DIGITALE DEUTSCHE HELDEN - Bain
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WIRTSCHAFT AUS ERSTER HAND DEZEMBER 2017 EXTRA GAME CHANGER 2017 DIGITALE DEUTSCHE HELDEN Wie sich ADIDAS, AUTO1 und SIEMENS wandeln
ST E F F E N K LUSM A N N EDITORIAL Chefredakteur INHALT TAKTGEBER 4 DISRUPTION Nach Jahren des Zögerns ent- decken heimische Unternehmen VON MORGEN die Chancen der Digitalisierung. Kommt der nächste globale Champion aus Deutschland? 8 AUTO1 Der Gebrauchtwagenhändler aus Berlin zählt zu den wertvolls- ten Start-ups des Landes. Erstmals gewähren die Gründer einen Einblick in ihr Business. D as Future Lab von Adidas sieht aus wie ein unterirdischer Sportplatz, mit Laufstre- cke, Kunstrasen, nur ohne Tageslicht. Dort testet der Sportartikler neue Produkte. Die Kameras unter der Decke zeichnen jede Drehung 12 ADIDAS Mit personalisierten Schuhen aus dem 3-D-Drucker greift der Dax- Konzern den Erzrivalen Nike an. Die Technologie könnte die ganze Sportartikelbranche disrupten. etwa von Bällen auf, anhand von Spin und Abprall- winkel wird dann berechnet, wie sich Fußballschuh 16 SIEMENS und Ball noch optimieren lassen. Das letzte analoge Jenseits von ICEs und Turbinen sind die Münchener zum führen- Überbleibsel ist ein Skelett neben der Laufbahn, den Anbieter bei der Digitalisie- das zeigt, welche Bewegung die Knochen wie be- rung von Fabriken aufgestiegen. lastet. Richtig ausspielen kann Adidas seine digitale Industrie 4.0 made in Germany. Kraft künftig mit der Speedfactory, die maßge- 20 INTERVIEW schneiderte Schuhe auf Bestellung ausliefert. Arago-Chef Hans-Christian Boos Eine preiswürdige Leistung, wie wir finden. Des- über das Ende der Lethargie in Deutschland, die Folgen von halb küren wir gemeinsam mit der Unternehmens- künstlicher Intelligenz und das beratung Bain & Company Adidas neben Siemens Comeback der Bankfiliale. und dem Start-up Auto1 zum „Game Changer 2017“. Der Award, den wir bereits zum dritten Mal verleihen, prämiert deutsche Unternehmen, die den disruptiven Wandel in vorbildlicher Weise in ih- re Geschäftsmodelle implementiert haben. Ausge- zeichnet werden die Sieger in drei Kategorien, je nach Art der Disruption: Der Gebrauchtwagen- händler Auto1 gewann den Preis für die beste Stei- gerung des Kundennutzens („Customer Experi- IMPRESSUM ence“), Siemens erhielt mit seiner Digital Factory die Auszeichnung für das beste digitale Produkt Anschrift des Verlags Ericusspitze 1, 20457 Hamburg („Product & Service Innovation“), und Adidas Telefon: (040) 30 07-25 51 räumte den Award in der Kategorie „Operations of Fax: (040) 30 07-22 47 the Future“ ab. „Die drei Unternehmen belegen Chefredakteur: Steffen Klusmann einmal mehr, dass mit der deutschen Industrie (V.i.S.d.P.) auch in der digitalen Ära zu rechnen ist“, sagt mm- Redaktion: Claus Gorgs (frei) Mitarbeiter Claus Gorgs, der den Wettbewerb re- Gestaltung: Judith Mohr daktionell begleitet und dieses Heft konzipiert hat. Bildredaktion: Martin Richter Titelbild und Illustrationen: Russlan Herzlichst Ihr Schlussredaktion: Bettina Storm-Rother (Ltg.); Simone Boldt, Rüdiger Frank Dokumentation: Torsten Biendarra (Ltg.); Dennis Barg, Joana Ruthe E X T R A manager magazin 3
DIGITALER UMBAU Autohandel, Schuhproduk- tion und Fließ- bandfertigung sind keine neuen Geschäfts- modelle. Es ist aber möglich, sie völlig neu zu definieren. DER CHAMP WACHT AUF
GAME CHANGER DISRUPTION Deutschland hat die erste Phase der digitalen Revolution verschlafen. Doch jetzt geht ein Ruck durch Unternehmen und Politik. Kommt der nächste globale Champion von hier? E s ist ein altes Lied, und es wurde in den vergan- genen Monaten wieder und wieder vertont. Deutschland, so der Refrain des Textes, verpasst gerade seine Zukunft. Digitale Geschäftsmo- delle schreddern das wirtschaft- liche Fundament der weltgrößten Exportnation – und stets sind es Disruptoren aus dem Ausland, vor allem aus dem Silicon Valley, die den Deutschen Marktanteile und ihre angestammten Branchen streitig machen. Telekommunikation? Verloren an Apple und Samsung. Elektro- mobilität? Vorangetrieben von Tesla und BYD. Digitalchampions à la Google, Amazon, Facebook, Uber? Alle nicht bei uns erfunden. So entstand das Lied vom Verlie- rerland Deutschland, und jede Niederlage fügte eine neue Stro- phe hinzu. Amerika hat Airbnb, wir hatten Air Berlin. Digitalisie- rung? Versch-la-la-la-la-fen. Die Ursachen der Misere sind bekannt. Deutschland hat im Vergleich mit anderen Industrie- staaten eine bemerkenswert schlechte digitale Infrastruktur. Bei der Zahl der Glasfaseran- schlüsse für schnelles Internet liegt die Bundesrepublik im welt- ILLUSTRATION: RUSSLAN FÜR MANAGER MAGAZIN weiten Vergleich auf Platz 29 – hinter Kolumbien, Chile und Me- xiko (siehe Grafik Seite 6). 1,9 Mil- liarden Dollar Risikokapital flos- sen 2016 nach Deutschland, in US-Unternehmen pumpten In- vestoren 36-mal so viel. Im föde- ralen Flickenteppich des deut- schen Bildungswesens sind 2 E X T R A manager magazin 5
GAME CHANGER Programmierkurse und digitale senkung und Effizienzsteige- ANSCHLUSS scher, nicht mehr so zögerlich.“ Lernmittel noch immer die rung“, sagt Boos (siehe Inter- V E R P AS S T In den großen Unternehmen, Glasfaseranteil Ausnahme. Während Däne- view Seite 20). „Und plötzlich am schnellen berichtet er, finde „eine fun- mark bereits Grundschüler mit sagen dieselben Leute, sie woll- Internet, damentale Neuorientierung“ Tabletcomputern ausstattet, ten noch mal was ganz Neues in Prozent 50 statt. Wo früher trotzig das al- leben bei uns selbst Gymna- machen. Die stellen alles zur te Geschäftsmodell verteidigt siasten noch überwiegend in Disposition.“ Inzwischen zähle Japan 74,9 wurde, wird es nun immer öfter der Kreidezeit. Deutschland in Sachen Digita- Korea offen infrage gestellt, zumeist 74,2 Deutsche Ingenieure neigen von unabhängigen Abteilungen dazu, bestehende Technologien zu optimieren, statt sie über den Wo das Lettland 62,7 oder hauseigenen Inkubatoren, deren Hauptziel es ist, das Alte stets Schweden 55,0 Haufen zu werfen und etwas Kerngeschäft anzugreifen – be- völlig Neues zu wagen. Deshalb vor es andere tun. FOTOS: THORSTEN JOCHIM / VISUM, DAVID PAUL MORRIS / BLOOMBERG / GETTY IMAGES, HOFFMANN / IMAGO, GERHARD LEBER / IMAGO, FRANK ZAURITZ FÜR MM, ELMAR KREMSER / SVEN SIMON / PICTURE-ALLIANCE, PR Norwegen 38,2 quetschten die Entwickler der großen Autobauer jahrelang die trotzig Estland 35,9 Neu denken letzten Effizienzreserven aus dem Verbrennungsmotor, statt verteidigt Spanien 35,0 So setzte Adidas ein eigenes Entwicklerteam daran, nicht dessen Zukunft infrage zu stel- len. „Perfektionismus und ma- wurde, Island 33,1 nur die nächste Generation von Sportschuhen zu erfinden, son- ximaler Qualitätsanspruch sit- zen ganz tief in der DNA der wird es Portugal 32,3 dern auch den Kreativprozess, die Herstellung und die Ver- nun offen Finnland 30,8 Deutschen“, sagt Walter Sinn, marktung neu zu denken. Das Deutschland-Chef der Unter- OECD 21,2 Ergebnis ist die Speedfactory, in nehmensberatung Bain & Com- pany. „Dies verträgt sich nicht infrage Chile 6,7 der von Kunden mitentwickelte Designs an einzelne Zielgrup- mit der notwendigen Schnellig- keit. Es braucht seine Zeit, diese Kultur zu verändern.“ gestellt. Kolumbien¹ 4,4 Italien 3,0 pen und sogar individuell an jeden Fuß angepasst werden können. Gefertigt wird nicht Doch genau das passiert ge- lisierung zu den am schnellsten mehr im fernen Asien, sondern rade. Digitalos wie Chris Boos, wachsenden Märkten. „Da er- Deutschland 1,8 direkt vor Ort. Die maßge- Chef des Frankfurter Software- wacht gerade ein schlafender schneiderte Sohle wird mit dem 1 | Kolumbien befindet unternehmens Arago, das sich Riese.“ sich im Prozess des 3-D-Drucker ausgedruckt – ein auf künstliche Intelligenz spe- Auch Bain-Manager Sinn be- Beitritts zur OECD. Quelle: OECD Verfahren, das die Sportartikel- zialisiert hat, berichten von ei- obachtet „tektonische Verschie- Grafik: mm industrie revolutionieren könn- nem erstaunlichen Wandel in bungen“ in den Köpfen der te (siehe Seite 12). deutschen Chefetagen: „Bis vor Führungseliten. „Seit einigen Unterstützt beim Bau der Kurzem ging es vielen Unter- Monaten laufen Diskussionen Speedfactory wurden die Fran- nehmern vor allem um Kosten- ganz anders ab, viel dynami- ken von einem anderen digita- DIE JURY Diese Wirtschafts- experten wählten die diesjährigen Preis- träger des Game A NN-K RIST IN A NDR E A S VON PH ILIPP H E N N I NG STE F F E N Changer Awards aus AC H L E I T N E R Die Wirtschafts- B EC H TOL SH E I M Der Mitgründer J USTUS Der Ex-Unter- K AGER M A N N Seit 2009 steht K LUSM A N N Der Volkswirt ist professorin von Sun Micro- nehmensberater der frühere SAP- Chefredakteur lehrt an der TU systems ist ist Google-Chef Chef der Wissen- des manager München und Chairman und in Deutschland, schaftsakademie magazins. Zuvor sitzt in meh- Entwicklungschef Österreich und Acatech vor. leitete er die reren Aufsichts- bei Arista der Schweiz. Er ist Aufsichts- Redaktionen räten, darunter Networks, ein Zuvor hatte er rat bei Munich von „Capital“ Linde, Munich gefragter Berater leitende Positio- Re, Deutscher und der „Finan- Re und Deutsche und erfolgreicher nen bei Ebay Post und Deut- cial Times Börse. Tech-Investor. und PayPal inne. scher Bank. Deutschland“. 6 manager magazin E X T R A
len Champion aus Deutschland: Sie- DIE SPIELREGELN mens. Verdeckt von Schlagzeilen über Was der Game Changer Award will, wie der Wettbewerb die Auslagerung der Bahntechnik und funktioniert und wie die Preisträger ermittelt werden den bevorstehenden Kahlschlag in der Gasturbinensparte, hat der Dax- DIE ZIELE tivste intelligente Fer-gehenden wirtschaft- Riese ein äußerst erfolgreiches Digi- Die Digitalisierung ist tigungstechnik. lichen Analyse (Due talgeschäft aufgebaut, dessen Ent- eine neue industrielle Diligence) unterzogen. wicklung alle übrigen Bereiche in den Revolution, die nahezu DIE METHODE Dabei werden Profita- Schatten stellt. Die Digital Factory der alle Wirtschaftsberei- Für den Game Changer bilität, Innovationskraft Münchener macht aus mechanischen che von Grund auf ver- Award können sich und disruptives Poten- Produktionsstraßen denkende Fabri- ändert. Mit dem Game Unternehmen nicht zial nach einem Punkte- ken und gilt als weltweit führend bei Changer Award würdi- bewerben; die Auswahl system bewertet. der Industrieautomation. Der einsti- gen die Beratungsge- erfolgt über ein mehr- ge Angstgegner General Electric: ab- sellschaft Bain & Com- stufiges Verfahren. Auf DIE FINALISTEN gehängt (siehe Seite 16). pany und das manager Basis sämtlicher in Die fünf Punktbesten Auch bei den Start-ups hat magazin deutsche Deutschland registrier- in jeder Kategorie Deutschland längst mehr zu bieten Unternehmen, die mit ten Gesellschaften schaffen es auf die als nur Zalando und Delivery Hero: einem disruptiven digi- wird eine Übersicht Shortlist und werden Fast unbemerkt von der Öffentlich- talen Ansatz die Spiel- über alle börsennotier- von einer Jury aus keit hat sich die Auto1 Group aus regeln in ihrer Branche ten, privaten und mit Wirtschaftsexperten Berlin zu Europas führendem Online- verändert haben. Risikokapital finanzier- (siehe unten) kritisch händler für Gebrauchtwagen ent- ten Firmen erstellt, begutachtet, vor allem wickelt. Tausende Autos kauft und DIE KATEGORIEN die anschließend nach hinsichtlich Nachhaltig- verkauft das erst fünf Jahre alte Un- Der Preis wird in drei Kriterien wie Mindest- keit der Geschäfts- ternehmen – jeden Tag. Mit einer Be- Kategorien verliehen: umsatz, Nachhaltigkeit modelle, Erfolgsaus- wertung von 2,5 Milliarden Euro zählt 1. Customer Expe- und digitales Innova- sichten und Innova- Auto1 – besser bekannt unter dem rience: für die größte tionspotenzial gefiltert tionsstärke. Aus dieser Namen seiner Onlineplattform Wir- Verbesserung des wird. Durch diesen Debatte geht schließ- kaufendeinauto.de – zu den wert- Kundennutzens. Prozess entsteht eine lich in jeder Kategorie vollsten deutschen Neugründungen. 2. Product & Service Longlist von 300 Un- ein Unternehmen her- Und zu den Kandidaten für „the next Innovation: für das ternehmen. Jedes ein- vor, das als Sieger aus- big thing“, das nächste Geschäftsmo- überzeugendste neue zelne wird zunächst gezeichnet wird. Die dell, das die Spielregeln einer ganzen Digitalangebot. einer der drei Preiska- Preisverleihung fand Branche verändert (siehe Seite 8). 3. Operations of the tegorien zugeordnet am 16. November 2017 Deshalb zeichnen manager maga- Future: für die innova- und dann einer tiefer in Berlin statt. zin und Bain Auto1, Siemens und Adi- das mit dem „Game Changer Award 2017“ aus – einem Preis für deutsche Unternehmen, die mit disruptiven türlich selbst schaffen: Das Frankfur- Ansätzen Fakten schaffen, statt sich ih- ter Unternehmen gilt bei künstlicher nen anzupassen (siehe Kasten oben). Intelligenz als einer der wenigen Ak- Noch führen andere Wirtschafts- teure weltweit, die es mit Google auf- nationen die Digitalisierung an. Doch nehmen können. anders als vor ein oder zwei Jahren Aber auch etliche andere Techno- hat sich ein großer Teil der deutschen logiefirmen hätten das Zeug, weltweit Unternehmen ebenfalls auf den Weg in der ersten Liga zu spielen, ist Boos HARALD WA LT E R gemacht. Und die Äußerungen von überzeugt. Im Grunde sei die Ent- K RÜGE R SIN N Politikern der mutmaßlich künftigen wicklung bei der Digitalisierung ty- Fast seine ge- Der Betriebs- samte Karriere wirt und Unter- Regierungsfraktionen lassen hoffen, pisch deutsch: „Wir brauchen lange, verbrachte der nehmensberater dass auch der jahrelange Stillstand um uns für etwas zu entscheiden. Diplom-Inge- ist ein intimer beim Aufbau der nötigen Infrastruk- Aber wenn wir uns entschieden ha- nieur bei BMW. Kenner der Er startete als Finanzbranche. tur bald überwunden wird. ben, dann ziehen wir es auch durch.“ Trainee, wurde Seit 2014 leitet Arago-Chef Boos sieht sogar Nicht ausgeschlossen also, dass 2008 Vorstand er das deutsche Chancen, dass der nächste digitale das alte Lied bald einen neuen Refrain und 2015 zum Geschäft von CEO berufen. Bain & Company. Champion aus Deutschland kommen bekommt: So sehen Sieger aus. Scha- könnte. Am liebsten würde er es na- la-la-la-la. 1 Claus Gorgs E X T R A manager magazin 7
FAHRGEMEINSCHAFT Von null auf 2,5 Milliarden: Hakan Koç (l.) und Christian Bertermann steuern eines der wertvollsten Start-ups in Deutschland
AUTO1 UND DANN KAM OMA GAME CHANGER CUSTOMER EXPERIENCE AUTO1 Das Berliner Start-up stieg in nur fünf Jahren zu Europas größtem Gebrauchtwagenhändler auf. Erstmals gewähren die beiden Gründer Einblicke in die Steuerung ihres Fuhrparks. D as alte Postgebäude sagt tohäuser. Dank der Präsenz in mehr Arzt mit Autozeitschriften auf dem viel über das Lebens- als 20 Ländern macht sich Auto1 re- Tisch. Auf dem videoüberwachten gefühl in Kreuzberg. Ein gionale Preisunterschiede zunutze Parkplatz nebenan stehen mehr Fahr- Buchladen, ein Wein- und schaltet den Zwischenhandel aus. räder als Autos. handel und der Edel-Kinderausstat- Die meist privaten Verkäufer er- Hakan Koç und Christian Berter- ter Rasselfisch residieren hier, junge halten einen garantierten Preis und mann empfangen im Besprechungs- Väter schieben Kinderwagen vorbei. müssen sich um keinerlei Formalitä- raum DB5, benannt nach dem Auto- Über seinen größten Mieter aber ver- ten mehr kümmern. „Auto1 ist der klassiker von Aston Martin, dessen rät das Gründerzeithaus so gut wie erste Player, der eine international Bild eine der Wände ziert. Ansonsten: nichts. Erst auf den zweiten Blick ent- skalierbare Handelsplattform für Ge- nüchternes Businessmobiliar, weiße deckt man das DIN-A4-große Papier- brauchtwagen geschaffen hat“, lobt Wände, Glastüren. Auch das Vor- schild an der Glastür neben dem Al- BMW-Chef Harald Krüger. „Sie ver- standsbüro ist für jeden einsehbar, als natura-Supermarkt: „Auto1 Group“. ändern den Markt spürbar.“ Türschilder dienen DIN-A4-Blätter in Der bescheidene Auftritt steht in Anders als Vermittlungsportale Klarsichthüllen. krassem Gegensatz zur wirtschaft- wie Mobile.de oder Autoscout24 wird Beide Chefs tragen Jeans, der lichen Entwicklung: In fünf Jahren ist Auto1 selbst Eigentümer der Fahrzeu- oberste Hemdknopf ist offen. Gerade das Start-up von einer Zweimann- ge. So bekommt der Verkäufer schnel- kommen sie vom ersten Fotoshooting bude zu Europas größtem Gebraucht- ler sein Geld – und der Onlinehändler ihres Lebens und sorgen sich, ob sie wagenhändler mit 1,5 Milliarden Euro eine einzigartige Datenbasis realer auch gut rüberkommen. Öffentlich- Umsatz aufgestiegen. Durchschnitt- Preise. Das Start-up sei „sehr disrup- keit war bisher nicht so ihr Ding. Mit liche Wachstumsrate: 350 Prozent. tiv“, urteilt Googles Deutschland- Heimlichtuerei habe das nichts zu Mindestens 465 Millionen Euro Wag- Chef Philipp Justus. Mit einer Bewer- tun, versichert Koç. „Wir sehen nur niskapital haben die beiden Gründer tung von 2,5 Milliarden Euro steht der keinen Sinn darin, uns selbst zu pro- Hakan Koç (33) und Christian Berter- Gebrauchtwagenhändler bei Investo- moten. Wir nutzen die Zeit lieber, um mann (33) eingesammelt, damit ist ren ähnlich hoch im Kurs wie der die Company voranzubringen.“ FOTO: KAI MÜLLER FÜR MANAGER MAGAZIN Auto1 eine der wertvollsten deut- Kochboxversender HelloFresh oder Die Company, das sind mittlerwei- schen Neugründungen. der Lieferdienst Delivery Hero. Nur le rund 2800 Mitarbeiter (davon 1200 Das Geschäftskonzept ist so ein- ist über Auto1 nahezu nichts bekannt. in Deutschland), 350 Filialen und et- fach wie erfolgreich: Über diverse Hinter der Glastür mit dem Pa- wa 3000 verkaufte Autos – pro Tag. Onlineportale – das bekannteste ist pierschild tut sich eine eigene Welt Knapp eine Million Gebrauchtwagen Wirkaufendeinauto.de (WKDA) – er- auf: ein Empfangstresen mit der An- hat Auto1 seit seiner Gründung ge- wirbt das Unternehmen Gebraucht- mutung eines Check-in-Schalters am handelt, und jedes Jahr werden es ein wagen und verkauft sie weiter an Au- Flughafen, ein Warteraum wie beim paar Hunderttausend mehr. 2 E X T R A manager magazin 9
AUTO1 Ausgerechnet zwei studierte tendienstleistern. Beißt er an, genau kalkulieren. „25 Pro- VENTURE- Internet-Nerds haben es ge- wird das Auto inspiziert und DOMINIERT zent unserer Transaktionen schafft, eine Branche aufzurol- bewertet. Für jede Schramme, Eignerstruktur sind Null-Risiko-Transaktio- len, deren Image nur knapp jede Delle gibt es Abzüge. von Auto1, nen“, sagt Bertermann. Heißt: über dem von Hütchenspielern „Die ersten Fahrzeuge ha- in Prozent Bei jedem vierten Auto steht rangiert. Sie haben 30 000 Au- ben wir auf einem Parkstrei- der neue Besitzer schon fest, tohändler als Kunden gewon- fen begutachtet, erinnert sich wenn der alte den Vertrag un- nen, obwohl sie ihnen Teile Koç. Heute passiert das in terschreibt. „Wir können den des Geschäfts wegnehmen. Wie schmucklosen Hallen in Ge- Cashflow für jeden Wagen das gelang? Ganz einfach, sagt werbegebieten. Dort prüfen komplett nachvollziehen.“ Bertermann. Mit Einfachheit, Mitarbeiter die Autos nach ei- Für viele Autohäuser lohnt Transparenz und Vertrauen. nem festen Schema, anschlie- Institutionelle sich die Kooperation: Die zeit- ßend spuckt der Rechner den Eigner raubende Schnäppchensuche Preis aus. Nachverhandeln ist 19,8 DST Global entfällt, Überführungskosten Immenser Kapitalbedarf 10,6 Piton Jede Gründerstory braucht ei- nicht – dafür ist das Geld 24 Capital entstehen keine. „Früher sind nen Mythos. Bei Auto1 ist es der Stunden später auf dem Kon- 10,4 DN Capital die Händler mit roten Num- 17,8 Sonstige Mercedes 190D von Berter- to. Garantiert. mernschildern durch ganz manns Oma. 2012 wollte die al- „Die Standardisierung er- Private Eigner Deutschland gereist, nur um 17,6 Christian te Dame den Wagen loswerden, zeugt ein Vertrauen in das Bertermann ein Auto abzuholen“, sagt Koç. der Enkel versprach, sich zu System, dass man einen fairen 17,6 Hakan Koç „Wir sehen Autohäuser nicht kümmern. „Was dann kam, war Preis bekommt“, sagt Klaus 3,1 Christopher als Gegner, sondern als Part- Muhr nicht die beste Kundenerfah- Stricker, Autoexperte bei Bain 3,1 Eigene ner. Oft sucht ein Kunde ein rung“, sagt er. Kein Händler & Company. „Viele Kunden Anteile Modell, das der Händler gera- interessierte sich für die alte wollen auch gar nicht han- Quelle: mm- de nicht hat. Unsere Algorith- Möhre, keiner nannte einen deln, für sie ist die Geschwin- Recherche Grafik: mm men finden das passende Auto konkreten Preis. „Da dachten digkeit der Transaktion ein und bringen Angebot und wir uns, möglicherweise kann Wert an sich.“ Autoverkauf als Nachfrage zusammen. Wie man das besser machen.“ Convenience-Produkt. ein Clearing-House.“ Es war mehr als eine Ah- Die Kehrseite: Das Ankau- Zahlreiche Risikokapital- nung. Beide kennen die Berliner fen der Autos löst einen im- geber haben die Gründer Start-up-Szene, haben beste mensen Kapitalbedarf aus. überzeugt, darunter DN Capi- Kontakte, wissen, wie gute On- Dafür erhält Auto1 einen ein- tal und der Facebook-Investor linegeschäftsmodelle funktio- zigartigen Überblick über die DST Global (siehe Grafik nieren. Bertermann hatte beim Fahrzeugwerte in ganz Euro- oben). J. P. Morgan, Goldman Gutscheindienst Groupon ge- pa – und kann entsprechend Sachs und BNP Paribas gaben arbeitet, Koç als Produktchef Kredite. Knapp eine halbe beim Onlineeinrichtungshaus Milliarde Euro hat das Start- Home24. Beide hatten ihre Jobs up in zwei Finanzierungs- gekündigt, um etwas Neues auf- runden eingesammelt, min- zubauen, allein die zündende destens. Koçs wissendes Idee fehlte noch. Sie hatten eine Lächeln lässt vermuten, dass App angedacht. „Dann kam deutlich mehr Kapital im Oma“, erzählt Bertermann. Spiel ist. Doch Eigenkapital- Seine Website program- quote, Finanzierungskondi- mierte das Duo selbst, tionen, Cash-burn-Rate behal- professionell und ein- ten die Gründer für sich. Nur ILLUSTRATION: RUSSLAN FÜR MANAGER MAGAZIN fach zugleich sollte sie so viel: Derzeit gebe es keinen sein. „Der Kunde muss „immensen Geldbedarf“. immer wissen, wie es Seit 2014 rollt das Unter- weitergeht“, sagt Berter- nehmen sein Geschäftsmo- mann. So läuft es bis heu- dell in halb Europa aus, drei te: Gleich in der ersten Mail be- bis vier Jahre dauert es, bis kommt der Autobesitzer eine ein Land schwarze Zahlen Preisschätzung, basierend auf schreibt. Demnach müsste Restwertberechnungen von Da- Auto1 spätestens 2018 Gewinn 10 manager magazin E X T R A
erwirtschaften. „Der deutsche Markt NAH RAN AN DEN KUNDEN ist bereits profitabel“, sagt Berter- Diese Unternehmen schafften es mit ihrer Digitalstrategie mann. Eine Expansion über Europa in der Kategorie „Customer Experience“ in die Endrunde hinaus sei vorerst nicht geplant. Zunächst gibt es auch in den beste- CECONOMY Mit Vir- Kundendaten aus der schärfste Rivale von henden Märkten einiges zu verbes- tual-Reality-Brillen und Cloud ab und stellen Amazon und Zalando. sern. Das junge Unternehmen hat mit Robotern, die Ware für sich automatisch auf 2016/17 erlöste die Otto unzufriedenen Kunden zu kämpfen, die Kunden aus dem den Nutzer ein, der per Group 12,5 Milliarden das Internet ist voller Negativbewer- Lager holen, vermittelt App sein Trainingspro- Euro. tungen: „Finger weg!“, „Katastropha- Europas führender gramm steuern und ler Laden“ oder „Nie wieder“ sind Elektronikhändler seine Leistungen spei- THERMONDO Mit noch die harmloseren Kommentare. einen Vorgeschmack chern und abrufen wenigen Klicks zur davon, wie das Einzel- kann. Der Umsatz neuen Heizung: Ther- Intransparenter Markt handelsgeschäft der von EGym lag 2015 bei mondo digitalisiert Hauptkritikpunkt: Der am Ende ge- Zukunft aussehen 18,8 Millionen Euro, eine klassische Hand- zahlte Preis ist oft viel niedriger als könnte. Das M-Dax- das durchschnittliche werksbranche und das erste Angebot. „Wenn die Erfah- Unternehmen treibt Wachstum pro Jahr erspart zeit- und kos- rung der Kunden nicht so rosig ist wie die Integration seiner bei 240 Prozent. tenintensive Besuche das Kundenversprechen, ist die Frage, MediaMarkt- und des Installateurs. Statt- wie nachhaltig das Geschäftsmodell Saturn-Märkte mit dem OTTO Durch den Ein- dessen wird die Hei- ist“, sagt Google-Manager Justus. An- Onlinegeschäft voran satz digitaler Techno- zungsanlage online dererseits lebe der Gebrauchtwagen- und erzielte damit in logien wie künstlicher konfiguriert, der Kunde markt von einer gewissen Intranspa- den vergangenen Jahren Intelligenz ist es dem lädt Fotos der Räum- renz, meint Bain-Experte Stricker. eine stetige Umsatz- zweitgrößten Online- lichkeiten hoch, Vor- „Wer einen Informationsvorsprung steigerung auf zuletzt händler der Republik schläge für die pas- über den Zeitwert der Autos hat, kann 21,9 Milliarden Euro. gelungen, die Nach- sende Therme gibt’s gute Profite machen.“ Zudem sind frage besser vorherzu- per E-Mail. Der Hand- Autobesitzer selten zufrieden mit EGYM Der 2010 ge- sagen und den Liefer- werker kommt nur ein dem Preis, egal an wen sie verkaufen. gründete Hersteller prozess deutlich zu einziges Mal: am Tag Koç kann die Anfeindungen nur von Fitnessgeräten hat verkürzen. Der ehema- des Einbaus. Das 2012 bedingt nachvollziehen. „Wir handeln der Branche einen lige Katalogversender gegründete Start-up 450 000 Fahrzeuge im Jahr, die ge- wahren Digitalschub ist mit Marken wie setzt rund 30 Millionen messene Kundenzufriedenheit liegt gegeben. Die Kraft- Otto oder Bonprix und Euro um, zu den In- bei 70 bis 80 Prozent. Solche Werte maschinen rufen bei dem konzerneigenen vestoren gehört unter erreicht man nur mit einem seriösen Trainingsbeginn die Logistiker Hermes der anderem Eon. Angebot.“ Den Vorwurf der Bauern- fängerei weist er von sich. „Sicher gibt es Kunden, die mehr erwartet hätten, weil für die Berechnung des Erstan- zial indes „höher als bei einem reinen aber die wissen oft nicht, dass ein Au- gebots nur theoretische Restwerte Vermittler“, sagt Koç. to in drei Jahren 50 Prozent an Wert herangezogen werden. „Wir brauchen Auch ein Verkauf an private End- verliert und die Preise auf Mobile.de noch zwei bis drei Jahre, bis wir genü- kunden sei denkbar, ein Test mit rund keine Marktpreise sind.“ gend eigene Preise in der Datenbank 300 Fahrzeugen läuft gerade in Berlin. Praxischeck in Hamburg: Unser haben, um exaktere Prognosen zu „Wenn das Konzept ein Erfolg wird, silbergraues Testobjekt ist 13 Jahre machen“, sagt er. würden wir das bundesweit ausrol- alt und hat schon ein paar Kratzer. 10 Prozent Marktanteil in der zer- len“, so Bertermann. Ein Gang an die 7153 Euro stellt WKDA online für die splitterten Branche strebt Auto1 lang- Börse steht jedoch nicht zur Debatte. Mercedes-B-Klasse in Aussicht. Nach fristig an. Allein in Deutschland wür- „Welchen Vorteil hätten wir davon?“ einer halbstündigen Inspektion blei- de dies einen Umsatz von gut acht An Kapital scheint es tatsächlich ben davon 4175 Euro übrig – ein Preis- Milliarden Euro bedeuten, fünfmal so nicht zu mangeln, weder beruflich rutsch von mehr als 40 Prozent. Be- viel wie 2016. Selbst bei einer Marge noch privat. Die beiden Gründer ha- gründung: keine. Das System ist im niedrigen einstelligen Bereich, wie ben jüngst mit eigenem Geld einen unbestechlich, auch der Angestellte sie im Gebrauchtwagenhandel üblich Wagnisfinanzierer ins Leben gerufen kann die Abweichung nicht erklären. ist, bliebe dann ein dreistelliger Mil- und fördern kleinere Start-ups. Schon Einem Insider zufolge kommen lionengewinn hängen. Da der Zwi- der Name klingt, als hätten sie noch die hohen Preisdifferenzen zustande, schenhandel entfällt, sei das Poten- einiges vor: Warpspeed. 1 Claus Gorgs E X T R A manager magazin 11
ADIDAS INDIVIDUELLER LAUFEN D ie Zukunft der GAME CHANGER OPERATIONS OF THE FUTURE Schuhindustrie Deutschlands Sportkonzern Nummer eins ADIDAS liegt in einem Ge- treibt die Digitalisierung in der Branche voran. Die gerade werbegebiet am Rande der fränkischen Gemein- eröffnete Speedfactory ist da nur der Anfang. de Ansbach. Ein Werk des Au- tozulieferers Bosch gibt es hier und ein großes Maisfeld. Da- SPORT- verändern“, sagt Adidas-Chef Großraumbüros, die anmuten zwischen ein lang gestrecktes LICH Kasper Rorsted. „Sie wird unser wie eine Mischung aus Schnei- Adidas-Chef Fabrikgebäude, umgeben von Kasper Unternehmen verändern.“ Und derei und Ingenieurbüro, wird einem gut zwei Meter hohen Rorsted (r.) die Industrie gleich mit. an den Produkten der Zukunft will mit der Sicherheitszaun. Auf dem Ge- Speedfactory Schuhe aus recyceltem Mee- gearbeitet. An den Wänden hän- lände Videokameras. Es ist „die Art, wie resmüll, Fußballschuhe mit De- gen halb fertige Zuschnitte von neun Uhr morgens, in der wir arbeiten, signs zum Wechseln und jetzt Damenlaufshirts, auf den Ti- verändern“ Herbstsonne leuchtet die Fas- die Speedfactory: Wie kein schen stehen Laptops zwischen sade fast unnatürlich weiß. Da- zweiter Sportartikelhersteller Stoffballen, ein Mitarbeiter be- rauf der schwarz-rote Schrift- treibt Adidas die Individuali- arbeitet das dreidimensionale zug „Oechsler Motion“. So weit, sierung und Digitalisierung sei- Modell eines Sportschuhs am so unverdächtig, wäre da nicht nes Geschäftsmodells voran. Bildschirm. „Vor sechs Jahren der von außen kaum zu erken- „Solche kontinuierlichen Inno- waren wir noch auf Produkte nende Schriftzug im Eingangs- vationen werden den gesamten fokussiert“, sagt Manz, der die bereich, der den wahren Haus- Markt neu definieren, und Adi- Technologieentwicklung bei herrn preisgibt: Adidas. das hat sich damit in den letz- Adidas leitet. „Heute stellen wir Speedfactory nennt sich die ten Jahren sehr gut positio- das gesamte Geschäftsmodell unscheinbare Halle – und um niert“, sagt Andreas Dullweber, infrage. Wir sind eine Innova- keinen anderen Standort macht Strategieberater und Partner tionsmaschine.“ der Sportartikelhersteller aus bei Bain & Company. Die Tech- Es war der damalige Kon- dem nur 56 Kilometer entfern- nologie sei beeindruckend, fin- zernchef Herbert Hainer, der ten Herzogenaurach ein grö- det auch Google-Deutschland- den Wandel anstieß – aus der ßeres Geheimnis. Selbst Kon- Chef Philipp Justus: „Weder Not heraus. Denn Investoren zernangehörige dürfen hier nur von Nike noch von Puma hat und Analysten hatten das Ge- mit Sondergenehmigung rein, man bisher etwas Vergleichba- fühl, Adidas falle nichts mehr für Externe ist die Fabrik Sperr- res gehört.“ ein, sie straften die Aktie ab. gebiet. Auf dem Gelände seines Das Reich von Gerd Manz „Seither fragen wir uns nicht Partners testet Adidas ein völlig liegt am äußersten Rand des mehr nur, welchen Schuh un- neues, datenbasiertes Konzept, Adidas-Campus in einem Kom- sere Kunden als Nächstes von um Sportschuhe herzustellen. plex namens Laces, benannt uns erwarten – sondern was sie Technisch ist es möglich, je- nach den zahlreichen Fußgän- überhaupt von uns erwarten“, des Paar persönlich auf jeden gerbrücken, die sich durch das sagt Markenstratege James FOTO: DANIEL DELANG FÜR MM Kunden anzupassen. Die Sohle Gebäude winden wie Schnür- Carnes. Also gingen die Ent- kommt individualisiert aus dem senkel durch einen Schuh. Laut- wickler mit Kunden in New 3-D-Drucker, das Obermaterial los schwingen zwei Plexiglas- York und Shanghai joggen, wird vor Ort per Laser zuge- türen auf und geben den Weg spielten Fußball mit Jugendli- schnitten. „Die Speedfactory frei ins Future Lab, die Innova- chen in London. Und gewannen wird die Art, wie wir arbeiten, tionsabteilung des Konzerns. In verblüffende Erkenntnisse. 2 12 manager magazin E X T R A
ADIDAS „Die Erwartungen speziell steht, wobei die äußere Hülle der jüngeren Generation ha- immer wieder gewechselt wer- ben sich komplett geändert“, den kann – und damit das De- so Manz. Es reiche heute nicht sign. Alle paar Wochen kommt mehr, einfach nur gute Pro- ein neuer Look auf den Markt, dukte herzustellen. „Die jun- den nur Mitglieder der Com- gen Leute sehen sie als Teil munity kaufen können. Mar- ihres Lebens. Sie wollen sich kenstratege Carnes kann sich einer Gruppe zugehörig füh- künftig viel mehr solcher Pro- len, und Werte wie Nach- jekte vorstellen. „Und alle wer- haltigkeit und Ökologie sind den anders aussehen und an- ihnen sehr wichtig.“ Mar- ders heißen.“ kenkult als gesellschaftliches Um bei dieser extremen In- Statement. dividualisierung die Kosten im Auch dass ein Laufschuh in Griff zu behalten, muss sich der New York andere Eigenschaf- HÖHER, klang zu verbessern. Zusam- gesamte Herstellungsprozess ten haben muss als in Paris, SCHNELLER, men mit Umweltschützern ändern. Deshalb die Speed- WEITER lernten die Konzernstrategen. Umsatzent- entwickelte der Konzern ein factory. Anders als bei der üb- „In Paris joggen sehr viele wicklung von Verfahren, Garn aus Mee- lichen Massenproduktion wird Leute entlang der Seine, im- Adidas, resmüll zu gewinnen – und kein Prototyp mehr erstellt und mer geradeaus“, sagt Carnes. in Mrd. Euro daraus Turnschuhe zu ma- hunderttausendfach repliziert. „In New York laufen sie eher 20 chen. Wer Produkte aus Der Schuh entsteht komplett im eigenen Viertel um den Kunststoff herstelle, könne am Rechner, auch die Belas- Block, also viel häufiger um nicht ignorieren, dass Plastik- tungstests finden rein virtu- die Ecke. Das stellt andere 15 müll ein Problem ist, sagt Ent- ell statt. Herausforderungen an einen wicklungschef Manz. Zumal Am Ende des Entwicklungs- Schuh.“ Bisher war es in der prozesses reicht ein Knopf- Jeder 10 Fertigung nicht möglich, ein druck – und der fertige Schuh Modell solchen regionalen 2012 2017¹ läuft aus der Maschine. Eine Re- Besonderheiten anzupassen. Jetzt schon. 1 | Schätzung. Quelle: Unternehmen, Schuh volution, wenn man bedenkt, dass es in der herkömmlichen aus der Bain & Company Grafik: mm Sportschuhproduktion immer Schuhe aus Müll noch bis zu 18 Monate dauert, Wie alle Sportartikelhersteller steht Adidas vor einem Dilem- digitalen bis eine Neuentwicklung beim Händler im Regal steht. ma: Der Ruf der Marke speist sich aus sportlichen Erfolgen. Fabrik Natürlich wird die Speed- factory diese Zyklen nicht über Hightechmaterialien, Top- stars, Siege, Meisterschaften. kann als Nacht ändern. Die erste Pro- duktion aus Ansbach, die seit Der Großteil der Kunden da- gegen treibt keinen Hochleis- Unikat wenigen Wochen verkauft wird, setzt sich aus mehreren Klein- tungssport, er definiert sich über den Lifestyle mit der gefertigt serien von insgesamt 300 000 Paar zusammen. Bei maximaler Marke. „Diesem Spagat stellt sich Adidas“, sagt Branchen- kenner Dullweber. werden. Auslastung bringen es die beiden Zukunftsfabriken – ne- ben Ansbach entsteht ein wei- ILLUSTRATION: RUSSLAN FÜR MANAGER MAGAZIN Als mahnendes Beispiel Recyclingprodukte ja nicht terer Standort in Atlanta, USA gilt den Franken der Lokalri- von minderer Qualität sein – auf einen Ausstoß von einer vale Puma, der vor zehn Jah- müssen. Million Paar Schuhe. So viel ren den Fokus allzu sehr in In London erwuchs aus verkauft Adidas üblicherweise Richtung Mode verschob – den Gesprächen mit den an einem Tag. und abstürzte, als die Ge- Jugendfußballern ein Projekt „Wir fangen bewusst klein schmäcker sich änderten. namens Glitch: ein Fuß- an, um zu lernen“, sagt Manz. Adidas ist daher bestrebt, ballschuh, der aus einem In- Was erfolgreich ist, wird suk- Qualität und Image im Ein- nen- und Außenschuh be- zessive in die Produktion an an- 14 manager magazin E X T R A
ADIDAS deren Standorten übertragen. Kon- Kunden das Outfit digital auf den produktion. Kleinserien bleiben ten- zernchef Rorsted peilt an, bis 2020 Leib schneidern. Aus denselben Da- denziell aufwendiger. die Hälfte aller Produkte schneller zu ten ließe sich auch ein T-Shirt bei entwickeln und herzustellen. H&M oder ein Hugo-Boss-Anzug Das Schnürsenkeldilemma Langfristig sind die Pläne deutlich nach Maß fertigen. CEO Rorsted er- Auf einem internen Adidas-Video ist ambitionierter. Technisch wäre es wartet, dass man sich in spätestens zu sehen, wie einzelne Komponenten schon heute möglich, jeden Schuh in fünf Jahren seinen persönlichen von Hand vernäht werden. Und auch der Speedfactory individuell zu ferti- Schuh im Adidas-Shop ausdrucken im 21. Jahrhundert ist es noch nicht gen. „Eines Tages wird man seinen lassen kann. „Das kommt. Ist alles gelungen, eine Maschine zu entwi- Fuß am Freitag mit dem Smartphone eine Frage der Zeit und des Preises.“ ckeln, die Schnürsenkel einfädeln scannen und am Montag den fertigen Wie viele Kunden tatsächlich be- kann. So kostet ein Paar Laufschuhe Schuh nach Hause geliefert bekom- reit sind, für einen solchen „Maß- aus der ersten Speedfactory-Serie 220 men“, sagt Carnes. schuh“ einen höheren Preis zu zah- Euro. Rund doppelt so viel, wie Adi- Dasselbe gelte für die Bekleidung. len, muss sich zeigen. Denn trotz der das für ein Exemplar aus der Massen- Adidas hat bereits erste Experimente digitalen Technik wird er stets teurer produktion verlangt. mit Körperscannern gemacht, die sein als ein Schuh aus der Massen- Entwicklungschef Manz wird ge- radezu euphorisch, wenn er von den neuen Möglichkeiten spricht. Die Test- DEN SCHALTER UMLEGEN ergebnisse seien top, die Maschinen arbeiteten mit nie gekannter Präzi- Die Finalisten der Kategorie „Operations of the Future“ sion. Verläuft das Experiment erfolg- haben ihre Produktion konsequent digitalisiert reich, soll die Fertigung schrittweise von Lauf- auf Fußballschuhe und an- BOSCH Der Technolo- henden Werke Schritt leister, Onlinedruckerei dere Sportarten ausgeweitet werden. giekonzern ist nicht für Schritt zu digi- und App-Entwickler. Was bedeutet das langfristig für nur ein führender An- talisieren und neue Fotobücher, Poster, die Produktionsstätten in Asien? bieter von Industrie- Technologien wie die Kaffeetassen: Alles Carnes gibt sich zurückhaltend: „Die 4.0-Lösungen, er setzt Kommunikation über wird online bestellt Speedfactory ist für mich der mit Ab- sie auch in den eigenen RFID-Chips in seine und personalisiert her- stand beste Weg, Schuhe zu produzie- Werken entlang der IT-Infrastruktur zu gestellt. Umsatz (2016: ren. Daraus dürfen Sie gern Ihre gesamten Wertschöp- integrieren. Das Fami- 593 Millionen Euro) Schlüsse ziehen.“ Weitere Standorte fungskette ein. Das lienunternehmen aus und Ebitmarge steigen schließt er nicht aus. Tracking von Bauteilen Coburg macht 6,1 Mil- seit Jahren stetig. In jedem Fall bietet die Speed- erfolgt in Echtzeit, liarden Euro Umsatz factory die Chance, den zuletzt ge- Roboter und Menschen und ist global vertre- STIHL Der Weltmarkt- schrumpften Abstand auf Marktfüh- arbeiten Hand in Hand, ten. In jedem zweiten führer für Kettensägen rer Nike weiter zu verkürzen. Beim die Arbeitssicherheit Neuwagen arbeiten hat seine Produktion Umsatz liegen die Amerikaner mit wird digital überwacht. Brose-Teile. sowie die gesamte umgerechnet 30,8 Milliarden Euro So ist es dem Konzern Wertschöpfungskette immer noch weit vor den Deutschen (Umsatz 2016: 73,1 CEWE Zwölf Produk- digitalisiert und (2016: 19,3 Milliarden Euro), außer- Milliarden Euro) ge- tionsstätten und mehr vernetzt. Fertigungsro- dem sind sie profitabler. Nur: Über lungen, Produktivität als 25 000 Handels- boter kommunizieren die Technologie der Speedfactory ver- und Qualität zu partner in 24 Ländern – direkt mit dem eigenen fügen sie bisher nicht. „Der Wettbe- steigern. Über die Kon- wer hätte das gedacht und den IT-Systemen werb beobachtet sehr genau, was hier ferenz „Connected von einer Firma, die der Zulieferer, Men- gerade passiert“, sagt Bain-Experte World“ hat er sich ihr Geld einst mit dem schen und Maschinen Dullweber. zudem als Meinungs- Entwickeln analoger arbeiten bei Stihl Der Erzrivale reagiert bereits. Un- bildner beim Thema Filme verdiente. Das eng zusammen. Mit längst erst gab Nike bekannt, ins Internet der Dinge Stiftungsunternehmen Erfolg: Der Umsatz Geschäft mit intelligenter Sportbe- positioniert. aus Oldenburg hat stieg in den vergange- kleidung einzusteigen. Über einen eine radikale Transfor- nen Jahren im Schnitt Funkchip im Trikot werden Informa- BROSE Der Auto- mation hinter sich und um über 6 Prozent tionen an das Smartphone gesendet. mobilzulieferer hat es ist heute Europas größ- auf zuletzt 3,5 Millio- Das Rennen der beiden Konkurrenten geschafft, seine beste- ter Digitalfotodienst- nen Euro. um die digitale Vorherrschaft hat be- gonnen. 1 Claus Gorgs E X T R A manager magazin 15
WEITBLICKER Joe Kaeser erlebte den Niedergang der Kommunika- tionstechnik mit – und stellte daher schon als CFO ausreichend Geld für Software- übernahmen bereit
SIEMENS W DAS enn ein Flugzeug in London-Heathrow landet und die Pas- sagiere aussteigen, MASS geht im Untergrund des riesigen Flughafens die Arbeit erst so richtig los. Mehrere Stockwerke unter der Erde rasen Hunderte Koffer über ki- DER lometerlange Gepäckförderanlagen durch Tunnel in jene Terminals, von denen aus direkt weitergeflogen wird. Wenn eine dieser Anlagen ausfällt DINGE und die Koffer hängen bleiben, kann das zum Albtraum für die Passagiere werden – und teuer für die Airlines. Je klüger und ausgereifter die Technologie in den Katakomben von Heathrow, desto zuverlässiger der GAME CHANGER PRODUCT & SERVICE INNOVATION Gepäckservice. Seit Siemens vor we- nigen Monaten einige Kilometer För- SIEMENS Das Desaster bei der Kommunikations- deranlagen an sein offenes Betriebs- technik sollte sich in der Industrieautomation system MindSphere angebunden hat, nicht wiederholen. Also kauften läuft es rund in London. Die Anlage die Münchener Softwarefirma über Softwarefirma – arbeite „nahezu ohne Ausfälle“, be- und hängen die Konkurrenz heute richtet Michael Reichle, der Chef von Siemens Postal, Parcel & Airport mit ihrer Digital Factory ab. Logistics (SPPAL). Nun sollen die nächsten Kilometer mit der Techno- logie des Internets der Dinge (IoT) bestückt, also digitalisiert werden. Entwicklung. Siemens’ Digital Facto- gital Factory sei „best in class“ – da- Überall an den Förderanlagen wer- ry verändere die Zukunft der indus- bei hatte sich eigentlich GE öffent- den Sensoren angebracht, die Geräu- triellen Fertigung, sagt Bain-Partner lichkeitswirksam den Wandel zur sche aufnehmen und die Dicke von Markus Bürgin. Zugleich sei sie „der Software-Company vorgenommen. Blechen und Rollenbeschichtungen Motor für die Digitalisierung von Dem Vorsprung gingen zehn Jah- sowie die Schwingungen der angetrie- Siemens selbst“. re systematische Aufbauarbeit mit benen Wellen messen. Diese Daten Tatsächlich gewinnt die Digital 15 Softwareakquisitionen für insge- werden an die MindSphere-Plattform Factory seit Jahren Marktanteile ge- samt 10 Milliarden Euro voraus. Ein übertragen und mit den Solldaten genüber Rivalen wie General Electric, Kraftakt, der selbst für einen Koloss verglichen. Deutet eine Abweichung Rockwell, Dassault, ABB oder Schnei- wie Siemens nicht leicht zu stemmen darauf hin, dass ein Stillstand droht, der Electric, die alle nur Teile der war. „Die Ausrichtung auf Digitalisie- greift das Wartungspersonal ein. Wertschöpfungskette anbieten. Mit rung gehört in eine Reihe mit den Das neue, cloudbasierte Konzept einer Gewinnmarge von rund 20 Pro- ganz großen Meilensteinen in der wurde von der Siemens-Division Di- zent ist die Siemens-Division ihrer Geschichte des Unternehmens“, sagt gitale Fabrik entwickelt. Das Londo- Konkurrenz weit enteilt. „Unser Di- Kaeser. ner Beispiel zeigt, dass sich seine Vor- gital Enterprise ist das Maß der Dinge Angefangen hat „Siemens’ großar- teile nicht nur in Fabriken ausspielen für Industrie 4.0“, sagt Konzernchef tigste Erfolgsstory“ (Barclays), die lassen. Die Anlagen laufen effizienter, Joe Kaeser. der Harvard Business School 2016 so- weil Störungen seltener und Instand- Auch die Analysten überschlagen gar als Fallstudie diente, indes recht haltungskosten niedriger sind. sich mit Lob. „Die Digitalisierungs- mühselig. Als Anton Huber, Bereichs- Der Clou bei MindSphere: Sie- kette, die Siemens anbietet, ist he- vorstand der Industrieautomation FOTO: GENE GLOVER FÜR MM mens verbindet die virtuelle Welt der rausragend“, urteilt Morgan Stanleys und späterer Digitalfabrikchef, 2006 Produktentwicklung mit der realen Ben Uglow. Siemens sei „heute schon vorschlug, Siemens solle in die Indus- Welt der Fertigung und schafft über mehr ein IT-Unternehmen als GE“, triesoftware einsteigen und den US- seine Digitalplattform die Rückkopp- so Deutsche-Bank-Analyst Gael de- Anbieter UGS kaufen, wäre er damit lung von der Fabrik zurück in die Bray. Die Innovationsfähigkeit der Di- beinahe durchgefallen. Chefkon- 2 E X T R A manager magazin 17
SIEMENS trolleur Heinrich von Pierer war trieb nehmen könne. Hubers rungsgeschäft weg, wovon grundskeptisch („Siemens kann Schlussfolgerung: Siemens sich die Sparte, die heute als keine Software“). Sein Ratskol- brauchte dringend einen Digitale Fabrik firmiert, auf- lege, der damalige Deutsche- CAD-Hersteller wie UGS. grund ihrer Wettbewerbsfä- Bank-Chef Josef Ackermann, Erst in der Due Diligence higkeit schnell erholte. Seit- fand den Preis von 3,5 Milliar- entdeckten die Ingenieure, her zählt sie beständig zu den Dollar – mehr als das Drei- dass die Amerikaner auch eine Siemens’ wachstums- und fache des UGS-Umsatzes – viel Software zum Management ertragsstärksten Geschäften. zu hoch. des gesamten Produktlebens- Die nachfolgenden Software- zyklus (PLM) namens Team- übernahmen konnte Huber Zukäufe in Serie center entwickelt hatten. Eine JA N M ROSIK deshalb deutlich leichter Doch Huber, ein kantiger Ober- Plattform also, über die Ma- wechselte 2016 durchsetzen. 2016 fädelte er vom Energie- bayer mit hoher Stirn, ließ nicht schinenentwickler Daten mit management an noch den 4,4 Milliarden Dollar locker, er wusste einen mächti- den Simatic-Experten austau- die Spitze der teuren Erwerb des US-Anbie- gen Fürsprecher auf seiner Sei- schen konnten. Damit konnte Digitalen Fabrik ters Mentor Graphics ein, um te: Joe Kaeser, damals Hüter der Huber die Gremien überzeu- sich dann in den Ruhestand zu Siemens-Kasse. Kaeser hatte gen. In seiner Aufsichtsrats- verabschieden. ihm signalisiert, dass er für eine vorlage schrieb er Anfang 2007: Mentor füllte mit seiner strategisch sinnvolle Akquisi- „Der Einstieg ins PLM-Ge- Software für Elektronikdesign tion das Geld bereitstellen wür- schäft ist die einzige strategi- die letzte große Lücke im Sor- de. Zu jener Zeit wickelte Sie- sche Alternative für A & D.“ timent und wird derzeit ins mens sein Milliardengeschäft Und er behielt recht. Teamcenter integriert. Wird A N TON mit der Kommunikationstech- Die Kollaborationsplattform HUBER künftig ein neues Produkt nik ab, der Konzern hatte den Teamcenter wurde zum Kern legte das Fun- entwickelt, etwa ein PC, arbei- dament für die Trend zur Telefonie über das von Siemens’ Digital Enter- Digital Factory, ten über ein im Teamcenter Internet verschlafen – was Kae- prise Suite. Die nahezu voll au- bis er vor gut abgelegtes Anforderungs- ser als früheren Mobilfunktech- tomatisierte Komplettlösung einem Jahr in profil Mechanik-, Elektronik- Ruhestand ging nik-CFO besonders schmerzte. für die Wertschöpfungskette und Softwaredesigner parallel In der Automatisierungstech- bietet Siemens seit 2016 an. an dem Projekt und erstellen nik, die damals A & D (Automa- Bald nach dem Kauf von zunächst einen digitalen Zwil- tion & Drives) hieß, sollte sich UGS brach in der Finanzkrise ling des PC, dann ein Ferti- so etwas nicht wiederholen. das gesamte Automatisie- gungskonzept. A & D schien ähnlich bedroht Daraus werden die Codes wie die Kommunikationssparte, für die Maschinensteuerun- insbesondere das hochprofi- gen, die vor zehn Jahren noch table Geschäft mit den Simatic- Simatic-Entwickler schrieben, Kästen, die weltweit jede dritte automatisch generiert und via Maschine steuern. Viele sorgten Simulation verifiziert. Nach sich, der Industrie-PC könnte der virtuellen Inbetriebnahme die Kästen ablösen. Huber er- wird das Ganze in der realen FOTOS: PR, ERICH MALTER; ILLUSTRATION: RUSSLAN FÜR MANAGER MAGAZIN kannte, dass die Entwicklung Welt nachgebaut und – dank der Simatic-Software und da- der Daten des digitalen Zwil- mit ein Großteil seiner Wert- lings – direkt in Gang gesetzt. schöpfung zu Anbietern von Das bedeutet etwa bei ei- CAD-Konstruktionssoft ware nem Modellwechsel in einer wie etwa Dassault abwandern Autofabrik: Die Umrüstung könnte. der Produktion auf das neue Der für die Simatic zuständi- Modell kann vollständig si- ge Manager bekam damals muliert werden, was die Um- enormen Druck von seinen Au- rüstzeiten enorm verkürzt. tokunden. Die forderten, Sie- „Autohersteller können so mens müsse bei der Automati- ihre Entwicklungszeiten we- sierung viel mehr simulieren, sentlich senken“, sagt Jan damit man die Maschinen in Mrosik, der Huber an der Spit- den Fabriken schneller in Be- ze der Digitalfabrik beerbte. 18 manager magazin E X T R A
Manche Kunden brächten neue Mo- TRECKER, STAPLER, HEIZER delle dadurch bis zu 50 Prozent Mit disruptiven Ansätzen in etablierten Branchen punkten schneller auf den Markt. die Finalisten der Kategorie Product & Service Innovation Dank der Plattform MindSphere, die Siemens im Frühjahr 2016 heraus- CLAAS Der Landma- Unternehmen die ge- Möglichkeit, ihre Kun- brachte, gelingt inzwischen sogar die schinenhersteller hat samte Logistikkette den lokal, digital und Rückkopplung in die Entwicklung: ein neues Saatgut ent- vor: Durch die Über- individuell anzuspre- Über das offene IoT-Betriebssystem deckt: Daten. Daraus nahme des US-Automa- chen. Mit 30 000 in- kann der digitale Produktionszwilling wachsen neue Erträge tisierungsspezialisten stallierten Minisendern angepasst, die Fertigung optimiert für das westfälische Dematic kann Kion (Beacons) leitet Ströer und sogar das Produkt nachträglich Unternehmen – und vollintegrierte digitale (Umsatz 2016: 1,1 Mil- verbessert werden. für dessen Kunden, die Logistiklösungen an- liarden Euro) Inhalte Landwirte. Die Ma- bieten, passgenau direkt an Smartphones MindSphere wird Mainstream schinen berechnen den auf jeden Kunden zu- und macht sich so MindSphere werde inzwischen in optimalen Zeitpunkt geschnitten. Das dürfte unabhängig von Platt- einer „mittleren dreistelligen Zahl“ für Aussaat und Ernte, den Umsatz von 5,6 formen wie Google. von Fabriken und Anlagen verwendet, sammeln permanent Milliarden Euro und darunter auch in vielen der 270 Daten auf den Feldern die Ebit-Marge von TADO Innerhalb weni- Siemens-Produktionsstätten, berich- und sind über die rund 8 Prozent weiter ger Jahre hat sich das tet Mrosik. „Die Lösungen, die wir cloudbasierte Platt- treiben. Münchener Start-up zu anbieten, nutzen wir natürlich auch form 365FarmNet mit Europas führendem selbst.“ allen relevanten Part- STRÖER Mit Plakat- Anbieter von intelligen- Im Elektromotorenwerk in Bad nern vernetzt. Damit wänden fing alles an, ter Heizungssteuerung Neustadt an der Saale beispielsweise, gestaltet Claas (Umsatz heute ist Ströer der entwickelt, mit 15 Mil- wo es geradezu „nach digitalem Me- 2016: 3,6 Milliarden größte Werbeflächen- lionen Euro Umsatz. tall riecht“ (Mrosik). Das 80 Jahre al- Euro) die Zukunft des vermarkter in Deutsch- Die intelligenten Steue- te Werk bekommt derzeit viel Besuch Digital Farming ganz land – sowohl in der rungssysteme machen von Kunden, vor allem aus der Werk- maßgeblich mit. digitalen als auch der nahezu jede Heizung zeugmaschinenindustrie. Dort sind realen Welt. Mit Big- und jede Klimaanlage bis zu 30 Jahre alte Apparate aller Ka- KION Selbstfahrende Data-Analysen können über das Smartphone tegorien über MindSphere miteinan- Gabelstapler hat die die Kölner Werbung steuerbar und tragen der vernetzt. Neue Maschinen lassen frühere Linde-Sparte an vordefinierte Ziel- dazu bei, die Heizkos- sich dank digitaler Zwillinge von Pro- schon länger im Pro- gruppen ausspielen, ten und den Energie- dukten und Anlagen deutlich schnel- gramm, nun nimmt sie eröffnen damit auch verbrauch um bis zu ler in Betrieb nehmen. sich das Wiesbadener kleineren Firmen die ein Drittel zu senken. Noch stehe man bei alldem am An- fang, sagt Mrosik. Nur 3,5 Prozent al- ler Fabriken sind derzeit an eine IoT- ner durch ihre ebenfalls Anfang 2016 hat den ‚tipping point‘ erreicht“, glaubt Plattform angeschlossen. „Das Poten- eingeführte IoT-Plattform Predix, die Morgan-Stanley-Experte Uglow. „Das zial ist also riesig.“ Sein Plan ist, den sie seit 2011 mit einem Milliarden- wird jetzt Mainstream.“ Umsatz mit Software, Digitaldiensten investment aufgebaut haben. Bereits heute macht die Digitale und Cloudplattformen bis 2020 Doch dort läuft es alles andere als Fabrik Analystenschätzungen zufolge jährlich zweistellig zu steigern. 2016 rund. Wegen technischer Probleme rund 30 Prozent des Firmenwerts von erlöste seine Sparte mit Software musste Predix im Frühjahr sogar für Siemens aus. Wenn Kaeser 2018 die 3,3 Milliarden Euro und mit digitalen zwei Monate abgestellt werden. GE Medizintechnik an die Börse bringt Diensten eine Milliarde Euro. beschloss, die Plattform vorerst nur und die Bahntechnik mit dem Rivalen Die Konkurrenz guckt dem Treiben noch der bestehenden Kundschaft in Alstom fusioniert, wird ihr Gewicht bislang vor allem zu und staunt. GE der Luftfahrt, Energie- sowie Öl- und noch steigen. vermarktet seine „Transformation in Gasbranche anzubieten. Es läuft also vieles auf ein Ge- ein digitales Industrieunternehmen“ Bei Siemens hingegen kommt die schäftsmodell zu, das der scheidende zwar blendend, bietet aber nur einen Digitalfabrik mit der Arbeit kaum Chefkontrolleur Gerhard Cromme Bruchteil der für die industrielle Pro- nach. Einerseits muss der eigene Kon- auf der letzten HV noch als Unsinn duktion nötigen Software an – und zern umgerüstet werden. Anderer- abtat: Siemens als Softwarekonzern kaum Automationstechnik. Den gro- seits wächst die Nachfrage der Kun- mit angeschlossener Industrieabtei- ßen Schub erhoffen sich die Amerika- den rasant. „Die digitale Produktion lung. 1 Angela Maier E X T R A manager magazin 19
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