Durchblick Diakonische Stiftung Wittekindshof

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Durchblick Diakonische Stiftung Wittekindshof
Oktober | 2 - 2021   Diakonische Stiftung
                     Wittekindshof

Durchblick

                       Tierisch
Durchblick Diakonische Stiftung Wittekindshof
Tierisch

Editorial

                                    Liebe Leserinnen und Leser,

                                    drei Themen beschäftigen uns im Wittekindshof nach wie vor sehr. Das Erste sind
                                    die Neuerungen, die durch das Bundesteilhabegesetz anstehen. Sie beinhalten die
                                    Chance, unsere Angebote noch besser auf die Bedarfe der einzelnen Menschen aus-
                                    zurichten, die wir unterstützen. Damit das gelingen kann, werden wir aber die Ab­
                                    läufe und auch die Strukturen des Wittekindshofes verändern müssen. Das ist eine
                                    große Aufgabe.
                                       Das zweite Thema sind die strafrechtlichen Ermittlungen gegen zahlreiche unserer
                                    Mitarbeitenden und andere betroffene Personen, auf deren Ergebnisse wir immer
                                    noch warten müssen. Wenn hier auch nur ein bestimmter Geschäftsbereich im Fokus
                                    steht, so belastet das Thema doch die ganze Stiftung sehr. Wir hoffen, dass es zu den
                                    bedrückenden Fragen bald eine Klärung durch die zuständigen Behörden gibt.
                                       Das Dritte ist die Coronapandemie. Darin haben die Mitarbeitenden in den letzten
                                    eineinhalb Jahren Enormes geleistet, um die Unterstützung der Menschen, für die
                                    wir arbeiten, gut aufrecht erhalten zu können. Man spürt zugleich, dass diese lange
                                    Zeit der Anstrengung bei ihnen tiefe Spuren hinterlassen hat.
                                       Neben diesen besonderen Herausforderungen gibt es aber noch die alltägliche
                                    ­Arbeit, die von vielen Menschen für viele Menschen zuverlässig geleistet wird.
                                     Wir haben uns deshalb bewusst entschlossen, ein Kleinod aus diesem Alltag in den
                                     Mittelpunkt dieses DURCHBLICK zu stellen – weit abseits der schwierigen Groß­
                                     themen: die Arbeit mit Tieren.
                                       Lassen Sie sich begeistern von den vielfältigen Beiträgen dieses Heftes, in denen
                                     bemerkenswerte Begegnungen zwischen Mensch und Tier dargestellt werden.

                                      Ihr Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher

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Diakonische Stiftung
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2 Editorial
4 Angezählt

		Thema: Tierisch
 6 Schweinemassage in der Sulkshege
  9 Bunter Hund
 10		 Interview: „Vertrauen ist das A und O“
  13 Wer ist hier der Boss?
   14 Teamwork
    16 Interview: „Große Qualitätsunterschiede
         in der Ausbildung von Assistenzhunden“
     18 Job mit viel Verantwortung
      20 Experten in Sachen Huhn
       21 Mentale Stütze
       23 Alles andere als langweilig

       		Wittekindshofer Themen
       24 Spielregeln ohne Barrieren
        26 Platz für Lob und Kritik
         27 Achtsam mit Körper und Geist umgehen
         28 Aus den Orten
          30 Personalia
           31 Zwei neue Kitas in Ahaus
           32 Das Gruppenfoto
            33 Impressum

              34 Blick zurück
                  Erste Ausflüge und Urlaubsfahrten
               36 Was macht eigentlich …
                   … Sabine Lohrke im Familienunterstützenden Dienst?
                39 Auf ein Wort
                    Schlau wie ein Esel

                                                                          D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1   3
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Angezählt

                             40…                                                                        222…
wilkimedia.org, Sigurður Òlafsson/norden.org

                                                                                         Archiv Wittekindshof

                                                                                                                … Jahre ist das älteste Gebäude der
                                               … verschiedene Pflanzenarten zieht                               ­ iakonischen Stiftung Wittekindshof alt.
                                                                                                                D
                                               die Wittekindshofer Gärtnerei in ­ihren                          Es ist das so genannte „Alte Haus“ auf
                                               Gewächshäusern in der Frühjahrs-                                 dem Gründungsgelände - die Keimzelle
                                               und ­Sommersaison heran.                                         der Stiftung.

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Angezählt

8877…
wikimedia.org, Fotomontage:Wilfried Gandras

                                              … Kilomenter haben Mitarbeitende sowie Klientinnen und Klienten in ­Gronau
                                              während der Stadtradeln-Aktion im Mai zurückgelegt: Das entspricht ungefähr
                                              einer Fahrradroute von Gronau nach Kampala. Damit belegte das Wittekinds­
                                              hofer Team den dritten Platz im Stadt-Ranking. Ziel des Wettbewerbs ist es,
                                              möglichst viele Alltagswege klimafreundlich mit dem Fahrrad zurückzulegen.

                                                                                                                 D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1   5
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Tierisch

Schweinemassage in der Sulkshege
Gruppenraum des Kinder- und Jugendhauses verwandelt sich in Tiergehege

F
             ritz rollt sich auf die Seite und
             schließt die Augen. Mit einer
                                                  Kaninchen lassen sich
                                                  davon nicht aus der Ruhe
                                                                                       „Wir sind sehr froh,
             Klobürste kniet Samuel vor dem       bringen. Und Alois Ter-           dass wir dank zahlreicher
             Minischwein und streicht ihm         hürne auch nicht. „Es ist
             über Bauch und Hinterläufe.          genug für alle da“, sagt            Spenden die Besuche
             Der Eber streckt alle Viere von
sich, und wer genau hinhört, kann ein lei-
                                                  er und holt Futternach-
                                                  schub aus einer der mit-
                                                                                     ermöglichen können.“
ses, genüssliches Schmatzen hören. „Das ist
gar keine Klobürste, sondern eine Schwei-
                                                  gebrachten Boxen. Die
                                                  Hühner haben sich nun
                                                                                         Kristina Jässing
nebürste!“, wirft Alois Terhürne ein und fügt     trotzdem eine Pause vom
mit einem Augenzwinkern hinzu: „Eigent-           Trubel verdient und dürfen                                                               Umgang
lich ist sie zur Schweinemassage gedacht.         zurück in ihren Käfig.                                                                 mit den
Aber wir Menschen haben sie zweckent-                                                                                                Tieren fällt
fremdet.“ Samuel lacht. Alois Terhürne und        Auf Tuchfühlung mit Turbo                                                     ihnen die Kontakt­
Fritz gehören zum menschlichen und tieri-         Ablöse naht: „Wer möchte mal eine Schnecke                           aufnahme oft leichter.
schen Team der Eseltherapie Terhürne. Sie         auf die Hand nehmen?“, fragt Terhürne in die      Ängste und Hemmungen werden abgebaut.
sind gern gesehen Gäste im Wittekindshofer        Runde. Selina streckt zögernd die Hand aus.       Das stärkt das Selbstvertrauen und die Sozi-
Kinder- und Jugendhaus an der Sulkshege           „Ich weiß nicht, die fühlen sich doch ganz        alkompetenz“, sagt Kristina Jässing. Sie ist als
in Hamm. Einmal im Monat verwandelt sich          glitschig an“, hadert sie erst, traut sich dann   stellvertretende Bereichsleitung für das Wohn-
der Gruppenraum im Obergeschoss oder der          aber: „Die sind ganz weich.“ Doch noch ziert      haus mitverantwortlich. Seit Jahren bestehe
Garten des Wohnhauses in ein kleines Tier-        sich Achatschnecke Turbo etwas davor, aus         ein guter Kontakt zur Eseltherapie. „Einmal
gehege.                                           ihrem Haus zu kriechen. „Hab Geduld, sie          im Jahr besuchen wir zudem den Hof der
   Einige der Gäste kennen die Kinder bereits     ist nicht die schnellste.“ Terhürne setzt sich    Eseltherapie und feiern ein Sommerfest.“
sehr gut. „Lisa!“, ruft Sophia erfreut aus, als   zu dem Mädchen. „Fressen Schnecken auch           Pandemiebedingt musste das Fest in diesem
sie den Raum betritt. Wenige Sekunden spä-        Salat?“, möchte Selina wissen. Terhürne hält      Jahr bereits zum zweiten Mal ausfallen. Jäs-
ter sitzt die 16-Jährige mit der Königspudel-     der Schnecke ein Blatt vor die Haustür. Und       sing: „Umso wichtiger sind deshalb die re-
dame auf dem Sofa und krault ihr das Fell.        siehe da, Turbo regt sich und streckt die Füh-    gelmäßigen Besuche an der Sulkshege, die
Auch Zwergpudel Lumpi bekommt sofort              ler aus. „Damit kann die Schnecke sehen,          mittlerweile wieder möglich sind.“
einige Streicheleinheiten ab. Auf der langen      dort sitzen ihre Augen“, erklärt Terhürne.
Tischreihe einige Meter weiter sind Hand-         „Und der Schneckenschleim macht eure Haut         Zeit der Katzen
tücher ausgebreitet. Darauf haben es sich         ganz weich.“ Selina reibt die Hände anein-        Hündin Lisa hat sich derweil zum Schlafen
Kaninchen und Meerschweinchen gemüt-              ander. „Fühlt sich wie Hautcreme an“, stellt      zurückgezogen. „Wir achten darauf, dass
lich gemacht und mümmeln an Salatblät-            sie erstaunt fest.                                die Tiere genug Pausen haben, jede Einheit
tern, die ihnen Selina entgegenhält. „Hey             „Tierpädagogische Angebote werden in der      nur 30 Minuten dauert und jedes Tier nur
Maja, nicht!“, tönt es von der anderen Seite      Regel nicht von anderen Kostenträgern finan-      ein bis zwei Einsätze pro Tag hat. Das ist so
des Tisches. Gemeinsam mit dem schwar-            ziert. Wir sind sehr froh, dass wir den Mädchen   vom Veterinäramt vorgeschrieben“, betont
zen Seidenhuhn Hanni hat sich das Padua-          und Jungen dank zahlreicher Spenden diese         Alois Terhürne. Während die Hunde pausie-
ner-Huhn die Salatblätter geschnappt. Die         monatlichen Besuche ermöglichen können. Im        ren, schlägt die Stunde von Feeli und Fussel.

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Tierisch

Die beiden Katzen springen aus ihren Boxen
und schnuppern kurz an den Schnecken-
häusern. „Keine Sorge, die kennen sich alle
und vertragen sich untereinander“, beruhigt
Terhürne die Jungen und Mädchen. Samuel
legt indes die Schweinebürste beiseite. Vor-
sichtig streicht der 13-Jährige Fritz mit der
Hand noch einmal über den Bauch. „Das ist
eine besonders empfindliche Stelle“, erklärt
Iris Mebus-Melnik. Sie ist Fachkraft für Tier-
gestützte Intervention bei der Eseltherapie.
„Wisst ihr, warum sich Schweine suhlen?“,
fragt sie in die Runde. Die Jungen und Mäd-
chen schütteln die Köpfe. „Damit der Bauch
nicht verbrennt, wenn die Sonne so stark
scheint.“ Fritz steht auf. Langsam trottet das
Minischwein auf seine fahrbare Box zu. Der
tierische Besuch hat nun Feierabend. Fritz
grunzt noch einmal zum Abschied. Nächsten
Monat gibt es für ihn wieder eine ordentliche
Massageeinheit im Kinder- und Jugendhaus
an der Sulkshege.

                                                 DDuurc
                                                      rchhbblliicckk 22-2
                                                                        -2002211   7
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                                                   Die Esel­therapie
                                                       Terhürne
                                      bietet seit 2005 tiergestützte Interventionen an: Das Team
                                     besucht Schulen, Kindergärten, Kinderklinken, Psychiatrien,
                                    Wohnhäuser für Menschen mit Behinderung, Senioreneinrich­-
                                    tungen und vieles mehr. „Unsere Tiere sind alle ausgebildet
                                    und haben ein jahrelanges Training hinter sich. Die Tiere wer-
                                     den regelmäßig durch den Tierarzt untersucht und unterlie-
                                      gen den Kontrollen des Veterinäramtes“, sagt Geschäftsfüh­
                                       rerin Bianca Terhürne. Neben Eseln, Schweinen und­
                                         Schafen gehören auch Kleintiere zum tierischen Team,
                                           darunter Hunde, Katzen, aber auch Gänse und
                                               Schnecken. Weitere Informationen unter
                                                    www.eseltherapieterhuerne.de

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                                                                                      Bunter Hund
                                                                                    Atila ist auf dem

„A
                   tila kann sowohl laut, als auch   tig, frühzeitig                                                                    motorische
                   leise“, sagt Britta Turner über   Stress­signale                Gründungsgelände                                     Fähigkeiten
                   ihren fuchsroten Mischlings-
                   rüden. Laut sein, im Sinne
                                                     und Ermüdungs-
                                                     erscheinungen zu
                                                                                       im Einsatz                                      immer wieder
                                                                                                                                      trainieren“,
 von Menschen aktivieren und motivieren;             erkennen.“ Nur ge-                                                              sagt ­Turner.
 leise sein, im Sinne von anderen die Angst          sunde Tiere sollten in                                                            Während Atila
 nehmen, präsent sein. „Denn das Aufgaben-           der Tiergestützten In-                                                      draußen richtig
 feld eines Therapiehundes ist breit gefächert“,     tervention eingesetzt wer-                                               aufdreht und jedem
 weiß Turner. Die examinierte Erzieherin ist in      den. „Gleichzeitig hilft es einem                                    geworfenen Ball hinterher-
 den Tagesstrukturierenden Angeboten (TSA)           Junghund, wenn er sich an einem                                wetzt, schaltet er drinnen einen
 im Haus Morgenstern auf dem Gründungs-              älteren orientieren kann“, sagt Turner. „Atila    Gang herunter. „Ruhezeiten sind wichtig und
 gelände in Volmerdingsen tätig. 2009 hat sie        kennt das Gründungsgelände von klein auf.         die Einheiten auf 30 Minuten begrenzt“, betont
 ihre Zusatzausbildung zur Fachkraft für tier-       Er hat Elia und mich seit seiner 18. Lebens-      Turner. Nach dem Essen zieht Atila sich auf sei-
 gestützte Therapie und Pädagogik absolviert.        woche zur Arbeit begleitet. So konnte er sich     nen Schlafplatz zurück. Während die TSA-Teil-
     Seit fast zehn Jahren ist Atila in der Dia-     eingewöhnen, die Menschen kennenlernen,           nehmenden handwerklichen Arbeiten nach-
 konischen Stiftung Wittekindshof im Dienst.         aber auch die Hilfsmittel, wie Rollstühle oder    gehen, hat er nun Feierabend.
 „In Hundejahren umgerechnet sind es sogar           Rollatoren.“
 70“, setzt sein Frauchen schmunzelnd hinzu.                                                           Was ist Tiergestützte Intervention?
 Zehn Jahre, in denen Atila seine Vielseitigkeit     Atila ist geduldig                                Unter Tiergestützten Interventionen versteht
 immer wieder unter Beweis gestellt hat. Sei es      Mittlerweile ist Atila bekannt wie ein sprich-    man alle pädagogischen, therapeutischen
 bei Parcours-Läufen im Kinder- und Jugendbe-        wörtlicher bunter Hund. Wo immer der knie-        oder sonstigen Maßnahmen, in denen Tiere
 reich, bei Gruppenangeboten in der TSA oder         hohe Mischlingsrüde auftaucht, sind ihm Strei-    in unterschiedlicher Art und Weise einbe­zogen
 als Begleiter auf dem letzten Lebensweg. „Die       cheleinheiten gewiss – auch bei Alfred Zoch,      werden.
 Sterbebegleitung war eine intensive Erfah-          der die TSA im Haus Morgenstern ­besucht.            Darunter fällt die Tiergestützte Therapie,
 rung. Sie gehört aber nicht unbedingt zum           Freudig lacht der 84-Jährige, als Atila an ihm    die ausschließlich von ausgebildeten The-
 Standard von Therapiehund-Einsätzen, son-           vorbeisaust, um den von ihm geworfenen Ten-       rapeuten und Therapeutinnen (Ergo-, Phy-
 dern ist nur sinnvoll, wenn Mensch und Tier         nisball wieder einzusammeln. Anschließend         sio- und Psychotherapeutinnen und -thera-
 schon vorher eine Beziehung hatten. Atila hat       geht es in den TSA-Raum. Atila wartet ge          peuten sowie Logopäden und Logopädinnen)
 sich mit ins Bett gelegt und einfach Körperkon-     duldig, ehe der Senior ihm nach und nach sein     aus­geführt wird. Ziel ist es dabei, die Lebens­
 takt gesucht. Man hat sofort gespürt, wie sich      Futter auf den Teller legt. „Alfred und Atila     haltungskompetenzen zu stärken und zu för-
 die Stimmung im Raum entspannte, der Blut-          sind schon ein eingespieltes Team. Routinen       dern und dabei eine positive Auswirkung zu
 druck des Menschen sank, die Atmung wurde           sind wichtig in unserer Arbeit. Sie geben zum     erzielen.
 ruhiger“, erinnert sich Turner.                                            einen Struktur, und zum       In der Tiergestützte Pädagogik sind nur
     Angefangen hat es mit dem Berner                                              an­deren lassen     ausgebildete pädagogische Fachkräfte (Erzie-
 Sennen­hund Ernie. Er war Turners                                                      sich so bei-   her und Erzieherinnen sowie Sozial-, Behin-
 ­erster Therapiehund. „Ich hatte                                                           spiels-    derten- und Heilpädagogen und -pädagogin-
­eigentlich ­immer Hunde in                                                                    weise   nen) im Einsatz. Im Fokus stehen das Lernen,
  meinem Leben und wollte                                                                              die Steigerung von Verantwortungsgefühl und
  das mit meiner Arbeit                                                                                sozialen Kompetenzen sowie die körperliche
  beim Wittekindshof ver-                                                                              und emotionale Entwicklung.
 binden.“ Aus diesem                                                                                      Tiergestützte Fördermaßnahmen und Akti­
 Grund entschied sie                                                                                   vitäten sind ein weiterer Teil der Intervention.
 sich dazu, die Zusatz-                                                                                Sie können unabhängig von einem therapeu-
 qualifikation in Tier-                                                                                tischen oder pädagogischen Beruf ausge-
 gestützter Intervention                                                                               führt werden. Im Vordergrund steht hier eine
 zu er­langen. Nachdem                                                                                 gemeinsam mit dem Tier ausgeführte Aktivi-
 Ernie in den Ruhestand                                                                                tät, die jedoch keine konkreten und ausfor-
 ging, folgten der Berner                                                                              mulierten Förderziele verfolgt. „Die Freude
 Sennenhund Elijah und                                                                                 am Umgang mit Tieren und deren Wohlerge-
 nun Atila. „Für Thera-                                                                                hen sind grundlegende Inhalte“, sagt Britta
 piehunde gibt es kein offi­                                                                           Turner. „In der Praxis lassen sich diese drei
 zielles Renteneintrittsalter, je-                                                                     Formen schwer voneinander trennen, denn
 der Hund ist anders und reagiert                                                                      in der Regel beeinflussen sich diese Berei-
 unterschiedlich. Daher ist es wich-                                                                   che gegenseitig.“

                                                                                                                               DDuurc
                                                                                                                                    rchhbblliicckk 22-2
                                                                                                                                                      -2002211   9
Durchblick Diakonische Stiftung Wittekindshof
Tierisch

                                     G
                                                    enüsslich wälzt sich Hilarus im
                                                    Sand der Reithalle. „Ein gutes
                                                    Zeichen“, sagt Sylvia Niemeier.
                                                    Es zeige, dass sich der Wallach
                                                    wohlfühle. Hilarus ist eines
                                                    von neun Therapie­pferden
                                     der Diakonischen Stiftung Wittekindshof. Seit
                                     2001 bieten Niemeier und Michael Rahmöl-
                                     ler Therapeutisches Reiten für Menschen mit
                                     Behinderung an. Im Interview sprechen die
                                     beiden Reitpädagogen darüber, was die Tiere
                                     leisten und was sie brauchen, um diese Arbeit
                                     zuverlässig durchzuführen.

                                     Kann eigentlich jedes Pferd ein
                                     Therapiepferd werden?
                                     Sylvia Niemeier: Grundsätzlich ja. Pferde sind
                                     von Natur aus soziale Wesen, die den Kon-
                                     takt suchen und daher für die therapeutische
                                     Arbeit sehr gut geeignet sind – wenn sie
                                     angstfrei und gesund sind. Wir unterziehen
                                     die Tiere natürlich einem Gesundheitscheck
                                     bevor wir sie kaufen. Unabhängig davon
                                     haben wir bisher in der Regel immer junge
                                     Pferde ausgebildet, weil wir dadurch früh
                                     eine Bindung zu den Tieren aufbauen. Die ist
                                     in der therapeutischen Arbeit sehr wichtig –
                                     für Tier und Mensch.

                                     Ein bereits ausgebildetes Therapiepferd
                                     zu kaufen, wäre also nicht unbedingt
                                     sinnvoll?
                                     S. Niemeier: Genau, da die Ausbildung ganz
                                     an die Bedürfnisse der Therapie angepasst
                                     ist. Und das leitet sich auch von den Gege-
                                     benheiten vor Ort ab. Beispielsweise steigen
                                     die Reiterinnen und Reiter bei uns von einer
                                     Rampe aus in den Sattel. Das lässt sich nur vor
                                     Ort üben. Wir müssen die Pferde zwar selbst

10   D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1
Tierisch

„Vertrauen ist das A und O“
Wittekindshofer Reitpädagogen im Interview

einreiten und an Trense, Sattel und Reiter­
gewicht gewöhnen – so können wir sie wäh-                             Die Pferde lernen                                     Spielen die Artgenos­
renddessen aber auch an unser ganz eigenes
S­etting heranführen.
                                                                    ein großes Spektrum                                      sen eine Rolle bei der
                                                                                                                            ­Eingewöhnung?
                                                                      unterschiedlicher                                      S. Niemeier: Oh ja!
Was ist das für ein Setting, und welche                                                                                     Unsere neun Pferde
Anforderungen müssen die Tiere erfüllen?                             Menschen kennen.                                      leben in einer Herde, in
Michael Rahmöller: Das Angebot steht jedem         gang                                                                   der jedes Tier seinen Platz
und jeder offen. Das bedeutet auch: Die            mit                                                                   in der Rangordnung hat.
Pferde lernen ein ganz großes und vielsei-         den                                                                Das gibt zusätzliche Sicher-
tiges Spektrum unterschiedlicher Menschen          Pferden,                                                         heit. Während der Ausbildung
vom Kindes- bis ins Seniorenalter kennen.          lernen, wor-                                                 ist es daher hilfreich, wenn ein
Darunter sind Menschen mit schwerstmehr-           auf sie achten soll-                                    älteres Pferd dabei ist, das als Leittier
facher Behinderung genauso wie Männer              ten. Die Tiere wiederum                            Orientierung bietet.
und Frauen mit psychischen Erkrankungen,           wissen, was sie erwartet. Das trägt zu ihrem
die körperlich vielleicht total fit sind. Unsere   Sicherheitsgefühl bei.                             Brauchen die Pferde auch Urlaub,
Pferde sind keine Dressurpferde, die eine          M. Rahmöller: Jede Reiteinheit ist aber anders.    damit sie sich nicht „überarbeiten“?
ganz klare Aufgabe haben und möglicher-            Manche möchten richtig Action und wollen           S. Niemeier: Jedes Tier beteiligt sich grund-
weise nur einen oder wenige Reiter.                am liebsten sofort drauflosreiten, anderen         sätzlich nur an einer Einheit pro Tag. Die
S. Niemeier: Insgesamt sind es etwa 80 Men-        reicht das Gefühl, auf dem Pferd zu sitzen und     Pferde haben klare Arbeitszeiten, wenn man
schen, die unser therapeutisches Reitangebot       die Bewegungen zu spüren. Und auch jedes           so will, also auch Feierabend. Außerdem
nutzen. Darunter sind viele Erwachsene. Das        Pferd ist anders. Wir kennen unsere Tiere und      bietet unser Stallkonzept einen großen und
heißt, die Tiere müssen nicht nur psychisch        wissen, was jedes einzelne leisten kann und        wichtigen Ausgleichspunkt. Die Pferde leben
stark sein, um sich auf die unterschiedlichen      wann Pausen gebraucht werden.                      in einem sogenannten Aktivstall, in dem sie
Reiterinnen und Reiter einzustellen, sondern                                                          sich frei an der frischen Luft bewegen und
auch muskulär mehr leisten. Dazu kommt             Wie bilden Sie die Pferde aus,                     als Herde agieren können. Hier müssen sie
der Umgang mit unseren Materialen: Ringe           damit die Tiere sowohl physisch                    sich bewegen, um ans Futter zu kommen und
und Musiktrommeln für die motorische und           als auch psychisch belastbar sind?                 zu trinken. Reibereien werden innerhalb der
kognitive Arbeit oder besondere Gurte oder         S. Niemeier: Pferde sind Fluchttiere. Bei einem    Gruppe geklärt. Die Pferde können einfach
Vorrichtungen, die manche Teilnehmenden            Anzeichen von Gefahr ergreifen sie die Flucht.     nur Pferd sein, ohne dass sie von Menschen
benötigen, um sich auf dem Pferd zu halten.        Also müssen wir dafür sorgen, dass sie sich        gestört werden.
                                                   sicher fühlen. Das A und O ist deshalb, dass sie   M. Rahmöller: Durch das Stallkonzept haben
Wie läuft eine therapeutische Reiteinheit ab?      uns vertrauen. Die Tiere müssen wissen: Unser      die Tiere Abwechslung im Alltag. Wir wollen
S. Niemeier: Die Abläufe sind generell sehr        Wort gilt, und ihnen kann während der Einhei-      nicht, dass sie möglicherweise stoisch wer-
strukturiert. Bevor die Teilnehmenden reiten,      ten nichts passieren. Auch wenn es mal lauter      den. Sie sollen wach und aufmerksam sein,
begrüßen und putzen sie erst einmal die Tiere.     wird oder viel Trubel herrscht. Und wir kennen     und sie sollen ihr eigenes Wesen behalten.
Das baut Nähe auf und bietet Struktur. Außer-      die Pferde gut genug, um zu wissen, bei wel-       Das macht sich auch in der Therapie bezahlt.
dem steigert es das Verantwortungsgefühl. Die      chen Stressauslösern welches Tier anschlägt,       Verschiedene Menschen brauchen schließlich
Teilnehmenden verinnerlichen Regeln im Um-         und können darauf sofort reagieren.                verschiedene Pferde.

                                                                                                                            D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1   11
Tierisch

Wer ist hier der Boss?
Martin Lübke versorgt die „Wittekindshofer Stars“

S
             ie sind wohl die heimlichen
             Stars des Wittekindshofs: Horst
                                                  sieht ein, dass er nur der
                                                  Ranghöchste der Herde
                                                                                „Ich arbeite schon so lange
             und Knut. Die beiden Lamas           ist, wenn Martin Lübke            mit Horst und Knut.
             sind schon an (fast) jedem           nicht da ist. Etwas ein-
             Standort der Stiftung gewesen        genordet und geerdet              Wir verstehen uns.“
             und gern gesehene Partygäste.        trabt er von dannen –
Und sie haben ihren ganz persönlichen Koch,       auf die Wiese, die Lübke             Martin Lübke
Friseur und Gärtner. Martin Lübke versorgt        ihm zugewiesen hat.
seit 14 Jahren die Paarhufer, fast solange            Der Volmerdingsener
wie sie die Stiftung bereichern. Die bei-         kennt seine Lamas und Alpa-
den bewohnen auf dem Gründungsgelände             kas und weiß, wie er mit ihnen
direkt unterhalb des Wiehengebirges ihr pri-      umzugehen hat. „Ich arbeite schon                                            ­beispielsweise
vates Anwesen.                                    so lange mit Horst und Knut. Wir verste-                                  etwas und ihm
                                                  hen uns“, sagt er. Er hat einen ausgelager-                       muss Schmerzmittel ver-
Horst und Knut warten schon                       ten Werkstattarbeitsplatz und arbeitet recht   abreicht sowie Creme aufgetragen werden.
Montagmorgen, 8.30 Uhr: Horst und Knut            selbstständig. Neben der Versorgung, zu der    „Da helfen mir dann Mitarbeitende“, sagt er.
erwarten Martin Lübke bereits, der das Fut-       auch die Fellpflege gehört, begleitet er die      So gerne er seine flauschigen Arbeitskol-
ter bringt – spezielles Kameliden-Müsli,          sanften, vierbeinigen Therapeuten zu Kin-      legen auch hat, denkt er dennoch über eine
damit die Tiere gesund und kräftig bleiben.       dergeburtstagen, Besuchen in Alten- und        berufliche Veränderung nach. Dabei wird er
Auch ihre beiden Mitbewohner, die Alpa-           Pflegeheimen oder Festen jeglicher Art.        vom Wittekindshofer Team für Arbeit und
kas Jimmi und Till, die die Lamas auf ihrem       Diese sind in Zeiten der Corona-Pandemie       Integration begleitet. „Ich mache das jetzt
Grund tolerieren, erhalten ihr Frühstück.         natürlich ausgefallen. „Aber ansonsten kön-    schon so lange hier. Was anderes wäre auch
Danach geht es für Lübke ran ans abäppeln.        nen die Kinder bei ihren Geburtstagspartys     mal toll. Ich werde ja auch nicht jünger und
Über das Wochenende haben die Vierbei-            den Lama-Führerschein machen. Wir kom-         die Arbeit nicht leichter“, sagt der Volmer-
ner doch ganz schön Dreck gemacht. Und            men dann mit Horst und Knut, stellen die       dingsener und zwinkert mit einem Auge.
während er den Unterstand säubert, betritt        Tiere vor und erklären, worauf man achten      Sollte der Jobwechsel funktionieren, wer-
Horst stolz den gepflasterten Vorgarten sei-      muss, was sie essen und wie man sie führt.     den Horst und Knut ihren „persönlichen
nes zweiten Domizils, den Stall, und blickt       Wenn die Kinder aufgepasst haben, bekom-       Assistenten“ sicherlich vermissen. Aber
stolz in die Ferne. Dabei gibt er klackernde      men sie eine Medaille. Das kommt immer         Martin Lübke ist ja nicht aus der Welt. „Ich
Schmatzgeräusche von sich. „Damit will er         gut an.“                                       werde bestimmt immer mal bei ihnen vor-
sagen, dass er der Chef ist“, erklärt Lübke.                                                     beischauen.“
„Doch da täuscht er sich. Noch bin ich hier der   Berufliche Veränderung
Boss, und hier wird gemacht, was ich sage.        Wenn es bei Horst, Knut, Jimmi und Till
Aus dem Weg, Horst, hoch mit dir, Knut. Ich       aber mal über die Grundversorgung hin-
muss den Stall noch sauber machen“, sagt          ausgeht, erhält Martin Lübke Unterstützung
der 46-Jährige mit einem Grinsen im Gesicht       von erfahrenen Mitarbeitenden des zustän-
und schiebt die Tiere sanft zur Seite. Horst      digen Geschäftsbereichs. Aktuell lahmt Horst

12   D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1
Tierisch

              Lamas ­buchen
           Seit Mitte September können Veranstal-
        tungen mit den Lamas und Alpakas unter den
     ­geltenden Corona-Schutzmaßnahmen wieder auf
    dem Gründungsgelände stattfinden, beispielsweise
 ­Kindergeburtstage mit Lama-Führerschein. Derzeit sind
die Angebote nur im Freien möglich, maximal zehn Perso-
nen können teilnehmen. Es gelten die 3G-Regel sowie die
      Kontaktnachverfolgung und ein gesundheitliches
                Kurzscreening für Ungeimpfte.
  Ansprechpartnerinnen für Fragen und Buchungen sind
            Sabine Neumann und Kerstin Busse.
                  Sie sind erreichbar unter:
                    Telefon (05734) 61-17 46
                      oder per E-Mail an
                  alpakas@wittekindshof.de

                                   DDuurc
                                        rchhbblliicckk 22-2
                                                          -2002211   13
Tierisch

14   D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1
Tierisch

Teamwork
Assistenzhündin Nele unterstützt Merle Naue im Alltag

„N             ele hat Lust, die Welt zu entdecken
               und mich damit einfach ange-
               steckt“, sagt Merle Naue und blickt
ihrer Golden-Retriever-Hündin dankbar in die
                                                     VITA, damit Mensch und Hund sich
                                                     an­einander gewöhnen, lernen, mit-
                                                     einander zu arbeiten und zu einem
                                                     harmonischen Team zusammenwach-
                                                                                                „Nele gibt mir Sicherheit.
                                                                                                 Sie passt auf mich auf.“
Augen. Dass sie einmal eine so selbstbewusste
und aufgeschlossene junge Frau wird, hätte die
                                                     sen. Wobei muss Nele unterstützen?
                                                     Wie gibt Merle Naue die Kommandos?
                                                                                                             Merle Naue
25-jährige Mindenerin vor einigen Jahren nicht       Und vieles mehr.                                                                            Auch
gedacht. Seit Sommer 2013 ist Nele ihre treue                                                                                                  zum
Begleiterin, die ihr nicht nur zu mehr Selbst-       Neue Freunde gefunden                                                                  Shopping
sicherheit verholfen hat, sondern ihr auch die       Auch Jahre später fährt Familie Naue zweimal                                      kommt Nele
Socken auszieht, die Leine anreicht oder das         im Jahr zur Nachbetreuung ins Ausbildungs-        mit, sogar in eine Kneipe, in der Hunde an
Handy aufhebt.                                       zentrum. „Die Trainer schauen, ob Nele etwas      sich nicht erlaubt sind. Noch nie habe es große
   „Apport!“, sagt Naue zu der zehnjährigen          Neues lernen kann, wie sich unser Alltag ver-     ­Probleme wegen der Hündin gegeben. Außer
Hundedame und deutet mit der Hand in Rich-           ändert hat, oder wo sich vielleicht Fehler ein-    einmal im Urlaub, als sich eine Frau lauthals
tung ihres Handys. Der Retriever blickt zu sei-      geschlichen haben“, berichtet die 25-Jäh-          darüber aufgeregt habe, dass die Retriever-
nem Frauchen und dann zum Handy, steht auf           rige. Doch nicht nur die Arbeit im Team steht      hündin am Strand war. „Ansonsten erhalten
und hebt sachte das Gerät auf, geht zurück zu        dann auf dem Programm. Naue trifft dort            wir nur positive Rückmeldungen. Die Leute
Naue, setzt sich an ihre linke Seite des Roll-       auch Freunde: „Meine VITA-Freundschaften           freuen sich eigentlich immer Nele zu sehen“,
stuhls, streckt ihr die Schnauze entgegen und        zu anderen Teams gehören zu meinen engs-           resümiert Merle Naue.
hält still, so dass Merle Naue es greifen kann:      ten – uns verbindet der Hund. Behinderung ist
„Fein gemacht“, sagt die junge Frau und zückt        da total egal. Einen Ort zu erleben, wo es so     Nicht im Regen stehen lassen
einen Hundekeks aus dem Leckerchen-Beutel.           egal ist, dass und warum man behindert ist, ist   Nele helfe ihr viel im Alltag, „doch noch mehr
                                                     einfach schön.“ Für Nele steht bei den Treffen    ist sie eine emotionale Stütze für mich. Früher
Es matcht 2013                                       einmal im Jahr ein großer Gesundheitscheck        war ich schüchtern. Da wäre es nicht denkbar
Nele kam über den Verein VITA e.V. Assistenz-        an. „Der Verein kümmert sich bis zum Lebens-      gewesen, dass ich so offen spreche wie jetzt.
hunde zu Merle Naue. Nach erster Internetre-         ende der Tiere um die Teams und die Gesund-       Nele gibt mir Sicherheit. Sie passt auf mich auf.
cherche entschied sich Merle Naue gemein-            heit der Hunde. Er ist immer ansprechbar, zu      Besonders wenn wir alleine sind. Sie muntert
sam mit ihren Eltern, einen Bewerbungsbrief          jeder Frage und zu Tages- und Nachtzeit.“         mich auf, wenn es mir schlecht geht. Wir sind
an den Verein zu senden. Ende 2011 fand das              Jeden Morgen weckt die Hundedame ihre         ein Team und arbeiten zusammen. Gemeinsam
erste Kennenlern-Treffen mit den Hundetrai-          Teampartnerin. Auf Kommando springt die Ret-      meistern wir die Situation. Wir sind beide auf-
nern in Hümmerich bei Neuwied statt, wo das          rieverhündin ins Bett „und wir kuscheln noch      merksam. Natürlich hat sie auch ihre Freiheit zu
Ausbildungszentrum des Vereins ist. Damals           zehn Minuten, bevor ich aufstehen muss“, sagt     toben und ausgelassen zu spielen. Sie hat viel
noch ohne Nele. Es folgten weitere Termine,          Merle Naue mit einem breiten Grinsen. Bevor       Pause. Manche Leute denken immer, dass sie
bis es zum so genannten „Matching“ im Januar         es für Merle Naue, die im Wittekindshofer Büro    24 Stunden ‚arbeitet‘. Das ist nicht so.“ Abends
2013 kam, dabei sucht sich der Hund den Men-         für Leichte Sprache arbeitet, los geht zum Job,   schließen Merle Naue und Nele den Tag mit
schen fürs Leben aus. Am Ende wählte Nele            bringt die Hündin ihr ihre Schuhe. „Grund-        etwas Positivem ab, einer einfachen Übung, die
die damals 16-Jährige als Team-Partnerin aus.        sätzlich hebt Nele alles für mich auf. Abends     mit Leckerchen belohnt wird: „Den Hund nicht
Teams, so werden die Mensch-Hund-Gespanne            zieht sie mir beispielsweise die Socken aus.      im Regen stehen lassen“, heißt es bei VITA.
bei VITA genannt. Die Sommerferien ver-              Sie macht alles ganz behutsam und sabbert         Aber das käme für das Team Merle und Nele
brachte Naue mit ihren Eltern anschließend bei       dabei auch nicht“, führt die junge Frau aus.      nie in Frage, viel zu eng ist die Bindung.

                                                                                                                               D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1   15
Tierisch

„Große Qualitätsunterschiede in
der Ausbildung von Assistenzhunden“
VITA-Gründerin Tatjana Kreidler ordnet die Novellierung
des Teil­habestärkungsgesetzes ein

W
                 er bildet Assistenzhunde aus?
                 Der Begriff des Assistenzhun-
                                                  Die Finanzierung
                                                  unserer VITA-Assis-
                                                                                   Bislang e­ rkennen die
                 des ist nicht geschützt. Wir     tenzhunde erfolgt              gesetz­lichen und ­privaten
                 als Mitglied der ADEu, dem       vollständig durch
                 Dachverband der Assistenz-       Spender, Dauer-                Krankenkassen Assistenz­-
hunde Europas mit hohen und einheitlichen
Standards, beobachten mit äußerster Skep-
                                                  spender, Stiftun-
                                                  gen und Sponsoren,
                                                                               hunde nicht als Hilfsmittel für
sis und Besorgnis, wie der Markt aufgrund         genauso auch die              Menschen mit körper­licher
der Popularität dieser Hunde und der in den       Ausbildung und Nach-
einzelnen Ländern fehlenden Regularien mit        betreuung der Teams                ­Behinderung an.
unzureichend ausgebildeten und nicht quali-       (Mensch und Hund).
fizierten Assistenzhunden in allen Bereichen      Darüber hinaus gibt jeder                                                                    Den
überschwemmt wird.                                Teampartner, so viel er kann,                                                          E­ ntwurf
    Wenn man VITA etwas kennt, weiß man,          sollte sich aber zumindest antei-                                                   des Teil­
dass wir mit der Ausbildung von Assistenzhun-     lig an den Kosten beteiligen und bei                                            habestärkungs­
den für körperlich behinderte Kinder absolute     der Suche nach Spendern oder Förderern aktiv                            ge­setzes sehen wir als
Pionierarbeit geleistet haben. Für uns besteht    unterstützen. Denn was viele nicht wissen:        wichtiges und richtiges Signal und freuen uns
unsere Arbeit nicht nur in der Ausbildung der     Wir erhalten leider keine öffentlichen Förder­    sehr, dass unser Verein als Experte des Gremi-
Hunde, sie geht weit darüber hinaus. VITA ver-    mittel, und die Krankenkassen beteiligen sich     ums des Bundesministeriums für Arbeit und
folgt von Beginn an ein sozialtherapeutisches     nicht an den Kosten für einen Assistenzhund.      Soziales zu Rate gezogen wurde. Menschen
Gesamtkonzept, das eine intensive Zusam-                                                            mit Behinderung sollen künftig einen Rechts-
menführung über einen langen Zeitraum             Kürzlich ist die Novellierung des Teil­           anspruch auf die Begleitung durch Assistenz-
sowie die regelmäßige und ebenso intensive        habestärkungsgesetzes in Kraft getreten.          hunde in öffentlichen Gebäuden haben. Das
Betreuung und Nachschulung unserer VITA-          Welche Verbesserungen bringt es für               sieht das Teilhabestärkungsgesetz vor.
Teams in den Fokus stellt. Unsere Teams wer-      Menschen und ihre Assistenzhunde?                     Um ein hohes Niveau der Assistenzhun-
den von unserem Verein ein Hundeleben lang        Bislang erkennen die deutschen gesetzlichen       deausbildung zu sichern, legt der Gesetzent-
und darüber hinaus begleitet.                     und privaten Krankenkassen den Assistenz-         wurf fest, dass die Hunde immer ganzheitlich,
                                                  hund nicht als Hilfsmittel für Menschen mit       also im Zusammenwirken von Mensch und
Was kostet eine Ausbildung, und wie               körperlicher Behinderung an. Eine Ausnahme        Tier, betrachtet werden. Das ist übrigens bei
wird sie finanziert?                              ist die Ausbildung von Blindenführhunden,         VITA seit Gründung des Vereins vor 21 Jahren
Unser Verein stellt Menschen unabhängig           die entsprechend dem Hilfsmittelkatalog von       Standard. Die Teams müssen von einer zer-
ihrer finanziellen Situation einen vierpfotigen   Krankenversicherungen übernommen wird.            tifizierten Ausbildungsstätte ausgebildet und
Partner zur Seite. Die Kosten für die Zeit des        VITA setzt sich seit Jahren dafür ein, dass   von einer unabhängigen Person geprüft wer-
Aufwachsens und der Ausbildung eines Assis-       auch die Ausbildung von Therapie- und Assis-      den. Dadurch sollen verlässliche Qualitäts-
tenzhundes ohne die hundelebenslange Nach-        tenzhunden von den Krankenkassen gefördert        standards in der Assistenzhundeausbildung
betreuung belaufen sich auf durchschnittlich      wird, und informiert regelmäßig über die          gesetzt werden.
35.000 Euro.                                      ­kleinen Wunder, die unsere Assistenzhunde            Unser Verein erhielt bereits 2007 als ers-
                                                   bei ihren Menschen vollbringen können.           ter Verein auf dem europäischen Festland

16   D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1
Tierisch

die Zertifizierung der Assistance Dogs Europe
(ADEu). Das Gütesiegel belegt, dass VITA nach
höchsten internationalen Standards arbeitet.
Der ADEu und dessen internationaler Part-
nerverein Assistance Dogs International (ADI)
sind die Dachverbände für alle seriösen Ver-
eine, die Assistenzhunde für Menschen mit
Behinderungen ausbilden. Sie setzen hohe
Qualitätsstandards, insbesondere was das
Wohlergehen der Hunde betrifft. Die Mit-
gliedsorganisationen akzeptieren festgelegte
Regeln und Vorschriften, welche die Zusam-
menarbeit zwischen Mensch und Hund defi-
nieren.

Wo besteht es aus Ihrer Sicht
Nachbesserungsbedarf?
Solange Assistenzhunde nicht nach internatio-
nal geltenden Richtlinien ausgebildet werden,
wird es große Qualitätsunterschiede geben.
Das ist zweifelsohne ein großes Problem. Bis
jetzt ist der Begriff des Assistenzhundes nicht
geschützt und somit lässt sich der Titel schnell
vergeben.
   Sobald ein Assistenzhund, wie unsere VITA-
Hunde, nach den internationalen Standards
des ADI und ADEu zertifiziert ist, gibt es auch
international keine Hürden.

           Weitere Informationen zum Verein
           und Unterstützungsmöglichkeiten
                         gibt es im Internet:
                www.vita-assistenzhunde.de

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Tierisch

Job mit viel Verantwortung
Daniel Stephan hat einen ausgelagerten Arbeitsplatz in einer Tierpension

D
                aniel Stephan ist ein hochge-
                wachsener, kräftiger Mann.
                                                  stützt.“ Peters hat
                                                  ihm mehrere Prak-
                                                                                Daniel Stephan ­                                     d es     jun-
                                                                                                                                      gen Manns
                Beinahe stößt sein Kopf an        tika organisiert.       arbeitet größtenteils a­ llein.                              schleckt.
                das Dach der tiergerecht aus-     Immer mit dem                                                                         „Das ist
                gebauten Gartenhütte, in der      Ziel, den optima-          Das kommt ihm und ­                                        ein so ge-
                derzeit drei Katzen leben. Die
Samtpfoten sind „auf Urlaub“ in der Tierpen-
                                                  len Job für den
                                                  Löhner zu finden
                                                                             seinen Bedürf­nissen                                       nannter
                                                                                                                                       Listenhund.
sion Landers in Bad Oeynhausen-Werste, in         und ihm langfris-                entgegen.                                          Dafür brau-
der Stephan einen ausgelagerten Werkstatt­        tig den Weg auf den                                                               che ich einen
arbeitsplatz hat. Er ist sozialversichert, hat    Allgemeinen Arbeits-                                                             Nachweis, um
Urlaubsanspruch und verdient sein eigenes         markt zu ermöglichen.                                                         mit ihm gehen zu
Geld. In seine Zuständigkeit fällt unter ande-       Seit Januar 2020 arbeitet                                                dürfen. Der ist aber
rem die Versorgung der Pensionsgäste. Strei-      Daniel Stephan nun für Angelika                                        ganz lieb“, versichert er,
cheleinheiten inklusive.                          und Theo Landers, die an der Nordstraße                          hält seine Hand noch einmal
   „Das ist meine Lieblingskatze. Sie ist ganz    ihre Tierpension betreiben. Angefangen hat        zum Schnuppern an den Zaun und geht wei-
zutraulich“, sagt der 33-Jährige und streichelt   alles vor einigen Jahrzehnten. Landers hat-       ter. Wenige Meter weiter springt die Labra­
die getigerte Katze, die sich sanft an seine      ten eine sehr erfolgreiche Schäferhund-           dordame Paula schon vor Freude auf und
Hand schmiegt. Dabei ist der große Mann           Zucht. Hin und wieder nahmen sie Hunde von        ab. „Die weiß genau, was jetzt ansteht.“ Ste-
ganz behutsam. Doch seine Arbeit besteht          Bekannten kurzzeitig auf. Und Freunde hal-        phan geht vorsichtig in den Zwinger, damit
nicht nur daraus, Schmuseeinheiten zu ver-        fen bei der Versorgung. „Dann kamen immer         der schokobraune Vierbeiner nicht entwi-
teilen: „Ich mache die Katzenklos sauber,         mehr Anfragen, später auch für Katzen“,           schen kann, und legt ihm das Halsband um.
stelle frisches Wasser hin und fülle das Futter   berichtet Angelika Landers. Heute beherber-       „Sie ist immer so stürmisch am Anfang“, sagt
auf“, erklärt der junge Mann, der in Löhne        gen sie und ihr Mann auch Meerschwein-            Stephan während Paula den Fast-Zwei-Me-
lebt und von der Diakonischen Stiftung Wit-       chen, Kaninchen und Vögel. Selbst halten          ter-Mann über das Außengelände hin zum
tekindshof unterstützt wird.                      sie zu ihren Schäferhunden noch zahlreiche        Feldrand zieht. „Das legt sich gleich, nach-
                                                  Hühner. „Da kommt einiges an Arbeit zusam-        dem sie ihre Geschäfte erledigt hat“, weiß er.
Auf dem Weg zum optimalen Job                     men“, sagt Angelika Landers.                         Dass seine Arbeit viel Verantwortung mit
Einige Jahre hat Daniel Stephan im Wäsche-                                                          sich bringt, ist dem 33-Jährigen sehr bewusst.
service in der Werkstatt für behinderte Men-      Tiere versorgen und Gassi gehen                   Fehler und Unaufmerksamkeiten können
schen (WfbM) auf dem Gründungsgelände             So hilft Daniel Stephan nicht nur in den          schwere Folgen mit sich bringen: „Wenn eine
der Stiftung gearbeitet. „Das hat nicht so        Katzen­häusern, sondern auch bei der Versor-      der Katzen entwischt, ist sie weg. Die kön-
gut geklappt“, resümiert Stephan. „Aber           gung und Pflege der Kleintiere. „Und ich gehe     nen wir nicht mehr einfangen“, sagt Ange-
hier haben wir jetzt einen guten Arbeitsplatz     mit den Hunden Gassi, zwei Mal am Tag. Aber       lika Landers mahnend in Richtung Stephan.
gefunden“, sagt Diakon Rüdiger Peters vom         nicht mit allen. Mit ihm darf ich nicht gehen“,   Beinahe wäre es nämlich schon einmal dazu
Wittekindshofer Team Arbeit und Berufliche        sagt Stephan und deutet auf einen American        gekommen. Aber der junge Mann hat aus
Integration (ABI). Daniel Stephan stimmt ihm      Staffordshire Terrier, der freudig schwanzwe-     seinem Fehler gelernt und achtet nun tun-
zu: „Rüdiger hat mich immer sehr gut unter-       delnd am Zwingerzaun steht und an der Hand        lichst darauf, dass es zu keinem weiteren

18   D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1
Tierisch

Ausbruchsversuch seitens der Pensionsgäste
kommen kann.

Es ist auch mal anstrengend
Um 8 Uhr morgens beginnt sein Arbeits-
tag. Alle zwei Wochen hilft er auch am Wo-
chenende. Er kommt mit dem Rad zur Arbeit,
wenn das Wetter es zulässt. Stephan arbeitet
größtenteils allein. Das kommt ihm und sei-
nen Bedürfnissen entgegen. Er bekommt vom
Ehepaar Landers seine Aufgaben gestellt, die
er abarbeitet. „Ein bisschen Arbeit im Gar-
ten fällt auch schon einmal an“, sagt Ange-
lika Landers und blickt auf das große Areal
an der Nordstraße. Das Bürsten der Hunde
kommt auch hinzu. „Mir gefällt es hier gut,
auch wenn es mal anstrengend ist. Alles darf
ich nicht machen. Manches macht die Chefin
auch selbst“, sagt Stephan.
   Wenn es einmal zu Problemen oder Miss-
verständnissen kommt, sprechen Landers
dies mit Daniel Stephan direkt an. Bei Bedarf
steht Rüdiger Peters allen zur Seite. „Wir wol-
len, dass es für alle passt – für die Menschen,
die wir unterstützen und die Arbeitgeber.“
Für Daniel Stephan passt der tierische Job bei
Landers auf jeden Fall.

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Tierisch

                                           Experten
                                       in Sachen Huhn

P
                                                                                          Eigenes       So auch Urs Daniel Nußbaum. Er erinnert
                                     Federvieh fördert ­soziales                         ­ arten­-
                                                                                          G          sich noch daran, wie die Männer und Frauen
                                           Miteinander                                 häuschen
                                                                                       Die weiße
                                                                                                     gemeinsam ein Küken aufgezogen haben,
                                                                                                     das sie Charly tauften. „Wir haben das Ei mit
                                                                                    Henne blickt     einer Wärmelampe ausgebrütet, bis das Küken
             atrick                                                                 derweil von      geschlüpft ist.“ Aus Charly wurde jedoch schon
Overberg weiß genau,                                                            ihrem Schulter-      bald ein stattlicher und vor allem stimmge-
womit er die Hühner anlo-                                                  Ausguck auf das Gar-      waltiger Hahn, der um 5 Uhr morgens die
cken kann. Aufgeregt gackern                                             tenareal des Wohnhau-       Nachbarschaft weckte. „Deshalb haben wir
Karen, Phoenix, Alice, Kiki und Snow                              ses. Hier haben die Tiere ihren    ein neues Zuhause für ihn gefunden, wo er
White, während der 20-Jährige eine Banane          Stall – oder vielmehr ein eigenes Garten-         ein artgerechtes Leben führen kann und keine
schält. „Dann sind sie eigentlich immer sofort    häuschen. Gemeinsam mit Mitarbeitenden             Nachbarn in unmittelbarer Nähe hat, die
da“, sagt Overbeck und streckt den Hennen die     haben die Männer und Frauen die Holzwände          durch das Krähen gestört werden.“
Frucht entgegen. Begierig picken sie drauflos.    zusammengezimmert und das Dach einge-
   Das Gehege der fünf Hühner befindet sich       deckt. „So haben die Hühner viel Platz“, sagt      Kontakte knüpfen
im Garten des Wittekindshofer Wohnhauses          Overberg, während er Karen wieder ins Gras         Nußbaum ist Teil einer Projektgruppe, die es
an der Weststraße mitten in Bad Oeynhausen.       setzt. Gerade in Corona-Zeiten sind die Hühner     sich zum Ziel gesetzt hat, neue Kontakte zu
Im Wohnhaus leben 16 Menschen mit Autis-          eine willkommene Abwechslung. „Wir können          anderen Einrichtungen und Vereinen zu knüp-
mus-Spektrum-Störung, die von der Diakoni-        das Außengehege durch einen mobilen Zaun           fen. „Denn das war unser Ursprungsgedanke,
schen Stiftung unterstützt werden. Seit 2018      erweitern und haben so einen guten Blick           als wir die Hühner angeschafft haben. Gerade
halten die Bewohnerinnen und Bewohner             auf die Hühner. Besonders bei gutem Wetter         für Menschen mit Autismus-Spektrum-Stö-
Hühner. „Die Männer und Frauen sind mit sehr      schauen immer wieder Bewohnerinnen und             rung liegen die Herausforderungen im sozia-
viel Herzblut bei der Sache. Da hat sich Exper-   Bewohner, was die Hennen so treiben und            len Umgang. Mit Hilfe der Hühner wollen wir
tenwissen angesammelt. Doch die Herausfor-        beobachten sie“, sagt Sabrina Strunk.              aufeinander und auf Fremde zugehen“, sagt
derungen liegen im sozialen Miteinander“,                                                            Sabrina Strunk. „Wir haben bereits Konzepte
weiß Bereichsleiterin Sabrina Strunk. Denn                                                               überlegt, wie wir Besuchern und Gästen
bei der Versorgung der Tiere sind verlässli-                                                                   unsere Hühner vorstellen können,
che Absprachen und Teamarbeit gefragt.                                                                             ohne die Tiere dabei zu stres-
„Wir haben einen genauen Plan, wer                                                                                    sen“, sagt der 31-Jährige.
sich wann ums Füttern kümmert“,                                                                                          „Aber dann kam Covid-
sagt Patrick Overberg. Er streicht                                                                                         19.“ Deshalb ruhen die
über das weiße Federkleid von                                                                                                Planungen vorerst.
Karen. Die Henne sitzt mitt-                                                                                                       Der Freude an
lerweile auf seiner Schul-                                                                                                       den Tieren tut das
ter. Den Trick hat er ihr                                                                                                         aber keinen Ab-
beigebracht. „Futter ist                                                                                                            bruch, sind sich
ein guter Motivator“,                                                                                                                Overberg und
weiß Overberg und                                                                                                                    Nussbaum
streckt dem Huhn ein                                                                                                                  einig. „Die
weiteres Stück Banane                                                                                                                 Eier nutzen
entgegen. Er hat in                                                                                                                   wir natürlich
den vergangenen Jah-                                                                                                                  auch“, be-
ren viel über die Tiere                                                                                                               kräftigt Over-
gelernt. „Am meisten                                                                                                                  berg. „Fürs
erstaunt hat mich, dass                                                                                                              Frühstück oder
Hühner auch Zungen                                                                                                                  zum Kuchen-
haben. Das habe ich vor-                                                                                                           backen. Der
her nicht erwartet“, erin-                                                                                                        Teig bekommt
nert Overberg sich.                                                                                                             eine viel kräftigere
                                                                                                                              Farbe und ich finde,
                                                                                                                            dass die Eier frischer
                                                                                                                          schmecken.“

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Tierisch

Mentale Stütze
Yorkshire Terrier Tommy begleitet Michael Grzesko durchs Leben

T
             ommy stupst mit seiner klei-
             nen Pfote ans Bein von Michael
                                                  Gegen Tommy kann niemand
                                                  etwas sagen
                                                                                              „Ob’s mir scheiße geht
             Grzesko. Der Yorkshire Terrier       Vor Tommy hatte Grzesko bereits          oder nicht – Tommy muss
             möchte auf Herrchens Schoß. „Du      einen anderen Hund. Doch da
             bist wirklich ein echter Schoß-      Hunde in seiner Wohnung eigent-            raus. Er ist auf mich
             hund“, sagt Grzesko, lacht und
krault seinen treuen Begleiter, der es sich
                                                  lich nicht erlaubt sind, musste
                                                  er ihn abgeben. Tommy darf er
                                                                                                angewiesen.“
auf seinen Beinen gemütlich macht. Dass er        aber in der Wohnung halten: „Der
mal einen Hund im Kleinformat haben würde,        zählt aufgrund seiner Größe zu den                Michael Grzesko
hätte sich der Gronauer auch nicht gedacht.       Kleintieren. Wusste ich damals auch
Bisher hatte er Schäferhunde und Rottweiler.      nicht, aber jetzt. Da kann niemand was
Selbst seine vor zwei Jahren verstorbene Katze    gegen sagen, den kann mir niemand weg-                                                    wäh-
Flip war riesig: eine Maine-Coon-Katze, die zu    nehmen“, sagt der gebürtige Hamburger mit                                              rend
den größten Rassekatzen zählt. Tommy ist kör-     Nachdruck. Tommy sei seine Familie. „Der                                          Herrchen isst.
perlich zwar klein, aber für Michael Grzekso      kann nicht sagen, dass es ihm bei mir schlecht    „Er bettelt nicht und weiß genau, wo sein Platz
ein ganz Großer.                                  ging.“ Ganz im Gegenteil: Der Yorkshire Terrier   ist, wenn ich esse. Wenn ich fertig bin, hüpft
   „Tommy bedeutet mir alles“, sagt Grzesko.      ist immer mit dabei. Der 61-Jährige nimmt sei-    er wieder auf meinen Schoß. Alle freuen sich
Seit acht Jahren sind die beiden unzertrenn-      nen Tommy überall mit hin – selbst zum Zahn-      immer, wenn Tommy da ist und streicheln ihn.
lich. „Ich weiß nicht, was ich mal ohne ihn       arzt und zur Therapeutin. Nur beim Einkauf im     Er ist so etwas wie das KIZ-Maskottchen.“
machen soll.“ Der Yorkshire Terrier ist seine     nahegelegenen Supermarkt und beim Haus-               Und weil Tommy überall mit hin kommt,
Stütze im Leben. „Ich habe Depressionen, psy-     arzt muss er daheim bleiben. „Aber er weint,      hat Michael Grzesko auch extra einen Fahrrad-
chische Probleme. Dadurch habe ich Antriebs-      wenn ich gehe. Er jault richtig auf. Ich sage     korb für den Yorkshire gekauft. Mit dem Rad
schwierigkeiten. Aber Tommy gibt mir Struk-       ihm dann, dass ich nur schnell etwas für uns      fahren sie nach Enschede auf den Wochen-
tur. Der muss ja schließlich vor die Tür.“ Drei   beide besorge. Aber das beruhigt ihn nicht.       markt oder einfach raus in die Natur. „Ich mag
bis fünf Mal pro Tag geht der Gronauer mit        Er muss halt immer dabei sein.“ Aber vorm         es hier und möchte hier gar nicht mehr weg.
seinem Vierbeiner Gassi. „Ob’s mir scheiße        Supermarkt anbinden, dass würde er nicht mit      Enschede und Gronau sind zwar Städte, aber
geht oder nicht – Tommy muss raus. Er ist auf     Tommy machen. „Nachher ist der weg. Oder          nicht so hektisch und stressig.“ Früher hat er in
mich angewiesen. Und unterwegs komme ich          ich habe zwei, wenn ich wieder raus komme“,       Münster gelebt. „Aber die laufen da rum wie
mit anderen Hundebesitzern ins Gespräch. Ich      sagt der Gronauer mit einem Lachen.               die Ameisen. Hier ist es ruhiger“, betont er.
kenne hier alle Hunde und ihre Besitzer im
Umkreis“, sagt Grzesko, der selbstständig in      Terrier ist das KIZ-Maskottchen                   Kommunikation auch ohne Sprache
einer Wohnung mitten in Gronau lebt. Auch         Montag bis Freitag geht Michael Grzesko ins       So kann es auch schon einmal vorkommen,
heute lerne er immer noch neue Leute kennen       Wittekindshofer Kontakt- und Informations­        dass Michael Grzesko und Tommy den gan-
– durch Tommy. Häufig werde er von Frauen         zentrum (KIZ) am Kurt-Schumacher-Platz, isst      zen Tag unterwegs sind. Der kleine Vierbei-
angesprochen: „Die fragen, ob sie Tommy mal       zu Mittag und besucht die Tagesstrukturieren-     ner mache das super mit, komme mit anderen
streicheln dürfen. Natürlich nur den Hund. Ich    den Angebote (TSA) der Diakonischen Stif-         Hunden gut klar und auch der Rückruf funk-
bekomme da nichts ab“, flachst er. „Aber das      tung Wittekindshof, von der er auch ambulant      tioniere. Noch nie habe er mit dem Yorkshire
gönne ich ihm.“                                   unterstützt wird. Tommy kommt mit ins KIZ, hat    ­Terrier meckern müssen. „Nur Regen mag
                                                  sogar seinen eigenen Stuhl, auf dem er sitzt,      Tommy nicht. Da will er nicht raus. Anfangs

                                                                                                                            D u rc h b l i c k 2 -2 0 2 1   21
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hab ich ihn fast hinter mir hergezogen. Aber
dann dachte ich: Wenn er nicht will, will er
nicht. Das hat er mir da deutlich gemacht.
Nun warte ich den Regen ab und wir gehen
Gassi“, sagt Grzesko. Tommy habe er quasi
studiert. „Ich spreche auch mit ihm. Er redet
zwar nicht viel mit mir“, scherzt er, „aber er
kommuniziert. Wenn sein Wassernapf leer
ist, kratzt er auf dem Teppich. Wenn er raus
will, setzt er sich vor mich und starrt mich an.“
Doch Tommy geht es nicht nur um die eigenen
Bedürfnisse. „Wenn es mir schlecht geht, ist er
ganz anhänglich und weicht mir nicht von der
Seite. Er spürt, dass ich ihn dann brauche.“

„Die Krankheit muss sich
mit mir arrangieren“
Neben Tommy hilft Michael Grzesko auch der
Kontakt zu anderen Menschen über soziale
Medien wie Facebook, um mit seiner Erkran-
kung besser umzugehen. Einmal in der
Woche legt der gelernte Gärtner für ein Inter-
net-Radio Schlager, Discofox und Co. für ein
breites Publikum auf – allerdings nachts. Und
nach wenigen Stunden Pause noch einmal bis
in den Vormittag. „Das fand meine Therapeu-
tin anfangs gar nicht gut, da ich eh Schlafstö-
rungen habe. Aber ich musste mich jahrelang
mit meiner Krankheit arrangieren, jetzt muss
sich halt meine Krankheit mit mir arrangie-
ren. Das habe ich ihr auch gesagt. Es gibt so
viele andere Menschen da draußen, denen es
auch schlecht geht. Mit denen komme ich ins
Gespräch und mache Musik für sie“, berich-
tet Grzesko. Und Tommy verhilft ihm nach den
langen Nächten wieder zu einem geregelten
Ablauf und Bewegung an der frischen Luft.
„Tommy ist dann mein Ausgleich.“

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                                                                                 Alles andere als
                                                                                    langweilig

D
                 as erste, was Edward Vandam       nes Aquarium                                                                         sich durch
                 sieht, wenn er morgens auf-       haben möchte,                   Edward Vandam                                        ihre blau-
                 steht, ist sein Aquarium. „Dann   um das ich mich                                                                     rötliche Fär-
                 habe ich direkt gute Laune“,      kümmern kann“,                hält F­ ische in seiner                              bung aus.
                 sagt der 19-Jährige. Jeder Tag
                 beginnt für ihn mit der Füt-
                                                   sagt der junge
                                                   Mann, der derzeit an
                                                                                        ­Wohnung                                    „Da sie nicht
                                                                                                                                   so groß wer-
terung der Tiere. „Dann kommen die Fische          einer Berufsbildungs-                                                         den, lassen sich
direkt hochgeschwommen, nachdem sie                maßnahme teilnimmt, die                                                    auch einige Tiere in
geschlafen haben.“ Anschließend überprüft          ihn beim Start ins Arbeitsle-                                         einem kleineren Aqua-
der junge Mann aus Herne die Wasserqualität        ben begleitet. Unterstützung erhielt                             rium halten“, sagt Rathmer
mittels Teststreifen. Denn die Tiere benötigen     er von Dennis Rathmer, der ihm mit viel Fach-     und Vandam fügt hinzu: „Man muss darauf
sauerstoffhaltiges Wasser. Auch die Tempe-         wissen zur Seite stand: „Ich bin selbst Aquari-   achten, dass es nicht zu viele und nicht zu
ratur im Aquarium spielt dabei eine wich-          aner und hatte noch ein Becken übrig, das wir     wenige Fische sind.“
tige Rolle: „Sie sollte zwischen 24 und 31 Grad    direkt nutzen konnten.“                               „Die Fütterung, die Pflege des Aquariums
liegen. An besonders heißen Sommertagen                                                              und die Wasserkontrolle – das alles im Auge
wechsle ich täglich das Wasser. Das kühlt ab       Ideale Lebensbedingungen                          zu behalten fordert täglich – aber es fördert
und die Wasserqualität bleibt gut, so dass die     Bevor das Aquarium befüllt werden konnte,         auch“, hat Rathmer festgestellt. „Edward hat
Fische genug Sauerstoff bekommen. Wenn es          ging es aber erst einmal an die Recherche.        ein großes Verantwortungsgefühl entwickelt.
zu kalt ist, schalte ich die Heizung des Aquari-   Welche Fische eignen sich für Beginner? Was       Er achtet genau darauf, dass es seinen Tieren
ums an, die nennt man Heizstab.“                   sind ideale Lebensbedingungen für die Tiere?      gut geht, und ist sehr penibel, etwa mit der
    „Der Wunsch nach einem Haustier ist bei        Welche Pflanzen sind besonders beständig          Säuberung des Beckens.“ Wichtig sei auch,
vielen Frauen und Männern groß, die wir            und nicht so pflegeintensiv? Die Wahl fiel auf    dass der Lebensraum für Pflanzen und Tiere
ambulant unterstützen. Dafür müssen aber           den Neonsalmler. „Das ist ein Schwarmfisch,       passe. „Ich habe vor allem darauf geachtet,
erst die Rahmenbedingungen geklärt sein:           der sich in vielen Aquarien finden lässt und      dass alle Fische und auch die Pflanzen aus
Dürfen Tiere in der Wohnung gehalten werden        gut in einem 60-Liter-Becken gehalten wer-        einer Region stammen – nämlich Südame-
und wenn ja, welche? Wie viel Zeit habe ich        den kann“, weiß Rathmer. Neonsalmler sind         rika“, sagt Vandam, der großer Amerika-Fan
und wie stelle ich sicher, dass es dem Tier gut    in Südamerika weit verbreitet und zeichnen        ist und von einer Reise dorthin träumt.
geht?“, erklärt Dennis Rathmer. Er ist für das
Wohnangebot an der Vinckestraße verant-                                                              Besuche in der Zoohandlung
wortlich, in dem die Mieterinnen und                                                                    Ein weiterer Pluspunkt des Aquariums: Die
Mieter selbstständig in eigenen                                                                          Fische sorgen für Gesprächsstoff und Aus-
Appartements leben und von                                                                                  tausch – sowohl unter den Männern
Wittekindshofer Mitarbei-                                                                                      und Frauen an der Vinckestraße als
tenden im Alltag beglei-                                                                                          auch außerhalb des Wohnhau-
tet werden.                                                                                                         ses. „Wenn ich etwas brau-
    Edward Vandam                                                                                                      che oder Fragen habe, gehe
lebte vor seinem                                                                                                        ich in die Zoohandlung“,
Einzug im Jahr                                                                                                            sagt Vandam. „Ich schaue
2020 im Witte­                                                                                                             mir auch viele Youtube-
kindshofer                                                                                                                  Videos an und tausche
Wohnhaus an                                                                                                                  mich in den Kommen-
der Bielefel-                                                                                                                taren aus.“
der Straße in                                                                                                                   „Aquarien sind alles
Herne. „Da hat-                                                                                                              andere als langweilig“,
ten wir im Ge-                                                                                                               bekräftigt Rathmer.
meinschafts-                                                                                                                 „Wer sich richtig damit
raum auch ein                                                                                                               befasst, befasst sich
Aquarium. Als                                                                                                               auch mit biochemischen
ich dann in mein                                                                                                           Prozessen. Ein Aquarium
Appartement ge-                                                                                                          ist wie ein eigenes Biotop,
zogen bin, kam mir                                                                                                      in dem kleinste Verände-
das gerade recht, und                                                                                                 rungen große Auswirkungen
                                                                                                                  er
                                                                                                                th m
                                                                                                                Ra

ich habe sofort gesagt,                                                                                            haben können.“
                                                                                                            is
                                                                                                           nn
                                                                                                           De

dass ich gerne ein eige-

                                                                                                                           DDuurcrchhbbl li icckk 22-2
                                                                                                                                                     -2002211   23
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