DOSSIER Rio 2016 - Sportgroßereignisse und Menschenrechte - Südwind

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DOSSIER Rio 2016 - Sportgroßereignisse und Menschenrechte - Südwind
DOSSIER
Rio 2016 – Sportgroßereignisse und Menschenrechte
DOSSIER Rio 2016 - Sportgroßereignisse und Menschenrechte - Südwind
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     Inhalt

                                 Nosso Jogo – Unser Spiel für Menschenrechte!3
                                 Rio de Janeiro: Die geteilte Stadt im Namen des Sports                                                                        5
                                 Julia Bustamente und Thiago Silva

                                 Sport und Menschenrechte – die Geschichte einer
                                 problematischen Beziehung                                                                                                     8
                                 Johann Skocek

                                 Die Internationale Öffentlichkeit als Chance                                                                             11
                                 Interview mit Sylvia Schenk

                                 Zur Frage der staatlichen und ­unternehmerischen Verantwortung                                                            14
                                 Barbara Linder, Claudia Sprenger und Judith Tutzer

                                 Petition: Für bindende Menschenrechtsstandards
     Das umgebaute Mara-         im Rahmen von Sportgroßereignissen!                                                                                      18
     canã-Stadion in Rio de
     Janeiro im Frühjahr 2014.   Sport für alle! Sport als Werkzeug für soziale Inklusion
     © Südwind                   von Menschen mit Behinderung                                                                                              21
                                 Magdalena Kern

                                 Nosso Jogo – Initiative rund um die ­Olympischen Spiele 2016
                                 in Rio de Janeiro                                                                                                        24

                                 Impressum:
                                 Herausgeber und Medieninhaber: Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC), Möllwaldplatz 5/3,
                                 1040 Wien, Tel. 01-7133594-0, office@vidc.org | Redaktion: Martin Kainz, Kurt Wachter | Die Inhalte der Texte können von der
                                 Meinung der Redaktion/der Herausgeber_innen abweichen | Layout und Grafik: Sanja Jelic | Wien, März 2016
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Nosso Jogo – Unser Spiel für
Menschenrechte!
Das Bündnis rund um Nosso Jogo – Initiative für globales Fair Play gibt es bereits seit 2013. Sein
Ziel ist es,auf Menschenrechte im Rahmen von Sportgroßereignissen aufmerksam zu machen,
mit einem Hauptaugenmerk auf Brasilien.

Im Sommer 2014 fand in Brasilien die Fuß-              tung von Unternehmen, Staaten, Verbänden und
ball-Weltmeisterschaft statt. Neben einem bun-         Athlet_innen, wenn es um die Einhaltung von
ten sportlichen Spektakel bleiben vor allem die        Menschenrechten geht. Magdalena Kern von
Proteste im Vorfeld des globalen Mega-Events in        LICHT FÜR DIE WELT unterstreicht schließlich
Erinnerung. Auf den Straßen Brasiliens kam es          die Bedeutung der Paralympischen Spiele und
zu den größten Demonstrationen seit dem Ende           deren durchaus positiven Wert für Inklusion von
der Militärdiktatur in den 1980er Jahren. Die          Menschen mit Behinderung.
Proteste richteten sich gegen die WM-Ausrich-              Austragungsländer von Sportgroßereignis-
tung, gegen soziale Missstände, Preiserhöhun-          sen sind oftmals nicht in der Lage, allgemein
gen, Vertreibungen und Polizeigewalt. Während          und weltweit gültige Menschenrechtsstandards
der FIFA-WM selbst wurden die kritischen Stim-         einzuhalten. Internationale Sportorganisationen
men immer leiser.                                      tragen ihrerseits dazu bei – etwa durch Druck
    Im Sommer 2016 geht in Brasilien das               hinsichtlich des Zeitplans von Baumaßnahmen
nächste Sportgroßereignis über die Bühne: die          oder unrealistische Vorgaben –, dass Men-
Olympischen und Paralympischen Sommer-                 schenrechte oftmals zu kurz kommen.
spiele in Rio de Janeiro. Die kritischen Themen            Es ist aber ebenso positiv hervorzustreichen,
sind im Vorfeld ganz ähnliche.                         dass gerade Sport, in Folge auch Sportgroßer-
    Nach wie vor gilt es, auf Umsiedlungen von         eignisse – in seiner idealen, aber nicht unrea-
Armenvierteln aufmerksam zu machen; nach               listischen Ausprägung – immenses Potential
wie vor gilt es, die überzogene Gewalt von Seiten      haben, inklusive, integrierende und nachhaltig
der brasilianischen Polizei anzuprangern; nach         verbindende Prozesse und Strukturen aufzu-
wie vor gilt es, internationale Sportverbände auf      bauen.
ihre Verantwortung hinzuweisen.                            Mit dem vorliegenden Dossier wollen wir
    Im Rahmen von Nosso Jogo beschäftigen wir          einen Einblick in die verschiedenen Facetten        Wandmalerei an
uns mit genau diesen Themen. Wir versuchen,            rund um das beschriebene Thema geben und            der ­ehemaligen
vor allem auf nationaler Ebene Menschenrechte          hoffen dabei, dass wir uns keines-                  ­Maracanã-Baustelle.
und Sportgroßereignisse zum Thema zu machen            wegs pessimistisch, sondern umso
und hier mit möglichst vielen Menschen, Verei-         mehr Zuversicht gebend an zukünfti-                 © Südwind
nen sowie Institutionen zusammenzuarbeiten.            ge Sportgroßereignisse annähern, die
Eine unserer ersten Aktivitäten ist etwa eine Peti-    die Würde der Menschen wahren und
tion, die weiter hinten im Dossier vorgestellt wird.   dabei Zusammenhalt sowie Anti-dis-
    Einen genaueren Einblick in die komplexe           kriminierung sicherstellen.
Thematik soll das vorliegende Dossier bieten.
Während sich Julia Bustamante und Thiago               Martin Kainz und Kurt Wachter
Silva von unserer brasilianischen Partnerorga-
nisation PACS mit der Stadtentwicklung Rio de
Janeiros auseinandersetzen, wirft der Journalist
Johann Skocek einen kritischen Blick auf die Pa-
rallelwelt von Sport-Mega-Events. Sylvia Schenk
von Transparency International Deutschland
spricht über die menschenrechtlichen Heraus-
forderungen für internationale Sportverbände
sowie für Austragungsorte, betont aber auch die
positiven Seiten von Sport(großereignissen).
    Claudia Sprenger, Barbara Linder und Judith
Tutzer vom Ludwig Boltzmann Institut für Men-
schenrechte fragen kritisch nach der Verantwor-
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     Vorwort

                            Sport steht für Fairplay, Respekt und Team-             Immer wieder wurde bewiesen, dass Sport
                            geist. Das gesellschaftliche Potential des          gesellschaftliche Verhältnisse ändern kann. Der
                            Sports wird seit jeher auf allen Ebenen deutlich,   Sport steht in der Pflicht, diese Verantwortung
                            von der Gemeinschaft der Kinder im Sportverein      auch aktiv wahrzunehmen.
                            bis hin zum völkerverbindenden internationalen          In Österreich wollen wir uns aktiv mit diesem
                            Spitzensport.                                       Thema auseinandersetzen und unseren Beitrag
                               Die Sportwelt blickt in diesem Jahr vor al-      leisten. Mit Projekten wie Nosso Jogo haben wir
                            lem auf die Fußball-Europameisterschaft in          bereits in den vergangenen Jahren Initiativen
                            Frankreich und die Olympischen Spiele in Rio        für globales Fair Play unterstützt.
                            de Janeiro. Wir erwarten große Emotionen und            Als Sportminister ist es mir ein Anliegen, den
     Hans Peter Doskozil,   sportliche Höchstleistungen. Daneben darf           positiven Beitrag des Sports zur Integration
     ­Sportminister
                            aber auch die Wahrung der Menschenrechte im         hervorzuheben. Das österreichische Sportmi-
     © Ricardo Herrgott     internationalen Sport nicht außer Acht gelassen     nisterium hat in den vergangenen Jahren zahl-
                            werden.                                             reiche Integrationsprojekte im Sport gefördert.
                               Wir wollen Wettkämpfe, bei denen es um           Viele junge Menschen, die neu in unser Land
                            die sportliche Leistung der Athletinnen und         kommen, finden im Sportverein einen direkten
                            Athleten geht und nicht ums Geld und um das         Weg in unsere Gesellschaft.
                            Errichten teurer Stadien und Sportstätten. Sport-       Der Sport baut Brücken und verbindet die
                            großereignisse sollten nicht nur die Interessen     Menschen über die Grenzen von Nationen, Kul-
                            der Rechteinhaber und Sponsoren befriedigen,        turen und Religionen hinweg. Diese positiven
                            sondern die tatsächlichen Bedürfnisse des           Werte des Sports müssen auch in Zukunft hoch-
                            Sports und der Bevölkerung berücksichtigen.         gehalten werden.
                            Das internationale Ziel muss sein, die Men-
                            schenrechte und die Arbeitsrechte in den Aus-       Hans Peter Doskozil, Sportminister
                            tragungsländern zu stärken.
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Rio de Janeiro: Die geteilte Stadt im
Namen des Sports

Hineingepfercht zwischen hohen Bergen und dem Meer beheimatet Rio eine vielfältige Bevölke-
rung in Bezug auf Kultur, ethnische Herkunft und ökonomische Aspekte. Die „Cariocas“ sind als
lebensfrohe und liebevolle Menschen bekannt, die gerne feiern und die man auf der Straße oder
am Strand trifft. Dieses Bild lässt den Eindruck entstehen, dass auch die Olympischen und Para-
lympischen Spiele ein großes demokratisches Fest werden. In Wirklichkeit aber wird es eines der
exklusivsten Feste überhaupt, zu dem unerwünschten Gruppen der Zutritt verweigert wird und
Grundrechte verletzt werden.

Julia Bustamente und Thiago Mendes, PACS – Institut für alternative Politik, Rio de Janeiro
Übersetzung: Thomas Zobernig, Dreikönigsaktion

Seit Rio zur Bühne für Mega-Events aufgestie-        Von Vertreibung, Gewalt und
gen ist, setzen die dominanten Gruppen ihre          Diskriminierung
Interessen bezüglich des Stadtbildes noch            Der Drang der Eliten, die ungewünschten
stärker durch. Dieser Prozess verstärkt die For-     Gruppen – also Arme, Schwarze, Obdachlose,
mierung eines urbanen Raumes der Exklusion,          Straßenverkäufer_innen, marginalisierte Kinder
der speziell ärmere und verletzlichere Teile der     und Jugendliche – zu vertreiben und ihnen
Bevölkerung unterdrückt. Einerseits rückte Rio       den Zutritt zum „urbanen Spektakel“ zu ver-
in die Mitte der Weltöffentlichkeit durch Veran-     wehren, ist keinesfalls neu. Schon die Formie-
staltungen wie Rio+20, Weltjugendtag 2013,           rung der Favelas Ende des 19. Jahrhunderts
Fußball-WM 2014 oder Olympia 2016. Gleich-           geht auf so eine Vertreibung der Ärmsten auf
zeitig bleibt Rio eine Metropole an der Peripherie   die Hügel rund um das Stadtzentrum zurück.
des Kapitalismus, gekennzeichnet durch die              In den vergangenen zehn Jahren weckte
Schaffung von exklusiven und überwachten             die Ankündigung großer Investments in die
Räumen zur Trennung von Reichen und Armen,           Stadt bei den Bewohner_innen Rios den Traum,
Weißen und Schwarzen, Eingeladenen und               dass die großen Probleme wie etwa urbane
Nicht-Eingeladenen.                                  Mobilität, öffentliche Sicherheit, prekäres      Rio de Janeiro
                                                     Wohnen oder die Verschmutzung der Guana-
                                                     bara-Bucht endlich gelöst werden.                © DKA, Ute Mayrhofer
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     Favela Vila Autodromo in        Nur ein Jahr vor Olympia sehen wir eine             den ersten Monatslohn des jüngsten von ihnen:
     Rio De Janeiro. In vielen   ganz andere Realität: Die Bucht wird nicht              Robério de Souza Penha, der nur 16 Jahre alt
     von Zwangsumsiedlung
     betroffenen Gebieten
                                 sauber werden, die neue U-Bahn-Linie ist nur            wurde. Nicht selten werden die Tatorte von der
     werden Mauerreste stehen    eine Verlängerung der bereits vorhandenen               Polizei manipuliert, um zu behaupten, sie hätten
     gelassen, um so auf die     Linie 1 und wird nicht bis zu den Olympischen           auf einen Angriff reagiert, auch wenn dem nicht
     verbliebenen Familien den   und Paralympischen Spielen fertig werden,               so war. Am 3. Dezember gingen dann tausende
     Druck zu erhöhen.           die Linien des BRT (Bus Rapid Transport) sind           Menschen auf die Straßen, um ihre Empörung
     © PACS, Julia Bustamante
                                 jetzt schon überfüllt, ein neuerlicher Ausbau           darüber zu zeigen, dass die Polizei dermaßen
     und Thiago Silva            wäre also schon nach nur drei Jahren Betrieb            viele Morde an schwarzen Jugendlichen be-
                                 notwendig.                                              geht.1
                                     Hinzu kommt das gewaltsame Vorgehen und                 Rio de Janeiro ist zurzeit auch kein guter Ort
                                 die fehlende Transparenz der Stadtregierung             für Frauen. So kam es zu vielen Demonstratio-
                                 rund um die Zwangsumsiedlungen der Bewoh-               nen gegen gesetzliche Verschlechterungen was
                                 ner_innen der „Vila Autódromo“, einer Siedlung          Frauenrechte betrifft sowie gegen männliche
                                 am Rande des Olympia-Parks. Die Nähe von                Politiker, die weiterhin im Amt sind, obwohl
                                 Armensiedlungen zu den Sportstätten stört die           sie nachweislich körperliche Gewalt gegen
                                 Immobilien-Spekulant_innen, die die Kampag-             Kolleginnen angewandt haben. Das aktuelle
                                 nen der Stadtregierung mitfinanzieren und nach          Stadtentwicklungsmodell stärkt weiterhin die
                                 neuen Grundstücken in einer wertvollen Region           Ungleichheiten, Standards und Werte einer
                                 der Stadt eifern. Der Druck dieser Gruppe hat           patriarchalen und rassistischen Gesellschaft
                                 schon den Großteil der Bewohner_innen vertrie-          und damit die Privilegien für eine weiße, männli-
                                 ben, aber der Widerstand der wenigen Verblie-           che, junge Minderheit. Durch diese Rückschritte
                                 benen geht weiter.                                      entstehen zunehmend Widerstand und Zusam-
                                     Die Militarisierung der Favelas und die             menstöße bzw. alternative Vorschläge. Speziell
                                 Übergriffe der Militärpolizei erschrecken eben-         im Westen der Stadt, der am massivsten von
                                 falls sehr. In vielen bekannten Fällen kam es           den Veränderungen betroffen ist, formiert sich
                                 zu Ermordungen von Bewohner_innen dieser                der Widerstand der Frauen, um für ihre Rechte
                                 Stadtteile, wobei vor allem Jugendliche und             zu kämpfen.
                                 die schwarze Bevölkerung betroffen waren.                   In Anbetracht all dieser Probleme – über-
                                 Am 28.11.2015 ermordete die Polizei fünf                füllter öffentlicher Verkehr, verschmutzte Seen
                                 schwarze Jugendliche mit 111 Schüssen. Sie              und Buchten voller toter Fische, zwangsumge-
                                 waren mit dem Auto unterwegs und feierten               siedelte Familien, ermordete Söhne von arbei-

                                 1.   Video dazu: https://www.facebook.com/PACSInstituto/videos
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tenden Frauen – hat die Bevölkerung Rios nun      hätten die Fußball-WM und Olympia auch zu ei-       Luxusappartements im
verstanden: Die großen Projekte rund um die Me-   ner Zunahme der Partizipation der Bevölkerung       Zuge der Sportgroßereig-
                                                                                                      nisse. Stadterneuerungen
ga-Events sind nicht im Interesse der Mehrheit,   bei demokratischen Entscheidungen führen            in Rio de Janeiro.
sondern hinterlassen ein Erbe der Ausgrenzung,    können.
Militarisierung und Ökonomisierung der Stadt,         Die Stadt vergibt eine große Chance, ihre       © DKA, Ute Mayrhofer
die immer mehr den Reichen und Mächtigen          Bürger_innen anzuhören und konkrete Prozesse
zugutekommt. So stieg in den letzten drei Jah-    für den sozialen Wandel in die Tat umzusetzen.
ren, während der Amtsperiode von Eduardo          Das Projekt einer Stadt für die Bevölkerung, mit
Paes als Bürgermeister von Rio, etwa der Preis    sozialer Gerechtigkeit und einer realen Demokra-
für U-Bahn-Tickets um 29,4% und bei anderen       tie ist eingetauscht worden gegen ein anderes
öffentlichen Verkehrsmitteln um 54,4%.            Projekt, das den Gewinn Einzelner und private In-
                                                  teressen über ethische Werte wie „Freundschaft
                                                  und Respekt“ stellt. Diese Werte, die eigentlich
Eine verpasste Chance?                            in der „Olympischen Charta“ niedergeschrieben
Unsere Herausforderungen in diesem Kontext        sind, wurden wohl überlesen.
sind vielfältig und müssen über das Ende von
Olympia im August 2016 hinausgehen. Groß­            Julia Bustamente und Thiago Silva arbeiten
ereignisse wie die Fußball-WM oder die Olym-         für PACS – Instituto Políticas Alternativas
pischen Spiele hätten die Möglichkeit geboten,       para o Cone Sul. Im Rahmen von Nosso Jogo
eine gerechtere Stadt zu erschaffen. Viele der       kooperiert die Organisation eng mit der Drei­
lange versprochenen Projekte hätten realisiert       königsaktion der Katholischen Jungschar.
werden können, wie etwa die Reinigung der Gu-        PACS betreibt sozioökonomische Forschung
anabara-Bucht. Auch der Sport in Schulen hätte       und setzt sich für die Rechte der Bevölkerung,
gefördert oder ein öffentliches Transportwesen       die von Großprojekten bedroht ist, ein. Neben
aufgebaut werden können, um den Bedürfnis-           Forschung, Analysen und Publikationen arbei-
sen der fast 13 Millionen Bewohner_innen der         tet PACS mit lokalen Gruppen und Frauenorga-
Metropolregion Rio gerecht zu werden.                nisationen zu ihren politischen und ökonomi-
   Anstatt die Kriminalisierung der Bevölkerung      schen Rechten. PACS war Gründungsmitglied
voranzutreiben, anstatt Anti-Terrorismus-Geset-      des Comitê Popular da Copa e Olympiadas und
ze vorzuschlagen, die einen totalen Rückschritt      spielt darin nach wie vor eine zentrale Rolle.
in Bezug auf Rechte von sozialen Bewegungen
und Kundgebungen bedeuten und mit einer
Zunahme polizeilicher Gewalt, institutionellem
Rassismus und Militarisierung einhergehen,
DOSSIER Rio 2016 - Sportgroßereignisse und Menschenrechte - Südwind
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     Sport und Menschenrechte – die
     Geschichte einer problematischen
     Beziehung
                            Das IOC und die Olympische Spiele fördern entgegen ihrem Selbstlob keineswegs die Menschen-
                            rechte. Die positive Wirkung der Bewegung wird in der UNESCO-Charta über Körperliche Erzie-
                            hung und Sport festgehalten, die Mega-Events haben diesbezüglich noch Aufholbedarf.

                            Johann Skocek

                            Elizabeth Martin ist eine ältere Dame aus den        rund drei Menschen pro eine Million Einwohner.
                            USA, wie man sie kennt. Freundlich, kontakt-         In Brasilien lag die Vergleichszahl bei zwölf
                            freudig, leicht übergewichtig. Wer sie und ihre      Toten. Das Problem: die Menschenrechtsver-
                            Geschichte nicht kennt, könnte sie leicht un-        letzungen und Gesetzesüberschreitungen
                            terschätzen. Sie sitzt am Podium der internati-      der brasilianischen Exekutive werden nicht
                            onalen Konferenz über Gesellschaft und Sport,        öffentlich kritisiert. Wer die Sommerspiele
                            „Play The Game“, es ist Oktober 2015 in Aarhus,      2016 besucht, reist also in eine vom Zika-Virus
                            im Meer vor dem Hotel surfen kälteresistente         bedrohte Stadt mit vom Unrat verseuchten
                            Dän_innen und Elizabeth Martin erzählt eine          Badestränden und einer schießwütigen, irren
                            Geschichte von eiskalter Brutalität. Ihr Neffe       Polizeibrigade.
                            Joseph war 2007 nach Rio gekommen, um dort
                            mit ein paar Freunden seinen 30. Geburtstag
                            zu feiern. Ein einheimischer Jugendlicher hatte
                                                                                 Menschenrechte als flüchtiges Gut
                            einem von Josephs Freunden das Geldbörsel            Rio ist freilich nur ein besonders krasser Son-
                            gestohlen, war jedoch von einem Polizisten           derfall in einer langen, von menschenrechtli-
                            geschnappt worden. Joseph und die Polizisten         chem Ausnahmezustand geprägten Parallelwelt
                            gerieten irgendwie in Streit miteinander und         der Sport-Mega-Events. Die offizielle Litanei
                            plötzlich fiel ein Schuss. Joseph Martin war tot,    lautet zwar, dass Olympische Spiele, Fuß-
                            Opfer der beinahe schon legendären Brutalität        ball-Welt- und Europameisterschaften und wie
                            der Polizei in Rio.                                  die Ereignisse heißen mögen, zur Verbrüderung
                                Seither ist seine Tante auf einer Mission. Sie   der Menschen und überhaupt zu einer besseren
                            warnt ahnungslose Olympia-Tourist_innen, im          Welt beitragen. In der wirklichen Wirklichkeit
                            Sommer 2016 vor der Polizei auf der Hut zu           aber sorgen die Vorschriften des Internationa-
                            sein. Ein Vergleich, der unsicher machen soll-       len Olympischen Comittees (IOC), der FIFA und
                            te: Die aufgrund vieler tödlicher Schüsse oft        UEFA dafür, dass Gesetze außer Kraft gesetzt
                            kritisierten Polizisten in den USA töteten 2013      werden, die das Geschäft der Organisator_innen
                                                                                 und ihrer Finanziers (Sponsor_innen) beein-
                                                                                 trächtigen könnten.
                                                                                     Das begann bei Adolf Hitlers Ghettoisierung
      Olympismus                                                                 der Juden und Jüdinnen im Rahmen der Som-
      Die Olympischen Spiele der Neuzeit wurden von dem französi-                merspiele 1936 in Berlin. Ihnen wurde von den
      schen Pädagogen und Sportfunktionär Pierre de Coubertin ein-               Nazi-Diktatoren die „moralische Qualität“ abge-
      geläutet. In der Olympischen Charta, dem Regel- und Ethik-Werk             sprochen, Deutschland als Sportler_innen zu
      des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sind sieben                vertreten. Und es endet bei der Vertreibung der
      Grundprinzipien des Olympismus festgeschrieben, oft auch als               Armen aus den Favelas von Rio, weil ihnen das
      „Olympischer Gedanke“ zusammengefasst. Dies ist eine auf Cou-              Recht abgesprochen wurde, mit ihrem armse-
      bertin zurückgehende Ideologie, die u. a. die Achtung fundamenta-          ligen Leben den Sportstätten der Fußball-Welt-
      ler moralischer Prinzipien hervorhebt, den Wert des Sports für die         meisterschaft 2014 und den Sommerspielen
      Völkerverständigung betont, oder etwa den Sport in den Dienst der          2016 im Weg zu stehen oder die Interessen von
      harmonischen Entwicklung der Menschheit, fern von Diskriminie-             Immobilienhaien zu behindern.
      rung und Ausgrenzung stellt.                                                   Die offizielle Geschichte des Olympismus
      Siehe: http://www.olympic.org/Documents/olympic_charter_en.pdf.            handelt vom friedlichen Wettstreit der Sport-
                                                                                 ler_inn aus aller Welt in einer Atmosphäre der
                                                                                 Offenheit, von der Pflege der kulturellen und
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                                                                                                                             9
sportlichen Beziehungen der Völker der Erde.
Aber was sagten die Menschen in Argentinien
dazu, als die FIFA 1978 ihre WM den Diktatoren,
die tausende Menschen hingeschlachtet hat-
ten, zu Füßen legte?
   Was sagen heute die Fremdarbeiter_innen
auf den Baustellen in Katar dazu, dass sie
zur höheren Ehre der Scheichs und der Fuß-
ball-WM 2022 unter deplorablen Umständen
hackeln müssen und dafür auch noch funda-
mentale Rechte wie die freie Wahl des Arbeits-
platzes und der Ein- und Ausreise aufgeben
müssen?
   Was sagen die Menschen in China dazu, wo
2008 die Sommerspiele stattfanden und 2022
die Winterspiele steigen, dass die Pressefreiheit
unterdrückt wird? Entgegen den Voraussagen
vieler Optimist_innen hat sich die Lage seit
2008 nicht verbessert, eher im Gegenteil. Ein
positiver olympischer Impuls ist also ausgeb-
lieben und er ist auch in Zukunft nicht zu erwar-
ten. Alle diesbezüglichen Versicherungen sind
Schutzbehauptungen, um das Geschäft nicht zu
schmälern.
   Was sagten die Fans in den jeweiligen Ver-
anstalterländern dazu, klärte man sie über
das Kleingedruckte in den Verträgen mit den
Sportverbänden auf? Dort werden Olympischer
Friede und Fußball-Turnier als eine Art Ausnah-
mezustand beschrieben, in dem grundlegende
Rechte wie Erwerbs- oder Reisefreiheit außer
Kraft gesetzt werden. Von den Steuerprivilegien
der Sport-Konzerne ganz zu schweigen, die
aber selbstverständlich dazu führen, dass die
Steuerzahler_innen der Veranstalterländer in
vielen Fällen noch viele Jahre an den für den
Sport-Rausch eingegangenen Schulden zahlen
und außerdem Einschränkungen im Sozial-,
Bildungs- und Gesundheitswesen in Kauf neh-
men müssen.                                         … dafür Russland, Aserbaidschan und              Die Olympia-Fackel in
                                                    China                                            Peking, 2008.

                                                    Kein Wunder also, dass sich die Events immer     © Sanja Jelic
Nicht Norwegen und Deutschland…                     öfter in Ländern wie Aserbaidschan, China oder
In Europa reagiert die Zivilbevölkerung längst      Russland abspielen, wo der Terminus Men-
auf die Großmannssucht, Geldverschwendung           schenrechte den Machthabern bestenfalls ein
und Verweigerung zentraler Information im           Lächeln entlockt. Wo die demokratische Kon-
Zusammenhang mit den Mega-Events, indem             trolle und damit der Hebel zur Durchsetzung
sie in Oslo, München, Garmisch-Partenkirchen        der bürgerlichen Gleichheit und fundamentaler
und anderen Städten die Bewerbung um Olym-          Menschenrechte fehlt. Wo die Korruption nicht
pische Spiele abgelehnt hat. Es scheint, als        wie in Österreich oder Deutschland ein Verstoß
passen die Olympischen Spiele mit der von           gegen die politisch-ökonomischen Regeln dar-
ihnen gelebten Praxis der Menschenrechte            stellt. Wo die Kooperation von privaten Inter-
nicht mehr in eine offene Gesellschaft. Human       essen, zum Beispiel der Bau von Sportanlagen
Rights Watch und andere global agierende            oder Straßen, und politischen Zielen wie ein
Hüter der Freiheit werden nicht müde, die mit       Image-Boost auf dem internationalen Markt,
Sport-Events einhergehende Verschärfung der         eine Selbstverständlichkeit ist und der Schutz
sozialen Konflikte, steigender Immobilien- und      der Umwelt kein Geschäft beeinträchtigen
Konsumgüterpreise und Einschränkungen der           wird, dort tut man sich mit der Organisation
Bewegungsfreiheit anzuprangern.                     und Finanzierung von Mega-Events ungleich
                                                    leichter.
DOSSIER Rio 2016 - Sportgroßereignisse und Menschenrechte - Südwind
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       IOC-Hauptquartier in        Im Good Governance Report des Dänischen          ziehung und Sport“ (2015) hält Artikel 1 fest,
       ­Lausanne, Schweiz.      Instituts für Sportstudien, der Sporthochschule     Sporterziehung, körperliche Aktivität und Sport
       © Wikimedia Commons/
                                Köln und des Europäischen Zentrums für Jour-        seien fundamentales Recht für alle. Das hat
       Nizar Kerkeni            nalismus wird die beginnende und in der Ver-        auf den ersten Blick zwar nur am Rande mit
                                weigerung der Zivilbevölkerung sichtbare Legiti-    Mega-Events und deren problematischen Sei-
                                mationskrise des Sport-Business nach diversen       ten zu tun, doch in weiteren Artikeln heißt es,
                                Parametern und eben auch nach der Beachtung         Sport müsse zur Gleichheit in der jeweiligen
                                der Menschenrechte in den internationalen           Gesellschaft beitragen und alle damit befass-
                                Sportverbänden untersucht. Der Report enthält       ten Parteien und Interessengruppen müssten
                                auch Vorschläge, wie der Respekt der jeweiligen     dafür sorgen, dass er ökonomisch, ökologisch
                                Veranstalter_innen und Verbände vor Menschen-       und sozial nachhaltig betrieben und organisiert
                                rechten zu überwachen wäre. Unter anderem           werde. Das ist ein mehr als deutlicher Hinweis
                                wäre damit sicherzustellen, dass weder Kinder-      darauf, dass Events wie die Olympischen Spiele
                                arbeit, noch Diskriminierung irgendeiner, sei es    in Sotschi (2014) und China (2008, 2022) oder
                                geschlechtlicher, religiöser, sexueller oder na-    die geplante Fußball-WM 2022 in Katar den
                                tionaler Art, vorliegt, Freiheit von Zwangsarbeit   Kriterien der UNESCO zuwiderlaufen.
                                und Freiheit des Handels herrsche.                      Bisher hat freilich weder die UNO noch ein an-
                                                                                    deres politisches Gremium eine Handhabe, IOC,
                                                                                    FIFA oder UEFA zu einer Änderung ihrer Verträge
                                                                                    oder Vergabepraxis zu zwingen. Doch die anhal-
          Menschenrechtsverletzungen                                                tenden Korruptionsskandale und der Abschied
          Menschenrechtsverletzungen bei Sportgroßereignissen sind in der
                                                                                    großer Sponsoren (Nestle, adidas) von ihren
          Geschichte keine Ausnahme. Zwei im negativsten Sinne heraus-
                                                                                    Verbandspartner_innen birgt immerhin die Hoff-
          ragende Beispiele stellen München 1972 und Argentinien 1978
                                                                                    nung, dass eine Änderung der beklagenswerten
          dar. Während die Olympischen Sommerspiele in München 1972
                                                                                    Zustände bevorstehen könnte. Wenn auch nur
          von der Geiselnahme israelischer Sportler_innen durch eine palästi-
                                                                                    aus naheliegenden wirtschaftlichen Überlegun-
          nensische Terrorgruppe mit 17 Todesopfern überschattet wurden,
                                                                                    gen. Das wäre zwar noch nicht ethisch sauber,
          war Argentinien während der Fußball-WM 1978 regiert von einer
                                                                                    aber ein Anfang, der das Sportbusiness zu mehr
          Militärdiktatur, die von Entführungen, Folterungen und Ermordungen
                                                                                    Respekt vor den Menschenrechten zwingen
          geprägt war. Heute geht man von bis zu 30.000 Todesopfern aus.
                                                                                    könnte.

                                                                                       Johann Skocek ist freier Journalist und
                                Es gibt Hoffnung                                       schreibt unter anderem für die Tageszeitung
                                Die Beziehung von Sport und Menschenrecht              Die Presse, die Wochenzeitung FALTER oder
                                kann auch in einer anderen Weise gedacht               das Monatsmagazin datum.
                                werden, und damit beschäftigt sich die UNESCO.
                                In der „Internationalen Charta über Körperer-
11
                                                                                                                       11
Die Internationale Öffentlichkeit als
Chance

Ein Gespräch mit der ehemaligen Olympiateilnehmerin Sylvia Schenk von Transparency Interna-
tional Deutschland zu den Einflussmöglichkeiten von IOC und FIFA und der besonderen Rolle der
Weltöffentlichkeit in Menschenrechtsfragen und der Bekämpfung von Korruption bei Sportgroß­
ereignissen.

Interview: Martin Kainz, Text: Bernadette Schönangerer

In der Olympischen Charta steht, dass es Ziel       ganzen Land bekämpfen, aber man kann sagen,
des Olympismus ist, den Sport in den Dienst         wir erwarten für die Organisation der Veranstal-
der harmonischen Entwicklung der Mensch-            tung Transparenz hinsichtlich der Verwendung       Sylvia Schenk
heit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft    von Geldern, ein gutes Compliance-System für
zu fördern, die der Wahrung der Menschenwür-        das ganze Organisationskomitee und für die
de verpflichtet ist. Sehen Sie diesen Grund-        Infrastrukturprojekte, die für die Olympischen
satz im Rahmen von Rio 2016 erfüllt?                Spiele gebaut werden, wir möchten ein Moni-
Wie bei allen Olympischen Spielen bisher wird       toring von außen und unabhängige Kontrollen.
es so sein, dass dieser Grundsatz teilweise         Das kann man alles in einem Host-City-Vertrag
umgesetzt wird und es in anderen Bereichen          festlegen. Dann müssen sich die Bewerber_in-
Defizite gibt. In Rio gab es nach meiner Erkennt-   nen eben überlegen, ob sie sich für die Organi-
nis sowohl Zwangsumsiedlungen mit zum Teil          sation der Olympischen Spiele solchen Vorga-
problematischen Folgen für die Betroffenen          ben unterwerfen. Diese Diskussion kommt für
als auch große Korruption. Gleichzeitig gibt        Brasilien aber zu spät, weil der Vertrag bereits
es durch den öffentlichen Fokus auf Brasilien       2009 unterschrieben wurde. Bis zu dem Zeit-
auch die Möglichkeit, auf diese Probleme hin-       punkt, an dem der Vertrag unterschrieben wird,
zuweisen. Im Hinblick auf Transparenz gab es        haben die Sportverbände einen großen Hebel,
einige Maßnahmen, was dann allerdings durch         denn alles wird zugesagt, um die Bewerbung
die vielen Korruptionsfälle wieder konterkariert    durchzubekommen. Das heißt, die Verbände
wurde. Brasilien arbeitet jedoch an der Transpa-    sollten im Vertrag möglichst klare und praktika-
renz und hat zum Teil weitreichendere Gesetze       ble Vorgaben festlegen. Mittlerweile gibt es ein
als Deutschland, was zum Beispiel die Veröf-        wunderbares Handbuch vom UNODC (UN Office
fentlichung von Sponsoringsummen betrifft.          on Drugs and Crime) zu Antikorruptionsmaß-
Meine Einschätzung ist, man hätte diese Dinge       nahmen bei Großveranstaltungen, das zum Bei-
schon vor der Vergabe, bei der Verhandlung des      spiel zum Pflichtdokument für die Umsetzung
Host-City-Vertrages stärker berücksichtigen         Olympischer Spiele gemacht werden könnte.
müssen, um in Brasilien wirklich eine positiv       Genauso könnten in Menschenrechtsfragen die
Entwicklung zu fördern.                             UN Guiding Principles on Business and Human
                                                    Rights auf die Durchführung Olympischer Spiele
                                                    oder einer Fußballweltmeisterschaft übertragen
Stichwort Zwangsumsiedlungen und Korrupti-          werden. Probleme gibt es noch mit der Frage,
on in Brasilien: Wo sehen Sie die Verantwor-        was man macht, wenn die Verträge nicht einge-
tung für die Aufhebung dieser Defizite? Die         halten werden. Derzeit gibt es dafür keine wirk-
Argumentation der Verbände ist, dass sie für        lich gute Lösung.
die professionelle und gute Durchführung des
Events verantwortlich sind. Alles was rundher-
um passiert, dafür seien Gastgeberländer und        Sind die Verträge für Russland 2018 und Katar
Städte verantwortlich.                              2022 bereits unterzeichnet oder kann man
Das stimmt zum Teil, allerdings können Orga-        hier noch etwas tun?
nisationen wie das IOC oder die FIFA durch den      Die Verträge werden immer sofort mit der Verga-
Host-City-Vertrag durchaus Einfluss nehmen.         be unterzeichnet. Das ist ja das Spannende. Wir
Natürlich können sie nicht die Korruption im        haben sowohl im Fußball als auch bei den Olym-
1212
                              pischen Spielen einen Bewerbungsprozess, in                 teilgenommen haben, für Bahrain und Sau-
       Agenda 2020            dem parallel die Bewerbung als solches über-                di-Arabien jedoch beispielsweise nur zwei oder
       Die Agenda 2020        prüft wird und bereits die Pläne in den Vertrag             drei. Man kann natürlich sagen, das sei viel zu
       wurde 2014 vom         gegossen werden. Das IOC hat im September                   wenig, allerdings ist auch die Frage, was es im
       IOC vorgestellt und    letzten Jahres den Host-City-Vertrag für 2024               islamischen Kulturkreis und für diese Länder,
       ist ein Reformpaket    veröffentlicht und sich Änderungen aufgrund                 in denen Frauen bis vor kurzem zum Beispiel
       mit zukünftigen        der in Rio gemachten Erfahrungen vorbehalten.               nicht Autofahren durften, bedeutet, wenn eine
       Zielrichtungen         Der Vertrag wird in einem offenen Bewerbungs-               Frau im Olympiastadion mit einmarschiert. Auf
       in Form von 40         prozess damit angefüllt, was die Bewerber-                  der Signalebene können Olympische Spiele
       Empfehlungen,          städte anbieten. Das wird im Detail verhandelt              Unglaubliches bewirken und in einzelnen Län-
       um die Austragung      und liegt für alle Städte unterschriftsreif am Tag          dern damit etwas anstoßen. Das ist ein erster
       von Olympischen        der Entscheidung im September 2017 in Lima                  Schritt, danach muss man dafür sorgen, dass
       Spielen grundsätz-     bereit. Die Stadt, die gewählt wird, unterschreibt          auch der Mädchensport in Schulen gefördert
       lich billiger, sowie   den Vertrag direkt im Anschluss.                            wird. Das könnte zum Beispiel in einem Host-Ci-
       zugrunde liegende                                                                  ty-Vertrag ganz konkret drinstehen und wäre ein
       Prozesse zukünftig                                                                 wichtiger Punkt für ein islamisches Land, um
       transparent(er) zu     Oft wird die Frage gestellt, was kleine Länder              eine Basis zu schaffen. In einzelnen Bereichen
       machen. Besonders      wie zum Beispiel Österreich gegen Menschen-                 wirkt die Agenda 2020 bereits, zum Beispiel
       erwähnenswert ist      rechtsverletzungen im Rahmen von Sportgro-                  in Bezug auf „Gigantismus“ und Einsparungen
       dabei Empfehlung       ßereignissen tun können. Was kann ein Land                  bei den Sportstätten. Es hilft natürlich den je-
       4, die besagt, dass    tun? Welche Verantwortung haben die Länder,                 weiligen Ländern, wenn weniger Geld für teure
       soziale und wirt-      deren Sportler_innen und deren Verbände?                    Sportstätten aufgewendet wird und dafür mehr
       schaftliche Nach-      In der globalen Welt tragen wir immer ein Stück             für den sozialen Bereich zur Verfügung steht. In
       haltigkeit als Teil    weit Verantwortung, zum Beispiel darüber,                   Bezug auf Menschenrechte wurde in die Charta
       der Olympischen        welches T-Shirt wir kaufen, auch für die Arbeits-           aufgenommen, dass sexuelle Orientierung kein
       Bewegung in allen      bedingungen in Bangladesch. Das Bewusstsein                 Diskriminierungsgrund mehr sein darf. Die Wir-
       Aspekten bedacht       darüber, dass das eigene Konsumverhalten Aus-               kung ist in diesen Bereichen allerdings schwer
       werden soll. Oder      wirkungen in anderen Ländern hat, beginnt sich              zu messen. Bei der FIFA wird es wichtig sein, wie
       etwa Empfehlung        gerade erst durchzusetzen. Zu der Frage, was ein            der Vertrag und die Bewerbungsbedingungen
       14, die festhält,      Land tun kann, muss ich zwischen dem Land,                  für 2026 gestaltet werden. Hier arbeitet die FIFA
       dass Diskriminie-      dem einzelnen Sportverband und dem Nationa-                 bereits mit John Ruggie zusammen, der die
       rung aufgrund se-      len Olympischen Komitee (NOK) unterscheiden.                UN Guiding Principles on Business and Human
       xueller Orientierung   Das NOK hat keine Stimme im IOC. Stimmberech-               Rights verfasst hat.
       verboten ist.          tigt sind dort nur die persönlichen Mitglieder.
       Siehe: http://www.     Diese gelten als Repräsentant_innen des IOC in
       olympic.org/olym-      ihrem Land, nicht als Repräsentant_innen des                Sie sind für Transparency International
       pic-agenda-2020        Entsendelandes im IOC. Das heißt, Österreich                Deutschland in mehreren auch internationalen
                              kann nicht direkt im IOC abstimmen, aber Posi-              Expert_innengruppen vertreten. Geht es auf
                              tionen vertreten. Außerdem ist es wichtig, dass             der internationalen Ebene in erster Linie um
                              man im eigenen Land entsprechend arbeitet                   das Erarbeiten von Empfehlungen in Bezug auf
                              und zum Beispiel das eigene Olympia-Team                    Menschenrechte im Rahmen von Sportgroß­
                              informiert, damit sowohl die Sportlerinnen und              ereignissen oder auch tatsächlich um Gesetz-
                              Sportler als auch die österreichischen Fans nicht           gebungen? Geht es um internationalen Druck
                              völlig unkritisch hinfahren und eine Ahnung ha-             oder kann man auch rechtlich etwas tun?
                              ben, was an Positivem und Negativem mit dem                 Fast alle Länder haben bereits die internationale
                              Ausrichterland verbunden ist.                               Menschenrechtskonvention und die ILO2-Nor-
                                                                                          men anerkannt. Mehr als eine Konvention und
                                                                                          internationale Standards durchzusetzen kann
                              Ab wann werden aus Ihrer Sicht bedeutende                   man im Normalfall auf der rein rechtlichen Ebe-
                              Verbesserungen aus menschenrechtlicher                      ne global nicht machen. Die Frage ist, ob diese
                              Perspektive durch die Agenda 2020 zu bemer-                 auch umgesetzt werden. Die UN Guiding Prin-
                              ken sein?                                                   ciples on Business and Human Rights setzen
                              Das ist ein schwieriger Prozess, manches geht               dann in der Praxis an, bei den Unternehmen, die
                              schnell, manche grundlegenden Änderungen                    ja nicht für die Umsetzung der Menschenrechte
                              brauchen länger. Gerade habe ich einen Text                 verantwortlich sind, aber dafür, sie zu respektie-
                              über die Teilnahme von Frauen an Olympischen                ren. Ähnliches brauchen wir für den Sport. Auch
                              Spielen gelesen. Darin wurde kritisiert, dass in            die EU macht öffentlichen Druck. Das zeigt, dass
                              London zwar erstmals in allen Teams Frauen                  diese Themen politisch wichtig geworden sind

                              2.   ILO = International Labour Organisation (Internationale Arbeitsorganisation) der Vereinten Nationen.
13
                                                                                                                             13
und die Sportverbände nicht mehr wie früher
sagen können, dass sie allein für die organisato-          FIFA und John Ruggie
rische Durchführung des Events verantwortlich              Um Menschenrechte zunehmend in der Arbeit der FIFA zu
sind, sondern auch an den damit verbundenen                verankern, hat sich diese John Ruggie an Bord geholt. Er
Risiken arbeiten müssen.                                   ist Politikwissenschaftler an der Universität Harvard und
                                                           wurde 2005 zum Sonderbeauftragten für Menschenrechte
                                                           der Vereinten Nationen bestellt. Ruggie ist seines Zeichens
Sie haben 1972 als Athletin an den Olympi-                 federführend für die so oft als bahnbrechend beschriebenen
schen Spielen in München teilgenommen. Wie                 UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UN
hat sich allgemein Ihr Blick auf die Olympi-               Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte) ver-
schen Spiele, wiederum in menschenrechtli-                 antwortlich. Mehr dazu siehe weiter hinten im Heft und unter:
cher Perspektive, verändert?                               http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinci-
Die Spiele in München waren ja im eigenen                  plesBusinessHR_EN.pdf.
Land. Zu diesem Zeitpunkt hat man über Men-
schenrechte gar nicht nachgedacht. Anderer-
seits gab es 1972 praktisch vor unseren Augen
das Attentat auf das israelische Team. Wir haben
gesehen, wie verletzlich die olympische Idee
des friedlichen Zusammenkommens ist und
dass die Probleme der Welt auch direkt in die
Olympischen Spiele hinein wirken. Als sehr jun-
ge Athletin hat mich die Black-Power-Bewegung
und die Demonstration von Tommie Smith und
John Carlos bei der Siegerehrung zum 200-Me-
ter-Lauf 1968 stark beeindruckt. Hier wurde
deutlich, welche Symbolwirkung die Olympi-
schen Spiele für den Kampf gegen Rassismus
haben können. Einerseits werden Schwarze in
den USA nach wie vor erheblich benachteiligt,
aber wenn sie Gold feiern, dann ist ganz Ame-
rika stolz. Diese Widersprüchlichkeit hat sich
mir damals sehr deutlich gezeigt. Heute fragt
man generell nach den Widersprüchen bei den
Olympischen Spielen, zwischen dem, was man                                                    © ShipFan/commonswiki
in der Olympischen Charta formuliert hat, wäh-
                                                        Black Power
rend man sich andererseits nicht ausreichend
                                                        Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko erhoben die
um Zwangsräumungen und andere Probleme
                                                        US-amerikanischen Sprinter Tommie Smith (Goldmedaille) und
kümmert, die mit der Durchführung verbunden
                                                        John Carlos (Bronze), während bei der Siegerehrung die Natio-
sind. Das heißt, man wirft einen breiteren Blick
                                                        nalhymne ertönte, jeweils eine Faust (siehe Bild). Während Smith
auf Olympische Spiele und das ist auf jeden Fall
                                                        damit seinen Stolz, Schwarzer zu sein symbolisierte, zeigte Carlos
positiv und die Chance, dass sich etwas zum
                                                        seine Solidarität mit den Arbeitnehmer_innen. Die Aktion hatte
Guten verändert.
                                                        große Aussagekraft und zählt nach wie vor zu den bekanntesten
                                                        Protestaktionen im Sport.
Sind Sie optimistisch, dass sich durch die
öffentliche Diskussion von Menschenrechten           im Sport an. Ich bin durchaus optimistisch, dass
im Rahmen von Sportgroßereignissen und               sich das fortsetzen wird. Generell ist bei den
Reformprozesse bei IOC und FIFA etwas zum            Sportgroßveranstaltungen inzwischen einiges
Positiven ändert?                                    in Bewegung gekommen.
Die Diskussion um unsere Verantwortung bei
der Umsetzung der Menschenrechte kommt                  Sylvia Schenk nahm für die Bundesrepublik
erst jetzt auch in der Wirtschaft richtig an. Seit      Deutschland im 800-m-Lauf an den Olympi-
etwa Mitte der 90er Jahre geht man gegen das            schen Sommerspielen 1972 in München teil.
Problem der Kinderarbeit vor, davor war das             Von 2001 bis 2004 war sie Präsidentin des
nicht wirklich ein Thema. Das Bewusstsein über          deutschen Radsportverbandes. Von 2006 bis
den Zusammenhang zwischen dem Zusam-                    2013 war die gelernte Juristin im Vorstand
menbruch eines Fabrikgebäudes in Banglade-              von Transparency International Deutschland,
sch und der Firma, die die T-Shirts herstellt, die      von 2007 bis 2010 Vorsitzende desselben.
man gerade gekauft hat, hat sich erst in den            Zurzeit leitet sie die „Arbeitsgruppe Sport“ der
letzten Jahren entwickelt und kommt jetzt auch          Organisation.
1414
       Zur Frage der staatlichen und
       ­unternehmerischen Verantwortung

                                  Sport-Mega-Events und Menshenrechte stehen in einem ambivalenten Verhältnis. Welche Ver-
                                  antwortung haben dabei Staaten und Sponsor_innen einerseits und internationale Sportverbän-
                                  de sowie Athleth_innen anderseits? Und welche guten Beispiele existieren bereits?

                                  Barbara Linder, Claudia Sprenger und Judith Tutzer, Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM)

                 as Wichtige an den Olympischen Spielen ist nicht zu siegen,
                D                                                                           67.000 Menschen umgesiedelt.3 In den letzten
                ­sondern daran teilzunehmen; ebenso wie es im Leben unerlässlich            drei Jahren gingen die Räumungen mit unge-
                 ist, nicht zu besiegen, sondern sein Bestes zu geben.“                     hinderter bzw. sogar gesteigerter Vehemenz
                 Pierre de Coubertin, 1908                                                  weiter.4 Militarisierung, Rassismus, willkürliche
                                                                                            Verhaftungen und gewaltsames Vorgehen ge-
                                  Bei Sportgroßereignissen, wie zuletzt der                 gen Demonstrant_innen nehmen zu.5
                                  ­FIFA-WM in Brasilien oder den Olympischen                    Internationale Investoren und vor allem die
                                   Spielen in Sotschi, scheint es immer weniger             Regierung steuern Milliarden bei, um das sport-
                                   um den sportlichen Wettkampf zu gehen als um             liche Großereignis im besten Licht erstrahlen zu
                                   die Ereignisse rund um die Vorbereitung und              lassen. Leider geht dies nur allzu oft auf Kosten
                                   Durchführung dieser globalen Events.                    jener, die hinter den Kulissen die Umsetzung
                                      Angesichts von FIFA-Skandalen, dem                    ermöglichen. Der Bedarf an vorübergehenden
       Bei den olympi-             Massen­sterben auf den WM-Baustellen in Katar            Arbeitskräften ist groß und die schnellen Ver-
       schen Spielen in            oder den Vertreibungen und Umsiedlungen zur              dienstmöglichkeiten auf den Großbaustellen
       Sydney 2000 hat             Vorbereitung der Olympiade in Rio de Janeiro,            sind für Arbeitssuchende, darunter auch viele
       die „Sydney Olympic         kommen immer mehr auch Menschenrechts-                   Migrant_innen, verlockend.
       Park Authority“ ein         verletzungen und damit zusammenhängend                       In der Praxis führt dies jedoch zu zahlreichen
       Protokoll ausgear-          die Verantwortung von Staaten, veranstaltenden           Verletzungen von Arbeitsrechtsstandards und
       beitet, das Richtli-        Organisationen, Sponsor_innen, beteiligten Un-           im schlimmsten Fall sogar zu Zwangsarbeit und
       nien für öffentliche        ternehmen und Sportler_innen zur Sprache und             sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen. Arbeiter_
       Beamte über die             lösen Diskussionen und Proteste aus.                     innen erhalten teilweise keinen Lohn und leben
       Umgangsweise mit               Das nächste Großereignis findet im Sommer             in menschenunwürdigen Unterkünften.6
       Obdachlosen ent-            in Brasilien statt. Seit Rio de Janeiro 2009 zum
       hält.*                      Austragungsort der Olympischen und Paralym-
                                   pischen Spiele 2016 auserkoren wurde, hat
                                                                                            Verantwortung von Firmen
       * Institute for Human       sich die Menschenrechtslage entgegen den                 Auch bedeutende österreichische Unter-
       Rights and Business,        Versprechungen der Regierung in und um den               nehmen7 wie etwa Doppelmayr Seilbahnen,
       Striving for Excellence.    Austragungsort deutlich verschlechtert.                  Kornspitz, erima, Stiegl oder Ströck investieren
       Mega-Sporting Events           Nach Schätzungen des brasilianischen                  als Partner des ÖOC in Rio und sind mit men-
       and Human Rights,
                                   „Comitê Popular“, eines Netzwerks zivilgesell-           schenrechtlichen Problemen konfrontiert. Für
       S. 26.
                                   schaftlicher Organisationen, wurden aufgrund             sie stellt sich die Frage, wie sie diesen Risiken
                                   der Olympischen Spiele bis 2013 bereits                  in ihrer Unternehmenspraxis am besten begeg-

                                  3.    https://comitepopulario.wordpress.com/category/noticias/ (Zugriff: 08.02.2016)
                                  4.    http://www.dka.at/themen/kinder-jugend/olympia-2016-rio-de-janeiro/; http://www.rioonwatch.org/?p=24009
                                       (Zugriff: 08.02.2016)
                                  5.    World Cup and Olympics Popular Committee of Rio de Janeiro, Mega-Events and Human Rights Violations in Rio
                                       de Janeiro Dossier November 2015, Rio 2016 Olympics: The Exclusion Games, S. 101–108.
                                  6.    http://www.insidethegames.biz/articles/1029431/rio-2016-olympic-village-workers-living-in-conditions-simi-
                                       lar-to-slavery-brazilian-prosecutor-claims; http://www.reuters.com/article/2014/04/14/us-olympics-brazil-i-
                                       dUSBREA3D16B20140414 (Zugriff: 08.02.2016); World Cup and Olympics Popular Committee of Rio de Janei-
                                       ro, Mega-Events and Human Rights Violations in Rio de Janeiro Dossier November 2015, Rio 2016 Olympics:
                                       The Exclusion Games, S. 55–62.
                                  7.    ÖOC: http://www.olympia.at/ (Zugriff: 09.02.2016)
15
                                                                                                                                            15

nen können, welche Verantwortung sie tragen               rechtsstandards basieren sie auf drei Säulen:         Eine Demonstration in Rio
und wie sie konstruktiv zur Verbesserung der              der staatlichen Verantwortung gegen Men-              de Janeiro: „Olympische
                                                                                                                Spiele für wen?“
Menschenrechtslage in ihrem Einflussbereich               schenrechtsverletzungen von Unternehmen zu
beitragen können.                                         schützen (responsibility to protect), der unter-      © PACS, Comitê Popular
                                                          nehmerischen Verantwortung, Menschenrechte
                                                          in ihren Tätigkeiten zu achten (responsibility to
Good Practice: Unternehmen                                respect) sowie der Verantwortung von Staaten
Es kann positiv berichtet werden, dass in den             und Unternehmen, Opfern von Menschen-
letzten Jahren der Druck, gute Menschenrecht-             rechtsverletzungen Zugang zu gerichtlichen und
spraktiken aufzuweisen, dazu geführt hat, dass            außergerichtlichen Verfahren zu verschaffen
mehr Zulieferunternehmen diesbezügliche                   (access to remedy).
Standards und Mechanismen zu deren Überwa-                    Die UN-Leitprinzipien anerkennen, dass die
chung einführen.8                                         primäre menschenrechtliche Verantwortung
   Auch Sponsor_innen zeigen mehr Handlungs-              weiterhin beim Staat liegt. In diesem Fall betrifft
bereitschaft, aus Sorge um ihr Image. So haben            dies in erster Linie Brasilien als veranstaltendes
Thomson Reuters und Vodafone beschlossen,                 Land (host country) welches beispielsweise
ihre Förderungen für den Formel 1 Grand Prix              menschenrechtskonforme Gesetze betreffend              Vor der Weltmeister-
in Bahrain 2013 wegen der anhaltenden Men-                Arbeitnehmer_innenschutz, Umsiedlungen und             schaft in Deutsch-
schenrechtskrise vor Ort zu kürzen.9 Eine Studie          Entschädigungen oder Partizipation erlassen            land 2006 haben
hat gezeigt, dass sich 63% der Sponsor_innen              und implementieren sowie die umfassende                die Internationale
der Spiele in London 2012 in ihren Strategien             Einhaltung von Menschenrechtsstandards                 Organisation für
auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und              bei der Durchführung der Olympischen Spiele            Migration, die
Menschenrechte (UN Guiding Principles on                  verlangen muss. Weiters muss im Fall von Men-          „MTV Europe Foun-
Business and Human Rights) beziehen.10                    schenrechtsverletzungen der Zugang zu effekti-         dation“ und die
                                                          ven Rechtsmitteln gewährleistet sein.                  Schwedische Ent-
                                                              In zweiter Linie tragen auch diejenigen Län-       wicklungsagentur
Menschrechtsstandards                                     der Verantwortung, in denen die ausländischen          Maßnahmen zur
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und                  Firmen, die in Rio tätig werden, ihren Sitz haben      Sensibilisierung
Menschenrechte sind die derzeit wichtigsten               (host state). So ist beispielsweise Österreich         zum Thema Men-
international anerkannten Standards betreffend            dazu verpflichtet, seine Unternehmen und Ver-          schenhandel und
die menschenrechtliche Verantwortung von                  anstalter zur Einhaltung der Menschenrechte            Zwangsprostitution
Unternehmen.11                                            anzuhalten.                                            durchgeführt.*
   Aufbauend auf internationalen Menschen-
                                                                                                                 * http://www.rferl.
                                                                                                                 org/content/arti-
8.  Institute for Human Rights and Business, Striving for Excellence. Mega-Sporting Events and Human Rights,     cle/1069191.html;
    S. 12–13.                                                                                                    Institute for Human
9. Ebd., S. 23.                                                                                                  Rights and Business,
10. Ebd., S. 24–25.                                                                                              Striving for Excellence.
11. Guiding Principles on Business and Human Rights, Implementing the United Nations „Respect, Protect and       Mega-Sporting Events
    Remedy“ Framework, http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf            and Human Rights,
    (Zugriff 11.02.2016); weitere relevante Standards sind die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen,    S. 26.
    http://www.oecd.org/corporate/mne/48808708.pdf (Zugriff 11.02.2016).
1616
                                  Corporate Social Responsibility
                                  Die Leitprinzipien betonen aber, dass es unab-
                                  hängig von der staatlichen auch eine eigene
                                  unternehmerische Menschenrechtsverantwor-
                                  tung gibt, welche sich gleichsam an alle unter-
                                  nehmerischen Akteur_innen wendet. Im Rahmen
                                  der Olympischen Spiele sind dies nicht nur Unter-
                                  nehmen, die in Rio tätig sind, sondern auch Spon-
                                  sor_innen, Veranstalter_innen und Medien. Sie alle
                                  sind gemäß den Leitprinzipien dazu angehalten,
                                  eine Menschenrechtsstrategie zu entwickeln,
                                  einen menschenrechtlichen Sorgfaltsprozess
                                  durchzuführen und allenfalls einen Beschwer-
                                  demechanismus einzurichten. Bislang ist die
                                  unternehmerische Verantwortung zwar allgemein
                                  anerkannt, aber noch nicht international rechtlich
                                  durchsetzbar, man spricht in diesem Zusammen-
                                  hang von soft law. Verletzungen der corporate
                                  responsibility ziehen jedoch häufig beträchtliche,
                                  kostspielige Reputationsschäden nach sich.
                                      Für österreichische Wirtschaftstreibende
                                  in Rio bedeutet dies, dass sie potentielle nega-
                                  tive menschenrechtliche Auswirkungen ihrer
                                  Tätigkeit im Rahmen von Risikoanalysen iden-
                                  tifizieren und ihnen rechtzeitig entgegenwirken
                                  sollten. Dem Dialog mit den Betroffenen und
                                  lokalen NGOs kommt dabei besondere Bedeu-                Vergabeentscheidungen einfließen. In der
                                  tung zu. Für den Fall, dass Menschenrechtsver-           einstimmig beschlossenen IOC-Strategie finden
       Das „Vancouver Orga-       letzungen vom Staat begangen werden, sollten             sich auch Ansätze jener Forderungen, die die
       nising Committee“ hat      Unternehmen jedenfalls sicherstellen, dass sie           Initiative Nosso Jogo im Rahmen der Petition
       bei den Winterspielen      sich nicht mitschuldig machen, indem sie etwa            anlässlich der FIFA WM 2014 gefordert hat. In
       in Vancouver 2010          von Polizei und Militärgewalt zur Durchsetzung           Empfehlung 4 hält das IOC fest, dass soziale
       die ersten Nationen in     ihrer Interessen profitieren.                            und wirtschaftliche Nachhaltigkeit als Teil der
       alle Aspekte der Spiele                                                             Olympischen Bewegung in allen Aspekten be-
       mit einbezogen, was                                                                 dacht werden soll. In Empfehlung 14 ist festge-
                                  Internationale Sportverbände                             halten, dass Diskriminierung aufgrund sexueller
       dazu geführt hat, dass
       das IOC die indigenen      Bei den Olympischen Spielen kommt traditionell           Orientierung verboten ist.
       Bevölkerungen als          auch dem internationalen Veranstalter IOC eine               Auch die FIFA zeigt erste Anzeichen für ein
       Partner anerkannt hat,     große Rolle zu. Dieser sollte seinen Einfluss und        Engagement für Menschenrechte. Das „2014
       ihnen Geschäftsmög-        seine Macht dazu nutzen, von Sportveranstaltern          FIFA World Cup Sustainability Strategy Con-
       lichkeiten eröffnet        sowie kommerziellen Partnern die Einhaltung von          cept“12 enthält Standards, welche auf die UN
       wurden und ihre            Menschenrechten bei den Spielen zu verlangen.            Guiding Principles aufbauen und menschen-
       Kultur und athleti-                                                                 rechtliche Sorgfaltspflicht (due diligence) der
       schen Erfolge sichtbar                                                              Unternehmen und Beschwerdemechanismen
                                  Good Practice: veranstaltende                            fordert. Sie hat sich außerdem öffentlich dazu
       werden konnten. Das
                                  Organisationen                                           bekannt, den Schutz der Arbeitnehmerrechte,
       VANOC hat außerdem
       den „Licensee Code         Die Forderung nach Menschenrechtsstandards               einschließlich Wanderarbeitnehmer, zu unter-
       of Conduct“ und den        bei Sportgroßveranstaltungen zeigt auch in der           stützen.13 Kürzlich hat die FIFA John Ruggie,
       „Supplier Code of          Olympischen Bewegung erste Wirkung. 2015                 den in Graz geborenen UN-Sonderbeauftragten
       Conduct“ eingeführt,       beschloss das IOC die „Agenda 2020“. Kriterien           für Menschenrechte, beauftragt, Richtlinien zu
       um Arbeitnehmer- und       wie Menschenrechte, Nachhaltigkeit und Um-               Menschenrechtsstandards für die WM-Austra-
       Menschenrechte zu          weltschutz sollen in Zukunft in die olympischen          gungsstätten zu formulieren.14
       schützen. *
                                  12. http://www.fifa.com/mm/document/fifaworldcup/generic/02/11/18/55/sustainabilitystrategyconcept_neutral.pdf
       * Vancouver 2010           13. Building a Better World Cup Protecting Migrant Workers in Qatar Ahead of FIFA 2022, ©Human Rights Watch
       Sustainability Report,         2012. Institute for Human Rights and Business, Striving for Excellence. Mega-Sporting Events and Human
       http://www.olympic.org/        Rights, S. 20.
       news/vanoc-releases-       14. New Delhi Times, FIFA’s Plan to adopt UN’s guiding principles on human rights could be a pioneer in global
       final-sustainability-re-       sports, 4. Januar 2016, www.newdelhitimes.com/fifas-plan-to-adopt-uns-guiding-principles-on-human-rights-
       port/110042                    -could-be-a-pioneer-in-global-sports123/ (Zugriff 10.02.2016).
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                                                                                                                                    17
                                                                                                        Bei den olympischen
                                                                                                        Sommerspielen in
                                                                                                        London 2012 wurden
                                                                                                        Nachhaltigkeit und
                                                                                                        Menschenrechte das
                                                                                                        erste Mal von Anfang
                                                                                                        an adressiert. Die
                                                                                                        Londoner „Olympic
                                                                                                        Delivery Authority
                                                                                                        (ODA)“ hat Standards
                                                                                                        in den Bereichen Bar-
                                                                                                        rierefreiheit, Gleich-
                                                                                                        berechtigung und
                                                                                                        Inklusion, Gesundheit
                                                                                                        und Sicherheit entwi-
                                                                                                        ckelt, auf die alle Un-
                                                                                                        ternehmen überprüft
                                                                                                        wurden. Besonders
                                                                                                        hervorzuheben ist
                                                                                                        die Gründung der
                                                                                                        „Commission for
                                                                                                        Sustainable London
                                                                                                        2012“, eines unab-
                                                                                                        hängigen Organs mit
                                                                                                        der Aufgabe, Men-
                                                                                                        schenrechtsfragen
Fensterreiniger am WM­-Stadion in Pernambuco.        Cathy Freeman bei den Spielen in Sydney 2000.      wie Diversität, Ge-
                                                     Deutsche Olympionik_innen trugen in Peking         sundheit und Sicher-
© DKA, Christian Herret
                                                     2008 blau-grüne Solidaritäts-Bändchen mit          heit sowie Standards
                                                     dem Slogan „Sport for Human Rights“. Zuletzt       in der Lieferkette zu
                                                     trugen bei der Eröffnungszeremonie der Som-        überprüfen.* Außer-
                                                     merspiele in London 2012 Persönlichkeiten          dem hat das Londoner
Die Rolle von Sportler_innen                         aus dem Menschenrechts- und humanitären            Organisationskomitee
Nicht zuletzt spielen auch Sportler__innen eine      Bereich die olympische Flagge. Diese Spiele        der Olympischen
Rolle in der Realisierung von Menschenrechten.       fielen außerdem durch die erste Teilnahme von      und Paralympischen
Die Rolle von Athleth_innen ist medial sehr stark,   weiblichen Athletinnen für Saudi Arabien, Katar    Spiele (LOCOG) einen
rechtlich jedoch sehr schwach. Sie unterliegen       und Brunei auf.                                    innovativen Be-
meist strengen Verwertungsbedingungen und                                                               schwerde- und Kon-
Weisungen der einzelnen Sportverbände. Sie               Die hier angeführten Herausforderungen         fliktlösungsmecha-
könnten allerdings ihre Präsenz und Bekannt-         und Probleme verdeutlichen das zwiespäl-           nismus entwickelt,
heit nutzen, um auf die Arbeitsbedingungen           tige Verhältnis zwischen Durchführung von          um mit Beschwerden
all jener aufmerksam zu machen, die an der           Sportgroßereignissen und der Einhaltung der        bei Verstößen in der
Ermöglichung dieser Großevents beteiligt sind        Menschenrechte. Dennoch verweisen die hier         Anwendung seines
und für faire Arbeitsbedingungen und die Ach-        aufgezählten positiven Beispiele darauf, dass      „Sustainable Sourcing
tung der Rechte und Würde jener eintreten, die       internationale und nationale Sportverbände, Ver-   Codes“ umgehen zu
von Menschenrechtsverletzungen betroffen             anstalter, Unternehmen und die aktiven Sport-      können. Dieser wurde
sind.                                                ler_innen Handlungsmöglichkeiten besitzen, um      auf Anfragen verschie-
                                                     Verantwortung für die universelle Durchsetzung     dener Akteure um
                                                     von Menschenrechte zu übernehmen.                  den „Ethical Trading
Good Practice: Athlet_innen
                                                                                                        Initiative’s Base Code“
In der Geschichte der Olympischen Spiele gab            Barbara Linder, Claudia Sprenger und Judith     erweitert, um Arbeits-
es auch einige positive Meilensteine im Kampf           Tutzer beschäftigen sich am Ludwig Boltz-       rechte zu schützen.**
für Menschenrechte. Mit symbolträchtigen                mann Institut für Menschenrechte (BIM) mit
Aktionen nutzten Sportler_innen immer wieder            dem Thema Menschenrechte in der Entwick-        *http://www.cslondon.org/
Olympische Spiele als Plattform zur Förderung           lungszusammenarbeit und Wirtschaft. Das         ** Institute for Human
von Menschenrechten: Legendär etwa die                  BIM wurde 1992 gegründet und ist ein unab-      Rights and Business,
geballten Fäuste von Tommie Smith und John              hängiges Forschungsinstitut welches sich mit    Striving for Excellence.
Carlos bei den Olympischen Spielen in Mexiko            Menschenrechtsschutz auf nationaler, europä-    Mega-Sporting Events
1968 als Symbol des Protestes gegen Rassis-             ischer und internationaler Ebene beschäftigt.   and Human Rights, S. 3,
mus oder das Tragen der Aborigine-Flagge von                                                            27–28.
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