Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank

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Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Fokusbericht

Digitalisierung im Mittelstand
Oktober 2017
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Inhalt
05   Executive Summary
06   Digitalisierung – mehr als Technologisierung
10   Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen
     10 Gütermarkt
     14 Arbeitsmarkt
18   Digitalisierung und ihre Bedeutung für Unternehmen
     19 Das bringt die Digitalisierung dem Unternehmen
     22 Herausforderungen und Veränderungen im Unternehmen
         22 Handlungsfeld: Digitale Strategie
		       23 Handlungsfeld: Kultur & Mitarbeiter
		       30 Handlungsfeld: Technologie & Produktion
		 35 Handlungsfeld: Kunden & Services
42 Digitalisierung – Technologien und
   neue branchenspezifische Geschäftsmodelle
     43 Bedeutung digitaler Technologien in verschiedenen Branchen
     44 Automatisierung und Robotik
     46 Big Data und Analytics
     50 Künstliche Intelligenz
     53 Internet der Dinge, Sensoren und Vernetzung
     58 Blockchain
     60 Cloud und „… as a Service“
     62 Plattformen
     64 Augmented und Virtual Reality (AR/VR)
     68 3D-Druck / Additive Fertigung
     70 Fazit: Formen der Veränderung
72   Digitalisierung – Unterstützung durch den Bund
75   Digitalisierung – Unterstützung durch die Commerzbank
     75 strategie:dialog
     75 #openspace
     76 Das Leasingportal der Commerz Real
     77 Finanzierung / Fördermittel
     78 Neuer Digitaler Mittelstand
     78 main incubator - Wir fördern das Banking der Zukunft!
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Unternehmen sind zuversichtlich
                  Bewertung der Digitalisierung als Chance oder
                    Risiko; Anteil der befragten Unternehmen                                      Wofür werden digitale Technologien genutzt?
                                                                                                  Mehrfachnennungen möglich; Anteil der befragten Unternehmen

                                                                                                            Vernetzung der Wertschöpfungskette
                                                                                                            33 %
                                                                                                            Administrative Optimierung
                                                                                                            32 %
                                                                                                            Neue Produktionsformen
            88%                        9%                      3%                                           27 %
                als                      als                    ohne
         Chance                     Risiko                    Effekt                                        Neue Geschäftsmodelle
                                                                                                            19 %
                                                                                                            Weitere Effizienzpotenziale
                                                                                                            17 %

                           Hürden für die digitale Transformation
                                                                                                                                            841
                    Mehrfachnennungen möglich; Anteil der befragten Unternehmen

Komplexität und Geschwindigkeit der technischen Entwicklung    52 %                                                                         Mio. ¤
                                                                                                                                            in 2020
                                      Hoher Investitionsbedarf 50 %                                                                        241 Mio.¤ in 2016

            Sicherheitsrisiken und Probleme beim Datenschutz 49 %

                                Fehlende technische Standards 42 %

               Unsichere Erfolgsaussichten und hohe Flop-Rate 35 %
                                                                                                                                    B2B-Umsätze mit
               Sinkende Produktivität in der Umstellungsphase 28 %                                                                  Virtual, Augmented
                                                                                                                                    und Mixed Reality
           Unklare Zuständigkeiten zwischen den Abteilungen 22 %
                                                                                                                                    in Deutschland
          Zu wenig Geschäftsverständnis bei den IT-Spezialisten 21 %                                                                Prognose in Mio. €

                                   Finanzierungsschwierigkeiten 15 %

     Investitionen in die digitale Transformation
     Anteil am Umsatz gewerblicher Unternehmen; Anteil der befragten Unternehmen

                                 10%
        30%
                          keine Angabe                7%
                                                 0 Prozent
                                                                                   Fakten zur
    > 10 Prozent
                                                                                   digitalen
                   11%
                                                       42%
                                                1 bis 5 Prozent
                                                                                   Transformation
          6 bis 10 Prozent

                                                                                                                                                    414.000
                                                                                                                                          370.000
              Immer mehr Roboter im Einsatz                                                                           290.000
                                                                                                                                330.000
              Zahl der jährlich weltweit installierten Industrieroboter
                                                                                                            254.000
                                                                                                  221.000
                                                                        166.000 159.000 178.000
              120.000 112.000 114.000 113.000                 121.000
                                                     60.000

               2005      2006     2007      2008     2009      2010      2011    2012   2013       2014      2015     2016*     2017*     2018*      2019*

 * Prognose
 Quellen: Bitkom, Commerzbank, International Federation of Robotics, Deloitte,
 Fraunhofer FIT, Accenture, Frontier Economics, Kantar TNS, ZEW
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Executive Summary

Die Digitalisierung ist eines der Megathemen         nur noch an der Möglichkeit zur Nutzung bzw.
unserer Zeit. Durch sie wandeln sich Wirtschaft,     an der Funktion interessiert. Entscheidend da-
Gesellschaft, Umwelt und unser Alltagsleben          für ist, was ihnen den größeren Nutzen bringt.
auf vielfältige Weise. Eine wichtige Grundla-        Falls es die Funktion ist, möchten die Kunden
ge der Digitalisierung ist der technische Fort-      nur dafür zahlen, sodass sie diese „…as a Ser-
schritt, der zahlreiche neue technologische          vice“ kaufen bzw. mieten. Die digitalen Tech-
Anwendungen ermöglicht. Allerdings ist Digita-       nologien ermöglichen den Unternehmen auch,
lisierung viel mehr als eine reine „Technologisie-   ihre Tätigkeiten entlang der Wertschöpfungs-
rung“ des Unternehmens, also ein reiner Einsatz      kette auszuweiten oder ganz neue Bereiche
der neuen Technologien. Die Potenziale der di-       abzudecken. Insofern ist es förderlich, wenn die
gitalen Transformation sind verbunden mit der        Unternehmen bei der Einschätzung, inwieweit
Einbindung der Technologien in neue Produkte         sie vom digitalen Wandel betroffen sind, nicht
und Geschäftsmodelle. Dementsprechend ist            nur ihre direkten Geschäftsbereiche betrachten,
Digitalisierung mehr als ein IT- bzw. Technolo-      sondern auch stärker über den eigenen Teller-
gie-Thema, sondern sie beschreibt die ökono-         rand schauen.
mische Umsetzung der digitalen Technologien.
Im Zuge dessen ergeben sich für die Unterneh-        Die Unternehmen können durch den Einsatz di-
men neben technischen auch soziale und orga-         gitaler Technologien ihre Prozesse optimieren
nisatorische Herausforderungen. Damit sich die       und die Produktivität steigern. Neue Produkte
Unternehmen diesen Herausforderungen stellen         eröffnen zudem neue Absatzchancen. Im Zuge
können, müssen sie die Bedeutung der Digita-         der digitalen Transformation wird eine Indivi-
lisierung für ihr Geschäftsmodell erkennen. Die      dualisierung rentabel, die sich auf Produkte,
Digitalisierung bringt viele Veränderungen mit       Dienstleistungen oder Preise beziehen kann.
sich, die nur dann erfolgreich gemeistert wer-       Falls die Unternehmen die Chancen der digita-
den, wenn die Unternehmen offen sind für die         len Transformation nicht nutzen, besteht die Ge-
Neuerungen. Auch wenn die Unternehmen der            fahr, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit verlieren
digitalen Transformation nicht aus dem Weg           und ihre Marktposition einbüßen. Insbesondere
gehen können, ist sie kein Schicksal, dem sie        Nischenplayer werden verschwinden, da deren
sich einfach ergeben müssen. Die Digitalisie-        Marktbereiche durch die großen Unternehmen
rung ist gestaltbar, wenn die Unternehmen sie        mittels der genannten Möglichkeiten eigenstän-
aktiv angehen. Wichtig ist, dass die Unterneh-       dig besetzt werden.
men mit der digitalen Transformation starten
und die Schritte konsequent fortsetzen.              Die konkrete Ausgestaltung der digitalen Trans-
                                                     formation und die potenziellen Einsatzmöglich-
Die digitale Transformation umfasst neben Pro-       keiten digitaler Technologien sind von Branche
zessinnovationen auch Produktinnovationen            zu Branche verschieden. Beispielsweise eröff-
und insbesondere Geschäftsmodellinnovati-            nen sich einem Unternehmen der Versiche-
onen. Die Ebene des Geschäftsmodells steht           rungswirtschaft ganz andere Möglichkeiten als
dabei im Zentrum der digitalen Transformation.       einem Handelsunternehmen. Ein Patentrezept
Hier stehen die Unternehmen vor der Heraus-          gibt es daher weder für alle Branchen noch für
forderung, ihre Geschäftsmodelle an das digita-      alle Unternehmen in einer Branche, da sie sich in
le Zeitalter anzupassen, sie weiterzuentwickeln      ihren konkreten Prozessen, Produkten und Ge-
oder sogar ganz neu zu denken.                       schäftsmodellen unterscheiden.

Die künftigen Geschäftsmodelle sind im größe-        Die digitale Transformation der Unternehmen
rem Umfang datenbasiert und die veränderten          unterstützen diverse Angebote und Program-
Bedürfnisse der Kunden rücken stärker in den         me von Bund, Ländern und Kommunen sowie
Fokus. In manchen Branchen verliert das ei-          von Verbänden und Kammern. Und auch die
gentliche Produkt gegenüber seiner Funktion          Commerzbank bietet mit vielfältigen Angebo-
an Bedeutung. Die Kunden erwerben nicht mehr         ten eine Unterstützung bei der digitalen Trans-
das Eigentum an dem Produkt. Sie sind zum Teil       formation.

                                                                                                         Executive Summary   5
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Digitalisierung –
    mehr als Technologisierung

                                  Die Digitalisierung ist eines der Megathemen      dazu geführt, dass das Thema aktuell Wirt-
                                  unserer Zeit. Digitale Technologien haben sich    schaft, Politik und Gesellschaft so sehr bewegt:
                                  längst im privaten und geschäftlichen Alltag      IT und Software (gestiegene Leistungsfähigkeit
                                  etabliert. Sie haben Wirtschaft, Gesellschaft,    der Prozessoren, Cloud-Technologie, künstliche
                                  Umwelt und das Alltagsleben auf vielfältige       Intelligenz), Robotik und Sensoren (geringere
                                  Weise verändert und werden es weiter tun. Die     Größe, neue Anwendungsmöglichkeiten) sowie
                                  Digitalisierung berührt dabei jeden. Das Smart-   Vernetzung (Cyber-physische Systeme). Zu-
                                  phone in der Tasche hat heutzutage eine Leis-     gleich sinken die Preise der digitalen Produkte
                                  tungsfähigkeit, die die Performance von gro-      und Bauteile.
                                  ßen Computeranlagen von vor zehn Jahren bei
                                  Weitem übersteigt. Mit dieser Technik wird die    Für die Unternehmen ist die Digitalisierung
                                  heutige Jugend groß. Sie nutzen von Anfang        eine große Herausforderung, da es sich dabei
                                  an die digitalen Möglichkeiten und können sich    um einen Wandel handelt, dem sie nicht entge-
                                  als „Digital Natives“ ein analoges Leben, wie     hen können und der nicht mehr ausschließlich
                                  es ihre Eltern noch hatten, nicht mehr vorstel-   in den angestammten Geschäftsbereichen und
                                  len. Ferner wird das soziale Leben durch neue     Technologien stattfindet. Falls sie nicht von sich
                                  Kommunikationsformen bestimmt. Internet und       aus aktiv werden, wird das Thema „Digitalisie-
                                  Mobilfunk haben auch die Berufswelt revoluti-     rung“ spätestens durch die Kunden, Lieferan-
                                  oniert. Die immer leistungsfähigeren Computer     ten und Partner an die Unternehmen herange-
                                  ersetzen an vielen Stellen menschliche Arbeit.    tragen. Allerdings ist die Digitalisierung nicht
                                  Der Großteil der Mikroprozessoren befindet sich   zwangsläufig ein Schicksal, dem sich die Unter-
                                  nicht mehr in Computern, sondern in intelligen-   nehmen passiv ergeben müssen. Der Wandel ist
                                  ten Produkten und Produktionsanlagen. Alpha-      gestaltbar, wenn die Unternehmen die Digitali-
                                  bet (Google) oder Facebook setzen Geschäfts-      sierung frühzeitig und aktiv angehen. Dazu ge-
                                  modelle um, die noch vor wenigen Jahren nicht     hört am Anfang jeweils die Erkenntnis bzw. das
                                  denkbar waren, und sind binnen kurzer Zeit zu     Bewusstsein, dass es sich bei der Digitalisierung
                                  den wertvollsten Unternehmen der Welt auf-        um ein sehr existenzielles Thema für das Unter-
                                  gerückt. In jüngster Zeit sind auch modernste     nehmen handelt; auch oder gerade in einer Si-
                                  Technologien wie künstliche Intelligenz oder      tuation, in der es aktuell für das Unternehmen
                                  vernetzte und kommunizierende Geräte und          gut läuft.
                                  Maschinen im Alltag zu finden.
                                                                                    Wesentliche Aspekte der Digitalisierung sind
                                  Das digitale Zeitalter ist des Weiteren geprägt   dabei nicht technologischer Natur. Sie setzen
                                  durch die ungeheure Vielfalt an Daten. Nie zu-    vielmehr an der Strategie, der Organisation,
                                  vor konnten so viele Daten über die Nutzung       dem Projektmanagement und der Kultur der
                                  und den Zustand von Produkten sowie das           Unternehmen an. Mitunter stellen diese Verän-
                                  menschliche Verhalten erfasst werden. Die Men-    derungen das bisher erfolgreiche Handeln in
                                  schen hinterlassen Spuren, wenn sie sich in der   Frage. Der digitale Wandel gelingt nur, wenn
                                  digitalen Welt „bewegen“. Dadurch werden sie      das Management und die Mitarbeiter offen sind
                                  potenziell sehr „gläsern“, da ihre Bedürfnisse,   für diese Neuerungen und nicht an den etab-
                                  ihre Gesundheit sowie ihre Verhaltensweisen       lierten Strukturen festhalten. Wichtig für eine
                                  von außen erfasst werden können.                  erfolgreiche Digitalisierung ist daher ein „Mind-
                                                                                    change“, ein kultureller Wandel.
                                  Die digitale Transformation ist kein neues Phä-
                                  nomen, sondern basiert auf einer technologi-      Die neue Art der Projektbearbeitung zeichnet
                                  schen Entwicklung, die schon in den letzten       sich dadurch aus, dass vermehrt agile Konzep-
                                  25 Jahren massiv vorangeschritten ist. Zuletzt    te wie Scrum zum Einsatz kommen statt des
                                  hat sich die Geschwindigkeit des Wandels aller-   klassischen „Wasserfallmodells“ (siehe auch
                                  dings beschleunigt (exponentielles Wachstum).     Abschnitt Handlungsfeld: Kultur & Mitarbeiter). In dem
                                  Gerade die Fortschritte in drei Bereichen haben   klassischen Ansatz zur Projektbearbeitung wird

6   Digitalisierung – mehr als Technologisierung
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
im Vorfeld eines Projekts in einem Plan alles                           Neben diesen Aspekten umfasst die Digitali-
fest definiert (u.a. Ziel, einzelne Schritte). Die-                     sierung auch digitale Technologien. Dabei darf
ser Plan wird in der Bearbeitungsphase strikt                           die Digitalisierung eines Unternehmens nicht
verfolgt, dementsprechend ist eine langfristige                         mit Automatisierung gleichgesetzt werden, bei
Planbarkeit gegeben. Dem liegt allerdings die                           der Prozesse im Unternehmen kapitalintensiver
Annahme zu Grunde, dass alle Anforderungen                              ablaufen. Digitalisierung ist auch mehr als eine
an das jeweilige Projekt von vornherein bekannt                         Übersetzung analoger Tätigkeiten und Prozesse
sind und sich während des Projekts nicht bzw.                           in eine von Maschinen lesbare Sprache, um diese
kaum ändern. Gibt es dennoch Veränderungen                              Daten jederzeit und überall nutzbar zu machen
bei den Rahmenbedingungen, so kann bei der                              und Tätigkeiten von miteinander kommunizieren-
Projektbearbeitung nicht darauf reagiert wer-                           den Computern und Robotern ausführen zu las-
den. Zudem wird ein Feedback der Endnutzer                              sen. Bei dieser Definition liegt der Fokus auf einer
erst nach Abschluss des Projekts eingeholt.                             „Technologisierung“ des Unternehmens. Einzelne
                                                                        Problemstellungen in den Unternehmensberei-
Im Gegensatz dazu sind bei agilen Methoden                              chen werden mit individuellen digitalen Techno-
wie Scrum die Prozesse schlanker und flexib-                            logien gelöst.
ler. Statt langer Phasen der Projektbearbeitung
wird das Projekt in viele kleine Schritte bzw. Ite-                     Die Digitalisierung eines Unternehmens muss da-
rationen unterteilt, die jeweils innerhalb weniger                      bei stets in einem größeren Kontext betrachtet
Tage abgearbeitet werden. Nach jedem Schritt                            werden. Sie ist mehr als der reine Einsatz digitaler
werden die Teilergebnisse dahingehend über-                             Technologien in einzelnen Bereichen und mehr
prüft, ob sie den Zielanforderungen genügen.                            als ein reines IT-Thema. Ein alleiniger Einsatz digi-
Dazu werden die Teilergebnisse gegebenenfalls                           taler Technologien liefert unter Umständen noch
auch immer wieder getestet, z. B. eine Marke-                           keinen wesentlichen Wertzuwachs. Dafür müssen
tingkampagne bei den Kunden, und das Feed-                              die digitalen Technologien in das Unternehmen
back im nächsten Projektschritt eingearbeitet.                          „eingebunden“ werden. Das kann eine Anpassung
Des Weiteren wird das eigentliche Ziel nicht im                         der Prozesse umfassen oder eine andere Organi-
Vorfeld fest definiert, sondern es wird allenfalls                      sation des Unternehmens. Die weitreichendste
ein Bereich vorgegeben. Im Laufe des Prozes-                            Veränderung betrifft das Geschäftsmodell. Auf
ses können dabei Veränderungen bei den Rah-                             Basis digitaler Technologien haben die Unterneh-
menbedingungen immer wieder berücksichtigt                              men die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell neu zu
werden. Falls das anvisierte Zwischenziel nicht                         denken und an die neuen Kundenbedürfnisse an-
erreicht wird, kann durch einen schnellen Ab-                           zupassen. Hier können die Unternehmen jeweils
bruch („fail fast“) die Verschwendung weiterer                          das größte Potenzial vorfinden. Insofern steht das
Ressourcen vermieden werden. Die gewonne-                               Geschäftsmodell im Zentrum der digitalen Trans-
nen Erkenntnisse können aber bei einem neuen                            formation. Digitalisierung bedeutet insofern die
Projekt hilfreich sein. Dabei werden die Projek-                        ökonomische Umsetzung der digitalen Techno-
te von Teams aus Mitarbeitern verschiedener                             logien. Der Transformationsprozess basiert dabei
Disziplinen bearbeitet, wobei die Teams jeweils                         auf einem ganzheitlichen Ansatz, frei von „Den-
individuell für das jeweilige Projekt und dessen                        ken in Silos“, und umfasst das gesamte Unter-
Anforderungen zusammengestellt werden.                                  nehmen mit allen Bereichen. Die Grundlage dafür
                                                                        muss eine Digitalisierungsstrategie sein.

Die wichtigsten Technologie- und Markttrends 2017 aus Sicht der IKT-Branche in Deutschland
Mehrfachnennungen möglich; Anteil der befragten Unternehmen

      67%
                    60%
                                  55%
                                                 50%
                                                              41%
                                                                           32%          31%          28%
                                                                                                                   21%            21%

  IT-Sicherheit     Cloud      Internet of   Industrie 4.0   Big Data     Digitale      Mobile     Enterprise   Künstliche    Digital Health
                  Computing      Things                                 Plattformen   Computing     Content     Intelligenz
                                                                                                  Management

Quelle: Bitkom-Branchenbarometer 1. Halbjahr 2017

                                                                                                                              Digitalisierung – mehr als Technologisierung   7
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Die digitale Transformation ist insofern kein            Die digitale Transformation der Produktebe-
                                  Schalter, den ein Unternehmen von heute auf              ne umfasst mehrere Aspekte. Zum einen sind
                                  morgen umlegen kann. Vielmehr handelt es                 im digitalen Zeitalter immer kürzere Produkt-
                                  sich dabei um einen länger andauernden Pro-              lebenszyklen möglich. Bis Produkte eine Mas-
                                  zess über mehrere Jahre. Wenn auch die digita-           sennutzung erreichen, vergeht immer weniger
                                  le Transformation für jedes Unternehmen jegli-           Zeit. Ein zweiter Aspekt der digitalen Transfor-
                                  cher Branche von Bedeutung ist, so ist sie kein          mation ist die Eins-zu-eins-Substitution analo-
                                  universeller Prozess. Vielmehr verläuft die digi-        ger durch digitale Produkte: Die Zeitung wird
                                  tale Transformation in jeder Branche und jedem           zum E-Paper, das Buch zum E-Book. Statt des
                                  Unternehmen unterschiedlich bzw. individuell.            Kaufs einer CD wird eine MP3-Datei gestreamt,
                                                                                           der Speicherchip ersetzt die Filmrolle. Drittens
                                  Im Wesentlichen umfasst die digitale Transfor-           ist neben der reinen Substitution analoger Pro-
                                  mation vier Ebenen: die Prozessebene, die Ebe-           dukte durch ihre digitalen Gegenstücke vor al-
                                  ne der Mitarbeiter, die Produktebene und die             lem der Einbau von Sensoren von Bedeutung.
                                  Ebene des Geschäftsmodells.                              Dadurch wandeln sich herkömmliche Produkte
                                                                                           zu „Smart Products“. Viertens resultiert aus der
                                  Auf der Prozessebene geht es um die Optimie-             digitalen Transformation auch die Möglichkeit
                                  rung der internen Arbeitsabläufe durch den Ein-          zur Entwicklung neuer Produkte mit einem
                                  satz digitaler Technologien. Eine Steigerung der         größeren Funktionsumfang. Schließlich steigt
                                  Effizienz wird ebenso durch eine Vernetzung              die Bedeutung ergänzender Dienstleistungen.
                                  verschiedener Prozesse und Systeme – auch                Unternehmen können viel leichter zu ihren Pro-
                                  über Unternehmensgrenzen hinweg – erreicht.              dukten passende Dienstleistungen entwickeln
                                                                                           und anbieten. Insofern geht mit der digitalen
                                  Grundsätzlich verändert sich im Zuge der Digi-           Transformation der Produktebene auch eine
                                  talisierung auch die Rolle der Mitarbeiter (siehe        Veränderung der Geschäftsmodelle einher.
                                  auch Abschnitte Arbeitsmarkt und Handlungsfeld: Kultur
                                  & Mitarbeiter). In der neuen Arbeitsorganisation         Die Ebene des Geschäftsmodells steht im Zen-
                                  verlagern sich zum Teil die Entscheidungen auf           trum der digitalen Transformation. Hier stehen
                                  untere Hierarchieebenen. Jeder Mitarbeiter wird          die Unternehmen vor der Herausforderung, ihre
                                  potenziell ein „Entscheider“ und steuert in grö-         Geschäftsmodelle zum Teil neu zu denken und
                                  ßerem Umfang selbstständig die Prozesse. Das             sie an das digitale Zeitalter anzupassen. Wäh-
                                  stärkt die Rolle der Mitarbeiter als wichtiger           rend die deutschen Unternehmen bei der Trans-
                                  Faktor im Unternehmen. Im digitalen Zeitalter            formation der Prozessebene – insbesondere im
                                  zeichnet sich die flexible Arbeitsorganisation           Bereich der Industrie – relativ gut dastehen,
                                  ferner dadurch aus, dass Arbeitszeit und Ar-             sind hinsichtlich digitalisierter Geschäftsmodel-
                                  beitsort zunehmend frei wählbar sind. Die Mit-           le andere Länder, allen voran die USA, deutlich
                                  arbeiter erlangen mehr Autonomie bei Arbeits-            weiter.
                                  zeit und Arbeitsort.
                                                                                           Grundsätzlich gibt es für die Transformation
                                  Die Veränderungen bei Arbeitsorganisation und            der Geschäftsmodelle drei Möglichkeiten, die
                                  Projektmanagement bringen allerdings neue                sich in dem Ausmaß der Veränderung unter-
                                  Kompetenzanforderungen mit sich. Dabei ver-              scheiden:
                                  liert Fachwissen verglichen mit anderen Kom-
                                  petenzen relativ an Gewicht, da es in immer              •    ine eher graduelle Transformation ist die
                                                                                               E
                                  schnellerer Folge veraltet und zudem über mo-                Erweiterung des bestehenden Geschäfts-
                                  derne Medien jedem zur Verfügung steht. Dem-                 modells um neue Produkte und Dienstleis-
                                  gegenüber gewinnen soziale und persönliche                   tungen auf Basis digitaler Technologien.
                                  „Soft Skills“ an Bedeutung. Dazu gehören unter
                                  anderem Kommunikation, Kooperation, Flexibi-
                                  lität, Transfer- und Problemlösungskompeten-             •    es Weiteren lassen sich einzelne Aspek-
                                                                                               D
                                  zen, Planung und Organisation sowie Fähig-                   te des bestehenden Geschäftsmodells di-
                                  keiten im Umgang mit digitalen Technologien.                 gitalisieren. Beispielsweise nutzen Unter-
                                  Da die letztgenannten Fähigkeiten im Zuge der                nehmen im Rahmen des Online-Handels
                                  schnellen technischen Weiterentwicklung im-                  einen zusätzlichen, digitalen Verkaufskanal.
                                  mer schneller „veralten“, müssen die Mitarbeiter
                                  die Bereitschaft für lebenslanges Lernen haben.

8   Digitalisierung – mehr als Technologisierung
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
•    ie „revolutionäre“ Transformation mit dem
    D                                                      Maßnahmen durchführen, die das Überleben
    größten Ausmaß besteht darin, das bisherige            am Markt sichern und bei denen der Nutzen
    Geschäftsmodell vollständig durch ein neues            die Kosten übersteigt. Der konkrete Wandel
    digitales Modell zu ersetzen.                          im Zuge der Digitalisierung verläuft dabei von
                                                           Unternehmen zu Unternehmen unterschied-
Die digitale Transformation des Geschäftsmo-               lich. Dies zeigen auch die Infokästen in diesem
dells ist durch zwei Besonderheiten charakteri-            Fokusbericht, in denen einige Beispiele neuer,
siert:                                                     digitaler Geschäftsmodelle und neue Prozess­
                                                           organisationen von jungen sowie etablierten
•    ftmals sind die neuen Geschäftsmodelle im
    O                                                      Unternehmen skizziert werden. Wichtig ist,
    digitalen Zeitalter datenbasiert. Daten wer-           dass die Unternehmen mit der digitalen Trans-
    den als die neue Währung, der neue Schmier-            formation starten und die Schritte konsequent
    stoff der Wirtschaft gesehen.                          fortsetzen.

•    ußerdem besteht eine Herausforderung für
    A
    die Unternehmen darin, ihre Geschäftsmo-
    delle auf die sich wandelnden Ansprüche der
    Kunde auszurichten (siehe auch Abschnitt
    Handlungsfeld: Kunden & Services). Sie erwarten bei-    Lemonade – Digitale Versicherung mit anderem Ansatz
    spielsweise, dass Angebote rund um die Uhr
    und überall verfügbar sind. Auch sind die               Das Versicherungs-Start-up Lemonade aus dem Bundesstaat New York
    Konsumenten an einer individuellen Anspra-              (USA) bietet Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen für Einwohner
    che sowie größerer Individualisierung bei den           dieses Bundesstaats an. Darüber hinaus können bei Lemonade auch
    Produkten und Dienstleistungen interessiert.            wertvolle Gegenstände wie Musikinstrumente, Schmuck oder Kunst-
    Die Kontaktaufnahme mit den Unternehmen                 werke versichert werden.
    erfolgt über eine Vielzahl analoger und digi-           Das Angebot zeichnet sich dabei durch zwei Besonderheiten aus:
    taler Kanäle, wobei die Konsumenten flexibel            Lemonade ist eine reine Digitalversicherung. Der Versicherungsab-
    zwischen den verschiedenen Kanälen hin und              schluss ist allein per App möglich und die Kunden werden dabei unter
    her wechseln. Damit ergeben sich höhere An-             anderem durch Chatbots unterstützt. Auf Basis der eingegebenen
    sprüche an die Customer Journey (neue Kon-              Daten werden die Versicherungsbeiträge zum Teil mittels künstlicher
    taktpunkte, mehr Informationen vorab, Einbe-            Intelligenz berechnet. Nach dem Abschluss besteht sofortiger Versiche-
    ziehung sozialer Netzwerke). Ferner sind die            rungsschutz, ohne dass auf irgendwelche Unterlagen gewartet werden
    Kunden aufgrund der umfangreichen digita-               muss. Im Schadensfall erfolgt die Abwicklung ebenfalls über die App.
    len Informationen vor der jeweiligen Kaufent-           Durch Einbinden von Videos kann die Regulierung beschleunigt werden.
    scheidung fast vollständig informiert. Eine Be-         Die vollständige Digitalisierung der Prozesse verringert nicht nur den
    ratung seitens der Unternehmen ist dadurch              Aufwand und die Bearbeitungszeit. Zudem kann Lemonade seine Ver-
    häufig überflüssig. Die Lieferung nach dem              sicherungen auch billiger anbieten als etablierte Konkurrenten.
    Kauf wünschen sich die Kunden „schnellst-               Die vollständige digitale Neufassung der Customer Journey ist aber nur
    möglich“, was im digitalen Zeitalter eine Be-           das eine Merkmal von Lemonade. Das Unternehmen zeichnet sich auch
    lieferung am selben Tag (Same Day Delivery),            durch ein anderes Ertragsmodell aus, das nach Meinung von Lemonade
    zur selben Stunde (Same Hour Delivery) oder             mehr den Interessen der Kunden entspricht. Von den Beitragseinnah-
    sogar innerhalb weniger Minuten bedeuten                men wird ein fester Anteil (aktuell 20 Prozent) von Lemonade zur
    kann. Die Kunden werden anspruchsvoller und             Deckung der Kosten (u. a. Mitarbeiter, IT, Rückversicherung) genutzt.
    die digitalen Technologien sind der Schlüssel,          Der restliche Betrag wird für die Begleichung der Schäden verwendet.
    den die Unternehmen nutzen können, um das               Falls nach Abzug der Schäden noch Finanzmittel übrig sind, bilden
    Geschäftsmodell und die Customer Journey                diese nicht den Gewinn von Lemonade, sondern werden an die Kunden
    an die neuen Kundenanforderungen anzu-                  zurückgezahlt oder an gemeinnütze Institutionen gespendet. Insofern
    passen. Erfolgreiche Geschäftsmodelle führen            ist Lemonade nicht wie möglicherweise andere Versicherungen
    die Kunden ohne Hindernisse zum Angebot                 bestrebt, Schadensregulierungen abzulehnen, um die Differenz von Bei-
    des jeweiligen Unternehmens, das passgenau,             tragseinnahmen und Schadensausgaben zu maximieren. Dieser Konflikt
    preisgünstig und schnell verfügbar ist.                 der Interessen von Versicherer und Versichertem kommt bei dem
                                                            Geschäftsmodell von Lemonade nicht vor.
Für Unternehmen ist der Transformations-                    Nach 100 Tagen am Markt hat das Unternehmen rund 2230 Policen
prozess allerdings kein Selbstzweck. Bei der                (Stand: Januar 2017) verkauft und erreichte damit im vierten Quartal
gesamten Digitalisierung müssen Unterneh-                   2016 Beitragseinnahmen von 179.855 US-Dollar. Die Schadenquote lag
men auf die Wirtschaftlichkeit achten und nur               bei 20 Prozent (Anteil für regulierte Schäden an den Beitragseinnah-
                                                            men).

                                                                                               Digitalisierung – mehr als Technologisierung   9
Digitalisierung im Mittelstand - Oktober 2017 Fokusbericht - Commerzbank
Digitalisierung und die
     gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen

                                                                                          (dritte industrielle Revolution) zu einer höhe-
                                   Gütermarkt                                             ren Produktivität. Die digitale Transformation
                                                                                          schlägt sich in der Realität laut Daten der OECD
                                   Produktivitätssteigerungen                             allerdings noch nicht in einem zunehmenden ge-
                                   Eine wesentliche Chance, die aus der digitalen         samtwirtschaftlichen Produktivitätswachstum
                                   Transformation resultiert, sind Produktivitäts-        nieder, wofür es unterschiedliche Erklärungen
                                   steigerungen. Maßgebliche Grundlage dafür ist          gibt. Externe Hürden wie hohe Regulierungen
                                   die Digitalisierung der Prozesse, insbesondere         auf Güter- und Arbeitsmärkten sowie gesell-
                                   in der Produktion. Eine digital vernetzte Maschi-      schaftliche Vorbehalte stehen einem optimalen
                                   ne leistet mehr als ihr analoges Pendant, sodass       Einsatz der digitalen Technologien potenziell im
                                   die Kapitalproduktivität zunimmt. Des Weite-           Weg. Des Weiteren könnte es an komplemen-
                                   ren erhöht sich die Arbeitsproduktivität. Tä-          tären Investitionen mangeln. Die Unternehmen
                                   tigkeiten, die vorher von Menschen ausgeführt          „investieren“ zu wenig in die Weiterbildung ih-
                                   wurden, werden nun produktiver von Compu-              rer Mitarbeiter, die Anpassung ihrer Infrastruk-
                                   tern und Maschinen übernommen. Schließlich             tur, die Marktforschung und die Restrukturie-
                                   können die Beschäftigten bei ihrer Arbeit von          rung des gesamten Unternehmens, sodass das
                                   Computern und Maschinen bzw. Robotern un-              Potenzial der digitalen Technologien nicht aus-
                                   terstützt werden, die ihre Fähigkeiten verstär-        geschöpft wird. Eine weitere Erklärung könn-
                                   ken (zum Beispiel künstliche Intelligenz).             te sein, dass die Unternehmen ihre bisherigen,
                                                                                          analogen Maschinen noch nicht abgeschrieben
                                   Solche Produktivitätssteigerungen waren in der         haben und sie deshalb aus betriebswirtschaft-
                                   Vergangenheit mit allen großen technologi-             lichen Gründen die „digitalen“ Maschinen mit
                                   schen Revolutionen verbunden. So führte auch           der höheren Produktivität noch nicht in großem
                                   die Automatisierung und Computerisierung               Umfang einsetzen. Bis Produktivitätssteigerun-
                                                                                          gen realisiert werden, kann es einige Zeit dau-
                                                                                          ern. Denn nicht die Erfindung der Technologien
      Künstliche Intelligenz macht Arbeit produktiver                                     ist entscheidend, sondern die flächendeckende,
      Potenzielle Zunahme der Arbeitsproduktivität bis 2035                               sinnvolle Einbeziehung in Unternehmenspro-
      durch den Einsatz künstlicher Intelligenz                                           zesse. Dies war ebenfalls bei früheren techno-
                                                                                          logischen Innovationen zu beobachten, sodass
                                                                                          weiterhin von positiven Produktivitätseffekten
        37%
                  35%                                                                     der Digitalisierung ausgegangen werden kann.
                            34%

                                       29%                                                Preisbildung
                                                                                          Die Effizienzsteigerungen führen bei den Unter-
                                                  25%
                                                                                          nehmen zu geringeren Produktionskosten. Wer-
                                                           20%                            den diese Kosteneinsparungen an die Kunden
                                                                                          in Form niedrigerer Preise weitergegeben, kann
                                                                                          die digitale Transformation mit zunehmender
                                                                       12%
                                                                                 11%      Verbreitung zu einer dauerhaft flacheren Preis­
                                                                                          entwicklung mit geringen Inflationsraten führen.
                                                                                          Der Druck auf die Unternehmen zur Weitergabe
                                                                                          der Kosteneinsenkungen steigt, weil die Kunden
                                                                                          im digitalen Zeitalter leichter die Preise und Ei-
      Schweden    USA      Japan    Deutschland   UK     Frankreich   Italien   Spanien   genschaften von Produkten und Dienstleistun-
                                                                                          gen miteinander vergleichen können (z. B. mit-
                                                                                          tels Vergleichsportalen). Die Preistransparenz
                                                                                          erhöht sich.
                                                  Quelle: Accenture, Frontier Economics

10   Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen
Ferner lässt sich im digitalen Zeitalter die Preis-   insbesondere bei digitalen Geschäftsmodellen
bildung grundsätzlich verändern. Schon seit           geringer. Für die Herstellung digitaler Produkte
Längerem verbreitet ist die Dynamisierung von         und Dienstleistungen ist oft nur ein vergleichs-
Preisen, sodass Güter nicht mehr zu jedem Zeit-       weise niedriger Kapitalstock notwendig. So
punkt das Gleiche kostet. Beispielsweise wer-         werden kaum Maschinen benötigt. Außerdem
den Flugreisen weit vor dem eigentlichen Flug-        haben sich die Preise für Informations- und
termin günstiger angeboten als kurz vor dem           Kommunikationstechnologie in den letzten Jah-
Abflug. Im stationären Einzelhandel wird die          ren stark verringert. Rechner- und Speicherka-
Dynamisierung von Preisen durch digitale Preis-       pazitäten müssen auch nicht zwingend gekauft
schilder erleichtert, mittels derer die Händler       werden, sondern Unternehmen können sie „as
ohne großen Aufwand die Preise der Produkte           a Service“ mieten. Ergänzt wird dies durch die
ändern können. Durch Big-Data-Analysen kön-           Cloud-Nutzung.
nen Unternehmen dieses Verfahren weiter op-
timieren. Im digitalen Zeitalter stehen den Un-       Rolle der Start-ups bei der Digitalisierung
ternehmen umfangreiche Daten unter anderem            Start-ups spielen bei der digitalen Transformati-
über den Zustand und die Nutzung der Produk-          on eine große Rolle, da sie den technologischen
te sowie über das menschliche Handeln zur Ver-        Wandel maßgeblich mit vorantreiben. Unter-
fügung. Die technische Grundlage dafür sind           nehmensgründer weisen Eigenschaften auf, die
Sensoren in den Produkten und ein stärkeres           gerade für die anstehende digitale Transforma-
Agieren der Menschen im digitalen Raum, wo            tion von Vorteil sind: Sie sind risikobereit, offen
das Verhalten getrackt werden kann. Unterneh-         für neue Wege und Methoden und haben sehr
men können diese Daten auswerten, wobei sich          oft eine große Affinität zu moderner Technik.
die Analysemöglichkeiten durch höhere Rech-           Außerdem haben sie schon in einem größeren
nerleistungen und Speicherkapazitäten verbes-         Umfang als die Führungskräfte etablierter Un-
sern. Da Big-Data-Analysen auch „as a Service“        ternehmen die Arbeitsmethoden verinnerlicht,
mietbar sind, stellen sie ebenfalls eine Option       die im digitalen Zeitalter an Bedeutung gewin-
für kleine, finanzschwache Unternehmen dar.           nen. Dazu gehört eine Organisationskultur und
Bei der Dynamisierung der Preise können bei-          ein Projektmanagement, die durch Agilität ge-
spielsweise nun Informationen zu den Absatz-          prägt sind (siehe auch Abschnitt Handlungsfeld: Kul-
zahlen im Tagesverlauf sowie die Jahreszeit,          tur & Mitarbeiter). Eine agile Organisation zeichnet
Wetterprognosen und Konkurrenzangebote in             sich durch Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit,
die Preiskalkulation einfließen. Während sich         Flexibilität, Vertrauen und Selbstorganisation
dadurch schwankende Preise ergeben, die für           aus. Sie ist das Gegenteil zur klassisch hierar-
alle Kunden gleich sind, können die Preise auch       chisch organisierten Organisation, bei der das
individuell für den jeweiligen Kunden gestaltet       Handeln nach engen Regeln, standardisierten
werden. Über die erfassten Kundenmerkmale             Vorgaben und mit wenig Entscheidungsfreiheit
und -daten können Unternehmen basierend auf           für die Mitarbeiter abläuft. Eine agile Organisa-
Big-Data-Analysen jedem Kunden einen indivi-          tion ist durch mehr Freiräume geprägt, inner-
duellen „Privatpreis“ für eine Leistung bieten.       halb derer die Mitarbeiter selbstständig agieren
Der Preis einer Ware bemisst sich dann nicht          können. Sie sollen versuchen, im Rahmen ihrer
mehr an ihrem Wert oder der Wertschätzung             „normalen“ Arbeit auch kreative, neue Lösungen
der Kunden insgesamt, sondern an der auf Basis        außerhalb der gängigen Normen und Prozesse
von Big Data berechneten Kaufkraft jedes ein-         zu finden. Dazu benötigen sie das Vertrauen
zelnen Kunden. Unternehmen schöpfen damit             der Führungskräfte, die potenzielle Fehler nicht
die Konsumentenrente bei denjenigen Kunden            sanktionieren, sondern eine Kultur des Lernens
ab, deren Zahlungsbereitschaft oberhalb des           etablieren. Die Mitarbeiter dürfen bei den Pro-
Einheitspreises liegt. Grundsätzlich entsteht         jekten Fehler machen. In einer agilen Organisa-
durch Big Data eine größere Transparenz für           tion werden diese Fehler bzw. Fehlentwicklun-
die Unternehmen, welcher Preis in der jeweili-        gen schnell erkannt und es wird darauf reagiert
gen Situation optimal ist.                            („fail fast“). Eine agile Projektbearbeitung –
                                                      beispielsweise auf Basis von Scrum – zeichnet
Markteintrittsbarrieren                               sich ferner dadurch aus, dass im Vorfeld nicht
Im digitalen Zeitalter können Start-ups bzw.          langwierig Pläne und Lastenhefte erstellt wer-
junge Unternehmen zum Teil leichter in beste-         den (siehe auch Abschnitt Digitalisierung – mehr als
hende Märkte eintreten, neue etablieren oder          Technologisierung). Das Projektteam fängt mit we-
Nischen besetzen. Die Eintrittsbarrieren sind         nigen Grundvorgaben an; die restlichen Anfor-

                                                                              Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen   11
derungen und Ziele werden während des Ent-         von Arbeitszeiten und Beschäftigungsformen
                                  wicklungsprozesses bestimmt. Die Entwicklung       an Bedeutung gewinnen. Da künftig weniger
                                  neuer Produkte und Dienstleistungen zielt dar-     arbeitsintensiv produziert wird, geht die Be-
                                  auf ab, schnell ein funktionsfähiges Angebot zu    deutung des Faktors Arbeit bei vielen Stand-
                                  haben. Geschwindigkeit geht dabei vor Perfek-      ort- und Produktionsentscheidungen zurück,
                                  tion, sprich das Produkt oder die Dienstleistung   während die Qualität der Infrastruktur in den
                                  muss funktionsfähig, aber noch nicht ausgereift    Fokus rückt. Bei der Beurteilung der staatlichen
                                  sein („minimum viable product“). Die Weiter-       Infrastrukturausstattung stehen heute die Leis-
                                  entwicklung erfolgt am Markt, unter anderem        tungsfähigkeit des Verkehrssystems (Straße,
                                  basierend auf den ersten Kundenfeedbacks.          Schiene, Luft, Wasserwege) sowie die sichere
                                  Unternehmensgründer haben hier den Vorteil,        und kostengünstige Energieversorgung im Vor-
                                  dass sie meist von vornherein nach diesem agi-     dergrund. Künftig wird die Leistungsfähigkeit
                                  len Ansatz handeln. Zudem sind bei Start-ups       der Infrastruktur eines Landes jedoch ganz ent-
                                  die Flexibilität und die Freiräume ausgeprägter.   scheidend von den Übertragungsraten sowie
                                  Das macht sie zu Treibern des digitalen Struk-     der Zuverlässigkeit und der Sicherheit der Da-
                                  turwandels. Die Zusammenarbeit von Start-ups       tennetze abhängen, d.h. von der digitalen In­
                                  mit bestehenden Unternehmen ist dabei eine         frastruktur.
                                  Option für die Stimulierung des digitalen Wan-
                                  dels. Mitunter versuchen bestehende Unterneh-      Investitions- und damit wachstumsfreundliche
                                  men im Zuge der Digitalisierung auch dieses        institutionelle Rahmenbedingungen gewinnen
                                  „Start-up-Flair“ bei sich selbst zu etablieren.    in dem durch eine schnelle Abfolge technischer
                                  Das geschieht indem sie einerseits vermehrt bei    Innovationen und neuer Geschäftsmodelle ge-
                                  dem Projektmanagement agile Methoden wie           kennzeichneten digitalen Zeitalter an Bedeu-
                                  Scrum statt des „Wasserfallmodells“ einsetzen.     tung. Damit erlangen die Schnelligkeit und die
                                  Andererseits richten sie sogenannte „Innovati-     Effizienz bürokratischer Prozesse eine noch
                                  on Labs“ ein. Diese stellen einen Gegenentwurf     größere Standortrelevanz. Zu einem sehr wich-
                                  zum klassischen Innovationsprozess dar, der        tigen Wettbewerbsfaktor dürften zudem die
                                  überwiegend in den Strategiezentren und Labo-      Regeln zum Schutz geistigen Eigentums wer-
                                  ren der Unternehmen stattfindet mit nur punk-      den.
                                  tuellem Kontakt zur Außenwelt. Die Labs – ein
                                  entweder physischer oder virtueller Raum – er-     Diese Veränderungen haben Auswirkungen auf
                                  möglichen eine Initiierung bzw. Umsetzung in-      die weltweite Verteilung der Produktionsstand-
                                  novativer Ideen außerhalb etablierter Routinen     orte. Bis in die jüngere Vergangenheit sind ar-
                                  und auch außerhalb der Unternehmen. Abseits        beitskostenintensive Fertigungen oft aus Hoch-
                                  der möglicherweise als lähmend empfundenen         lohn- in Niedriglohnländer nach Osteuropa und
                                  Strukturen und Prozesse können Innovationen        Asien verlagert worden. Damit versuchten die
                                  entwickelt und getestet werden. Für begrenzte      Unternehmen, ihre preisliche Wettbewerbsfä-
                                  Zeit können die Mitarbeiter jeweils offen in den   higkeit zu erhöhen. Nun könnte es zu Rückver-
                                  Labs zusammenarbeiten und neue Ideen entwi-        lagerungen der Produktion in Hochlohnländer
                                  ckeln, wobei mitunter auch Kunden in den Pro-      kommen. Durch den Einsatz additiver Ferti-
                                  zess eingebunden werden.                           gungstechnologien wie 3D-Druck verringern
                                                                                     sich die Arbeitskosten bzw. deren Bedeutung.
                                  Standortentscheidung                               Das gleiche Resultat ergibt sich beim Wandel
                                  Durch die digitale Transformation von Prozes-      der Produktion hin zur „Smart Factory“ mit ver-
                                  sen, Produkten und Geschäftsmodellen werden        netzten Maschinen und autonom agierenden
                                  sich die Faktoren, welche die Wettbewerbs-         Produktionsanlagen. Außerdem wird eine de-
                                  fähigkeit und Attraktivität eines Wirtschafts-     zentrale Fertigung im digitalen Zeitalter leichter
                                  standorts bestimmen, signifikant verändern.        möglich. Eine dabei immer noch notwendige
                                  Mit fortschreitender digitaler Transformation      Zusammenarbeit mit anderen Unternehmens-
                                  wird die Bedeutung der Lohnkosten bei Stand-       bereichen oder Partnern kann in virtuellen Räu-
                                  ort- oder Produktionsentscheidungen abneh-         men erfolgen. Vieles spricht dafür, dass die Pro-
                                  men. Im Gegenzug werden – mit der Zunahme          duktion wieder häufiger in räumlicher Nähe zu
                                  befristeter Projektarbeiten durch eine stärkere    den Kunden stattfinden wird. Wenn Kleinserien
                                  Kundenorientierung und der kurzfristigen Aus-      bis hin zur „Losgröße 1“ wirtschaftlich werden,
                                  richtung der Produktion an der Auftragslage –      müssen Unternehmen weniger auf Größenvor-
                                  die Chancen und Risiken einer Flexibilisierung     teile und damit weniger auf einen möglichst

12   Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen
großen Standort achten. Unterstützt wird dies              Plattformanbieter richten müssen, da sie keinen
auch durch den Wandel der Wertschöpfungs-                  direkten Kundenzugang mehr haben und ein
kette zu einem Wertschöpfungsnetzwerk (siehe               direkter Vertrieb kaum möglich ist. Ohne die
auch Abschnitt Handlungsfeld: Kultur & Mitarbeiter). Mit   Plattform werden ihre Produkte und Dienstleis-
der stärkeren Steuerung und Kooperation über               tungen von den Kunden nicht wahrgenommen
die gesamte Wertschöpfungskette hinweg,                    bzw. entsprechen nicht deren Bedürfnissen.
können die Produktionskapazitäten unter den
verschiedenen Unternehmen aufgeteilt werden.                 Klöckner – Serviceplattform für den Stahlhandel
Die damit mögliche Spezialisierung und daraus
resultierenden Kostenvorteile erhöhen so eben-               Der Stahlhandel ist ein Bereich, der von geringen Margen und vielen Zwi-
falls das wirtschaftliche Potenzial einer Rück-              schenhändlern gekennzeichnet ist. Einen weiteren Preisdruck gibt es durch
verlagerung der Produktion.                                  ein verstärktes Angebot von Stahl aus China. Diese Überkapazitäten setzen
                                                             die Stahlbranche schon seit Längerem unter Druck und stellen eine Heraus-
Wettbewerb und Plattformisierung                             forderung für klassische Geschäftsmodells dar.
Bei digital transformierten Geschäftsmodellen                Dieses Geschäftsmodell ist hinsichtlich der Produktion auslastungsgetrie-
steht der Kunde stärker im Mittelpunkt. Dabei                ben: Im Stahlwerk wird eine maximale Menge produziert und anschließend
konfrontiert der Kunde die Unternehmen mit                   ins Lager gepackt, bis die Kunden den Stahl benötigen. Im Vorfeld ist nicht
neuen Anforderungen: personalisierten, preis-                genau bekannt, was der Handel und die Kunden wünschen. Es liegt dement-
günstigen und schnell verfügbaren Angeboten.                 sprechend eine mehrfach unterbrochene Wertschöpfungskette vor. Des
Werden die etablierten Unternehmen diesen                    Weiteren erfolgen die Bestellungen zum Teil noch via Telefon oder Fax.
Anforderungen nicht gerecht, dürften neue                    Vor diesem Hintergrund hat sich der Stahl- und Metallhändler Klöckner vor-
Wettbewerber dies als Chance begreifen, um im                genommen, diese Prozesse effizienter zu gestalten. Die Lösung dafür ist
Markt Fuß zu fassen. Neue Konkurrenten sind                  eine digitale Plattform für den Vertrieb, die von der internen „Start-up-Ein-
neben Start-ups auch etablierte Unternehmen,                 heit“ kloeckner.i mitentwickelt wurde.
die bisher auf anderen Märkten aktiv waren. Ein              Über diese Handelsplattform können die Kunden – auch Privatkunden – ihre
Beispiel ist Alphabet mit dem Tochterunterneh-               Bestellungen tätigen. Zudem gibt es Schnittstellen, mittels derer Großkun-
men Waymo für den Bereich Mobilität.                         den ihre Bestellungen direkt aus ihrem Warenwirtschaftssystem heraus vor-
                                                             nehmen können. In Zukunft soll es auch möglich sein, dass intelligente
Die Digitalisierung führt also zu einem inten-               Maschinen ihren eigenen Bedarf autonom bestellen. Klöckner zielt mit der
siveren Wettbewerb. Allerdings hat die digi-                 Plattform darauf ab, die gesamte Liefer- und Leistungskette zu digitalisieren.
tale Transformation auch eine potenziell wett-               Die Plattform ist allerdings mehr als ein reiner Webshop. Sie ist zugleich ein
bewerbshemmende Dimension: Im digitalen                      Kundenportal, auf dem auch der Vertragsstand eingesehen werden kann.
Zeitalter gewinnen digitale Plattformen und                  Klöckner plant die Plattform zu einer umfassenden Industrieplattform wei-
Marktplätze an Bedeutung (z. B. Suchmaschi-                  terzuentwickeln, die auch neue Bereiche wie den Werkzeugverkauf umfas-
nen, soziale Netzwerke, Online-Handelspor-                   sen kann. Künftig sollen auf dieser Plattform zudem die Produkte der Wett-
tale, Vergleichsportale, Sharing-Plattformen,                bewerber gekauft werden können. Mit der Öffnung der Plattform für Dritte
App-Stores, Medienplattformen). Plattforman-                 bzw. Wettbewerber können beispielsweise auch kleine und mittelständische
bieter besetzen die Schnittstellen zu den Kun-               Händler, die sich möglicherweise nicht eigenständig digitalisieren können,
den. Auf Plattformen werden auf Grundlage                    einen digitalen Verkaufskanal nutzen.
von Daten Dienste angeboten. Dadurch wird                    Das Unternehmen ist von den Vorteilen und Potenzialen der Plattform so
die Wertschöpfung neu verteil. Zwei oder meh-                überzeugt, dass es dieses Risiko der Kannibalisierung bei der Öffnung für
rere Gruppen von Kunden bzw. wirtschaftlichen                Wettbewerber in Kauf nimmt. Zu den Vorteilen zählt eine Verringerung des
Akteuren werden dort miteinander verbunden.                  Nettoumlaufvermögens und eine Reduktion der teuren Lagerhaltung dank
                                                             besserer Kalkulation der Nachfrage und so der Produktion im Vorfeld. Damit
Die Plattformen schieben sich zwischen den                   soll bis 2019 das Nettoumlaufvermögen um über ein Drittel reduziert wer-
Produzenten bzw. Dienstleister und den Kun-                  den (Freisetzung von 100 Millionen Euro Kapital). Außerdem dient die Platt-
den. Dadurch nehmen die Plattformen eine star-               form dazu, den Austausch mit den Kunden zu intensivieren und sie besser
ke Position ein, da im digitalen Zeitalter zuneh-            kennenzulernen. Mittels der Plattform können mehr Kundendaten erfasst
mend der Zugang zum Kunden im Vergleich zur                  und ausgewertet werden. Diese Erkenntnisse können für eine gezieltere
für ihn erbrachten Leistung an Bedeutung ge-                 Kundenansprache und mehr maßgeschneiderte Lösungen genutzt werden.
winnt. Nur wer Zugang zum Kunden hat, kennt                  Des Weiteren soll mit der Handelsplattform der Anteil des Umsatzes über
dessen Bedürfnisse. Die Kundendaten können                   digitale Kanäle bis 2019 auf 50 Prozent gesteigert werden. Erste erfolgreiche
die Plattformanbieter für neue Services nut-                 Erfahrungen wurden hierfür mit Webshops in den Niederlanden und der
zen oder den Produzenten bzw. Dienstleistern                 Schweiz gemacht, die zu einem höheren Anteil des Umsatzes über digitale
„diktieren“, was diese zu liefern haben. Produ-              Kanäle führten. Klöckner ist davon überzeugt, dass, wenn sie diesen Schritt
zenten und Dienstleister werden sich nach dem                nicht gehen, es ein anderes Unternehmen macht.

                                                                                  Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen   13
Grundsätzlich verringern Plattformen, die einen    Plattformen sind allerdings nicht nur wett-
                                  zentralen Austauschort etablieren, die Trans-      bewerbshemmend. Ein Beispiel dafür sind
                                  aktionskosten (Such- und Informationskos-          App-Stores. Zwar gibt es eine Konzentration
                                  ten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten,        auf wenige App-Stores, aber dort sind jeweils
                                  Durchführungs- und Überwachungskosten) für         viele Unternehmen vertreten, sodass für jede
                                  die einzelnen Akteure. Damit sind Plattformen      erdenkliche Anwendung eine Vielzahl von An-
                                  insbesondere für kleine Unternehmen interes-       geboten vorhanden ist. Ebenso muss die Ent-
                                  sant, die begrenztere finanzielle Möglichkeiten    wicklung der Plattformisierung nicht zwingend
                                  haben und so ohne großen Aufwand viele po-         auf einen Monopolanbieter hinauslaufen. Bis-
                                  tenzielle Kunden erreichen können. Ein weiterer    herige Erfahrungen zeigen, dass sich vielmehr
                                  Nutzen von Plattformen ist die Realisierung von    ein Oligopol herausbildet, bei dem es in jedem
                                  Skalenerträgen, da die Grenzkosten bei zusätz-     Marktsegment drei bis fünf dominierende Platt-
                                  lichen Nutzern gegen null tendieren. Eine stei-    formen gibt (z. B. Betriebssysteme für Com-
                                  gende Anzahl von Nutzern geht insofern mit         puter oder Mobiltelefone, Gaming-Stations).
                                  sinkenden Durchschnittskosten einher.              Kunden nutzen dementsprechend bewusst
                                                                                     mehrere Plattformen nebeneinander („Multiho-
                                  Finden sich mindestens zwei Nutzergruppen          ming“). Die Marktmacht von Plattformen wird
                                  auf einer Plattform, bilden sich „zweiseitige“     durch Multihoming begrenzt. Dabei hängt die
                                  Märkte, bei denen Netzwerkeffekte entstehen.       Möglichkeit zu Multihoming unter anderem von
                                  Direkte Netzwerkeffekte resultieren aus der        den Wechselkosten ab. Sind diese sehr niedrig
                                  Größe der Plattform: Mit einer großen Zahl an      wie bei Suchmaschinen können Nutzer sehr
                                  Nutzern wird die Plattform attraktiver für neue    einfach zwischen verschiedenen Anbietern
                                  Nutzer, sodass ein Sog zur größten Plattform       wechseln. Bei sozialen Netzwerken oder auch
                                  entsteht. Indirekte Effekte entstehen durch die    Verkaufsplattformen, bei denen beispielsweise
                                  Interaktion verschiedener Nutzergruppen. Je        die erworbene Reputation (z. B. Bewertungen)
                                  mehr Unternehmen beispielsweise auf einem          nicht auf andere Plattformen übertragen wer-
                                  Stellenportal vorhanden sind, desto mehr Be-       den kann, sind die Wechselbarrieren höher.
                                  werber registrieren sich dort, was wiederum die
                                  Attraktivität des Portals für neue Unternehmen
                                  erhöht.

                                  Für Kunden ergeben sich außerdem Lock-in-Ef-       Arbeitsmarkt
                                  fekte: Da ein Wechsel der Plattform eher mit
                                  hohem Aufwand verbunden wäre, bleiben die          Wandel der Tätigkeiten
                                  Kunden auf der einmal gewählten Plattform.         Die digitale Transformation verändert auch den
                                  Durch die Netzwerkeffekte kommt es zu einer        Einsatz und die Organisation des Faktors Arbeit
                                  „Winner-takes-it-all“-Situation: Die Plattform,    sowie die Anforderungen, die an ihn gestellt
                                  die sich bei der Nutzergewinnung einen Vor-        werden. Digitale Technologien können mensch-
                                  sprung verschafft, verdrängt die Konkurrenz,       liche Arbeit automatisieren. Das gilt vor allem
                                  auch wenn diese technisch überlegen sein mag.      für Routinetätigkeiten, die repetitiv sind und
                                  Das Resultat ist eine zunehmende Marktkon-         nach einem vorgegebenen Schema ablaufen.
                                  zentration mit Tendenzen zum Monopol, was          Es handelt sich um Tätigkeiten, die weder eine
                                  sich negativ auf den Wettbewerb auswirkt. Eine     ausgeprägte Auffassungsgabe noch den Ein-
                                  weitere Gefahr für den Wettbewerb ist das ent-     satz einer diffizilen Motorik, von Kreativität oder
                                  stehende Datenmonopol, das die monopolähn-         sozialer Intelligenz erfordern. Dabei geht es kei-
                                  lichen Stellungen der Plattformen weiter ver-      neswegs nur um einfache Tätigkeiten am Fließ-
                                  festigt und die Markteintrittsbarrieren für neue   band oder im Dienstleistungssektor. Routinetä-
                                  Anbieter erhöhen. Diese müssten über einen         tigkeiten gibt es auch in vielen „hochwertigen“,
                                  vergleichbaren Reichtum an Daten verfügen,         akademischen Berufen. Auf Basis künstlicher
                                  um ähnliche Angebote zu ermöglichen.               Intelligenz werden beispielsweise „Schreibrobo-
                                                                                     ter“ im Journalismus und juristische „Beratungs-
                                  Aus Wettbewerbssicht ist es außerdem nega-         roboter“ eingesetzt. Maschinen können die
                                  tiv, dass ein marktbeherrschender Plattforman-     Menschen aber auch im Bereich der Bankbera-
                                  bieter seine Stellung auf einen anderen Markt      tung, Steuerberatung, Immobilienvermarktung,
                                  übertragen kann (z. B. Alphabet: Google-Suche      Wirtschaftsprüfung und der Medizin ersetzen,
                                  und Android-Betriebssystem für Mobiltelefone).     sofern es sich um Routinetätigkeiten handelt.

14   Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen
In der Medizin ist dies beispielsweise bei der       Entwicklung der Arbeitsnachfrage und
Krebserkennung auf radiologischen Aufnahmen          Polarisierung am Arbeitsmarkt
zu beobachten. Das Vorgehen dabei beruht auf         Die Automatisierung von Tätigkeiten im Zuge
einem festen Schema bzw. Merkmalen. Ein Sys-         der digitalen Transformation löst ferner Be-
tem künstlicher Intelligenz ist bei der Erkennung    fürchtungen vom „Ende der Arbeit“ aus. Ge-
von Tumoren dem Menschen überlegen. Die              stützt werden solche Befürchtungen durch Stu-
künstliche Intelligenz hat aber (noch) Grenzen.      dien wie die von Carl Benedikt Frey und Michael
So kommen „Schreibroboter“ und „Beratungsro-         A. Osborne. Dieser Analyse zufolge arbeiten
boter“ bisher erst in Standardfällen zum Einsatz.    47 Prozent der Beschäftigten in den USA in
Schreibroboter können Artikel mit einem festen       Berufen, die durch die digitale Transformation
Schema über Fußballspiele oder Unternehmens-         stark bedroht sind. Deren Tätigkeiten könnten
bilanzen verfassen, sie würden aber bei investi-     innerhalb von 20 Jahren mit einer zwischen 70
gativen Artikeln, Kommentaren oder Reporta-          und 100 Prozent liegenden Wahrscheinlichkeit
gen scheitern. Gleiches gilt für den juristischen    durch Maschinen ausgeübt werden. Eine Über-
Bereich: Digitale Technologien können Klienten       tragung dieser Analyse auf Deutschland kommt
Auskünfte über rechtliche Standardprobleme           zu einem Wert von 42 bzw. 59 Prozent der Be-
geben, die eindeutig in Gesetzen oder Gerichts-      schäftigten. Berücksichtigt man allerdings bei
urteilen geregelt sind. Diese Gesetze und Urteile    solchen Analysen, dass nicht Berufe, sondern
werden künftig verstärkt „maschinenlesbar“ ge-       einzelne Tätigkeiten automatisiert werden, re-
speichert. In Fällen, bei denen sie sich nicht auf   duziert sich der Anteil auf 12 bzw. 15 Prozent.
Vorlagen stützen können und Gesetze auslegen         Zudem ist stets von einem technischen Po-
müssen, also Kreativität benötigt wird, kämen sie    tenzial die Rede. Bei der Entscheidung, ob Er-
allerdings an ihre Grenzen. Diese Grenzen sind       werbstätige an ihren Arbeitsplätzen durch Ma-
jedoch temporär und verschieben sich im Lau-         schinen ersetzt werden, spielen allerdings auch
fe des technologischen Fortschritts. Was heute       Kostenaspekte und soziale Überlegungen eine
noch eine Nicht-Routinetätigkeit ist, kann mit       Rolle. Und selbst wenn im Zuge der digitalen
zunehmender Leistungsfähigkeit von Compu-            Transformation Arbeitsplätze verloren gingen,
tern und Algorithmen schon in wenigen Jahren         muss dies nicht zwingend auch einen Rückgang
automatisierbar sein. Ein Beispiel dafür ist das     der Erwerbstätigkeit bedeuten. Parallel zum
selbstfahrende Auto, das renommierte Wissen-         möglichen Abbau von Arbeitsplätzen entstehen
schaftler noch 2003 für unmöglich hielten.           in der digitalen Arbeitswelt auch neue Arbeits-
                                                     plätze bzw. Erwerbsmöglichkeiten. So zeigte
Die zweite Einsatzmöglichkeit von Robotern           sich bei früheren technologischen Umbrüchen,
ist die Unterstützung der Beschäftigten bei der
Ausübung ihrer Tätigkeiten. Leichtbaurobo-           Automatisierungspotenziale verschiedener
ter – sogenannte „Cobots“ –, die außerhalb von       Berufsfelder Prozentualer Anteil der Tätigkeiten
„Schutzkäfigen“ eingesetzt werden können, er-        im Beruf, die heute schon automatisierbar sind
möglichen eine echte Zusammenarbeit mit dem
Menschen. Die Beschäftigten können die digita-                                Chemie- und Kunststoffberufe     89,8 %
len Technologien als reine Werkzeuge verwen-                                  Bergbauberufe		                  83,9 %
                                                                              Metallerzeugung und -bearbeitung 82,5 %
den oder mit vernetzten Objekten gemeinsam                                    Keramik- und Glasberufe          82,1 %
Kontroll- und Steuerungsaufgaben übernehmen.                                  Papierherstellung und
                                                                              -verarbeitung		                  79,9 %

Der Einsatz digitaler Technologien zur Automa-
tisierung oder Unterstützung kann die Arbeits-
produktivität steigern und die Anzahl gesund-                                 Finanzwesen und Buchhaltung 69,9 %
heitsgefährdender Arbeitsplätze verringern. Die                               Kaufmännische Büroberufe    53,7 %
                                                                              Verkaufsberufe		            43,3 %
Beschäftigten müssen weniger monotone, kör-                                   Bauberufe			24,1 %
perlich anstrengende oder gesundheitsgefähr-                                  Rechtsberufe		              18,4 %
dende Tätigkeiten ausüben.

Damit erlaubt die Digitalisierung eine bessere                                Wachberufe		                     5,9 %
Unterstützung der körperlichen und kognitiven                                 Gesundheitsberufe
                                                                              mit Approbation		                5,7 %
Fähigkeiten der Beschäftigten und erleichtert                                 Soziale Berufe		                 5,3 %
damit sowohl den Einsatz von älteren Menschen                                 Lehrer/innen		                   3,1 %
                                                                              Berufe der Körperpflege          2,3 %
als auch die Beschäftigung von Menschen mit
Behinderung.
                                                     Quelle: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung

                                                                                      Digitalisierung und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen   15
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