Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw

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Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
5/2021                              Heft 5 September–Oktober 2021         G 3937 D

FORUM WOHNEN UND STADTENTWICKLUNG

                                    Schwerpunkt
                                    Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung

                                    Kommunikation
                                    Ein Plädoyer für die datenbasierte Stadtentwicklung • Neue Attraktivität für Suburbia und ländliche
                                    Räume? • Digitale Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bauleitplanung • Gemeinderäte und kommunale
                                    Digitalisierungsstrategien • Von der Produkt- zur Gemeinwohlorientierung • Duisburg auf dem Weg zur
                                    Smart City • Die digitale Dimension der Stadtentwicklung von Hamburg • Digitalisierung – eine
                                    Kommune im Harz ist unterwegs • Wenn Digitalisierungsmaßnahmen das Stadtbild prägen • Kommu-
                                    nale Ideenplattformen in der Stadtentwicklung • Wie soziale Medien das Verhältnis zwischen öffent-
                                    lichen Verwaltungen und ihren Followern verändern • Corona und die Transformation der Innenstädte

                                    Nachrichten
                                    Fachliteratur

                                    WohnungsMarktEntwicklung
                                    Zahlen zum Wirtschaftszweig Information und Kommunikation

                                    Verbandszeitschrift des vhw
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Inhalt

Schwerpunkt                                              Digitalisierung – eine Kommune im Harz ist
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung         unterwegs. Erfahrungen und Strategien in Goslar 259
                                                         Diana Hoffmeister, Stadt Goslar
Editorial
Kontinuität und Wandel – Happy Birthday, vhw! 225        Smart Darmstadt, wie geht’s? Wenn Digitalisie-
Dr. Peter Kurz,                                          rungsmaßnahmen das Stadtbild prägen              262
Oberbürgermeister der Stadt Mannheim und                 Sabine Kluge,
Verbandsratsvorsitzender des vhw e. V.                   Digitalstadt Darmstadt GmbH, Darmstadt

Kommunikation                                            Digitalisierung und Bürgerbeteiligung –
Vernetzt und nachhaltig smart: ein Plädoyer              was kommunale Ideenplattformen in der
für die datenbasierte Stadtentwicklung             227   Stadtentwicklung erfolgreich macht               265
Dr. Stephanie Niehoff,                                   Sven Kohlschmidt, Dr. Sophie Naue,
Daten-Kompetenzzentrum Städte und Regionen               urbanista, Hamburg
DKSR GmbH, Berlin                                        Anna Wildhack, Stadtsoziologin, Hamburg
                                                         Nina Böcker, Dr. Lars Wiesemann,
Das Internet, das Virus und die Stadt: Neue              vhw e.V., Berlin
Attraktivität für Suburbia und ländliche Räume? 231
Prof. Dr. Stefan Siedentop,                              Bürger*innen als Freunde? Wie soziale
ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungs-        Medien das Verhältnis zwischen öffentlichen
forschung, Dortmund                                      Verwaltungen und ihren Followern verändern       270
                                                         Dr. Anna Becker, Nina Böcker, vhw e.V., Berlin
„Wir ernten doppelt …“                                   Rebecca Nell, Fraunhofer-Institut für Arbeits-
Digitale Öffentlichkeitsbeteiligung in der               wirtschaft und Organisation (IAO), Stuttgart
Bauleitplanung – ein Praxisbericht                 236   Fatma Cetin, Institut für Arbeitswissenschaft
Dr. Christine Grüger,                                    und Technologiemanagement (IAT), Stuttgart
suedlicht . moderation . mediation .
planungsdialog, Freiburg i. Br.                          Die (Post-)Corona-Stadt: mitten in der
Damian Paderta,                                          Transformation der Innenstädte                  275
Webgeograph und Digitalberater, Bonn                     Prof. Dr. Jan Polívka,
Prof. Dr. Klaus Selle, Dr. Fee Thissen,                  ILS Institut für Landes- und Stadtentwicklungs-
NetzwerkStadt GmbH, Schwerte                             forschung, Dortmund

Zur Rolle von Gemeinderäten bei der Entwicklung          Nachrichten
kommunaler Digitalisierungsstrategien           243      Fachliteratur                                    279
Ilona Benz,
Gemeindetag Baden-Württemberg, Stuttgart
                                                         WohnungsMarktEntwicklung
                                                         Arbeitsmarktbetrachtung des Wirtschaftszweigs
Von der Produkt- zur Gemeinwohlorientierung –
                                                         Information und Kommunikation                    280
Paradigmenwechsel in der Berliner Politik zur
                                                         Anna Florl, Robert Kretschmann, vhw e.V., Berlin
digitalen Stadt                               247
Tobias Schulze,
Linksfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin

Duisburg auf dem Weg zur Smart City –
Chancen für die Kommune und die
Stadtgesellschaft                                  251
Martin Murrack, Stadt Duisburg

Die digitale Dimension der Stadtentwicklung
von Hamburg                                        255
Christian Pfromm,
Freie und Hansestadt Hamburg
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Editorial

Kontinuität und Wandel –
Happy Birthday, vhw!
                              Nach dem im letzten Jahr         arbeiterinnen und Mitarbeiter des Verbands haben die He-
                              aufgrund der Coronapan-          rausforderungen, die die Einschränkung der Mobilität und
                              demie ausgefallenen Ver-         aller Präsenzveranstaltungen für einen Fortbildungsträger
                              bandstag kann unser Jah-         bedeuten, herausragend und in kürzester Zeit gemeistert.
                              reshöhepunkt in diesem           Aber nicht nur die Verbandsarbeit selbst, vor allem der Ge-
                              Jahr in Berlin wieder statt-     genstand unserer Arbeit – die Lebensrealität in den Kom-
                              finden, worauf ich mich per-     munen – ist mit weitreichenden Folgen konfrontiert. Neben
                              sönlich sehr freue. Nicht        erheblichen sozialen und bildungsbezogenen Verwerfungen
                              nur das Thema der Veran-         werden die Erfahrungen der Pandemie und Lockdownmaß-
                              staltung, sondern auch das       nahmen etwa die Zukunft der Innenstädte und räumlich-
                              Datum selbst hat es diesmal      demografische Entwicklungen beeinflussen. Vor diesem
                              in sich, denn der vhw wird       Hintergrund werden die bereits bestehenden Metaaufga-
 Dr. Peter Kurz               in diesem Jahr 75 Jahre alt.     ben von kommunaler Digitalisierung und Umgang mit dem
                              Er steht damit nicht allein in   Klimawandel noch weit dringlicher. Die zukunftsfähige Ge-
der Vereins- und Verbändelandschaft, denn viele Organisa-      staltung und Nutzung der Städte und ihres Wohnangebots
tionen und Institutionen wurden im Jahr 1946 – nach dem        sowie ein neues Zusammenspiel zwischen Stadt, Umland
Ende des Zweiten Weltkriegs – gegründet oder wiederge-         und Land treten hinzu.
gründet und feiern damit zeitgleich mit dem vhw ihr „Drei-     Der Themenschwerpunkt der vorliegenden Ausgabe unse-
viertel-Jahrhundert-Jubiläum“.                                 rer Verbandszeitschrift befasst sich mit einem zentralen
Das Hauptziel des als „Deutsches Volksheimstättenwerk“         Aspekt beschleunigter Veränderung: Die Digitalisierung be-
gegründeten Verbands war für fast 60 Jahre die Förderung       einflusst in vielen verschiedenen Steuerungsprozessen die
des selbstgenutzten Wohneigentums, gerade für Haushal-         Zukunftsfähigkeit unserer Kommunen. Insbesondere die
te und Familien, denen nur begrenzte Mittel zur Verfügung      Pandemie hat uns schlagartig vor Augen geführt, wie die
standen. Mit Beginn der 2000er Jahre richtete sich der Ver-    Digitalisierung auf Prozesse der Stadtentwicklung unmit-
band nach und nach neu aus, was auch seinen Niederschlag       telbar Einfluss nimmt – Homeoffice, Onlinedienste, Zoom-
in der Satzung von 2009 fand. Fortan engagiert sich der vhw    Konferenzen und Fortbildungswebinare sind hier nur einige
durch Fortbildung und Forschung in den Handlungsfeldern        bekannte Beispiele, die derzeit eine Art „Treiberfunktion“ zu
Wohnen und Stadtentwicklung dafür, die Leistungsfähigkeit      haben scheinen. Dies kann durchaus als eine Chance gese-
                                                               hen werden, die es zu nutzen gilt. Die Kommunen müssen
der Kommunen, eine vielfältige Bürgergesellschaft und die
                                                               vor diesem Hintergrund allerdings möglichst rasch aus der
lokale Demokratie zu stärken.
                                                               Position des „re-agierens“ wieder in die Rolle der Gestalter
Die Entwicklung des Verbandes sowohl in den Zielen als         kommen. Der vhw mit seinen zahlreichen Fortbildungsan-
auch in der konkreten Arbeit spiegelt den vielfachen gesell-   geboten und seinen umfangreichen Forschungsaktivitäten
schaftlichen und sozialen Wandel sowie die ökonomischen        ist da ein wichtiger Partner. Und ich bin sicher: Der Verband
oder technischen Entwicklungen wider. Dabei ist jedoch         wird sich wie in der Vergangenheit diesen Herausforderun-
die „DNA“ des vhw auch im 21. Jahrhundert unverändert          gen stellen und aktiv zu ihrer Bewältigung beitragen.
geblieben. Zu ihr gehören die Ziele der sozialen und ge-
                                                               Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre der vorliegen-
sellschaftlichen Teilhabe, des sozialen Ausgleichs und der
                                                               den Ausgabe.
Stärkung des Gemeinwohls, die sich ganz im Einklang mit
den Zielen der Neuen Leipzig Charta von 2020 befinden.
Nach 75 Jahren kann deshalb durchaus gleichzeitig von
„Kontinuität und Wandel“ in der Entwicklung des vhw ge-
sprochen werden.

Ausgerechnet im 75. Jahr des Verbandsbestehens tauchte         Dr. Peter Kurz
mit der Coronapandemie jedoch eine in ihrem Ausmaß und
                                                               Oberbürgermeister der Stadt Mannheim und Verbands-
in ihren potenziellen Wirkungen bis dahin unbekannte He-
                                                               ratsvorsitzender des vhw
rausforderung auf. Sowohl der Vorstand als auch die Mit-

                                                                        vhw FWS 5 / September–Oktober 2021              225
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Ingo Christian Hartmann

Wohngeld – Leitfaden 2021
Die Schwerpunkte der Wohngeldentscheidung
NEU: 12. Auflage, Umfang: ca. 550 Seiten DIN A5, broschiert
Einzelpreis: 47,50 Euro zzgl. Versandkosten
ISBN: 978-3-87941-807-7
Erscheinungsdatum: Januar 2021

Das Standardwerk für die Wohngeldentscheidung                 VII.   Datenabgleich und Datenschutz

Der bei allen Wohngeldbehörden eingeführte, bewährte          VIII. Bewilligungszeitraum
Leitfaden zum Wohngeld erscheint im Januar 2021 in der
                                                              IX.    Minderung des Wohngeldes
zwölften Auflage und erläutert das Wohngeldrecht umfas-
send. Das Grundrentengesetz und das Wohngeld-CO2-Be-          X.     Aufhebung und Berichtigung des Wohngeldbescheides,
preisungsentlastungsgesetz führen ab 2021 zu einer Än-               Erstattung zu Unrecht geleisteten Wohngeldes
derung des Wohngeldgesetzes; 2020 sind überdies diverse
                                                              XI.    Erstattung zwischen den Leistungsträgern
Änderungen – auch der Wohngeldverordnung – zu verzeich-
nen.                                                          XII.   Überleitungsrecht 2020/2021
Sämtliche Rechtsänderungen – auch im übrigen Recht –          XIII. Einkommenskatalog
sind im Leitfaden berücksichtigt. Ausführlich werden Inhalt
                                                              XIV. Wohngeldgesetz 2021
und Konsequenzen der neuen Vorschriften behandelt. Wei-
ter ausgebaut sind u. a. die Einkommensermittlung, Fragen     XV.    Wohngeldverordnung 2021
der Minderung, Aufhebung und Erstattung sowie die aktu-
                                                              XVI. Einkommensteuergesetz 2021
ellen Vollzugsfragen. Eingehend verarbeitet sind insbeson-
dere das neue Überleitungsrecht, die aktuelle Rechtspre-
chung und die Erlasslage. Weiter ausgebaut und vertieft ist
                                                              Wohngeld – Leitfaden 2021
der Einkommenskatalog.
                                                              Einzelpreis: 47,50 Euro zzgl. Versandkosten
Der Leitfaden behandelt damit alle wichtigen Arbeitsvor-      Bestellung Fax 0228/725 99-59
gänge der Wohngeldpraxis von der Antragsannahme und
                                                              vhw-Verlag
Einkommensermittlung über die Bewilligung oder Ver-
                                                              Dienstleistung GmbH
sagung bis zur Aufhebung des Wohngeldbescheids und
                                                              Hinter Hoben 149
zur Erstattung. Zahlreiche Beispiele erleichtern die Arbeit
                                                              53129 Bonn
ebenso wie der Einkommenskatalog und ein umfassendes
Stichwortverzeichnis, das die Nutzer des Fachbuchs zu ih-
ren speziellen Fragen führt. Die ausführlichen Erläuterun-
gen bieten damit allen mit dem Wohngeld Befassten eine
fundierte Orientierung für die tägliche Arbeit.

Inhaltliche Schwerpunkte

I.     Einkommensermittlung

II.    Schätzung des Einkommens, Versagung des
       Wohngeldes und Ablehnung des Wohngeldantrages

III.   Missbräuchliche Inanspruchnahme des Wohngeldes

IV.    Haushaltsmitglieder, Verantwortungs- und
       Einstehensgemeinschaft

V.     Wohngeld für Heimbewohner

VI.    Wohngeld im Transferleistungsfall
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Kommunikation
                                                               Ein Plädoyer für die datenbasierte Stadtentwicklung

Stephanie Niehoff

Vernetzt und nachhaltig smart:
ein Plädoyer für die datenbasierte
Stadtentwicklung
Überschwemmungen, Hitzerekorde, Waldbrände in Deutschland, Europa und weltweit. Die mit dem Klimawandel ein-
hergehenden Wetterextreme zeigen sich öfter und heftiger – und stellen gerade für die Stadtentwicklung eine enorme
Herausforderung dar. Wie können die Städte weiter Lebensqualität bieten, wenn die Temperaturen 45 ° Celsius über-
steigen, Wasserressourcen schwinden, gemäßigter Niederschlag ausbleibt und stattdessen Starkregen auftritt? Was
können die Städte dazu beitragen, um zumindest die weitere Verschärfung des Klimawandels aufzuhalten, aber auch
bereits bestehende Herausforderungen, wie Wohnungsknappheit und Platzmangel, zu lösen? Und inwiefern können
Daten hier überhaupt helfen?

Komplexe Herausforderungen benötigen                           Armutsbekämpfung, sozialen Zusammenhalt und nicht zu-
                                                               letzt die wirksame Pandemiebekämpfung anspricht: Die
zusammenhängende Lösungen
                                                               Herausforderungen sind enorm und die Zusammenhänge
Klar ist, dass hier nicht einzelne Sektoren der Stadtent-      komplex. Entsprechend muss es eine vernetzte Zielsetzung
wicklung und -verwaltung gefragt sind, sondern es darum        und Herangehensweise geben, die die jeweiligen sektoralen
gehen muss, alle Bereiche sinnvoll zusammenzubringen:          Teillösungen und ihre Auswirkungen berücksichtigen und
Um Hitzeperioden und Starkregen zu begegnen, werden            auf der Umsetzung über Sektorengrenzen hinweg liegen.
temperatursenkende Grünflächen und Stadtbäume be-
sonders wichtig – hier werden ressourcenschonende Be-
wässerungsmethoden und Schwammkapazitäten benötigt.
Gleichzeitig müssen in diesem Zusammenhang Flächen
entsiegelt werden. Schon sind wir bei der sozialen Platzver-
teilung in Städten und damit mitten in der Mobilitätswende:
Anstatt dem MIV (mobilen Individualverkehr) ständig mehr
Platz zur Verfügung zu stellen, müssen alternative Mobili-
tätsformen gezielt gefördert werden.

Auch hier ist die Stadtentwicklung gefragt: Je kürzer die
Strecken werden, die Menschen zurücklegen müssen, um
zu ihren Kitas, Schulen, Arbeitsplätzen, Einkaufsmöglich-
keiten, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen zu kommen,
aber auch um Parks, Sportstätten, kulturelle Einrichtun-
gen und soziale Treffpunkte zu erreichen, desto mehr Wege
können alle Bürgerinnen und Bürger zu Fuß, per Fahrrad         Abb. 1: Ob Parkingapps oder Energiespeicherkapazitäten durch E-Autos:
                                                               Die Mobilitätswende gelingt datenbasiert besser. (Foto: Michael Fousert –
oder mit Shared-Mobility-Fahrzeugen, wie elektrisch be-        unsplash)
triebenen Scootern oder Lastenfahrrädern, zurücklegen.
Gleichzeitig bedingt die Entwicklung zu mehr E-Mobilität       Digitalisierung ohne Datensilos
die Notwendigkeit von belastbarer Ladeinfrastruktur, die
                                                               Um die Städte in diesem Sinne voranbringen zu können,
die Erzeugungspeaks und -senken der erneuerbaren Ener-
                                                               müssen rasch Lösungen gefunden werden. Deshalb ist es
gieträger beachtet und die Speicherkapazitäten, beispiels-
                                                               unabdingbar, Daten auch für die Stadtentwicklung in viel
weise von E-Autos, miteinbezieht. Sogenannte „Smart
                                                               umfassenderem Maße zu nutzen, als es bisher getan wird.
Grids“ wiederum stehen in direktem Zusammenhang mit
                                                               Denn auch wenn das Schlagwort „Digitalisierung“ schon
effektivem Energiemanagement insbesondere in kommu-
                                                               lange als Megatrend in aller Munde ist, hat nicht zuletzt die
nalen Gebäuden.
                                                               Coronapandemie gezeigt, dass die Digitalisierung – verstan-
Wie schon dieser kurze Abriss zeigt, der noch nicht ein-       den als reine Nutzung von digitalen statt analogen Medien
mal wichtige städtische Themen wie Wohnraummangel,             und Archiven – in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens

                                                                          vhw FWS 5 / September–Oktober 2021                       227
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Kommunikation
            Ein Plädoyer für die datenbasierte Stadtentwicklung

noch in den Kinderschuhen steckt. Dokumente werden per                      durchschnittliche Temperatur. Dadurch wird eine Brandge-
Fax verschickt, Fahrgastzahlen des ÖPNV beruhen teilweise                   fahrenmeldung getriggert. Die zuständige Feuerwehr erhält
auf händisch ausgeführten Zählungen mit entsprechenden                      die Information, verifiziert sie und macht sich auf zum Ein-
Hochrechnungen, große Infrastrukturprojekte, die in den                     satzort – dies muss offensichtlich sehr schnell passieren.
neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch mit Milli-
                                                                            Fließen diese Daten in eine urbane Datenplattform, kann
meterpapier geplant wurden, werden dreißig Jahre später
                                                                            die Meldung nach Bestätigung durch die Feuerwehr direkt
vollendet, ohne dass BIM (Building Information Modeling)
                                                                            an betroffene Bewohner kommuniziert werden, gemein-
eine besondere Rolle spielt.
                                                                            sam mit einem Evakuierungsplan, der ihnen geeignete, für
Doch die Zeit drängt: Angesichts der oben beschriebenen                     die Rettungskräfte ungefährliche Sammelplätze anzeigt.
Herausforderungen wäre es fatal, würde nun erst einmal                      Gleichzeitig geht die Meldung direkt auch an den Verkehrs-
jede Institution, jede Abteilung und auch geografisch jede                  leitrechner. Dieser steuert über eine komplexe Ereignisver-
Region für sich digitalisiert werden, ohne darauf zu ach-                   arbeitung die Lichtsignalanlagen so, dass der Verkehrsfluss
ten, welcher Nutzen mit den Daten erreicht werden soll.                     für den Feuerwehreinsatz umgeleitet werden kann. Parallel
Stattdessen muss bereits jetzt die Vernetzung mit anderen                   könnten je nach Verkehrsmodi viele betroffene Verkehrs-
Sektoren mitgedacht werden. Denn auch in Institutionen, in                  teilnehmende eine Meldung in ihr Navigationssystem, auf
denen bereits selbstverständlich digital gearbeitet wird und                ihre Radwegeapp oder auf die App des öffentlichen Perso-
analoge Archive erfolgreich digital transformiert wurden,                   nennahverkehrs (ÖPNV) erhalten, inklusive eines Re-Rou-
gibt es oftmals sogenannte Datensilos: Daten werden zwar                    tings-Algorithmus, der den Betroffenen Mobilitätsalterna-
gesammelt, können aber nur abteilungsintern eingesehen                      tiven vorschlägt.
werden – gegebenenfalls aus banalen technischen Gründen
wie fehlenden Administratorrechten. Dabei entwickelt die                    Es könnte des Weiteren über eine künstliche Intelligenz
Informationstechnologie gerade an den Stellen ihre Wirk-                    nachgedacht werden, die in der Lage ist, die Situation zu
samkeit, an denen unterschiedliche Daten kombiniert und                     beurteilen und auch dem städtischen Krankenhaus und
wortwörtlich verrechnet werden.                                             der Polizei eine Gefahrenprognose kommuniziert. Anwen-
                                                                            dungen dieser Art stellen die Datennutzung sinnvoll in den
                                                                            Dienst der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger unserer
                                                                            Kommunen. Gleichzeitig sparen sie Personal und verrin-
                                                                            gern die Gefahr von „Reibungsverlusten“ aufgrund zu vieler
                                                                            Akteure, die ansonsten „per Hand“ nach einem bestimmten
                                                                            Schema benachrichtigt werden müssten.

                                                                            Einbeziehung der Privatwirtschaft
                                                                            Um komplexe Entwicklungen in Form von Szenarien pla-
                                                                            nen, die Auswirkung von Maßnahmen simulieren zu können
                                                                            und damit – durchaus auch über direkte digitale Beteili-
                                                                            gungsmöglichkeiten – mehr Akzeptanz auf Seiten der Bür-
                                                                            gerinnen und Bürger zu erreichen, bietet sich im Bestfall
                                                                            die Schaffung eines digitalen Stadtzwillings an. Der digitale
                                                                            Zwilling erlaubt die Kopplung von virtueller und realer Welt.
Abb. 2: Intelligent vernetzte Verkehrsleitsysteme führen zu besserem Ver-
kehrsfluss (Foto: David Günter – unsplash)                                  Das heißt, er ermöglicht die Überwachung und Wirkungs-
                                                                            analyse von (Echtzeit-)Daten, zum Beispiel das Zusammen-
Vernetzte Daten für nachhaltig smarte                                       spiel von Energieeinspeisung, Stromverbrauch und Mobi-
Kommunen                                                                    litätsdaten bei E-Fahrzeugen im Sinne eines Smart Grids,
                                                                            das zu erheblicher Ressourceneinsparung beim Energie-
Wenn dies geschieht, wenn Daten – im Idealfall Echtzeit-
                                                                            management kommunaler Gebäude führen kann – und an-
daten – aus unterschiedlichen Quellen herangezogen wer-
                                                                            gesichts des Desiderats eines vollständigen Umstiegs auf
den, um Dienste für die Bürgerinnen und Bürger zielge-
                                                                            erneuerbare Energien benötigt werden wird.
nauer anbieten zu können, entwickelt die Kommune sich
smart – nachhaltig smart, wenn sie die internationalen                      Gerade bei diesem Beispiel wird offensichtlich, wie wichtig
Nachhaltigkeitskriterien dabei berücksichtigt. Dazu ein fik-                für eine nachhaltig smarte Stadt nicht nur die Vernetzung
tives Beispiel einer vernetzten Smart-City-Anwendung, die                   von Daten, sondern auch die Verbindung von verschiedenen
Umwelt-, Sicherheits-, und Verkehrsdaten nutzt: Ein intel-                  Akteuren in der Stadt ist. Denn auch wenn die öffentliche
ligentes Gebäudeüberwachungssystem entdeckt eine über-                      Hand über einen großen Anteil von urbanen Daten verfügt,

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Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Kommunikation
                                                                               Ein Plädoyer für die datenbasierte Stadtentwicklung

                                                                               In einer Datenplattform, wie sie das Daten-Kompetenz-
                                                                               zentrum Städte & Regionen GmbH (DKSR) bietet, ist die
                                                                               Anbindung von verschiedensten Datenquellen möglich: Es
                                                                               können privatwirtschaftliche ebenso wie öffentliche Daten
                                                                               verwendet werden. Um die Datensilos verschiedener Sen-
                                                                               sorplattformen und kommunaler Managementsysteme
                                                                               spezifischer Fachdomänen aufzubrechen, bietet die Platt-
                                                                               form eine Connectortechnologie, die heterogene Daten-
                                                                               quellen aus allen kommunalen Sektoren anbinden kann
                                                                               und diese anschließend homogenisiert. Letztendlich bietet
                                                                               die offene urbane Datenplattform von DKSR einen vollstän-
                                                                               dig integrierten Zugang zu urbanen Sensordaten aus den
                                                                               unterschiedlichen städtischen Domänen und kombiniert
                                                                               diese mit den bereits vorhandenen Datenquellen. So kön-
                                                                               nen die vielfältigen Datenquellen einer Stadt vereint werden
Abb. 3: Datenbasiertes Energiemanagement ist der Schlüssel für die Ener-       und als Basis für smarte Anwendungen dienen.
giewende und die Einhaltung der Klimaziele. (Foto: Mika Baumeister – un-
splash)

geben beispielsweise Daten von E-Fahrzeugen, die auch                          Datenschutz und Datensouveränität
privat betrieben werden, Aufschluss darüber, wann diese                        Dass hierbei der Datenschutz auch jedes und jeder Einzel-
bewegt werden – oder wann sie als (Zwischen-)Speicher für                      nen beachtet wird, ist der Anspruch von Datensouveränität.
Strom in einem smarten Netz fungieren können. Gehen wir                        Denn obwohl die Bürgerinnen und Bürger in vielen Fällen
davon aus, dass der Anteil von batteriestarken E-Fahrzeu-                      freiwillig einen großen Anteil ihrer Daten privaten Techno-
gen in den nächsten Jahren stark zunehmen wird, so stellen                     logieunternehmen zur Verfügung stellen, entsteht schnell
diese Daten einen äußerst wichtigen Faktor für das gesam-                      großes Misstrauen, wenn die Daten einem staatlichen Ak-
te Energie- und Mobilitätsmanagement dar. Entsprechend                         teur zur Verfügung gestellt werden sollen. Diesem – mit
müssen die datenliefernden Unternehmen mit in die Um-                          Blick auf den Umgang mit Privatdaten beispielsweise durch
setzung und möglichst auch in die Planung von Smart-Ci-                        den chinesischen Staat durchaus gerechtfertigten – Miss-
ty-Anwendungen aufgenommen werden. Hier bieten sich                            trauen kann und muss über zwei Stränge begegnet werden:
neue Möglichkeiten für öffentlich private Partnerschaften                      ■ Die Verwendung des sogenannten IDS-Dataspace-Kon-
(ÖPP), die für die beteiligten Geschäftspartnerinnen und                           nektors: Dieser garantiert Datensouveränität ganz kon-
Geschäftspartner, aber auch die Gesellschaft insgesamt                             kret, denn hier definiert der oder die Datenbereitstel-
gewinnbringend sind.                                                               lende, wer die Daten nutzt, wofür und wie sie genutzt
                                                                                                                werden, und wer sie sehen
                                                                                                                kann. Dahinter steht die
                                                                                                                International Data Spaces
                                                                                                                Association (IDSA) mit
                                                                                                                ihrer eigens entwickelten
                                                                                                                IDS-Architektur mit der
                                                                                                                Zielsetzung eines sicheren
                                                                                                                Datenraums: Daten können
                                                                                                                damit sicher ausgetauscht
                                                                                                                und für den vereinbarten
                                                                                                                Einsatzzweck beschränkt
                                                                                                                werden.
                                                                                                                         ■ Eine breit angelegte Auf-
                                                                                                                         klärungskampagne       und
                                                                                                                         Transparenz seitens der öf-
                                                                                                                         fentlichen Akteure, sodass
                                                                                                                         klar gezeigt wird, welche
                                                                                                                         Daten wie und wo zum Ein-
                                                                                                                         satz kommen.
Abb. 4: Die offene urbane Datenplattform von DKSR als Basisinfrastruktur einer nachhaltig smarten Stadt (Grafik: DKSR)

                                                                                           vhw FWS 5 / September–Oktober 2021                   229
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Kommunikation
          Ein Plädoyer für die datenbasierte Stadtentwicklung

In Open-Source-Infrastruktur investieren                        nen, ist natürlich der direkte Austausch zwischen den Städten
                                                                und Regionen notwendig. Auch hier unterstützt DKSR durch
Nach schlechten Erfahrungen einiger Städte mit Blick auf
                                                                die zusammen mit der Fraunhofer „Morgenstadt Initiative" be-
Herstellereinschluss – dem sogenannten Vendor Lock-in –
                                                                triebene Urban Data Community: In dieser Gemeinschaft von
und Datenmissbrauch ist das Misstrauen gerade gegenüber
                                                                Städten werden konkrete Anwendungsfälle erarbeitet und in
den Technikkonzernen groß. Um nachhaltig smarte Anwen-
                                                                Einzelkommunen als Pilotprojekt umgesetzt, um sie danach
dungen dieser Art zu erreichen, müssen die Kommunen
                                                                auch anderen Kommunen und kommunalen Unternehmen
vorab grundlegende Aspekte klären:
                                                                entsprechend günstiger zur Verfügung zu stellen. Aufgrund
■ Transparente Datenstrategie: Fundamentale Rahmen-             dieser Synergieeffekte erreichen auch ressourcenschwache
  bedingungen in Form einer Datenstrategie, Data Go-            Kommunen rasche und ressourcenschonende Umsetzungs-
  vernance und eines koordinierten Datenmanagements             möglichkeiten für Smart-City-Anwendungen.
  unter Beachtung von ethischen Grundsätzen, wie Daten-
  sicherheit und Datensouveränität, müssen bereits im
  Vorfeld geklärt und mit den städtischen Akteuren unter
  Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf den Weg gebracht
  werden.
■ Ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse: Der Schritt von Fax-
  geräten zur urbanen Datenplattform, von Telefonketten
  zur nachhaltig vernetzten Stadt ist enorm. Entsprechend
  müssen umfassende Anfangsinvestitionen in die Infra-
  struktur getätigt werden. Doch jede ehrliche Kosten-
  Nutzen-Analyse wird zeigen, dass sich diese Investitio-
  nen lohnen. Dies gilt insbesondere, wenn Aspekte wie
  Interoperabilität und Offenheit berücksichtigt werden,
  die nachfolgende Kosten, zum Beispiel durch Vendor
  Lock-in, vermeiden.
Open-Source-Plattformen, wie die von DKSR angebotene            Abb. 5: Nachhaltig smarte Städte: datenbasiert – menschzentriert (Foto:
                                                                Tommy Krombacher – unsplash)
offene urbane Plattform (OUP), lösen die Frage des Vendor
Lock-ins dadurch, dass die Plattform als Open-Source-Tech-
                                                                Datenbasiert – menschzentriert
nologie zur Verfügung gestellt wird. Diese garantiert Inter-
operabilität für sämtliche Anwendungen. Das bedeutet, dass      Es wäre fahrlässig, zu glauben, die aktuellen Herausforde-
die Städte bzw. Stadtwerke sich jederzeit für neue Unter-       rungen für unsere Kommunen könnten allein durch die Digi-
nehmen entscheiden können, die datenbasierte Lösungen in        talisierung bewältigt werden. Digitalisierung ist kein Selbst-
den vielen Bereichen der Smart City anbieten – und damit die    zweck. Geht sie allerdings einher mit einem sektoren- und
beste und durchaus auch günstigste Lösung finden.               akteursübergreifenden Schulterschluss, mit dem gemeinsa-
                                                                men Willen von Stadtverwaltungen, von öffentlichen Unter-
                                                                nehmen, wie den Stadtwerken sowie von Wohnungsbauge-
Skalierbarkeit und Synergieeffekte                              sellschaften und privaten Unternehmen, und wird sie den
Weitere Kosteneinsparungen gelingen durch die Skalierung        Bürgerinnen und Bürgern partizipativ vermittelt, so liegt in
datenbasierter Lösungen. Während bisher noch einzelne Pi-       der auf Datennutzung basierenden Stadtentwicklung die gro-
lotprojekte von insbesondere großen Städten überwiegen,         ße und vielleicht auch einzige Chance für ein besseres Zu-
die oftmals auf einen Technologiehersteller reduziert sind,     sammenleben. Die technologischen Voraussetzungen sind
muss es nun darum gehen, Städte flächendeckend smart zu         durch Open-Source-Plattformen und Referenzarchitekturen
entwickeln. Eine wachsende Community, die auf die gleiche       wie IDS und Gaia-X vorhanden. Es gilt, diese Chance nun flä-
offene, interoperable Dateninfrastruktur zugreift, ist in der   chendeckend zu nutzen: für eine nachhaltig smarte Entwick-
Lage, Lösungen gemeinsam zu entwickeln und voneinander          lung – datenbasiert, aber menschzentriert.
zu übernehmen. Deshalb nutzt DKSR den von der Nichtre-
gierungsorganisation FIWARE entwickelten Context Broker.                             Dr. Stephanie Niehoff
Der hier geschaffene Datenstandard ermöglicht eine einfa-                            Leiterin Kommunikation, Daten-Kompetenz-
che Übertragung von datenbasierten Anwendungen und Lö-                               zentrum Städte und Regionen DKSR GmbH,
sungsmöglichkeiten von Kommune zu Kommune.                                           Berlin

Damit dieser Standard sowie Lösungen von einer an die andere
Kommune mit geringem Aufwand weitergegeben werden kön-

230       vhw FWS 5 / September–Oktober 2021
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Kommunikation
                                                                Neue Attraktivität für Suburbia und ländliche Räume?

Stefan Siedentop

Das Internet, das Virus und die Stadt:
Neue Attraktivität für Suburbia und
ländliche Räume?
Die Informationsgesellschaft ist eine Stadtgesellschaft. Was wie ein Widerspruch klingt, ist mit der spezifischen
Wirkungsweise der Digitalisierung in Gesellschaft, Ökonomie und Raum zu erklären. Zwar erlauben digitale Werk-
zeuge eine größere Standortungebundenheit und ein flexibleres aktionsräumliches Verhalten, sie substituieren
aber physische Kontakte und Mobilitätsvorgänge nur in begrenztem Maße. Das erklärt, warum es ungeachtet des
Siegeszuges digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu einer anhaltenden Urbanisierung
und weiter steigenden Verkehrsmengen kommt. In der digitalen Ära bewahrt die physische Nähe von Menschen ihre
ökonomische Bedeutung. Allerdings könnte die Coronapandemie und der durch sie ausgelöste Schub in der Nutzung
von IKT in der Arbeits-, Bildungs- und Freizeitwelt durchaus dezentralisierende Effekte entfalten. Ob insbesondere
der Homeofficeboom einer verstärkten Abwanderung aus den Städten Vorschub leistet, bleibt abzuwarten. Während
eine verstärkte Suburbanisierung als wahrscheinlich gelten kann, wird die Renaissance des ländlichen Raums als
Wohnstandort ausbleiben.

Informationsgesellschaft ist                                     senschaften und Medientheorie ist das Schicksal der Stadt
Stadtgesellschaft                                                damit besiegelt. Insbesondere in den 1980er und 1990er
                                                                 Jahren blühten Phantasien über den „Cyberspace“, ein von
Es kling wie ein Widerspruch: Niemals zuvor in der Ge-
                                                                 Computern erschaffenes Paralleluniversum, das sich von
schichte der Menschheit waren die Kosten der Raum-
                                                                 der materiellen und leiblichen Welt des Körpers und der
überwindung und Kommunikation geringer als heute, und
                                                                 Stadt mehr und mehr abkoppeln würde. Erwartet wurde
niemals zuvor haben mehr Menschen in urban geprägten
                                                                 eine weitgehende „Dematerialisierung“ moderner Gesell-
Gebieten gelebt (Rietveld/Vickerman 2004; Graham 2004).
                                                                 schaften (Negroponte 1995), in denen physische Mobilitäts-
Die sogenannte Informationsgesellschaft ist eine Stadtge-
                                                                 erfordernisse mehr und mehr durch digitale Informations-
sellschaft. Das digitale Zeitalter ist eines, das in ökonomi-
scher, sozialer, kultureller und symbolischer Weise in nie       ströme ersetzt werden („placeless space of flows“) (Castells
gekanntem Ausmaß von Metropolen und Großstadtregionen            1991). Die „Stadt der Bits“ würde irgendwann die Oberhand
dominiert wird (Graham 2004).                                    über die „Stadt der Atome“ gewinnen (Kaba 1996). „The
                                                                 world is flat“ (Friedman 2005), von jedem beliebigen Ort
Das zu Beginn des 21. Jahrhunderts erreichte Ausmaß der          der Erde sei alles nur einen „Klick“ entfernt. Kurzum, IKT
räumlichen Konzentration von Menschen und Wirtschafts-
                                                                 – so diese Stimmen – setzen die Restriktionen des Raums
leistung ist wahrhaft verblüffend. So zeichnen die 100 größ-
                                                                 außer Kraft und entwerten damit auch eine Erfindung der
ten Städte der Welt für mehr als 25 % der globalen Wirt-
                                                                 Menschheit, die der Minimierung der „Tyrannei der Distanz“
schaftsleistung verantwortlich. Der Großraum London hat
                                                                 dient: die Stadt.
ein größeres Inlandsprodukt als Länder wie Schweden oder
die Schweiz (World Bank 2009). In Deutschland finden sich        Aber die Träume von Transzendenz, die Visionen von einer
fast 60 % aller Arbeitsplätze in höher verdichteten Regio-       „grenzenlosen“, „aräumlichen“ Welt und dem „Ende der
nen, die nur gut 10 % der Fläche des Landes beanspruchen.        Geografie” erwiesen sich als kurzsichtig oder gar falsch
Warum erscheint das paradox? Weil die Entwicklung im-            (ausführlich dazu Graham 2004). Heute – zwanzig bis drei-
mer leistungsstärkerer digitaler Informations- und Kom-          ßig Jahre später – wird anerkannt, dass die fortschreiten-
munikationstechnologien (IKT) wiederholt Spekulationen           de Urbanisierung und die immer stärkere Durchdringung
über die abnehmende Bedeutung von physischer Nähe und            des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens mit
Zentralität genährt hat. Digitale Werkzeuge befreien Men-        IKT auf das Engste miteinander verbundene Prozesse sind.
schen von der Notwendigkeit, für die Ausübung einer Tä-          Beides, die Urbanisierung und die elektronische Kommuni-
tigkeit an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit         kation, sind konstitutive Elemente der Globalisierung und
zu sein (Mokhtarian 1990). Für nicht wenige Vertreterinnen       Modernisierung, des ökonomischen und kulturellen Wan-
und Vertreter der Futurologie, der Ökonomie, der Sozialwis-      dels (Graham 2004).

                                                                           vhw FWS 5 / September–Oktober 2021            231
Digitalisierung als Treiber der Stadtentwicklung - Schwerpunkt - vhw
Kommunikation
                                      Neue Attraktivität für Suburbia und ländliche Räume?

IKT und Agglomeration – Komplementarität                                                     Jenseits der Frage, wie elektronische Kommunikation die
                                                                                             Standortwahl wissensintensiver Unternehmen beeinflusst,
oder Substitution?
                                                                                             konnte die Mobilitätsforschung zeigen, dass IKT physische
Die Persistenz der ökonomischen und demografischen Ag-                                       Mobilitätsbedürfnisse nicht verringern, sondern zum Teil
glomeration hat mehrere Gründe: Auch in der digitalen Ära                                    sogar verstärken (Banister/Stead 2004; Rietveld/Vickerman
bleibt die persönliche Begegnung von Menschen eine Vor-                                      2004). Das Internet verbessert den Zugang zu Informationen
aussetzung für den effektiven Transfer von nichtkodifizier-                                  über „Möglichkeiten“ und hat auf diese Weise einen verstär-
tem Wissen (Leamer/Storper 2014). Die Erleichterung von                                      kenden Effekt insbesondere im Freizeitverkehr (ebd.). Es
„Face-to-Face“-Interaktion durch räumliche Nähe ist des-                                     erleichtert die Kontaktaufnahme zwischen Individuen, was
halb eine weiterhin bedeutende agglomerative Kraft, para-                                    zugleich mobilitätsverstärkend wirkt. So lässt sich zeigen,
doxerweise gerade in den kommunikationsintensivsten In-                                      dass neben der Alltagsmobilität auch die berufliche Mobilität
dustrien wie der IT-Branche (Glaeser 1998; Castells 1991).                                   („business travel“) in den vergangenen Jahrzehnten trotz im-
Kemeny und Storper (2020) argumentieren in diesem Zu-                                        mer leistungsfähigerer IKT stark zugenommen hat (Gaspar/
sammenhang, dass Prozesse interregionaler Ungleichheit                                       Glaeser 1996). Ironischerweise sind es gerade IKT, die dieses
durch „disruptive Technologieschocks“ angetrieben wer-                                       Mehr an Raumüberwindung innerhalb eines kaum mitwach-
den, wie die Elektrifizierung im 19. Jahrhundert (als soge-                                  senden Verkehrsinfrastruktursystems ermöglichen. Der Zu-
nannte zweite industrielle Revolution) oder die Entwicklung                                  gang zu den Hubs des überregionalen und internationalen
digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien                                       Verkehrssystems, die sich fast ausschließlich in verdichteten
(als dritte industrielle Revolution) in der Gegenwart. In der                                Regionen finden, bleibt daher ein relevanter Standortfaktor.
Phase der Entwicklung und Durchsetzung solcher (Leit-)
                                                                    Auch wird darauf verwiesen, dass Metropolen und Großstadt-
Technologien komme es zu einer besonders starken räum-
                                                                    regionen die Hotspots der digitalen Technologieentwicklung
lichen Konzentration. Erst in der anschließenden Phase der
                                                                    bleiben. Das Internet hat eine eigene Räumlichkeit (Tranos/
technologischen Standardisierung und Diffusion könne eine
                                                                    Nijkamp 2013; Graham 2004) – seine Nutzung vermittelt
Dekonzentration erwartet werden, da peripherere Räume
                                                                    relationale Nähe, aber der Zugang zum Netz zeigt starke
durch Kostenvorteile (geringere Lohnniveaus und Boden-
                                                                    Disparitäten im physischen Raum. Neue IKT-Angebote (wie
kosten) an Konkurrenzfähigkeit gewinnen (Abb. 1).
                                                                    derzeit die 5G-Technologie) finden sich zunächst in Zentren,
Die enorme Geschwindigkeit, Komplexität und Risikohaftig- von wo aus sie räumlich diffundieren. Das bedeutet aber,
keit der informationsbasierten Innovationsproduktion scheint dass urbane Zentren immanente Ausstattungs- und Kos-
somit zunächst eine Konzentration in Städten zu erfordern – tenvorteile in der Nutzung der jeweils neuesten Generation
Städte, die über die soziale Dichte, die innovativen Milieus, von „Premium“-IKT-Services genießen, was in der digitalen
die Konsumwelten und kulturellen Angebote verfügen, die Ära nichts anderes als einen dauerhaften Wettbewerbsvor-
wissensintensive Unternehmen und Wissensarbeiterinnen teil beinhaltet. Der ungleiche Zugang zum Breitbandnetz in
und -arbeiter anziehend finden. Face-to-Face und virtuelle Deutschland veranschaulicht dies. Die Breitbandversorgung
Kommunikation stehen daher eher in einem komplementä- mit Leistungsstärkten von > 100 Mbit/s lag 2019 in städti-
ren als einem substitutiven Verhältnis zueinander (Craig et schen Räumen bei fast 93 %, in ländlichen Räumen dagegen
al. 2016; Gaspar/Glaeser 1996; Glaeser 1998).                       nur bei knapp 50 %. Mit einem Standard von >1.000 Mbit/s
                                                                                          sind etwa 48 % der städtischen Be-
                                                                                          völkerung versorgt, aber nur 10 % der
                      zweite industrielle Revolution     dritte industrielle Revolution
                                                                                          in ländlichen Räumen lebenden Men-
                                                                                          schen (Heinrich-Böll-Stiftung 2020).
 interregionale Ungleichheit

                                                                                                                   Dezentralisierende Effekte
                                                                                                                   der Digitalisierung
                                                                                                                  All das bedeutet jedoch nicht, IKT
                                                                                                                  dezentralisierende Wirkungen ab-
                                                                                                                  zusprechen, im Gegenteil: Die heute
                                                                                                                  in der Wirtschaftswelt praktizierten
                                                                                                                  Formen vertikaler und horizontaler
                               1860                     1940                   1980                  heute        Arbeitsteilung und die damit einher-
                                                                                                                  gehenden Netzwerkstrukturen (was
Abb. 1:  Technologische Innovationszyklen und interregionale Ungleichheit (Kemeny/Storper 2020,
                                                                                                                  mit einer globalmaßstäblichen Re-
Übersetzung des Autors)                                                                                           organisation der Arbeit und Waren-

232                                   vhw FWS 5 / September–Oktober 2021
Kommunikation
                                                               Neue Attraktivität für Suburbia und ländliche Räume?

logistik verbunden ist) wären ohne digitale Kommunikation       finanziellen und psychosozialen Belastungen durch das
nicht vorstellbar (Leamer/Storper 2014; Castells 1990). IKT     Entfallen täglich zurückzulegender Pendelwege könnte de-
erlauben Metropolen und den hier ansässigen multinatio-         zentrale Standorte attraktiver machen. Erwartet wird ferner,
nalen Konzernen eine weitreichende Kontrolle der globalen       dass die Wohnerfahrungen während der Pandemie zu einer
Märkte (Sassen 1996). Die Auslagerung von bestimmten            höheren Nachfrage nach größeren und besser ausgestatte-
Routinetätigkeiten eines Unternehmens in suburbane und          ten Wohnungen führen, die in verdichteten Stadtlagen aber
ländliche Räume oder gar an Standorte in Übersee wird von       kaum finanzierbar sind. Beides zusammen – verringerte
einer Konzentration des höheren Managements in Metropo-         Pendelbelastungen und veränderte Wohnpräferenzen – lässt
len begleitet. Dezentralisierung und Zentralisierung gehen      eine Aufwertung dezentraler Standorte nicht unplausibel
in globalen ökonomischen Restrukturierungsprozessen             erscheinen (Dolls/Mehles 2021; Moser et al. 2021). Immo-
Hand in Hand (Castells 1991).                                   bilienmarktexperten erwarten zudem weitere Attraktivitäts-
                                                                gewinne von Wohnungen als Kapitalanlage, wenn sich große
Im metropolitanen Maßstab war die seit den 1970er Jahren        Immobilienmarktakteure von städtischen Einzelhandels- und
beobachtbare Suburbanisierung der Arbeit – angetrieben          Gewerbeimmobilien abwenden und in ihren Investitionsstra-
durch kostendämpfende Standortverlagerungen aus zen-            tegien noch stärker auf den Wohnungsmarkt fokussieren.
tralen Stadtlagen in die suburbane Peripherie – an die Ver-     Hier überlagern sich Coronaeffekte mit Trendentwicklungen,
fügbarkeit von IKT gebunden. Auch lässt sich feststellen,       die bereits vor der Pandemie beobachtbar waren (Abb. 2).
dass – wie oben erwähnt – die Verkehrsströme heutiger po-       Zu nennen sind insbesondere die Überhitzung der großstäd-
lyzentrischer Metropolregionen, die kaum noch etwas mit         tischen Immobilienmärkte als Folge einer knapp 20 Jahre
dem althergebrachten Verständnis von „Stadt“ zu tun ha-         anhaltenden Reurbanisierung sowie die strukturellen Leer-
ben, ohne digitale Technologien nicht beherrschbar wären.       stände in großstädtischen Büroimmobilienmärkten wie in
IKT erlauben Haushalten, dezentralere Standorte zu wäh-         Frankfurt am Main.
len, ohne dabei Erreichbarkeitsnachteile in Kauf zu nehmen
(Banister/Stead 2004).                                          Erste Indizien für eine Einbremsung der Reurbanisierung
                                                                lassen sich ausmachen. So haben Dolls und Mehles (2021)
Das Internet ist somit sowohl Ergänzung als auch Substitut      eine im Vergleich zu suburbanen oder ländlichen Regionen
für die Konzentration von Menschen, Wissen und Kapital. Die     signifikant höhere Umzugsbereitschaft in Großstädten fest-
räumlichen Wirkungen einer IKT-vermittelten Dezentrali-         gestellt und führen dies teilweise auf die Coronapandemie
sierung erscheinen aber begrenzt. Es profitieren suburba-       zurück. Rink et al. (2021) konnten aufzeigen, dass die Bevöl-
ne Standorte mit guter Erreichbarkeit der urbanen Zentren.      kerungsentwicklung in den 15 größten deutschen Städten
Vorstellungen einer weitergehenden Einebnung von Zentra-        im vergangenen Jahr mehrheitlich negativ ausfiel. Ursäch-
litätsgefällen bleiben bislang ohne empirische Evidenz. Die     lich dafür ist vor allem die stark verringerte internationale
Relevanz neuerer Konzepte wie „digitale Dörfer“ (Berg et al.    Zuwanderung, an der die Großstädte sonst in besonderem
2020) oder „urbane Dörfer“ (Berlin-Institut/Neuland21 2019),    Maße partizipieren. Aber auch rückläufige Zuzugszahlen
in denen der Zugang zum Netz eine tragende Rolle einnimmt,      bei Auszubildenden, Studierenden und Berufseinsteigerin-
lässt sich an dieser Stelle noch nicht seriös einschätzen.      nen und -einsteigern könnten diesen Trend erklären. Noch
                                                                ist aber vollkommen unklar, ob es sich dabei nur um eine
                                                                kurzfristige Trendanomalie oder längerfristig wirksame
Auswirkungen der Coronapandemie
                                                                Entwicklungen handelt. Durchaus denkbar sind verstärkte
Mit dem Einsetzen der Coronapandemie hat die Diskussion         Zuwanderungen aus Süd- und Osteuropa in den kommen-
über das Ausmaß von dezentralisierenden Effekten der Di-        den Jahren, wenn die wirtschaftliche Erholung dort lang-
gitalisierung neuen Schub erfahren. Im Mittelpunkt steht        samer verläuft als in Deutschland.
dabei die erzwungene Ausweitung des „Homeoffice“ (im
Englischen als „remote working“, „teleworking“ oder „tele-      Zugleich existieren weitere Bremseffekte in Bezug auf eine
commuting“ bezeichnet). Die in den vergangenen Monaten          coronabedingte Dezentralisierung. So sind die Homeoffice-
gemachten überwiegend positiven Erfahrungen von Er-             potenziale begrenzt (Irlacher/Koch 2021). Selbst in einer
                                                                stark dienstleistungsgeprägten Ökonomie wie Deutschland
werbstätigen und Unternehmen werden – so eine verbrei-
                                                                wird lediglich ein Drittel der Arbeitsplätze als homeoffice-
tete Position – eine dauerhafte Expansion des Arbeitens zu
                                                                tauglich angesehen (OECD 2020). Höhere Kraftstoffkosten
Hause und an dritten Orten nach sich ziehen. Dies wieder-
                                                                in der Klimaschutzpolitik kompensieren die finanziellen
um könnte Veränderungen des Wohnstandort- und Pendel-
                                                                Entlastungen der Pendler zumindest partiell. Auch dürfte
verhaltens der Erwerbstätigen zur Folge haben.
                                                                es unstrittig sein, dass agglomerationsfördernde Fakto-
Schon vor Corona konnten Studien zeigen, dass die Ermög-        ren in der postpandemischen Welt wirksam sein werden.
lichung von Homeoffice zu weniger, aber längeren Pendel-        Ein breit gefächertes Konsum- und Kulturangebot, die Er-
wegen führt (Banister/Stead 2004). Die Verringerung der         fahrung kultureller Diversität und ein differenzierter Woh-

                                                                          vhw FWS 5 / September–Oktober 2021             233
Kommunikation
           Neue Attraktivität für Suburbia und ländliche Räume?

                                                                                 kommunale
                                                                            Flächenangebotspolitik

                 Veränderung von
                 Wohnpräferenzen
               (Fläche, Ausstattung)
                                                           Veränderung von                      Standortentscheidungen
                                                       Wohnstandortpräferenzen                  zugunsten suburbaner
                                                     („größer“, „ruhiger“, „grüner“)             und ländlicher Gebiete
                  Zuwachs des
                 mobilen Arbeitens

                                                                        Überhitzung der großstädtischen
                                                                               Immobilienmärkte

                             coronabeeinflusst

                                                                        relativer Attraktivitätsgewinn von
                                                                         Wohnungen als Kapitalanlage

Abb. 2:   Hypothetische Wirkungszusammenhänge auf den Wohnungsmärkten

nungsmarkt machen große Städte weiterhin anziehend,                 der soziale Praktiken abrupt und fundamental verändert
insbesondere für hochgebildete Arbeitskräfte und jüngere            (Graham 2004). Ihre Wirksamkeit ist eher als evolutionär
Menschen. Ein signifikanter Wanderungstrend zugunsten               denn als revolutionär zu bezeichnen: Neue Informations-
ländlicher Räume ist daher eher unwahrscheinlich. Das fin-          und Kommunikationstechnologien überlagern sich in sub-
det Bestätigung in den Daten von Dolls und Mehles (2021),           tiler Weise mit bereits etablierten Technologien, ohne diese
die im Rahmen ihrer Bevölkerungsbefragung kleinere Groß-            notwendigerweise unmittelbar abzulösen. Sie wirken tief
städte sowie suburbane Räume, weniger dagegen den länd-             verwoben mit verfestigten sozialen und kulturellen Prakti-
lichen Raum, als präferierte Zielgebiete der umzugswilli-           ken (Banister/Stead 2004). Das bedeutet, dass technologi-
gen Großstadtbevölkerung ausgemacht haben. Plausibel                sche Wirkungen im Raum möglicherweise erst zeitversetzt
erscheint somit eine verstärkte, räumlich weiter ausgrei-           eintreten. Für die vergleichsweise träge bauliche Physis
fende Suburbanisierung. Auch könnten mittlere Großstädte            und ihre infrastrukturellen Pfadabhängigkeiten gilt dies in
und Regiopolen von Zuzügen aus den Metropolen profitie-             besonderem Maße. Einige Autoren verweisen in diesem Zu-
ren. All dies bedarf einer raumordnungs- und stadtentwick-          sammenhang auch auf einen anhaltenden technologischen
lungspolitischen Flankierung, um eine ungesteuerte, mit             Entwicklungs- und Reifungsprozess und warnen vor voreili-
massiven Folgekosten verbundene Siedlungsentwicklung                gen Schlussfolgerungen. Das volle Dezentralisierungspo-
zu vermeiden, wie sie zuletzt in den 1990er Jahren zu be-           tenzial des Internets könnte möglicherweise erst in einigen
obachten war.                                                       Jahrzehnten wirksam werden (ebd.).

                                                                    Mit dem heutigen Kenntnisstand lässt sich schlussfolgern,
Fazit und Ausblick                                                  dass es auf den Maßstab ankommt: Während auf einer
Die dezentralisierenden Effekte der Digitalisierung sind            überregionalen Ebene eher von anhaltenden Konzentra-
seit Langem Gegenstand einer kontroversen wissenschaft-             tionsprozessen zugunsten urban geprägter Regionen aus-
lichen Debatte. Die Komplexität dieser Fragestellung ist            zugehen ist, könnten IKT auf der regionalen Ebene den
enorm, denn räumliche Wirkungen des Internets sind nicht            Trend zur Dezentralisierung und Dispersion verstärken.
direkt beobachtbar und treten nicht unabhängig von ande-            Polyzentrische Metropolregionen und megaurbane Kor-
ren potenziell raumwirksamen Faktoren auf (Audirac 2005).           ridore, die das Ergebnis neuerer Urbanisierungsprozesse
IKT treffen nicht „von außen“ auf die Gesellschaft; sie wir-        des Planeten und durch äußerst komplexe funktionale Ver-
ken nicht in einem deterministischen Sinne als „Schock“,            flechtungen geprägt sind, wären ohne leistungsfähige IKT

234        vhw FWS 5 / September–Oktober 2021
Kommunikation
                                                                                     Neue Attraktivität für Suburbia und ländliche Räume?

und insbesondere das Internet nicht vorstellbar. Ob die Co-                           Glaeser, E. L. (1998): Are Cities Dying? Journal of Economic Perspectives, 12(2),
                                                                                      S. 139–160.
ronapandemie diesbezüglich katalytisch wirkt, bleibt abzu-
                                                                                      Graham, S. (2004): Introduction: From Dreams of Transcendence to the Re-
warten. Die Raumordnungs- und Stadtentwicklungspolitik                                mediation of Urban Life. In S. Graham (Ed.): The Cybercities Reader, S. 1–29.
sollte auf eine solche Entwicklung in jedem Fall strategisch                          New York: Routledge.
vorbereitet sein.                                                                     Heinrich-Böll-Stiftung. (2020): Infrastrukturatlas 2020. Daten und Fakten über
                                                                                      öffentliche Räume und Netze. Berlin.
                                                                                      Irlacher, M./Koch, M. (2021): Working From Home, Wages, and Regional In-
                        Prof. Dr. Stefan Siedentop                                    equality in the Light of COVID-19. Journal of Economics and Statistics, 241(3),
                        Wissenschaftlicher Direktor des ILS – Institut                S. 373–404.
                        für Landes- und Stadtentwicklungsforschung,                   Kaba, S. (1996): Building the Future: An Architectural Manifesto for the Next
                        Dortmund; Professor an der TU Dortmund,                       Millennium. Web Architecture Magazine, April 1996.
                        Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Stadtent-                    Kemeny, T./Storper, M. (2020): Superstar Cities and Left-behind Places: Dis-
                        wicklung                                                      ruptive Innovation, Labor Demand, and Interregional Inequality. Working Paper
                                                                                      41. London: London School of Economics and Political Science.
                                                                                      Leamer, E.E./Storper, M. (2014): The Economic Geography of the Internet Age.
Quellen:                                                                              In: Cantwell, J. (Hrsg.): Location of International Business Activities, S. 63–93.
Audirac, I. (2005): Information Technology and Urban Form: Challenges to Smart        Heidelberg: Springer.
Growth. International Regional Science Review, 28(2), S. 119–145.
                                                                                      Mokhtarian, P. L. (1990): A Typology of Relationships Between Telecommunica-
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                                 Michael Sachs
                                 Stellvertretender Verbandsratsvorsitzender des vhw

                          Am 26. Juli 2021 ist unser stellver-                        tischer Anstrengungen sah – mit dem wesentlichen Ziel,
                          tretender Verbandsratsvorsitzender                          bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Er unterstützte die
                          Michael Sachs im Alter von 73 Jah-                          Gründung der vhw Stiftung und war Mitglied im Stiftungs-
     ren gestorben. Schon in seiner Zeit als Vorstand der städ-                       kuratorium. Sein wertvoller Rat, seine tatkräftige Hilfe
     tischen Wohnungsgesellschaft SAGA/GWG in Hamburg                                 sowie seine unkomplizierte und zupackende Art werden
     war er dem vhw durch Vortragsaktivitäten verbunden.                              wir sehr vermissen. Wir verlieren mit ihm nicht nur einen
     Auch als Wohnungsbaukoordinator der Hansestadt und                               wichtigen Wegbegleiter mit einer klaren und sozialen
     später als Staatsrat der Behörde für Stadtentwicklung                            Haltung, sondern einen wertvollen Menschen.
     und Umwelt brachte er aktiv seine Erfahrungen in die
                                                                                      vhw – Bundesverband für Wohnen
     Verbandsarbeit des vhw ein. 2009 wurde Michael Sachs
                                                                                      und Stadtentwicklung e. V.
     Mitglied des vhw-Kuratoriums und ab 2012 in den Ver-
     bandsrat gewählt, dessen stellvertretender Vorsitzender                          Dr. Peter Kurz 			                             Prof. Dr. Jürgen Aring
     er in der Folge wurde. Sein Schwerpunkt war die Woh-                             Verbandsratsvorsitzender                       Vorstand
     nungspolitik, die er als zentralen Teil gesellschaftspoli-

                                                                                                   vhw FWS 5 / September–Oktober 2021                             235
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