Doping, Enhancement, Therapie: Wie lassen sich verschiedene Formen der Leistungssteigerung unterscheiden
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Doping, Enhancement, Therapie: Wie lassen sich verschiedene Formen der Leistungssteigerung unterscheiden Christoph Asmuth (TU Berlin)? Zwei Beispiele: leraugen. Denn selbst durch Brillen und Kon- taktlinsen lässt sich eine solche Sehschärfe In den zurückliegenden Jahren haben sich im- nur kaum erreichen. Selbstverständlich zählt mer mehr Sportler die Augen lasern lassen.1 eine solche Operation nicht als Therapie. (DER SPIEGEL, 52/2008) Das hatte nicht in al- Schwieriger ist die Frage, ob solche Fälle nicht len Fällen medizinische Gründe. Zahlreiche als Doping anzusehen sind. Verboten sind sie Sportler, die sich an den Augen operieren las- bisher nicht. Hierher zählen auch die Brust- sen, haben gar keine Sehschwäche. Bekannt verkleinerungen einiger Tennisspielerinnen, geworden ist der Fall des Golfspielers Tiger für die es keine therapeutische Indikation gibt Woods, der vor den skandalträchtigen Enthül- und die auch nicht aus ästhetischen Gründen lungen seines Liebeslebens in den Jahren vorgenommen werden, sondern einzig des- 2009/10 bereits 1999 außerhalb des Golfplat- halb, um den Spielerinnen eine bessere Aus- zes in den Schlagzeilen war, weil er sich näm- übung ihres Sports zu gestatten. Hier gibt es lich die Augen hat lasern lassen. Durch die schwierige Fälle der Abgrenzung ärztlichen Operation ist eine Verdoppelung der Seh- Handelns zum Enhancement wie zum Do- schärfe durchaus im Bereich des Möglichen, ping.2 was für verschiedene Sportarten von großem Vorteil ist. Dies ist ein Fall, in dem eine eigent- lich therapeutische Maßnahme zu einer Leis- tungssteigerung im Sport führt. Sie ist aber 2 nicht als Doping diskriminiert und deshalb Zu den Beispielen vgl.: Bisol, Benedetta: »Sport Enhan- nichts anderes als Enhancement. Außerdem cement Technologies und Doping: Die Debatte um den Einsatz (bio)technologischer Leistungssteigerungsmaß- zeigt dieses Beispiel, dass die Leistungsfähig- nahmen im Hochleistungssport am Beispiel des soge- keit eines Organs, hier des Auges, in einen Be- nannten Techno-Dopings«, in: Grenzen des Machba- reich verschoben wird, der von der »Natur« ren: Doping im Schnittfeld zwischen Recht, Moral und her nicht möglich ist. Tiger Woods hat Ad- Medien. (Hg.) Asmuth, Christoph – Binkelmann, Chri- stoph. ( Brennpunkt Doping. Die Macht des Machba- 1 Vgl.: Spiegel online 52/2008: ren und der moderne Mensch. Bd. 2) Bielefeld 2011 (in http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,598270,00.html Vorbereitung) 1
1) Warum muss man Doping, Enhancement gesellschaftliche, keine rechtliche oder morali- und Therapie überhaupt unterscheiden kön- sche Notwendigkeit, Enhancement zu definie- nen? ren. Dementsprechend ist der gesamte Be- Geht man davon aus, was die Leute so alles reich, der unter dem Begriff Enhancement dis- sagen, könnte man auf die Idee kommen, wir kutiert wird, ausgesprochen groß und bisher lebten in einer Doping-Gesellschaft. Und, das wenig strukturiert. Es zeigen sich allerdings ge- könnte man hinzufügen, das ist auch gut so. wisse Kernbereiche, über die besonders nach- Doping wird allen möglichen Phänomenen drücklich reflektiert wird. Dazu zählt vor allen zugeschrieben, die eigentlich positiv sind, so Dingen die Steigerung der Wachheit, der Auf- etwa, um auf populäre Bereiche hinzuweisen, merksamkeit, der Kognition sowie des Ge- ›Doping fürs Sparbuch‹ oder ›Doping für die dächtnisses, verbesserte Emotionen: Neu- Haare‹. Gemeint ist mit solchen Formulierun- ro-Enhancement.3 Einen Schub für diese Dis- gen offensichtlich eine positiv zu bewertende, kussion gibt es vor allem durch die Entwick- allerdings künstlich induzierte Leistungsstei- lung neuer Medikamente. Aber diese Kernbe- gerung. Man legt sein Geld eben mit einem reiche beim Enhancement definieren zumin- Produkt an, das besonders erfolgreich ist. Man dest im Augenblick nicht das gesamte Feld, wäscht sich die Haare mit einem Mittel, das denn es gibt auch Bereiche, in denen ›konven- den Haarwuchs fördert. Das Normale (Spar- tionelles‹ Enhancement betrieben wird, das buch, Haarwuchs) wird durch besondere gar nicht auf neuartige Medikamente ange- Maßnahmen gestärkt und unterstützt. Mit ei- wiesen ist. Ein Beispiel dafür sind die klassi- nem werbetauglichen, peppigen Ausdruck ist schen Psychopharmaka, welche die Stimmung das ›Doping‹. Das betrifft neuerdings auch die aufhellen oder Nervosität dämpfen können. Diskussion von Arzneimitteln, die der Steige- Darüber hinaus werden unter dem Titel ›En- rung kognitiver oder emotionaler Leistungen hancement‹ auch uns ganz vertraute Phäno- dient. Hier spricht man von Brain-Doping, 3 weil diese Medikamente positiv auf das Ge- Die Literatur zum Neuro-Enhancement ist unüberseh- hirn und auf das Nervensystem wirken sollen. bar. Hier seien nur wenige Titel genannt: Schleim, Ste- phan: »Cognitive Enhancement - Sechs Gründe dage- Jeder weiß, dass Doping im Sport verboten ist. gen.« In: Fink, Helmut – Rosenzweig, Rainer (Hrsg.): Wenn etwas verboten wird, muss man zumin- Künstliche Sinne, gedoptes Gehirn. Paderborn 2010, S. dest wissen können, was genau verboten ist. 179-207; Schöne-Seifert, Bettina – Talbot, Davinia – Das ist wichtig, weil wir es dann nicht bei der Opolka, Uwe – Ach, Johann S. (Hrsg.): Neuro-Enhance- laxen Redeweise belassen können, nach der ment – Ethik vor neuen Herausforderungen. Paderborn 2009; Kramer, Peter D.: Glück auf Rezept. Der unheimli- Doping die verbotene Leistungssteigerung im che Erfolg der Glückspille Fluctin. München 1995; Greely, Sport ist. Welche Form der Leistungssteige- Henry et al.: »Towards responsible use of cognitive-en- rung ist im Wettkampfsport verboten? Mit ei- hancing drugs by the healthy.« In: Nature 456 (2008), nem Wort: Aus der Ächtung des Dopings im 702-705; Ach, Johann S. – Pollmann, Arnd (Hrsg.): no Sport folgt die Aufgabe, Doping klar zu defi- body is perfect. Baumaßnahmen am menschlichen Kör- per. Bioethische und ästhetische Aufrisse. Bielefeld 2006; nieren, denn es folgen daraus Sanktionen für Hennen, Leonhard – Grünwald, Reinhard – Revermann, den Athleten bis hin zum Berufsverbot. Ähn- Christoph – Sauter, Arnold: Einsichten und Eingriffe in lich im Gesundheitsbereich. Wenn die Kran- das Gehirn. Die Herausforderung der Gesellschaft durch kenkassen für Therapien bezahlen sollen, die Neurowissenschaften. Berlin 2008; Sandel, Michael J.: müssen Krankheit und Therapie standardi- Plädoyer gegen die Perfektionierung. Ethik im Zeitalter der genetischen Technik. Berlin 2008; Merkel, Reinhard: siert und definiert sein. »Neuartige Eingriffe ins Gehirn. Verbesserung der men- Beim Enhancement stellt sich die Situation talen condicio humana und strafrechtliche Grenzen.« anders dar: Hier besteht im Augenblick keine In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 121 (2009), H. 4, 919-953. 2
mene diskutiert. So kann man das Argument juristischen Aufarbeitung von Dopingverge- hören, auch derjenige, der eine Brille benutzt, hen ist der Wunsch nach einer praktikablen, betreibe Enhancement, denn er verbessert sei- das heißt auf konkrete Fälle anwendbaren Do- ne Leistungsfähigkeit. Lernen ist in diesem all- pingdefinition durchaus verständlich. Konse- gemeinen Sinne auch eine Form von Enhance- quenterweise müssen dann aus der Doping- ment, denn wer etwas gelernt hat, hat da- definition alle diejenigen Termini eliminiert durch seine Leistungsfähigkeit gesteigert. Im werden, die missverständlich, ungenau und Gegensatz also zu Doping und Therapie ist kontextabhängig sind. Es handelt sich dabei das Feld des Enhancements zurzeit noch we- vor allem um Begriffe, die einem ethischen nig konturiert. Das lässt darauf schließen, dass Kontext entspringen. Hier zeigt sich eine fol- es hier noch keine Notwendigkeit für eine De- genschwere Tendenz: Um die Praktikabilität finition gibt, das heißt auch keine rechtlich einer Definition in einem bestimmten Bereich oder normativ geforderte Regelung für diesen des Sports, nämlich dem Hochleistungssport, Bereich unserer gesellschaftlichen Praxis.4 zu erhöhen, werden die an den konkreten Ein- Ich möchte jetzt im Folgenden die Frage stel- zelnen gebundenen, kulturell varianten und len, wie sich verschiedene Formen der Leis- Werthaltungen widerspiegelnden Normen tungssteigerung möglicherweise unterschei- nach und nach zurückgedrängt, bis eine nor- den lassen? mativ leere Formulierung übrigbleibt, die zwar die gegebenen Sachverhalte und Tatbestände 2) Doping exakt aufschlüsselt, aber moralisch neutral bleibt. Am weitesten geht in diese Richtung Meinen Ausgangspunkt möchte ich zunächst die Dopingdefinition, die sich im World-Anti- beim Doping nehmen. Intuitiv ist die Sache Doping-Code findet.5 klar: Es geht um den sauberen Sport. Sportler Die Dopingdefinition ergibt sich damit durch sollen nicht durch den Gebrauch oder Miss- eine positive Liste. Diese Liste systematisiert brauch von Medikamenten zum Sieg kom- und klassifiziert die verbotenen Substanzen men, sondern durch außergewöhnliche Leis- und Methoden. Die Folge der Definition, die tungen, die auf hartem Training beruhen. Das Folge der Verschiebung in den Bereich des ist eine von den Sportverbänden resp. von der Rechts, ist eine Jurifizierung des Sports, bis hin Welt-Anti-Doping-Agentur als notwendig er- zur Forderung, das Dopingverbot in das Straf- achtete Bedingung des Leistungs- und Hoch- recht aufzunehmen, will heißen, Staatsanwalt- leistungssports. schaft und Polizei in die Sphäre des Sports mit Die Frage nach der Definition von Doping ist hineinzuziehen. Wenn schon jetzt Wettkamp- im vergangenen Jahrzehnt zu Gunsten einer fentscheidungen vor dem Richterstuhl ent- juristisch-pragmatischen Lösung entschieden schieden werden, wie etwa bei der Tour de worden. Es ist nicht mehr die Frage, was Do- France, wäre mit Hilfe von Staatsanwaltschaft ping im Zusammenhang mit der ethischen und Polizei sowie letztlich durch das Straf- Auffassung des Sports bedeutet, sondern ob recht wohl damit zu rechnen, dass zahlreiche sich eine Formel findet, durch die Doping im Wettbewerbe erst nach Jahren, gar Jahrzehn- Zusammenhang anderer Rechtsnormen klas- ten und mehreren Instanzen entschieden wä- sifiziert werden kann. Unter dem Aspekt der 5 World Anti-Doping Agency (Hrsg.): The World Anti- 4 Vgl. Asmuth, Christoph – Bisol, Benedetta – Grüne- Doping Code. Prohibited List. Montreal 2010 (S. 6.). Zu- berg, Patrick: „Modelle und Grenzen der Leistungsstei- griff unter: http://www.wada- gerung im Sport: Enhancement, Doping, Therapie aus ama.org/Documents/World_Anti- philosophischer Sicht.“ In: Leipziger Sportwissenschaft- Doping_Program/WADP-Prohibited-list/WADA_Prohi- liche Beiträge 51 (2010), H. 2, 8-43. bited_List_2010_EN.pdf 3
ren: eine Konsequenz, die dem Sport wohl Formulierung eine äußerst unscharfe Verwen- kaum helfen dürfte. dung des Wortes ›normal‹, welche die Defini- tion nahezu unbrauchbar macht. Das Allge- 3) Therapie meine Sozialversicherungsgesetz bestimmt Krankheit heute ähnlich als »einen regelwidri- Schauen wir uns nun die Sache von der Seite gen Körper- oder Geisteszustand, der die der Therapie aus an. Analog zur Beschreibung Krankenbehandlung notwendig macht« des Dopings kann man hier zunächst festhal- (ASVG §120 Abs 1) und grenzt Krankheit von ten, dass es sich bei der Therapie um Prakti- Gebrechen ab (§154 ASVG), worunter das Ge- ken handelt, die der Heilung, Prävention oder setz ein nicht zu behebendes Leiden versteht Linderung von Krankheiten dienen. Tatsäch- und es für den Therapeuten nicht mehr mög- lich entspricht dies ganz der Einteilung in lich ist, Schlimmeres zu verhüten oder ärztlich symptomatische, kurative, palliative und pro- zu intervenieren, um den Zustand zu bessern phylaktische Therapie. Wichtig ist hier zu- oder zu heilen – eine Trennung, die im Hin- nächst, dass sich in einer Hinsicht Therapie blick auf eine alternde Gesellschaft grundsätz- und Doping prinzipiell unterscheiden: Thera- lich problematisch ist und in der Zukunft pie richtet sich immer auf einen negativ auf- noch viele Probleme machen wird. gefassten Zustand, die Krankheit. Doping be- Diese gesetzlichen Grundlagen führen natür- zieht sich auf medizinische und pharmakolo- lich zu einer unübersehbaren Anzahl von gische Praktiken bei Gesunden, die Therapie Konfliktfällen, vor allem zwischen medizini- auf medizinische und pharmakologische Prak- schen und juristischen Kategorien, Fälle, in de- tiken bei Kranken. Das entspricht dem Ver- nen nicht eindeutig zu bestimmen ist, ob eine hältnis von Verbot des Dopings auf der einen Krankheit vorliegt, die therapiert werden Seite und der Entlohnung für erwünschtes muss oder kann. Die Folgen sind gravierend Handeln bei der Therapie auf der anderen Sei- sowohl für den Einzelnen, der von Krankhei- te. ten betroffen ist, wie auch für die Solidarge- Damit ist die Auffassung von dem, was zu- meinschaft, die Krankheitskosten zahlen nächst und zumeist als Therapie zu gelten hat, muss. Die Agenten im Gesundheitssystem ta- unmittelbar mit der Definition von Krankheit rieren deshalb im Einzelfall und ganz detail- verknüpft.6 Der deutsche Bundesgerichtshof liert aus, welche Krankheiten als Krankheiten versuchte im Jahre 1958 eine juristische Be- zu gelten haben und mit welchen Therapien stimmung: »Krankheit ist jede Störung der sie behandelt werden sollen und mit welchen normalen Beschaffenheit oder der normalen Kosten sie einhergehen. Tätigkeit des Körpers, die geheilt, d. h. besei- Es lässt sich also festhalten, dass sich Gesund- tigt oder gelindert werden kann.«7 Interessant heit und Krankheit grundsätzlich nicht defini- ist hier, dass ein umgekehrter Weg eingeschla- torisch konfliktfrei voneinander trennen las- gen wird. Die Krankheit wird durch die Thera- sen, aber aus pragmatischen Gründen ge- pierbarkeit bestimmt. Krank ist, was thera- trennt werden müssen. Da diese Definitionen piert werden kann. Damit wird die Frage nach von erheblicher rechtlicher und finanzieller der Krankheit auf die Tätigkeit des Therapeu- Bedeutung sind, kommt der Standardisierung ten zurückgespiegelt. Außerdem enthält diese von Krankheitsdefinitionen eine besondere Bedeutung zu. Deshalb hat sich eine Standar- 6 Vgl.: Rothschuh, Karl Eduard (Hrsg.): Was ist Krank- disierung herauskristallisiert, die heute in ei- heit? Darmstadt 1975; Sontag, Susan: Krankheit als Me- nem international gültigen Klassifikationssys- tapher. Frankfurt 1981. tem zusammengefasst wird, der »Internatio- 7 Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Köln. 35 (1973), S. 10ff.; hier S. 12. nalen statistischen Klassifikation der Krank- 4
heiten und verwandten Gesundheitsproble- stimmungen auszumachen ist, sieht die Situa- me«, kurz ICD. Hier werden zurzeit über tion beim Enhancement grundlegend anders 12.000 Krankheitsklassen geführt, die mit ih- aus. Zum größten Teil sprechen wir über phar- ren Diagnoseschlüsseln die Grundlage unseres mazeutische Möglichkeiten, deren Wirklichkeit Abrechnungssystems bilden. Ähnlich wie und das heißt vor allem Wirksamkeit zurzeit beim Doping, nur mit ungleicher Mächtigkeit, gar nicht festgestellt werden kann. Die Situati- bietet die ICD eine Positivliste der Erkrankun- on ist wissenschaftlich völlig offen. Daraus re- gen und definiert dadurch das, was eine sultiert beim Thema ›Enhancement‹ ein Ab- Krankheit ist. grenzungsproblem,9 weil eine Definition des Der wissenschaftliche und technische Fort- Enhancements zurzeit weder gesellschaftlich schritt setzt die Abgrenzung von Gesundheit noch rechtlich oder moralisch gefordert ist, und Krankheit in vielfacher Hinsicht perma- ein Abgrenzungsproblem, – das der philoso- nent unter Druck. Es entstehen zahlreiche phischen Zunft Daseinsberechtigung und Brot Sachverhalte, die sich nicht mehr klar zuord- verschafft. nen lassen. Um das zu illustrieren, braucht In immer stärkerem Maß wird Enhancement man nicht einmal auf besonders avancierte auch in Deutschland diskutiert.10 Es geht da- medizintechnische Verfahren zu sprechen zu bei vor allem um neue Medikamente, die das kommen. Bereits die weithin akzeptierte Anti- Arsenal der bisher bekannten Psychopharma- babypille stellt die eindimensionale Beziehung ka um einige potente Mittel ergänzen werden. von Arzt, Krankheit und Therapie und die Diese Pharmaka werden nun von Gesunden Grenze von Krankheit und Gesundheit massiv genutzt in der Hoffnung, sie könnten ihre Ge- infrage. Ein weiteres Beispiel sind Impfungen. dächtnisleistungen verbessern und ihre kogni- Hier ist die Grenze zwischen Krankheit und tiven oder emotionalen Leistungen steigern. Gesundheit nicht klar gezogen. Mit einem Völlig außer Diskussion ist der therapeutische Wort: Die strenge Verknüpfung von ärztli- Gebrauch, als ethisch umstritten gilt aller- chem Handeln und Therapie ist durch die dings der Gebrauch zur Steigerung der Leis- Entwicklung von bereits etablierten Medizin- tungsfähigkeit ohne Vorliegen einer Indikati- techniken aufgelockert worden, die es ermög- on. lichten, Leistungssteigerung bzw. Verbesserun- Anders als beim Doping wird allerdings hier gen zu erzielen, ohne dass eine definierte die Diskussion offen geführt. Die Frage, Krankheit vorliegt.8 warum man die Einnahme von Medikamen- ten verbieten soll, die keine signifikanten Ne- 4) Enhancement benwirkungen haben, aber zu einer Verbesse- rung der Leistungsfähigkeit und des Wohlbe- Im Folgenden möchte ich ein paar Worte zum findens führen, wird keineswegs mehrheitlich Thema ›Enhancement‹ beitragen. Im Gegen- verneint. Befürworter einer Liberalisierung satz zu Therapie und Doping, bei denen ein stellen das Enhancement in eine Reihe mit mehr oder minder harter Kern juristisch be- technischen Entwicklungen, die ebenfalls un- ziehungsweise semi-juristisch festgelegter Be- 8 Dazu bereits: Derbolowsky, U.: »Zur drohenden Auf- 9 weichung der Grenze zwischen ärztlicher und nicht- Lenk, Christian: Therapie und Enhancement: Ziele und ärztlicher Tätigkeit.« In: Spektrum 2 (1973), 160-161. Grenzen der modernen Medizin. Münster 2002. 10 Ferner: Anderson, L.: Writing a new code of ethics for DAK: Gesundheitsreport 2009. Analyse der Arbeitsun- sports physicians: principles and challenges. Br. J Sports fähigkeitsdaten. Schwerpunktthema Doping am Arbeits- Med 43 (2009), 1079-1082; Asmuth, Christoph – Bisol, platz. Hamburg 2009. Online abrufbar unter: Benedetta – Grüneberg, Patrick: „Modelle und Grenzen http://www.dak.de/content/filesopen/Gesundheitsre- der Leistungssteigerung im Sport, S. 28ff. port_2009.pdf 5
ser Leben erleichtern.11 Warum soll man sein ger durchhalten kann. Die Leistung des Medi- Gehirn nicht verbessern? kaments ist dieselbe, die gesellschaftliche Be- wertung hingegen ganz unterschiedlich. Eine 5) Wie lassen sich verschiedene Formen der Verbesserung der Leistungsfähigkeit ist per se Leistungssteigerung unterscheiden? nicht gut oder schlecht. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck ich mein Gehirn optimie- Zunächst lässt sich das Problem vereinfachen. re. Besser ist weniger als gut: Der Komparativ Da das Enhancement als Begriff zurzeit keiner- ist ›schlechter‹ als der Positiv. lei Druck ausgesetzt ist, unbedingt und in je- Dies führte zu einer weiteren Überlegung, die dem Fall klar definiert werden zu müssen, und für die Bewertung und Abgrenzung einzelner verschiedene Forschungsansätze darunter Praktiken und medizinischer Interventionen durchaus Verschiedenes begreifen, dürfte es von großer Bedeutung ist. Offenkundig ver- zunächst keinerlei Schwierigkeiten machen, drängt die Konzentration auf Techniken und den Begriff des Enhancements als eine Art Medikamente sowie deren Wirkmechanismen Oberbegriff zu verwenden. Unter diesem die Vorstellung vom gesellschaftlichen Zweck Oberbegriff lassen sich nun verschiedene For- dieser Mittel. Man sollte vielleicht darauf ver- men von Enhancement subsumieren, dazu weisen, dass die Steigerung der Leistungsfähig- zählen neben dem Doping und der Therapie keit niemals nur Selbstzweck sein kann. Sich auch die erlaubten Formen der Leistungsstei- gut konzentrieren zu können, ist an sich pri- gerung im Sport, sei dies nun das Training, das ma, aber man möchte doch auch wissen, auf durch Trainingstechniken optimiert wird, sei- was? Eine Diskussion über die Zwecke der en es die Nahrungsergänzungsmittel, die in Leistungssteigerung kann insgesamt hilfreich Ausdauersportarten durchaus auch intrave- sein, um eine sinnvolle Abgrenzung einzelner nös gegeben werden, seien es operative Ein- Formen der Leistungssteigerung zu plausibili- griffe, die zur Leistungsoptimierung im Sport sieren. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Am- durchgeführt werden. Dazu zählen anderer- phetamine.12 Die Synthese von Amphetami- seits auch ärztliche Maßnahmen, die nicht nen gelang erstmals 1887 an der Berliner Uni- therapeutisch indiziert sind, etwa Schönheits- versität. Ende der 1920er Jahre wird die aktive operationen oder kompensative Maßnahmen. Wirkung des Stoffes entdeckt, und es beginnt Allerdings müsste die Abgrenzung des Enhan- seine Karriere als Medikament gegen Depres- cements zu geächteten Praktiken, etwa dem sionen, Parkinson, Schlafkrankheit, Impotenz, Doping, aufgegeben werden. Dies macht aber aber auch gegen Heuschnupfen und Erkäl- auch Sinn. Denn die gesellschaftliche Bewer- tung. Aus den dreißiger Jahren ist bekannt, tung einer Praktik hängt nicht vom Begriff der dass Medizinstudenten der Universität Min- Leistungssteigerung ab. Aus dem Begriff einer nesota Amphetamine nutzten, um viele Verbesserung kann man nicht folgern, dass sie Nächte hindurch lernen zu können. Im Zwei- gut oder schlecht ist. Ein Pilot kann ein Auf- ten Weltkrieg wurden Amphetamine einge- putschmittel nehmen, damit er in einer setzt, um die Soldaten kampfbereit, wach und schwierigen Situation länger konzentriert sein aggressiv zu machen. Amphetamine werden kann, ein Gewaltverbrecher kann dasselbe im Sport benutzt und als Doping verboten. Mittel nehmen, damit er bei einer Straftat län- Schließlich ist Amphetamin eine weltweit ver- breitete Partydroge und wird als Speed konsu- 11 Galert, Thorsten u. a.: »Das optimierte Gehirn. Ein miert. Bis heute gibt es diese Formen der Nut- Memorandum zu Chancen und Risiken des Neuroen- zung: als Medikament, als Droge, zum Enhan- hancements.« In: Gehirn & Geist 11 (2009), 40-48. (Onli- 12 ne verfügbar unter: http://www.gehirn-und- Dany, Hans-Christian: Speed. Eine Gesellschaft auf Dro- geist.de/memorandum). ge. Hamburg 2008. 6
cement, im Militär und als Dopingmittel im immer eine heikle Angelegenheit. »Doping« Sport. Und diese Einteilung geschieht nach sind sie nicht, es sei denn, sie werden verbote- den Zwecken, die Konsumenten oder Institu- nerweise im Verbandssport eingesetzt. tionen mit der Einnahme verbinden. Die Zwe- Grundsätzlich gilt hier die liberale Ausrich- cke sind auch entscheidend für Verbot und tung unseres Rechtssystems. Daraus folgt na- Erlaubnis einer Nutzung. Eine Klassifizierung türlich nicht, dass nun alle Bürger Medika- des Konsums von Amphetaminen lässt sich mente nehmen sollen, um wacher und auf- weder durch die Wirkung (z. B. Gesundheit) merksamer zu sein. Im Gegenteil: Es folgt dar- noch durch Konsumentengruppen, weder aus das Verbot, Menschen gegen ihren Willen durch die Wirkungsweise noch durch die Sub- zu medikalisieren. Natürlich setzt ein liberales stanzklasse erreichen. Eine Abgrenzung ge- Rechtssystem aufgeklärte, autonome und lingt nur, wenn man die gesellschaftliche Be- emanzipierte Bürger voraus. Dort, wo Medi- wertung hinzuzieht, die letztlich vom Zweck kamente den autonomen Bürger zerstören der Einnahme abhängt. Erst von hierher lässt könnten, wird deren Verwendung durch den sich überhaupt diskutieren, ob sich ethische Gesetzgeber mittels des Arzneimittelgesetzes Konflikte bei der Einnahme von Medikamen- beschränkt werden. Aber es steht auch nicht ten ergeben. Und diese Diskussion wird sich zu erwarten, dass sich alle Bürger wie verrückt auf den verschiedenen Ebenen individueller auf Pillen stürzen, selbst dann, wenn sie weit- und institutioneller, in jedem Fall aber sozial, gehend nebenwirkungsfrei sein sollten – was milieu- und gruppenspezifisch differenzierter angesichts der zwar segensreichen, aber den- Präferenzsetzungen bewegen müssen. Das noch bescheidenen Künste der Pharmazeuten heißt: Sie ist extrem komplex! noch lange – und vielleicht auch immer – auf Die normative Sicht auf Verbesserungen der sich warten lassen dürfte. Leistungsfähigkeit wird offenkundig durch die Aber auch der aufgeklärte Bürger wird abwä- Frage nach ihrem Zweck regiert. Dabei ist von gen müssen, und er wird nicht immer das tun, vornherein klar, dass der Zweck nicht alle Mit- was wir denken, dass er tun und vor allem las- tel heiligt, aber auch, dass die Relation von sen sollte. Wir wissen, dass zahlreiche Body- Mittel und Zweck keineswegs durch die Dis- builder in den Studios anabole Steroide ein- kussion der Mittel, sondern nur durch die Dis- nehmen, die mehr als das 8fache der thera- kussion der Zwecke bewertet werden kann. peutischen Dosis ausmachen. Wir wissen Diese Überlegung konterkariert die Bestre- auch, dass diese Athleten um die gravieren- bungen, eine objektive oder objektivierbare den Nebenwirkungen wissen, die diese Phar- Klassifikation zu erreichen. Eine solche Klassi- maka auslösen. Sie nehmen nämlich weitere fikation erscheint gegenüber den hochkom- Medikamente, um die Nebenwirkungen zu plexen Bewertungsmechanismen ausdifferen- unterdrücken, oder setzen die anabolen Ste- zierter Gesellschaften naiv. Der Schutz und roide rechtzeitig ab. Auch das sind mündige der Erhalt der Gesundheit ist sicher eine wich- Bürger, die sich nach einer Abwägung des Für tige gesellschaftliche Präferenz. Aber sie konf- und Wider für die Veränderung ihres Körpers ligiert mit dem Selbstbestimmungsrecht des durch Medikamente entschieden haben und Einzelnen. die teils gravierende Nebenwirkungen in Kauf Prinzipiell dürfte es damit so viele Formen der nehmen.13 Die Herstellung und der nicht au- Leistungssteigerung geben, wie es Zwecke torisierte Handel mit diesen Arzneimitteln gibt, die das Ziel der Leistungssteigerung bil- sind verboten, deren Einnahme nicht. den. Da machen die neuen Enhancementmit- 13 tel keine Ausnahme. Medikamentöse Inter- Zum ›Doping‹ in Fitnessstudios: Kläber, Mischa: Do- ping im Fitness-Studio. Die Sucht nach dem perfekten ventionen in das Nervensystem sind sicher Körper. Bielefeld 2010. 7
Das mögen drastische Fälle sein. Aber es ist Greely, Henry et al.: »Towards responsible use of cogni- wohl zu erwarten, dass auch die weniger dras- tive-enhancing drugs by the healthy.« In: Nature 456 (2008), 702-705 tischen Fälle etwa beim Neuro-Enhancement Galert, Thorsten u. a.: »Das optimierte Gehirn. Ein Me- zunehmen werden. Seien die Substanzen er- morandum zu Chancen und Risiken des Neuroen- laubt oder verboten, gefährlich oder neben- hancements.« In: Gehirn & Geist 11 (2009), 40-48. wirkungsfrei – letztlich muss der Einzelne sich (Online verfügbar unter: http://www.gehirn-und- dazu positionieren. Er muss deshalb die Zwe- geist.de/memorandum). Hennen, Leonhard – Grünwald, Reinhard – Revermann, cke seines Handelns kritisch reflektieren kön- Christoph – Sauter, Arnold: Einsichten und Eingriffe in nen. Dazu ist die Diskussion über die Zwecke das Gehirn. Die Herausforderung der Gesellschaft wichtig – und dazu gehört letztlich auch eine durch die Neurowissenschaften. Berlin 2008 gehörige Portion gesunder Menschenver- Kramer, Peter D.: Glück auf Rezept. Der unheimliche Er- stand. folg der Glückspille Fluctin. München 1995Sontag, Su- san: Krankheit als Metapher. Frankfurt 1981. Lenk, Christian: Therapie und Enhancement: Ziele und Literatur: Grenzen der modernen Medizin. Münster 2002 Merkel, Reinhard: »Neuartige Eingriffe ins Gehirn.Ver- Ach, Johann S. – Pollmann, Arnd (Hrsg.): no body is besserung der mentalen condicio humana und straf- perfect. Baumaßnahmen am menschlichen Körper. rechtliche Grenzen.« In: Zeitschrift für die gesamte Bioethische und ästhetische Aufrisse. Bielefeld 2006 Strafrechtswissenschaft 121 (2009), H. 4, 919-953 Asmuth, Christoph – Bisol, Benedetta – Grüneberg, Pa- Rothschuh, Karl Eduard (Hrsg.): Was ist Krankheit? trick: „Modelle und Grenzen der Leistungssteigerung Darmstadt 1975 im Sport: Enhancement, Doping, Therapie aus philo- Sandel, Michael J.: Plädoyer gegen die Perfektionierung. sophischer Sicht.“ In: Leipziger Sportwissenschaftliche Ethik im Zeitalter der genetischen Technik. Berlin 2008 Beiträge 51 (2010), H. 2, 8-43 Schleim, Stephan: »Cognitive Enhancement - Sechs Anderson, L.: Writing a new code of ethics for sports Gründe dagegen.« In: Fink, Helmut – Rosenzweig, physicians: principles and challenges. Br. J Sports Med Rainer (Hrsg.): Künstliche Sinne, gedoptes Gehirn. Pa- 43 (2009), 107DAK: Gesundheitsreport 2009. Analyse derborn 2010, S. 179-207 der Arbeitsunfähigkeitsdaten. Schwerpunktthema Do- Schöne-Seifert, Bettina – Talbot, Davinia – Opolka, ping am Arbeitsplatz. Hamburg 2009. Uwe – Ach, Johann S. (Hrsg.): Neuro-Enhancement – Online abrufbar unter: Ethik vor neuen Herausforderungen. Paderborn 2009 http://www.dak.de/content/filesopen/Gesundheitsr Spiegel online 52/2008: eport_2009.pdf http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,598270,00.html Bisol, Benedetta: »Sport Enhancement Technologies und World Anti-Doping Agency (Hrsg.): The World Anti-Do- Doping: Die Debatte um den Einsatz (bio)technolo- ping Code. Prohibited List. Montreal 2010 (S. 6.). gischer Leistungssteigerungsmaßnahmen im Hoch- Zugriff unter: http://www.wada- leistungssport am Beispiel des sogenannten Techno- ama.org/Documents/World_Anti- Dopings«, in: Grenzen des Machbaren: Doping im Doping_Program/WADP-Prohibited- Schnittfeld zwischen Recht, Moral und Medien. (Hg.) list/WADA_Prohibited_List_2010_EN.pdf Asmuth, Christoph – Binkelmann, Christoph. (Brenn- punkt Doping. Die Macht des Machbaren und der moderne Mensch. Bd. 2) Bielefeld 2011 (in Vorberei- Weiterführende Informationen tung) Dany, Hans-Christian: Speed. Eine Gesellschaft auf Droge. www.translating-doping.de Hamburg 2008.Kläber, Mischa: Doping im Fitness-Stu- dio. Die Sucht nach dem perfekten Körper. Bielefeld 2010.9-1082 Derbolowsky, U.: »Zur drohenden Aufweichung der Grenze zwischen ärztlicher und nicht-ärztlicher Tä- tigkeit.« In: Spektrum 2 (1973), 160-161 Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Köln. 35 (1973), S. 10ff.; hier S. 12 8
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