Dringender denn je Gemeinsam gegen den Pflegenotstand - Arbeitnehmerkammer Bremen
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Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven Mai / Juni 2020 Dringender denn je Gemeinsam gegen den Pflegenotstand Verliebt am Arbeitsplatz Arbeit ohne Ende? Konflikte auf der Arbeit Infos aus dem Arbeitsrecht und Was Beschäftigte zu Mit einer Bremer Mediatorin Knigge-Tipps Überstunden wissen sollten im Gespräch
BAM — Mai / Juni 2020 Inhalt Galerie der Arbeitswelt Allergie am Arbeitsplatz Deutsch am Arbeitsplatz Seite 16 Seite 10 Seite 18 Inhalt SERVICE & BERATUNG 10 Arbeit & Gesundheit Allergie am Arbeitsplatz: früh handeln 11 Fragen & Antworten THEMEN Arbeit ohne Ende? — Was Beschäftigte zu Überstunden wissen sollten Schwerpunkt 6 Dringender denn je 22 Alles, was Recht ist Gemeinsam gegen den Pflegenotstand Rechtstipp / Rechtsirrtum: Die Kosten eines Arbeitsgerichtsprozesses trägt der Verlierer 12 Mehr Anerkennung für wichtige Berufe Corona und systemrelevante Jobs 23 Drei Fragen zur Arbeit in der Pflegebranche 14 „Ein Konflikt eskaliert, wenn er unbehandelt bleibt“ Interview mit einer Mediatorin IN JEDEM HEFT 18 Deutsch am Arbeitsplatz 3 Editorial Von einfacher Sprache profitieren alle 4 Die Bremer Arbeitswelt in Zahlen 20 Verliebt am Arbeitsplatz Wie Frauen arbeiten Infos aus dem Arbeitsrecht und Knigge-Tipps 5 Kurz gemeldet 16 Galerie der Arbeitswelt Die Kommunikationselektronikerin bei der BSAG Aktuelle politische Inhalte 22 Impressum BAM und Service-Informationen im Abo? von uns finden Sie auf T witter 23 Cartoon (@ANK_HB), facebook e (Arbeitnehmerkammer Bremen), 24 Beratungsangebote & Öffnungszeiten er.d bam@ ehmerkamm YouTube und Xing. n arbeit — 2
Editorial BAM — Mai / Juni 2020 EDITORIAL #first7jobs Unter dem Twitter-Hashtag Corona: Mehr #first7jobs erfährt man endlich, wie Karrieren gestartet wurden. Kellner? Babysitter? Oder doch Unterstützung für Beschäftigte eher Marketing-Hase in der Fuß- gängerzone? Wir wollten wissen, wie prominente Bremerinnen und Bremer ihre Berufslaufbahn begonnen haben. Der Liebe wegen kam Georg Lippert vor zehn Jahren nach Bremen. Hier schrieb er auch das Drehbuch zum Tatort „Die goldene Zeit“ (Februar 2020). In der Schweiz studierte der Österreicher Schauspiel, spielte an verschiedenen Theatern Peter Kruse und absolvierte dann ein Auf- Präsident der baustudium Film/ Drehbuch Arbeitnehmerkammer in Hamburg. L ippert schrieb Bremen diverse Drehbücher – jüngst die sechsteilige Serie „Da is‘ ja nix“ für den NDR. Liebe Leserinnen, liebe Leser, Flyer verteilen (oder: die während noch vor wenigen Wochen viele freudig dem Frühling entgegenfieber- Hälfte ins Altpapier und Eis ten – mit Osterwiese, draußen sitzen und Angrillen – steht seit Mitte März das essen gegangen) öffentliche Leben weitestgehend still. Die Corona-Krise hat Gesellschaft, Wirt- Security auf der Love Parade schaft und Arbeitsmarkt fest im Griff. Erste Schätzungen gehen davon aus, dass in Wien mindestens zweieinhalb Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit gehen. Aushilfsbademeister im Wie groß die Not ist, zeigt unsere Beratung: Beschäftigte aus dem Einzel- Freibad handel fühlten sich gerade in der Anfangszeit im Stich gelassen mit der Sorge um Darstellung eines betrunke- eine mögliche Ansteckung. Vielen Minijobberinnen wurde von heute auf morgen nen Weihnachtsmannes in der gekündigt, viele wussten nicht, wie sie ihre Kinder aufgrund der Kita- und Schul- Züricher Innenstadt (PR-Aktion schließungen unterbringen sollten. Die Angst vor Einkommensverlusten war und des schweizerischen Blauen bleibt auch jetzt noch groß. Denn: Insbesondere in Niedriglohnbranchen wie der Kreuzes: „Alkohol kann jeden Gastronomie, dem Taxigewerbe, dem Handel oder bei kleinen Dienstleistern feh- treffen“) len den Betrieben die finanziellen Puffer – und den Beschäftigten erst recht. Hilfskrankenpfleger Auf die Auswirkungen hat die Politik mit milliardenschweren Rettungs- Hörbuchsprecher für die paketen reagiert, die Bremen mit eigenen Förderprogrammen ergänzt hat. Es ist Hamburger Blindenbibliothek gut, wenn Betriebe unterstützt werden, um Entlassungen zu vermeiden. Leider Schauspieler an der Landes- ist bis zum Redaktionsschluss aber keine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes bühne Nord und am Theater beschlossen worden. Wer nur noch 60 oder 67 Prozent des wegfallenden Gehalts Oberhausen bekommt, wird häufig beim Jobcenter Leistungen beantragen müssen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dies den meisten zu ersparen und das Kurzarbeitergeld auf bis zu 90 Prozent aufzustocken. Unklar blieb ebenfalls, ob Beschäftigte in stark belasteten Berufen Bonuszahlungen erhalten. Auch das unterstützen wir – wenn- gleich dies nur ein Anfang dafür sein kann, in der Pflege oder im Einzelhandel grundsätzlich für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Wenn uns eins in die- ser Krise besonders bewusst geworden ist: Gerade in den sogenannten system relevanten Berufen wird häufig schlecht verdient und unter harten Bedingungen Foto: Jonas Ginter gearbeitet. Das muss sich ändern! Ihr Peter Kruse Georg Lippert Kontakt: bam@arbeitnehmerkammer.de — 3
BAM — Mai / Juni 2020 DIE BREMER ARBEITSWELT IN ZAHLEN Wie Frauen arbeiten Für Männer sind in den ver- gangenen zehn Jahren mehr als 10.000 Vollzeitstellen dazugekommen, bei den Frauen wurden rund 1.500 Arbeitsplätze in Vollzeit ab- In Bremen ist der Anteil von Frauen an den sozialver- gebaut – die meisten davon sicherungspflichtig Beschäftigten im Vergleich zu im Einzelhandel. anderen Bundesländern mit Abstand am niedrigsten: Die Wirtschaft wird von männerdominierten Branchen wie der Automobilindustrie und der Logistik geprägt. In diesen Berufen arbeiten die meisten Frauen Dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, (Anteil von allen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen ist problematisch, da sie oft in Branchen im Land Bremen) mit niedrigen Löhnen beschäftigt sind. Viele Teilzeitstellen sind daher nicht existenzsichernd. Quellen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit / Statistisches Bundesamt / WSI GenderDatenPortal 50 % der Frauen 16,8 % arbeiten in Teilzeit … Berufe in der Unternehmens- führung und -organisation ... aber nur 13,7 % 14 % der Männer. Medizinische Gesundheitsberufe 10,2 % Erziehung, sozial- Vollzeit Teilzeit (ohne Minijobs) und hauswirtschaftliche Berufe Im La nd Br emen sind 8,4 % 147.0 rund Im Land Bremen gibt es rund 00 Fr 70.000 Minijobs. Der Frauenanteil Verkaufsberufe so auen zialve liegt bei 56 Prozent. siche r- rungs pflich besch tig äftigt Das i . st ein § 6,7 % Ante Berufe in Recht und von 4 il Frauen übernehmen häufiger 4%. Verwaltung Sorgearbeit: Unbezahlte Arbeit macht in Deutschland bei Frauen 45 Prozent am Gesamtarbeitstag aus, bei Männern nur 28 Prozent. — 4
BAM — Mai / Juni 2020 Kurz gemeldet Online-Portal für Pflegebeschäftigte Pflegebeschäftigte finden im Internet unter www.arbeit- nehmerkammer.de/pflege Infos zu allen relevanten Themen rund um die Pflegebranche. Hier gibt es auch kon- krete Tipps beispielsweise zu Arbeitszeit, Nebenverdienst, Überstunden, Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst. Rund 15.000 Menschen arbeiten im Land Bremen in Kliniken sowie in den stationären und ambulanten Entlastungstelefon für Pflegeeinrichtungen. Über die konkrete Arbeitssituation Krankenhausbeschäftigte und über die Veränderungen im Gesundheitswesen berich- tet die Arbeitsnehmerkammer in Studien und Analysen. Beschäftigte in den Krankenhäusern leisten unersetzliche Außerdem kommen Pflegebeschäftigte mit verschiedenen Arbeit für unsere Gesellschaft. Stress und Aufregung im Fragen in die Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer – Arbeitsalltag führen jedoch manchmal an die Grenzen etwa zu Arbeitszeit, Gehalt und Überlastung. der Belastbarkeit. Ein Team von ehrenamtlichen Psycho- loginnen und Psychologen hat ein Entlastungstelefon für www.arbeitnehmerkammer.de/pflege Bremer Krankenhausbeschäftigte eingerichtet. Sie hören zu, informieren und versuchen je nach Bedarf an andere Stellen weiterzuvermitteln. Vertraulich und anonym. Beschäftigte im Fokus – 01 52 . 24 15 53 12 (von dieser zentralen Telefon Bericht zur Lage 2020 nummer wird weitervermittelt) Jedes Jahr wirft die Arbeit- nehmerkammer einen genauen Blick auf die Entwicklungen in Bremen: Wie haben die Arbeit- nehmerinnen und Arbeit nehmer im vergangenen Jahr verdient? Wohin entwickelt Bericht zur Lage der Arbeitnehmerinnen sich die Beschäftigung und der Foto: iStock/oonal Arbeitsmarkt? Wie haben sich und Arbeitnehmer im Land Bremen 2020 einzelne Branchen entwickelt? www.arbeitnehmerkammer.de Als die Politikberatung an diesem Lagebericht gearbeitet hat, war nicht klar, wie sehr die Corona-Krise den Arbeits- Corona – markt im Griff haben würde. Insbesondere in Niedrig- lohnbranchen wie der Gastronomie, dem Taxigewerbe, was Beschäftigte dem Handel oder bei kleinen Dienstleistern fehlen den wissen müssen Betrieben die finanziellen Puffer – den Beschäftigten aber erst recht. Bleibt es bei diesen Szenarien, so wird es im Kann mir der Arbeitgeber wegen Corona betriebsbedingt nächsten Lagebericht ganz andere Zahlen zum Hartz- kündigen? Bekomme ich während der Quarantäne weiter IV-Bezug, zu Arbeitslosigkeit und natürlich auch zur mein Gehalt? Haben Minijobber Anspruch auf Kurz Konjunktur geben. arbeitergeld? Kann mein Arbeitgeber Urlaub anordnen? Gleichwohl sind Themen wie die Grundrente, aber Auf unserer Website geben wir unseren Mit auch die langfristige Entwicklung der Zahl der Pflegebe- gliedern Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um schäftigten oder der Ausbildungsplätze in Bremen wichtig die Corona-Krise – immer auf dem aktuellsten Stand. für die Situation unserer Mitglieder. www.arbeitnehmerkammer.de/corona www.arbeitnehmerkammer.de/downloads — 5
BAM — Mai / Juni 2020 KOMMENTAR Corona macht es deutlich – Applaus für Pflegebeschäftigte reicht nicht! Ein Kommentar von Elke Heyduck Spätestens mit der Covid-19-Pandemie ist es nun allen es gibt Pflegekräfte, die es geschafft haben, echte Verbesse- bewusst: Die Beschäftigten in den Krankenhäusern leisten rungen für ihren Arbeitsalltag durchzusetzen. Zwei Beispiele Tag für Tag gesellschaftlich höchst wichtige Arbeit. Dies tun stellen wir auf den folgenden Seiten vor. sie allerdings nicht erst seit dem Ausbruch von Corona, son- dern immer schon und auch im Regelbetrieb. Ihre ungenü- Und: Die Beschäftigten in den Krankenhäusern haben heute genden Arbeitsbedingungen sind allen bekannt. mehr Macht und Aufmerksamkeit denn je. Die Unterstützung der Gesellschaft ist ihnen sicher. Auch die Politik hat zumin- Im Land Bremen leisten mehr als 11.500 Beschäftigte in den dest ihre Absicht erklärt, die „systemrelevanten“ Berufe Krankenhäusern ihre Arbeit, darunter 4.800 im Pflegedienst. finanziell besser anzuerkennen. Der Gesundheitsbereich muss nach Bedarf und nicht Jahrzehntelang wurde am Pflegepersonal gespart. Seit vie- rein marktwirtschaftlich organisiert werden. Dazu wäre len Jahren weisen engagierte Pflegekräfte auf eklatante ein Ende der Fallpauschalen nötig sowie eine verbindliche Missstände im Krankenhausbereich hin. Zwei Petitionen von bedarfsorientierte Personalbemessungsregelung. Jetzt ist die Beschäftigten mit fast 540.000 (Stand: 9. April) Unterzeich- Zeit, die notwendigen Veränderungen mit Nachdruck einzu- nenden stellen konkrete Forderungen für die Zeit der Pan- fordern – zum Wohle aller. demie, formulieren jedoch auch grundsätzliche Kritik am Gesundheitssystem. Zu den Forderungen gehören Mindeststandards bei den Schutzmaßnahmen, eine umfassende psychologische Elke Heyduck Betreuung des Krankenhauspersonals, aber auch die Wieder- ist Geschäftsführerin und eingliederung von Servicebereichen wie der Reinigung. leitet die Politikberatung Um dies durchzusetzen haben Beschäftigte etwa der Unikli- der Arbeitnehmerkammer niken Jena und Augsburg die Einbindung in Corona-Krisen- Bremen stäbe eingefordert – mit Erfolg. Beschäftigte unter anderem aus den Vivantes-Krankenhäusern und der Charité Berlin hal- Foto: Stefan Schmidbauer ten deutliche Lohnsteigerungen für dringend nötig und for- dern eine steuerbefreite Belastungs- und Gefahrenzulage. Außerdem müsse das Gesundheitssystem grundsätzlich den Menschen und nicht den Profit ins Zentrum stellen. Auch der Betriebsrat der Gesundheit Nord in Bremen hat sich mit einem offenen Brief an die Politik gewandt und unter anderem mehr Personal für alle an der Krankenversor- gung beteiligten Bereiche gefordert, einen besonderen Schutz für Beschäftigte aus Risikogruppen und die feste Zuordnung Als die Artikel für das vorliegende Heft geschrieben des Reinigungspersonals. wurden, war die Corona-Krise noch nicht akut. Flächendeckende Verbesserungen konnten die Kran- Deshalb beziehen der Schwerpunkt auf den folgen kenhausbeschäftigten in den vergangenen Jahren nicht ver- den Seiten und alle anderen Artikel die aktuelle zeichnen. Auch die Dramatik der Corona-Krise wird nicht Situation nicht mit ein. automatisch zu notwendigen Veränderungen führen. Aber — 6
Schwerpunkt BAM — Mai / Juni 2020 Dringender denn je — Gemeinsam gegen den Pflegenotstand Hohe Arbeitsbelastung bei vergleichsweise geringer Entlohnung: Der Druck, unter dem Fachkräfte in Pflegeberufen stehen, ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Beispiele aus der Krankenhauspflege zeigen, dass sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen etwas tun lässt – wenn alle an einem Strang ziehen Text: Anne-Katrin Wehrmann – Fotos: Kay Michalak A ndrea Hansen (Name von laut Personalschlüssel vor Inkrafttreten man sich nach der Arbeit komplett aus- der Redaktion geändert) ist der aktuellen Pflegepersonaluntergren- gelaugt“, sagt Hansen, „da geht dann Fachpflegekraft für Inten- zen-Verordnung (PpUGV) Anfang 2019 gar nichts mehr“. sivpflege an einem großen eine Pflegekraft um drei Patienten küm- Eine solche Überlastung scha- Hamburger Krankenhaus. Ihr Beruf mern. Manchmal war die 45-Jährige det nicht nur der Gesundheit der macht ihr viel Freude: Für die Patienten jedoch in der Vergangenheit für vier Pflegekräfte, sondern bringt auch die da zu sein und ihnen in einer schwieri- oder sogar fünf Patienten zuständig. Patienten in Gefahr. 2013 beschlossen gen Lage zur Seite zu stehen, lässt sie „Wir reden hier von Menschen, die Andrea Hansen und ihr Team daher, abends mit einem guten Gefühl nach schwer krank sind, die beatmet werden sich gegen die Arbeitsbedingungen Hause gehen. Normalerweise. Doch in und an verschiedene Geräte ange- zu wehren. Dem Rat des Betriebsrats den vergangenen Jahren gab es immer schlossen sind“, berichtet sie. „Da ist folgend begannen sie und ihre Kolle- wieder auch Zeiten, in denen das nicht der Druck ohnehin schon enorm groß, ginnen, schon im Voraus sogenannte der Fall war – weil die Krankenhaus- weil uns keine Fehler passieren dürfen.“ Überlastungs- oder Gefährdungsanzei leitung zu wenig Personal bereitstellte Wenn dann noch zusätzlicher Stress gen zu schreiben: Darin teilten sie der und die Arbeitsbelastung immer grö- durch Unterbesetzung hinzukomme, zuständigen Pflegedienstleitung (PDL) ßer wurde. Auf der Intensivstation, seien schnell die Grenzen des Leistba- mit, dass es in einem konkreten Dienst auf der Hansen arbeitet, sollte sich ren erreicht. „An solchen Tagen fühlt zu einer erheblichen Gefährdung für — 7
BAM — Mai / Juni 2020 Schwerpunkt nicht kurzfristig einzuspringen, wenn aufgebaut wurde, haben die Bremer jemand krankheitsbedingt ausfallen Krankenhäuser ihr Pflegepersonal in sollte. „Was dann natürlich auch pas- dieser Zeit reduziert. Eine Vollkraft sierte“, erzählt die Intensivpflegerin. ist hier mittlerweile für mehr Patien- „Da waren wir dann zeitweise wie- ten zuständig als anderswo und so liegt der für fünf Patienten verantwortlich die Arbeitsbelastung gemessen an den und der Stress wurde so groß, dass es Fällen über dem Bundesdurchschnitt. auch Tränen gab. Aber wir haben das Die Folge: Laut aktueller Beschäftigten- gemeinsam durchgezogen.“ befragung der Arbeitnehmerkammer Da sich die Klinikleitung wenig ist der Zeitdruck so groß wie in keinem gesprächsbereit zeigte, brachte der anderen Beruf, was zu hohen körper Betriebsrat die Angelegenheit vor das lichen und emotionalen Belastungen Arbeitsgericht. Zunächst mit wenig der Beschäftigten führt. Viele Pflege- Erfolg. „Die Richter haben entschie- kräfte reduzieren daher ihre Stunden- den, dass es zur betrieblichen Freiheit zahl oder steigen komplett aus dem gehört, wie viel Personal ein Arbeit- Beruf aus, was den Personalmangel geber einsetzt“, erläutert Betriebsrätin weiter verschärft. „Die Arbeitgeber müssen gezwungen Kirsten Fischer (Name geändert). In Das oft gehörte Argument, die werden, sonst ändert sich nichts.“ einem zweiten Verfahren machte das benötigten Fachkräfte seien auf dem Ellen Ost, Fachkrankenschwester Gericht später deutlich, dass Über Arbeitsmarkt nicht vorhanden, sei nicht für Nephrologie stunden vom Betriebsrat genehmigt tragbar, macht Auffenberg deutlich. werden müssen. „Weil sich der Arbeit- „Umgekehrt wird ein Schuh daraus: geber das Einspringen aus dem Frei Nur wenn endlich für gute Arbeitsbe- und die Überstunden nicht von uns ge dingungen gesorgt wird, bleiben nicht nehmigen ließ, musste er Strafen zah- nur Pflegekräfte in ihrem Beruf und len. Der gesamte Klinikbetrieb konnte weiten ihre Stundenzahl aus, sondern sich aber nur aufrecht halten, weil kehren auch ausgestiegene Kräfte wie- Überstunden mit eingeplant wurden – der zurück.“ Die wichtigsten Bedingun- darum hatte die Leitung damit ein ech- gen für einen Wiedereinstieg seien aller- tes Problem.“ Der große Zusammenhalt dings andere Strukturen, mehr Personal und der lange Atem von Pflegekräften und nicht zuletzt auch eine angemes- und Betriebsrat führten letztlich dazu, sene Bezahlung. Die 2019 eingeführten dass zusätzliche Leiharbeitskräfte ein- und aktuell in insgesamt acht sogenann- gestellt und bei Personalengpässen ten pflegesensitiven Bereichen (unter Betten geschlossen wurden. Jede Pflege- anderem Intensivmedizin, Kardiologie kraft auf der Intensivstation kümmerte und Unfallchirurgie) geltenden Pflege- sich daraufhin tatsächlich um drei personaluntergrenzen seien nicht geeig- Patienten, seit Anfang 2019 (wie laut net, gute Arbeitsbedingungen und eine PpUGV vorgesehen) in der Tagschicht am Bedarf orientierte Versorgung zu „Die echten Expertinnen und Experten um 2,5 Patienten. Die Arbeitsbedingun- sichern. Hier sei der Gesetzgeber gefor- sitzen eben nicht in der Politik, sondern gen haben sich für das gesamte Team dert, meint die Referentin und verweist auf den S tationen.“ verbessert. Auch Betriebsrätin Fischer auf eine jüngst von der Gewerkschaft Max Manzey, Kampagnenleiter beim freut sich über dieses Ergebnis: „Ich bin Verdi, der Deutschen Krankenhausge- Dienstleister Organizi.ng stolz auf dieses Team, weil es so solida- sellschaft und dem Deutschen Pflegerat risch zusammengearbeitet hat.“ entwickelte Alternative mit dem Titel „Pflegepersonalregelung 2.0“. Auffen- Patienten und/oder Personal kom- Für bessere Bedingungen sorgen berg: „Solange es keine wirksamen men wird – weil zum Beispiel unge- Angesichts des herrschenden Personal gesetzlichen Regelungen gibt, kann es plant Kollegen ausgefallen sind, Stel- notstands und der in den vergange- nur sinnvoll sein, dass sich die Kolle- len in der Abteilung nicht besetzt nen Jahren immer schlechter geworde- ginnen und Kollegen zusammenschlie- wurden oder ein erhöhter Arbeitsan- nen Arbeitsbedingungen in der Pflege, ßen und für bessere Arbeitsbedingun- fall zu erwarten war. „Damit nicht Ein- sollten Erfolgsgeschichten wie diese gen einsetzen.“ Beispiele aus anderen zelne von uns Ärger bekamen, haben Mut machen, meint Jennie Auffenberg, Städten hätten gezeigt, dass die Pfle- wir alle diese Anzeigen unterschrie- Referentin für Gesundheits- und Pflege gekräfte bei ihren Aktionen selbst- ben“, berichtet Hansen. Der PDL wurde politik bei der Arbeitnehmerkammer: verständlich nie das Wohl der Patien- schriftlich mitgeteilt, dass das Team „Inzwischen ist es ja quasi Notwehr, ten aus dem Auge verlören. Vielmehr „nur noch“ Dienst nach Plan machen sich zu organisieren und für Entlastung falle es ihnen häufig eher schwer, sich werde, wenn sich an den schlechten zu kämpfen.“ Gerade in Bremen seien für ihre eigenen Interessen einzuset- Arbeitsbedingungen nichts ändere. In Beschäftigte in der Krankenhauspflege zen: „Letztendlich können die Pflege- einem „Teamversprechen“ sicherten besonders stark belastet: Während bun- kräfte aber auch nur gut pflegen, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen zu, desweit seit 2007 das Pflegepersonal sie genügend Zeit dazu haben.“ Durch — 8
BAM — Mai / Juni 2020 das Abschließen von Notdienstverein- verleihen. „Das macht dann auch etwas Eine konstruktive Option sei es, sich barungen, wie es in den Tarifauseinan- mit einem“, erzählte Ost. „Wenn man zusammenzuschließen und gemeinsam dersetzungen heute üblich ist, sei die sieht, dass eine andere Station schon zu für Tarifverträge zu kämpfen, wie dies Versorgung der Patienten jedoch zu hundert Prozent organisiert ist, dann auch in Jena geschehen sei. „Es ist keinem Zeitpunkt und auch im Streik spornt das an.“ Der Zusammenhalt der beeindruckend zu sehen, was möglich nicht gefährdet.“ Belegschaft sei durch diese Zeit erkenn- ist, wenn alle zusammenhalten“, macht bar gewachsen. An die Bremer Pflege- er deutlich und nennt als Beispiele die Mitsprache ist zentral kräfte appellierte sie: „Macht euch auch dort demonstrierte Streikbereitschaft Dass bundesweit inzwischen immer auf den Weg. Die Arbeitgeber müssen sowie den öffentlichen Druck, der auch mehr Pflegekräfte gemeinsam für eine gezwungen werden, sonst ändert sich mithilfe der ebenfalls ins Boot geholten Verbesserung ihres Arbeitsumfelds ein- nichts.“ Medien erzeugt worden sei. Aus seiner treten, wird unter anderem daran deut- Sicht ist die Mitsprache in solchen lich, dass Verdi in den vergangenen Bewegungen zentral: „Denn die echten Jahren durch die große Unterstützung Expertinnen und Experten sitzen eben der Belegschaften schon an 17 Klini- „Solange es keine wirksamen nicht in der Politik, sondern auf den Sta- ken Vereinbarungen zur Entlastung tionen – und sie wissen ganz genau, wie gesetzlichen R egelungen gibt, schließen konnte. So auch am Univer- viel Pflegepersonal dort für eine gute sitätsklinikum Jena, wo vergangenen kann es nur sinnvoll sein, Patientenversorgung gebraucht wird.“ Herbst ein „Tarifvertrag Entlastung“ dass sich die K olleginnen und mit Pflege-Patienten-Ratio vereinbart Mitsprache, eine starke Gewerkschaft wurde – das heißt, dass nun für jede Kollegen zusammenschließen und ein gut aufgestellter Betriebsrat Station festgelegt ist, wie viele Patien- sind wichtige Faktoren, wenn Pflege- und für bessere Arbeitsbe- ten eine Pflegekraft maximal betreuen kräfte ihre Arbeitsbedingungen ver darf. Wer künftig sechsmal in Unter- dingungen einsetzen.“ bessern wollen: Das hat auch das ein- besetzung arbeitet oder freiwillig gangs erwähnte Beispiel der Hamburger Jennie Auffenberg, Referentin für außerhalb des Dienstplans einspringt, Intensivstation gezeigt. „Der Betriebs- Gesundheits- und Pflegepolitik bekommt einen zusätzlichen Tag frei. rat kann aber nur so stark sein wie die bei der Arbeitnehmerkammer Ellen Ost, Fachkrankenschwester für Kolleginnen und Kollegen, die dahin- Nephrologie, berichtete im März bei terstehen“, macht Betriebsrätin Kirsten einer von der Arbeitnehmerkammer Fischer deutlich. Auch Intensivpflegerin und Verdi organisierten Pflegekon- Andrea Hansen berichtet, dass die Soli- ferenz mit dem Titel „So wollen wir Max Manzey ist Kampagnenleiter beim darität innerhalb des Teams im Verlauf arbeiten!“ per Videoschaltung, wie es Dienstleister Organizi.ng, der für der Auseinandersetzung mit der Klinik- zu der Vereinbarung kam: Jede Sta- Verdi gewerkschaftspolitische Kampa- leitung immer stärker geworden sei. tion habe im Team individuelle Pflege gnen konzipiert und in den Betrieben Einen großen Ruck habe es gegeben, als schlüssel für jede Schicht festgelegt. umsetzt. Er hat festgestellt, dass die die Unterschriftenliste für das Team In der „heißen Phase“ hätten sich die Geduld der meisten Pflegekräfte inzwi- versprechen angefertigt worden sei: Delegierten der Teams wöchentlich schen zu Ende ist. „Sie sind nicht mehr Nachdem die ersten Mutigen unter- getroffen. Gemeinsam habe man sich bereit, unter den derzeitigen Bedin- schrieben hätten, seien die anderen darum bemüht, möglichst viele Kol- gungen weiterzuarbeiten“, betont Kolleginnen und Kollegen gefolgt. „Am leginnen und Kollegen vom Eintritt Manzey. „Und sie halten es auch tat- Anfang war uns nicht klar, wie sehr wir in die Gewerkschaft zu überzeugen, sächlich nicht mehr aus. Die Option, zusammenwachsen können“, sagt sie. um dem Anliegen mehr Gewicht zu nichts zu tun, gibt es darum nicht.“ „Und dann haben wir festgestellt: Wenn wir an einem Strang ziehen, sind wir nicht machtlos.“ Infos zu unserer Beratung für Betriebsräte finden Sie hier: www.arbeitnehmerkammer.de/ mitbestimmung Infos und Tipps zu Themen wie Arbeits- zeit, Dienstplan, Überstunden, Ruf bereitschaft und Haftung haben wir in unserem Portal für Pflegebeschäftigte zusammengestellt. www.arbeitnehmerkammer.de/pflege — 9
BAM — Mai / Juni 2020 Arbeit & Gesundheit Allergie am Arbeitsplatz: früh handeln Text: Anne-Katrin Wehrmann W enn die Pollen fliegen, ist Heuschnupfen- Häufig von Allergien betroffen ist auch die Haut, wobei zeit: Das wissen auch in Bremen Tausende beruflich bedingte Hauterkrankungen zumeist als Ekzeme an Betroffene aus leidvoller Erfahrung. Doch den Händen auftreten. Klassische Auslöser sind hautreizende nicht nur in der Natur gibt es Stoffe, die dem Stoffe wie Desinfektions- oder Reinigungsmittel sowie – vor Immunsystem vieler Menschen zu schaffen machen und zu allem in der Metallindustrie – Kühlschmierstoffe. Auch hier individuellen Überreaktionen führen: Auch am Arbeitsplatz gilt es, möglichst selten mit diesen Substanzen in Berührung tauchen zahlreiche potenziell allergieauslösende Stoffe auf, zu kommen und bei Bedarf den Einsatz von Ersatzstoffen die schlimmstenfalls dafür sorgen können, dass eine weitere zu überprüfen. Darüber hinaus erhöht der ständige Kontakt Ausübung des Berufs unmöglich wird. mit Wasser das Risiko für Hautekzeme. In allergiegefähr- deten Berufen ist es Aufgabe des Arbeitgebers, einen Haut- Ob Mehlstaub beim Bäcker, Haarfärbemittel beim Friseur schutzplan zu erstellen. Darin wird unter anderem erklärt, oder Desinfektionsmittel in der Pflege – ist ein Organismus mit welchen Maßnahmen die Hände zu schützen, zu reinigen erst einmal auf ein bestimmtes Allergen sensibilisiert, hat und zu pflegen sind – Tipps zu Handschuhen, Seifen, Salben also eine Abwehr gegen diesen Stoff entwickelt, kann es bei und Cremes inklusive. jedem weiteren Kontakt zu Krankheitserscheinungen kom- men. Wird eine Allergie frühzeitig erkannt und behandelt bezie- Bei Atemwegsallergien reagiert das Immunsystem hungsweise können die schädigenden Belastungen am häufig innerhalb von wenigen Minuten durch Asthmaanfälle, Arbeitsplatz reduziert werden, erhöht das die Wahr- Fließschnupfen oder Nesselsucht. Wo möglich, sollten Be scheinlichkeit, den Job erhalten und den Eintritt einer troffene daher den Kontakt mit allergenen Substanzen ver- Berufskrankheit verhindern zu können. Je nach Beruf kom- hindern oder zumindest vermindern – gegebenenfalls durch men hierfür verschiedene technische, organisatorische und die Verwendung anderer Stoffe, die weniger gesundheits- persönliche Schutzmaßnahmen infrage. Folgende Anzei- schädlich sind. Alternativ können auch technische Schutz- chen weisen darauf hin, dass eine Allergie tatsächlich auf die maßnahmen wie zum Beispiel Absauganlagen zum Einsatz Arbeit zurückzuführen ist: kommen. Die Symptome verschwinden nach Feierabend, am Wochenende und im Urlaub. Behandlungen sind nur kurzfristig erfolgreich. Die Symptome treten dort auf, wo der Körper bei der Arbeit mit Allergenen in Kontakt kommt. Betriebs- und Hautärzte können dabei unterstützen, ein Allergie-Tagebuch zu führen und so den Auslöser der Aller- gie ausfindig zu machen. Je schneller dies gelingt, umso eher lässt sich ein chronischer Verlauf (zum Beispiel Asthma oder Neurodermitis) verhindern. — 10
Fragen & Antworten BAM — Mai / Juni 2020 Arbeit ohne Ende? — Was Beschäftigte zu Überstunden wissen sollten Foto: iStock Text: Hanna Mollenhauer In der Gastronomiebranche werden viele Überstunden gemacht Text: Gregor Schweigart 3. Wie viele Überstunden darf der Arbeitgeber verlangen? 7. In meinem Arbeitsvertrag steht “Überstunden sind mit Beschäftigte dürfen von Montag bis dem Gehalt abgegolten”. Samstag je acht Stunden arbeiten – also Solche Klauseln sind in der Regel maximal 48 Stunden pro Woche. Die rechtswidrig. Nach Auffassung des 1. Darf mein Arbeitgeber Überstunden anordnen? tägliche Arbeitszeit kann vorüberge- Bundesarbeitsgericht ist eine pauschale Grundsätzlich gilt: Sie müssen nur so hend auf zehn Stunden verlängert wer- Abgeltung von Überstunden mit dem viel arbeiten wie Sie vereinbart haben. den. Allerdings müssen diese zusätz- vereinbarten Gehalt zu ungenau und Der Arbeitgeber kann allerdings Über- lichen Stunden innerhalb von sechs deswegen ungültig. Der Arbeitnehmer stunden verlangen, wenn es im Arbeits- Monaten durch Freizeit ausgeglichen muss bei Vertragsabschluss erkennen oder Tarifvertrag oder in einer Betriebs- werden. können, was auf ihn zukommt und wel- vereinbarung geregelt ist. Ansonsten che Leistung er für die vereinbarte Ver- kann er nur bei nicht vorhersehbaren gütung erbringen muss. Sogenannte Notfällen und Katastrophen Überstun- 4. Muss der Arbeitgeber die Arbeitszeit erfassen? Abgeltungsklauseln sind nur wirksam, den anordnen – nicht bei Personalman- Grundsätzlich ist der Arbeitgeber ver- wenn aus ihnen hervorgeht, bis zu wel- gel oder rein wirtschaftlichen Notsitu- pflichtet, jede Arbeitsstunde seiner cher Anzahl oder welchem Anteil Über- ationen. In Betrieben mit Betriebsrat Beschäftigten zu dokumentieren, also stunden mit dem Gehalt abgegolten muss dieser der Anordnung von Über- auch die Überstunden. Der Arbeitgeber sind. Solche Abreden müssen sich aber stunden zustimmen. Eine stillschwei- kann jedoch die Arbeitszeiterfassung an im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes gende Anordnung von Überstunden seine Mitarbeiter delegieren. bewegen und dürfen nicht dazu führen, liegt vor, wenn der Arbeitgeber Arbeit dass der Gesamtlohn dadurch sitten- in einem Umfang zuweist, die in der widrig wird. So darf etwa bei Teilzeit- normalen Arbeitszeit nicht zu schaffen 5. Müssen Überstunden bezahlt werden? kräften nicht durch die „Hintertür“ ein ist. Ja. Voraussetzung ist, dass Ihr Arbeit- Vollzeitvertrag entstehen. Eine unwirk- geber die Überstunden angeordnet, same Klausel hätte zur Folge, dass der gebilligt oder geduldet hat. Arbeitgeber die Überstunden bezahlen 2. Was heißt es, dass der Arbeitgeber Überstunden muss, wenn er sie angeordnet, geduldet oder gebilligt hat. billigt oder duldet? Billigen heißt, dass der Arbeitgeber 6. Kann ich meine Überstunden auch in Freizeit abbummeln? nachträglich mit den Überstunden ein- Nur, wenn es im Arbeitsvertrag steht verstanden ist. Eine Duldung liegt vor, oder der oder die Beschäftigte sich wenn Arbeitgeber wissen, dass Über- damit einverstanden erklärt. Kammermitglieder können sich zu stunden anfallen und nicht dagegen dieser und anderen Fragen des Arbeits- einschreiten. rechts kostenlos beraten lassen. Weitere Infos auf der Rückseite dieses Magazins. — 11
BAM — Mai September / Juni 2020 / Oktober 2016 Mehr Anerkennung für wichtige Berufe Auf bestimmte Berufe ist die Gesellschaft mehr angewiesen als auf andere: Das hat die aktuelle Corona-Krise eindringlich belegt. Kann die öffentliche Aufmerksamkeit dazu führen, dass diese systemrelevanten Berufsgruppen nun eine Aufwertung erfahren? Text: Anne-Katrin Wehrmann Ü berstunden, spontanes Aushelfen außerhalb des Dienstplans, zu wenig Zeit für zu viele Patienten: Pflegekräfte in Krankenhäusern arbeiten ohne- hin schon am Limit und müssen häufig über ihre Kräfte gehen, um den Arbeitsalltag zu bewältigen (siehe auch Artikel auf den Seiten 6 bis 9 dieser Ausgabe). In der Coro- na-Krise hat sich der Druck noch einmal deutlich erhöht. Dabei sind die Pflegerinnen und Pfleger nur eine von ver- schiedenen Berufsgruppen, die im derzeitigen Ausnahmezu- stand im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Ob es Foto: Jonas Ginter die Kassiererin im Supermarkt ist, der Lagerarbeiter oder die Reinigungskraft: In der Krise wird deutlich, dass die Gesell- schaft auf bestimmte Arbeiten mehr angewiesen ist als auf andere. Aber erhalten die Menschen, die in diesen systemre- levanten Berufen tätig sind, tatsächlich die ihnen zustehende Anerkennung? den 21 in der DIW-Studie aufgeführten Berufsgruppen noch Überwiegend nicht. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle zwei weitere benannt: die Bereiche Redaktion und Journa- Publikation des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung lismus sowie Genuss- und Lebensmittelherstellung. „Nach (DIW) mit dem Titel „Systemrelevant und dennoch kaum dieser Definition arbeitet im Land Bremen ein Drittel der anerkannt: Das Lohn- und Prestigeniveau unverzichtbarer insgesamt gut 334.000 sozialversicherungspflichtig Beschäf- Berufe in Zeiten von Corona“. Die große Mehrheit der als tigten in systemrelevanten Berufen“, berichtet Marion Salot, systemrelevant definierten Berufe weise außerhalb von Kri- Referentin für Wirtschaftspolitik und Gleichstellung bei der senzeiten ein geringes gesellschaftliches Ansehen sowie eine Arbeitnehmerkammer. Während im Bundesdurchschnitt zu vergleichsweise schlechte Bezahlung auf, schreiben die Auto- knapp 75 Prozent Frauen diese unverzichtbaren Tätigkei- rinnen. Darüber hinaus zeige sich, dass diese Berufe mehr- ten ausüben, ist in Bremen der Frauenanteil mit 54 Prozent heitlich von Frauen ausgeübt werden. Zwar gibt es durch- deutlich geringer. „Das liegt im Wesentlichen daran, dass der aus große Unterschiede: So finden sich mit Blick auf Lohn männerdominierte Logistiksektor mit seinen 25.000 Beschäf- und Berufsprestige zum Beispiel die medizinischen und die tigten im Land Bremen besonders stark vertreten ist“, erläu- IT-Berufe in der DIW-Übersicht weit über dem Durchschnitt. tert Salot. Würde man ihn herausrechnen, wären hier zu 63 Insgesamt lasse sich aber feststellen, „dass über 90 Prozent Prozent Frauen tätig. Das mittlere Bruttomonatsentgelt liegt der Beschäftigten in Berufen, die aktuell der kritischen Infra- im Logistiksektor bei gut 2.400 Euro und damit unter dem struktur zugeordnet werden, nur einen unterdurchschnittli- Mittelwert von rund 3.300 Euro. chen Lohn bekommen“, heißt es in der Studie. Dass die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten besonders hoch Systemrelevant: ein Drittel aller Beschäftigten angesehen ist, überrascht ebenso wenig wie die Tatsache, Welche Berufe als systemrelevant gelten, also als unerlässlich dass diese Berufsgruppe auch das höchste Einkommen unter für das Funktionieren der Gesellschaft, haben die Bundeslän- allen systemrelevanten Berufen erzielt: In Bremen beträgt der jeweils einzeln festgelegt, um so den Anspruch auf eine der monatliche Mittelwert knapp 6.400 Euro. Ganz am unte- Kindernotbetreuung zu regeln. In Bremen sind zusätzlich zu ren Ende der Verdienstskala findet sich der Verkauf von — 12
Systemrelevante Berufe BAM — Mai / Juni 2020 Foto: Kay Michalak Foto: Jonas Ginter Lebensmitteln wieder, wo Beschäftigte im Schnitt weniger dass in Bremen 96 Prozent der Beschäftigten in Kranken- als 1.900 Euro verdienen und der Frauenanteil bei 76 Pro- häusern der Meinung sind, dass sie einen wichtigen gesell- zent liegt. „Nicht nur das Gehalt ist in dieser Berufsgruppe schaftlichen Beitrag leisten – dass aber ein Drittel von ihnen sehr gering, sondern auch das gesellschaftliche Ansehen“, mit dem Lohn unzufrieden ist und sogar 38 Prozent finden, sagt Marion Salot. „Dabei sind das die Menschen, die in der dass ihnen die Gesellschaft zu wenig Anerkennung und Ach- jetzigen Situation mit am meisten gefordert und durch den tung für ihre Arbeit entgegenbringt. „Lange wurde an der täglichen Kundenkontakt auch am meisten gefährdet sind.“ Pflege gespart, wir erfahren jetzt, was passiert, wenn man Die Referentin hofft, dass die derzeitige öffentliche Aufmerk- das Gesundheitswesen marktförmig organisiert“, meint Hey- samkeit genutzt werden kann, um die in den vergangenen duck. „Die Politik muss noch einmal ernsthaft überlegen, ob Jahren stetig gesunkene Tarifbindung im Einzelhandel wie- sie das wirklich so will.“ der zu erhöhen. Und nicht nur dort sieht sie Handlungsbe- darf: „Alle Beschäftigten, die in diesen Wochen und Monaten Akut brauche es in der Corona-Krise Aufschläge für die besonders belastet sind und dabei unterdurchschnittlich ver- unterbezahlten Beschäftigten in unverzichtbaren Berufen dienen, müssen ihren Einsatz nach Ende der Krise auf ihrem wie Pflege, Lebensmittelverkauf und Logistik, meint die Gehaltszettel wiederfinden.“ Geschäftsführerin. „Für die Altenpflege wurde das nun kurz- fristig tariflich verabredet. In den anderen Bereichen kön- Weg vom Lohn- und Preisdumping nen und sollten Arbeitgeber das auf freiwilliger Basis tun.“ Auf dem Balkon für die Heldinnen und Helden des Alltags zu Perspektivisch erhofft auch sie sich aus der aktuellen Situ- klatschen, ist eine schöne Geste, reicht aber nicht aus: Davon ation einen Schub für neue Tarifverhandlungen. Heyduck: ist auch Arbeitnehmerkammer-Geschäftsführerin Elke Hey- „Wir brauchen zum Beispiel im Einzelhandel eine Verän- duck überzeugt. „Wir müssen jetzt dringend über die Bezah- derung der Kultur, weg vom Lohn- und Preisdumping, hin lung dieser Berufe diskutieren, wie auch über die Arbeitsbe- zu fairer Bezahlung. Wir brauchen daher gerade in diesem dingungen insgesamt und über das Thema Wertschätzung“, Bereich einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag, damit betont sie und nennt beispielhaft die jüngste Beschäftigten- die Beschäftigten nicht am Ende der Nahrungskette stehen.“ befragung der Kammer. Die hatte unter anderem ergeben, So viel verdienen Bremer Beschäftigte in systemrelevanten Berufen (mittlerer Bruttomonatsverdienst Vollzeitbeschäftigter, 2018) Human- und Zahnmedizin 6.385 € IT-Netzwerktechnik, IT-Administration 4.787 € Medizinisches Laboratorium 3.618 € Gesundheits- und Krankenpflege 3.545 € Fahrzeugführung im Eisenbahnverkehr 3.506 € alle Berufe 3.474 € Ver- und Entsorgung 3.315 € Altenpflege 2.629 € Genuss- und Lebensmittelherstellung 2.518 € Lagerwirtschaft, Post, Zustellung, Güterumschlag 2.460 € Fahrzeugführung im Straßenverkehr 2.430 € Arzt- und Praxishilfe 2.275 € Reinigungsberufe 2.128 € Verkauf von Lebensmitteln 1.968 € Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit © Arbeitnehmerkammer Bremen — 13
BAM — Mai / Juni 2020 Foto: iStock / nimis69 „Ein Konflikt eskaliert, wenn er unbehandelt bleibt“ Auseinandersetzungen mit Kolleginnen und Kollegen können den Spaß an der Arbeit verderben. Warum es wichtig ist, miteinander im Gespräch zu bleiben, erläutert die Bremer Mediatorin Alexandra Giese Kommunikation verändert, wo Men- Nicht jeder Konflikt ist ja per se Interview: Anne-Katrin Wehrmann schen nicht mehr direkt miteinander negativ: Was unterscheidet eine sprechen, sondern zum Beispiel auf konstruktive von einer destrukti- BAM: Frau Giese, wann ist inner- E-Mails ausweichen, sollte man genauer ven Auseinandersetzung? halb eines Unternehmens der hinschauen. Und natürlich dann, wenn Eine konstruktive Auseinander- Punkt erreicht, an dem eine Medi- Beteiligte zunehmend leiden, wenn setzung ist immer lösungsorientiert. Es ation sinnvoll oder sogar erforder- einfach deutlich wird: Da ist eine Be geht darum zu schauen, was jeder Ein- lich wird? lastung, die geklärt werden muss. Eines zelne im Team braucht, um sich besser Alexandra Giese: Der ist dann ist ganz wichtig: Ein Konflikt wird wei- zu fühlen – und nicht zu sagen, was erreicht, wenn sich die Energie sehr ter eskalieren, wenn er unbehandelt fehlt oder was jemand nicht tut. Kon- auf einen bestimmten Konflikt konzen- bleibt. Die meisten haben Angst, so ein struktiv heißt aufzeigen, was einen triert. Spätestens dann, wenn auch das Thema anzupacken, weil sie befürch- besseren Zustand darstellt. Umfeld diesen Konflikt wahrnimmt, ten, dass dadurch die Beziehung zu den muss etwas passieren. Grundsätzlich Kollegen gestört wird. Aber genau das Was können Kolleginnen und lässt sich sagen: Überall da, wo sich passiert, wenn sie nichts unternehmen. Kollegen tun, wenn sie für eine — 14
Arbeitswelt BAM — Mai / Juni 2020 bestehende Auseinandersetzung können. Das Ergebnis der Verhand- Welche Folgen hat es für das zunächst eine innerbetriebliche lungen zurren wir dann in der letzten Betriebsklima und für die Betroffe Lösung anstreben? Phase fest. Manche brauchen konkrete nen, wenn Auseinandersetzungen Ich würde immer zuerst das Vereinbarungen, vielleicht auch schrift- ungelöst bleiben? Gespräch mit der betroffenen Person lich, andere einfach eine Umarmung, Das führt früher oder später zu suchen. Viele trauen sich das nicht die ewig nicht stattgefunden hat. Das Resignation und Demotivation. Auf und gehen direkt zum Chef – was aber entscheiden die Beteiligten selbst. Dauer halten das viele nicht aus und bei der oder dem anderen natürlich suchen sich eine neue Arbeitsstelle. nicht gut ankommt und eher noch Öl Was sind klassische Konflikte, Grüppchen gibt es immer und kleinere ins Feuer gießt. Mediation ist nur ein die bei der Arbeit immer wieder Bereich von Konfliktmanagement in auftauchen? Unternehmen. Wichtiger wäre es, die Die Kommunikation spielt da Basis für eine offene Kommunikations- eine ganz große Rolle. In unserer kultur zu schaffen und für ein Umfeld schnelllebigen Zeit ist wenig Zeit für „Ein von oben zu sorgen, in dem Konflikte frühzeitig Austausch und häufig fängt es so an, vorgegebener angesprochen werden können. Eine dass jemand aus dem Team gestresst externe Person ist immer dann hilf- und kurz angebunden ist. Das weiß sein Kompromiss bringt reich, wenn Neutralität und eine gleich- Kollege oder seine Kollegin nicht einzu- da nicht viel.“ mäßige Unterstützung gewährleistet ordnen und nimmt es vielleicht persön- werden sollen. lich, spricht es aber nicht an. Wenn das mehrmals passiert, nimmt der Konflikt Wie lassen sich kritische Mitarbei seinen Verlauf, bis man sich schlimms- Konflikte sind auch normal. Aber wenn ter überzeugen, an einer Mediation tenfalls irgendwann aus dem Weg geht. nicht mehr miteinander, sondern nur teilzunehmen? Wir nehmen etwas wahr und bewer- noch übereinander gesprochen wird, Indem man sie ins Boot holt, ten es – aber diese Bewertung hat oft ist das sowohl für die Betroffenen als ihnen die eigene Motivation benennt nichts mit dem zu tun, was die andere auch für das Unternehmen schlecht. Ich und ihnen die positive Absicht dar- Person eigentlich meint. Ähnliche Miss- habe allerdings den Eindruck, dass das legt, etwas klären zu wollen. Ich habe verständnisse kann es geben, wenn ein Bewusstsein dafür in den vergangenen es schon erlebt, dass allein dieses neuer Mitarbeiter eingearbeitet werden Jahren gewachsen ist und dass immer Gespräch unter den Betroffenen schon soll und sein Kollege dafür gar keine mehr Führungskräfte auf ein funktio- so viel gebracht hat, dass sie die Dinge Zeit hat. Wenn darüber nicht gespro- nierendes Konfliktmanagement-System anschließend ohne externe Hilfe regeln chen wird, traut sich der Neue irgend- Wert legen. konnten. Die Mediation ist immer frei- wann nicht mehr, Fragen zu stellen und willig, auch im beruflichen Kontext: Darum ist es wichtig transparent zu Alexandra machen, was auf sie zukommt. Giese ist Juristin und Und was kommt auf sie zu? „Eine konstruktive begleitet als Ein strukturiertes Verfahren, Mediatorin Auseinandersetzung Foto: privat in dem wir gemeinsam verschiedene Teams und Phasen durchlaufen. In der Eingangs- ist immer Einzelpersonen phase setzen wir den Rahmen für in Unternehmen unsere Zusammenarbeit. Dann kommt lösungsorientiert.“ und Organisa die Bestandsaufnahme, in der wir die tionen. Außerdem ist sie Dozentin Themen sammeln und zu Paketen des Weiterbildungskurses Mediation schnüren, sofern es mehrere gibt. Die an der Universität Bremen. dritte Phase ist die Hauptphase: Da ist total überfordert. Ein „Klassiker“ ist stellt jeder Einzelne dar, was ihm im das Thema Arbeitseinsatz: Während Hinblick auf das konkrete Thema wich- manche Dienst nach Vorschrift machen, tig ist und warum. Es geht darum, Ver- hängen sich andere intensiv rein und ständnis für die Sicht der anderen her- fühlen sich dafür verantwortlich, dass zustellen. Manchmal muss ich dafür die Arbeit geschafft wird. Wenn es in viel intervenieren, manchmal reicht es der Mediation gelingt, die eigene Per- schon, das Zuhören zu fördern. Wenn spektive zu erweitern und gemeinsam dieser Perspektivwechsel einmal statt- eine Lösung zu entwickeln, sind das gefunden hat, fangen die Beteiligten magische Momente. Ein von oben vor- in der nächsten Phase an, gemeinsame gegebener Kompromiss bringt da nicht Lösungen zu entwickeln beziehungs- viel. Wirklich nachhaltig und tragfähig weise zu überlegen, wie ihre unter- für die Zukunft ist nur das, was von den schiedlichen Interessen und Bedürf- Beteiligten selbst kommt. nisse auch in Zukunft gesehen werden — 15
BAM — Mai / Juni 2020 Galerie der Arbeitswelt Sandra Kranz ist für die Wartung und Einrichtung von mehr als 330 elektronischen Anzeigentafeln im Streckennetz verantwortlich. — 16
BAM — Mai / Juni 2020 GALERIE DER ARBEITSWELT Informationen am leuchtenden Band Sandra Kranz arbeitet als Kommunikationselektronikerin bei der Bremer Straßenbahn AG. Sie sorgt dafür, dass die Fahrgäste an den Haltestellen über die aktuelle Lage, Fahrzeiten und Störungen informiert werden können Text: Melanie Öhlenbach – Foto: Tristan Vankann S oftwarefehler oder defekte Hardware, eine Über- Weiterbildungen und jede Menge praktische Erfahrung ange- spannung im Netz oder Ratten, die an Kabeln eignet. nagen: Wenn eine Anzeigentafel der Bremer Stra- Doch nicht nur die Wartung, auch die Einrichtung ßenbahn AG (BSAG) schwarz bleibt, ist Sandra der Anzeigentafeln gehört zu ihrem Aufgabenbereich. Bis der Kranz zur Stelle. Ausgerüstet mit Laptop, Werkzeugtasche, schwarze Kasten an der Haltestelle aufleuchtet, hat Sandra Leiter, Smartphone und Funkgerät macht sie sich auf die Kranz einiges zu tun: Das Gerät auspacken, Halter montie- Suche nach dem Fehler. ren, Software und Datenversorgung einspielen. Für ein Gerät Sandra Kranz hatte schon als Kind ein Faible für Tech- braucht sie etwa einen halben Tag, danach muss das fertige nik. „Mein Onkel hat gern an Autos geschraubt, da hab ich Gerät noch vor Ort montiert und angeschlossen werden. einiges mitgekriegt und wollte unbedingt was mit Tech- So gern sie auch schraubt und tüftelt: Die 43-Jährige nik machen“, sagt die heute 43-Jährige. Doch das war als fuchst es gewaltig, wenn eine Anzeige ausfällt – sei es durch Frau Anfang der 1990er-Jahre gar nicht so einfach. Ihren technische Probleme oder Vandalismus: „Wenn eine Anzeige eigentlichen Berufswunsch Tischlerin musste Sandra Kranz mit Graffiti beschmiert oder Steinen eingeschlagen wurde, aufgeben: „In den kleinen Betrieben gab es keine sanitären ärgert mich das massiv. So eine Scheibe kostet mehrere Hun- Anlagen für uns Mädels.“ Also entschloss sie sich, Kfz-Elek- dert Euro.“ trikerin zu werden. Auch bei der BSAG sorgte sie damit für Ihren Job würde Sandra Kranz nicht eintauschen wol- ein Novum: „Ich war die erste Frau in diesem Bereich.“ len. Wenn die orangefarbenen Buchstaben die nächste Stra- In ihrer dreieinhalbjährigen Ausbildungszeit lernte ßenbahn oder den nächsten Bus ankündigen, weiß die Kom- sie das Handwerk kennen: Batterien einbauen, Beleuch- munikationselektronikerin, dass ihr viele Fahrgäste dankbar tung, Anlasser, Lichtmaschine und Klimaanlagen reparieren, dafür sind: Ohne ihren Job gäbe es keine Informationen am Bustüren einstellen und die Straßenbahn mit Strom versor- leuchtenden Band. gen. Nach der Ausbildung wechselte sie in die Funkwerk- statt und kümmerte sich dort unter anderem um Bordrech- ner, Fahrkartenentwerter und Funkgeräte. Noch nicht alles war zu dieser Zeit elektronisch: „Um die Anzeigen an Bussen und Straßenbahnen zu verändern, musste teilweise noch von Hand gekurbelt werden.“ Beruf im Wandel Im Jahr 1999 wechselte Sandra Kranz schließlich in ihre heutige Abteilung, zunächst noch als Elternzeitver- Gerade mal 16 Jahre lang konnte man eine Ausbildung zum tretung. Gemeinsam mit einem Kollegen ist sie heute unter Kommunikationselektroniker absolvieren. Im Jahr 2003 anderem für mehr als 330 elektronische Anzeigentafeln und wurde sie durch die Berufe Elektroniker für Geräte und mehr als 500 Signalanlagen im Streckennetz verantwortlich. Systeme beziehungsweise Systeminformatiker abgelöst. Das Wissen hat sie sich durch zahlreiche fachspezifische — 17
BAM — Mai / Juni 2020 S usanne Duwe führt gemeinsam mit ihrem Mann ein kleines Unternehmen zur Porzellanveredelung in Bremen-Nord. Das Ehepaar beschäftigt neun Ange- stellte und seit dem Sommer auch einen Auszubil- denden im Bereich Lagerlogistik. Der 25-jährige Ehsannulah Amiri kam vor einigen Jahren aus Afghanistan nach Deutsch- land und bewarb sich 2018 bei den Duwes – zunächst für eine Einstiegsqualifizierung. „Er verfügt über erweiterte Deutsch- kenntnisse, sodass wir uns gut unterhalten können. Aber der Arbeitsalltag bringt sprachliche Stolpersteine mit sich, zum Beispiel, wenn es um das Lesen von Lieferscheinen oder fach- bezogenem Schriftverkehr geht“, sagt Susanne Duwe. Um die Verständigung zwischen Beschäftigten mit geringen Deutschkenntnissen und ihren Kollegen und Vor- gesetzten zu verbessern, bietet etwa die „RKW-Servicestelle Deutsch am Arbeitsplatz“ Arbeitgebern im Land Bremen Unterstützung an. Susanne Duwe holte sich hier Hilfe. Die Maßnahmen sollen nicht erst auf lange Sicht, sondern möglichst unmittelbar greifen. Wie kann das funktionieren? „Durch einen Perspektivwechsel“, sagt Elvira Tinis, Sprachtrainerin beim RKW. Gemeint ist, dass Arbeitgeber und deutschsprachige Beschäftigte lernen, sich einfach und leicht verständlich auszudrücken. Elvira Tinis (Sprachtrainerin beim RKW), Ein Werkzeugkasten für die Sprache Ehsannulah Amiri (Auszubildender bei CUP+MUG) Die Sprachtrainierin Elvira Tinis erklärt: „Wir bieten Unter- und Susanne Duwe (CUP+MUG) nehmen einen Werkzeugkasten an, mit dem sich einfache Kommunikationstechniken einüben lassen.“ Einfache und leicht verständliche Sprache Deutsch am Füllwörter weglassen; möglichst kurze Sätze bilden; im Aktiv statt im Passiv formulieren; Arbeitsplatz sinngleiche Wörter für Begriffe finden, die nicht verstanden werden; Verben benutzen — von und schwierige Adjektive weglassen; Bilder und Grafiken zum Erklären verwenden. einfacher Sprache profitieren alle Susanne Duwe helfen die neuen Techniken dabei, ihren Aus- zubildenden zu unterstützen. Es fällt ihr nun leichter, ihm zum Beispiel Arbeitsabläufe oder auch berufsspezifische Begrifflichkeiten zu erklären. Darüber freut sie sich täglich: „Ich habe ein ganz anderes Bewusstsein für die deutsche Immer mehr Beschäftigte aus ver Sprache entwickelt und inzwischen sogar Spaß daran, zum Beispiel nach Synonymen zu suchen.“ schiedensten Herkunftsländern arbeiten Zum Übungsmaterial, das Elvira Tinis für Susanne in Deutschland – auch in Bremen. Geringe Duwe und ihre Mitarbeiter mitgebracht hat, gehört auch ein sogenanntes „Logistik-Tabu“, mit dem spielerisch sinngleiche Sprachkenntnisse erschweren jedoch oft Wörter für fachsprachliche Begriffe gesucht werden müssen. die Kommunikation am Arbeitsplatz. Hier „Das eigene Sprachverhalten kann man nicht nur bei adminis trativen Aufgaben reflektieren, sondern auch beim Kaffeetrin- braucht es Engagement auf beiden Seiten ken oder bei Betriebsfeiern“, beschreibt Susanne Duwe die Grundvoraussetzung für eine förderliche Kommunikation: die Text: Frauke Janßen – Fotos: Jonas Ginter Bereitschaft, sich selbst den Spiegel vorzuhalten. — 18
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