Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam

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Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
Dokumentation 2016
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Dokumentation 2016

 Geschäftsstelle STADT FORUM POTSDAM
 Dr. Ing. Günter Schlusche                                             Dokumentation STADT FORUM POTSDAM 2016
 Bassermannweg 7 12207 Berlin-Lichterfelde
 Tel 030 771 97 59 Fax 030 771 17 61
 Email: guenter.schlusche@web.de
 Impressum
 Herausgeber:     STADT FORUM POTSDAM
                  Dipl. Ing. Albrecht Gülzow
                  Dipl. Phil. Saskia Hüneke
                  Dipl. Ing. Philipp Jamme
                                                                       Inhaltsverzeichnis
                  Dipl. Ing. Hajo Kölling
                  Dipl. Ing. Dieter Lehmann
                                                                                                                                                                           Seite
                  Dr. Volker Pohl                                      Einführung              Oberbürgermeister Jann Jakobs                                                  3
                  Prof. Dipl. Ing. Bernd Steigerwald
                  Prof. Dr. Hermann Voesgen
                                                                                               Übersicht der Sitzungen                                                        3
                  Dipl. Ing. Christian Wendland                                                Albrecht Gülzow                                                                4

 Bearbeitung      Dr. Ing. Günter Schlusche                            Dokumentation           55. Sitzung des STADT FORUMS POTSDAM am 21.4.2016
                                                                                               Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung - Konflikte und Chancen                 5
 Gestaltung       Erich Wrede, Grafik Design BDG, Potsdam
                                                                                               Leitgedanken der Kerngruppe                                                    5
 Druck            Druckerei Rüss, Potsdam                                                      Beitrag Saskia Hüneke                                                          8
                                                                                               Beitrag Roland Roth                                                           1O
 Weitere Informationen zum STADT FORUM POTSDAM sowie die                                       Empfehlungen der Kerngruppe                                                   13
 Dokumentationen der zurückliegenden Jahre sind im Internet unter
 www.potsdam.de/stadtforum zugänglich.
                                                                       Dokumentation           56. Sitzung des STADT FORUMS POTSDAM am 7.7.2016
                                                                                               Wachsende Stadt – Begrenzte Flächen – Bedrohte Qualitäten 14
 Potsdam, im März 2017
                                                                                               Leitgedanken der Kerngruppe                               14
                                                                                               Empfehlungen der Kerngruppe                               17
 Abbildungsnachweise und -erläuterungen:

 Umschlagfoto: Blick vom Turm der Heilig-Geist-Residenz nach           Dokumentation           57. Sitzung des STADT FORUMS POTSDAM am 3.11.2016
                    Westen auf die Potsdamer Innenstadt (Foto                                  Aufstellung und Rückführung der Attikafiguren auf dem
                    Hagen Immel, März 2017)                                                    Neubau des Stadtschlosses?                                                    18
 S. 7:              Kati Schiemann/Landeshauptstadt Potsdam                                    Leitgedanken der Kerngruppe                                                   18
 S. 9:              Tabelle Saskia Hüneke
 S. 15:             Stadtverwaltung Potsdam/PWG                                                Beitrag Christian Wendland                                                    26
 S. 16 oben: Stadtverwaltung Potsdam                                                           Empfehlungen der Kerngruppe                                                   28
 S. 16 unten: Stadtplanungsamt Heidelberg, Annette Friedrich
 S. 17 Mitte: Regionale Planungsgemeinschaft Havelland-
                    Fläming, Torsten Naubert
                                                                       Anhang                  STADT FORUM POTSDAM – Ziele und Merkmale                                      32
 S. 19 und S. 22 oben und Mitte:
                    Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-                           Arbeitsvereinbarung des STADT FORUMS POTSDAM                                  34
                    Brandenburg (SPSG)                                                         Pressespiegel                                                                 34
 S. 22 unten links:Präsentation Kai Kappel/Sabine Kunst, Foto
                    Barbara Herrenkind, HU Berlin
 S. 22 unten rechts:Präsentation Kai Kappel/Sabine Kunst, Kerstin
                    Wittmann-Englert, TU Berlin/ Sarah Klein,
                    Kunstsammlungen und Museen Augsburg
 S. 23 oben: SPSG
 S. 23 unten: Fotos Hans –Christian Schink/Büro Peter Kulka,
                    Köln
 S. 24 oben: Präsentation Kai Kappel/Sabine Kunst,
                    Humboldt-Universität Berlin, Foto Barbara
                    Herrenkind
 S. 24 unten und S. 25: Landesdenkmalamt Berlin – Archiv
 S. 26 oben und unten: Foto Dr. Peter Michael Bauers
 S. 26 Mitte: Montage Mitteschön Potsdam/Regine Rüss/
                    Dr. Joachim Kuke
 S. 27:             Christian Wendland, Potsdam

 Fotos auf den S. 2, 6, 8, 9, 11, 13, 28, 29, 30, 31, 32 und 33
                  unten: Barbara Plate
 Fotos auf den S. 4, 16, 17 und 33 oben::Robert Schnabel

 Die Arbeit des STADT FORUMS POTSDAM im Jahr 2016 und
 die Realisierung dieser Dokumentation wurden durch finanzielle
 Zuwendungen sowie durch Sachleistungen der Stadtverwaltung
 Potsdam gefördert. Der Stadtverordnetenversammlung, der
 Stadtverwaltung und dem Oberbürgermeister der Stadt Potsdam,
 Herrn Jann Jakobs, gilt unser herzlicher Dank.                        OB Jann Jakobs (rechts) mit Mitgliedern der Kerngruppe bei der Vorstellung der Dokumentation 2015 am 14.4.2016

 2
Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
Vorwort des
Oberbürgermeisters

                                                                                                                     Übersicht der Sitzungen
Das STADT FORUM POTSDAM hat mit seinen Veran-               widmete sich einem Thema, dass in der Vorbereitung       1998       1. Stadtmitte und Verkehr
                                                                                                                                2. Funktion und Gestalt der Mitte – Bedeutung für die Gesamtstadt
staltungen im Jahr 2016 ein Themenspektrum aufge-           und Durchführung eine besondere Herausforderung                     3. BUGA 2001 – Chance für Potsdam

griffen, mit dem die Wechselwirkung der dynamische          darstellte und mit sehr unterschiedlichen Erwartungen    1999
                                                                                                                       4. Die „Mitten“ Potsdams – Beispiel Projekt – Alte Stadtgärtnerei
Entwicklung der Stadt mit dem bürgerschaftlichen            verbunden war. Der Kerngruppe war es mit der Be-           5. Insel Potsdam – Stadtlandschaft am Wasser
                                                                                                                     		 und Ausbau der Wasserstraßen
Engagement und den erhaltenswerten bzw. wieder              setzung des Podiums gelungen, eine große Zahl von          6. Wohnungsbau und Bevölkerungsentwicklung in Potsdam

zu gewinnenden Qualitäten unserer Landeshauptstadt          Experten zusammen zu führen, ahnend dass die             2000
                                                                                                                       7. Gewerbeflächen und Arbeitsplätze in Potsdam
ihre Widerspiegelung fand.                                  Spannweite der Positionen kaum zu einem Konsens            8. Kulturstadt Potsdam
                                                                                                                       9. Gestalterische Ansprüche und Bedeutungswerte
                                                            zu führen sein würde. In den Beiträgen der Podiums-      		 für die zukünftige Mitte Potsdams

Dazu hat das STADT FORUM POTSDAM mit der 55. bis            teilnehmer wie auch in der zum Teil recht emotional      2001      10. Stadtteilzentren und Zentrenkonzepte für die Neubaugebiete
57. Sitzung zu den Themen „Stadtentwicklung und             geführten Diskussion war es auch für mich eine we-                 11. Preußenjahr 2001 – Wiederaufbau der Garnisonkirche?
                                                                                                                               12. Leitlinien der Stadtentwicklung Potsdams bis 2015
Bürgerbeteiligung“, „Wachsende Stadt – Begrenzte            sentliche Erkenntnis, dass die Lösung nicht erstrangig
                                                                                                                     2002      13. Öffentlicher Raum – Öffentliche Plätze
Flächen – Bedrohte Qualitäten“ und „Aufstellung der         in der Analyse der Eigentums- und Zuständigkeits-                  14. Potsdamer Norden – Potsdamer Süden
                                                                                                                               15. Kulturstadt Potsdam - Kulturhauptstadt Europas?
Attika-Figuren auf dem Landtagsneubau in Potsdam“           fragen, sondern auch im weiteren Diskurs zu den
gut strukturierte und qualifiziert besetzte Foren an-       bemerkenswert unterschiedlichen denkmalfachlichen        2003      16. Zwischenbilanz der Konversion
                                                                                                                               17. Gestaltungsansprüche für Architektur in Potsdam
geboten, die dem großen Bedarf an Information und           Fragen liegt.                                                      18. Potsdam - Alt und Neu - Nord und Süd

gesellschaftlichem Diskurs Rechnung trugen.                                                                          2004      19. Potsdam – Stadt der Gärten und Parks
                                                            Im Landtagsschloss sind schon heute hunderte                       20. Potsdam von außen
                                                                                                                               21. Älter werden in Potsdam
Folgerichtig widmete sich die erste Sitzung auch            von Spolien des zerstörten Stadtschlosses verbaut.       2005      22. Zukunft der Potsdamer Mitte
unmittelbar der Bürgerbeteiligung. Über den hier            Wir Potsdamerinnen und Potsdamer argumentieren,                    23. Zukünftige Schwerpunkte und Struktur der Potsdamer Kulturpolitik
                                                                                                                               24. Potsdam und der Tourismus
gewählten Kontext der Stadtentwicklung hinaus ist           dass auch die Stadtschlossfiguren, die heute in Berlin
die Diskussion auch für andere Themen der stadtge-          auf der Humboldt-Universität stehen, dazu gehören.       2006      25. Potsdams Funktionen als Landeshauptstadt
                                                                                                                               26. Städtebau und Architektur der Moderne in Potsdam
sellschaftlichen Reflektion von hoher Bedeutung und         Die Vertreter aus Berlin dagegen sagen, die Figuren                27. Mitte für die Stadt – Der Landtagsneubau

übertragbar. Dafür gibt es in Potsdam eine breite           gehören zu dem von der SED zur Repräsentation            2007      28. Sport in Potsdam
                                                                                                                               29. Die Zukunft des Potsdam-Museums
Palette von Formaten und Prozessen. Insbesondere            der „Hauptstadt der DDR“ neu zusammengefügten                      30. Politische Gewalt des 20. Jahrhunderts - Orte der Erinnerung in Potsdam
die Erörterung der gegenseitigen Abhängigkeit von           „Forum Fridericianum“, dass den Wiederaufbauwillen       2008 31. Vom Telegraphenberg zur Speicherstadt
Bürgerbeteiligung und repräsentativer Demokratie            des ostdeutschen Staates in dieser Zeit deutlich macht        32. Der Alte Markt und sein Umfeld
                                                                                                                          33. Potsdam als Erinnerungsort
zeigte, dass gerade in einer dynamischen Stadtgesell-       und damit eigenen Denkmalwert besitzt.
schaft das Hinterfragen von Entscheidungen letztlich                                                                 2009 34. Klimaschutz für Potsdam - Das Beispiel Bornstedter Feld
                                                                                                                          35. Architektonische Vielfalt und Nutzungsmischung in Potsdams Mitte
von Strukturen und Kontinuität bestimmt sein muss,          Zum Glück sind die acht Figuren in Berlin nur der             36. Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen als Standortfaktoren

um die Handlungsfähigkeit einer Kommune zu si-              kleinste Teil von alten Figuren und Figurfragmenten,     2010      37. Leitbauten- und Nutzungskonzeption für die Potsdamer Mitte
                                                                                                                               38. Verkehr in Potsdam
chern. Nicht zuletzt gehört auch das STADT FORUM            die in den Depots der Stiftung Preußische Schlösser                39. Klimaschutzkonzept für Potsdam
POTSDAM selbst zu den erprobten und anerkannten             und Gärten liegen und auf ihre Restaurierung warten.       40.
                                                                                                                     2011          DDR-Architektur in Potsdam
Formaten der Potsdamer Diskussionskultur.                   Die Wiederaufstellung von Attikafiguren auf dem Land-      41.         Stadtlandschaft Ufer – Potsdams Uferzonen
                                                                                                                       42.         Neubebauung am Alten Markt – Ergebnisse der Vergabeverfahren
                                                            tagsschloss wird also dank Spenden auch in Zukunft       		            zum Havelufer
Bereits im Titel der Sitzung zum Thema „Wachsende           weitergehen.                                             2012      43. Stadtentwicklungskonzept Verkehr
Stadt – Begrenzte Flächen – Bedrohte Qualitäten“ wi-                                                                           44. Neues Wohnen für Potsdam
                                                                                                                               45. Innovative Beteiligungsformen in der Stadtentwicklung
derspiegelt sich die Komplexität der Herausforderungen,     Abschließend möchte ich mich für das anhaltende
                                                                                                                     2013      46. Entwicklung der Kaserne Krampnitz
die auch weiterhin in unsere Stadt zu bewältigen sind.      ehrenamtliche Engagement der Kerngruppe des STADT                  47. Wohnen heißt Bleiben
Flächenkonkurrenzen werden in den nächsten Jahren           FORUM POTSDM recht herzlich bedanken. Um diese                     48. Tickets und Events in Potsdam

zunehmen und bedürfen eines vorausschauenden                Plattform für die öffentliche Diskussion auch künftig    2014      49. Potsdams Schulbildungslandschaft
                                                                                                                               50. Soziokulturelle Zentren im Umbruch
Managements. Sowohl der Beitrag aus Heidelberg              nutzen zu können, sichere ich dem STADT FORUM                      51. Stadtentwicklung im Weltkulturerbe
als auch das Potsdamer Beispiel haben gezeigt, dass         POTSDAM sowohl meine persönliche als auch die            2015      52. Kreativwirtschaft in Potsdam
ein offensives Umgehen mit ambivalenten Zielen einer        Unterstützung der Verwaltung zu.                                   53. Integration von Flüchtlingen
                                                                                                                               54. Leitbautenkonzept – Evaluation und Fortschreibung
hohen Kunst der Moderation, des Denkens in Pla-
nungsalternativen und der Suche nach Kompromissen                                                                    2016      55. Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung
                                                                                                                               56. Wachsende Stadt – Begrenzte Flächen
bedarf. Nur wenn wir in Potsdam eine größere soziale                                                                           57. Rückführung der Stadtschlossfiguren?
und funktionale Nähe akzeptieren, werden wir die                                                                     2017      58. Klimaschutz in Potsdam
Qualitäten von Welterbestätten und Erholungsräumen                                                                             59. Der Standort Golm

erhalten können.                                                                                                               60. Religiöse Glaubensgemeinschaften in Potsdam

                                                                                                                     Weitere Themen:
                                                                                                                     		 Zukunft der Wohngebiete im Südosten
Die dritte Sitzung des Jahres zur „Aufstellung der Stadt-                                                            		 Entwicklung des Tourismus
schlossfiguren auf dem Landtagsneubau in Potsdam“           Jann Jakobs                                              		 Gewerbe in Potsdam

                                                                                                                                                                                                             3
Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
STADT FORUM POTSDAM
Einführung der Kerngruppe

In Zeiten, in denen der Ton rauer wird und man nach einfachen             Beispiel einer vergleichbaren Stadt wie Heidelberg Anregungen zur        „Lindenforum“ bezeichnet. Aus Berliner Perspektive sind die Figuren
Lösungen ruft, bleibt es für eine Stadtgesellschaft besonders wichtig,    Qualifizierung von Freiräumen und neuartig gemischten Stadtvierteln,     Gegenstand des städtebaulichen Denkmals und unabhängig von
im Gespräch zu bleiben, den Austausch der Meinungen zuzulassen            dort „Wissensquartiere“ genannt. Die Vermeidung von Flächenkon-          einem Leihvertrag nicht wieder aus dem dortigen Zusammenhang her-
und allen nötigen Beschlüssen die mögliche Transparenz zu geben.          kurrenzen zu Gunsten der gemischten Stadt, die ohne Monostruktu-         aus zu lösen. Dagegen steht die Potsdamer Sichtweise, die die Rück-
Dafür ist das STADT FORUM POTSDAM gegründet worden. Ende der              ren auskommt und damit weniger Verkehr erzeugt, sollte eine Lösung       führung der originalen Figuren als Höhepunkt des mit erheblichem
1990er-Jahre war die politische Kraft bürgerschaftlichen Engage-          sein. Es wurde positiv vermerkt, dass entgegen der Ausweisung von        bürgerschaftlichem Engagement wieder hergestellten Alten Marktes
ments noch sehr präsent, hatte doch erst die Einmischung der Potsda-      Einfamilienhausgebieten im Potsdamer Umland in der Stadt selbst          versteht. Die Aufstellung der Figuren ist dabei die logische Konsequenz
mer Initiativen neue Leitbilder für die Entwicklung der Stadt gesetzt.    vorwiegend der flächensparende Geschoßwohnungsbau realisiert             zu den vielen in den Landtagsneubau bereits eingefügten Spolien.
Die Wende in Potsdam hatte sich wie vielerorts an der Ignoranz der        werden kann. Es konnte auch durch die Verwaltung überzeugend
Macht im Umgang mit der arg gebeutelten, aber erhaltungswürdigen          dargestellt werden, dass die Stadt die Herausforderungen einer wach-     Obwohl in der Sitzung die beiden Sichtweisen nebeneinander stehen
Stadtstruktur entzündet. Die großflächigen Abrisse in der Innenstadt      senden Gesellschaft annehmen kann. Mit der realistischen Planung         bleiben mussten, wurde schnell deutlich, dass denkmalpflegerische
oder die Verwahrlosung des Pfingstberges fanden ohne wirkliche            von ca. 16.000 Wohnungen in den nächsten 20 bis 30 Jahren wird           Entscheidungen immer in gesellschaftliche Situationen eingebettet
Bürgerbeteiligung statt. Sie waren Teil einer von oben gelenkten          das erforderliche Potential nachgewiesen. Solange dabei der Schutz       sind. Das betrifft nicht nur die Gegenwart. Offensichtlich ist noch eini-
Gesellschaftsstruktur, die keine Antworten mehr für die wirklichen        der charakteristischen Grün- und Freiflächen Vorrang hat, kann nicht     ges unerforscht an den damals wirklich Ausschlag gebenden Entschei-
Probleme geben konnte. Das bürgerschaftliche Engagement war eine          nur die Quantität, sondern auch die Qualität der neuen Wohnquartiere     dungen. Es wurde empfohlen, dazu die historischen Forschungen zu
entscheidende Triebfeder für die tiefgreifenden Veränderungen, die die    gesichert werden. Dennoch unvermeidbare Nutzungskonkurrenzen             vertiefen bevor die erste Skulptur aus konservatorischen Gründen de-
Stadt bis heute erlebt. Das STADT FORUM POTSDAM wollte sich               sollten möglichst mit der Kunst des Kompromisses ausgehandelt wer-       poniert werden muss. Spätestens dann müssen auf beiden Gebäuden
in einer neuen diskursiven Qualität einmischen, mitmachen und den         den, wie es in dem überzeugend präsentierten Beispiel des Projektes      Kopien vorgesehen werden. Die Potsdamer Stadtgesellschaft wäre
Prozess der neuen Veränderungen begleiten. Eines ist nach den 57          „Wohnen in den Obstgärten“ in Babelsberg realisiert wird. Die Sit-       erfreut, wenn dieser Vorgang nicht einfach ausgesessen würde und
Sitzungen ganz klar geworden. Die einfachen Lösungen gibt es auch         zung hat gezeigt, dass bei Einhaltung dieser Bedingungen Potsdams        sich durch Nichtstun erledigte, sondern im Interesse der Bürgerschaft
bei der Stadtentwicklung nicht. Wann begann die Wiederherstellung         Wachstum beherrschbar ist. Das STADT FORUM POTSDAM wird sich             erforscht und eventuell zu neuer Entscheidung gebracht wird.
des Alten Marktes? Mit dem Abriss des Theaterrohbaus 1991 oder            das nächste gemischte Wohnquartier mit seinen Freiräumen ansehen.
schon mit dem Beginn der Wiederherstellung der Kuppel der Niko-                                                                                    So hat das STADT FORUM POTSDAM 2016 wieder die Ebene für wich-
laikirche 1946? Wie viele Beschlüsse liegen dazwischen, wie viele         Die 57. Sitzung führte das STADT FORUM POTSDAM in ein zuerst als         tige Diskussionen geboten. Durch die Vorbereitung der ehrenamtlich
Träume und nicht erlaubte Diskussionen mehrerer Generationen?             Insiderthema verkanntes Gebiet. Es ging um die „Rückführung der          arbeitenden Kerngruppe wurden die notwendigen Impulsreferate
                                                                          Stadtschloss-Figuren auf das Gebäude des Landtagsneubaus“. Von           organisiert, die Verwaltung unterstützte aus fachlicher Sicht und die
So war es also an der Zeit, in der 55. Sitzung über „Stadtentwicklung     diesen stehen acht Figuren auf dem Hauptgebäude der Humboldt-            Stadtverordnetenversammlung sicherte den finanziellen Rahmen.
und Bürgerbeteiligung“ zu reden. Sicher ist die Bürgerbeteiligung         Universität in Berlin. Schnell wurde deutlich, dass dabei zwei Sicht-    Dafür sind wir dankbar und sehen es auch als eine Bestätigung unserer
heute für die einzelnen Prozesse rechtlich geregelt. Aber damit allein    weisen nebeneinander stehen, die so nicht miteinander ins Gespräch       Bemühungen. Wir danken auch allen Referenten, die sich die Zeit
stellt sich bei den Menschen noch kein Vertrauen ein. Neue Sichtwei-      kommen können. Wieder gibt es keine einfache Lösung. Die Berliner        nehmen und sich auf die Reise nach Potsdam machen. Vor allem aber
sen, Entwicklungen und Wertvorstellungen können in dynamischen            Vorstellungen halten die Figuren für einen unverzichtbaren Bestandteil   danken wir allen Teilnehmern, die sich einbringen in die unterschiedli-
Stadtgesellschaften wie in Potsdam zur Hinterfragung von politischen      einer bemerkenswerten Phase der Neubesinnung der DDR-Stadtpla-           chen Diskussionen und diese weitertragen in die Stadt.
Entscheidungen führen. Durch andere Bevölkerungsgruppen und               nung auf die städtebauliche Rekonstruktion und frühe Preußenre-
Problemstellungen werden die zeitbezogenen politischen Entschei-          zeption in dem Vorzeigeareal des Forums Fridericianum, damals als        Albrecht Gülzow
dungen neu thematisiert. Gleichzeitig ist die Kontinuität der Prozesse
eine wesentliche Grundlage der Demokratie und der Handlungsfä-
higkeit der Gemeinde. Die Sitzung gab nicht nur einen Überblick
über die neuen Beteiligungsformate in der Stadt Potsdam, die weit
über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen, sondern stellte
fest, dass Bürgerbeteiligung und repräsentative Demokratie in einem
wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen und einander
bedürfen. Es war eine versöhnliche Botschaft der Sitzung, dass gut
vorbereitete Beteiligungsprozesse Entscheidungen der gewählten
Gremien inhaltlich bereichern und zu einer höheren Akzeptanz der
trotzdem notwendigen Mehrheitsentscheidungen führen können.

Die zweite, nicht minder spannende Sitzung des Jahres beschäftigte
sich mit dem Thema „Wachsende Stadt – Begrenzte Flächen – Be-
drohte Qualitäten“. Hier war wieder der schon oft geübte „Blick von
außen“ sehr hilfreich. Potsdam steht mit dem Problem des Wachs-
tums in Deutschland nicht ganz allein. So lieferte das gut präsentierte   Halo Kölling und Albrecht Gülzow (beide Kerngruppe STADT FORUM POTSDAM) im Gespräch

4
Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
55. Sitzung am 21.4.2016
„Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung –
Konflikte und Chancen“
Leitgedanken der Kerngruppe

Stadtentwicklung ist in der demokratischen Gesellschaft    der demokratischen Verfasstheit des Gemeinwesens             Aufstellungs- und Beschlussverfahren für Bebauungspläne
nicht mehr ohne bürgerschaftliche Teilhabe und individu-   und betrifft immer mehr Lebensbereiche z.B. die Ge-          in der Regel mustergültig und verläuft meist problemlos.
elles Engagement denkbar. Das zeigt die Betrachtung        staltung der Energiewende und die Verkehrspolitik.           Darüber hinaus spielt die Bürgerbeteiligung in den
sämtlicher Entwicklungsprozesse im städtischen Raum        Das gilt in besonderer Weise für die Kommune, wo             neun in Potsdam festgelegten Sanierungsgebieten
seit langer Zeit. Die Formen und Verfahren dieses Enga-    individuelles Engagement und politische Verantwortung        eine besondere Rolle.
gements, also der Bürgerbeteiligung oder Partizipation,    am unmittelbarsten aufeinander treffen. In der heute
haben sich in den letzten 50 Jahren ständig gewandelt      gültigen Kommunalverfassung und im kommunalen Pla-           Die informelle Bürgerbeteiligung beruht nicht auf
und neu ausgerichtet. Die Wende von 1989 hat deut-         nungssystem ist die Bürgerbeteiligung eine feste Größe       gesetzlichen Vorgaben, sondern entsteht aus der Mitte
lich gezeigt, welch politische Kraft dieses Engagement     – die Verfahren, Vorgaben und Stufen der Beteiligung sind    der Gesellschaft oft auch ohne konkrete Intervention
gewinnen kann: Die Initiativen von Potsdamer Bürger/       bundesrechtlich vorgegeben und haben sich ständig            oder Vorhaben und hat höchst unterschiedliche Hand-
inn/en für den Erhalt ihrer innerstädtischen Bauten und    ausdifferenziert. In den letzten Jahrzehnten sind in allen   lungsbereiche oder Politikfelder im Fokus (z.B. lokale
gegen die Zerstörung der natürlichen Ressourcen der        Landes- bzw. Kommunalverfassungen, so auch in Potsdam,       Agenda 21- Arbeitsgruppen zur internationalen Klima-
städtischen Entwicklung waren ein maßgeblicher Fak-        Instrumente der direkte Demokratie (Bürgerbegehren und       politik). Auf der kommunalen Ebene entsteht informelle
tor, der in Potsdam zum Fall der SED-Diktatur und zur      Bürgerentscheid) eingeführt worden, die das System der       Bürgerbeteiligung oft in einem bestimmten Quartier
Demokratisierung der gesellschaftlichen Entwicklung        repräsentativen Demokratie wesentlich ergänzen.              oder als Reaktion auf ein von Bürger/inn/en als
entscheidend beigetragen hat. Sie haben das Stadtbild,                                                                  Missstand empfundenes Problem.
den sozialen Wert und den Charakter Potsdams, insbe-       Damit wird deutlich, dass die Gestaltung der Zusammen-
sondere seiner Innenstadt maßgeblich und unübersehbar      arbeit zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung immer
verändert.                                                 wichtiger für die Zukunftsfähigkeit einer Kommune wird       Beispiele für bemerkenswerte Beteiligungsverfahren
                                                           (s. Netzwerk Bürgerbeteiligung, Empfehlungen für eine        und außerordentliches bürgerschaftliches Engagement
Das Engagement zahlreicher damals gegründeter und          verlässliche und wirksame kommunale Beteiligungs­            in Potsdam:
oft bis heute bestehender Vereine, Initiativen und Per-    politik, Juni 2015). Aus der Erkenntnis, dass Bürger-
sonen (ARGUS Potsdam e.V., Pfingstberg e.V., Verein        beteiligung einen festen Rahmen, Ressourcen und eine         1. Ein aufschlussreiches Beispiel für kommunale
Potsdamer Stadtschloss e.V., Initiative Mitteschön,        gewisse Struktur erfordert, hat Potsdam vor drei Jahren         Bürgerbeteiligung in Potsdam ist der Neubau eines
Förderverein für die Wiederherstellung des Stadtkanals,    schon Konsequenzen gezogen und eine WerkStadt für               neuen Sport- und Freizeitbades, der die Kommu-
Förderverein zur Pflege niederländischer Kultur in Pots-   Beteiligung eingerichtet, die „allen Einwohner/inn/en           nalpolitik schon seit vielen Jahren beschäftigt.
dam e.V usw.) war auch eine entscheidende Triebfeder       Potsdams einen leichten Zugang zu verschiedenen For-            Im Jahr 2010 hatte die StVV nach langen
für die behutsame Erneuerung der 2. Barocken Stadter-      men der aktiven Beteiligung ermöglichen will“ (home-            Debatten entschieden, dieses Bad nicht nach dem
weiterung und für die Wiedergewinnung der Potsdamer        page der Stadtverwaltung Potsdam, s.u.)                         Entwurf des brasilianischen Architekten Niemeyer
Mitte, die zu zahlreichen politischen Entscheidungen wie                                                                   am Brauhausberg, sondern auf einem Standort
Sanierungssatzungen und 2010 zum Leitbautenkonzept         Bei der Bürgerbeteiligung ist zwischen der formellen            im Potsdamer Norden (Volkspark Bornstedter
einschließlich der teilweisen Rekonstruktion von einzel-   d.h. gesetzlich geregelten und der informellen                  Feld) zu bauen und dafür ein Kostenvolumen von
nen Gebäuden im Bereich um den Alten Markt führten.        d.h. frei gestaltbaren Bürgerbeteiligung zu unter-              18 Mio E vorgesehen. Bei der weiteren Planung
Vor kurzem hat sich mit der Initiative Potsdamer Mitte     scheiden. Die formelle Bürgerbeteiligung ist in der             ergaben sich jedoch Schwierigkeiten mit der Ein-
neu denken zudem eine weitere Initiative gegründet,        kommunalen Bauleitplanung am differenziertesten                 haltung dieses Kostenrahmens, außerdem formier-
die sich für den zumindest teilweisen Erhalt der vorhan-   geregelt. Bei der vorgezogenen Bürgerbeteiligung soll           te sich Widerstand gegen diesen Standort und eine
denen Architektur aus DDR-Zeiten einsetzt und die voll-    die Öffentlichkeit frühzeitig über die allgemeinen Pla-         Initiative für den Erhalt des bestehenden Bads im
ständige Rückkehr zum historischen Stadtgrundriss aus      nungsziele informiert werden und sich dazu grundsätz-           Süden der Stadtmitte, nämlich auf dem Brauhaus-
geschichtspolitischen und finanziellen Gründen ablehnt.    lich äußern. Bei der verbindlichen Bauleitplanung muss          berg. Die Stadtverwaltung entschied sich für eine
                                                           die konkrete Planung in allen Details dargelegt werden,         erneute Untersuchung der verschiedenen Varianten
Zu den frühesten Konfliktthemen nach 1990 gehörten         die Stellungnahme den Bürger/inn/en müssen prä-                 und für eine Bürgerbefragung, die sorgfältig und
Proteste gegen einige die Potsdamer Kulturlandschaft       zise darauf eingehen und zudem formalen Vorgaben                qualifiziert vorbereitet wurde. Nachdem die Option
schädigende Bauvorhaben wie 1993 am Glienicker             entsprechen, um berücksichtigt zu werden. Die Pla-              eines Erhalts des bestehenden Bads im Vorfeld
Horn und ab 1996 das Potsdam-Center am Bahnhof,            nungsverwaltung wiederum muss dabei alle Einwände               untersucht und verworfen wurde, ergab die Bürger-
gegen das eine Aktionsgemeinschaft gegründet wurde.        zur Kenntnis nehmen und in nachvollziehbarer Weise              befragung im Mai 2012 eine deutliche Mehrheit
Auch Hausbesetzungen und die Entstehung von Kultur-        zueinander in Beziehung setzen („Abwägungsgebot“).              für einen Neubau des Stadtbads am Brauhausberg
initiativen gehörten zum wachsenden Bürgerengagement       Die formelle Bürgerbeteiligung ist im Normalfall vor-           und damit für die Variante, die nach Auffassung
der 90er Jahre.                                            habenbezogen, d.h. sie kommt dann zur Anwendung,                der Stadtverwaltung höhere Kosten und spätere
                                                           wenn für ein konkretes Bauvorhaben juristisch valides           Fertigstellung des Stadtbades bedeutet. Mittler-
Individuelles Engagement und direkte, freiwillige Betei-   Planungsrecht geschaffen werden muss. In Potsdam                weile ist das Schwimmbad am Brauhausberg in
ligung von Bürgern ist heute eine zentrale Grundlage       ist die Praxis der formellen Bürgerbeteiligung v.a. im          Bau und soll 2017 fertiggestellt werden.

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Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
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  Ein anderes Potsdamer Beispiel mit Merkmalen
  der formellen wie auch der informellen Beteili-
  gung istdie Bürgerbeteiligung für díe „Garten-
  stadt Drewitz“, die 2009 aus einem von PRO
  POTSDAM initiierten Wettbewerbsbeitrag zur en-
  ergetischen und umweltgerechten Umgestaltung
  des Neubaugebiets Potsdam-Drewitz entstand.
  Nachdem die SVV bereits einstimmig das Projekt       Debatte unter den Teilnehmern der 55. Sitzung
  bestätigt hatte, gab es massive Kritik der Quar-
  tiersbewohner. Dies führte zu einem mehrstufi-           in der wachsenden Stadt Potsdam läuft hier der          interpretiert wurden und sich viele Bürger gegen
  gen Werkstattverfahren unter Beteiligung des be-         schwierige Versuch, mit einem Verfahren, das            einen mit Steuermitteln finanzierten Hotelabriss
  reits existierenden Stadtteilrats Stern/Drewitz/         einerseits der komplexen Gemengelange und an-           aussprachen, hat sich die StVV kürzlich dem
  Kirchsteigfeld, der Bildung einer Bürgervertretung       dererseits den disparaten Organisationsformen           Votum des Gutachtergremiums zum Lustgarten
  Drewitz und dem Beschluss der Stadtverordneten           und Interessen der Beteiligten Rechnung trägt,          angeschlossen, das unter dem Vorbehalt des
  über ein komplexes Beteiligungskonzept. Die              gemeinsam Lösungen zu entwickeln und auch               Nachweises der Finanzierung perspektivisch den
  durch Wahlen legitimierte Bürgervertretung setzt         umzusetzen                                              Abriss des Hotels einschließt. Eine Initiative hat
  sich seit Mai 2011 für die Neugestaltung des                                                                     daraufhin die Durchführung eines Bürgerbegeh-
  Stadtteils ein und beteiligt sich seitdem aktiv an   4. Ein besonders reiches Feld der spontanen und             rens gegen den Hotelabriss beschlossen.
  der Umsetzung und Weiterentwicklung des Ma-             dann auch institutionalisierten Bürgerbeteiligun-
  sterplans für diesen Stadtteil.                         gen ist die Potsdamer Mitte, in der ein starkes     5. Ein weit über Potsdam hinaus reichendes Beispiel
                                                          öffentliches Engagement und darauf aufbauen-           für Bürgerengagement betrifft den Wiederaufbau
3. Ein weiteres Beteiligungsverfahren hat sich in         de politische Beschlüsse mit dem Rückbau der           der 1945 teilzerstörten und 1968 gesprengten
   drei Quartieren unter dem Titel „Zukunft der           Breiten Straße, dem Lustgarten, dem Landtags-          Garnisonkirche sowie den Umgang mit dem nörd-
   Wohnsiedlungen Behlert-Gutenberg-Karree,               neubau und der Bebauung am Havelufer erste Er-         lich davon gelegenen, zu DDR-Zeiten teilüberbau-
   Brauhausberg/Einsteinstraße und Großbee-               gebnisse zeigen. Ein stark beachtetes, bis heute       ten Stadtplatz der Plantage. Auf der Grundlage
   ren-/Grünstraße“ entwickelt. Da diese lange            hochaktuelles Beteiligungsverfahren betrifft den       eines unmittelbar nach der Wende gefassten StVV-
   durch Restitutionsansprüche von ehemaligen             Bereich des Lustgartens und die Zukunft des            Beschlusses zum Wiederaufbau der Garnisonkirche
   Alteigentümer/innen belastet waren, fanden             dort befindlichen Hotels Mercure, das 1969             haben sich nach einigen Wendungen ein Verein
   über einen großen Zeitraum hinweg keine In-            als Interhotel Potsdam fertiggestellt wurde.           sowie eine kirchliche Stiftung gegründet, die den
   standsetzungs- oder Modernisierungsarbeiten            Diese Debatte entstand mit den Vorbereitenden          Wiederaufbau der Garnisonkirche mit großem
   statt. Hierdurch verfielen die Gebäude zwar zu-        Untersuchungen für das 1999 eingeleitete Sa-           Engagement verfolgen und erreicht haben, dass
   sehends, aber das Mietpreisniveau blieb dadurch        nierungsverfahren und der Gestaltung des neu-          Baurecht für den Turm der Kirche geschaffen wur-
   vergleichsweise gering. Nach der Eigentumsüber-        en Lustgartens zur BUGA 2001, durch die nun            de. 2014 hatte jedoch ein Bürgerbegehren gegen
   nahme durch die ProPotsdam stellte sich die drin-      notwendige Konkretisierung der Sanierungsziele         dieses Vorhaben überraschenden Erfolg, zudem
   gende Frage, wie die günstigen Mieten erhalten         hat die Debatte neue Dynamik bekommen. Zur             sprachen sich auch engagierte Christen dagegen
   bleiben und zugleich die nötigen Modernisierun-        weiteren Gestaltung des gesamten Lustgartens           aus. Um die danach entstandene Konfliktsituation
   gen durchgeführt werden können. Insbesondere           wurde 2014/15 eine aufwendige Planungs-                aufzulösen, wurde ein Bürgerbeteiligungsverfahren
   im Hinblick auf das Behlert-Gutenberg-Karree           werkstatt mit mehreren Beteiligungsplattfor-           gestartet, dessen Abschluss derzeit noch offen ist.
   führte das Beteiligungsverfahren im breiten            men (Online-Dialog, Info-Box, Auswertung von
   politischen Konsens dazu, dass im direkten Aus-        schriftlichen Stellungnahmen) durchgeführt, die     6. Der Bürgerdialog zur Erarbeitung eines neuen
   tausch zwischen Mieter/innen und ProPotsdam            mit einem Gutachterverfahren und konkurrieren-         Leitbilds für Potsdam ist hingegen ein Beispiel für
   ein abgestimmtes, aufwandsreduziertes Moder-           den städtebaulichen Entwürfen verknüpft war.           einen von der Verwaltung bzw. Stadtpolitik initiierten
   nisierungskonzept im Sinne eines Pilotversuches        Wenngleich die darauf aufbauenden Vorschläge           Beteiligungsprozess. Dieser Bürgerdialog wurde unter
   mit gedeckelten und sozial gestaffelten Mieten         zur Konkretisierung der Sanierungsziele weitaus        dem Motto „Potsdam weiterdenken“ in mehreren
   beschlossen wurde. Die entsprechenden Arbeiten         komplexer sind, konzentriert sich der öffentliche      Stufen und mit vielen Veranstaltungen in den einzel-
   sind gegenwärtig bereits in der Durchführung und       Diskurs auf die Frage, ob das private Hotel-           nen Ortsteilen durchgeführt und führte zur Erarbeitung
   das Beteiligungsverfahren dauert darüber hinaus        Hochhaus zugunsten einer öffentlichen Grünflä-         von über 100 Thesen zur zukünftigen Entwicklung
   auch in den anderen Siedlungen noch an. Gerade         che und einer Sichtbeziehung zwischen Landtag          der Stadt, die in mehreren Kernthemen gebündelt
   vor dem Hintergrund der brisanten Fragen nach          und Neptunbecken, bzw. Havel und Templiner             wurden. Nach Durchführung von zwei Werkstätten
   Wohnraumknappheit, Mietpreissteigerungen               See abgerissen werden soll. Obwohl die Ergeb-          wurde ein Leitbild-Entwurf gefertigt, der nun der StVV
   und damit verbundenen Verdrängungseffekten             nisse der Beteiligungsverfahren unterschiedlich        zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll.

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Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
gung“ eingerichtet, die aus einem gleichberechtigten
                                                                                                                            Team aus Mitarbeiter/innen der Verwaltung und Mit-
                                                                                                                            arbeiter/innen eines zivilgesellschaftlichen Trägers (
                                                                                                                            mitMachen e.V.) besetzt ist und als eine Schnittstelle
                                                                                                                            zwischen Verwaltung und Einwohner/innen fungiert.
                                                                                                                            Sie hat zum einen die Aufgabe, die Beteiligungskultur
Auszug aus der Präsentation von Nils Jonas und Kay-Uwe Kärsten (WerkStadt für Beteilung)                                    innerhalb der Verwaltung zu stärken, zum anderen
                                                                                                                            werden die vielfältigen Initiativen und Strukturen der
                                                                                                                            Zivilgesellschaft beraten und unterstützen. Zudem
                                                                                                                            werden Beteiligungsprozesse sowohl von „unten wie
                                                                                                                            von oben“ begleitet und unterstützt, wobei die soge-
                                                                                                                            nannten Grundsätze der Beteiligung als angestrebte
                                                                                                                            Qualitätsstandards für Prozesse dienen. Dabei eignet
                                                                                                                            sich die WerkStadt keinesfalls die jeweiligen Inhalte
                                                                                                                            der Akteur/innen an sondern fungiert als Anwältin der
                                                                                                                            Prozesse an sich. Es sollen zudem langfristige Struktu-
                                                                                                                            ren erprobt und etabliert werden, die Beteiligung zur
                                                                                                                            Selbstverständlichkeit werden lassen, an der alle ohne
                                                                                                                            große Hürden teilnehmen können und die spürbare Aus-
                                                                                                                            wirkungen auf die Gestaltung der Stadt haben.

                                                                                                                            Nach drei Jahren steht nun die Evaluierung dieses in
Auszug aus der Präsentation von Nils Jonas und Kay-Uwe Kärsten (WerkStadt für Beteiligung)                                  Deutschland einzigartigen und anspruchsvollen Modell-
                                                                                                                            projektes an, die durch das Deutsche Institut für Urba-
7. Die Einrichtung eines Bürgerhaushalts in Potsdam             fluss der Informationstechnologien und der sozialen         nistik durchgeführt wird und deren Ergebnisse in Kürze
   wurde schon vor einigen Jahren beschlossen. Dabei            Medien einen weiteren Veränderungsschub erfahren.           veröffentlicht werden. Zentrale Erkenntnisse und Her-
   handelt es sich um die Umsetzung von Bürgervor-              Diese neuen Technologien bekommen v.a. deswegen             ausforderungen werden im STADT FORUM POTSDAM
   schlägen und -ideen. Die von den Bürgern einge-              eine große Bedeutung, weil damit junge Menschen be-         aber bereits vorgestellt und diskutiert.
   brachten Vorschläge werden hinsichtlich ihrer Kom-           sonders angesprochen und aktiviert werden können und
   patibilität, ihrer Umsetzbarkeit und ihrer finanziellen      weil dadurch komplexe Sachverhalte möglicherweise           Für die Diskussion des Themas im STADT FORUM POTS-
   Auswirkungen von einem Projektteam geprüft,                  einfacher kommuniziert werden können. Hierfür ist je-       DAM können auch die folgenden Fragen bzw. Thesen
   bevor sie der Stadtverordnetenversammlung zum                doch „eine viel jugendgerechtere Ansprache nötig“, bei      hilfreich sein:
   Beschluss und zur Realisierung vorgelegt werden.             der „das Internet und die neuen sozialen Netzwerke als
   Teilweise wird das Verfahren auch zu allgemeineren           Kommunikationsmittel eine entscheidende Rolle“ spie-        1. Bürgerbeteiligung ist mit immer komplexer werden-
   politischen Statements genutzt. Dies und Haushalts-          len sollten (s. Befragung des Stadtjugendrings Potsdam         den Planungen konfrontiert, deren Anlässe und Ziele
   beschränkungen führen dazu, dass nur bestimmte               2012). Gegen eine solche Präferenz der neuen sozialen          weit über den kommunalen Kontext hinausweisen.
   Vorschläge konkret umgesetzt werden können.                  Medien gibt es jedoch auch Einwände u.a. wegen der             Der kommunale Rahmen erweist sich dafür oft als
                                                                Spontaneität, der Anonymität und wegen des z.T. un-            zu eng gesteckt. Ist die notwendige „strukturelle
8. In den Kontext des informellen Bürgerengagements             reflektierten Kampagnencharakters. Daneben erschwert           Aufwertung der Bürgerbeteiligung innerhalb des be-
   gehört auch das STADT FORUM POTSDAM selbst,                  die Vielzahl unterschiedlicher Verfahren die Orientierung      stehenden Systems der repräsentativ ausgestalteten
   das sich 1998 als bürgerschaftliche Initiative bil-          für Bürger, Politik und Verwaltungen.                          Demokratie“ (Prof. Roland Roth) mit verbesserten
   dete mit der Aufgabe, „alle wichtigen Fragen der                                                                            Verfahren und Instrumenten zu leisten?
   Potsdamer Stadtentwicklung zu behandeln – in                 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und ange-
   wechselseitiger Verknüpfung von Fachwissen, bür-             sichts immer wiederholter Forderungen aus der Bürger-       2. Wie kann bei Beteiligungsprozessen das Paradox
   gerschaftlichem Engagement und politischer bzw.              schaft nach neuen Anstößen in der Bürgerbeteiligung hat        vermieden werden, dass Bürger sich im Frühsta-
   administrativer Verantwortung“ (Auszug aus: STADT            die StVV Potsdam sich 2012 für eine eigene Initiative          dium von Konflikten und Entwicklungsproblemen
   FORUM POTSDAM - Ziele und Merkmale).                         entschieden. Nach einer Bestandsanalyse und mehreren           mit recht viel Einflussmöglichkeiten eher wenig
                                                                Workshops und Konferenzen wurde eine Arbeitsgruppe             beteiligen, während die Bürgerbeteiligung in
Die große Vielfalt der praktizierten Konzepte von for-          gebildet, die mithilfe zahlreicher Bürger/innen Überle-        späteren Phasen dieser Konflikte, wo es meist
meller und vor allem von informeller Bürgerbeteiligung          gungen für eine modellhafte Beteiligungsorganisation           nur noch geringe Einflussmöglichkeiten gibt, oft
hat in den letzten Jahren unter dem wachsenden Ein-             erarbeitete. 2013 wurde eine „WerkStadt für Beteili-           deutlich höher ist?

                                                                                                                                                                                 7
Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
3. Informelle Planungsprozesse sind oft dadurch ge-        4. Dass auch in Potsdam seit einigen Jahren praktizierte Mo-         abzuwehren, während die „normalen“ Bürger, die wo-
   prägt, dass nur eine verhältnismäßig geringe Zahl          dell des Bürgerhaushalts, stößt dort an seine Grenzen, wo         möglich von einer solchen Planung profitieren, sich wenig
   von – allerdings sehr kompetenten und überwie-             die kommunale Realität durch wirtschaftliche Probleme,            artikulieren. Damit wird die soziale Ausgewogenheit von
   gend „netzaffinen“ - Bürgern sich in immer dynami-         Schrumpfung und radikale Sparzwänge geprägt ist. Wie              Planungszielen tendenziell gefährdet.
   scher werdenden Abstimmungszyklen daran beteili-           kann vermieden werden, dass das Instrument des Bür-
   gen, während ein breiter Anteil von Bürger/inn/en          gerhaushalts in diesen Fällen zu bloßer „Beratung beim       6. Potsdam weist mehrere Verfahren auf, bei denen politi-
   sich wenig einmischt und eher auf die „klassischen“        Sparen“ (Dr. Carsten Herzberg) verkommt?                        sche Beschlüsse den Zielen engagierter Bürgergruppen fol-
   Beteiligungsverfahren der repräsentativen Demokra-                                                                         gen, diese dann durch andere engagierte Gruppen kritisiert
   tie vertraut (bei tendenziell sinkender Wahlbeteili-    5. Bei bestimmten Planungen, die durch den Grad ihrer For-         werden. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Bestand
   gung!). Dies könnte langfristig zu einer Schieflage        malisierung schwerer durchschaubar sind, ist verstärkt die      von Ergebnissen und der Position von Mehrheitsverhältnis-
   oder sogar zu einer Spaltung im Beteiligungsprozess        sog. NIMBY-Haltung („Not in my backyard“ – „Nicht vor           sen im Rahmen der repräsentativen Demokratie.
   führen. „Wer die Beschleunigung des Politikprozes-         meiner Haustür“) vorzufinden, bei der besser gestellte
   ses will, muss die Idee einer politischen Gleichheit       und juristisch versierte Bürger es gut verstehen, negati-    Für die Kerngruppe
   der Bürger aufgeben.“ (Prof. Herfried Münkler)             ve Auswirkungen einer Planung für ihren Einflussbereich      Dr. Günter Schlusche

Das Podium der 55. Sitzung mit (v. r. n. l.) Prof. Roland Roth, Nils Jonas, Kay-Uwe Kärsten (beide WerkStadt für Beteiligung, Potsdam), Moderatorin Brigitte Faber-Schmidt,
Saskia Hüneke (STADT FORUM POTSDAM) und Dr. Günter Schlusche (Geschäftsstelle)

Saskia Hüneke
Potsdamer Erfahrungen im bürgerschaft-                     den Ebenen der Beteiligung. Voraussetzung für                   jeder Protest kann Erfolg haben, denn das Prinzip
lichen Engagement                                          eine faire Beteiligung und einen fairen Diskurs                 der Mehrheitsentscheidungen bildet eine wesentliche
                                                           sind Information und sachliche Argumentation.                   Grundlage der Demokratie und für eine handlungs-
Potsdam weist seit der friedlichen Revolution              Hier hat das STADT FORUM POTSDAM seit 1998                      fähige Kommune. Auch tragen die Stadtverordneten
und der ersten freien Kommunalwahl 1990 ein                seine Aufgabe gesehen, das viele der mehr oder                  und die Verwaltung Verantwortung für das ganze
vielfältiges bürgerschaftliches Engagement auf.            weniger kontrovers diskutierten Themen aufgreift                Stadtgefüge, in das sich Einzelinteressen einfügen
Die Stadtverordnetenversammlung (SVV) und                  und dokumentiert.                                               müssen.
die Verwaltungen intendieren die Themen selbst
oder reagieren auf Anregungen von außen. Ins-              Insgesamt spiegelt sich in der Entwicklung seit                 Konflikte entstehen neu, wenn die in demokratisch
gesamt entstehen viele Beteiligungsformen, ge-             1990 das komplexe Verhältnis von Legislative                    gewonnenen Mehrheiten erreichten Ergebnisse von
setzlich vorgeschriebene sowie neu strukturierte           und Exekutive sowie von repräsentativer und                     der Verwaltung nicht oder nur teilweise umgesetzt
Befragungen und Beteiligungen. Letztere werden             direkter Demokratie auf kommunaler Ebene äu-                    werden oder wenn Projekte in fortgeschrittenem Sta-
besonders dann gefordert bzw. intensiv genutzt,            ßerst lebendig wider. Neueste Errungenschaft ist                dium wieder neu in Frage gestellt werden. Ein gutes
wenn es Konfliktlagen gibt. So entsteht ein in-            das Büro für Bürgerbeteiligung, das zu Möglich-                 Beispiel dafür und für die Komplexität der Wechsel-
tensiver öffentlicher Diskurs: zwischen verschie-          keiten der Beteiligung beraten soll.                            wirkungen der Ebenen ist der Diskurs zur Wiederge-
denen Gruppen, zwischen den Fraktionen der                                                                                 winnung der Potsdamer Mitte.
STVV, zwischen STVV und Stadtverwaltung. Es                Engagement bewirkt etwas in Potsdam!
gibt intensive Wechselwirkungen zwischen innen             Aber so wichtig und wirksam die Beiträge von en-
und außen, bezogen auf die StVV und zwischen               gagierten bzw. betroffenen Menschen sind: Nicht

8
Dokumentation 2016 - Landeshauptstadt Potsdam
Kay-Uwe Kärsten berichtet über das Modellprojekt zur Bürgerbeteiligung

Hans Joachim Scharfenberg (StVV-Fraktion Die Linke) in der Diskussion zum Thema   Andre Tomczak (BI Potsdamer Mitte neu denken) in der Diskussion
Bürgerbeteiligung

                                                                                                                                                    9
55. Sitzung STADT FORUM POTSDAM, 21.4.2016
Neue Formen des Bürgerengagements in der
Zivilgesellschaft
Roland Roth

Die lokale Demokratie hat im Nachkriegs-Deutsch-          Schicksal der Piratenpartei hat daran erinnert, dass      Dazu gehören neue Informationsrechte und Transpa-
land bereits mehrere Phasen erlebt. Aktuell erleben       Vertrauen und Kooperation als zentrale Grundlagen         renzregeln ebenso wie eine partizipative und inklusive
wir eine neue Beteiligungswelle, die zu Beginn des        gemeinsamen Handelns nicht allein durch „liquid           Kommunikations- und Entscheidungspraxis in politi-
Jahrzehnts mit massiven Bürgerprotesten einsetzte         democracy“ gestiftet werden können.                       schen Prozessen sowie ein verändertes Selbstverständ-
(Stuttgart 21, Flughafen-Gegner in Berlin und an-                                                                   nis von politischer Repräsentation. Innovative Ansätze
derswo, Proteste gegen die Privatisierung kommuna-        Das vermutlich hervorstechendste Kennzeichen der          lassen sich auch in einzelnen Politikfeldern der Länder
ler Infrastruktureinrichtungen etc.). Ein gemeinsamer     aktuellen Phase ist das Bemühen, zu einer stärkeren       feststellen, die damit für die lokale Ebene Anreize
Antrieb von Bürgerinitiativen und „Wutbürgern“ sind       Institutionalisierung von Beteiligungsansprüchen und      schaffen oder Partizipation obligatorisch machen.
jenseits der konkreten Anlässe gestiegene Beteili-        -garantien zu kommen (so auch Klages 2014). Ziel
gungsansprüche, die sich heute - im Unterschied zu        ist eine neue kommunale Partizipationskultur, in der      Schließlich ist die aktuelle Beteiligungswelle stärker
früheren Beteiligungswellen - auf demoskopische           alle Beteiligten, nicht zuletzt auch die Bürgerinnen      als zuvor von einer internationalen Konjunktur neuer
Mehrheiten in der Bevölkerung berufen können.             und Bürger erwarten können, dass wichtige Entschei-       Beteiligungsformate gekennzeichnet. Ein weltweiter
Exemplarisch sei auf eine repräsentative Forsa-           dungen nur mit Bürgerbeteiligung gefällt werden.          demokratischer Experimentalismus hat zu einer be-
Umfrage vom April 2015 verwiesen, nach der sich           Es geht um einen Weg aus einer weit verbreiteten          achtlichen Repertoireerweiterung der partizipativen
lediglich 24 % der Befragten mit ihren kommunalen         Misstrauenskultur zwischen (Teilen der) Bürgerschaft      Verfahren beigetragen. Die große Mehrzahl der
Einflussmöglichkeiten zufrieden zeigen, während 58        einerseits, Politik und Verwaltung andererseits, der      – je nach Zählung – zwischen 80 und 180 Betei-
% mehr Beteiligung einfordern. In Großstädten über        durch eine verlässliche und wirksame Beteiligungs-        ligungsformate (s. Smith 2005; www.participedia.
100.000 Einwohner ist der Abstand noch größer.            praxis eröffnet werden soll. Dazu dienen vor allem        net; www.ncdd.org) wird auf lokaler Ebene ein-
Hier sind nur 19 % zufrieden, während zwei Drittel        kommunale Beteiligungssatzungen, Partizipati-             gesetzt und kommt aus den Ländern des globalen
der Befragten mehr Einflussmöglichkeiten wünschen         onsbeauftragte in der Verwaltung und verbesserte          Südens, aus Schwellenländern wie Brasilien oder aus
(Forsa 2015: 5).                                          rechtliche Regelungen. Eng mit dieser Entwicklung         der südlichen europäischen Peripherie. Insgesamt
                                                          verknüpft, ist auch das verstärkte Streben nach           lässt sich für die gegenwärtige Phase kommunaler
Der Ausbau kommunaler Beteiligungsangebote erscheint      Professionalisierung und Qualitätssicherung in Be-        Bürgerbeteiligung festhalten, dass auch dieses Mal
heute vielen kommunal Verantwortlichen als intelligente   teiligungsprozessen. (Evaluierung der Werkstadt für       Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen und Proteste
Antwort auf unterschiedlichste Herausforderungen.         Beteiligung in Potsdam).                                  demokratische Partizipationsansprüche befeuern.

Nachdem es um die Modellkommunen der letzten              Neu ist auch die verstärkte Zuarbeit von Unterneh-        Auf dem Weg zu einer „vielfältigen Demo-
Phase ruhig geworden ist, erleben wir aktuell eine        men. Von der Immobilienwirtschaft bis zur Energieb-       kratie“
Wiederbelebung des Leitbilds „Bürgerkommune“              ranche scheint es heute selbstverständlich zu sein,
(vgl. Roß/Roth 2015). Neu ins Spiel gebracht              dass ohne frühzeitige Bürgerbeteiligung keine neuen       Verstärkt durch die Proteste gegen „Stuttgart 21“
werden Transparenz (open government) und die              großen Infrastrukturprojekte durchsetzbar sind. Be-       und ähnlichen Mobilisierungen an vielen Orten – in
Kooperation in Netzwerken („Kollaboration“), um           gleitet wird diese Entwicklung auch von wichtigen         Berlin etwa im Zusammenhang mit dem BER - erle-
kommunale Aufgaben angemessen lösen zu können.            Berufsverbänden. Verbessert haben sich auch die           ben wir seit einigen Jahren eine Entwicklung hin zu
All dies erfordert die Öffnung der Kommunen hin zu        Rahmenbedingungen einer beteiligungsorientierten          einer „vielfältigen Demokratie“. Diese Tendenz, die
einer zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur (vgl.     Kommunalpolitik. Erstmals in der Geschichte der           auch als Leitidee taugt, legt nahe, Demokratie heute
König et al. 2014), die es gelernt hat, kooperativ        Bundesrepublik haben zwei Bundesländer (Baden-            in fünf Elementen zu buchstabieren:
und auf gleicher Augenhöhe mit einer aktiven Bürger-      Württemberg und Rheinland-Pfalz) programmatisch
schaft umzugehen und sich Zivilität bzw. civicness als    mit einer partizipativen Landespolitik begonnen. Die      1. Formen der repräsentativen Demo-
Handlungsmaxime zu eigen macht.                           grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg               kratie und ihre Institutionen (Wahlen,
                                                          hat der Bürgerschaft eine „Politik des Gehörtwer-            Parlamente etc.). Sie erfahren noch immer
Ein weiteres Merkmal der gegenwärtigen Beteili-           dens“ versprochen und durch zahlreiche Maßnahmen             hohe Wertschätzung in der Bevölkerung und
gungswelle ist die digitale Unterstützung von Betei-      und Beteiligungsinitiativen versucht, diesem Ziel nä-        produzieren weit mehr als 90 Prozent aller Ent-
ligungsverfahren (open government, Internetplattfor-      her zu kommen. Dazu gehören u.a. eine verbindliche           scheidungen. Aber sie können heute keinen Al-
men, digitale Netzwerke, e-democracy etc.). Die in-       Richtlinie zur frühzeitigen und verlässlichen Bürgerbe-      leinvertretungsanspruch mehr geltend machen,
telligente Verknüpfung von on- und off-line Verfahren     teiligung bei allen Infrastrukturvorhaben des Landes,        wie die nachlassende Wahlbeteiligung oder die
gehört heute zu den weitgehend selbstverständlichen       die auch den Kommunen als Vorbild dienen soll.               sinkende Akzeptanz der dort gefällten Entschei-
Erwartungen (Winkel 2011). Einen großen Dämpfer           Der Landtag Rheinland-Pfalz hatte diesem Thema eine          dungen verdeutlichen. Auch die Legitimations-
haben jedoch sehr viel weitergehende internetba-          mehrjährige und ertragreiche Enquete-Kommission              kraft der Repräsentanten in Gemeinderäten und
sierte Demokratisierungserwartungen erfahren. Mit         „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokra-           Parlamenten hat deutlich gelitten. So werden
dem NSA-Skandal sind die dunklen Seiten der Inter-        tie“ gewidmet. Gemeinsamer Nenner ist eine betei-            z.B. zentrale Infrastrukturentscheidungen heute
netkommunikation überdeutlich geworden, und das           ligungsorientierte Neubegründung der Landespolitik.          oft nur noch akzeptiert, wenn zusätzliche For-

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men der Bürgerbeteiligung angeboten werden.               geht es in bei direktdemokratischen Verfahren           ten lassen: Der letzte Statusbericht des Portals
    Zur repräsentativen Demokratie gehört – zu-               vor allem um Sachvoten. Verbindliche Entschei-          www.buergerhaushalt.org vom Juni 2015
    mindest in der deutschen Spielart – ein differen-         dungen sind das Ziel von Bürgerbegehren, Bür-           verzeichnet gerade einmal 71 Bürgerhaushalts-
    ziertes und gut institutionalisiertes System inter-       gerentscheiden, aber auch bei jenen Versionen           Verfahren. Im Jahr davor waren es noch 87. Der
    mediärer Interessenvermittlung, das aus politi-           des Bürgerhaushalts, wo die Bürgerschaft direkt         letzte Bericht zum Thema Kommunale Bürger-
    schen Parteien, Verbänden und Gewerkschaften              über Budgets bzw. von Teilen davon bestimmen            begehren und Bürgerentscheide vom Oktober
    besteht. Sie stellen nicht nur, wie die Parteien,         kann.                                                   2014 verzeichnet für die Zeit von 1956 bis
    das Gros des politischen Personals, sondern er-                                                                   Ende 2013 die stolze Zahl von 6.447 Verfah-
    heben auch den Anspruch, zwischen Staat und               Oft entstehen auf dem Wege zum Volksent-                ren, die überwiegend von den Bewohnern initi-
    Bürgerschaft in beide Richtungen zu vermitteln.           scheid (durchaus kontroverse Positionen ver-            iert wurden (5.354). 3.177 Begehren führten
    Es wird deutlich, dass die Zeiten vorbei sind, in         tretende) Netzwerke mit einer Vielzahl von un-          zu einem Bürgerentscheid. Die auf den ersten
    denen diese etablierten Intermediären unan-               terschiedlichen Akteuren, Versammlungen und             Blick groß erscheinende Zahl der Bürgerbegeh-
    gefochten das Geschäft der Interessenvermitt-             Aktionsformen. Sie sind ein wachsendes Betäti-          ren relativiert sich jedoch erheblich, wenn die
    lung für sich reklamieren konnten. Sichtbares             gungsfeld für neue Intermediäre, die nicht in die       Gemeindezahlen und die unterschiedliche Ver-
    Zeichen ist die seit Jahrzehnten schrumpfende             repräsentativen Strukturen eingebunden sind.            teilung auf die einzelnen Bundesländern in den
    Parteimitgliedschaft. Aber auch viele Verbände            Der Berliner Wassertisch, der sich zunächst für         Blick genommen wird. Rund 40 % aller Verfah-
    und Gewerkschaften haben Schwierigkeiten,                 eine Rekommunalisierung der Berliner Wasser-            ren fanden in Bayern statt. Im Ländervergleich
    Mitglieder anzuziehen und deren Interessen zur            betriebe eingesetzt hat, aber inzwischen auch           liegen die Stadtstaaten an der Spitze. Immerhin
    Geltung zu bringen. Sie scheinen heute in der             international als Themenanwalt zum Thema                lässt sich eine positive Entwicklung beobach-
    Summe - trotz vorhandener Gegentendenzen                  Wasser auftritt, ist ein Beispiel für ein solches       ten: Mehr als die Hälfte aller Verfahren fand
    - exklusiver, d.h. sie vernachlässigen vielfach           offenes Forum (www.berliner-wassertisch.info).          zwischen 2003 und 2013 statt. Allein 2013
    schwache Interessen, sind stärker „top down“              Dass ein eingetragener Verein wie Mehr Demo-            wurden 365 Verfahren eingeleitet.
    als „bottom up“ orientiert. Sie scheinen ihre             kratie e.V. bundesweit wesentliche Infrastruktur-
    anwaltschaftliche Funktion zu vernachlässigen,            leistungen für direkt-demokratische Verfahren       3. Dialogorientierte, deliberative Beteili-
    die aktiven Mitwirkungsmöglichkeiten der                  erbringt, ist sicherlich kein Zufall.                  gungsformen, die von der öffentlichen Hand,
    Mitgliedschaft an den Rand zu drängen, ihre                                                                      in kommunalen Einrichtungen, gelegentlich
    Milieubindung und Verankerung im Alltag der               Allerdings sind die Zahlen weit weniger ein-           auch von privaten Vorhabenträgern „von oben“
    Bürgerschaft einzubüßen.                                  drucksvoll, als die öffentlichen Debatten vermu-       angeboten werden und in eingeschränkter

    Im übrigen ist es allenfalls formal gelungen,
    die westdeutschen Strukturen intermediärer
    Interessenvermittlung auf Ostdeutschland zu
    erstrecken. Ganze Landesverbände der großen
    politischen Parteien erreichen dort (mit Aus-
    nahme der Partei Die Linke) gerade einmal die
    Mitgliedszahlen westdeutscher Großstädte.

    Mit neuen Themen sind auch neue Verbände
    entstanden, die sich einen Platz in der politi-
    schen Willensbildung sichern konnten. Erinnert
    sei nur an den Natur- und Umweltbereich und
    dessen Beteiligungsrechte und Planungsverfah-
    ren bis hin zum Verbandsklagerecht. Es wäre
    deshalb verkehrt, die Offenheit und Inklusions-
    kraft des „alten“ Systems der intermediären
    Interessenvermittlung zu unterschätzen.

2. Formen direkter Demokratie. Während
   die repräsentative Demokratie für die Wähler-
   schaft nur die Möglichkeit einer diffusen Unter-
   stützung von Personen und Parteien vorsieht,           Prof. Roland Roth bei seinem Beitrag am 21.4.16

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