Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
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Inhalt 05 Executive Summary 06 Digitalisierung – mehr als Technologisierung 10 Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen 10 Gütermarkt 14 Arbeitsmarkt 18 Digitalisierung und ihre Bedeutung für Unternehmen 19 Das bringt die Digitalisierung dem Unternehmen 22 Herausforderungen und Veränderungen im Unternehmen 22 Handlungsfeld: Digitale Strategie 23 Handlungsfeld: Kultur & Mitarbeiter 30 Handlungsfeld: Technologie & Produktion 35 Handlungsfeld: Kunden & Services 42 Digitalisierung – Technologien und neue branchenspezifische Geschäftsmodelle 43 Bedeutung digitaler Technologien in verschiedenen Branchen 44 Automatisierung und Robotik 46 Big Data und Analytics 50 Künstliche Intelligenz 53 Internet der Dinge, Sensoren und Vernetzung 58 Blockchain 60 Cloud und „… as a Service“ 62 Plattformen 64 Augmented und Virtual Reality (AR/VR) 68 3D-Druck / Additive Fertigung 70 Fazit: Formen der Veränderung 72 Digitalisierung – Unterstützung durch den Bund 75 Digitalisierung – Unterstützung durch die Commerzbank 75 strategie:dialog 75 #openspace 76 Das Leasingportal der Commerz Real 77 Finanzierung / Fördermittel 78 Neuer Digitaler Mittelstand 78 main incubator - Wir fördern das Banking der Zukunft!
Unternehmen sind zuversichtlich Bewertung der Digitalisierung als Chance oder Risiko; Anteil der befragten Unternehmen Wofür werden digitale Technologien genutzt? Mehrfachnennungen möglich; Anteil der befragten Unternehmen Vernetzung der Wertschöpfungskette 33 % Administrative Optimierung 32 % Neue Produktionsformen 88% 9% 3% 27 % als als ohne Chance Risiko Effekt Neue Geschäftsmodelle 19 % Weitere Effizienzpotenziale 17 % Hürden für die digitale Transformation 841 Mehrfachnennungen möglich; Anteil der befragten Unternehmen Komplexität und Geschwindigkeit der technischen Entwicklung 52 % Mio. ¤ in 2020 Hoher Investitionsbedarf 50 % 241 Mio.¤ in 2016 Sicherheitsrisiken und Probleme beim Datenschutz 49 % Fehlende technische Standards 42 % Unsichere Erfolgsaussichten und hohe Flop-Rate 35 % B2B-Umsätze mit Sinkende Produktivität in der Umstellungsphase 28 % Virtual, Augmented und Mixed Reality Unklare Zuständigkeiten zwischen den Abteilungen 22 % in Deutschland Zu wenig Geschäftsverständnis bei den IT-Spezialisten 21 % Prognose in Mio. € Finanzierungsschwierigkeiten 15 % Investitionen in die digitale Transformation Anteil am Umsatz gewerblicher Unternehmen; Anteil der befragten Unternehmen 10% 30% keine Angabe 7% 0 Prozent Fakten zur > 10 Prozent digitalen 11% 42% 1 bis 5 Prozent Transformation 6 bis 10 Prozent 414.000 370.000 Immer mehr Roboter im Einsatz 290.000 330.000 Zahl der jährlich weltweit installierten Industrieroboter 254.000 221.000 166.000 159.000 178.000 120.000 112.000 114.000 113.000 121.000 60.000 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016* 2017* 2018* 2019* * Prognose Quellen: Bitkom, Commerzbank, International Federation of Robotics, Deloitte, Fraunhofer FIT, Accenture, Frontier Economics, Kantar TNS, ZEW
Executive Summary Die Digitalisierung ist eines der Megathemen nur noch an der Möglichkeit zur Nutzung bzw. unserer Zeit. Durch sie wandeln sich Wirtschaft, an der Funktion interessiert. Entscheidend da- Gesellschaft, Umwelt und unser Alltagsleben für ist, was ihnen den größeren Nutzen bringt. auf vielfältige Weise. Eine wichtige Grundla- Falls es die Funktion ist, möchten die Kunden ge der Digitalisierung ist der technische Fort- nur dafür zahlen, sodass sie diese „…as a Ser- schritt, der zahlreiche neue technologische vice“ kaufen bzw. mieten. Die digitalen Tech- Anwendungen ermöglicht. Allerdings ist Digita- nologien ermöglichen den Unternehmen auch, lisierung viel mehr als eine reine „Technologisie- ihre Tätigkeiten entlang der Wertschöpfungs- rung“ des Unternehmens, also ein reiner Einsatz kette auszuweiten oder ganz neue Bereiche der neuen Technologien. Die Potenziale der di- abzudecken. Insofern ist es förderlich, wenn die gitalen Transformation sind verbunden mit der Unternehmen bei der Einschätzung, inwieweit Einbindung der Technologien in neue Produkte sie vom digitalen Wandel betroffen sind, nicht und Geschäftsmodelle. Dementsprechend ist nur ihre direkten Geschäftsbereiche betrachten, Digitalisierung mehr als ein IT- bzw. Technolo- sondern auch stärker über den eigenen Teller- gie-Thema, sondern sie beschreibt die ökono- rand schauen. mische Umsetzung der digitalen Technologien. Im Zuge dessen ergeben sich für die Unterneh- Die Unternehmen können durch den Einsatz di- men neben technischen auch soziale und orga- gitaler Technologien ihre Prozesse optimieren nisatorische Herausforderungen. Damit sich die und die Produktivität steigern. Neue Produkte Unternehmen diesen Herausforderungen stellen eröffnen zudem neue Absatzchancen. Im Zuge können, müssen sie die Bedeutung der Digita- der digitalen Transformation wird eine Indivi- lisierung für ihr Geschäftsmodell erkennen. Die dualisierung rentabel, die sich auf Produkte, Digitalisierung bringt viele Veränderungen mit Dienstleistungen oder Preise beziehen kann. sich, die nur dann erfolgreich gemeistert wer- Falls die Unternehmen die Chancen der digita- den, wenn die Unternehmen offen sind für die len Transformation nicht nutzen, besteht die Ge- Neuerungen. Auch wenn die Unternehmen der fahr, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit verlieren digitalen Transformation nicht aus dem Weg und ihre Marktposition einbüßen. Insbesondere gehen können, ist sie kein Schicksal, dem sie Nischenplayer werden verschwinden, da deren sich einfach ergeben müssen. Die Digitalisie- Marktbereiche durch die großen Unternehmen rung ist gestaltbar, wenn die Unternehmen sie mittels der genannten Möglichkeiten eigenstän- aktiv angehen. Wichtig ist, dass die Unterneh- dig besetzt werden. men mit der digitalen Transformation starten und die Schritte konsequent fortsetzen. Die konkrete Ausgestaltung der digitalen Trans- formation und die potenziellen Einsatzmöglich- Die digitale Transformation umfasst neben Pro- keiten digitaler Technologien sind von Branche zessinnovationen auch Produktinnovationen zu Branche verschieden. Beispielsweise eröff- und insbesondere Geschäftsmodellinnovati- nen sich einem Unternehmen der Versiche- onen. Die Ebene des Geschäftsmodells steht rungswirtschaft ganz andere Möglichkeiten als dabei im Zentrum der digitalen Transformation. einem Handelsunternehmen. Ein Patentrezept Hier stehen die Unternehmen vor der Heraus- gibt es daher weder für alle Branchen noch für forderung, ihre Geschäftsmodelle an das digita- alle Unternehmen in einer Branche, da sie sich in le Zeitalter anzupassen, sie weiterzuentwickeln ihren konkreten Prozessen, Produkten und Ge- oder sogar ganz neu zu denken. schäftsmodellen unterscheiden. Die künftigen Geschäftsmodelle sind im größe- Die digitale Transformation der Unternehmen rem Umfang datenbasiert und die veränderten unterstützen diverse Angebote und Program- Bedürfnisse der Kunden rücken stärker in den me von Bund, Ländern und Kommunen sowie Fokus. In manchen Branchen verliert das ei- von Verbänden und Kammern. Und auch die gentliche Produkt gegenüber seiner Funktion Commerzbank bietet mit vielfältigen Angebo- an Bedeutung. Die Kunden erwerben nicht mehr ten eine Unterstützung bei der digitalen Trans- das Eigentum an dem Produkt. Sie sind zum Teil formation. Executive Summary 5
Digitalisierung – mehr als Technologisierung Die Digitalisierung ist eines der Megathemen dazu geführt, dass das Thema aktuell Wirt- unserer Zeit. Digitale Technologien haben sich schaft, Politik und Gesellschaft so sehr bewegt: längst im privaten und geschäftlichen Alltag IT und Software (gestiegene Leistungsfähigkeit etabliert. Sie haben Wirtschaft, Gesellschaft, der Prozessoren, Cloud-Technologie, künstliche Umwelt und das Alltagsleben auf vielfältige Intelligenz), Robotik und Sensoren (geringere Weise verändert und werden es weiter tun. Die Größe, neue Anwendungsmöglichkeiten) sowie Digitalisierung berührt dabei jeden. Das Smart- Vernetzung (Cyber-physische Systeme). Zu- phone in der Tasche hat heutzutage eine Leis- gleich sinken die Preise der digitalen Produkte tungsfähigkeit, die die Performance von gro- und Bauteile. ßen Computeranlagen von vor zehn Jahren bei Weitem übersteigt. Mit dieser Technik wird die Für die Unternehmen ist die Digitalisierung heutige Jugend groß. Sie nutzen von Anfang eine große Herausforderung, da es sich dabei an die digitalen Möglichkeiten und können sich um einen Wandel handelt, dem sie nicht entge- als „Digital Natives“ ein analoges Leben, wie hen können und der nicht mehr ausschließlich es ihre Eltern noch hatten, nicht mehr vorstel- in den angestammten Geschäftsbereichen und len. Ferner wird das soziale Leben durch neue Technologien stattfindet. Falls sie nicht von sich Kommunikationsformen bestimmt. Internet und aus aktiv werden, wird das Thema „Digitalisie- Mobilfunk haben auch die Berufswelt revoluti- rung“ spätestens durch die Kunden, Lieferan- oniert. Die immer leistungsfähigeren Computer ten und Partner an die Unternehmen herange- ersetzen an vielen Stellen menschliche Arbeit. tragen. Allerdings ist die Digitalisierung nicht Der Großteil der Mikroprozessoren befindet sich zwangsläufig ein Schicksal, dem sich die Unter- nicht mehr in Computern, sondern in intelligen- nehmen passiv ergeben müssen. Der Wandel ist ten Produkten und Produktionsanlagen. Alpha- gestaltbar, wenn die Unternehmen die Digitali- bet (Google) oder Facebook setzen Geschäfts- sierung frühzeitig und aktiv angehen. Dazu ge- modelle um, die noch vor wenigen Jahren nicht hört am Anfang jeweils die Erkenntnis bzw. das denkbar waren, und sind binnen kurzer Zeit zu Bewusstsein, dass es sich bei der Digitalisierung den wertvollsten Unternehmen der Welt auf- um ein sehr existenzielles Thema für das Unter- gerückt. In jüngster Zeit sind auch modernste nehmen handelt; auch oder gerade in einer Si- Technologien wie künstliche Intelligenz oder tuation, in der es aktuell für das Unternehmen vernetzte und kommunizierende Geräte und gut läuft. Maschinen im Alltag zu finden. Wesentliche Aspekte der Digitalisierung sind Das digitale Zeitalter ist des Weiteren geprägt dabei nicht technologischer Natur. Sie setzen durch die ungeheure Vielfalt an Daten. Nie zu- vielmehr an der Strategie, der Organisation, vor konnten so viele Daten über die Nutzung dem Projektmanagement und der Kultur der und den Zustand von Produkten sowie das Unternehmen an. Mitunter stellen diese Verän- menschliche Verhalten erfasst werden. Die Men- derungen das bisher erfolgreiche Handeln in schen hinterlassen Spuren, wenn sie sich in der Frage. Der digitale Wandel gelingt nur, wenn digitalen Welt „bewegen“. Dadurch werden sie das Management und die Mitarbeiter offen sind potenziell sehr „gläsern“, da ihre Bedürfnisse, für diese Neuerungen und nicht an den etab- ihre Gesundheit sowie ihre Verhaltensweisen lierten Strukturen festhalten. Wichtig für eine von außen erfasst werden können. erfolgreiche Digitalisierung ist daher ein „Mind- change“, ein kultureller Wandel. Die digitale Transformation ist kein neues Phä- nomen, sondern basiert auf einer technologi- Die neue Art der Projektbearbeitung zeichnet schen Entwicklung, die schon in den letzten sich dadurch aus, dass vermehrt agile Konzep- 25 Jahren massiv vorangeschritten ist. Zuletzt te wie Scrum zum Einsatz kommen statt des hat sich die Geschwindigkeit des Wandels aller- klassischen „Wasserfallmodells“ (siehe auch dings beschleunigt (exponentielles Wachstum). Abschnitt Handlungsfeld: Kultur & Mitarbeiter). In dem Gerade die Fortschritte in drei Bereichen haben klassischen Ansatz zur Projektbearbeitung wird 6 Digitalisierung – mehr als Technologisierung
im Vorfeld eines Projekts in einem Plan alles Neben diesen Aspekten umfasst die Digitali- fest definiert (u.a. Ziel, einzelne Schritte). Die- sierung auch digitale Technologien. Dabei darf ser Plan wird in der Bearbeitungsphase strikt die Digitalisierung eines Unternehmens nicht verfolgt, dementsprechend ist eine langfristige mit Automatisierung gleichgesetzt werden, bei Planbarkeit gegeben. Dem liegt allerdings die der Prozesse im Unternehmen kapitalintensiver Annahme zu Grunde, dass alle Anforderungen ablaufen. Digitalisierung ist auch mehr als eine an das jeweilige Projekt von vornherein bekannt Übersetzung analoger Tätigkeiten und Prozesse sind und sich während des Projekts nicht bzw. in eine von Maschinen lesbare Sprache, um diese kaum ändern. Gibt es dennoch Veränderungen Daten jederzeit und überall nutzbar zu machen bei den Rahmenbedingungen, so kann bei der und Tätigkeiten von miteinander kommunizieren- Projektbearbeitung nicht darauf reagiert wer- den Computern und Robotern ausführen zu las- den. Zudem wird ein Feedback der Endnutzer sen. Bei dieser Definition liegt der Fokus auf einer erst nach Abschluss des Projekts eingeholt. „Technologisierung“ des Unternehmens. Einzelne Problemstellungen in den Unternehmensberei- Im Gegensatz dazu sind bei agilen Methoden chen werden mit individuellen digitalen Techno- wie Scrum die Prozesse schlanker und flexib- logien gelöst. ler. Statt langer Phasen der Projektbearbeitung wird das Projekt in viele kleine Schritte bzw. Ite- Die Digitalisierung eines Unternehmens muss da- rationen unterteilt, die jeweils innerhalb weniger bei stets in einem größeren Kontext betrachtet Tage abgearbeitet werden. Nach jedem Schritt werden. Sie ist mehr als der reine Einsatz digitaler werden die Teilergebnisse dahingehend über- Technologien in einzelnen Bereichen und mehr prüft, ob sie den Zielanforderungen genügen. als ein reines IT-Thema. Ein alleiniger Einsatz digi- Dazu werden die Teilergebnisse gegebenenfalls taler Technologien liefert unter Umständen noch auch immer wieder getestet, z. B. eine Marke- keinen wesentlichen Wertzuwachs. Dafür müssen tingkampagne bei den Kunden, und das Feed- die digitalen Technologien in das Unternehmen back im nächsten Projektschritt eingearbeitet. „eingebunden“ werden. Das kann eine Anpassung Des Weiteren wird das eigentliche Ziel nicht im der Prozesse umfassen oder eine andere Organi- Vorfeld fest definiert, sondern es wird allenfalls sation des Unternehmens. Die weitreichendste ein Bereich vorgegeben. Im Laufe des Prozes- Veränderung betrifft das Geschäftsmodell. Auf ses können dabei Veränderungen bei den Rah- Basis digitaler Technologien haben die Unterneh- menbedingungen immer wieder berücksichtigt men die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell neu zu werden. Falls das anvisierte Zwischenziel nicht denken und an die neuen Kundenbedürfnisse an- erreicht wird, kann durch einen schnellen Ab- zupassen. Hier können die Unternehmen jeweils bruch („fail fast“) die Verschwendung weiterer das größte Potenzial vorfinden. Insofern steht das Ressourcen vermieden werden. Die gewonne- Geschäftsmodell im Zentrum der digitalen Trans- nen Erkenntnisse können aber bei einem neuen formation. Digitalisierung bedeutet insofern die Projekt hilfreich sein. Dabei werden die Projek- ökonomische Umsetzung der digitalen Techno- te von Teams aus Mitarbeitern verschiedener logien. Der Transformationsprozess basiert dabei Disziplinen bearbeitet, wobei die Teams jeweils auf einem ganzheitlichen Ansatz, frei von „Den- individuell für das jeweilige Projekt und dessen ken in Silos“, und umfasst das gesamte Unter- Anforderungen zusammengestellt werden. nehmen mit allen Bereichen. Die Grundlage dafür muss eine Digitalisierungsstrategie sein. Die wichtigsten Technologie- und Markttrends 2017 aus Sicht der IKT-Branche in Deutschland Mehrfachnennungen möglich; Anteil der befragten Unternehmen 67% 60% 55% 50% 41% 32% 31% 28% 21% 21% IT-Sicherheit Cloud Internet of Industrie 4.0 Big Data Digitale Mobile Enterprise Künstliche Digital Health Computing Things Plattformen Computing Content Intelligenz Management Quelle: Bitkom-Branchenbarometer 1. Halbjahr 2017 Digitalisierung – mehr als Technologisierung 7
Die digitale Transformation ist insofern kein Die digitale Transformation der Produktebe- Schalter, den ein Unternehmen von heute auf ne umfasst mehrere Aspekte. Zum einen sind morgen umlegen kann. Vielmehr handelt es im digitalen Zeitalter immer kürzere Produkt- sich dabei um einen länger andauernden Pro- lebenszyklen möglich. Bis Produkte eine Mas- zess über mehrere Jahre. Wenn auch die digita- sennutzung erreichen, vergeht immer weniger le Transformation für jedes Unternehmen jegli- Zeit. Ein zweiter Aspekt der digitalen Transfor- cher Branche von Bedeutung ist, so ist sie kein mation ist die Eins-zu-eins-Substitution analo- universeller Prozess. Vielmehr verläuft die digi- ger durch digitale Produkte: Die Zeitung wird tale Transformation in jeder Branche und jedem zum E-Paper, das Buch zum E-Book. Statt des Unternehmen unterschiedlich bzw. individuell. Kaufs einer CD wird eine MP3-Datei gestreamt, der Speicherchip ersetzt die Filmrolle. Drittens Im Wesentlichen umfasst die digitale Transfor- ist neben der reinen Substitution analoger Pro- mation vier Ebenen: die Prozessebene, die Ebe- dukte durch ihre digitalen Gegenstücke vor al- ne der Mitarbeiter, die Produktebene und die lem der Einbau von Sensoren von Bedeutung. Ebene des Geschäftsmodells. Dadurch wandeln sich herkömmliche Produkte zu „Smart Products“. Viertens resultiert aus der Auf der Prozessebene geht es um die Optimie- digitalen Transformation auch die Möglichkeit rung der internen Arbeitsabläufe durch den Ein- zur Entwicklung neuer Produkte mit einem satz digitaler Technologien. Eine Steigerung der größeren Funktionsumfang. Schließlich steigt Effizienz wird ebenso durch eine Vernetzung die Bedeutung ergänzender Dienstleistungen. verschiedener Prozesse und Systeme – auch Unternehmen können viel leichter zu ihren Pro- über Unternehmensgrenzen hinweg – erreicht. dukten passende Dienstleistungen entwickeln und anbieten. Insofern geht mit der digitalen Grundsätzlich verändert sich im Zuge der Digi- Transformation der Produktebene auch eine talisierung auch die Rolle der Mitarbeiter (siehe Veränderung der Geschäftsmodelle einher. auch Abschnitte Arbeitsmarkt und Handlungsfeld: Kultur & Mitarbeiter). In der neuen Arbeitsorganisation Die Ebene des Geschäftsmodells steht im Zen- verlagern sich zum Teil die Entscheidungen auf trum der digitalen Transformation. Hier stehen untere Hierarchieebenen. Jeder Mitarbeiter wird die Unternehmen vor der Herausforderung, ihre potenziell ein „Entscheider“ und steuert in grö- Geschäftsmodelle zum Teil neu zu denken und ßerem Umfang selbstständig die Prozesse. Das sie an das digitale Zeitalter anzupassen. Wäh- stärkt die Rolle der Mitarbeiter als wichtiger rend die deutschen Unternehmen bei der Trans- Faktor im Unternehmen. Im digitalen Zeitalter formation der Prozessebene – insbesondere im zeichnet sich die flexible Arbeitsorganisation Bereich der Industrie – relativ gut dastehen, ferner dadurch aus, dass Arbeitszeit und Ar- sind hinsichtlich digitalisierter Geschäftsmodel- beitsort zunehmend frei wählbar sind. Die Mit- le andere Länder, allen voran die USA, deutlich arbeiter erlangen mehr Autonomie bei Arbeits- weiter. zeit und Arbeitsort. Grundsätzlich gibt es für die Transformation Die Veränderungen bei Arbeitsorganisation und der Geschäftsmodelle drei Möglichkeiten, die Projektmanagement bringen allerdings neue sich in dem Ausmaß der Veränderung unter- Kompetenzanforderungen mit sich. Dabei ver- scheiden: liert Fachwissen verglichen mit anderen Kom- petenzen relativ an Gewicht, da es in immer • ine eher graduelle Transformation ist die E schnellerer Folge veraltet und zudem über mo- Erweiterung des bestehenden Geschäfts- derne Medien jedem zur Verfügung steht. Dem- modells um neue Produkte und Dienstleis- gegenüber gewinnen soziale und persönliche tungen auf Basis digitaler Technologien. „Soft Skills“ an Bedeutung. Dazu gehören unter anderem Kommunikation, Kooperation, Flexibi- lität, Transfer- und Problemlösungskompeten- • es Weiteren lassen sich einzelne Aspek- D zen, Planung und Organisation sowie Fähig- te des bestehenden Geschäftsmodells di- keiten im Umgang mit digitalen Technologien. gitalisieren. Beispielsweise nutzen Unter- Da die letztgenannten Fähigkeiten im Zuge der nehmen im Rahmen des Online-Handels schnellen technischen Weiterentwicklung im- einen zusätzlichen, digitalen Verkaufskanal. mer schneller „veralten“, müssen die Mitarbeiter die Bereitschaft für lebenslanges Lernen haben. 8 Digitalisierung – mehr als Technologisierung
• ie „revolutionäre“ Transformation mit dem D Maßnahmen durchführen, die das Überleben größten Ausmaß besteht darin, das bisherige am Markt sichern und bei denen der Nutzen Geschäftsmodell vollständig durch ein neues die Kosten übersteigt. Der konkrete Wandel digitales Modell zu ersetzen. im Zuge der Digitalisierung verläuft dabei von Unternehmen zu Unternehmen unterschied- Die digitale Transformation des Geschäftsmo- lich. Dies zeigen auch die Infokästen in diesem dells ist durch zwei Besonderheiten charakteri- Fokusbericht, in denen einige Beispiele neuer, siert: digitaler Geschäftsmodelle und neue Prozess organisationen von jungen sowie etablierten • ftmals sind die neuen Geschäftsmodelle im O Unternehmen skizziert werden. Wichtig ist, digitalen Zeitalter datenbasiert. Daten wer- dass die Unternehmen mit der digitalen Trans- den als die neue Währung, der neue Schmier- formation starten und die Schritte konsequent stoff der Wirtschaft gesehen. fortsetzen. • ußerdem besteht eine Herausforderung für A die Unternehmen darin, ihre Geschäftsmo- delle auf die sich wandelnden Ansprüche der Kunde auszurichten (siehe auch Abschnitt Handlungsfeld: Kunden & Services). Sie erwarten bei- Lemonade – Digitale Versicherung mit anderem Ansatz spielsweise, dass Angebote rund um die Uhr und überall verfügbar sind. Auch sind die Das Versicherungs-Start-up Lemonade aus dem Bundesstaat New York Konsumenten an einer individuellen Anspra- (USA) bietet Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen für Einwohner che sowie größerer Individualisierung bei den dieses Bundesstaats an. Darüber hinaus können bei Lemonade auch Produkten und Dienstleistungen interessiert. wertvolle Gegenstände wie Musikinstrumente, Schmuck oder Kunst- Die Kontaktaufnahme mit den Unternehmen werke versichert werden. erfolgt über eine Vielzahl analoger und digi- Das Angebot zeichnet sich dabei durch zwei Besonderheiten aus: taler Kanäle, wobei die Konsumenten flexibel Lemonade ist eine reine Digitalversicherung. Der Versicherungsab- zwischen den verschiedenen Kanälen hin und schluss ist allein per App möglich und die Kunden werden dabei unter her wechseln. Damit ergeben sich höhere An- anderem durch Chatbots unterstützt. Auf Basis der eingegebenen sprüche an die Customer Journey (neue Kon- Daten werden die Versicherungsbeiträge zum Teil mittels künstlicher taktpunkte, mehr Informationen vorab, Einbe- Intelligenz berechnet. Nach dem Abschluss besteht sofortiger Versiche- ziehung sozialer Netzwerke). Ferner sind die rungsschutz, ohne dass auf irgendwelche Unterlagen gewartet werden Kunden aufgrund der umfangreichen digita- muss. Im Schadensfall erfolgt die Abwicklung ebenfalls über die App. len Informationen vor der jeweiligen Kaufent- Durch Einbinden von Videos kann die Regulierung beschleunigt werden. scheidung fast vollständig informiert. Eine Be- Die vollständige Digitalisierung der Prozesse verringert nicht nur den ratung seitens der Unternehmen ist dadurch Aufwand und die Bearbeitungszeit. Zudem kann Lemonade seine Ver- häufig überflüssig. Die Lieferung nach dem sicherungen auch billiger anbieten als etablierte Konkurrenten. Kauf wünschen sich die Kunden „schnellst- Die vollständige digitale Neufassung der Customer Journey ist aber nur möglich“, was im digitalen Zeitalter eine Be- das eine Merkmal von Lemonade. Das Unternehmen zeichnet sich auch lieferung am selben Tag (Same Day Delivery), durch ein anderes Ertragsmodell aus, das nach Meinung von Lemonade zur selben Stunde (Same Hour Delivery) oder mehr den Interessen der Kunden entspricht. Von den Beitragseinnah- sogar innerhalb weniger Minuten bedeuten men wird ein fester Anteil (aktuell 20 Prozent) von Lemonade zur kann. Die Kunden werden anspruchsvoller und Deckung der Kosten (u. a. Mitarbeiter, IT, Rückversicherung) genutzt. die digitalen Technologien sind der Schlüssel, Der restliche Betrag wird für die Begleichung der Schäden verwendet. den die Unternehmen nutzen können, um das Falls nach Abzug der Schäden noch Finanzmittel übrig sind, bilden Geschäftsmodell und die Customer Journey diese nicht den Gewinn von Lemonade, sondern werden an die Kunden an die neuen Kundenanforderungen anzu- zurückgezahlt oder an gemeinnütze Institutionen gespendet. Insofern passen. Erfolgreiche Geschäftsmodelle führen ist Lemonade nicht wie möglicherweise andere Versicherungen die Kunden ohne Hindernisse zum Angebot bestrebt, Schadensregulierungen abzulehnen, um die Differenz von Bei- des jeweiligen Unternehmens, das passgenau, tragseinnahmen und Schadensausgaben zu maximieren. Dieser Konflikt preisgünstig und schnell verfügbar ist. der Interessen von Versicherer und Versichertem kommt bei dem Geschäftsmodell von Lemonade nicht vor. Für Unternehmen ist der Transformations- Nach 100 Tagen am Markt hat das Unternehmen rund 2230 Policen prozess allerdings kein Selbstzweck. Bei der (Stand: Januar 2017) verkauft und erreichte damit im vierten Quartal gesamten Digitalisierung müssen Unterneh- 2016 Beitragseinnahmen von 179.855 US-Dollar. Die Schadenquote lag men auf die Wirtschaftlichkeit achten und nur bei 20 Prozent (Anteil für regulierte Schäden an den Beitragseinnah- men). Digitalisierung – mehr als Technologisierung 9
Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen (dritte industrielle Revolution) zu einer höhe- Gütermarkt ren Produktivität. Die digitale Transformation schlägt sich in der Realität laut Daten der OECD Produktivitätssteigerungen allerdings noch nicht in einem zunehmenden ge- Eine wesentliche Chance, die aus der digitalen samtwirtschaftlichen Produktivitätswachstum Transformation resultiert, sind Produktivitäts- nieder, wofür es unterschiedliche Erklärungen steigerungen. Maßgebliche Grundlage dafür ist gibt. Externe Hürden wie hohe Regulierungen die Digitalisierung der Prozesse, insbesondere auf Güter- und Arbeitsmärkten sowie gesell- in der Produktion. Eine digital vernetzte Maschi- schaftliche Vorbehalte stehen einem optimalen ne leistet mehr als ihr analoges Pendant, sodass Einsatz der digitalen Technologien potenziell im die Kapitalproduktivität zunimmt. Des Weite- Weg. Des Weiteren könnte es an komplemen- ren erhöht sich die Arbeitsproduktivität. Tä- tären Investitionen mangeln. Die Unternehmen tigkeiten, die vorher von Menschen ausgeführt „investieren“ zu wenig in die Weiterbildung ih- wurden, werden nun produktiver von Compu- rer Mitarbeiter, die Anpassung ihrer Infrastruk- tern und Maschinen übernommen. Schließlich tur, die Marktforschung und die Restrukturie- können die Beschäftigten bei ihrer Arbeit von rung des gesamten Unternehmens, sodass das Computern und Maschinen bzw. Robotern un- Potenzial der digitalen Technologien nicht aus- terstützt werden, die ihre Fähigkeiten verstär- geschöpft wird. Eine weitere Erklärung könn- ken (zum Beispiel künstliche Intelligenz). te sein, dass die Unternehmen ihre bisherigen, analogen Maschinen noch nicht abgeschrieben Solche Produktivitätssteigerungen waren in der haben und sie deshalb aus betriebswirtschaft- Vergangenheit mit allen großen technologi- lichen Gründen die „digitalen“ Maschinen mit schen Revolutionen verbunden. So führte auch der höheren Produktivität noch nicht in großem die Automatisierung und Computerisierung Umfang einsetzen. Bis Produktivitätssteigerun- gen realisiert werden, kann es einige Zeit dau- ern. Denn nicht die Erfindung der Technologien Künstliche Intelligenz macht Arbeit produktiver ist entscheidend, sondern die flächendeckende, Potenzielle Zunahme der Arbeitsproduktivität bis 2035 sinnvolle Einbeziehung in Unternehmenspro- durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zesse. Dies war ebenfalls bei früheren techno- logischen Innovationen zu beobachten, sodass weiterhin von positiven Produktivitätseffekten 37% 35% der Digitalisierung ausgegangen werden kann. 34% 29% Preisbildung Die Effizienzsteigerungen führen bei den Unter- 25% nehmen zu geringeren Produktionskosten. Wer- 20% den diese Kosteneinsparungen an die Kunden in Form niedrigerer Preise weitergegeben, kann die digitale Transformation mit zunehmender 12% 11% Verbreitung zu einer dauerhaft flacheren Preis entwicklung mit geringen Inflationsraten führen. Der Druck auf die Unternehmen zur Weitergabe der Kosteneinsenkungen steigt, weil die Kunden im digitalen Zeitalter leichter die Preise und Ei- Schweden USA Japan Deutschland UK Frankreich Italien Spanien genschaften von Produkten und Dienstleistun- gen miteinander vergleichen können (z. B. mit- tels Vergleichsportalen). Die Preistransparenz erhöht sich. Quelle: Accenture, Frontier Economics 10 Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen
Ferner lässt sich im digitalen Zeitalter die Preis- insbesondere bei digitalen Geschäftsmodellen bildung grundsätzlich verändern. Schon seit geringer. Für die Herstellung digitaler Produkte Längerem verbreitet ist die Dynamisierung von und Dienstleistungen ist oft nur ein vergleichs- Preisen, sodass Güter nicht mehr zu jedem Zeit- weise niedriger Kapitalstock notwendig. So punkt das Gleiche kostet. Beispielsweise wer- werden kaum Maschinen benötigt. Außerdem den Flugreisen weit vor dem eigentlichen Flug- haben sich die Preise für Informations- und termin günstiger angeboten als kurz vor dem Kommunikationstechnologie in den letzten Jah- Abflug. Im stationären Einzelhandel wird die ren stark verringert. Rechner- und Speicherka- Dynamisierung von Preisen durch digitale Preis- pazitäten müssen auch nicht zwingend gekauft schilder erleichtert, mittels derer die Händler werden, sondern Unternehmen können sie „as ohne großen Aufwand die Preise der Produkte a Service“ mieten. Ergänzt wird dies durch die ändern können. Durch Big-Data-Analysen kön- Cloud-Nutzung. nen Unternehmen dieses Verfahren weiter op- timieren. Im digitalen Zeitalter stehen den Un- Rolle der Start-ups bei der Digitalisierung ternehmen umfangreiche Daten unter anderem Start-ups spielen bei der digitalen Transformati- über den Zustand und die Nutzung der Produk- on eine große Rolle, da sie den technologischen te sowie über das menschliche Handeln zur Ver- Wandel maßgeblich mit vorantreiben. Unter- fügung. Die technische Grundlage dafür sind nehmensgründer weisen Eigenschaften auf, die Sensoren in den Produkten und ein stärkeres gerade für die anstehende digitale Transforma- Agieren der Menschen im digitalen Raum, wo tion von Vorteil sind: Sie sind risikobereit, offen das Verhalten getrackt werden kann. Unterneh- für neue Wege und Methoden und haben sehr men können diese Daten auswerten, wobei sich oft eine große Affinität zu moderner Technik. die Analysemöglichkeiten durch höhere Rech- Außerdem haben sie schon in einem größeren nerleistungen und Speicherkapazitäten verbes- Umfang als die Führungskräfte etablierter Un- sern. Da Big-Data-Analysen auch „as a Service“ ternehmen die Arbeitsmethoden verinnerlicht, mietbar sind, stellen sie ebenfalls eine Option die im digitalen Zeitalter an Bedeutung gewin- für kleine, finanzschwache Unternehmen dar. nen. Dazu gehört eine Organisationskultur und Bei der Dynamisierung der Preise können bei- ein Projektmanagement, die durch Agilität ge- spielsweise nun Informationen zu den Absatz- prägt sind (siehe auch Abschnitt Handlungsfeld: Kul- zahlen im Tagesverlauf sowie die Jahreszeit, tur & Mitarbeiter). Eine agile Organisation zeichnet Wetterprognosen und Konkurrenzangebote in sich durch Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit, die Preiskalkulation einfließen. Während sich Flexibilität, Vertrauen und Selbstorganisation dadurch schwankende Preise ergeben, die für aus. Sie ist das Gegenteil zur klassisch hierar- alle Kunden gleich sind, können die Preise auch chisch organisierten Organisation, bei der das individuell für den jeweiligen Kunden gestaltet Handeln nach engen Regeln, standardisierten werden. Über die erfassten Kundenmerkmale Vorgaben und mit wenig Entscheidungsfreiheit und -daten können Unternehmen basierend auf für die Mitarbeiter abläuft. Eine agile Organisa- Big-Data-Analysen jedem Kunden einen indivi- tion ist durch mehr Freiräume geprägt, inner- duellen „Privatpreis“ für eine Leistung bieten. halb derer die Mitarbeiter selbstständig agieren Der Preis einer Ware bemisst sich dann nicht können. Sie sollen versuchen, im Rahmen ihrer mehr an ihrem Wert oder der Wertschätzung „normalen“ Arbeit auch kreative, neue Lösungen der Kunden insgesamt, sondern an der auf Basis außerhalb der gängigen Normen und Prozesse von Big Data berechneten Kaufkraft jedes ein- zu finden. Dazu benötigen sie das Vertrauen zelnen Kunden. Unternehmen schöpfen damit der Führungskräfte, die potenzielle Fehler nicht die Konsumentenrente bei denjenigen Kunden sanktionieren, sondern eine Kultur des Lernens ab, deren Zahlungsbereitschaft oberhalb des etablieren. Die Mitarbeiter dürfen bei den Pro- Einheitspreises liegt. Grundsätzlich entsteht jekten Fehler machen. In einer agilen Organisa- durch Big Data eine größere Transparenz für tion werden diese Fehler bzw. Fehlentwicklun- die Unternehmen, welcher Preis in der jeweili- gen schnell erkannt und es wird darauf reagiert gen Situation optimal ist. („fail fast“). Eine agile Projektbearbeitung – beispielsweise auf Basis von Scrum – zeichnet Markteintrittsbarrieren sich ferner dadurch aus, dass im Vorfeld nicht Im digitalen Zeitalter können Start-ups bzw. langwierig Pläne und Lastenhefte erstellt wer- junge Unternehmen zum Teil leichter in beste- den (siehe auch Abschnitt Digitalisierung – mehr als hende Märkte eintreten, neue etablieren oder Technologisierung). Das Projektteam fängt mit we- Nischen besetzen. Die Eintrittsbarrieren sind nigen Grundvorgaben an; die restlichen Anfor- Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen 11
derungen und Ziele werden während des Ent- von Arbeitszeiten und Beschäftigungsformen wicklungsprozesses bestimmt. Die Entwicklung an Bedeutung gewinnen. Da künftig weniger neuer Produkte und Dienstleistungen zielt dar- arbeitsintensiv produziert wird, geht die Be- auf ab, schnell ein funktionsfähiges Angebot zu deutung des Faktors Arbeit bei vielen Stand- haben. Geschwindigkeit geht dabei vor Perfek- ort- und Produktionsentscheidungen zurück, tion, sprich das Produkt oder die Dienstleistung während die Qualität der Infrastruktur in den muss funktionsfähig, aber noch nicht ausgereift Fokus rückt. Bei der Beurteilung der staatlichen sein („minimum viable product“). Die Weiter- Infrastrukturausstattung stehen heute die Leis- entwicklung erfolgt am Markt, unter anderem tungsfähigkeit des Verkehrssystems (Straße, basierend auf den ersten Kundenfeedbacks. Schiene, Luft, Wasserwege) sowie die sichere Unternehmensgründer haben hier den Vorteil, und kostengünstige Energieversorgung im Vor- dass sie meist von vornherein nach diesem agi- dergrund. Künftig wird die Leistungsfähigkeit len Ansatz handeln. Zudem sind bei Start-ups der Infrastruktur eines Landes jedoch ganz ent- die Flexibilität und die Freiräume ausgeprägter. scheidend von den Übertragungsraten sowie Das macht sie zu Treibern des digitalen Struk- der Zuverlässigkeit und der Sicherheit der Da- turwandels. Die Zusammenarbeit von Start-ups tennetze abhängen, d.h. von der digitalen In mit bestehenden Unternehmen ist dabei eine frastruktur. Option für die Stimulierung des digitalen Wan- dels. Mitunter versuchen bestehende Unterneh- Investitions- und damit wachstumsfreundliche men im Zuge der Digitalisierung auch dieses institutionelle Rahmenbedingungen gewinnen „Start-up-Flair“ bei sich selbst zu etablieren. in dem durch eine schnelle Abfolge technischer Das geschieht indem sie einerseits vermehrt bei Innovationen und neuer Geschäftsmodelle ge- dem Projektmanagement agile Methoden wie kennzeichneten digitalen Zeitalter an Bedeu- Scrum statt des „Wasserfallmodells“ einsetzen. tung. Damit erlangen die Schnelligkeit und die Andererseits richten sie sogenannte „Innovati- Effizienz bürokratischer Prozesse eine noch on Labs“ ein. Diese stellen einen Gegenentwurf größere Standortrelevanz. Zu einem sehr wich- zum klassischen Innovationsprozess dar, der tigen Wettbewerbsfaktor dürften zudem die überwiegend in den Strategiezentren und Labo- Regeln zum Schutz geistigen Eigentums wer- ren der Unternehmen stattfindet mit nur punk- den. tuellem Kontakt zur Außenwelt. Die Labs – ein entweder physischer oder virtueller Raum – er- Diese Veränderungen haben Auswirkungen auf möglichen eine Initiierung bzw. Umsetzung in- die weltweite Verteilung der Produktionsstand- novativer Ideen außerhalb etablierter Routinen orte. Bis in die jüngere Vergangenheit sind ar- und auch außerhalb der Unternehmen. Abseits beitskostenintensive Fertigungen oft aus Hoch- der möglicherweise als lähmend empfundenen lohn- in Niedriglohnländer nach Osteuropa und Strukturen und Prozesse können Innovationen Asien verlagert worden. Damit versuchten die entwickelt und getestet werden. Für begrenzte Unternehmen, ihre preisliche Wettbewerbsfä- Zeit können die Mitarbeiter jeweils offen in den higkeit zu erhöhen. Nun könnte es zu Rückver- Labs zusammenarbeiten und neue Ideen entwi- lagerungen der Produktion in Hochlohnländer ckeln, wobei mitunter auch Kunden in den Pro- kommen. Durch den Einsatz additiver Ferti- zess eingebunden werden. gungstechnologien wie 3D-Druck verringern sich die Arbeitskosten bzw. deren Bedeutung. Standortentscheidung Das gleiche Resultat ergibt sich beim Wandel Durch die digitale Transformation von Prozes- der Produktion hin zur „Smart Factory“ mit ver- sen, Produkten und Geschäftsmodellen werden netzten Maschinen und autonom agierenden sich die Faktoren, welche die Wettbewerbs- Produktionsanlagen. Außerdem wird eine de- fähigkeit und Attraktivität eines Wirtschafts- zentrale Fertigung im digitalen Zeitalter leichter standorts bestimmen, signifikant verändern. möglich. Eine dabei immer noch notwendige Mit fortschreitender digitaler Transformation Zusammenarbeit mit anderen Unternehmens- wird die Bedeutung der Lohnkosten bei Stand- bereichen oder Partnern kann in virtuellen Räu- ort- oder Produktionsentscheidungen abneh- men erfolgen. Vieles spricht dafür, dass die Pro- men. Im Gegenzug werden – mit der Zunahme duktion wieder häufiger in räumlicher Nähe zu befristeter Projektarbeiten durch eine stärkere den Kunden stattfinden wird. Wenn Kleinserien Kundenorientierung und der kurzfristigen Aus- bis hin zur „Losgröße 1“ wirtschaftlich werden, richtung der Produktion an der Auftragslage – müssen Unternehmen weniger auf Größenvor- die Chancen und Risiken einer Flexibilisierung teile und damit weniger auf einen möglichst 12 Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen
großen Standort achten. Unterstützt wird dies Plattformanbieter richten müssen, da sie keinen auch durch den Wandel der Wertschöpfungs- direkten Kundenzugang mehr haben und ein kette zu einem Wertschöpfungsnetzwerk (siehe direkter Vertrieb kaum möglich ist. Ohne die auch Abschnitt Handlungsfeld: Kultur & Mitarbeiter). Mit Plattform werden ihre Produkte und Dienstleis- der stärkeren Steuerung und Kooperation über tungen von den Kunden nicht wahrgenommen die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, bzw. entsprechen nicht deren Bedürfnissen. können die Produktionskapazitäten unter den verschiedenen Unternehmen aufgeteilt werden. Klöckner – Serviceplattform für den Stahlhandel Die damit mögliche Spezialisierung und daraus resultierenden Kostenvorteile erhöhen so eben- Der Stahlhandel ist ein Bereich, der von geringen Margen und vielen Zwi- falls das wirtschaftliche Potenzial einer Rück- schenhändlern gekennzeichnet ist. Einen weiteren Preisdruck gibt es durch verlagerung der Produktion. ein verstärktes Angebot von Stahl aus China. Diese Überkapazitäten setzen die Stahlbranche schon seit Längerem unter Druck und stellen eine Heraus- Wettbewerb und Plattformisierung forderung für klassische Geschäftsmodells dar. Bei digital transformierten Geschäftsmodellen Dieses Geschäftsmodell ist hinsichtlich der Produktion auslastungsgetrie- steht der Kunde stärker im Mittelpunkt. Dabei ben: Im Stahlwerk wird eine maximale Menge produziert und anschließend konfrontiert der Kunde die Unternehmen mit ins Lager gepackt, bis die Kunden den Stahl benötigen. Im Vorfeld ist nicht neuen Anforderungen: personalisierten, preis- genau bekannt, was der Handel und die Kunden wünschen. Es liegt dement- günstigen und schnell verfügbaren Angeboten. sprechend eine mehrfach unterbrochene Wertschöpfungskette vor. Des Werden die etablierten Unternehmen diesen Weiteren erfolgen die Bestellungen zum Teil noch via Telefon oder Fax. Anforderungen nicht gerecht, dürften neue Vor diesem Hintergrund hat sich der Stahl- und Metallhändler Klöckner vor- Wettbewerber dies als Chance begreifen, um im genommen, diese Prozesse effizienter zu gestalten. Die Lösung dafür ist Markt Fuß zu fassen. Neue Konkurrenten sind eine digitale Plattform für den Vertrieb, die von der internen „Start-up-Ein- neben Start-ups auch etablierte Unternehmen, heit“ kloeckner.i mitentwickelt wurde. die bisher auf anderen Märkten aktiv waren. Ein Über diese Handelsplattform können die Kunden – auch Privatkunden – ihre Beispiel ist Alphabet mit dem Tochterunterneh- Bestellungen tätigen. Zudem gibt es Schnittstellen, mittels derer Großkun- men Waymo für den Bereich Mobilität. den ihre Bestellungen direkt aus ihrem Warenwirtschaftssystem heraus vor- nehmen können. In Zukunft soll es auch möglich sein, dass intelligente Die Digitalisierung führt also zu einem inten- Maschinen ihren eigenen Bedarf autonom bestellen. Klöckner zielt mit der siveren Wettbewerb. Allerdings hat die digi- Plattform darauf ab, die gesamte Liefer- und Leistungskette zu digitalisieren. tale Transformation auch eine potenziell wett- Die Plattform ist allerdings mehr als ein reiner Webshop. Sie ist zugleich ein bewerbshemmende Dimension: Im digitalen Kundenportal, auf dem auch der Vertragsstand eingesehen werden kann. Zeitalter gewinnen digitale Plattformen und Klöckner plant die Plattform zu einer umfassenden Industrieplattform wei- Marktplätze an Bedeutung (z. B. Suchmaschi- terzuentwickeln, die auch neue Bereiche wie den Werkzeugverkauf umfas- nen, soziale Netzwerke, Online-Handelspor- sen kann. Künftig sollen auf dieser Plattform zudem die Produkte der Wett- tale, Vergleichsportale, Sharing-Plattformen, bewerber gekauft werden können. Mit der Öffnung der Plattform für Dritte App-Stores, Medienplattformen). Plattforman- bzw. Wettbewerber können beispielsweise auch kleine und mittelständische bieter besetzen die Schnittstellen zu den Kun- Händler, die sich möglicherweise nicht eigenständig digitalisieren können, den. Auf Plattformen werden auf Grundlage einen digitalen Verkaufskanal nutzen. von Daten Dienste angeboten. Dadurch wird Das Unternehmen ist von den Vorteilen und Potenzialen der Plattform so die Wertschöpfung neu verteil. Zwei oder meh- überzeugt, dass es dieses Risiko der Kannibalisierung bei der Öffnung für rere Gruppen von Kunden bzw. wirtschaftlichen Wettbewerber in Kauf nimmt. Zu den Vorteilen zählt eine Verringerung des Akteuren werden dort miteinander verbunden. Nettoumlaufvermögens und eine Reduktion der teuren Lagerhaltung dank besserer Kalkulation der Nachfrage und so der Produktion im Vorfeld. Damit Die Plattformen schieben sich zwischen den soll bis 2019 das Nettoumlaufvermögen um über ein Drittel reduziert wer- Produzenten bzw. Dienstleister und den Kun- den (Freisetzung von 100 Millionen Euro Kapital). Außerdem dient die Platt- den. Dadurch nehmen die Plattformen eine star- form dazu, den Austausch mit den Kunden zu intensivieren und sie besser ke Position ein, da im digitalen Zeitalter zuneh- kennenzulernen. Mittels der Plattform können mehr Kundendaten erfasst mend der Zugang zum Kunden im Vergleich zur und ausgewertet werden. Diese Erkenntnisse können für eine gezieltere für ihn erbrachten Leistung an Bedeutung ge- Kundenansprache und mehr maßgeschneiderte Lösungen genutzt werden. winnt. Nur wer Zugang zum Kunden hat, kennt Des Weiteren soll mit der Handelsplattform der Anteil des Umsatzes über dessen Bedürfnisse. Die Kundendaten können digitale Kanäle bis 2019 auf 50 Prozent gesteigert werden. Erste erfolgreiche die Plattformanbieter für neue Services nut- Erfahrungen wurden hierfür mit Webshops in den Niederlanden und der zen oder den Produzenten bzw. Dienstleistern Schweiz gemacht, die zu einem höheren Anteil des Umsatzes über digitale „diktieren“, was diese zu liefern haben. Produ- Kanäle führten. Klöckner ist davon überzeugt, dass, wenn sie diesen Schritt zenten und Dienstleister werden sich nach dem nicht gehen, es ein anderes Unternehmen macht. Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen 13
Grundsätzlich verringern Plattformen, die einen Plattformen sind allerdings nicht nur wett- zentralen Austauschort etablieren, die Trans- bewerbshemmend. Ein Beispiel dafür sind aktionskosten (Such- und Informationskos- App-Stores. Zwar gibt es eine Konzentration ten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten, auf wenige App-Stores, aber dort sind jeweils Durchführungs- und Überwachungskosten) für viele Unternehmen vertreten, sodass für jede die einzelnen Akteure. Damit sind Plattformen erdenkliche Anwendung eine Vielzahl von An- insbesondere für kleine Unternehmen interes- geboten vorhanden ist. Ebenso muss die Ent- sant, die begrenztere finanzielle Möglichkeiten wicklung der Plattformisierung nicht zwingend haben und so ohne großen Aufwand viele po- auf einen Monopolanbieter hinauslaufen. Bis- tenzielle Kunden erreichen können. Ein weiterer herige Erfahrungen zeigen, dass sich vielmehr Nutzen von Plattformen ist die Realisierung von ein Oligopol herausbildet, bei dem es in jedem Skalenerträgen, da die Grenzkosten bei zusätz- Marktsegment drei bis fünf dominierende Platt- lichen Nutzern gegen null tendieren. Eine stei- formen gibt (z. B. Betriebssysteme für Com- gende Anzahl von Nutzern geht insofern mit puter oder Mobiltelefone, Gaming-Stations). sinkenden Durchschnittskosten einher. Kunden nutzen dementsprechend bewusst mehrere Plattformen nebeneinander („Multiho- Finden sich mindestens zwei Nutzergruppen ming“). Die Marktmacht von Plattformen wird auf einer Plattform, bilden sich „zweiseitige“ durch Multihoming begrenzt. Dabei hängt die Märkte, bei denen Netzwerkeffekte entstehen. Möglichkeit zu Multihoming unter anderem von Direkte Netzwerkeffekte resultieren aus der den Wechselkosten ab. Sind diese sehr niedrig Größe der Plattform: Mit einer großen Zahl an wie bei Suchmaschinen können Nutzer sehr Nutzern wird die Plattform attraktiver für neue einfach zwischen verschiedenen Anbietern Nutzer, sodass ein Sog zur größten Plattform wechseln. Bei sozialen Netzwerken oder auch entsteht. Indirekte Effekte entstehen durch die Verkaufsplattformen, bei denen beispielsweise Interaktion verschiedener Nutzergruppen. Je die erworbene Reputation (z. B. Bewertungen) mehr Unternehmen beispielsweise auf einem nicht auf andere Plattformen übertragen wer- Stellenportal vorhanden sind, desto mehr Be- den kann, sind die Wechselbarrieren höher. werber registrieren sich dort, was wiederum die Attraktivität des Portals für neue Unternehmen erhöht. Für Kunden ergeben sich außerdem Lock-in-Ef- Arbeitsmarkt fekte: Da ein Wechsel der Plattform eher mit hohem Aufwand verbunden wäre, bleiben die Wandel der Tätigkeiten Kunden auf der einmal gewählten Plattform. Die digitale Transformation verändert auch den Durch die Netzwerkeffekte kommt es zu einer Einsatz und die Organisation des Faktors Arbeit „Winner-takes-it-all“-Situation: Die Plattform, sowie die Anforderungen, die an ihn gestellt die sich bei der Nutzergewinnung einen Vor- werden. Digitale Technologien können mensch- sprung verschafft, verdrängt die Konkurrenz, liche Arbeit automatisieren. Das gilt vor allem auch wenn diese technisch überlegen sein mag. für Routinetätigkeiten, die repetitiv sind und Das Resultat ist eine zunehmende Marktkon- nach einem vorgegebenen Schema ablaufen. zentration mit Tendenzen zum Monopol, was Es handelt sich um Tätigkeiten, die weder eine sich negativ auf den Wettbewerb auswirkt. Eine ausgeprägte Auffassungsgabe noch den Ein- weitere Gefahr für den Wettbewerb ist das ent- satz einer diffizilen Motorik, von Kreativität oder stehende Datenmonopol, das die monopolähn- sozialer Intelligenz erfordern. Dabei geht es kei- lichen Stellungen der Plattformen weiter ver- neswegs nur um einfache Tätigkeiten am Fließ- festigt und die Markteintrittsbarrieren für neue band oder im Dienstleistungssektor. Routinetä- Anbieter erhöhen. Diese müssten über einen tigkeiten gibt es auch in vielen „hochwertigen“, vergleichbaren Reichtum an Daten verfügen, akademischen Berufen. Auf Basis künstlicher um ähnliche Angebote zu ermöglichen. Intelligenz werden beispielsweise „Schreibrobo- ter“ im Journalismus und juristische „Beratungs- Aus Wettbewerbssicht ist es außerdem nega- roboter“ eingesetzt. Maschinen können die tiv, dass ein marktbeherrschender Plattforman- Menschen aber auch im Bereich der Bankbera- bieter seine Stellung auf einen anderen Markt tung, Steuerberatung, Immobilienvermarktung, übertragen kann (z. B. Alphabet: Google-Suche Wirtschaftsprüfung und der Medizin ersetzen, und Android-Betriebssystem für Mobiltelefone). sofern es sich um Routinetätigkeiten handelt. 14 Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen
In der Medizin ist dies beispielsweise bei der Entwicklung der Arbeitsnachfrage und Krebserkennung auf radiologischen Aufnahmen Polarisierung am Arbeitsmarkt zu beobachten. Das Vorgehen dabei beruht auf Die Automatisierung von Tätigkeiten im Zuge einem festen Schema bzw. Merkmalen. Ein Sys- der digitalen Transformation löst ferner Be- tem künstlicher Intelligenz ist bei der Erkennung fürchtungen vom „Ende der Arbeit“ aus. Ge- von Tumoren dem Menschen überlegen. Die stützt werden solche Befürchtungen durch Stu- künstliche Intelligenz hat aber (noch) Grenzen. dien wie die von Carl Benedikt Frey und Michael So kommen „Schreibroboter“ und „Beratungsro- A. Osborne. Dieser Analyse zufolge arbeiten boter“ bisher erst in Standardfällen zum Einsatz. 47 Prozent der Beschäftigten in den USA in Schreibroboter können Artikel mit einem festen Berufen, die durch die digitale Transformation Schema über Fußballspiele oder Unternehmens- stark bedroht sind. Deren Tätigkeiten könnten bilanzen verfassen, sie würden aber bei investi- innerhalb von 20 Jahren mit einer zwischen 70 gativen Artikeln, Kommentaren oder Reporta- und 100 Prozent liegenden Wahrscheinlichkeit gen scheitern. Gleiches gilt für den juristischen durch Maschinen ausgeübt werden. Eine Über- Bereich: Digitale Technologien können Klienten tragung dieser Analyse auf Deutschland kommt Auskünfte über rechtliche Standardprobleme zu einem Wert von 42 bzw. 59 Prozent der Be- geben, die eindeutig in Gesetzen oder Gerichts- schäftigten. Berücksichtigt man allerdings bei urteilen geregelt sind. Diese Gesetze und Urteile solchen Analysen, dass nicht Berufe, sondern werden künftig verstärkt „maschinenlesbar“ ge- einzelne Tätigkeiten automatisiert werden, re- speichert. In Fällen, bei denen sie sich nicht auf duziert sich der Anteil auf 12 bzw. 15 Prozent. Vorlagen stützen können und Gesetze auslegen Zudem ist stets von einem technischen Po- müssen, also Kreativität benötigt wird, kämen sie tenzial die Rede. Bei der Entscheidung, ob Er- allerdings an ihre Grenzen. Diese Grenzen sind werbstätige an ihren Arbeitsplätzen durch Ma- jedoch temporär und verschieben sich im Lau- schinen ersetzt werden, spielen allerdings auch fe des technologischen Fortschritts. Was heute Kostenaspekte und soziale Überlegungen eine noch eine Nicht-Routinetätigkeit ist, kann mit Rolle. Und selbst wenn im Zuge der digitalen zunehmender Leistungsfähigkeit von Compu- Transformation Arbeitsplätze verloren gingen, tern und Algorithmen schon in wenigen Jahren muss dies nicht zwingend auch einen Rückgang automatisierbar sein. Ein Beispiel dafür ist das der Erwerbstätigkeit bedeuten. Parallel zum selbstfahrende Auto, das renommierte Wissen- möglichen Abbau von Arbeitsplätzen entstehen schaftler noch 2003 für unmöglich hielten. in der digitalen Arbeitswelt auch neue Arbeits- plätze bzw. Erwerbsmöglichkeiten. So zeigte Die zweite Einsatzmöglichkeit von Robotern sich bei früheren technologischen Umbrüchen, ist die Unterstützung der Beschäftigten bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten. Leichtbaurobo- Automatisierungspotenziale verschiedener ter – sogenannte „Cobots“ –, die außerhalb von Berufsfelder Prozentualer Anteil der Tätigkeiten „Schutzkäfigen“ eingesetzt werden können, er- im Beruf, die heute schon automatisierbar sind möglichen eine echte Zusammenarbeit mit dem Menschen. Die Beschäftigten können die digita- Chemie- und Kunststoffberufe 89,8 % len Technologien als reine Werkzeuge verwen- Bergbauberufe 83,9 % Metallerzeugung und -bearbeitung 82,5 % den oder mit vernetzten Objekten gemeinsam Keramik- und Glasberufe 82,1 % Kontroll- und Steuerungsaufgaben übernehmen. Papierherstellung und -verarbeitung 79,9 % Der Einsatz digitaler Technologien zur Automa- tisierung oder Unterstützung kann die Arbeits- produktivität steigern und die Anzahl gesund- Finanzwesen und Buchhaltung 69,9 % heitsgefährdender Arbeitsplätze verringern. Die Kaufmännische Büroberufe 53,7 % Verkaufsberufe 43,3 % Beschäftigten müssen weniger monotone, kör- Bauberufe 24,1 % perlich anstrengende oder gesundheitsgefähr- Rechtsberufe 18,4 % dende Tätigkeiten ausüben. Damit erlaubt die Digitalisierung eine bessere Wachberufe 5,9 % Unterstützung der körperlichen und kognitiven Gesundheitsberufe mit Approbation 5,7 % Fähigkeiten der Beschäftigten und erleichtert Soziale Berufe 5,3 % damit sowohl den Einsatz von älteren Menschen Lehrer/innen 3,1 % Berufe der Körperpflege 2,3 % als auch die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Quelle: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen 15
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