MISSION POSSIBLE - Bain & Company
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SPEZIAL GAME CHANGER MISSION POSSIBLE GAME CHANGER Mit der Digitalisierung liegt Deutsch- lands Industrie in weiten Teilen hinter der Weltspitze zurück. Doch es gibt auch Ausnahmen. Drei Unter- nehmen, die beweisen, dass man nicht aus dem Silicon Valley kommen muss, um die Spielregeln zu ändern.
D er einarmige Held ist circa 1,40 Meter groß, weiß und hört auf den Namen Hero. Wobei das streng genom- men nicht stimmt, denn hören kann der Helping Robot im Dresdener Chipwerk von Infineon nicht. Noch nicht. Sehen und tasten dagegen schon. Völlig auto- nom rollt der maschinelle Helfer durch die Gänge und versorgt die Belichtungs- maschinen mit neuen Siliziumwafern. Stellt man sich ihm in den Weg, bleibt er stehen. Während sein Greifarm die Box mit den Wafern an die richtige Stel- le bugsiert, fährt ein kleiner Stecker in eine Buchse im Boden und lädt den Akku nach. Heros Schicht dauert 24 Stunden am Tag. Pausenzeiten: keine. Verglichen mit anderen Ländern liegt Deutschland bei der Digitalisierung zu- rück: In einer vom Bundeswirtschafts- ministerium in Auftrag gegebenen Studie rangiert die Bundesrepublik bei der di- gitalen Leistungsfähigkeit weltweit nur ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES, PR auf Platz sechs, mit deutlichem Abstand zum Spitzenreiter USA (siehe Grafik Sei- te 104). Alle maßgeblichen Innovatio- nen der vergangenen Jahre hatten ihren Ursprung in Amerika – vom iPhone über Facebook bis hin zum Taxischreck Uber. Selbst das erste Oberklasseauto mit E-Antrieb wurde nicht in Stuttgart, Mün- chen oder Ingolstadt entwickelt, son- dern bei Tesla im Silicon Valley. „Die Wettbewerbsfähigkeit Deutsch- lands hängt ganz entscheidend davon ab, wie die heimischen Unternehmen die großen Potenziale nutzen, die Digi- talisierung und Automatisierung bie- ten“, sagt Walter Sinn, Deutschland- Chef der Beratung Bain & Company. 2 D E Z E M B E R 2 0 1 6 manager magazin 101
METHODE SPEZIAL GAME CHANGER DER WETTBEWERB Venture-Capital finanzierten Unternehmen erstellt – auf Basis aller in Deutschland registrierten Firmen. Diese Liste umfasst Zielsetzung, Methodik und mehr als 21 000 Gesellschaften. Nach Auswahlverfahren des Kriterien wie Mindestumsatz und digitales Game Changer Awards 2016 Innovationspotenzial wurde diese Liste auf 300 Kandidaten eingeschränkt. Und es wurde sichergestellt, dass die ausgewählten Unternehmen weder un- DIE IDEE Disruptive Geschäftsmodelle ver- ethisch noch gesetzlich auffällig sind. ändern ganze Industriezweige von Grund Die 300 Aspiranten wurden jeweils einer auf. Mit dem Game Changer Award der drei Preiskategorien zugeordnet. An- würdigen die Beratungsgesellschaft Bain schließend wurden sie einer tief gehenden & Company und manager magazin Analyse (Due diligence) unterzogen. deutsche Unternehmen, die durch eine Zentraler Aspekt bei alldem: die digitale beherzte Digitalisierung der Geschäfts- Anpassungsfähigkeit. prozesse die Spielregeln innerhalb ihrer Branche neu definiert haben. Der Preis DAS FINALE Jedes der 300 Unternehmen wird 2016 in drei Kategorien verliehen: auf der Longlist wurde nach einem Punk- 1. Customer Experience: für die beste tesystem bewertet, die fünf jeweils Steigerung des Kundennutzens. Besten einer Kategorie wurden dann noch 2. Product & Service Innovation: für das einmal von einer fachkundigen Jury überzeugendste digitale Produkt oder die daraufhin untersucht, wie neu und einzig- innovativste digitale Dienstleistung. artig ihr Geschäftsmodell tatsächlich ist, 3. Operations of the Future: für die viel- wie stark es die Branche, die Kunden und versprechendste Umsetzung intelligenter den Wettbewerb beeinflusst und wie Produktionsverfahren (Industrie 4.0). nachhaltig und profitabel das Wachstum einzuschätzen ist. Aus den 15 Finalisten DIE VORGEHENSWEISE Die Auswahl der gingen die Gewinner in den drei Kate- Preisträger erfolgte über ein mehrstufiges gorien hervor. Die Preisverleihung fand Selektionsverfahren. Zunächst wurde im Rahmen einer exklusiven Galaveran- eine branchenübergreifende Übersicht staltung am 17. November 2016 im Gaso- FOTOS: DPA / PA (2), GETTY IMAGES (2), IMAGO, OLAF BALLNUS, PR; ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES von börsennotierten privaten sowie durch meter in Berlin statt. DIE JURY Diese sieben ANN-KRISTIN ANDREAS PHILIPP JUSTUS HENNING KAGERMANN STEFFEN KLUSMANN Wirtschafts- ACHLEITNER VON BECHTOLSHEIM Managing Director, Präsident, Chefredakteur, Professorin, Chairman, Google DACH Acatech manager magazin experten TU München Arista Networks Der frühere Unter- Seit 2009 steht der Der Volkswirt war kürten die Die Wirtschaftswis- Der Mitgründer von nehmensberater ist frühere SAP-Chef Chefredakteur von Sieger senschaftlerin lehrt Sun Microsystems seit Jahren in der Deutschlands erster „Capital“ und des Wett- Entrepreneurial ist ein gefragter Onlinewelt zu Wissenschaftsakade- „Financial Times Finance und ist Berater und Investor Hause, arbeitete in mie vor. Zudem ist Deutschland“. Nach bewerbs Mitglied mehrerer im Silicon Valley. Bei Führungspositionen er Aufsichtsrat unter einer Station beim Aufsichtsräte, darun- Arista fungiert er zu- bei Zanox, Ebay und anderem bei Munich „Stern“ führt er seit ter Metro, Linde und sätzlich als Chief De- PayPal. Seit 2013 ist Re, BMW und der 2013 die manager- Munich Re. velopment Officer. er bei Google. Deutschen Bank. magazin-Redaktion. 102 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
Droht eine der größten Industrie- nationen der Welt wirtschaftlich abge- hängt zu werden? „Noch haben wir Deutschen die Chance, ganz vorn mit dabei zu sein“, sagt Kanzleramtschef Pe- ter Altmaier (CDU) im mm-Interview (siehe Seite 124). „In vier bis fünf Jahren sind die Anteile verteilt.“ Dass der Minister optimistisch ist, was die Zukunft der deutschen Wirt- schaft anbelangt, liegt an Unternehmen wie Infineon. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich der Chip- hersteller zum Vorreiter bei der globalen Vernetzung der Produktion aufge- schwungen und damit innerhalb seiner Branche neue Maßstäbe gesetzt (siehe Seite 118). Auch SAP ändert gerade die Spielre- geln: Mit der virtuellen Datenbank Hana ermöglicht der Softwarehersteller aus Walldorf Firmen die Auswertung gigan- tischer Datenmengen in Echtzeit – und verschafft ihnen so Effizienzgewinne und Möglichkeiten für maßgeschneider- te Angebote (siehe Seite 112). Dass es mitunter nur einer cleveren Idee bedarf, um mit einem digitalen Geschäftsmodell die Machtverhältnisse in einem traditionellen Wirtschafts- zweig zu verändern, beweist Flixbus: Innerhalb von nur drei Jahren hat sich das Münchener Start-up zum Quasi- monopolisten im deutschen Fernbus- markt aufgeschwungen (siehe Seite 106). Dafür zeichnen manager magazin und Bain die drei Unternehmen mit dem „Game Changer Award 2016“ aus. Die Preisträger stehen exemplarisch für die Überlegenheit digitaler Ge- 2 HARALD KRÜGER WA LT E R S I N N Vorstands- Deutschland-Chef, vorsitzender, BMW Bain Seine Karriere bei Der Betriebswirt BMW startete er als verfügt über mehr Trainee. Er war als 20 Jahre Erfah- Werksleiter, Perso- rung in der Banken- nalchef, verantwort- und Finanzbranche. lich für Mini und 2011 wechselte er zu Rolls-Royce. 2008 Bain, seit 2014 leitet wurde er Vorstand, er das Deutschland- seit 2015 ist er CEO. Geschäft.
METHODE SPEZIAL GAME CHANGER schäftsmodelle. Eine Bain-Untersu- WEITER WEG AN DIE SPITZE chung von mehr als 400 Unternehmen Digitale Leistungsfähigkeit im Länder- ergab, dass diejenigen, die frühzeitig die vergleich, Index1 interne Vernetzung vorantreiben, der USA 76 1 analogen Konkurrenz in der Regel um Südkorea 70 Längen voraus sind. Der Studie zufolge 2 ist die Wahrscheinlichkeit, zu den best- Großbritannien 65 3 verdienenden Anbietern der Branche zu Finnland 62 gehören, bei digitalisierten Firmen dop- 4 Japan 55 pelt so hoch wie bei analog arbeitenden 5 Konkurrenten. Die Chance, wichtige Deutschland 53 6 Entscheidungen schneller zu treffen als Frankreich 52 die Wettbewerber, ist sogar fünfmal grö- 7 ßer. Und die Wahrscheinlichkeit, dass China 47 8 eine Entscheidung auch zum gewünsch- Spanien 45 ten Ergebnis – also zu einem Wettbe- 9 werbsvorteil – führt, ist dreimal so hoch Indien 30 10 wie bei Rivalen, die noch nicht auf In- dustrie 4.0 umgestellt haben. „In der di- 1 | Monitoring-Report „Wirtschaft Digital“. Quelle: BMWI/TNS Infratest Grafik: manager magazin gitalisierten Welt spielt es keine Rolle mehr, ob man Start-up, Mittelständler oder Großkonzern ist“, sagt Sinn. „Jeder kann mit einem disruptiven Ansatz die novation) und das neue Maßstäbe durch Spielregeln innerhalb einer Branche die Digitalisierung seiner Prozesse ge- komplett verändern.“ setzt hat (Operations of the Future). In Dem trägt auch der Game Changer jeder Kategorie mussten sich die Kandi- Award Rechnung. Anders als bisher rich- daten einem harten Auswahlprozess so- ten sich die Preiskategorien nicht mehr wie dem Votum einer Expertenjury stel- nach der Unternehmensgröße, sondern len (siehe Seite 102/103). nach der Art der Innovation. In diesem Dass es mit Bosch, Siemens, der Jahr wird jeweils ein Unternehmen aus- Deutschen Telekom oder dem Foto- gezeichnet, das den Kundennutzen am dienstleister Cewe diesmal viele Unter- nachhaltigsten gesteigert hat (Customer nehmen aus der vordigitalen Ära in die Experience), das mit einem neuartigen Finalrunde schafften, zeigt, dass Disrup- Produkt oder einer Dienstleistung den tion und Tradition kein Widerspruch Markt verändert (Product & Service In- sein müssen – obwohl gerade viele große Mittelständler sich mit der Umstellung auf Industrie 4.0 nach wie vor schwer- tun (siehe mm 6/2016). Dass es möglich ist, die klassische In- dustrieproduktion in ein neues Zeitalter zu katapultieren, beweist nicht zuletzt Hero, der kleine Roboter in Dresden. Seine Laufwege orientieren sich an de- nen seiner menschlichen Vorgänger, die ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES Anordnung der Produktion wurde trotz Digitalisierung nicht verändert. Das wä- re zu teuer gewesen. „Ich glaube, dass in der intelligenten Nachautomatisierung ein Riesenpotenzial für den Standort Deutschland liegt“, sagt Infineon-Chef Reinhard Ploss. „Dafür braucht man Meister, Techniker und Ingenieure, und die haben wir in unserem Land.“ Beste Voraussetzungen also für eine Aufholjagd in Sachen Digitalisierung. Die Mission ist machbar, das beweisen nicht zuletzt die diesjährigen Preisträ- ger. Klar ist aber auch: Allzu viel Zeit sollte sich niemand mehr lassen. 1 Claus Gorgs 104 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
FLIXBUS SPEZIAL GAME CHANGER FAHRT D ie Revolution kommt pünkt- lich. Kurz vor acht rollt der grasgrüne Reisebus an die Haltestelle, und Kalle lädt schon mal die Koffer ein. Er stellt sich nur mit Vornamen vor, so machen das alle hier. Die Sitze sind etwas eng, aber bequem, grüne LEDs illuminieren den INS Dachhimmel, natürlich gibt es WLAN an Bord und eine Steckdose über jeder Reihe. Busfahren im 21. Jahrhundert soll nichts mehr gemein haben mit Kaffee- fahrten und Rheumadecken, es soll günstig sein, ökologisch und cool. „Will- kommen bei Flixbus“, sagt Kalle. Kein Unternehmen hat den deut- schen Reisemarkt in den vergangenen GRÜNE Jahren so aufgemischt wie das Start-up aus München. Und das mit einem Ver- kehrsmittel, das seine Zukunft längst hinter sich zu haben schien. Vier Jahre nach der Gründung hat Flixbus 900 Mit- arbeiter, einen Umsatz von geschätzten 400 Millionen Euro und einen Marktan- teil im Fernbusgeschäft von gut 90 Pro- zent. Konkurrenten wie Mein Fernbus, City2City, Deinbus oder Postbus wur- den einfach überrollt. Als vorerst letzter gab die Deutsche Bahn entnervt den Straßenkampf auf. „Flixbus ist für mich das Uber des Busmarkts“, sagt der Tech- Investor Andreas von Bechtolsheim. „Es ist beeindruckend, wie das Unterneh- men es geschafft hat, in so kurzer Zeit den Markt zu dominieren.“ Superniedrigpreise, Internetvertrieb, datenbasierte Streckenplanung: Die Neuen machen so ziemlich alles anders als etablierte Busunternehmen. Und gerade das macht sie erfolgreich. „Das Geschäftsmodell von Flixbus ist beste- chend“, sagt Walter Sinn, Deutschland- Chef von Bain. „Sie haben schnell und konsequent einen sich öffnenden Markt ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES, PR aufgerollt und mit einem digitalen An- satz die Spielregeln in der analogen Welt verändert.“ Dafür erhält der Newcomer den Game Changer Award in der Kate- gorie „Customer Experience“. André Schwämmlein (35), offenes Hemd, Dreitagebart, sitzt in der neuen Firmenzentrale am Münchener Hirsch- garten und staunt selbst noch ein wenig darüber, was in den vergangenen drei Jahren alles passiert ist. Und vor allem FLIXBUS In nur drei Jahren ist aus dem Start-up wie schnell. Rings um den modernen Büroturm ist alles immer noch Baustel- ein Monopolist auf dem deutschen le, in einigen der ikeamöblierten Räume Fernbusmarkt geworden. Wenn es nach den stehen seit Monaten unausgepackte Umzugskartons. Nach der Übernahme Gründern geht, ist das erst der Anfang. des schärfsten Konkurrenten Mein 2 106 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
FLIXBUS SPEZIAL GAME CHANGER Fernbus 2015 platzte der alte Standort aus allen Nähten, jetzt kommt zusätz- lich die Fernbussparte der Deutschen KUNDENKÖNIGE tiert zudem in digitale Bezahl- und Kun- denloyalitätssysteme (Nubon) und Big-Data-Auswertungen (Blue Yonder). Post dazu. Diese Unternehmen schafften Schwämmlein und seine beiden Mit- es in der Kategorie „Customer PROSIEBENSAT.1 Fernsehen war gestern, die gründer Daniel Krauss (33) und Jochen Experience“ bis ins Finale. Zukunft gehört der Multimediaunterhal- Engert( 34) legen ein ungeheures Tem- tung. Nach diesem Motto hat Vorstands- po vor. Als Reiseunternehmer haben sie chef Thomas Ebeling (siehe Interview sich dabei nie gesehen: Sie begreifen HUK COBURG Als erster deutscher Versiche- Seite 80) die Münchener Sendergruppe zu Busse als Netzwerkgeschäft. So wie rer gründete HUK Coburg einen Online- einer diversifizierten Medienfirma umge- Facebook zum dominierenden Internet- ableger – schon im Jahr 2000. Heute sind baut, die Vergleichsportale betreibt tummelplatz wurde, weil es mehr die Oberfranken Marktführer bei Autover- (Verivox), mobile TV-Nutzung ermöglicht und bessere Kontaktmöglichkeiten bot sicherungen und erreichen hohe Zufrie- (7TV App) und Reisen verkauft (7Travel). als andere, wollten die drei das beste denheitswerte bei den Kunden. CEO Die digitale Videothek Maxdome hat den Liniennetz auf der Straße anbieten. Wolfgang Weiler hat die Digitalisierung Markt verändert, lange bevor Amazon „Wir waren von Anfang an der Über- zum Teil seiner Geschäftsstrategie ge- Prime und Netflix die Bühne betraten. Mit zeugung, dass ein gutes Produkt allein macht und damit ein konstantes Umsatz- Studio 71 betreibt ProSiebenSat.1 (Um- nicht reicht, um zu gewinnen“, sagt wachstum auf zuletzt 6,6 Milliarden Euro satz: 3,2 Milliarden Euro) ein eigenes Multi- Schwämmlein, der früher Berater bei generiert. HUK Coburg ist auf Facebook, channel-Netzwerk und stieg im März 2016 der Boston Consulting Group war. Xing und per App ebenso für seine Kun- als erster Medienkonzern in den Dax auf. „Netzwerke haben eine natürliche Kon- den zu erreichen wie per Telefon oder Über die Tochter 7Ventures ist der Konzern zentrationstendenz, deshalb war es über den Vertreter vor Ort. Als einer der zudem an zahlreichen Start-ups beteiligt. wichtig, möglichst schnell möglichst Ersten in der Branche erkannte der viele Verbindungen anzubieten.“ Versicherer das Potenzial standardisierter ZALANDO Ein Start-up ist Europas führender Früher als andere hatten die Gründer Verfahren – und konnte seine Kosten da- Onlinemodehändler längst nicht mehr. erkannt, dass am Ende alles auf einen durch signifikant senken. Innerhalb weniger Jahre hat das Vor- beherrschenden Player hinauslaufen standstrio Rubin Ritter, Robert Gentz und würde. Mit einem überlegenen Konzept, OTTO Kaum ein Handelsunternehmen aus David Schneider aus dem schrillen Schuh- externem Kapital und der nötigen Kalt- der analogen Welt hat die digitale so portal einen ernst zu nehmenden Amazon- schnäuzigkeit sorgten sie dafür, dass umarmt wie der einstige Katalogversen- Rivalen mit knapp 3 Milliarden Euro dieser Player Flixbus wurde. der aus Hamburg. Mit intuitiv zu bedie- Umsatz gemacht. Zum Onlineportal mit Die Idee, ausgerechnet ein Fernbus- nenden Shoppingportalen, umfangreichen seinen 150 000 Artikeln und kostenfreiem unternehmen zu gründen, kam den Social-Media-Aktivitäten und dem durch- Versand sind inzwischen weitere Vertriebs- Freunden bereits 2009. Damals war der digitalisierten Lieferdienst Hermes be- kanäle hinzugekommen, darunter der Markt noch streng reguliert, doch als hauptet sich das Familienunternehmen Shoppingklub Zalando Lounge und die die Bundesregierung ihn 2013 freigab, (Umsatz: 12,1 Milliarden Euro) als schärfs- App Zipcart, die Lieferung noch am selben waren die drei vorbereitet. Sie hatten ter Amazon-Konkurrent hierzulande. CEO Tag garantiert. Die Aktie ist auf Rekord- ihre Rechner mit allen Reisedaten und Hans-Otto Schrader, den alle Mitarbeiter hoch – und Großaktionär Rocket Internet Passagierströmen gefüttert, deren sie ganz start-up-mäßig duzen dürfen, inves- schreit vor Glück. habhaft werden konnten, und daraus abgeleitet, welche Strecken am viel- versprechendsten waren – und zu welchem Preis. „Fernbusreisen sind ein Endkundengeschäft, kein Infra- strukturgeschäft“, sagt Schwämmlein. ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES „Unser Job ist es, das richtige Angebot zur richtigen Zeit zu haben.“ Mit den Daten von mittlerweile 50 Millionen eigenen Passagieren in ganz Europa wird es für die Researcher in der Münchener Zentrale immer leichter, Fahrgastaufkommen und Preissensibi- lität vorherzusagen und neue Strecken zu erschließen. „Keiner macht das so granular wie wir“, sagt Schwämmlein. Das Fahren überlassen die Münche- ner derweil anderen. Betrieben werden die Routen, die der Rechner ausspuckt, von regionalen Busunternehmen im Auftrag von Flixbus. Angenehmer Ne- beneffekt: Die Investitionen für die 2 108 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
FLIXBUS SPEZIAL GAME CHANGER bis zu 460 000 Euro teuren Me- Stolz ist Schwämmlein, der ALLES UNTER KONTROLLE galiner stemmen die Partner, einst Fraktionsvorsitzender der Wie das Flixbus-Lager die neue nicht Flixbus. Grünen im Landkreis Fürth Flixmobility GmbH dominiert Kalle, der Busfahrer, arbeitet war, dass seit der Freigabe des 35,4 European Bus also trotz grüner Krawatte nicht Fernbusmarkts mehr Menschen Holding (General Atlantic) für Flixbus, sondern für einen öffentliche Verkehrsmittel benut- 29,4 SEK Ventures Mittelständler aus Schleswig- J O C H E N E N G E RT zen als vorher. „Die meisten un- (Flixbus-Gründer) Holstein. Wie der bei einem Ti- GRÜNDER serer Kunden sind vorher Auto 15,4 Holtzbrinck Ventures cketpreis von 9,99 Euro für die Der gebürtige und Mitfahrzentrale gefahren“, 5,5 Moovel (Daimler) Fahrt von Hamburg nach Dres- Würzburger sagt er. „Und die Bahn hat sogar studierte Techni- 6,6 Business Angels den, von dem er auch noch 25 Passagiere hinzugewonnen, seit (Flixbus) sche BWL in Prozent nach München über- Stuttgart. Bei es uns gibt.“ Dieselbetriebene 2,0 Business Angels Flixbus- (Mein Fernbus) weisen muss, zurechtkommt, Flixbus ist er ver- Omnibusse und Klimaschutz Investoren 5,7 Linie 1 / Lilyput bleibt sein Geheimnis. Die Firma antwortlich für sind für ihn kein Widerspruch: Mein-Fernbus- (Mein-Fernbus- schweigt – wie alle von mm kon- Unternehmens- „Gemessen am CO2-Ausstoß pro Investoren Gründer) entwicklung, taktierten Flixbus-Partner. Strategie und Passagierkilometer sind wir das Quelle: Handelsregister Grafik: mm Grund für die Zurückhaltung: Personal. umweltfreundlichste Verkehrs- Seit der Übernahme von Mein mittel überhaupt.“ Fernbus gibt es keine ernst zu Sein unternehmerisches Meis- erwartet. Mit 35,4 Prozent ist nehmende Konkurrenz für das terstück lieferte das Gründertrio der US-Investor heute der größte grasgrüne Start-up mehr. Und für 2015 mit der Übernahme des Anteilseigner. Dank General Busbetreiber keine Alternativen. größten Rivalen ab. „Die Gründer Atlantic hat Flixbus jetzt die Das Geschäft mit Tagestouren von Mein Fernbus hatten eine Chance, ein ehemals mittelstän- und Urlaubsreisen trocknet aus, ähnliche Denke wie wir“, sagt disches Geschäft zu einer europa- selbst Schulen buchen ihre Schwämmlein. Ein Zusammen- weiten Plattform auszubauen. ANDRÉ Klassenfahrten inzwischen über S C H WÄ M M L E I N schluss unter Gleichen, so stellen Mit Vollgas zum Marktführer – Flixbus – weil die günstiger sind GRÜNDER es die Beteiligten gern dar. Doch da konnte Mein Fernbus nicht als der lokale Anbieter. „Flixbus ganz so kuschelig war es nicht. mithalten. Der Wirtschafts- nimmt den Busunternehmern ingenieur brach Unterlagen, die mm vorliegen, Die Expansion läuft bereits: In die Kundenschnittstelle weg“, seine Promotion belegen, dass die Transaktion als Italien und den Niederlanden ist konstatiert Bain-Experte Sinn. über innovative Übernahme angelegt war. Die Flixbus schon die Nummer eins, „Dafür erhalten sie Zugang zu Verkehrssysteme Mein-Fernbus-Gründer Torben in Frankreich gibt es ein Kopf-an- ab, um Flixbus zu einem europaweiten Netz und gründen. Er ist Greve und Panya Putsathit wur- Kopf-Rennen mit der Staatsbahn einer mächtigen Marketing- und zuständig für das den mit Millionenbeträgen ab- SNCF. Die grünen Busse rollen Vertriebsplattform.“ operative Ge- gefunden und halten heute nur durch Österreich, Kroatien, Bel- Die Fahrt von Hamburg nach schäft, Marketing noch 5,7 Prozent an der neuen gien, als Nächstes steht Skandina- und Vertrieb. Dresden ist für beide Seiten ein Gesellschaft. Schwämmlein, vien auf dem Fahrplan. gutes Geschäft: Nur 8 von 49 Sitz- Engert und Krauss 29,4 Prozent. „Auf dem deutschen Markt plätzen sind unbesetzt, bei einer Und das, obwohl die Berliner werden wir dieses Jahr erstmals Auslastung von mehr als zwei 2014 größer waren und 1,1 Mil- schwarze Zahlen schreiben“, ver- Dritteln bringt die Tour Gewinn. lionen Euro Gewinn einfuhren, spricht Schwämmlein. Wann die Wären da nicht die drei Rentner während Flixbus 5,6 Millionen Firma als Ganzes Gewinn macht? mit Hut und das türkische Ehe- Verlust schrieb. Ein freundliches Lächeln. Man FOTOS: PR; ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES paar, man könnte das Ganze für Die Münchener waren einfach hat Zeit, Geld und noch viel vor. eine Studienfahrt halten: Die DANIEL KRAUSS den entscheidenden Schritt Vor wenigen Monaten hat sich Mehrzahl der Reisenden ist zwi- GRÜNDER schneller und rigoroser als der die Holding in Flixmobility umbe- schen 20 und 30 Jahre alt. Als CIO kümmert Rivale Mein Fernbus. Schwämm- nannt. Carsharing, Taxi-Pooling – Kurz vor Berlin baumeln La- sich der IT-Ent- lein, Engert und Krauss hatten ihr die drei Gründer können sich dekabel wie Infusionsschläuche wickler um das Konzept von vornherein inter- digitale Herz- noch einiges vorstellen. „Es gibt von der Decke – die Smartphone- stück von Flixbus. national ausgerichtet und aus- da keinen Masterplan“, sagt akkus sind alle. „Flixbus hat die Der frühere Mi- reichend Treibstoff für die Ex- Schwämmlein. Fernreise demokratisiert“, sagt crosoft-Manager pansion gebunkert: Mit General Er selbst fährt gern Bus, sein und Mitgründer BMW-Chef Harald Krüger. „Das Schwämmlein Atlantic holten sie sich einen Vater organisiert in der fränki- ist für mich eine beeindruckende sind alte Schul- potenten Private-Equity-Fonds schen Heimat den Bürgerbus. Ins Disruption.“ freunde. an Bord, der einen langen Atem Büro nimmt er die S-Bahn oder hat und nicht gleich Gewinne das Fahrrad. Ein Auto besitzt er nicht. Nur wenn er nach Berlin reist, wo Flixbus nun seinen zwei- ten Sitz hat, nimmt auch der Bus- disruptor mal das Flugzeug. 1 Claus Gorgs 110 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
SAP SPEZIAL GAME CHANGER SPIEL- D ie größte Überraschung beim diesjährigen DFB- Pokal bescherte den er- staunten Zuschauern der FC-Astoria Walldorf. Unter den Augen seines Sponsors Dietmar Hopp besiegte der Viertligist erst den Zweitligaverein VfL Bochum und schlug dann den Bun- MACHER desligaklub SV Darmstadt 98. Der Einzug ins Achtelfinale resultier- te nicht allein aus der Spielfreude der Provinztruppe. Den entscheidenden Kick lieferte eine Software. Und zwar die „Weltmeistertechnologie“ der von Hopp mitgegründeten SAP. Der ortsan- sässige Konzern stellt dem Verein sein Programm Sports One zur Verfügung, das schon die deutsche Nationalmann- schaft 2014 in Rio triumphieren ließ. SAP Der Walldorfer Softwarekonzern liefert mit Mit der Software kann der Trainer seiner neuartigen Datenbanktechnologie sämtliche Daten aus den Matches der Gegner – von der Form jedes Spielers bis die Basis für die Digitalisierung der Wirtschaft. zu dessen einzelnen Aktionen – analy- sieren und damit seine Elf optimal ein- stellen. Und das sogar in Echtzeit wäh- rend eines Spiels. Möglich macht die blitzschnelle Auswertung der giganti- schen Informationsmengen die Daten- bank Hana. Auf deren Big-Data-Analy- sen kann der Astoria-Coach via Cloud von seiner Bank aus zugreifen. Die innovative Technologie verän- dert das Spiel. Nicht nur im Fußball. „Mit Hana und ihren Cloud-Angeboten hat SAP gezeigt, dass sie disruptive Ver- änderungen in Gang setzen und erfolg- reich auf solche reagieren kann“, sagt Bain-Partnerin Melanie Bockemühl. Deshalb geht der Game Changer Award in der Kategorie Produkt- und Service- innovation an SAP. „Ob etablierter Konzern oder Start- up, mit Hana können wir alle Unterneh- men bei der Digitalisierung unterstüt- zen“, erklärt Bernd Leukert, der für Produkte zuständige SAP-Vorstand. Tat- sächlich ermöglicht es die Unterneh- menssoftware S/4 Hana, herkömmliche Prozesse vom Controlling bis zum Personalwesen ins digitale Zeitalter zu überführen. Neue datengetriebene Anwendungen können auf der Hana- Cloud-Plattform viel schneller als frü- her entwickelt und betrieben werden. Die Integration von Echtzeitdaten- banktechnologie ins Stammgeschäft mit Unternehmenssoftware gilt als wegwei- send. „Kein Wettbewerber verfügt der- zeit über eine vergleichbare Lösung“, konstatiert Consultant Bockemühl. Noch ist die Zahl der konkreten An- 2 112 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES
SAP SPEZIAL GAME CHANGER wendungen überschaubar, das ratschef Hasso Plattner. Nerds Potenzial ist indes gewaltig. glaubten, die In-Memory-Metho- Nie zuvor in der 44-jährigen de – bei der die Daten statt auf Geschichte des Konzerns nahm der Festplatte nur im Arbeits- die SAP-Kundschaft ein Produkt speicher gehalten werden – sei so schnell an wie Hana. Innerhalb fehleranfällig und riskant. der vergangenen zwölf Monate BILL MCDERMOTT Mittlerweile ist die Stimmung hat sich die Zahl der S4-Kunden CEO SAP regelrecht in Euphorie umge- auf gut 4100 mehr als verdrei- Der Vorstands- schlagen. „Heute wird Hana welt- facht. Beim Vorgänger R3 dauerte chef trimmte den weit als disruptiv bewertet“, sagt Softwarekonzern es 24 Monate, bis dieser Stand voll auf Kunden- Leukert betont nüchtern, kann erreicht war. Selbst Firmen, die freundlichkeit sich aber ein triumphierendes Lä- keine SAP-Software nutzen, ent- und Innovation. cheln nicht ganz verkneifen. Die scheiden sich für Hana. 40 Pro- Damit stieg SAP Unternehmen hätten erkannt, zum wertvollsten zent der Abschlüsse stammen Unternehmen dass Geschwindigkeit in digitalen von Neukunden. des Landes auf. Zeiten entscheidend für den CEO Bill McDermott (55) Geschäftserfolg sei. Hana habe glaubt, der Boom habe gerade durch die Vereinfachung der erst begonnen. „Unsere Wachs- Datenstrukturen das Tempo der tumsmaschine läuft auf vollen Verarbeitung extrem beschleu- Touren.“ Die Umsatzprognose nigt – in einigen Fällen sogar um wieder mehr Spielraum für die für das Jahr 2016 hat der SAP- das Tausendfache. Umsetzung neuer Produkte und Chef Ende Oktober schon mal „Wir könnten künftig die Ideen.“ nach oben korrigiert. Und in den gigantischen Datenmengen, die Die Hana-Begeisterung in den kommenden Jahren will er dank unsere 19 Millionen aktiven Kun- Chefetagen verdankt SAP auch Hana noch dynamischer wach- den erzeugen, ohne Hana nicht dem Marketingtalent des Vor- sen. Gerade auch in den USA, wo so effizient bewältigen“, bestätigt standschefs. Mit dem Slogan SAP bislang hinter Marktführer Martina Hilzinger. Die Informa- „Run simple“ trifft McDermott Oracle zurückbleibt. Dort soll tikerin leitet beim Onlinemode- den innigen Wunsch so ziemlich das Hana-Geschäft zweistellig händler Zalando das SAP-Team aller Führungskräfte, die Soft- wachsen und Marktanteile hinzu- und hat die Systeme auf Hana ware möge sie einfach und effi- gewinnen. umgestellt. Täglich werden zient beim Managen unterstüt- Dabei stieß „Hassos Neue 850 000 Dokumente erzeugt, die zen und nicht als kostspielige Architektur“, wie die Datenbank über die „superschnelle und Pflichtübung nerven. intern lange genannt wurde, zu- hochperformante Datenbank“ Branchenanalyst Axel Angeli nächst auf große Skepsis. Bei der laufen. Dadurch sind viele Pro- vom Beratungshaus Logosworld Vorstellung im Frühjahr 2010 zesse so optimiert, dass die mor- erkennt in diesem Marketing- hielten Branchenkenner den An- gendliche Zahlungsverarbeitung erfolg starke Parallelen zum griff auf den Erzrivalen Oracle für statt drei Stunden nur noch 60 Vorgehen der Tech-Ikone Apple: eine Schnapsidee von Aufsichts- Minuten dauert: „Wir haben so „Wie den Kaliforniern ist es SAP gelungen, eine gängige, aber we- niger verbreitete Technik durch FOTO: DPA / PA; ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES absolute Kundenorientierung zu einem extrem begehrenswerten Produkt umzumünzen.“ Geschäftsmodelle bauen, Ab- läufe optimieren, Echtzeitdaten analysieren – Hana bildet den technischen Unterbau für die Digitalisierung der Wirtschaft. Doch bevor SAP diesen „Digita- len Kern“ (Eigenwerbung) schaf- fen konnte, musste sich der Konzern zunächst einmal selbst transformieren. Rund 50 Milliarden Euro in- vestierte McDermott seit 2010 in den Umbau. Knapp die Hälfte floss in den Kauf von Cloud- Unternehmen wie Ariba, Concur oder Fieldglass. Den größeren 2 114 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
SAP SPEZIAL GAME CHANGER Teil aber gab der CEO für die Verände- rung der internen Abläufe mithilfe von Design-Thinking-Methoden aus. Heute baut SAP nicht mehr nach Plan perfekte Produkte und sucht dann Käufer. Mittlerweile entwerfen SAP- Teams aus allen Bereichen gemeinsam mit ihren Kunden iterativ Prototypen, die dann am Launch-Tag vom Pilot- kunden vorgeführt werden. Für die- se start-up-typische Vorgehensweise mussten massenweise Mitarbeiter ge- schult und auch ausgetauscht werden. Gut 5000 Arbeitnehmer erhielten Abfindungen. Rund 10 000 neue Kolle- gen kamen in diesem Jahr neu hinzu. Zum Jahresende beschäftigt SAP welt- weit rund 83 000 Menschen. Tendenz stark steigend. Denn Leu- kert hat noch jede Menge innovativer Ideen. Etwa durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Damit liefern die Systeme neben der Analyse auch Handlungsempfehlungen. So kann sich PRODUKTHELDEN Diese Plattform will Vorstandschef Edzard Overbeek nun zum Standard für den Austausch von Positionsdaten zwischen ein Recruiter anzeigen lassen, welche Die vier anderen Finalisten Autos machen. Derzeit setzt Here mit Kandidaten am besten zum Profil einer in der Kategorie „Product & seinem Lokalisierungsservice rund eine Stelle passen. Auf der Hausmesse Sap- Service Innovation“ Milliarde Euro um. phire im kommenden Mai will der Pro- duktevorstand einen ganzen Katalog SIGNAVIO Das 2009 in Berlin gestartete solcher intelligenten selbstlernenden BOSCH Der größte unter den Regelbre- Unternehmen hat ein cloud-basiertes Anwendungen vorstellen. chern ist der Industriekonzern und Auto- Planungsprogramm entwickelt, mit dem Aus Sicht von CEO McDermott muss mobilzulieferer Bosch, mit mehr als 70 Unternehmen ihre internen Prozesse SAP sogar zu einer Art innovativem Per- Milliarden Euro Umsatz und weltweit rund perfekt designen und managen können. petuum mobile werden. Er glaubt, dass 375 000 Mitarbeitern zentral für die deut- Mitgründer und CEO Gero Decker die nächsten fünf Jahre viel disruptiver sche Wirtschaft. Das von CEO Volkmar holte sich sein technisches Rüstzeug am werden, als es die vergangenen zehn Denner geführte Unternehmen gilt global Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. waren. 1 Eva Müller als Technologieführer bei sogenannten Ex-SAP-CEO Léo Apotheker steht seinem cyber-physikalischen Systemen in Aufsichtsrat vor. Das mehr als 100 Mit- der Produktion, in denen Maschinen und arbeiter starke Unternehmen gilt mittler- Software zu einem Konglomerat ver- weile als international führend bei der schmelzen. Damit zählt Bosch zu den virtuellen Modellierung von Abläufen. FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES entscheidenden Akteuren der Digitalisie- Hotelkonkurrent Airbnb etwa baute mit- rung in der Industrie. Zudem verfügen hilfe der Signavio-Software seine ge- die Stuttgarter über viel Kompetenz beim samte Organisation auf. Insgesamt nutzen autonom fahrenden Auto. 800 Unternehmen weltweit die Signavio- Lösungen. Weiteres Wachstum HERE Ein Kind der Autoindustrie ist auch hat die jüngste Finanzierungsrunde der Kartenservice Here, seit ihn Audi, über 31 Millionen Euro sichergestellt. BMW und Daimler im Dezember 2015 ge- meinsam von Nokia übernommen haben. TRUMPF Der hocherfolgreiche Maschinen- Seither entwickelt sich das zunächst auf bauer tummelt sich unter Führung von ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; Navigationsdienste ausgerichtete Joint CEO Nicola Leibinger-Kammüller mittler- Venture mit seinem cloud-basierten weile auch ambitioniert im IT-Geschäft. Angebot immer mehr zur Basis für das Der Mittelständler mit 2,7 Milliarden Euro autonome Fahren. Mithilfe der hoch- Umsatz und fast 11 000 Mitarbeitern aufgelösten Kartendaten lassen sich Fahr- gründete 2015 Axoom. Die Dienstleis- zeuge bis auf 20 Zentimeter genau tungstochter hilft mit ihrer offenen Cloud- lokalisieren und entsprechend exakt len- Plattform kleineren Herstellern, sich mit ken. Nur so können sich selbstfahrende verschiedenen Modulen zu Partnern von Wagen im Verkehr sicher bewegen. Industrie 4.0 zu entwickeln. 116 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
SCHALTKREIS- DISRUPTOR Der Chiphersteller war eigentlich schon INFINEON Geschichte. Bis er seine Fabriken von Grund auf neu dachte: vernetzt und virtuell. Seither schreiben die Münchener Digital-Geschichte.
INFINEON SPEZIAL GAME CHANGER L autlos gleitet das schwere Me- talltor zur Seite und gibt den Weg frei zu der langen, ge- schwungenen Auffahrt. Der Wachmann öffnet eine kleine Pforte ne- ben den Drehkreuzen am Eingang, per Fahrstuhl geht es in die vierte Etage. In einer Umkleidekabine heißt es aus- ziehen bis auf die Unterwäsche, dann in blauer Jogginghose und weißem T-Shirt weiter den Gang entlang, unsere Gum- milatschen schmatzen über klebrige Fußmatten zur nächsten Sicherheits- schleuse. Helfende Hände streifen Ganzkörperanzüge aus dünner Kunst- faser über den Einheitsdress; mit Kapu- ze, Mundschutz und Gummihandschu- hen ähnelt nun jeder einem Chefarzt die Schaltkreise belichtet werden wie kurz vor der OP. auf einem Diafilm. Was anmutet wie eine Mischung aus Je nach Produkt passen bis zu 10 000 Hochsicherheitsgefängnis, Intensivsta- Chips auf einen solchen Wafer. „Welche tion und „Raumschiff Enterprise“ ist eine der vielen unterschiedlichen Varianten der modernsten Chipfabriken der Welt. produziert werden soll, erkennt die Ma- Hier am Rande der Dresdener Neustadt schine anhand eines Codes am Rande produziert Infineon sogenannte Leis- des Wafers“, erklärt Ploss. Die passende tungshalbleiter, kleinste elektronische Struktur holt sich die Maschine aus dem Bauteile, die später Automotoren steu- Zentralcomputer. Fertig. ern, Handys laden oder Kreditkarten si- In seiner Vermummung ist Ploss nur chern. Jedes Staubpartikel kann die nur durch das Namensschild als CEO zu er- wenige Nanometer breiten Leiterbah- kennen, was ihm sehr recht ist. Gäbe es nen beschädigen, daher die strengen einen Preis für den unbekanntesten Vor- Bekleidungsvorschriften. standsvorsitzenden aller Dax-Konzerne, Reinhard Ploss (60) eilt zwischen Ploss hätte exzellente Titelchancen. Die den Schaltkästen hindurch wie ein öffentliche Inszenierung liegt ihm nicht, Fremdenführer durch die Gassen der er bezeichnet sich als „schaumge- Dresdener Altstadt. Der Infineon-Chef bremst“, seinen Kaffee schenkt er sich kennt hier jeden Winkel, kann jeden am liebsten selbst ein. Produktionsschritt erklären – und tut es Die Gefahr, hier im Allerheiligsten er- auch. Roboter surren durch die in gelbes kannt zu werden, wäre ohnehin gering. Licht getauchten Gänge, ein Greifarm Man sieht die Orientierungshilfen für zieht wie bei einer Jukebox silberne die Roboter am Boden, Transportbän- Scheiben aus einer Plastikkiste und legt der unter der Decke und viel glänzenden eine nach der anderen auf einen Platten- Edelstahl. Menschen sieht man nicht. teller. Nur dass der zweite Arm keine Die virtuelle Fabrik, die Manager und Musik abspielt, sondern eine hauchdün- Wissenschaftler als Technologie der Zu- ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES ne Lackschicht aufträgt, auf die später kunft preisen, ist in Dresden längst real. „Infineon hat bei der Vernetzung seiner Produktion Maßstäbe gesetzt“, sagt Bains Deutschland-Chef Walter Sinn. Nicht nur innerhalb des Werks weiß ei- ne Maschine genau, was die nächste tut und welche Priorität jeder Auftrag hat. Alle 19 Fabriken weltweit kommunizie- ren miteinander – und mit den Rech- nern der Kunden und Lieferanten. Kommt ein Auftrag rein, entscheidet das System, wann und wo die Order abge- arbeitet wird. Das spart Zeit, senkt die Kosten und erhöht die Produktivität. „Infineon hat eine überlegene und sehr überzeugende Geschäftsstrate- 2 D E Z E M B E R 2 0 1 6 manager magazin 119
INFINEON SPEZIAL GAME CHANGER gie“, lobt Ann-Kristin Achleitner, Die Grundlage dafür hatte sein rationalisiert wurden, sich intern Wirtschaftsprofessorin an der Vorgänger Peter Bauer gelegt, der weiterqualifiziert und nun ande- TU München. Kaum ein anderes 2012 aus gesundheitlichen Grün- re, bessere Jobs haben. Die Beleg- Unternehmen ist bei der digita- den aus dem Amt schied. Er la- schaft, versichert der CEO, trage len Vernetzung der Produktion so gerte die defizitäre Speicherpro- den Digitalisierungskurs voll mit. weit vorn. Dafür wird der Konzern duktion aus, die später unter dem „Es kommt viel aus der Mann- mit dem Game Changer Award in REINHARD PLOSS Namen Qimonda in die Pleite schaft heraus. Mir geht es darum, der Kategorie „Operations of the CEO INFINEON schlitterte, verkaufte den zu klei- eine Kultur des Wagens und Dür- Future“ ausgezeichnet. Der Verfahrens- nen Handychipbereich an Intel. fens zu schaffen, in der die Kolle- Noch vor wenigen Jahren hät- techniker ver- Heute ist Infineon auf Hoch- gen die Vorgaben selbst in kon- brachte sein te niemand auf Infineon ge- ganzes Berufsle- leistungschips für Autos, Energie- krete Schritte übersetzen und die wettet. Im März 2009 dümpelte ben im Siemens- steuerung und Sicherheit spezia- Erfolge selbst wahrnehmen.“ der Aktienkurs bei 0,35 Euro. Der Universum. Als lisiert – Segmente, in denen sich In Dresden sind sie stolz da- weltweite Chipmarkt war ein- die Chipsparte mehr Geld verdienen lässt und rauf, dass die Fehlerquote inzwi- 1999 ausgeglie- gebrochen, das Unternehmen dert wurde, ging die überdurchschnittlich wach- schen bei weniger als eins zu schrieb rote Zahlen. Pleite oder er mit zu Infi- sen. Automatisiertes Fahren, er- zehn Millionen liegt. Doch Ploss Übernahme – das Ende der frü- neon. 2007 neuerbare Energien, Internet-Se- legt die Latte schon wieder höher. heren Siemens-Sparte schien nur wurde er Vor- curity: „Wir haben die richtigen „Auch dieser eine Fehler unter standsmitglied, noch eine Frage der Zeit zu sein. 2012 CEO. Märkte, andere hätten die gern“, zehn Millionen Chips wird in Zu- Inzwischen hat das Unterneh- sagt Ploss mit Blick auf die weni- kunft nicht mehr akzeptiert wer- men seinen Umsatz auf 5,8 Mil- ger ertragsstarken Rivalen. den“, sagt er. „Wer möchte schon liarden Euro mehr als verdoppelt, Parallel dazu investierte der in dem autonom fahrenden Auto wächst schneller als der Markt Manager in neue Technologien sitzen, in dem dieser eine Chip und zählt mit einer Nettomarge wie die Fertigung von Wafern mit verbaut wurde? Wir werden uns von 15 Prozent zu den profita- 300 Millimetern Durchmesser, in Richtung Null-Fehler-Toleranz belsten Chipherstellern der Welt. auf denen sich mehr Chips unter- bewegen.“ Wie war das möglich? bringen lassen als auf dem bishe- Um diesem Anspruch näher- „Mir war immer klar, dass die rigen 200-Millimeter-Standard. zukommen, verlässt sich der Dax- Fertigung in Deutschland wegen „50 Prozent unseres Erfolgs ist Konzern nicht nur auf seine eige- der hohen Lohnkosten unter Innovation“, sagt Ploss. Derzeit nen Stärken. Anfang 2015 kaufte Druck geraten würde“, sagt Ploss. entsteht in Dresden die weltweit Infineon für drei Milliarden Dol- „Zudem werden unsere Produkte einzige 300-Millimeter-Fertigung lar den Konkurrenten Internatio- und Prozesse immer vielfältiger von Leistungshalbleitern. nal Rectifier und stärkte damit und komplexer. Als Mensch da 3,5 Milliarden Euro hat der seine Position auf dem US-Markt. noch den Überblick zu behalten Münchener Konzern in den ver- Im Juli 2016 folgte die Ankündi- FOTO: PR; ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES und keinen Fehler zu machen ist gangenen Jahren allein in den gung, für 850 Millionen Dollar unmöglich.“ Also begann er be- Standort Dresden investiert. Wolfspeed zu übernehmen. Die reits in seiner Zeit als Produkti- „Viel Geld“, sagt Ploss, „aber es Amerikaner sind Spezialisten für onsvorstand, menschliches Wis- hat sich gelohnt.“ Stillstandszei- Halbleiter auf Basis von Silizium- sen durch Maschinenwissen zu ten gibt es praktisch nicht mehr, carbid. Die Chips sind besser für ersetzen. Er schaltete schneller das Werk produziert an 365 Tagen höhere Spannungen geeignet, als die Konkurrenz, rüstete Infi- im Jahr rund um die Uhr. Die mo- zudem lassen sich noch mehr neons Fabriken auf Industrie 4.0 bilen Roboter laden ihre Akkus von ihnen auf einem Wafer un- um, als die meisten Big Data noch während des Betriebs wieder auf, terbringen. Das hilft, Kosten zu für den neuesten Blockbuster aus durch die Automatisierung ist die sparen. 2 Hollywood hielten. „Die konse- Produktivität um fast 70 Prozent quente Fokussierung und der ho- gestiegen – und die Zahl der Ar- he Integrationsgrad in der Fer- beitsplätze nicht gesunken. 2000 tigung tragen ganz klar Ploss’ Mitarbeiter beschäftigte Infineon Handschrift“, sagt Halbleiterex- vor zehn Jahren in Dresden, ge- perte Hans Joachim Heider von nauso viele wie heute. Bain. Er habe Infineon zu einem „Viele weniger qualifizierte weltweiten Vorreiter gemacht. Jobs wurden ersetzt, dafür sind neue hoch qualifizierte Tätigkei- ten entstanden“, sagt der Vor- standschef. Die 4000 Stellen je- doch, die durch das Ende der Speicherchipproduktion verloren gingen, kehrten nicht zurück. Ploss betont gern, dass viele Mitarbeiter, deren Aufgaben weg- 120 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
INFINEON SPEZIAL GAME CHANGER DIGITALDENKER lösungen des Dax-Konzerns sind die Voraussetzung für viele industrielle An- wendungen von autonom fahrenden Vier weitere Firmen schafften Autos bis hin zur Telemedizin. es in der Kategorie „Operations of the Future“ in die Endrunde SIEMENS Der Münchener Mischkonzern gehört zu den führenden Anbietern von Industrie-4.0-Lösungen in Deutschland. CEWE Kodak? Agfa? War da was? Viele Das Dax-Schwergewicht (Umsatz: 76 Mil- klangvolle Namen aus dem Fotofilmge- liarden Euro) unterstützt seine Kunden mit schäft endeten auf dem analogen Firmen- seiner „Digital Enterprise Software Suite“ friedhof. Nicht so Cewe: Der Fotofinisher bei der Weiterentwicklung ihrer Pro- aus Oldenburg (CEO: Rolf Hollander) duktion, von der automatisierten hin zur schwenkte rechtzeitig auf Digitalfotografie digitalen Fabrik. Auch intern treibt Vor- Von seinem jüngsten Zukauf, der Phi- um und verdient sein Geld heute mit standschef Joe Kaeser die Digitalisierung lips-Ausgründung Innoluce, erhofft Fotobüchern, personalisierten Post- voran, um die Kosten zu senken und Ploss sich neue Impulse für die Automo- karten-Apps und Digitaldruck. Wo früher die Produktivität zu erhöhen. Darüber bilsparte: Die Niederländer sind Spezia- Farbfilme durch Chemiebäder gezogen hinaus investiert das Unternehmen über listen für laserbasierte Abstandsmes- wurden, verarbeiten nun voll automatische seinen Wagnisfinanzierer Siemens sungen, die eine wichtige Rolle bei der Belichter die Kundenaufträge aus dem Venture Capital in Start-ups, die auf neue Entwicklung autonom fahrender Autos Internet. Cewe ist heute europäischer Produktionsverfahren spezialisiert sind. spielen könnten. Marktführer für digitale Fotoprodukte und Das Risiko, selbst zum Übernahme- der Umsatz mit 554 Millionen Euro SIXT LEASING Ein Auto online zu mieten ist kandidaten zu werden, hält Ploss für höher, als er zu analogen Zeiten je war. längst normal. Doch Deutschlands größ- überschaubar. „Wir sind bei der aktuel- ter herstellerunabhängiger Autovermieter len Marktkapitalisierung (18 Milliarden DEUTSCHE TELEKOM Dass sich mit dem Te- hat die Digitalisierung noch viel weiter Euro) nicht gerade ein Schnäppchen. lefongeschäft allein langfristig kein Geld getrieben. So verwaltet Sixt Leasing Und je erfolgreicher wir sind, desto mehr verdienen lassen würde, hat der ganze Firmenflotten virtuell, mischt dank sperriger werden wir.“ Bonner Konzern (Umsatz: 69 Milliarden seiner neutralen Handelsplattform Sixt Ausgeschlossen ist eine feindliche Euro) früh erkannt. Vorstandschef Tim Neuwagen beim Onlinehandel mit Offerte freilich nicht. Gerade hat der Höttges trimmt den ehemaligen Staats- Neufahrzeugen mit – Konfigurator für alle Branchenvierte Qualcomm die Über- konzern daher zunehmend auf Zukunfts- gängigen Marken inklusive. Auf diese nahme des Infineon-Rivalen NXP für themen wie Cloud-Computing, Internet- Weise ist es Vorstandschef Rudolf Rizzolli rund 47 Milliarden Dollar angekündigt. sicherheit und Big-Data-Anwendungen. gelungen, mehrere Jahre in Folge ein Die Niederländer sind gemessen am Im Endkundengeschäft verschmelzen solides Wachstum des Umsatzes auf zu- Umsatz die Nummer sieben der Bran- Festnetz und Mobilfunk, mit T-Home und letzt 665 Millionen Euro hinzulegen. Auch che, die Münchener stehen auf Platz Entertain ist die Telekom zum mächtigen die internen Prozesse wurden umfang- zehn. Ploss gibt sich entspannt: „Ich bin Spieler im Multimedia- und TV-Geschäft reich digitalisiert. Damit hat Sixt einen da nicht nervös.“ geworden. Die intelligenten Netzwerk- neuen Standard für die Branche gesetzt. Auf dem Rückweg von der virtuellen in die reale Welt steht er schon wieder im Anzug in der Umkleide und eilt zur Tür, als alle anderen noch an den Reiß- verschlüssen ihrer Schutzanzüge nes- teln. In zehn Jahren, schätzt er, könnten ILLUSTRATION: EUPHORIKA FÜR MANAGER MAGAZIN; FOTOVORLAGEN: GETTY IMAGES alle Fabriken auf dem Stand von Dres- den sein, inklusive der Zukäufe. Sein Vertrag läuft noch bis 2020, bis dahin will Ploss weiterhin jährlich 8 Prozent Wachstum und eine Rendite von 15 Pro- zent abliefern. Infineon würde dann 8,5 Milliarden Euro Umsatz erzielen – über 2 Milliarden mehr als heute. Und sein persönliches Ziel? Jetzt muss er überlegen. „Ich will ein Infineon hinterlassen, bei dem die nächste Gene- ration nicht sagen muss: Jetzt müssen wir erst mal aufräumen“, sagt er schließ- lich. „Am besten wäre, wenn man gar nicht merkt, dass ich weg bin.“ 1 Claus Gorgs 122 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
FOTO: FRANK ZAURITZ / ARCHIV ZAURITZ 124 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
INTERVIEW SPEZIAL GAME CHANGER D er Obstteller auf dem Schreib- P E T E R A LT M A I E R tisch ist unberührt, das Sakko Der Saarländer gilt als hängt über der Stuhllehne. Pe- Angela Merkels Mann ter Altmaier hackt schnell noch für die wichtigen zwei Sätze in den Computer. Eigentlich hat Themen. Als Bundesum- weltminister setzte er der Kanzleramtsminister und Vertraute die Energiewende in von Angela Merkel keine Zeit. Die Renten, Deutschland durch, die Flüchtlinge. Aber dann redet er doch aktuell koordiniert der fast anderthalb Stunden über die Digitali- CDU-Politiker als Kanzleramtschef die sierung der deutschen Wirtschaft. Seine Flüchtlingspolitik. „ Begeisterung für das Thema ist zu spüren. Seine Sorge auch. MM Herr Altmaier, Sie waren der erste Spitzenpolitiker, der twitterte, heute hört man dort nur noch wenig von Ih- VIEL ZEIT nen. Sind Sie digitalisierungsmüde? PETER ALTMAIER Auf keinen Fall! Twitter nut- ze ich nach wie vor, aber mehr, um mich zu informieren, als selbst zu posten. Wichtige Dinge, die auf der Welt passieren, bekom- me ich so deutlich früher mit. Die Heizung bei mir zu Hause steuere ich bald über mein Smartphone. Als ich neulich einen Umbau an meinem Haus im Saarland hatte, konnte HABEN ich den Baufortschritt bequem digital von Berlin aus verfolgen. Politisch nutze ich öfter die Möglichkeit, per Video-Online- schaltung live zu sprechen. Das ermöglicht direkte Kommunikation, spart aber Zeit und Kosten und schont die Umwelt. Die Di- gitalisierung ist eine große und spannende Veränderung fast aller Lebensbereiche. Sie wird kommen, egal was die Politik dazu WIR NICHT sagt. Deshalb tun wir gut daran, uns recht- zeitig mit den Folgen zu befassen. In der deutschen Wirtschaft scheint diese Erkenntnis noch nicht überall an- gekommen zu sein. Alle großen Inter- netkonzerne sitzen in den USA, unsere Smartphones werden in China gebaut, Akkus für Elektroautos in Korea. Deutschland hat schon viele ökonomische Herausforderungen gemeistert: Das Ende des Wirtschaftswunders, die Umwälzun- “ gen in der Unterhaltungs- und Optikindus- trie, die „German Angst“ nach der Wieder- vereinigung. Wir hatten damals mehrere Millionen Arbeitsplätze verloren, aber seit- her durch Reformen, die von einem großen parteiübergreifenden Konsens getragen I NTERVIEWKanzleramtsminister Peter Altmaier waren, bewiesen, dass wir Globalisierung können. Wir haben uns Marktanteile zu- erklärt, warum sich die Digitalisierung nicht rückerobert, den China-Boom für uns ge- genauso verordnen lässt wie die Energiewende – nutzt. Das Ergebnis: Vier Millionen Jobs mehr als zu Zeiten der Wiedervereinigung. und wieso ihm das Sorgen bereitet. Wenn wir rechtzeitig die Weichen stellen, meistern wir auch die Digitalisierung, wird die Erfolgsgeschichte weitergehen. Es geht aber nicht so weiter. Der Chi- na-Boom ebbt ab, die Digitalisierung 2 D E Z E M B E R 2 0 1 6 manager magazin 125
INTERVIEW SPEZIAL GAME CHANGER droht selbst die Kernbranchen der DEUTSCHLAND SURFT HINTERHER deutschen Industrie zu marginalisieren. Die Länder mit dem schnellsten Internet- Die Digitalisierung ist in der Tat ein Game zugang 2016, in Mbit/s Changer. Das Thema ist ja nicht neu, aber Südkorea 27,0 wir erleben gerade einen qualitativen 1 Sprung, den man sich bis vor Kurzem so Norwegen 20,1 2 nicht vorstellen konnte. Deutschland ist ei- Hongkong 19,5 nerseits gut aufgestellt, zeitweise hatten 3 Schweden 18,8 wir mehr Softwareentwickler als die USA; 4 andererseits sind wir hier weltweit nicht Schweiz 18,3 5 unter den ersten drei. Die große Dynamik Finnland 17,6 findet zurzeit woanders statt. Alle großen 6 digitalen Plattformen, alle relevanten Lettland 17,5 7 Social-Media-Netzwerke sind in den USA Singapur 17,2 angesiedelt. In Sachen Industrie 4.0 sind 8 wir schon besser aufgestellt, weil es da um Japan 17,1 9 hochtechnologische Prozesse geht, die mit Island 17,0 der Digitalisierung verschmelzen. So etwas 10 kann Google nicht. Allerdings ändern sich Deutschland 14,1 die Dinge gerade in einem enormen Tem- 24 po, etwa beim 3-D-Druck. Wir sind in der Spitze gut vertreten, müssen den Prozess Quelle: Akamai Grafik: manager magazin aber in die Breite tragen. Warum tun sich gerade viele große Mit- Noch haben wir Deutschen die Chance, telständler digital so schwer? ganz vorn mit dabei zu sein. In vier bis fünf Es gibt dort noch viele, die sich vor Verän- Jahren sind die Anteile verteilt. derung, vor dem Unbekannten fürchten. Gilt das auch für unsere ökonomische Wir brauchen eine Bewusstseinsänderung. Lebensader, die Automobilindustrie? Die Digitalisierung ist ja eine Riesenchance: Das Auto der Zukunft fährt möglicherweise Heute kann ein Unternehmer aus der Nie- mit Elektroantrieb, sein teuerstes Bauteil derlausitz den Weltmarkt aufrollen. ist dann die Batterie. Wir haben aber hier- Uber und Tesla kommen aber weder zulande keine Batteriefertigung. Das Auto aus der Niederlausitz noch aus Berlin, der Zukunft fährt voraussichtlich selbst. sondern aus Kalifornien. Bei dieser Technologie sind wir zwar nicht Es gibt auch bei uns einige echte Leucht- schlecht aufgestellt, aber andere arbeiten türme: Traditionsunternehmen wie Thys- daran mit Hochdruck. Und keiner weiß, ob senKrupp, Bosch oder Siemens haben das sich das Beste oder das Schnellste durch- Thema frühzeitig erkannt und sind schon setzt. Wenn am Ende 60 Prozent der Wert- sehr weit. Trotzdem müssen wir erkennen, schöpfung eines Autos digital sind und dass wir es nicht mit einer evolutionären 20 Prozent auf die Batterie entfallen, nützt Veränderung zu tun haben, sondern mit es uns gar nichts, wenn wir 80 Prozent der einem Innovationssprung, bei dem die Oberklasseautos bauen, aber nur noch Claims neu abgesteckt werden. Das birgt 20 Prozent der Wertschöpfung im eigenen große Chancen, aber auch Risiken, wenn Land haben. die Innovation anderswo stattfindet. Der Dann greifen Sie als Bundesregierung Umbruch ist deshalb so radikal, weil er kos- doch ein. Als es um die Energiewende tengetrieben ist und Produktivitätsvorteile ging, haben Sie doch auch Milliarden von bis zu 50 Prozent hervorbringt. bewegt und nicht lange gefackelt. Wer solche Effizienzsprünge heben Ich bin ein Anhänger der sozialen Markt- will, muss investieren. Da halten wir wirtschaft – in diesem Begriffspaar steckt uns derzeit auffällig zurück. sehr viel Markt und sehr viel Wirtschaft. Noch sind wir etwa sehr stark in künstli- Ich glaube, dass der Staat ein schlechter In- cher Intelligenz, was hochrelevant ist für vestor ist. Deshalb haben wir bei der Ener- das autonome Fahren. Doch wir stellen giewende starke Anreize gesetzt und Hilfen fest, dass Plattformen wie Google in die- angeboten, aber nicht selbst Solaranlagen sem Feld enorm investieren und sich das oder Windräder gebaut. Know-how über Joint Ventures oder Über- Das verlangt ja auch diesmal keiner. nahmen deutscher Spezialisten holen. Autoindustrie und Energiesektor sind nur Es wäre nicht das erste Mal, dass Deut- bedingt vergleichbar. Es wird nicht Hun- sche die Technologien entwickeln und derte Batteriefabriken geben, sondern nur Amerikaner die Produkte verkaufen. wenige. Und die Herausforderung, den 2 126 manager magazin D E Z E M B E R 2 0 1 6
Sie können auch lesen