern unterstützt
der Nutzenden beim Arbeiten mit dem System         die pflegende Angehörige. Die Unterstützungs-
in den Vordergrund rückt und in den Software-
gestaltungsprozess von Beginn an partizipativ
mit einbezieht. Dieser Ansatz zeitigte in der
Informatik einen Paradigmenwechsel im Um-
gang mit den – bis dahin tendenziell unbetei-
ligten – Nutzenden. Partizipative Softwarege-
staltung wird als ein zentraler Ansatz für die
Einbeziehung der Geschlechterperspektive
eingeschätzt, um der I-Methodology-Proble-
matik entgegenzuwirken und den Frauenanteil
in der IT insgesamt zu stärken.

Somit reicht es keinesfalls aus, einfach nur
mehr InformatikerInnen auszubilden. Diese
Fachkräfte müssen auch neue partizipative
Methoden der Technikgestaltung erlernen.
Auch müssen Maßnahmen umgesetzt werden,
die Diversität/Gender beinhalten. Wie lassen
sich insbesondere diese Gender-Aspekte in
die praxisbezogene IT-Lehre umsetzen?

(Wirtschafts-)Informatik und
Gender in Aktion
                                                      Abb. 1: Volksbot
Die Einbeziehung von Gender-Aspekten
vollzieht sich im Rahmen der IT-Lehre an der       leistung ist das Bringen von Wasser oder Tab-
Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR)          letten durch den Roboter, sowie der autonome
Berlin im Rahmen der Lehrveranstaltung             Wäschetransport in das Badezimmer.
„Projekt Software Engineering“ auf vier Ebe-
nen: Technologien (1), Inhalt (2), Didaktik (3)    Die dritte Dimension bezieht sich auf die Didaktik
und Vernetzung (4).                                (3). Um der Gefahr der I-Methodology zu begeg-
                                                   nen wird darauf geachtet, dass die Projektgrup-
Im Folgenden werden diese vier Dimensionen         pen divers ausgerichtet sind. Die Roboter werden
beispielhaft für den Robotik-Bereich kurz          nur an Gruppen vergeben, die einen Frauenanteil
skizziert: Die eingesetzte Technologie (1)         von 50% und/oder einen hohen Anteil an
muss gestaltbar und offen sein, um zu ge-          Personen mit Migrationshintergrund aufweisen.
währleisten, dass die InformatikerInnen die        Außerdem wird von der Betreuungsseite her auf
Roboter an die Bedürfnisse der Nutzenden           eine gender/diversity-bewusste Didaktik geach-
anpassen können. Der Volksbot des Fraunho-         tet.
fer Instituts (Abb. 1) bietet die ideale Voraus-
setzung, um die Nutzungsperspektive einzu-         Als vierte und letzte Dimension kommt der Punkt
beziehen. Alle Komponenten, Instrumente und        Vernetzung (4) zum Tragen. Alle Projektgruppen

                                                                                                        11
STIMME

Emanzipationsprozesse im Rückspiegel

                                    Die Revolte
                                        Revolte der späten 1960er Jahre hatte vielen Studierenden in
                                    Österreich neue Impulse gegeben und ihnen Mut gemacht,
                                    innovative gesellschaftlich-emanzipatorische Ansätze zu ver-
                                                                                              ver-
                                    folgen. Bei mir führte dies zur Verstärkung meiner persönlichen
                                                                                        persönlichen
                                    Neigungen. Schon als 14-jähriger Mittelschüler habe ich freiwillig
                                    am Bau gearbeitet, um das Leben der Arbeiter kennenzuler-
                                                                                     kennenzuler-
                                    nen. Später, als Mitarbeiter
                                                     Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der
                                    Wissenschaften, beschäftigte ich mich mit den damals neuesten
                                    Technologien und vertiefte diese Erfahrung, indem ich an der
                                    verstaatlichten
                                    verstaa tlichten Werft Korneuburg regelmäßig den Arbeiter- und
                                    Angestellten-Betriebsrat besuchte. Damals wurde gerade der
                                    Konstruktionsprozess von Schiffsbauteilen von Handzeichnun-
                                                                                      Handzeichnun-
                                    gen auf Papier in tatsächlicher
                                                      tatsächlicher Größe auf Computerunterstütztes
                                    Design umgestellt, was mit großen Produktivitätszuwächsen
                                                                         Produktivitätszuwächsen
                                    verbunden war.

                                    Ich versuchte, die Betriebsräte dafür zu gewinnen, eine Technolo-
                                                                                              Technolo-
                                    giekommission zu gründen, die gegenüber der Geschäftsleitung
                                    als Gegenleistung für die technische Umstellung zusätzliche
                                    Freizeit oder höhere Bezahlung fordern könnte. Anfangs verliefen
                                    meine Bemühungen im Sande, da die ArbeiterInnen sich nicht für
                                    die technischen Veränderungen im Betrieb interessierten und alle
                                    derartigen Überlegungen den Angestellten überließen, die sich
                                    wiederum den ArbeiterInnen überlegen fühlten und daher kaum
                                    intensiven Kontakt zu ihnen hielten.
                                                                  hielten. Erst nach einigen Monaten
                                    gelang es, die beiden Betriebsratsgruppen zum gemeinsamen
                                    Vorgehen zu bringen und eine Technologiekommission zu fordern.
                                    Aber da war es zu spät. 1991 wurde die Werft mangels Aufträgen
                                    (sie hatte vor allem für die Sowjetunion und für das Bundesheer
                                    produziert) privatisiert und 1993 geschlossen.

                                    Aber auch in die Büros der Akademie selbst drangen in den
                                    1980er Jahren die elektronischen Technologien ein, hier in Form
                                    der Textverarbeitung, die das unflexible und unbequeme Schreib-
                                                                                              Schreib-
                                    maschinenschreiben ablöste und den Output zumindest quantita-
                                                                                              quantita-
                                    tiv steigerte. Mein Vorschlag war daher, die dadurch gewonnene
                                    Freizeit in die Weiterbildung der MitarbeiterInnen
                                                                      MitarbeiterInnen zu investieren.
                                    Unsere erste Publikation wurde daher von WissenschaftlerInnen
                                    und SekretärInnen gemeinsam
                                                         gemeinsam geschrieben (umgekehrt kochten
                                    auch die Wissenschaftler Kaffee) – eine allerdings nur kurzlebige
                                    Praxis. Immerhin hat eine der Sekretärinnen – angeregt
                                                                                    angeregt durch
                                    diese Möglichkeit – später ein Studium als Doktorin der Geschich-
                                                                                              Geschich-
                                    te abgeschlossen.

Peter Karl Fleissner, geb. 1944. Bis 2006 o.Univ.-Prof. für Sozialkybernetik an der TU Wien, dazwischen Abteilungsleiter am
Institut für Prospektive Technologische Studien der Europäischen Kommission in Sevilla und an der Europäischen
                                                                                                   Europäischen Beobach-
                                                                                                                 Beobach-
tungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien.

12
Abb. 2: Einsatzszenario Robotik in der häuslichen Pflege

                müssen im Rahmen einer öffentlichen Präsenta-              Durch die konsequente Einbeziehung der Ge-
                tion ihre Produkte zusammen mit den Auftragge-             schlechterperspektive können neue Lehr- und
                berInnen vorstellen. Will man die Stellschrauben           Lernkonzepte in der Informatik einen niedrig-
                einer anwendungsbezogenen partizipativen                   schwelligen Einstieg und Sensibilisierung in
                Softwareentwicklung richtig einstellen, muss der           die aktuelle Debatte der digitalen Transforma-
                Zusammenhang von IT-Entwicklung und Diver-                 tion bieten. Kurzum: Partizipation + Gender =
                sität/Gender konsequent ins Zentrum gerückt                digitale Souveränität - und da wollen wir doch
                werden. Durch die Präsentation der Projekt-                alle hin.
                gruppen wird der Zusammenhang von Diversität/
                Gender und Technikgestaltung im Rahmen einer
                breiten Öffentlichkeit thematisiert und diskutiert.

Literatur
Bisnode-Studien (2016): Industrie 4.0; Frauen im Managment;Studie in Kooperation des Kompetenzzentrums Frauen im Ma-
nagement, Hochschule Osnabrück mit Bisnode Deutschland GmbH, April 2016
BITKOM (2015): Digitale Souveränität, Positionsbestimmung und erste Handlungsempfehlungen für Deutschland und Europa.
Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., Berlin, 1-24
Bundesagentur für Arbeit (BA) (2019): Statistik der Bundesagentur für Arbeit Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt–IT-Fachleu-
te, Nürnberg, April 2019. Online unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Berufe/
generische-Publikationen/Broschuere-Informatik.pdf. Abgerufen am 11.05.2019
Floyd, Christiane; Reisin, Fanny-Michaela; Schmidt, Gerthardt (1989): STEPS to Software Development with Users., In: C.
Ghezzi, J.A. McDermid (Hrsg.). ESEC ‘89, Lecture Notes in Computer Science no. 387. Springer, 1989. S. 48–64.
SVRV (2017): Sachverständigenrat für Verbraucherfragen ; Digitale Souveränität, Gutachten des Sachverständigenrats für
Verbraucherfragen; Seite 1-38; Zugriff: 16.4.2919: http://www.svr-verbraucherfragen.de/wp-content/uploads/Gutachten_Di-
gitale_Souver%C3%A4nit%C3%A4t_.pdf
Oudshoorn, Nelly; Els Rommes, Els and Stienstra, Marcelle (2004): Configuring the User as Everybody: Gender and Design
Cultures in Information and Communication Technologies, Science, Technology & Human Values
Rau, Harald (2016): Der Souverän – wir haben ihn längst zu Grabe getragen. In M. Friedrichsen & P.-J. Bisa (Hrsg.), Digitale
Souveränität: Vertrauen in der Netzwerkgesellschaft Wiesbaden: Springer VS, S. 79-92.

                      Heike Wiesner ist seit 2009 Professorin für „Betriebliche Informations- und Kommunikations-
                      systeme“ im Studiengang Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin.
                      Ihre aktuellen Forschungen sind: Transformative Technologien, Partizipative Softwaregestaltung sowie
                      Diversity/Gender-Forschung.
                      Mitautorinnen: Ina Tripp, Judith Schütze und Elif Erol, alle Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin

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Geschlechtergerechtigkeit
in der digitalen Stadt
Städtische Räume sind nicht geschlechtsneutral. In den aktuellen urbanen Digitalisierungs-
debatten wird eine Zukunftsnarration etabliert, die es daher offensiv im Hinblick auf soziale
Verteilungs- und Geschlechtergerechtigkeit in der Stadt zu hinterfragen gilt.

            Urbane Räume sind mittlerweile über digitale         Optimierung des städtischen Lebens beiträgt
            Sensoren mit ihren BewohnerInnen über Smart-         oder ob sie bestehende Ungerechtigkeiten
            phones und andere Geräte vernetzt und dies           weiter verschärft.
            verändert sowohl Versorgungsbeziehungen als
            auch Interaktionsformen. Immer mehr Stadtre-         … Geschlechtergerechtigkeit
            gierungen verfolgen zudem das Ziel, Smart City       ist es (noch) nicht!
            zu werden – eine Stadt, in der Infrastruktur- und
            Dienstleistungsangebote durch Informations-          Soziale Ungerechtigkeiten lassen sich nicht
            und Kommunikationstechnologien (IKT) ge-             technologisch angehen. Vielmehr ist das
            steuert werden und eine hohe Lebensqualität          Vorantreiben der Digitalisierung als Akzeptanz
            versprechen (sauber, sicher, gesund) sowie ein       eines politischen Programms zu interpretie-
            effizientes Management der Daseinsvorsorge.          ren, das bspw. auch Gender Mainstreaming
                                                                 oder Diversity Management in der Stadtpolitik
            Digital wird normal …                                durchzieht. In beiden Fällen stellt die Bekämp-
                                                                 fung von Ungleichheitsstrukturen den Aus-
            Städte bekommen also eine digitale Haube:            gangspunkt dar; in beiden Fällen wurde dieses
            Durch die Ausstattung urbaner Räume mit              Anliegen strategisch so funktionalisiert, dass
            Sensoren lassen sich Verkehrsflüsse, Abfall-         es eher in der Entpolitisierung von Ungleich-
            aufkommen, Umwelt- und Gesundheitsbelas-             heitsstrukturen resultiert: Ziel ist dann nicht
            tungen uvm. in Echtzeit erfassen, verarbeiten        länger soziale Gerechtigkeit, sondern – über
            und kommunizieren. Aus den Daten lassen sich         die Anerkennung von Ungleichheit – die
            allgemeine Konsum- und Mobilitätsmuster sowie        Akzeptanz von Ungerechtigkeit. Identitäts-
            individuelle Nutzungs- und Bewegungsprofile          kategorien und –stereotype wie Geschlecht
            erstellen. Durch die Weiterverarbeitung in städti-   werden zudem nicht nur im Alltag und durch
            schen Datenzentralen wird versucht, das urbane       Institutionen normiert, sie werden auch durch
            Leben durch digitale Steuerung zu optimieren,        die Datenerhebung und -analyse reproduziert.
            z.B. durch Vermeidung von Verkehrsstaus, von         Die Effekte der Digitalisierung urbaner Infra-
            negativen Umwelteinflüssen oder ‘gefährlichen        strukturen auf die Lebensumstände von Men-
            Orten‘.                                              schen und auf die Qualität urbaner Diversität
                                                                 sind jenseits von Einzelbeispielen allerdings
            Die Digitalisierung öffentlicher wie privater All-   bislang kaum thematisiert und untersucht –
            tagsräume – sofern sich diese Unterscheidung         ebenso wenig wie die vergeschlechtlichten
            im smarten Zeitalter noch aufrechterhalten lässt     oder rassifizierten Formen datenbasierter
            – basiert folglich auf den sich rasant entwi-        Diskriminierungen.
            ckelnden technologischen Machbarkeiten. Doch
            die Möglichkeiten produzieren auch vermehrt          Gerechtigkeit
            Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten – und viel      in der digitalen Stadt …
            zu selten sind sie an konkrete gesellschaftliche
            Probleme wie bspw. Energie- und Bildungsarmut,       Durch ein Zusammenbringen von soziokultu-
            Bevölkerungssegregation durch Wohnraum-              reller Diversität als Qualität mit der Forderung
            knappheit oder die Auswirkungen des Klimawan-        nach sozio-ökonomischer Umverteilung lässt
            dels gebunden. Es stellt sich daher die Frage,       sich hingegen soziale Gerechtigkeit vorantrei-
            inwiefern die Digitalisierung tatsächlich zur        ben: Mit Blick auf die Digitalisierung urbaner

14
Infrastrukturen und Räume umfasst dies bspw.             öffentlichen Mitteln subventioniert, die dann in
die Finanzierung einer Rekommunalisierung                anderen Bereichen fehlen.
der Daseinsvorsorge (insbesondere in den
Bereichen Wohnen, Gesundheit, Bildung                    … und Recht auf digitale Stadt
und Energie) anstelle einer smarten Aufwer-
tung einzelner Stadtteile; dazu gehört auch              Gerade weil technologische Innovationen die
eine Flächengerechtigkeit für nachhaltige                Alltagspraktiken und Raumnutzungen in Städten
Mobilität, die Rad-und Fußwege gegenüber                 beeinflussen, müssen sie sich stärker an den
Straßen- und Parkraumflächen favorisiert.                Lebensrealitäten aller StadtbewohnerInnen
Soziokulturelle Diversität anzuerkennen ist              orientieren. Die fortschreitende Digitalisierung
also weder gleichzusetzen mit Akzeptanz von              darf nicht länger auf technologiebasierten
Ungleichheit, noch mit der Forderung nach                Utopismus reduziert werden, sie muss um soziale
Gleichheit. Vielmehr geht es um Respekt vor              (und auch ökologische) Transformationsprozesse
verschiedensten Identitätspositionen und                 und Gerechtigkeitspotenziale erweitert werden.
um materielle Umverteilung. Denn insgesamt               Es geht dabei erstens darum, die technologi-
forcieren Smart Cities die Marginalisierung              schen Machbarkeiten sozial – und sozial gerecht
bereits benachteiligter Bevölkerungsteile: Die           – zu gestalten. Dazu gehört zweitens intensiver
Umsetzung von smarten Strategien in ohnehin              zu diskutieren, welche Möglichkeiten die IKT zur
besser ausgestatteten Stadtteilen lässt reiche           Demokratisierung urbanen Zusammenlebens
BewohnerInnen stärker von den öffentlichen               beitragen können und drittens, ein Recht auf
Investitionen profitieren als ärmere – und               digitale Stadt, das auf der technologischen
dies verschärft sozialräumliche Segregation.             Souveränität der BewohnerInnen – nicht auf der
Außerdem wird diese Aufwertung aus                       technologieoptimierten Stadt – basiert.

Zum Ein- und Weiterlesen:
Bauriedl, Sybille & Anke Strüver (Hg.)(2018): Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld.
Doderer, Yvonne (2016): Glänzende Städte. Geschlechter- und andere Verhältnisse in Stadtentwürfen für das 21. Jahrhundert.
München.

                        Anke Strüver ist Professorin für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Stadtforschung am
                        Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz. Ihr thematischer Fokus liegt auf
                        den Wechselverhältnissen von Raum- und Subjektkonstitution auf der Mikroebene städtischer
                        Alltagsräume.

                                                                                                                               15
Digitalisierung innovativ und
gendergerecht gestalten
Frauenarbeitsplätze sind von den digitalen Veränderungen stark betroffen. Was braucht es, damit
dieser Wandel für Arbeitsmarktchancen genutzt werden kann?

           Alles neu in der digitalen Arbeitswelt? Ist die     vor rar. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es,
           mühsame analoge Gleichstellungspolitik end-         wie beispielsweise Bergmann (u.a.) feststellen,
           lich obsolet in den lichten Höhen der egalitären    unter dem Label „Industrie 4.0“ gelungen ist,
           Technikwelt? Oder müssen wir uns vor massiven       die eigentlich branchenübergreifend stattfin-
           Verlusten von Jobs fürchten wie in regelmäßigen     denden Entwicklungen im Zusammenhang
           Abständen Beschäftigungsprognosen1 voraus-          mit Digitalisierung stark auf die männlich
           sagen? Zwischen diesen zwei Extremen werden         dominierte und konnotierte Industrie zu
           oftmals die Auswirkungen der Digitalisierung auf    fokussieren2. Ein sehr enger Fokus, insbeson-
           die Frauenbeschäftigung in der Öffentlichkeit       dere wenn es um die Chancen und Risiken für
           abgehandelt. Aber was braucht es wirklich, damit    Beschäftigte geht. Denn mehr als acht von
                                                               zehn Frauen und knapp sechs von 10 Männern
                                                               arbeiten nicht in der Industrie, sondern im

Je weniger darüber                                             Dienstleistungssektor.

                                                               Die Erwartungen auf eine deutliche Verbes-

gesprochen wird, umso                                          serung der Jobchancen in diesem Segment
                                                               haben sich bislang nicht erfüllt. So beträgt
                                                               beispielweise der Frauenanteil im boomenden
wirkmächtiger ist die                                          IKT-Sektor nur zwischen 10 und 12 Prozent.
                                                               Hier wird zurecht auf den viel zu niedrigen

Geschlechterdifferenz.
                                                               Frauenanteil in den naturwissenschaftlich-
                                                               technischen Ausbildungsberufen und Studien-
                                                               fächern verwiesen, aber viel zu wenig wird
                                                               der Fokus auf Betriebskulturen (inklusive
PAULA-IRENE VILLA                                              Arbeitszeitregime), die Zugang und Verbleib
                                                               von Frauen in diesen Berufen nach wie vor
                                                               schwierig gestalten, gelegt.
           die mit der Digitalisierung einhergehenden Ver-
           änderungen für Arbeitsmarktchancen von Frauen       Veränderungen im Dienst-
           genutzt werden können?                              leistungsbereich
           Die Beschäftigungsprognosen sind sehr unter-        Die klassischen Frauenbranchen im Dienst-
           schiedlich. Eindeutig ist, dass sich viele Tätig-   leistungsbereich sind sehr stark von Ände-
           keitsbereiche in und zwischen verschiedenen         rungen der Tätigkeitsbereiche durch Automa-
           Branchen stark verändern und diese Verände-         tisierungen betroffen. „Überall dort, wo wir
           rungen auch sehr stark Frauenarbeitsplätze          in den vergangenen zehn Jahren begonnen
           betreffen.                                          haben Excel-Listen zu machen, machen nun
                                                               mehr und mehr Computerapplikationen diese
           Enger Fokus „Industrie 4.0“                         Arbeit.3“, veranschaulicht beispielsweise
                                                               Agnes Streissler-Führer von der Gewerkschaft
           Analysen, die die Geschlechterdimension von di-     GPA-djp das insgesamt von ExpertInnen sehr
           gitalen Transfomationsprozessen aufzeigen und       hoch eingeschätzte Automatisierungs-
           die konkreten Auswirkungen auf dem Arbeits-         potenzial in den Bereichen Verwaltung, Buch-
           markt für Frauen im Blick haben, sind nach wie      haltung, Rechnungswesen, etc.

16
Am Beispiel der Banken, als wohl einer der am       Und nicht zuletzt braucht es verstärkte betrieb-
stärksten von digitaler Transformation betrof-      liche Gleichstellungsmaßnahmen, damit die
fenen Branchen, lässt sich sehr gut aufzeigen,      Implementierung neuer Technologien in Richtung
wie weit fortgeschritten diese Entwicklungen        mehr Geschlechtergerechtigkeit genutzt werden
mittlerweile bereits sind. Mit 40.000 beschäf-      kann und nicht zu einem Vehikel zur Verfestigung
tigten Frauen (2018), das sind 55 % aller dort      von Geschlechtssegmentierung wird.
Beschäftigten, ist sie nicht nur quantitativ ein
wichtiger Beschäftigungsbereich von Frauen,         Beschäftigte als ExpertInnen
sondern auch in qualitativer Hinsicht. Denn
die Banken gehören zu den (wenigen) Bran-           Es bringt nicht nur den Beschäftigten Vorteile,
chen im Privatsektor, in denen gut qualifizier-     wenn sie bereits in die Entwicklung und Imple-
te Frauen (mit einem im Branchenvergleich           mentierung neuer Technologien einbezogen wer-
überdurchschnittlich hohen Anteil von Frauen        den. Ein Beispiel aus dem Industriebereich veran-
mit Uni- und Matura-Abschluss) traditionell         schaulicht das sehr gut. So hat im Rahmen eines
gut bezahlte Jobs haben. Aber genau diese           Projekts6 die Einbeziehung der Erfahrungen von
Tätigkeiten im mittleren Qualifikationsbereich,     MaschinenbedienerInnen an Lasergravurmaschi-
wie Betriebsrätinnen berichten, sind stark          nen unter systematischer Berücksichtigung der
betroffen: Deutlich weniger MitabeiterInnen         Dimension Geschlecht sehr positive Ergebnisse
in den Filialen, weil vieles von KundInnen          gebracht. Neben der Arbeitszufriedenheit der
am Selbstbedienungsautomat oder Online              Beschäftigten, die sich erhöht hat, konnten auch
zuhause erledigt wird. Ebenso werden in den         die Maschinen und ihre Funktionalität verbessert
Bereichen Beratung, Risikobewertung und             werden, was sich in höheren Verkaufszahlen nie-
Vertragsabwicklung standardisierte Bank-            derschlug. Ein Ansatz der sicher auch in anderen
tätigkeiten zunehmend automatisiert. So ist         Branchen und Tätigkeitsfeldern erfolgverspre-
es bereits bei einigen Banken möglich, via          chend verfolgt werden könnte.
Videoidentifizierung von Ausweis und Gesicht,
ein Konto zu eröffnen ohne auch nur einen Fuß
in eine Bankfiliale zu setzen.

Es entstehen natürlich auch neue Jobs in
einigen hochqualifizierten Bereichen. Hier
ist allerdings eine Verschiebung in Richtung
mathematische, statistische und IT-Qualifika-
tionsprofile bemerkbar, die allerdings nach wie     1
                                                     Zuletzt z.B.:https://derstandard.at/2000099585407/
vor männlich dominiert sind – und die entstan-      Studie-Frauen-verlieren-Jobs-durch-Automatisie-
denen Jobverluste in den letzten Jahren (bis-       rung-eher-als-Maenner
lang) nicht wettmachen konnten5. Weiterhin          2
                                                     Bergmann, Nadja/Lechner, Ferdinand/Gassler, Helmut/
hauptsächlich an Arbeitsplätzen zu sparen, ist      Pretterhofer, Nicolas (2017): Digitalisierung–Industrie 4.0 -
                                                    Arbeit 4.0 – Gender 4.0
allerdings alles andere als eine zukunftswei-
                                                    3
                                                     Agnes Streissler, in: Digitalisierung und Beschäftigung –
sende Strategie.
                                                    Nicht Schulung, sondern Bildung!, AMS Info 432, Oktober
                                                    2018
Neben nachhaltigen Geschäftsmodellen, die           4
                                                     Siehe dazu weitere AK-Forderungen: https://www.arbei-
nur unter entsprechender Einbindung des             terkammer.at/banken
Betriebsrats erfolgversprechend sein werden,        5
                                                     Die Beschäftigung im Bankensektor ist von 80.293
braucht es eine vorausschauende und strate-         (2008) auf 73.508 (2018= gesunken. Zusätzlich ist Teilzeit
gische Um- und Aufbauqualifikation für Arbeit-      überdurchschnittlich stark gestiegen.
nehmerInnen, deren Arbeitsplätze wegzufallen
                                                    6
                                                     Projekt Ge:MMaS – Genderspezifische Anforderungen
                                                    für die Entwicklung neuer Maschinen unter Berücksichti-
drohen bzw. deren Arbeitsplätze sich massiv         gung der Mensch-Maschine-Schnittstelle, beschrieben in:
verändern werden. Und es braucht ein Recht          Weg, Marianne, Stolz-Willig, Brigitte: Agenda Gute Arbeit:
auf und Zeit für Qualifizierung4.                   geschlechtergerecht!, Hamburg 2014. S. 158ff.

                     Gerlinde Hauer, Mitarbeiterin der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien, hat mehrere Artikel
                     zu Digitalisierung und Gleichstellung veröffentlicht, z.B. gemeinsam mit Petra Sauer und Barbara
                     Hofmann „Digitalisierung hat (k)ein Geschlecht“, in WISO 3/2017, S. 119ff.

                                                                                                                        17
praxis_nah

KRITIK

Der AMS-Algorithmus und die Wirkungen auf
Arbeitsmarktchancen von Frauen

                   Im Arbeitsmarktservice wird der Einsatz eines Integrationschancen-Indikators
                   bei der Betreuung von Arbeitsuchenden eingeführt. Seit November 2018 wird der
                   Indikator für jede/n Arbeitsuchenden ermittelt, mit 2020 soll er auch handlungsan-
                   leitend sein. Unterschieden wird in drei Gruppen: Personen mit hoher, mittlerer und
                   niedriger Integrationschance. Personen mit hohen Integrationschancen sollen in
                   erster Linie vermittelt werden. Personen mit niedrigen Integrationschancen soll nur
                   ein eingeschränktes Förderangebot zur Verfügung stehen. Nur der mittleren Grup-
                   pe stehen grundsätzlich alle Förderungen offen. Für die Zuteilung zu den Gruppen
                   ist eine Vielzahl von Indikatoren wie Geschlecht, Alter, Ausbildung und Vorkarriere
                   verantwortlich. Bei Frauen sind auch Betreuungspflichten maßgeblich. Dies löste
                   eine Diskussion darüber aus, ob die – unbestrittene – Benachteiligung von Frauen
                   auf dem Arbeitsmarkt durch den Algorithmus verstärkt oder einfach abgebildet
                   wird.

                   Das Indikatorensetting und der Einsatz des Algorithmus sind nicht mehr beein-
                   flussbar, daher muss der Fokus darauf liegen, dass die arbeitsmarktpolitischen
                   Schlussfolgerungen aus der Einstufung Frauen nicht zusätzlich benachteiligen.
                   2018 waren 9% der arbeitslosen Frauen in der Gruppe mit hohen Vermittlungs-
                   chancen, 62% in der mittleren und 29% waren im Segment niedrige Integrations-
                   chancen. Ziel muss sein, dass auch Frauen mit niedrigen Integrationschancen die
                   Möglichkeit haben, an den Frauenprogrammen wie Wiedereinstieg mit Zukunft,
                   den Frauenberufszentren sowie anschließenden Qualifizierungen teilzunehmen.
                   Die wenig fördernde Haltung der Sozialministerin zu Frauen in der Arbeitsmarkt-
                   politik in ihren arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben ist hier leider wenig hilfreich.
                   Es ist zu hoffen, dass der Verwaltungsrat des AMS, bestehend aus Arbeitnehmer-,
                   Arbeitgeber- und RegierungsvertreterInnen trotzdem dafür sorgt, dass die
                   Chancen für einen nachhaltigen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt für alle Frauen
                   gewahrt werden.

         Silvia Hofbauer, stellvertretende Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der Arbeiter-
         kammer Wien. Expertin für österreichische und internationale Arbeitsmarktpolitik.

18
HINTERFRAGEN

Algorithmen in der Personalauswahl

Der Einsatz von Algorithmen im Personalbereich          logiebranche in den Jahren vorher meist
wird heiß diskutiert. Einerseits verspricht man         Männer rekrutierte, kam der Algorithmus
sich davon effizientere Prozesse. Andererseits          zu dem Schluss, Bewerbungen von Frauen
sollen Algorithmen rein faktenbasiert bewerten          schlechter einzustufen. Dies galt sogar für
und menschliche Bias wie Homophilie oder                genderneutrale Bewerbungen, so wurde die
Gender-Diskriminierung verhindern. Die Methode          Ausbildung auf rein weiblichen Universitäten
beruht dabei auf Mustererkennung, bei der               als Malus gewertet. Da nicht sichergestellt
Software große Datenmengen aus Lebensläufen,            werden konnte, dass weitere Muster nicht
Zeugnissen und internen Beurteilungen auf Mus-          andere Gruppen diskriminieren würden,
ter erfolgreicher Besetzungen scannt.                   wurde der Algorithmus trotz Anpassungen
                                                        kürzlich abgeschaltet.
Praktisch zeigen sich aber gemischte Ergeb-
nisse: So ergab eine Studie der Carnegie Mellon         Es zeigt sich, dass diese vermeintlich neu-
University, dass Frauen über Google deutlich            tralen Algorithmen immer nur so gut wie die
weniger Anzeigen für hochbezahlte Jobs ange-            durch die EntwicklerInnen zur Verfügung ge-
zeigt wurden. Der Algorithmus optimierte die            stellten Ausgangsdaten sind und oft nur vor-
Anzeigenschaltung gemäß den (vermeintlichen)            handene Strukturen reproduzieren. Daher
Interessen der UserInnen - und bei Frauen war           besteht die große Herausforderung darin,
die Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden             Algorithmen anhand explizit und implizit dis-
Klicks einfach geringer als bei Männern.                kriminierungsfreier Datensätze zu trainieren,
                                                        meint der Forscher Sven Laumer. Dazu sei
Bei Amazon wurde seit 2014 intern eine Software         es wichtig, die Software immer wieder zu
zum Herausfiltern der besten Bewerbungen                hinterfragen und entsprechend anzupassen.
entwickelt. Da Amazon als Teil der Techno-

                    Johannes Kirch beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Personalthemen und Diversity. Nach 10 Jahren
                    im Human Resource Consulting wechselte er in die Wissenschaft. Neben seiner Professur für
                    Human Resource Management an der bbw Hochschule in Berlin forscht er in verschiedenen
                    Projekten.

                                                                                                                      19
Gründen Frauen anders?
     Jede Person hat das Potenzial zur Unterneh-         In der Folge zwei Methoden, ein Geschäfts-
     merIn (Faltin, 2008). Es sind die lebensoffenen,    modell zu entwickeln.
     aufmerksamen Menschen, die anders denken,
     Möglichkeiten sehen und so neue Produkte,           Ein erstes Tool umfasst die Beantwortung von
     Dienstleistungen oder innovative Projekte in die    vier Fragen (Gassmann et al., 2013):
     Welt bringen. Unternehmerisches Potenzial ist
     somit keine Frage des Geschlechts, sondern des      1.   Wer ist der Wunschkunde, die Wunsch-
     Vorgehens. Der Weg, ein eigenes Unternehmen              kundin? (KundInnensegment)
     zu gründen, ist jedoch mitunter steinig und birgt   2.   Was wird angeboten? (KundInnennutzen)
     allerlei Risiken und Hindernisse. Strategisches     3.   Wie wird der Wert erbracht? (Leistungs-
     Denken und Geschäftsmodelle können unter-                erstellung)
     stützen, neue Produkte und Dienstleistungen         4.   Wie erfolgt der Ertrag? (Einnahme-
     strukturiert zu entwickeln und marktfähig zu ma-         quellen)
     chen. UnternehmerInnentum ist also keine Kunst,
     sondern Handwerk und erlernbar.                     Eine andere Möglichkeit ist eine visuelle Dar-
                                                         stellung von Einzelideen, die zu einem markt-
     Geschäftsmodell ist zentral                         fähigen Geschäftsmodell im „Business Model
                                                         Canvas“ von Osterwalder (2011) zusammen-
     Ideen zu haben ist das eine, sie erfolgreich um-    gefügt werden. Dabei können unterschiedliche
     zusetzen das andere. Die Arbeit beginnt also im     Blickwinkel abgebildet und so verschiedene
     Kopf. Es braucht ein stimmiges Konzept, das zur     Varianten des Geschäftsmodells durchdacht
     Person des Gründers bzw. der Gründerin passt        werden.
     und Fähigkeiten und Talente nutzt. Das A und O
     ist die Ausarbeitung einer Idee zu einem trag-      UnternehmerInnentum bedeutet in der heuti-
     fähigen Geschäftsmodell, das beschreibt, wie        gen Zeit, nicht im stillen Kämmerlein ein Pro-
     verschiedene geschäftliche Aspekte zusam-           dukt zu entwickeln, sondern gemeinsam mit
     menpassen und wie ein Alleinstellungsmerkmal        potentiellen KundInnen deren Bedürfnisse und
     gegenüber potentiellen KundInnen entsteht.          Wünsche frühzeitig zu integrieren. Der große

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