Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
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Dokumentation 2016 Geschäftsstelle STADT FORUM POTSDAM Dr. Ing. Günter Schlusche Dokumentation STADT FORUM POTSDAM 2016 Bassermannweg 7 12207 Berlin-Lichterfelde Tel 030 771 97 59 Fax 030 771 17 61 Email: guenter.schlusche@web.de Impressum Herausgeber: STADT FORUM POTSDAM Dipl. Ing. Albrecht Gülzow Dipl. Phil. Saskia Hüneke Dipl. Ing. Philipp Jamme Inhaltsverzeichnis Dipl. Ing. Hajo Kölling Dipl. Ing. Dieter Lehmann Seite Dr. Volker Pohl Einführung Oberbürgermeister Jann Jakobs 3 Prof. Dipl. Ing. Bernd Steigerwald Prof. Dr. Hermann Voesgen Übersicht der Sitzungen 3 Dipl. Ing. Christian Wendland Albrecht Gülzow 4 Bearbeitung Dr. Ing. Günter Schlusche Dokumentation 55. Sitzung des STADT FORUMS POTSDAM am 21.4.2016 Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung - Konflikte und Chancen 5 Gestaltung Erich Wrede, Grafik Design BDG, Potsdam Leitgedanken der Kerngruppe 5 Druck Druckerei Rüss, Potsdam Beitrag Saskia Hüneke 8 Beitrag Roland Roth 1O Weitere Informationen zum STADT FORUM POTSDAM sowie die Empfehlungen der Kerngruppe 13 Dokumentationen der zurückliegenden Jahre sind im Internet unter www.potsdam.de/stadtforum zugänglich. Dokumentation 56. Sitzung des STADT FORUMS POTSDAM am 7.7.2016 Wachsende Stadt – Begrenzte Flächen – Bedrohte Qualitäten 14 Potsdam, im März 2017 Leitgedanken der Kerngruppe 14 Empfehlungen der Kerngruppe 17 Abbildungsnachweise und -erläuterungen: Umschlagfoto: Blick vom Turm der Heilig-Geist-Residenz nach Dokumentation 57. Sitzung des STADT FORUMS POTSDAM am 3.11.2016 Westen auf die Potsdamer Innenstadt (Foto Aufstellung und Rückführung der Attikafiguren auf dem Hagen Immel, März 2017) Neubau des Stadtschlosses? 18 S. 7: Kati Schiemann/Landeshauptstadt Potsdam Leitgedanken der Kerngruppe 18 S. 9: Tabelle Saskia Hüneke S. 15: Stadtverwaltung Potsdam/PWG Beitrag Christian Wendland 26 S. 16 oben: Stadtverwaltung Potsdam Empfehlungen der Kerngruppe 28 S. 16 unten: Stadtplanungsamt Heidelberg, Annette Friedrich S. 17 Mitte: Regionale Planungsgemeinschaft Havelland- Fläming, Torsten Naubert Anhang STADT FORUM POTSDAM – Ziele und Merkmale 32 S. 19 und S. 22 oben und Mitte: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin- Arbeitsvereinbarung des STADT FORUMS POTSDAM 34 Brandenburg (SPSG) Pressespiegel 34 S. 22 unten links:Präsentation Kai Kappel/Sabine Kunst, Foto Barbara Herrenkind, HU Berlin S. 22 unten rechts:Präsentation Kai Kappel/Sabine Kunst, Kerstin Wittmann-Englert, TU Berlin/ Sarah Klein, Kunstsammlungen und Museen Augsburg S. 23 oben: SPSG S. 23 unten: Fotos Hans –Christian Schink/Büro Peter Kulka, Köln S. 24 oben: Präsentation Kai Kappel/Sabine Kunst, Humboldt-Universität Berlin, Foto Barbara Herrenkind S. 24 unten und S. 25: Landesdenkmalamt Berlin – Archiv S. 26 oben und unten: Foto Dr. Peter Michael Bauers S. 26 Mitte: Montage Mitteschön Potsdam/Regine Rüss/ Dr. Joachim Kuke S. 27: Christian Wendland, Potsdam Fotos auf den S. 2, 6, 8, 9, 11, 13, 28, 29, 30, 31, 32 und 33 unten: Barbara Plate Fotos auf den S. 4, 16, 17 und 33 oben::Robert Schnabel Die Arbeit des STADT FORUMS POTSDAM im Jahr 2016 und die Realisierung dieser Dokumentation wurden durch finanzielle Zuwendungen sowie durch Sachleistungen der Stadtverwaltung Potsdam gefördert. Der Stadtverordnetenversammlung, der Stadtverwaltung und dem Oberbürgermeister der Stadt Potsdam, Herrn Jann Jakobs, gilt unser herzlicher Dank. OB Jann Jakobs (rechts) mit Mitgliedern der Kerngruppe bei der Vorstellung der Dokumentation 2015 am 14.4.2016 2
Vorwort des Oberbürgermeisters Übersicht der Sitzungen Das STADT FORUM POTSDAM hat mit seinen Veran- widmete sich einem Thema, dass in der Vorbereitung 1998 1. Stadtmitte und Verkehr 2. Funktion und Gestalt der Mitte – Bedeutung für die Gesamtstadt staltungen im Jahr 2016 ein Themenspektrum aufge- und Durchführung eine besondere Herausforderung 3. BUGA 2001 – Chance für Potsdam griffen, mit dem die Wechselwirkung der dynamische darstellte und mit sehr unterschiedlichen Erwartungen 1999 4. Die „Mitten“ Potsdams – Beispiel Projekt – Alte Stadtgärtnerei Entwicklung der Stadt mit dem bürgerschaftlichen verbunden war. Der Kerngruppe war es mit der Be- 5. Insel Potsdam – Stadtlandschaft am Wasser und Ausbau der Wasserstraßen Engagement und den erhaltenswerten bzw. wieder setzung des Podiums gelungen, eine große Zahl von 6. Wohnungsbau und Bevölkerungsentwicklung in Potsdam zu gewinnenden Qualitäten unserer Landeshauptstadt Experten zusammen zu führen, ahnend dass die 2000 7. Gewerbeflächen und Arbeitsplätze in Potsdam ihre Widerspiegelung fand. Spannweite der Positionen kaum zu einem Konsens 8. Kulturstadt Potsdam 9. Gestalterische Ansprüche und Bedeutungswerte zu führen sein würde. In den Beiträgen der Podiums- für die zukünftige Mitte Potsdams Dazu hat das STADT FORUM POTSDAM mit der 55. bis teilnehmer wie auch in der zum Teil recht emotional 2001 10. Stadtteilzentren und Zentrenkonzepte für die Neubaugebiete 57. Sitzung zu den Themen „Stadtentwicklung und geführten Diskussion war es auch für mich eine we- 11. Preußenjahr 2001 – Wiederaufbau der Garnisonkirche? 12. Leitlinien der Stadtentwicklung Potsdams bis 2015 Bürgerbeteiligung“, „Wachsende Stadt – Begrenzte sentliche Erkenntnis, dass die Lösung nicht erstrangig 2002 13. Öffentlicher Raum – Öffentliche Plätze Flächen – Bedrohte Qualitäten“ und „Aufstellung der in der Analyse der Eigentums- und Zuständigkeits- 14. Potsdamer Norden – Potsdamer Süden 15. Kulturstadt Potsdam - Kulturhauptstadt Europas? Attika-Figuren auf dem Landtagsneubau in Potsdam“ fragen, sondern auch im weiteren Diskurs zu den gut strukturierte und qualifiziert besetzte Foren an- bemerkenswert unterschiedlichen denkmalfachlichen 2003 16. Zwischenbilanz der Konversion 17. Gestaltungsansprüche für Architektur in Potsdam geboten, die dem großen Bedarf an Information und Fragen liegt. 18. Potsdam - Alt und Neu - Nord und Süd gesellschaftlichem Diskurs Rechnung trugen. 2004 19. Potsdam – Stadt der Gärten und Parks Im Landtagsschloss sind schon heute hunderte 20. Potsdam von außen 21. Älter werden in Potsdam Folgerichtig widmete sich die erste Sitzung auch von Spolien des zerstörten Stadtschlosses verbaut. 2005 22. Zukunft der Potsdamer Mitte unmittelbar der Bürgerbeteiligung. Über den hier Wir Potsdamerinnen und Potsdamer argumentieren, 23. Zukünftige Schwerpunkte und Struktur der Potsdamer Kulturpolitik 24. Potsdam und der Tourismus gewählten Kontext der Stadtentwicklung hinaus ist dass auch die Stadtschlossfiguren, die heute in Berlin die Diskussion auch für andere Themen der stadtge- auf der Humboldt-Universität stehen, dazu gehören. 2006 25. Potsdams Funktionen als Landeshauptstadt 26. Städtebau und Architektur der Moderne in Potsdam sellschaftlichen Reflektion von hoher Bedeutung und Die Vertreter aus Berlin dagegen sagen, die Figuren 27. Mitte für die Stadt – Der Landtagsneubau übertragbar. Dafür gibt es in Potsdam eine breite gehören zu dem von der SED zur Repräsentation 2007 28. Sport in Potsdam 29. Die Zukunft des Potsdam-Museums Palette von Formaten und Prozessen. Insbesondere der „Hauptstadt der DDR“ neu zusammengefügten 30. Politische Gewalt des 20. Jahrhunderts - Orte der Erinnerung in Potsdam die Erörterung der gegenseitigen Abhängigkeit von „Forum Fridericianum“, dass den Wiederaufbauwillen 2008 31. Vom Telegraphenberg zur Speicherstadt Bürgerbeteiligung und repräsentativer Demokratie des ostdeutschen Staates in dieser Zeit deutlich macht 32. Der Alte Markt und sein Umfeld 33. Potsdam als Erinnerungsort zeigte, dass gerade in einer dynamischen Stadtgesell- und damit eigenen Denkmalwert besitzt. schaft das Hinterfragen von Entscheidungen letztlich 2009 34. Klimaschutz für Potsdam - Das Beispiel Bornstedter Feld 35. Architektonische Vielfalt und Nutzungsmischung in Potsdams Mitte von Strukturen und Kontinuität bestimmt sein muss, Zum Glück sind die acht Figuren in Berlin nur der 36. Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen als Standortfaktoren um die Handlungsfähigkeit einer Kommune zu si- kleinste Teil von alten Figuren und Figurfragmenten, 2010 37. Leitbauten- und Nutzungskonzeption für die Potsdamer Mitte 38. Verkehr in Potsdam chern. Nicht zuletzt gehört auch das STADT FORUM die in den Depots der Stiftung Preußische Schlösser 39. Klimaschutzkonzept für Potsdam POTSDAM selbst zu den erprobten und anerkannten und Gärten liegen und auf ihre Restaurierung warten. 40. 2011 DDR-Architektur in Potsdam Formaten der Potsdamer Diskussionskultur. Die Wiederaufstellung von Attikafiguren auf dem Land- 41. Stadtlandschaft Ufer – Potsdams Uferzonen 42. Neubebauung am Alten Markt – Ergebnisse der Vergabeverfahren tagsschloss wird also dank Spenden auch in Zukunft zum Havelufer Bereits im Titel der Sitzung zum Thema „Wachsende weitergehen. 2012 43. Stadtentwicklungskonzept Verkehr Stadt – Begrenzte Flächen – Bedrohte Qualitäten“ wi- 44. Neues Wohnen für Potsdam 45. Innovative Beteiligungsformen in der Stadtentwicklung derspiegelt sich die Komplexität der Herausforderungen, Abschließend möchte ich mich für das anhaltende 2013 46. Entwicklung der Kaserne Krampnitz die auch weiterhin in unsere Stadt zu bewältigen sind. ehrenamtliche Engagement der Kerngruppe des STADT 47. Wohnen heißt Bleiben Flächenkonkurrenzen werden in den nächsten Jahren FORUM POTSDM recht herzlich bedanken. Um diese 48. Tickets und Events in Potsdam zunehmen und bedürfen eines vorausschauenden Plattform für die öffentliche Diskussion auch künftig 2014 49. Potsdams Schulbildungslandschaft 50. Soziokulturelle Zentren im Umbruch Managements. Sowohl der Beitrag aus Heidelberg nutzen zu können, sichere ich dem STADT FORUM 51. Stadtentwicklung im Weltkulturerbe als auch das Potsdamer Beispiel haben gezeigt, dass POTSDAM sowohl meine persönliche als auch die 2015 52. Kreativwirtschaft in Potsdam ein offensives Umgehen mit ambivalenten Zielen einer Unterstützung der Verwaltung zu. 53. Integration von Flüchtlingen 54. Leitbautenkonzept – Evaluation und Fortschreibung hohen Kunst der Moderation, des Denkens in Pla- nungsalternativen und der Suche nach Kompromissen 2016 55. Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung 56. Wachsende Stadt – Begrenzte Flächen bedarf. Nur wenn wir in Potsdam eine größere soziale 57. Rückführung der Stadtschlossfiguren? und funktionale Nähe akzeptieren, werden wir die 2017 58. Klimaschutz in Potsdam Qualitäten von Welterbestätten und Erholungsräumen 59. Der Standort Golm erhalten können. 60. Religiöse Glaubensgemeinschaften in Potsdam Weitere Themen: Zukunft der Wohngebiete im Südosten Die dritte Sitzung des Jahres zur „Aufstellung der Stadt- Entwicklung des Tourismus schlossfiguren auf dem Landtagsneubau in Potsdam“ Jann Jakobs Gewerbe in Potsdam 3
STADT FORUM POTSDAM Einführung der Kerngruppe In Zeiten, in denen der Ton rauer wird und man nach einfachen Beispiel einer vergleichbaren Stadt wie Heidelberg Anregungen zur „Lindenforum“ bezeichnet. Aus Berliner Perspektive sind die Figuren Lösungen ruft, bleibt es für eine Stadtgesellschaft besonders wichtig, Qualifizierung von Freiräumen und neuartig gemischten Stadtvierteln, Gegenstand des städtebaulichen Denkmals und unabhängig von im Gespräch zu bleiben, den Austausch der Meinungen zuzulassen dort „Wissensquartiere“ genannt. Die Vermeidung von Flächenkon- einem Leihvertrag nicht wieder aus dem dortigen Zusammenhang her- und allen nötigen Beschlüssen die mögliche Transparenz zu geben. kurrenzen zu Gunsten der gemischten Stadt, die ohne Monostruktu- aus zu lösen. Dagegen steht die Potsdamer Sichtweise, die die Rück- Dafür ist das STADT FORUM POTSDAM gegründet worden. Ende der ren auskommt und damit weniger Verkehr erzeugt, sollte eine Lösung führung der originalen Figuren als Höhepunkt des mit erheblichem 1990er-Jahre war die politische Kraft bürgerschaftlichen Engage- sein. Es wurde positiv vermerkt, dass entgegen der Ausweisung von bürgerschaftlichem Engagement wieder hergestellten Alten Marktes ments noch sehr präsent, hatte doch erst die Einmischung der Potsda- Einfamilienhausgebieten im Potsdamer Umland in der Stadt selbst versteht. Die Aufstellung der Figuren ist dabei die logische Konsequenz mer Initiativen neue Leitbilder für die Entwicklung der Stadt gesetzt. vorwiegend der flächensparende Geschoßwohnungsbau realisiert zu den vielen in den Landtagsneubau bereits eingefügten Spolien. Die Wende in Potsdam hatte sich wie vielerorts an der Ignoranz der werden kann. Es konnte auch durch die Verwaltung überzeugend Macht im Umgang mit der arg gebeutelten, aber erhaltungswürdigen dargestellt werden, dass die Stadt die Herausforderungen einer wach- Obwohl in der Sitzung die beiden Sichtweisen nebeneinander stehen Stadtstruktur entzündet. Die großflächigen Abrisse in der Innenstadt senden Gesellschaft annehmen kann. Mit der realistischen Planung bleiben mussten, wurde schnell deutlich, dass denkmalpflegerische oder die Verwahrlosung des Pfingstberges fanden ohne wirkliche von ca. 16.000 Wohnungen in den nächsten 20 bis 30 Jahren wird Entscheidungen immer in gesellschaftliche Situationen eingebettet Bürgerbeteiligung statt. Sie waren Teil einer von oben gelenkten das erforderliche Potential nachgewiesen. Solange dabei der Schutz sind. Das betrifft nicht nur die Gegenwart. Offensichtlich ist noch eini- Gesellschaftsstruktur, die keine Antworten mehr für die wirklichen der charakteristischen Grün- und Freiflächen Vorrang hat, kann nicht ges unerforscht an den damals wirklich Ausschlag gebenden Entschei- Probleme geben konnte. Das bürgerschaftliche Engagement war eine nur die Quantität, sondern auch die Qualität der neuen Wohnquartiere dungen. Es wurde empfohlen, dazu die historischen Forschungen zu entscheidende Triebfeder für die tiefgreifenden Veränderungen, die die gesichert werden. Dennoch unvermeidbare Nutzungskonkurrenzen vertiefen bevor die erste Skulptur aus konservatorischen Gründen de- Stadt bis heute erlebt. Das STADT FORUM POTSDAM wollte sich sollten möglichst mit der Kunst des Kompromisses ausgehandelt wer- poniert werden muss. Spätestens dann müssen auf beiden Gebäuden in einer neuen diskursiven Qualität einmischen, mitmachen und den den, wie es in dem überzeugend präsentierten Beispiel des Projektes Kopien vorgesehen werden. Die Potsdamer Stadtgesellschaft wäre Prozess der neuen Veränderungen begleiten. Eines ist nach den 57 „Wohnen in den Obstgärten“ in Babelsberg realisiert wird. Die Sit- erfreut, wenn dieser Vorgang nicht einfach ausgesessen würde und Sitzungen ganz klar geworden. Die einfachen Lösungen gibt es auch zung hat gezeigt, dass bei Einhaltung dieser Bedingungen Potsdams sich durch Nichtstun erledigte, sondern im Interesse der Bürgerschaft bei der Stadtentwicklung nicht. Wann begann die Wiederherstellung Wachstum beherrschbar ist. Das STADT FORUM POTSDAM wird sich erforscht und eventuell zu neuer Entscheidung gebracht wird. des Alten Marktes? Mit dem Abriss des Theaterrohbaus 1991 oder das nächste gemischte Wohnquartier mit seinen Freiräumen ansehen. schon mit dem Beginn der Wiederherstellung der Kuppel der Niko- So hat das STADT FORUM POTSDAM 2016 wieder die Ebene für wich- laikirche 1946? Wie viele Beschlüsse liegen dazwischen, wie viele Die 57. Sitzung führte das STADT FORUM POTSDAM in ein zuerst als tige Diskussionen geboten. Durch die Vorbereitung der ehrenamtlich Träume und nicht erlaubte Diskussionen mehrerer Generationen? Insiderthema verkanntes Gebiet. Es ging um die „Rückführung der arbeitenden Kerngruppe wurden die notwendigen Impulsreferate Stadtschloss-Figuren auf das Gebäude des Landtagsneubaus“. Von organisiert, die Verwaltung unterstützte aus fachlicher Sicht und die So war es also an der Zeit, in der 55. Sitzung über „Stadtentwicklung diesen stehen acht Figuren auf dem Hauptgebäude der Humboldt- Stadtverordnetenversammlung sicherte den finanziellen Rahmen. und Bürgerbeteiligung“ zu reden. Sicher ist die Bürgerbeteiligung Universität in Berlin. Schnell wurde deutlich, dass dabei zwei Sicht- Dafür sind wir dankbar und sehen es auch als eine Bestätigung unserer heute für die einzelnen Prozesse rechtlich geregelt. Aber damit allein weisen nebeneinander stehen, die so nicht miteinander ins Gespräch Bemühungen. Wir danken auch allen Referenten, die sich die Zeit stellt sich bei den Menschen noch kein Vertrauen ein. Neue Sichtwei- kommen können. Wieder gibt es keine einfache Lösung. Die Berliner nehmen und sich auf die Reise nach Potsdam machen. Vor allem aber sen, Entwicklungen und Wertvorstellungen können in dynamischen Vorstellungen halten die Figuren für einen unverzichtbaren Bestandteil danken wir allen Teilnehmern, die sich einbringen in die unterschiedli- Stadtgesellschaften wie in Potsdam zur Hinterfragung von politischen einer bemerkenswerten Phase der Neubesinnung der DDR-Stadtpla- chen Diskussionen und diese weitertragen in die Stadt. Entscheidungen führen. Durch andere Bevölkerungsgruppen und nung auf die städtebauliche Rekonstruktion und frühe Preußenre- Problemstellungen werden die zeitbezogenen politischen Entschei- zeption in dem Vorzeigeareal des Forums Fridericianum, damals als Albrecht Gülzow dungen neu thematisiert. Gleichzeitig ist die Kontinuität der Prozesse eine wesentliche Grundlage der Demokratie und der Handlungsfä- higkeit der Gemeinde. Die Sitzung gab nicht nur einen Überblick über die neuen Beteiligungsformate in der Stadt Potsdam, die weit über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen, sondern stellte fest, dass Bürgerbeteiligung und repräsentative Demokratie in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen und einander bedürfen. Es war eine versöhnliche Botschaft der Sitzung, dass gut vorbereitete Beteiligungsprozesse Entscheidungen der gewählten Gremien inhaltlich bereichern und zu einer höheren Akzeptanz der trotzdem notwendigen Mehrheitsentscheidungen führen können. Die zweite, nicht minder spannende Sitzung des Jahres beschäftigte sich mit dem Thema „Wachsende Stadt – Begrenzte Flächen – Be- drohte Qualitäten“. Hier war wieder der schon oft geübte „Blick von außen“ sehr hilfreich. Potsdam steht mit dem Problem des Wachs- tums in Deutschland nicht ganz allein. So lieferte das gut präsentierte Halo Kölling und Albrecht Gülzow (beide Kerngruppe STADT FORUM POTSDAM) im Gespräch 4
55. Sitzung am 21.4.2016 „Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung – Konflikte und Chancen“ Leitgedanken der Kerngruppe Stadtentwicklung ist in der demokratischen Gesellschaft der demokratischen Verfasstheit des Gemeinwesens Aufstellungs- und Beschlussverfahren für Bebauungspläne nicht mehr ohne bürgerschaftliche Teilhabe und individu- und betrifft immer mehr Lebensbereiche z.B. die Ge- in der Regel mustergültig und verläuft meist problemlos. elles Engagement denkbar. Das zeigt die Betrachtung staltung der Energiewende und die Verkehrspolitik. Darüber hinaus spielt die Bürgerbeteiligung in den sämtlicher Entwicklungsprozesse im städtischen Raum Das gilt in besonderer Weise für die Kommune, wo neun in Potsdam festgelegten Sanierungsgebieten seit langer Zeit. Die Formen und Verfahren dieses Enga- individuelles Engagement und politische Verantwortung eine besondere Rolle. gements, also der Bürgerbeteiligung oder Partizipation, am unmittelbarsten aufeinander treffen. In der heute haben sich in den letzten 50 Jahren ständig gewandelt gültigen Kommunalverfassung und im kommunalen Pla- Die informelle Bürgerbeteiligung beruht nicht auf und neu ausgerichtet. Die Wende von 1989 hat deut- nungssystem ist die Bürgerbeteiligung eine feste Größe gesetzlichen Vorgaben, sondern entsteht aus der Mitte lich gezeigt, welch politische Kraft dieses Engagement – die Verfahren, Vorgaben und Stufen der Beteiligung sind der Gesellschaft oft auch ohne konkrete Intervention gewinnen kann: Die Initiativen von Potsdamer Bürger/ bundesrechtlich vorgegeben und haben sich ständig oder Vorhaben und hat höchst unterschiedliche Hand- inn/en für den Erhalt ihrer innerstädtischen Bauten und ausdifferenziert. In den letzten Jahrzehnten sind in allen lungsbereiche oder Politikfelder im Fokus (z.B. lokale gegen die Zerstörung der natürlichen Ressourcen der Landes- bzw. Kommunalverfassungen, so auch in Potsdam, Agenda 21- Arbeitsgruppen zur internationalen Klima- städtischen Entwicklung waren ein maßgeblicher Fak- Instrumente der direkte Demokratie (Bürgerbegehren und politik). Auf der kommunalen Ebene entsteht informelle tor, der in Potsdam zum Fall der SED-Diktatur und zur Bürgerentscheid) eingeführt worden, die das System der Bürgerbeteiligung oft in einem bestimmten Quartier Demokratisierung der gesellschaftlichen Entwicklung repräsentativen Demokratie wesentlich ergänzen. oder als Reaktion auf ein von Bürger/inn/en als entscheidend beigetragen hat. Sie haben das Stadtbild, Missstand empfundenes Problem. den sozialen Wert und den Charakter Potsdams, insbe- Damit wird deutlich, dass die Gestaltung der Zusammen- sondere seiner Innenstadt maßgeblich und unübersehbar arbeit zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung immer verändert. wichtiger für die Zukunftsfähigkeit einer Kommune wird Beispiele für bemerkenswerte Beteiligungsverfahren (s. Netzwerk Bürgerbeteiligung, Empfehlungen für eine und außerordentliches bürgerschaftliches Engagement Das Engagement zahlreicher damals gegründeter und verlässliche und wirksame kommunale Beteiligungs in Potsdam: oft bis heute bestehender Vereine, Initiativen und Per- politik, Juni 2015). Aus der Erkenntnis, dass Bürger- sonen (ARGUS Potsdam e.V., Pfingstberg e.V., Verein beteiligung einen festen Rahmen, Ressourcen und eine 1. Ein aufschlussreiches Beispiel für kommunale Potsdamer Stadtschloss e.V., Initiative Mitteschön, gewisse Struktur erfordert, hat Potsdam vor drei Jahren Bürgerbeteiligung in Potsdam ist der Neubau eines Förderverein für die Wiederherstellung des Stadtkanals, schon Konsequenzen gezogen und eine WerkStadt für neuen Sport- und Freizeitbades, der die Kommu- Förderverein zur Pflege niederländischer Kultur in Pots- Beteiligung eingerichtet, die „allen Einwohner/inn/en nalpolitik schon seit vielen Jahren beschäftigt. dam e.V usw.) war auch eine entscheidende Triebfeder Potsdams einen leichten Zugang zu verschiedenen For- Im Jahr 2010 hatte die StVV nach langen für die behutsame Erneuerung der 2. Barocken Stadter- men der aktiven Beteiligung ermöglichen will“ (home- Debatten entschieden, dieses Bad nicht nach dem weiterung und für die Wiedergewinnung der Potsdamer page der Stadtverwaltung Potsdam, s.u.) Entwurf des brasilianischen Architekten Niemeyer Mitte, die zu zahlreichen politischen Entscheidungen wie am Brauhausberg, sondern auf einem Standort Sanierungssatzungen und 2010 zum Leitbautenkonzept Bei der Bürgerbeteiligung ist zwischen der formellen im Potsdamer Norden (Volkspark Bornstedter einschließlich der teilweisen Rekonstruktion von einzel- d.h. gesetzlich geregelten und der informellen Feld) zu bauen und dafür ein Kostenvolumen von nen Gebäuden im Bereich um den Alten Markt führten. d.h. frei gestaltbaren Bürgerbeteiligung zu unter- 18 Mio E vorgesehen. Bei der weiteren Planung Vor kurzem hat sich mit der Initiative Potsdamer Mitte scheiden. Die formelle Bürgerbeteiligung ist in der ergaben sich jedoch Schwierigkeiten mit der Ein- neu denken zudem eine weitere Initiative gegründet, kommunalen Bauleitplanung am differenziertesten haltung dieses Kostenrahmens, außerdem formier- die sich für den zumindest teilweisen Erhalt der vorhan- geregelt. Bei der vorgezogenen Bürgerbeteiligung soll te sich Widerstand gegen diesen Standort und eine denen Architektur aus DDR-Zeiten einsetzt und die voll- die Öffentlichkeit frühzeitig über die allgemeinen Pla- Initiative für den Erhalt des bestehenden Bads im ständige Rückkehr zum historischen Stadtgrundriss aus nungsziele informiert werden und sich dazu grundsätz- Süden der Stadtmitte, nämlich auf dem Brauhaus- geschichtspolitischen und finanziellen Gründen ablehnt. lich äußern. Bei der verbindlichen Bauleitplanung muss berg. Die Stadtverwaltung entschied sich für eine die konkrete Planung in allen Details dargelegt werden, erneute Untersuchung der verschiedenen Varianten Zu den frühesten Konfliktthemen nach 1990 gehörten die Stellungnahme den Bürger/inn/en müssen prä- und für eine Bürgerbefragung, die sorgfältig und Proteste gegen einige die Potsdamer Kulturlandschaft zise darauf eingehen und zudem formalen Vorgaben qualifiziert vorbereitet wurde. Nachdem die Option schädigende Bauvorhaben wie 1993 am Glienicker entsprechen, um berücksichtigt zu werden. Die Pla- eines Erhalts des bestehenden Bads im Vorfeld Horn und ab 1996 das Potsdam-Center am Bahnhof, nungsverwaltung wiederum muss dabei alle Einwände untersucht und verworfen wurde, ergab die Bürger- gegen das eine Aktionsgemeinschaft gegründet wurde. zur Kenntnis nehmen und in nachvollziehbarer Weise befragung im Mai 2012 eine deutliche Mehrheit Auch Hausbesetzungen und die Entstehung von Kultur- zueinander in Beziehung setzen („Abwägungsgebot“). für einen Neubau des Stadtbads am Brauhausberg initiativen gehörten zum wachsenden Bürgerengagement Die formelle Bürgerbeteiligung ist im Normalfall vor- und damit für die Variante, die nach Auffassung der 90er Jahre. habenbezogen, d.h. sie kommt dann zur Anwendung, der Stadtverwaltung höhere Kosten und spätere wenn für ein konkretes Bauvorhaben juristisch valides Fertigstellung des Stadtbades bedeutet. Mittler- Individuelles Engagement und direkte, freiwillige Betei- Planungsrecht geschaffen werden muss. In Potsdam weile ist das Schwimmbad am Brauhausberg in ligung von Bürgern ist heute eine zentrale Grundlage ist die Praxis der formellen Bürgerbeteiligung v.a. im Bau und soll 2017 fertiggestellt werden. 5
2 Ein anderes Potsdamer Beispiel mit Merkmalen der formellen wie auch der informellen Beteili- gung istdie Bürgerbeteiligung für díe „Garten- stadt Drewitz“, die 2009 aus einem von PRO POTSDAM initiierten Wettbewerbsbeitrag zur en- ergetischen und umweltgerechten Umgestaltung des Neubaugebiets Potsdam-Drewitz entstand. Nachdem die SVV bereits einstimmig das Projekt Debatte unter den Teilnehmern der 55. Sitzung bestätigt hatte, gab es massive Kritik der Quar- tiersbewohner. Dies führte zu einem mehrstufi- in der wachsenden Stadt Potsdam läuft hier der interpretiert wurden und sich viele Bürger gegen gen Werkstattverfahren unter Beteiligung des be- schwierige Versuch, mit einem Verfahren, das einen mit Steuermitteln finanzierten Hotelabriss reits existierenden Stadtteilrats Stern/Drewitz/ einerseits der komplexen Gemengelange und an- aussprachen, hat sich die StVV kürzlich dem Kirchsteigfeld, der Bildung einer Bürgervertretung dererseits den disparaten Organisationsformen Votum des Gutachtergremiums zum Lustgarten Drewitz und dem Beschluss der Stadtverordneten und Interessen der Beteiligten Rechnung trägt, angeschlossen, das unter dem Vorbehalt des über ein komplexes Beteiligungskonzept. Die gemeinsam Lösungen zu entwickeln und auch Nachweises der Finanzierung perspektivisch den durch Wahlen legitimierte Bürgervertretung setzt umzusetzen Abriss des Hotels einschließt. Eine Initiative hat sich seit Mai 2011 für die Neugestaltung des daraufhin die Durchführung eines Bürgerbegeh- Stadtteils ein und beteiligt sich seitdem aktiv an 4. Ein besonders reiches Feld der spontanen und rens gegen den Hotelabriss beschlossen. der Umsetzung und Weiterentwicklung des Ma- dann auch institutionalisierten Bürgerbeteiligun- sterplans für diesen Stadtteil. gen ist die Potsdamer Mitte, in der ein starkes 5. Ein weit über Potsdam hinaus reichendes Beispiel öffentliches Engagement und darauf aufbauen- für Bürgerengagement betrifft den Wiederaufbau 3. Ein weiteres Beteiligungsverfahren hat sich in de politische Beschlüsse mit dem Rückbau der der 1945 teilzerstörten und 1968 gesprengten drei Quartieren unter dem Titel „Zukunft der Breiten Straße, dem Lustgarten, dem Landtags- Garnisonkirche sowie den Umgang mit dem nörd- Wohnsiedlungen Behlert-Gutenberg-Karree, neubau und der Bebauung am Havelufer erste Er- lich davon gelegenen, zu DDR-Zeiten teilüberbau- Brauhausberg/Einsteinstraße und Großbee- gebnisse zeigen. Ein stark beachtetes, bis heute ten Stadtplatz der Plantage. Auf der Grundlage ren-/Grünstraße“ entwickelt. Da diese lange hochaktuelles Beteiligungsverfahren betrifft den eines unmittelbar nach der Wende gefassten StVV- durch Restitutionsansprüche von ehemaligen Bereich des Lustgartens und die Zukunft des Beschlusses zum Wiederaufbau der Garnisonkirche Alteigentümer/innen belastet waren, fanden dort befindlichen Hotels Mercure, das 1969 haben sich nach einigen Wendungen ein Verein über einen großen Zeitraum hinweg keine In- als Interhotel Potsdam fertiggestellt wurde. sowie eine kirchliche Stiftung gegründet, die den standsetzungs- oder Modernisierungsarbeiten Diese Debatte entstand mit den Vorbereitenden Wiederaufbau der Garnisonkirche mit großem statt. Hierdurch verfielen die Gebäude zwar zu- Untersuchungen für das 1999 eingeleitete Sa- Engagement verfolgen und erreicht haben, dass sehends, aber das Mietpreisniveau blieb dadurch nierungsverfahren und der Gestaltung des neu- Baurecht für den Turm der Kirche geschaffen wur- vergleichsweise gering. Nach der Eigentumsüber- en Lustgartens zur BUGA 2001, durch die nun de. 2014 hatte jedoch ein Bürgerbegehren gegen nahme durch die ProPotsdam stellte sich die drin- notwendige Konkretisierung der Sanierungsziele dieses Vorhaben überraschenden Erfolg, zudem gende Frage, wie die günstigen Mieten erhalten hat die Debatte neue Dynamik bekommen. Zur sprachen sich auch engagierte Christen dagegen bleiben und zugleich die nötigen Modernisierun- weiteren Gestaltung des gesamten Lustgartens aus. Um die danach entstandene Konfliktsituation gen durchgeführt werden können. Insbesondere wurde 2014/15 eine aufwendige Planungs- aufzulösen, wurde ein Bürgerbeteiligungsverfahren im Hinblick auf das Behlert-Gutenberg-Karree werkstatt mit mehreren Beteiligungsplattfor- gestartet, dessen Abschluss derzeit noch offen ist. führte das Beteiligungsverfahren im breiten men (Online-Dialog, Info-Box, Auswertung von politischen Konsens dazu, dass im direkten Aus- schriftlichen Stellungnahmen) durchgeführt, die 6. Der Bürgerdialog zur Erarbeitung eines neuen tausch zwischen Mieter/innen und ProPotsdam mit einem Gutachterverfahren und konkurrieren- Leitbilds für Potsdam ist hingegen ein Beispiel für ein abgestimmtes, aufwandsreduziertes Moder- den städtebaulichen Entwürfen verknüpft war. einen von der Verwaltung bzw. Stadtpolitik initiierten nisierungskonzept im Sinne eines Pilotversuches Wenngleich die darauf aufbauenden Vorschläge Beteiligungsprozess. Dieser Bürgerdialog wurde unter mit gedeckelten und sozial gestaffelten Mieten zur Konkretisierung der Sanierungsziele weitaus dem Motto „Potsdam weiterdenken“ in mehreren beschlossen wurde. Die entsprechenden Arbeiten komplexer sind, konzentriert sich der öffentliche Stufen und mit vielen Veranstaltungen in den einzel- sind gegenwärtig bereits in der Durchführung und Diskurs auf die Frage, ob das private Hotel- nen Ortsteilen durchgeführt und führte zur Erarbeitung das Beteiligungsverfahren dauert darüber hinaus Hochhaus zugunsten einer öffentlichen Grünflä- von über 100 Thesen zur zukünftigen Entwicklung auch in den anderen Siedlungen noch an. Gerade che und einer Sichtbeziehung zwischen Landtag der Stadt, die in mehreren Kernthemen gebündelt vor dem Hintergrund der brisanten Fragen nach und Neptunbecken, bzw. Havel und Templiner wurden. Nach Durchführung von zwei Werkstätten Wohnraumknappheit, Mietpreissteigerungen See abgerissen werden soll. Obwohl die Ergeb- wurde ein Leitbild-Entwurf gefertigt, der nun der StVV und damit verbundenen Verdrängungseffekten nisse der Beteiligungsverfahren unterschiedlich zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll. 6
gung“ eingerichtet, die aus einem gleichberechtigten Team aus Mitarbeiter/innen der Verwaltung und Mit- arbeiter/innen eines zivilgesellschaftlichen Trägers ( mitMachen e.V.) besetzt ist und als eine Schnittstelle zwischen Verwaltung und Einwohner/innen fungiert. Sie hat zum einen die Aufgabe, die Beteiligungskultur Auszug aus der Präsentation von Nils Jonas und Kay-Uwe Kärsten (WerkStadt für Beteilung) innerhalb der Verwaltung zu stärken, zum anderen werden die vielfältigen Initiativen und Strukturen der Zivilgesellschaft beraten und unterstützen. Zudem werden Beteiligungsprozesse sowohl von „unten wie von oben“ begleitet und unterstützt, wobei die soge- nannten Grundsätze der Beteiligung als angestrebte Qualitätsstandards für Prozesse dienen. Dabei eignet sich die WerkStadt keinesfalls die jeweiligen Inhalte der Akteur/innen an sondern fungiert als Anwältin der Prozesse an sich. Es sollen zudem langfristige Struktu- ren erprobt und etabliert werden, die Beteiligung zur Selbstverständlichkeit werden lassen, an der alle ohne große Hürden teilnehmen können und die spürbare Aus- wirkungen auf die Gestaltung der Stadt haben. Nach drei Jahren steht nun die Evaluierung dieses in Auszug aus der Präsentation von Nils Jonas und Kay-Uwe Kärsten (WerkStadt für Beteiligung) Deutschland einzigartigen und anspruchsvollen Modell- projektes an, die durch das Deutsche Institut für Urba- 7. Die Einrichtung eines Bürgerhaushalts in Potsdam fluss der Informationstechnologien und der sozialen nistik durchgeführt wird und deren Ergebnisse in Kürze wurde schon vor einigen Jahren beschlossen. Dabei Medien einen weiteren Veränderungsschub erfahren. veröffentlicht werden. Zentrale Erkenntnisse und Her- handelt es sich um die Umsetzung von Bürgervor- Diese neuen Technologien bekommen v.a. deswegen ausforderungen werden im STADT FORUM POTSDAM schlägen und -ideen. Die von den Bürgern einge- eine große Bedeutung, weil damit junge Menschen be- aber bereits vorgestellt und diskutiert. brachten Vorschläge werden hinsichtlich ihrer Kom- sonders angesprochen und aktiviert werden können und patibilität, ihrer Umsetzbarkeit und ihrer finanziellen weil dadurch komplexe Sachverhalte möglicherweise Für die Diskussion des Themas im STADT FORUM POTS- Auswirkungen von einem Projektteam geprüft, einfacher kommuniziert werden können. Hierfür ist je- DAM können auch die folgenden Fragen bzw. Thesen bevor sie der Stadtverordnetenversammlung zum doch „eine viel jugendgerechtere Ansprache nötig“, bei hilfreich sein: Beschluss und zur Realisierung vorgelegt werden. der „das Internet und die neuen sozialen Netzwerke als Teilweise wird das Verfahren auch zu allgemeineren Kommunikationsmittel eine entscheidende Rolle“ spie- 1. Bürgerbeteiligung ist mit immer komplexer werden- politischen Statements genutzt. Dies und Haushalts- len sollten (s. Befragung des Stadtjugendrings Potsdam den Planungen konfrontiert, deren Anlässe und Ziele beschränkungen führen dazu, dass nur bestimmte 2012). Gegen eine solche Präferenz der neuen sozialen weit über den kommunalen Kontext hinausweisen. Vorschläge konkret umgesetzt werden können. Medien gibt es jedoch auch Einwände u.a. wegen der Der kommunale Rahmen erweist sich dafür oft als Spontaneität, der Anonymität und wegen des z.T. un- zu eng gesteckt. Ist die notwendige „strukturelle 8. In den Kontext des informellen Bürgerengagements reflektierten Kampagnencharakters. Daneben erschwert Aufwertung der Bürgerbeteiligung innerhalb des be- gehört auch das STADT FORUM POTSDAM selbst, die Vielzahl unterschiedlicher Verfahren die Orientierung stehenden Systems der repräsentativ ausgestalteten das sich 1998 als bürgerschaftliche Initiative bil- für Bürger, Politik und Verwaltungen. Demokratie“ (Prof. Roland Roth) mit verbesserten dete mit der Aufgabe, „alle wichtigen Fragen der Verfahren und Instrumenten zu leisten? Potsdamer Stadtentwicklung zu behandeln – in Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und ange- wechselseitiger Verknüpfung von Fachwissen, bür- sichts immer wiederholter Forderungen aus der Bürger- 2. Wie kann bei Beteiligungsprozessen das Paradox gerschaftlichem Engagement und politischer bzw. schaft nach neuen Anstößen in der Bürgerbeteiligung hat vermieden werden, dass Bürger sich im Frühsta- administrativer Verantwortung“ (Auszug aus: STADT die StVV Potsdam sich 2012 für eine eigene Initiative dium von Konflikten und Entwicklungsproblemen FORUM POTSDAM - Ziele und Merkmale). entschieden. Nach einer Bestandsanalyse und mehreren mit recht viel Einflussmöglichkeiten eher wenig Workshops und Konferenzen wurde eine Arbeitsgruppe beteiligen, während die Bürgerbeteiligung in Die große Vielfalt der praktizierten Konzepte von for- gebildet, die mithilfe zahlreicher Bürger/innen Überle- späteren Phasen dieser Konflikte, wo es meist meller und vor allem von informeller Bürgerbeteiligung gungen für eine modellhafte Beteiligungsorganisation nur noch geringe Einflussmöglichkeiten gibt, oft hat in den letzten Jahren unter dem wachsenden Ein- erarbeitete. 2013 wurde eine „WerkStadt für Beteili- deutlich höher ist? 7
3. Informelle Planungsprozesse sind oft dadurch ge- 4. Dass auch in Potsdam seit einigen Jahren praktizierte Mo- abzuwehren, während die „normalen“ Bürger, die wo- prägt, dass nur eine verhältnismäßig geringe Zahl dell des Bürgerhaushalts, stößt dort an seine Grenzen, wo möglich von einer solchen Planung profitieren, sich wenig von – allerdings sehr kompetenten und überwie- die kommunale Realität durch wirtschaftliche Probleme, artikulieren. Damit wird die soziale Ausgewogenheit von gend „netzaffinen“ - Bürgern sich in immer dynami- Schrumpfung und radikale Sparzwänge geprägt ist. Wie Planungszielen tendenziell gefährdet. scher werdenden Abstimmungszyklen daran beteili- kann vermieden werden, dass das Instrument des Bür- gen, während ein breiter Anteil von Bürger/inn/en gerhaushalts in diesen Fällen zu bloßer „Beratung beim 6. Potsdam weist mehrere Verfahren auf, bei denen politi- sich wenig einmischt und eher auf die „klassischen“ Sparen“ (Dr. Carsten Herzberg) verkommt? sche Beschlüsse den Zielen engagierter Bürgergruppen fol- Beteiligungsverfahren der repräsentativen Demokra- gen, diese dann durch andere engagierte Gruppen kritisiert tie vertraut (bei tendenziell sinkender Wahlbeteili- 5. Bei bestimmten Planungen, die durch den Grad ihrer For- werden. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Bestand gung!). Dies könnte langfristig zu einer Schieflage malisierung schwerer durchschaubar sind, ist verstärkt die von Ergebnissen und der Position von Mehrheitsverhältnis- oder sogar zu einer Spaltung im Beteiligungsprozess sog. NIMBY-Haltung („Not in my backyard“ – „Nicht vor sen im Rahmen der repräsentativen Demokratie. führen. „Wer die Beschleunigung des Politikprozes- meiner Haustür“) vorzufinden, bei der besser gestellte ses will, muss die Idee einer politischen Gleichheit und juristisch versierte Bürger es gut verstehen, negati- Für die Kerngruppe der Bürger aufgeben.“ (Prof. Herfried Münkler) ve Auswirkungen einer Planung für ihren Einflussbereich Dr. Günter Schlusche Das Podium der 55. Sitzung mit (v. r. n. l.) Prof. Roland Roth, Nils Jonas, Kay-Uwe Kärsten (beide WerkStadt für Beteiligung, Potsdam), Moderatorin Brigitte Faber-Schmidt, Saskia Hüneke (STADT FORUM POTSDAM) und Dr. Günter Schlusche (Geschäftsstelle) Saskia Hüneke Potsdamer Erfahrungen im bürgerschaft- den Ebenen der Beteiligung. Voraussetzung für jeder Protest kann Erfolg haben, denn das Prinzip lichen Engagement eine faire Beteiligung und einen fairen Diskurs der Mehrheitsentscheidungen bildet eine wesentliche sind Information und sachliche Argumentation. Grundlage der Demokratie und für eine handlungs- Potsdam weist seit der friedlichen Revolution Hier hat das STADT FORUM POTSDAM seit 1998 fähige Kommune. Auch tragen die Stadtverordneten und der ersten freien Kommunalwahl 1990 ein seine Aufgabe gesehen, das viele der mehr oder und die Verwaltung Verantwortung für das ganze vielfältiges bürgerschaftliches Engagement auf. weniger kontrovers diskutierten Themen aufgreift Stadtgefüge, in das sich Einzelinteressen einfügen Die Stadtverordnetenversammlung (SVV) und und dokumentiert. müssen. die Verwaltungen intendieren die Themen selbst oder reagieren auf Anregungen von außen. Ins- Insgesamt spiegelt sich in der Entwicklung seit Konflikte entstehen neu, wenn die in demokratisch gesamt entstehen viele Beteiligungsformen, ge- 1990 das komplexe Verhältnis von Legislative gewonnenen Mehrheiten erreichten Ergebnisse von setzlich vorgeschriebene sowie neu strukturierte und Exekutive sowie von repräsentativer und der Verwaltung nicht oder nur teilweise umgesetzt Befragungen und Beteiligungen. Letztere werden direkter Demokratie auf kommunaler Ebene äu- werden oder wenn Projekte in fortgeschrittenem Sta- besonders dann gefordert bzw. intensiv genutzt, ßerst lebendig wider. Neueste Errungenschaft ist dium wieder neu in Frage gestellt werden. Ein gutes wenn es Konfliktlagen gibt. So entsteht ein in- das Büro für Bürgerbeteiligung, das zu Möglich- Beispiel dafür und für die Komplexität der Wechsel- tensiver öffentlicher Diskurs: zwischen verschie- keiten der Beteiligung beraten soll. wirkungen der Ebenen ist der Diskurs zur Wiederge- denen Gruppen, zwischen den Fraktionen der winnung der Potsdamer Mitte. STVV, zwischen STVV und Stadtverwaltung. Es Engagement bewirkt etwas in Potsdam! gibt intensive Wechselwirkungen zwischen innen Aber so wichtig und wirksam die Beiträge von en- und außen, bezogen auf die StVV und zwischen gagierten bzw. betroffenen Menschen sind: Nicht 8
Kay-Uwe Kärsten berichtet über das Modellprojekt zur Bürgerbeteiligung Hans Joachim Scharfenberg (StVV-Fraktion Die Linke) in der Diskussion zum Thema Andre Tomczak (BI Potsdamer Mitte neu denken) in der Diskussion Bürgerbeteiligung 9
55. Sitzung STADT FORUM POTSDAM, 21.4.2016 Neue Formen des Bürgerengagements in der Zivilgesellschaft Roland Roth Die lokale Demokratie hat im Nachkriegs-Deutsch- Schicksal der Piratenpartei hat daran erinnert, dass Dazu gehören neue Informationsrechte und Transpa- land bereits mehrere Phasen erlebt. Aktuell erleben Vertrauen und Kooperation als zentrale Grundlagen renzregeln ebenso wie eine partizipative und inklusive wir eine neue Beteiligungswelle, die zu Beginn des gemeinsamen Handelns nicht allein durch „liquid Kommunikations- und Entscheidungspraxis in politi- Jahrzehnts mit massiven Bürgerprotesten einsetzte democracy“ gestiftet werden können. schen Prozessen sowie ein verändertes Selbstverständ- (Stuttgart 21, Flughafen-Gegner in Berlin und an- nis von politischer Repräsentation. Innovative Ansätze derswo, Proteste gegen die Privatisierung kommuna- Das vermutlich hervorstechendste Kennzeichen der lassen sich auch in einzelnen Politikfeldern der Länder ler Infrastruktureinrichtungen etc.). Ein gemeinsamer aktuellen Phase ist das Bemühen, zu einer stärkeren feststellen, die damit für die lokale Ebene Anreize Antrieb von Bürgerinitiativen und „Wutbürgern“ sind Institutionalisierung von Beteiligungsansprüchen und schaffen oder Partizipation obligatorisch machen. jenseits der konkreten Anlässe gestiegene Beteili- -garantien zu kommen (so auch Klages 2014). Ziel gungsansprüche, die sich heute - im Unterschied zu ist eine neue kommunale Partizipationskultur, in der Schließlich ist die aktuelle Beteiligungswelle stärker früheren Beteiligungswellen - auf demoskopische alle Beteiligten, nicht zuletzt auch die Bürgerinnen als zuvor von einer internationalen Konjunktur neuer Mehrheiten in der Bevölkerung berufen können. und Bürger erwarten können, dass wichtige Entschei- Beteiligungsformate gekennzeichnet. Ein weltweiter Exemplarisch sei auf eine repräsentative Forsa- dungen nur mit Bürgerbeteiligung gefällt werden. demokratischer Experimentalismus hat zu einer be- Umfrage vom April 2015 verwiesen, nach der sich Es geht um einen Weg aus einer weit verbreiteten achtlichen Repertoireerweiterung der partizipativen lediglich 24 % der Befragten mit ihren kommunalen Misstrauenskultur zwischen (Teilen der) Bürgerschaft Verfahren beigetragen. Die große Mehrzahl der Einflussmöglichkeiten zufrieden zeigen, während 58 einerseits, Politik und Verwaltung andererseits, der – je nach Zählung – zwischen 80 und 180 Betei- % mehr Beteiligung einfordern. In Großstädten über durch eine verlässliche und wirksame Beteiligungs- ligungsformate (s. Smith 2005; www.participedia. 100.000 Einwohner ist der Abstand noch größer. praxis eröffnet werden soll. Dazu dienen vor allem net; www.ncdd.org) wird auf lokaler Ebene ein- Hier sind nur 19 % zufrieden, während zwei Drittel kommunale Beteiligungssatzungen, Partizipati- gesetzt und kommt aus den Ländern des globalen der Befragten mehr Einflussmöglichkeiten wünschen onsbeauftragte in der Verwaltung und verbesserte Südens, aus Schwellenländern wie Brasilien oder aus (Forsa 2015: 5). rechtliche Regelungen. Eng mit dieser Entwicklung der südlichen europäischen Peripherie. Insgesamt verknüpft, ist auch das verstärkte Streben nach lässt sich für die gegenwärtige Phase kommunaler Der Ausbau kommunaler Beteiligungsangebote erscheint Professionalisierung und Qualitätssicherung in Be- Bürgerbeteiligung festhalten, dass auch dieses Mal heute vielen kommunal Verantwortlichen als intelligente teiligungsprozessen. (Evaluierung der Werkstadt für Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen und Proteste Antwort auf unterschiedlichste Herausforderungen. Beteiligung in Potsdam). demokratische Partizipationsansprüche befeuern. Nachdem es um die Modellkommunen der letzten Neu ist auch die verstärkte Zuarbeit von Unterneh- Auf dem Weg zu einer „vielfältigen Demo- Phase ruhig geworden ist, erleben wir aktuell eine men. Von der Immobilienwirtschaft bis zur Energieb- kratie“ Wiederbelebung des Leitbilds „Bürgerkommune“ ranche scheint es heute selbstverständlich zu sein, (vgl. Roß/Roth 2015). Neu ins Spiel gebracht dass ohne frühzeitige Bürgerbeteiligung keine neuen Verstärkt durch die Proteste gegen „Stuttgart 21“ werden Transparenz (open government) und die großen Infrastrukturprojekte durchsetzbar sind. Be- und ähnlichen Mobilisierungen an vielen Orten – in Kooperation in Netzwerken („Kollaboration“), um gleitet wird diese Entwicklung auch von wichtigen Berlin etwa im Zusammenhang mit dem BER - erle- kommunale Aufgaben angemessen lösen zu können. Berufsverbänden. Verbessert haben sich auch die ben wir seit einigen Jahren eine Entwicklung hin zu All dies erfordert die Öffnung der Kommunen hin zu Rahmenbedingungen einer beteiligungsorientierten einer „vielfältigen Demokratie“. Diese Tendenz, die einer zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur (vgl. Kommunalpolitik. Erstmals in der Geschichte der auch als Leitidee taugt, legt nahe, Demokratie heute König et al. 2014), die es gelernt hat, kooperativ Bundesrepublik haben zwei Bundesländer (Baden- in fünf Elementen zu buchstabieren: und auf gleicher Augenhöhe mit einer aktiven Bürger- Württemberg und Rheinland-Pfalz) programmatisch schaft umzugehen und sich Zivilität bzw. civicness als mit einer partizipativen Landespolitik begonnen. Die 1. Formen der repräsentativen Demo- Handlungsmaxime zu eigen macht. grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg kratie und ihre Institutionen (Wahlen, hat der Bürgerschaft eine „Politik des Gehörtwer- Parlamente etc.). Sie erfahren noch immer Ein weiteres Merkmal der gegenwärtigen Beteili- dens“ versprochen und durch zahlreiche Maßnahmen hohe Wertschätzung in der Bevölkerung und gungswelle ist die digitale Unterstützung von Betei- und Beteiligungsinitiativen versucht, diesem Ziel nä- produzieren weit mehr als 90 Prozent aller Ent- ligungsverfahren (open government, Internetplattfor- her zu kommen. Dazu gehören u.a. eine verbindliche scheidungen. Aber sie können heute keinen Al- men, digitale Netzwerke, e-democracy etc.). Die in- Richtlinie zur frühzeitigen und verlässlichen Bürgerbe- leinvertretungsanspruch mehr geltend machen, telligente Verknüpfung von on- und off-line Verfahren teiligung bei allen Infrastrukturvorhaben des Landes, wie die nachlassende Wahlbeteiligung oder die gehört heute zu den weitgehend selbstverständlichen die auch den Kommunen als Vorbild dienen soll. sinkende Akzeptanz der dort gefällten Entschei- Erwartungen (Winkel 2011). Einen großen Dämpfer Der Landtag Rheinland-Pfalz hatte diesem Thema eine dungen verdeutlichen. Auch die Legitimations- haben jedoch sehr viel weitergehende internetba- mehrjährige und ertragreiche Enquete-Kommission kraft der Repräsentanten in Gemeinderäten und sierte Demokratisierungserwartungen erfahren. Mit „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokra- Parlamenten hat deutlich gelitten. So werden dem NSA-Skandal sind die dunklen Seiten der Inter- tie“ gewidmet. Gemeinsamer Nenner ist eine betei- z.B. zentrale Infrastrukturentscheidungen heute netkommunikation überdeutlich geworden, und das ligungsorientierte Neubegründung der Landespolitik. oft nur noch akzeptiert, wenn zusätzliche For- 10
men der Bürgerbeteiligung angeboten werden. geht es in bei direktdemokratischen Verfahren ten lassen: Der letzte Statusbericht des Portals Zur repräsentativen Demokratie gehört – zu- vor allem um Sachvoten. Verbindliche Entschei- www.buergerhaushalt.org vom Juni 2015 mindest in der deutschen Spielart – ein differen- dungen sind das Ziel von Bürgerbegehren, Bür- verzeichnet gerade einmal 71 Bürgerhaushalts- ziertes und gut institutionalisiertes System inter- gerentscheiden, aber auch bei jenen Versionen Verfahren. Im Jahr davor waren es noch 87. Der mediärer Interessenvermittlung, das aus politi- des Bürgerhaushalts, wo die Bürgerschaft direkt letzte Bericht zum Thema Kommunale Bürger- schen Parteien, Verbänden und Gewerkschaften über Budgets bzw. von Teilen davon bestimmen begehren und Bürgerentscheide vom Oktober besteht. Sie stellen nicht nur, wie die Parteien, kann. 2014 verzeichnet für die Zeit von 1956 bis das Gros des politischen Personals, sondern er- Ende 2013 die stolze Zahl von 6.447 Verfah- heben auch den Anspruch, zwischen Staat und Oft entstehen auf dem Wege zum Volksent- ren, die überwiegend von den Bewohnern initi- Bürgerschaft in beide Richtungen zu vermitteln. scheid (durchaus kontroverse Positionen ver- iert wurden (5.354). 3.177 Begehren führten Es wird deutlich, dass die Zeiten vorbei sind, in tretende) Netzwerke mit einer Vielzahl von un- zu einem Bürgerentscheid. Die auf den ersten denen diese etablierten Intermediären unan- terschiedlichen Akteuren, Versammlungen und Blick groß erscheinende Zahl der Bürgerbegeh- gefochten das Geschäft der Interessenvermitt- Aktionsformen. Sie sind ein wachsendes Betäti- ren relativiert sich jedoch erheblich, wenn die lung für sich reklamieren konnten. Sichtbares gungsfeld für neue Intermediäre, die nicht in die Gemeindezahlen und die unterschiedliche Ver- Zeichen ist die seit Jahrzehnten schrumpfende repräsentativen Strukturen eingebunden sind. teilung auf die einzelnen Bundesländern in den Parteimitgliedschaft. Aber auch viele Verbände Der Berliner Wassertisch, der sich zunächst für Blick genommen wird. Rund 40 % aller Verfah- und Gewerkschaften haben Schwierigkeiten, eine Rekommunalisierung der Berliner Wasser- ren fanden in Bayern statt. Im Ländervergleich Mitglieder anzuziehen und deren Interessen zur betriebe eingesetzt hat, aber inzwischen auch liegen die Stadtstaaten an der Spitze. Immerhin Geltung zu bringen. Sie scheinen heute in der international als Themenanwalt zum Thema lässt sich eine positive Entwicklung beobach- Summe - trotz vorhandener Gegentendenzen Wasser auftritt, ist ein Beispiel für ein solches ten: Mehr als die Hälfte aller Verfahren fand - exklusiver, d.h. sie vernachlässigen vielfach offenes Forum (www.berliner-wassertisch.info). zwischen 2003 und 2013 statt. Allein 2013 schwache Interessen, sind stärker „top down“ Dass ein eingetragener Verein wie Mehr Demo- wurden 365 Verfahren eingeleitet. als „bottom up“ orientiert. Sie scheinen ihre kratie e.V. bundesweit wesentliche Infrastruktur- anwaltschaftliche Funktion zu vernachlässigen, leistungen für direkt-demokratische Verfahren 3. Dialogorientierte, deliberative Beteili- die aktiven Mitwirkungsmöglichkeiten der erbringt, ist sicherlich kein Zufall. gungsformen, die von der öffentlichen Hand, Mitgliedschaft an den Rand zu drängen, ihre in kommunalen Einrichtungen, gelegentlich Milieubindung und Verankerung im Alltag der Allerdings sind die Zahlen weit weniger ein- auch von privaten Vorhabenträgern „von oben“ Bürgerschaft einzubüßen. drucksvoll, als die öffentlichen Debatten vermu- angeboten werden und in eingeschränkter Im übrigen ist es allenfalls formal gelungen, die westdeutschen Strukturen intermediärer Interessenvermittlung auf Ostdeutschland zu erstrecken. Ganze Landesverbände der großen politischen Parteien erreichen dort (mit Aus- nahme der Partei Die Linke) gerade einmal die Mitgliedszahlen westdeutscher Großstädte. Mit neuen Themen sind auch neue Verbände entstanden, die sich einen Platz in der politi- schen Willensbildung sichern konnten. Erinnert sei nur an den Natur- und Umweltbereich und dessen Beteiligungsrechte und Planungsverfah- ren bis hin zum Verbandsklagerecht. Es wäre deshalb verkehrt, die Offenheit und Inklusions- kraft des „alten“ Systems der intermediären Interessenvermittlung zu unterschätzen. 2. Formen direkter Demokratie. Während die repräsentative Demokratie für die Wähler- schaft nur die Möglichkeit einer diffusen Unter- stützung von Personen und Parteien vorsieht, Prof. Roland Roth bei seinem Beitrag am 21.4.16 11
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